Nur ein Date von Alaiya ================================================================================ I. Spieglein, Spieglein ----------------------- Schon wieder fand sich Jack vor dem Spiegel im Badezimmer des kleinen Pubs und fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Irgendwie wollten sie heute nicht sitzen. Egal wie sehr er sich bemühte, so gab es doch ein paar Strähnen, die entgegen der modisch halb hoch, halb nach hinten gegelten Frisur in seine Stirn fallen wollten. Das war irgendwie immer so. Noch mehr Gel und sein Haar würde fettig aussehen. Einige Male atmete er tief durch und musterte sein Spiegelbild. Er war hübsch, sagte er sich. Er war ein hübscher Mann. In einem anderen Leben hätte er Model sein können. Oder Schauspieler. Oder sowas in der Art. Er hatte jetzt dieses Leben, aber das hieß nicht, dass er nicht mal wieder einen Freund haben könnte. Er wusch sich die vom Gel klebrigen Hände, trocknete sie und strich sich dann noch einmal das dunkelrote Hemd glatt. Er mochte die Kombination mit seiner Hautfarbe. Dann durchschritt er die Tür und ging in die Bar zurück. Ein wenig unwohl war er sich dabei, dass es keine queere Bar war. Hier hätte er sich vielleicht auf ein Date mit einer Frau getroffen, aber nicht mit einem Mann. Es war einer dieser feinen Whiskey-Keller. Der Boden war komplett mit Parkett aus dem Holz von Whiskey-Fässern ausgelegt. Nichts zum Essen, nur zum Trinken – und definitiv nicht zum Betrinken bei den hier gängigen Preisen. Arjun hatte ihm eine Tischnummer genannt. Dort wollten sie sich treffen. Wenigstens waren die Tische hier durch mit aus plastikgeformten Blättern behängten Holzwänden getrennt. Wahrscheinlich würde hier niemand sehen, was war – wenn etwas war. Immerhin hatte er Arjun nie persönlich getroffen. Nur seit ein paar Tagen gechattet. Seine Versuche mit dem normalen Dating waren soweit nicht wirklich weit gekommen. Er konnte sich in Bars gut unterhalten, doch jemanden für länger kennenlernen? Irgendwie funktionierte es nicht. Also ging er zum Tisch 7 zurück und zuckte, als er den hölzernen Raumteiler davor erreichte überrascht zusammen, als jemand da saß. Der Mann trug ein Hemd in einem hellen lachsfarbenden Ton. Dazu eine Krawatte. Die edele Uhr an seinem Arm verriet, dass er als IT-Fachberater nicht schlecht verdiente. Seine Statur war kräftig. Sein Haar wie auf dem Bild im Onlineprofil: Nicht ganz lang, nicht ganz kurz. An den Seiten etwas kürzer als auf dem Kopf. Ein gut gepflegter Vollbart rundete das kräftige Gesicht ab. Jack atmete durch. Eine Stimme in seinem Inneren feuerte ihn an, abzuhauen. Doch er war kein Feigling. „Arjung?“, fragte er. Der Mann sah von seinem Handy – einem Blackberry, wie in der IT-Branche so üblich – auf. Für einen Moment musterte er Jack, wie Jack es zuvor bei ihm gemacht hatte. Dann lächelte er warm. „Jack.“ Seine Stimme war angenehm tief, kräftig, aber auch irgendwie melodisch. „Ja, genau.“ Jack merkte, wie sein Herz etwas schneller schlug. Er lächelte, zögerte, hielt dann seine Hand hin. Machte man das bei diesem Onlinedating so? Arjun lachte. Er stand auf und schüttelte die Hand. Dann zog er einen Stuhl zur Seite. „Setz dich.“ „Ja. Klar. Danke.“ Jack atmete tief durch, nahm dann Platz und brauchte einen Moment, um sich zu entscheiden, wie er sitzen sollte. Verlegen schaute er zu Arjun, der sicher einen halben Kopf größer war, als er selbst. „Ich hatte schon Angst, du findest nicht her“, meinte der nun. „Ist ja doch etwas versteckt, nicht?“ „Keine Sorge. Jemand auf der Arbeit kannte den Laden“, erwiderte Jack. „Ah.“ Arjun zögerte. „Du arbeitest bei Interpol?“ Jack zögerte. „Na ja, technisch gesehen assistiere ich bei Interpol, aber ab und auch bei der normalen Polizei. Äh, konsultiere.“ „Ah.“ Jetzt nickte Arjun bestätigend. Wieder breitete sich ein Lächeln aus. „Eigentlich bin ich vorsichtig auf Grindr, wenn da Polizeitypen rumrennen.“ Jack brauchte einen Moment, um zu verstehen. Ja, sicher, er hatte mal Gesichten darüber gehört, dass in manchen Ländern Polizisten Leute festnahmen. Aber irgendwie machte es keinen Sinn. „Na, ist hier aber doch legal.“ Arjun lachte verlegen. „Na ja, aber man weiß nie.“ Er leckte sich sichtlich nervös über die Lippen und wich Jacks Blick aus. „Sorry. Das klingt jetzt scheiße.“ „Ne, verstehe schon“, antwortete Jack. „Ich bin ja auch noch etwas nervös.“ Er räusperte sich vorsichtig. Lieber nicht zu viel erzählen. Niemand wollte den echten Jack kennenlernen. „Ich meine, man hört schon manchmal richtige Horrorgeschichten, nicht?“ „Ja. Das auf jeden Fall.“ Wieder lachte Arjun, dieses Mal jedoch etwas herzlicher als zuvor. Dann atmete er tief durch, nahm die Karte und öffnete sie. „Darf ich dich auf was einladen?“ Jack zögerte. Das war eine komische Frage. Wenn er Frauen datete lud er sie meistens seinerseits ein. Aber das hier war ja doch was anderes. Er hatte halt auch so viele Geschichten gehört und Grindr hatte ein wenig einen bestimmten Ruf. Verdammt, vielleicht hätte er ein paar Sachen vorher klarstellen sollen. Na ja, was sollte er machen? „Sicher. Wenn du nicht übertreibst.“ Ein Lächeln war die Antwort, ehe Arjun die Liste musterte. „Ich würde selbst gerne das Monatsspecial probieren.“ Da ihm keine intelligente Antwort einfiel zuckte Jack nur mit den Schultern. „Okay.“ Für einige Sekunde machte sich ein verlegenes Schweigen an dem Tisch breit. Dann legte Arjun die Karte zur Seite. „Ist Jack dein richtiger Name?“ „Ähm, ja, mehr oder minder“, antwortete Jack. „Warum?“ „Na ja, du siehst nicht ganz wie ein Jack aus.“ Dies entlockte Jack nur ein Seufzen. Es war nicht so, als hörte er diese Anmerkung das erste Mal. Wer ihn sah, ordnete ihn dem arabischen Raum oder Indien zu. Da war Jack sicher nicht der erste Name, der jemanden in den Kopf kam – und das obwohl die meisten Leute um den Einfluss vom britischen Imperium auf Indien wussten. „Mein richtiger Name ist Jaques“, antwortete er. „Meine Familie ist aus Belgien.“ Lang genug, als dass er nicht wusste, wer es war, der dahin gekommen war. „Entschuldige“, meinte Arjun schnell. „Es war nur … Na ja, ich weiß ja, dass manche andere Namen angeben.“ „Ne. Jack ist schon richtig.“ Jack bemühte sich um ein Lächeln. Dennoch klang seine Stimme spitzer als gewollt, als er hinzufügte: „Du siehst wenigstens nach einem Arjun aus.“ Dankbarerweise entlockte dies Arjun keine Wut, sondern ein lautes Glucksen. „Ja. Der Name ist ziemlich Klischee. Meine Mutter hat immer gesagt, sie hat zwischen Arjun und Araav geschwankt.“ Wahrscheinlich ein ähnlich häufiger Name. Bevor Jack sich eine intelligente Antwort ausdenken musste, kam jemand an ihren Tisch. Ein Kellner. Ein junger weißer Mann. „Wollen Sie sich etwas holen oder darf ich Ihnen eine Bestellung bringen?“ Arjun lachte. „Oh. Sicher. Vielen Dank. Wir hätten gerne zwei Mal das Monatsspecial und zwei Honey Jacks.“ Eine Anspielung, eh? „Sehr gerne“, erwiderte der Kellner. Wieder wandte sich Arjun Jack zu. „Ich hoffe du hast mir den nicht übel genommen.“ „Ne“, meinte Jack. „Keine Sorge.“ Er lächelte matt und fuhr sich unbewusst wieder durch Haar. Ein Teil von ihm wollte ins WC und zum Spiegel zurück. Er merkte, wie die Haare ihm ins Gesicht hingen. Arjuns Haare waren deutlich ordentlicher als seine. „Und, was hat dich nach Südafrika verschlagen“, fragte Arjun und unterbrach so Jacks Gedanken. Nur schwer schaffte Jack das Seufzen zu unterdrücken. „Ich … Nachdem meine Mutter gestorben ist, habe ich mich entschlossen etwas neues zu probieren. Und … habe dann ein wenig von der Welt gesehen, bis es mich hierher verschlagen hat.“ Das Lächeln auf seinen Lippen war so gezwungen, dass es wehtat. Erinnerungen an jene drei Jahre lagen nicht tief genug in seinen Erinnerungen vergraben. Wie Zombies wollten sie jetzt schon wieder seinen Erinnerungen entsteigen. „Abenteuerlustig“, erwiderte Arjun. „Und wie bist du an den Job bei Interpol geraten?“ Jetzt zuckte Jack mit den Schultern. „Ich habe auf meinen Reisen viel über Verbrechen gelernt.“ Zu spät bemerkte er, wie es klang. „Du weißt schon. True Crime und diese Sachen. Ein kleines Hobby.“ Sollte Arjun daran zweifeln, ließ er es sich nicht anmerken. Er lächelte. „Ah, verstehe. Dann bist du eigentlich sowas wie ein Privatdetektiv?“ „Ab und an auch das“, erwiderte Jack. „Und du? Ich mein, wie bist du hierher gekommen?“ „Ich bin hier geboren.“ Arjun leckte sich über die Lippen. „Meine Urgroßeltern sind damals hergekommen. Als noch Weltkrieg war und Kolonie und so.“ „Verstehe. Also eingesessen, was?“ Arjun nickte. „Genau. Das hier ist Heimat. Auch immer Joburg.“ „Cool.“ Jack hielt inne und schluckte. Konnte er die Frage einfach so stellen. „Und … ähm … bist du out?“ Ein trauriges Lachen war die Antwort. „Nein. Meine Mutter hätte einen Herzinfakt. Nein. Und du?“ Jack zuckte mit den Schultern. „Nur gegenüber wenigen.“ Es war aber nicht, als gäbe es viele Leute in seinem Leben gegenüber denen er out sein sollte. Vielleicht waren diese Themen zu düster. Zu bedrückend. Zu Gefährlich. Dabei fiel ihm Smalltalk normalerweise leicht. Aber normalerweise war er auch nicht auf einem Date. Er brauchte etwas Besseres. „Kommst du häufiger hierher?“, fragte er daher. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)