Nacht im Wunderland von Charly89 (Gespräch mit einem Schatten) ================================================================================ Prolog: Ein netter kleiner Plausch ---------------------------------- Hm. Oh? Hallo, ich habe dich gar nicht gesehen. Geschmeidig springt das Tier von dem Sims des alten Gebäudes. Völlig geräuschlos landet es auf der Mülltonne, obwohl es wenigstens dumpf hätte rumpeln müssen. Schatten und Tier verschmelzen gerade zu und scheinen eins zu sein. Reglos hockt es da und starrt in die Gasse. Nun? Was macht jemand wie du hier? Allein im Dunkeln? Neugierig legt das Tier den Kopf schief. Kaum merklich löst es sich aus dem Schatten und schleicht zum Rand des Tonnendeckels. Die Bewegung ist fließend und erinnert an eine Katze, doch das Tier ist dafür eigentlich zu groß. Der Schwanz ist lang und dünn, die Ohren klein und spitz. Die Schnauze ist länger, wie sie bei einer Katze wäre. Das Tier hockt sich an den Rand der Tonne und sieht nach unten. Hey! Ich rede mit dir! Auf dem Boden neben der Tonne liegt ein Mensch. Seitlich zusammen gekrümmt ruht er dort. Die Person wirkt eher schmal und zierlich, der Atem geht schwer und rasselnd. Der Mensch dreht langsam den Kopf. Ah. Ich dachte schon du willst nicht mit mir reden. Du siehst nicht gut aus, wenn ich das so sagen darf. Die Person am Boden hustet. Rote Flecken bilden sich an der Seite der Tonne. Ja, ja. Nicht gut. Macht aber nichts. Mit trüben Augen sieht der Mensch auf. Fahles Licht erhellt sein Gesicht. Ich nehme das mit dem 'nicht gut' zurück. Du siehst furchtbar aus. Ehrlich, sei froh das du das Elend nicht sehen musst. Das Tier verengt die schwarz glänzenden Augen Aber es ist egal. Ja, ja. Egal. Ein letztes Rasseln ist zu hören, dann ist es still in der Gasse. Siehst du? Es ist egal, wie ich sagte. Das Tier springt von der Tonne, genauso geräuschlos wie vorhin darauf. Neugierig sieht es sich um, dann schleicht es zu der Toten. Die schwarzen Augen mustern das blutige und geschwollene Gesicht. Lippe und Augenbraue sind aufgeplatzt, die Nase steht schief und dunkelblaue Flecken zieren die rechte Gesichtshälfte. Ja, ja. Sei froh. Du wärst nie wieder hübsch geworden. Armes Ding. Hast wohl das Falsche gemacht, was? Aber das macht nichts. Ja, ja. Macht nichts ... nicht mehr. Das Tier grinst. Ein heimtückisches und böses Grinsen. Die weißen Zähne leuchten geradezu in der Dunkelheit und die Augen funkeln. Geschmeidig geht es weiter, schlendert in die Gasse hinein und wird eins mit der Nacht. Zwei schwarze Augen erscheinen. Sie schweben mitten in der Luft und glänzen geheimnisvoll. Und du? Was ist mit dir? Ein breites Grinsen bildet sich unterhalb der Augen. Dachtest du, ich habe dich nicht bemerkt? Glaube mir, mir entgeht nichts. Ja, ja. Nichts. Komm, wir gehen woanders hin. Wir suchen uns einen netten Platz und da unterhalten wir uns. Das Grinsen wird breiter, bedrohlicher. Die spitzen Eckzähne blitzen furchteinflößend auf. Ein netter kleiner Plausch. Ja, ja. Kapitel 1: Nenn mich Jack ... John ---------------------------------- Ein Raum, dunkel und alt. Die Luft ist schwer und schmeckt abgestanden. Stille ist zu hören, absolute Stille. In der Dunkelheit erkennt man diffus Möbel. „Bleib stehen. Nicht das du über etwas fällst. Ich mache dir Licht.“ Mehrere Kerzen, die auf den ersten Blick wahllos herumstehen, gehen gleichzeitig an. Ihr sanfter Schein erhellt den Raum und offenbart die Größe des Zimmers. Vermutlich gute zehn mal zehn Meter, obwohl man das schlecht schätzen kann. Das Licht ist eher mager und der Raum vollgestopft. Regale, Tische, Kommoden, Schränke. Dicke Teppiche bedecken den Boden, Bilder unterschiedlicher Epochen und Stile die Wände. „Ja, ja. Licht. Ihr Menschen und euer Licht.“ Etwas Verächtliches schwebt in der Stimme mit. Das Tier geht voran, immer im Schatten. Nur kurz kann man einen Blick auf es erhaschen. Das Fell ist kurz und glatt, wirkt wie Haut. Der Körperbau ist muskulös und elegant. Katzenhaft. Doch der lange dünne Schwanz, der leicht geschwungen er in der Luft schwebt, stört das Bild. Es geht an Regalen vorbei, voll mit Büchern und Dingen. Dicke, ledergebundene Wälzer. Schmale Bücher mit Hardcover. Kleine Holzkästchen. Figuren aus Stein, Holz oder anderem Material. Schmuck aus allen möglichen Edelmetallen. Die Tische, in sämtlichen Varianten und Größen, sind ebenfalls mit Büchern und anderen Sachen beladen. Die Kommoden sind übervoll, Türen und Schubladen stehen auf und offenbaren noch mehr Dinge. Den Schränken scheint es nicht besser zu gehen. Obwohl die Luft nach Staub schmeckt ist keiner zusehen, alles ist sauber. Sauber und ordentlich. Auch wenn Chaos auf den ersten Blick herrscht, wirkt es dennoch auf merkwürdige Weise strukturiert und geordnet. „Setzt dich.“ Den Ton den das Tier anschlägt ist freundlich, zumindest an der Oberfläche. Darunter befindet sich eine drohende Aufforderung. Während der Gast sich auf einem wuchtigen Sessel niederlässt, schleicht das Tier in eines der Regale und verschwindet. Der Gast entledigt sich seiner Jacke. Leicht faltet er sie zusammen und legt sie sich auf den Schoß. Zur Rechten steht ein hoher Tisch. Die Platte ist eher klein, bietet der Laterne die darauf steht gerade genug Platz. An der Ecke des Sessels steht noch ein kleiner Tisch, kaum 40cm hoch. Er ist filigran und mit Ornamenten bedeckt. Edelsteine schmücken die Ränder. Zur Linken steht ein Esstisch, gefüllt mit Schüsseln und Schalen. Schöne Schmuckschalen, die funkeln und glänzen. Einfache Blechschalen, die von Jahren der Nutzung erzählen. Genau wie die Regale, Kommoden und Tische sind die Gefäße ebenfalls gefüllt. Einfach alles in dem Zimmer wirkt fürchterlich überladen. Der Raum wirkt schwer, alt und melancholisch. Er passt nicht zu seinem … Bewohner? Wohnt das Tier hier? „Die Frage ist wohl eher ‚Kann ein Tier wohnen?‘, nicht?“ Der Gast zuckt zusammen, die plötzliche Ansprache hat ihn überrascht. Verwirrt sieht er sich um. Zwischen all diesen Dingen etwas Konkretes auszumachen, scheint eine unmögliche Aufgabe. Die Stimme des Tieres, die ein wenig lauernd klang, schien gleichzeitig von allen Seiten zu kommen. „Ja, ja. Wohnt ein Tier … oder haust es?“ Schmeichelnd finden die Worte ihren Weg in die Ohren des Besuchers. Die sanfte melodische Stimme, weder offensichtlich männlich noch weiblich, scheint durch die Luft zu fließen. Wie ein kleiner Bach, der über warmes Gras dahineilt. „Entschuldigt. Ich wollte Euch nicht beleidigen“, spricht der Gast, die Stimme ein wenig heiser. Ein kleines Lachen ertönt, negativ amüsiert. „Ja, ja. So viele Menschen hausen, anstatt zu wohnen.“ Der Gastgeber taucht in dem Regal gegenüber des Sessels auf. Obwohl eben keine Lücke zwischen den Büchern war, sitzt das Tier nun dort. Drohend verengt es die Augen und mustert den Gast eingehend. „Sind diese Menschen dann Tiere?“ Die Augen des Gastes weiten sich. Diese Frage kann man nur falsch beantworten, das indiziert bereits die Tonlage des Fragestellers und das herausfordernde Grinsen. „Menschen sind doch Tiere. Säugetiere, Primaten.“ Der Gast flüstert leise und stockend, unsicher ob die Antwort zufriedenstellend ist. „Familie Hominidae“, kichert das Tier und lächelt zufrieden. Es wendet den Blick und sieht zu dem niedrigen Tisch. Wo eben noch ein Bücherstapel gewesen ist, steht nun eine Kanne mit dazu passender Tasse - beides aus Porzellan und alt anmutend. „Tee“, erklärt der Gastgeber. „Für die Nerven. Du wirst sie brauchen. Ja, ja. Brauchen.“ Der schockierte Gesichtsausdruck des Gastes bringt das Tier zum Lächeln. Zufrieden und wie in Trance wiegt es den Kopf, ein wenig, als würde es Musik hören. „Warum bin ich hier?“ Der Gastgeber hält inne. Die schwarzen Augen klären und ein Schmunzeln bildet sich. „Solltest du dich, dass nicht selbst fragen?“ Das Tier legt den Kopf schief. „Ich habe dich eingeladen. Ja, ja. Eingeladen. Nicht gezwungen oder bedroht." Nervös knetet der Gast seine Hände. Unsicher blickt er durch den Raum, doch trotz der vielen Dinge finden seine Augen keinen Halt. „Ich ... Ich weiß es nicht.“ „Hm. Ihr Menschen, wisst nichts und doch haltet ihr euch für die Krone der Schöpfung. Doch das ist nicht schlimm. Ja, ja. Nicht schlimm. Ihr seid noch jung, so jung.“ Fast liebevoll betrachtet das Tier seinen Gast. „Trink den Tee.“ Es ist kein freundschaftlicher Rat, es ist eine Aufforderung, die keine Widerworte duldet. Der Gast beugt sich nach unten. Er nimmt die Kanne und gießt sich Tee in die Tasse. Ein würziger Duft steigt in kunstvollen Wirbeln auf. Fertig mit seinem Tun, sieht er auf. Das Tier ist verschwunden und die Lücke wieder mit Büchern gefüllt. Ohne hinzusehen nimmt der Gast die Tasse und lehnt sich wieder in den Sessel zurück. „Was tust du?“ Erschrocken zuckt der Gast und verschüttet beinahe den Tee. Irritiert blickt er sich um und entdeckt das Tier auf dem Tisch zur Linken. Entspannt liegt es zwischen den Schüsseln und Schalen, immer ein wenig im Halbschatten. Grübelnd legt der Gast die Stirn in Falten. Vorhin war das Tier doch größer? Als es ihn hier her brachte war es definitiv größer. Amüsiert kichert der Gastgeber. „So jung. Ja, ja. Jung ... und unwissend.“ Der Besuch sammelt sich kurz und atmet durch. „Was meintet Ihr eben?“ „Was du tust, wenn du nicht gerade mit merkwürdigen sprechenden Tieren in komisch anmutende Wohnungen gehst?“ Das Tier rekelt sich und funkelt heimtückisch. „Ich...“ Der Blick des Gastes geht ins Leere. Er verliert sich in Gedanken und Erinnerung. Das Tier betrachtet seinen Besuch. Die Augen weiten sich und scheinen sich in den Geist des Besuchers zu bohren. Scheinbar zufrieden grinst der Gastgeber nach einigen Minuten. „Schon gut, nicht so wichtig.“ Der Besuch blinzelt mehrfach. Er benötigt einige Momente um wieder im ‚hier‘ anzukommen. Kurz räuspert er sich. „Dürfte ich Euch etwas fragen?“ „Nur zu“, schnurrt das Tier. „Wie ist Euer Name?“ Geistesabwesend nippt der Gast am Tee. Der Geschmack, bitter und dennoch süß, lässt ihn kurz das Gesicht verziehen. „Ich habe keinen Namen.“ Verwirrt sieht der Besuch zum Tisch. Zwischen den Schalen und Schüsseln sind nur Schatten zu sehen, das Tier ist verschwunden. „Aber jeder hat doch einen Namen“, spricht er mehr zu selbst. „Nein“, faucht es plötzlich hinter dem Gast. Ruckartig dreht der Besuch den Kopf. Hinter dem Sessel ist ebenfalls ein Regal. Genau wie vorhin sitzt das Tier nun dort, wo eben noch kein Patz gewesen ist. Aufgebracht fixiert der Gastgeber seinen Besucher. „Nicht jeder hat einen Namen.“ Groll liegt in den Worten und Wut in der Stimme. „Verzeiht, wenn ich euch beleidigt habe. Ich dachte nur, jeder bekommt bei seiner Geburt einen Namen von seinen Eltern.“ Überfordert und unsicher gestikuliert er mit der freien Hand. Die Stimmung kippt endgültig. Die Augen des Tieres glühen geradezu, die spitzen Zähne glitzern im Kerzenschein. „Und wenn niemand da ist? Wenn kein Vater, keine Mutter anwesend ist?! Wenn man aus seinem Sein gerissen wird, egal ob man will oder nicht? Wenn man brutal fortgezerrt wird aus seiner Existenz und hineingeschleudert wird in eine fremde Welt? Was dann?!“ Die Schatten in den Ecken scheinen sich auszubreiten, verschlingen immer mehr und mehr Licht. Der Gast ist mit jedem Wort tiefer in den Sessel gerutscht. Jedes Wort war lauter und wütender wie das vorangegangene. Verängstigt umklammert er die Tasse. Die Augen spiegeln Panik wider und sein Herz klopft schnell. Das Tier beugt sich immer weiter zu dem Besuch. Die Vorderpfoten stützen sich auf der Lehne des Sessels ab, die Hinterbeine sind noch am Regal. Es gewinnt wieder an Größe, der Schwanz peitscht durch die Luft und Eckzähne scheinen immer länger und spitzer zu werden. Kaum fünf Zentimeter trennen die Nasenspitzen der Beiden. Schwarze wutglühende Augen bohren sich in blaue ängstliche. Die Zeit scheint still zu stehen, selbst die Flammen der Kerzen scheinen sich einen Moment nicht zu bewegen, dann … normalisiert sich plötzlich wieder alles. Die Schatten kehren in ihre Ecken zurück, das Tier setzt sich wieder zurück in das Regal. Noch einen Augenblick ist Wut und Hass in den schwarzen Augen, doch auch das verschwindet einen Wimpernschlag später. „Verzeih. Ich ... Ich bin wohl ein bisschen aus der Haut gefahren.“ Das Tier kratzt sich am Kinn. Nicht wie man es erwarten würde. Nicht mit der Hinter-, sondern mit der linken Vorderpfote. Ein wenig, wie ein Mensch es tun würde. Die Tasse zittert und Tee schwappt auf die Jacke. „Nicht der Rede wert. Kann jedem passieren“, stammelt der Besuch. Gedankenverloren sieht das Tier ins Nichts. Wie vorhin sein Gast, verliert es sich in Erinnerungen und Gedanken. „Nun“, durchbricht der Gastgeber nach eine gefühlten Ewigkeit die drückende Stille. „Wo waren wir?“ Der Gast mustert das dunkle Wesen unsicher. „Ich würde gern wissen, wie ich Euch nennen soll.“ Kurz verzieht er das Gesicht. Er hätte die Frage besser von Anfang an so stellen sollen. Amüsiert grinst das Tier. „Nenn mich Jack.“ Verschlagen funkeln die Augen. „Ja, ja. Nenn mich Jack ... John.“ Angsterfüllt weiten sich die blauen Augen. Kurz und stockend geht sein Atem, Panik flutet seine Nerven. Gehässig lacht das Tier. „Deswegen fürchtest du dich? Deswegen?!“ Elegant und geräuschlos springt es aus dem Regal und landet auf dem Boden. Verschlagen blickt es zu John hoch, der Schwanz schwingt spielerisch hin und her. „Du bist in einem Raum, den es nicht geben sollte. Redest mit einem Tier, das es nicht geben sollte und bekommst Angst, weil ich deinen Namen kenne?“ Lauernd schleicht Jack zwischen den Tischbeinen hindurch. „Ja, ja. Jung und unwissend.“ Während er das Tier beobachtet wie es im Schatten verschwindet, versucht sich der Gast wieder zu sammeln. Alles hier ist so furchtbar unwirklich. Er erinnert sich kaum wie er hierhergekommen ist, geschweigenden was vorher gewesen ist. Nichts ergibt mehr Sinn. Müde reibt er sich über die Augen. Die Gasse, er war in einer Gasse und da war eine Frau. Sie sah nicht gut aus, verprügelt. Er hat ... sie beim Sterben beobachtet. Dann ist das Tier aufgetaucht. Es hat gesprochen ohne das sich sein Mund bewegt hat. Es hat zu der Frau gesprochen und er hat sich versteckt, doch das Tier hat ihn bemerkt. „Ein Plausch“, flüstert John vor sich hin. „Ja, ja. Ein netter kleiner Plausch.“ Erschrocken sieht sich der Gast um. Er braucht einige Momente bis er seinen Gastgeber in dem überladenen Raum ausfindig macht. In der Mitte des Raumes stehen zwei Kommoden mit den Rücken aneinandergestellt, darauf eine unstrukturierte Pyramide aus Büchern. Auf der linken Seite liegt das Tier, sichtlich entspannt. Die weißen Zähne leuchten im Halbdunkel und lassen das Lächeln unecht wirken. „Lass uns plauschen, John.“ „Worüber?“ Unsicher rutscht er im Sessel hin und her. Um seine Jacke und Hose nicht noch mehr mit Tee zutränken stellt er die Tasse ab. Jack legt den Kopf schief. „Wir könnten darüber reden, warum du nachts in dunklen Gassen jungen Frauen beim Sterben zu siehst.“ Ertappt zuckten der Besuch zusammen. „Nun?“ Wissend funkeln die Augen. John wendet den Blick ab. Ihm ist das Thema sichtlich unangenehm. Die Geschichte hinter diesem kurzen Moment ist weitaus länger, wie man vermuten möchte. Bei dem Gedanken an all die Dinge die dazu geführt haben, kocht unweigerlich Wut in dem Besucher hoch. „Was geht Euch das an?!“, blafft John in die Richtung wo sein Gastgeber eben noch war. Verwundert stellt er fest, dass Jack bereits wieder verschwunden ist. „Nun? Was mich das angeht?“, schnurrt es von links. „Du genießt meine Gastfreundschaft, ist das nicht Grund genug?“ Peinlich berührt sieht der Besuch zu Boden. Ihm ist schleierhaft warum er der Einladung gefolgt ist. Wer geht schon mit einem Tier mit? Einem sprechenden, das eigentlich nicht existieren kann. Was stimmt nicht mit ihm? „Mir würde da so einiges einfallen“, kichert es von hinten. Wütend ballt der Besuch die Hände. „Woher...“ Ein Kichern hallt durch den Raum, erfüllt ihn und ebbt wieder ab. „Ich weiß so einiges. Ich bin alt und habe viel gesehen, viel erlebt und viel gelernt.“ Süßlich schmiegen sich die Worte an Johns Ohr, scheinen ihn fast schon verführen zu wollen. „Ja, ja“, flüstert es. Die Stimme lockt. Sie lockt und der Besuch hat nicht die Kraft zu widerstehen. „Ich weiß nicht wo ich anfangen soll.“ Plötzlich hat John einen unglaublichen Druck auf den Schultern und im Genick. Fell streift seine Haut und warmer Atem streicht über sein Ohr. „Fangen wir am Anfang an. Fangen wir bei deiner Mutter an.“ Alles in dem Gast verkrampft sich augenblicklich. Eisige Kälte zieht auf und hüllt Johns Inneres ein. Abwesend nickt er. Ja, der Anfang ... Seine Mutter ... Er hat schon Jahre nicht mehr an sie gedacht. Er hat sie verbannt, aus seinen Gedanken und seinem Herzen. Doch sein Tun beeinflusst sie selbst heute noch. Der Besucher seufzt und holt noch einmal tief Luft. „Nun gut. Fangen wir an...“ Kapitel 2: Quid pro Quo ----------------------- „Bis heute weiß ich nicht wer mein Vater ist. Ich bin mir nicht mal sicher, ob meine Mutter überhaupt wusste, wer es ist. Ich dachte, meine Mutter wäre krank. Gut, sie war es auch, nur anders wie ich vermutete. Als ich noch klein war, sehr klein, habe ich nicht verstanden, was vor sich ging, wie hätte ich auch? Sie war schließlich meine Mutter, alles was ich hatte. In meinen Kinderaugen war sie unglaublich hübsch. Ihr langes blondes Haar das golden in der Sonne glänzte. Ihre zierliche Figur ... sie war auch hübsch, damals noch.“ „Irgendwann war sie nicht mehr hübsch, oder?“ John nickt. „Je älter ich wurde, so hässlicher wurde sie. Ich bin mir nicht sicher, ob es an meiner Wahrnehmung lag oder an ihrem ... Verfall. Wahrscheinlich beides.“ „Wann wurde dir bewusst, dass sie nicht krank ist?“, fragt der Gastgeber neugierig. „Ich war mit Freunden unterwegs, ich war so 12, glaub ich. In einer Gasse neben dem Einkaufszentrum waren zwei Typen. Wir haben sie beobachtet. Einer von ihnen hat sich eine Spritze gesetzt. Ich ... Der Gesichtsausdruck als das Zeug seine Wirkung zeigte, erinnerte mich sofort an meine Mutter. Dieser verklärte Blick, der Glanz in den Augen. Junkies. Einer meiner Kumpel sagte, 'Scheiß Junkies. Pulverisieren ihr Hirn.' Ich...“ John schluckt und schweigt einen Moment. „Zu Hause war der Zauber weg. Der Filter über meiner Wahrnehmung der alles schön machte. Nichts war mehr schön. Die Wohnung war dreckig, abgenutzt und ... hoffnungslos. Meine Mutter war ... war ... dreckig, abgenutzt und hoffnungslos. Ich bin mir sicher, dass sie am Anfang noch gekämpft hat, sich bemüht hat - mir zu liebe. Doch das Zeug hat mehr und mehr Platz in ihrem Kopf eingenommen. Irgendwann war kein Platz mehr für mich da.“ Kurz lacht John, traurig und verzweifelt. „Zum Schluss hätte sie es wahrscheinlich nicht mal mehr interessiert, wenn ihre 'Geldgeber' sie auf dem Küchentisch gefickt hätten, während ich daneben gesessen hätte um zu essen.“ Jack wälzt sich auf dem Boden und schnurrt. „Ja, ja. Es kann nur eine Liebe geben. Nur eine wahre Liebe.“ Der Gast seufzt und schließt die Augen. Wut und Verzweiflung toben durch seine Erinnerungen. „Ich liebe dich, John.“ Er hat es ihr irgendwann nicht mehr geglaubt. Wie kann man einem Menschen glauben, der einen nicht ansieht, einen nicht wirklich wahrnimmt? Wie kann man überhaupt je wieder einem „Ich liebe dich“ glauben, wenn die ehrlichste Variante die einem begegnen sollte, nur Rauch und Schein war? Mutterliebe sollte doch die erste und ehrlichste Liebe sein, der man begegnet. „Ach komm! Wie viele Mütter lieben ihre Kinder nicht? Ne Menge, das kann ich dir sagen. Ein Kind auf die Welt zu bringen bedeutet nicht automatisch 'Mutterliebe' zu empfinden.“ Irritiert sieht John seinen Gastgeber an. Jack lächelt geheimnisvoll und verschwindet wieder im Schatten. „Viel gesehen, viel erlebt und viel gelernt. Ja, ja. Gelernt.“ Der Gast schüttelt den Kopf. Er sollte sich nicht mehr wundern, nach allem was er hier bereits gesehen hat. „Apropos gesehen.“ Das Tier taucht unvermittelt wieder auf der Bücher-Pyramide auf. „Hast du sie manchmal beobachtet? Sie und ihre ... Wie sagtest du? ... 'Geldgeber'?“ John wünscht sich, dass sich der Erdboden auftut und ihn verschluckt. Kindliche Scham vernebelt ihm die Sinne. Er legt sich die Hand über die Augen. Verzweifelt versucht er seine Gedanken zu sortieren um sie zu verbergen. Sein Gastgeber hat offensichtlich Zugang in seinen Kopf. Das was da gerade wieder auftaucht soll aber niemand sehen. Niemand! „Hab dich nicht so, John. Du warst jung. Ein Heranwachsender im Hormonrausch. Niemand kann dir Vorwürfe machen. Ich meine, wenn man einen Porno live nebenan hat, wer würde da nicht mal kurz, nur einen klitzekleinen Moment, schauen wollen?“ Schmeichelnd windet sich Jack um die Beine seines Gastes, wohlwollend und verständnisvoll sind seine Worte. „Ja“, knurrt der Gast nach einer Weile und ballt die Fäuste. Das Tier grinst heimtückisch. „Ja, was?“ John atmet durch und sammelt sich. „Ja, ich habe sie beobachtet. Einmal.“ „Erzähl mir davon.“ Finster starrt John seinen Gastgeber an. „Warum sollte ich?!“ „Gute Frage. Pass auf, du erzählst mir etwas und ich erzähle dir etwas. Quid pro Quo.“ „Wieso sollte mich interessieren, was Ihr zu erzählen habt?“ „Ich weiß Dinge, die sonst niemand weiß. Dinge über dich ... Dinge über deine Mutter ... Dinge über andere Mensch die du kennst oder die dich kennen. Ja, ja. Viele interessante Dinge.“ John ist sichtlich irritiert und hadert mit sich. Er denkt lange nach. Zu viele Fragen stehen plötzlich im Raum. Scheinbar kann dieses Tier Gedankenlesen … möglich das es Dinge weiß. Vielleicht … vielleicht kann er Antworten bekommen. Nach mehreren Minuten gibt er sich schließlich geschlagen. „Okay.“ „Erzähl“, fordert Jack und fixiert seinen Gast. „Ich war etwa 16. Ich wusste was meine Mutter tut, wenn sie mich auf mein Zimmer schickte, wenn ihr Smartphone klingelte. Mein Zimmer war am Ende des Flurs, daneben eine Abstellkammer, gegenüber das Bad, daneben die Küche. Am anderen Ende waren Wohn- und Schlafzimmer. Ich wartete bis sie mit dem Typen im Schlafzimmer war, dann bin ich durch den Flur geschlichen. Es hat nie lang gedauert bis sie zur Sache kamen, daher habe ich nicht gewartet. Am Zimmer angekommen hab ich mich vor die Tür gehockt und gelauscht. Als ich die ersten Geräusche gehört habe, ich vorsichtig die Tür einen Spalt geöffnet...“ „Moah“, unterbricht Jack genervt. „Nicht so emotionslos.“ John funkelt verärgert, erzählt dann aber weiter, „Ich war fürchterlich nervös. Meine Hand zitterte. In meinen Ohren rauschte es und mein Herz klopfte wie wild. Ich wollte es sehen und gleichzeitig schämte ich mich dafür, schließlich war es meine Mutter die sich für Geld ficken lässt. Ich hörte als erstes den Typen. Er stöhnte. Dann hörte ich ein Klatschen, Haut die auf Haut trifft. Ich war so aufgeregt. Allein bei dem Gedanken, was da passiert bekam ich einen Harten. Ich lunzte durch den Spalt und sah den Kerl, ein schmieriger Typ. Er stand hinter meiner Mutter und rammte in sie. Meine Mutter stand vor dem Bett und stützte sich mit den Händen am Fußteil ab. Sie keuchte angestrengt. Es kribbelte in meinem Bauch und mein Schwanz drückte schmerzhaft gegen meine Shorts. Ich ... Ich zog meine Hose und die Shorts ein Stück runter um meinem Ständer die Freiheit zu schenken.“ Völlig abwesend starrt John vor sich hin. „Ich konnte genau sehen. Der harte Schwanz von dem Typ der sich in die Fotze meiner Mutter rammte. Wieder und wieder. Alles andere blendete ich einfach aus. Nur der Schwanz und die Muschi. Rein, raus. Was ein Anblick. Ich dachte nicht mehr nach. Meine Hand schloss sich um meinen Ständer und ich holte mir einen runter. Nicht besonders schön, eher ruppig. Ich wollte den Druck einfach schnellst möglich loswerden. Ich wichste und saute meine Hose voll, aber es war mir egal.“ Stille macht sich breit. Jack hockt im Regal und wartet geduldig. John massiert sich die Schläfe. „Meine Mutter war schon ziemlich am Ende. Ich glaube sie hatte nur noch den nächsten Schuss vor Augen. Ich hielt unsere Wohnung nach meinen Kräften sauber, kaufte ein, wenn Geld da war. Ich kümmerte mich - ich - nicht sie. Der Typ nagelte meine Mutter hart und rücksichtslos. Ihr machte das scheinbar nichts. Ihre Augen waren leer, waren sie zu dem Zeitpunkt immer, außer sie hatte sich gerade wieder eine Spritze gesetzt. Er...“ John stockt. Das Atmen fällt ihm schwer und er schwitzt stark. „Er bemerkte mich. Er ... er packte mich und zerrte mich in das Schlafzimmer. Mutter reagierte nicht, sagte nichts. Möglich das sie es nicht einmal wirklich registrierte. Der Typ griff mich im Nacken und zwang mich in die Knie. 'Jetzt hast du einen Platz in der ersten Reihe' Ich sah meine Mutter an, hoffte das sie endlich etwas sagt, tut. Nichts. Sie stand einfach da, reckte dem Typen ihre Fotze entgegen und starrte ins Nichts. Sie reagierte nicht. Der Kerl fixierte mich, damit ich nicht wegsehen konnte. Er fickte sie … fickte sie ... als er fertig war, lies er von mir ab.“ Eine einsame Träne bahnt sich ihren Weg über die Wange des Besuchers. „Ich war so schockiert von allem ... Ich rannte raus und schloss mich im Badezimmer ein. Ich weinte und schrie. Ich hasste mich, ich hasste meine Mutter … den Typen, die ganze Welt. Keine Ahnung wie lang ich dort blieb. Irgendwann schlich ich raus und in mein Zimmer. Ich packte meine Sachen und stellte alles parat. Ich wollte noch warten bis es Nacht wäre und dann abhauen - auf nimmer wiedersehen.“ Jack entnahm der Art wie sein Gast sprach, dass noch etwas folgen würde. „Aber?“ „Sie kam in mein Zimmer, legte sich zu mir ins Bett. Sie säuselte mir in die Ohren, das es sich bei niemanden gut angefühlt hätte, dass sie es bei niemanden genossen hätte und dass sie noch niemand zum Orgasmus gebracht hätte. Sie fasste mich an, mit ihren kalten knochigen Fingern. Sie küsste meine nackte Haut und ... und setzte sich auf mich.“ Beschämt und wütend schließt John die Augen. Die Bilder die sich gerade wieder an die Oberfläche kämpfen, hatte er tief vergraben. So tief wie möglich. Jetzt wo sie wieder da sind, reißen sie ihn wieder mit sich fort. Es ist plötzlich wieder real – reißt die alten Wunden wieder auf. „Sie ritt mich ... es war furchtbar. Noch Monate danach hatte ich Albträume – ihr nackter, ausgemergelter Körper. So dünne, so … so ungesund. Knochen um Knochen konnte ich sehen. Ich konnte mich nicht wehren, lag da und lies es über mich ergehen.“ „Warum?“, schnurrt der Gastgeber. „Am liebsten hätte ich sie von mir gestoßen, aber ich hatte Angst. Angst, dass ein kleiner Stoß ausreichen würde, dass sie in der Mitte zerbricht, dass ich sie damit töten würde. Außerdem, sah ich es ... Ihre Augen ... sie glänzten. Als sie schlief bin ich weg und nie wieder zurück.“ Sein Blick ist entrückt und abwesend. Eine Sturmflut an Erinnerungen und Gefühlen bricht über ihn herein. Er wollte nie wieder an seine Mutter denken, nie wieder an all die Dinge erinnert werden. Warum tut er sich das hier eigentlich an? Jack ist plötzlich wieder auf der Lehne des Sessels und schnurrt genüsslich. „Es war einmal ein hübsches Ding, zierlich und Haare wie Gold. Sie war ein braves Mädchen, immer. Nur ein einziges Mal verließ sie den rechten Pfad, stolpert und viel. Als sie wieder zurückkam, war ihr Kleid beschmutzt und sie selbst auch. Sie trug ein Kind unter ihrem Herzen, das keinen Vater besaß. So kam es das die Eltern ihr Kind hinfort jagten. Ja, ja. Sie verleugneten das hübsche Ding und wendeten sich von ihm ab. Mutig schritt das Mädchen voran, wagte den Sprung in eine neue Stadt, begann ein neues Leben. Sie bemühte sich nach Leibeskräften, aber so jung mit Baby im Bauch“, Jack winkt ab, „reden wir lieber nicht darüber. Eines Tages stand der Geburtstag des Kindes an, der aller erste. Der erste Geburtstag ist immer etwas Besonderes, also wollte sie nicht, das ihr Kind kein Geschenk bekommt, wo schon niemand kommen würde, um zu feiern. Sie klagte ihr Leid einem Freund, ja, ja, einem falschen Freund. Der Freund nahm sie in den Arm, wiegte sie in falscher Sicherheit und säuselte ihr ins Ohr. Er flüstert süß, sie würde Geld von ihm bekommen, genug um auch Kuchen kaufen zu können, sie müsste nur 'nett' zu ihm sein.“ Eine böse Vorahnung sucht John heim und er zieht die Augenbraue zusammen. „Das hübsche Ding war sehr nett, ließ den Freund alle Dinge tun, die er wollte. Goldlöckchen ließ sich ficken - von vorn und von hinten. Sie leckte ihm die Eier und ließ sich in ihr schönes Haar wichsen. Als er mit ihr fertig war, stieg er von ihr runter, warf ihr das Geld zu und ging lachend hinaus. Das hübsche Ding zog sich an und eilte nach Hause. Sie wusch und wusch sich, doch das Gefühl ließ sich nicht abwaschen. Das fürchterliche Gefühl 'benutzt' worden zu sein. Ja, ja. Doch sie hatte damals den rechten Weg verlassen und so müsste sie es nun ertragen, so behandelt zu werden. Dachte sie zumindest. Später nahm sie ihr Kind und ging Kuchen kaufen und in einen Spielzeugladen. Dort saß auf einem Regal ein Kuscheltier. Sie nahm es und zeigte es dem Kind. Das Kind freute sich und lachte - so kaufte sie es.“ Heimtückisch grinst der Gastgeber und verschwindet wieder im Schatten. „Ein Kuscheltier. Ja, ja. Was es wohl für eins war?“ „Ein Kaninchen“, flüstert John. „Ein weißes Kaninchen.“ Kapitel 3: Wir sind hier alle verrückt... ----------------------------------------- Es war einmal ein kleines Mädchen. Sie wuchs behütet in einer wohlhabenden Familie auf. Das Kind trug die schönsten Kleider und hatte die tollsten Spielsachen. Doch am liebsten spielte es im riesigen Garten des Anwesens in dem die Familie lebte. Tag um Tag tollte es zwischen den Rosenbüschen umher und versuchte mit den Schmetterlingen um die Wette zu fliegen... „John?“ Sichtlich irritiert hebt der Gast den Kopf. Verwirrt sieht er sich um und runzelt die Stirn. Was war das eben? Er könnte schwören eine Stimme gehört zu haben. Eine Frauenstimme - weich und liebevoll. Sie klang merkwürdig vertraut. Energisch reibt sich John über die Stirn. Er ist fürchterlich blass und schwitzt augenscheinlich. „Trink deinen Tee.“ Jack legt den Kopf schief. In den dunklen Augen ist etwas, was bisher noch nicht da gewesen ist - Verwirrung. Der Gastgeber ist offensichtlich verwirrt. Zittrig greift John nach der Tasse. Er denkt gar nicht darüber nach, sein Gehirn ist mit anderen Dingen beschäftigt. Seine Kindheit hat er vor Jahren in die hinterste Ecke seines Verstandes verbannt - dorthin, wo es kein Licht gibt. Nun, wo das schummrige Kerzenlicht die Trümmer erleuchtet, macht sich unendliche Verzweiflung breit. So viel Elend und zerstörte Träume... Die Zeit verging. Das kleine Mädchen war inzwischen schon fast eine Frau - stolze 17 Jahre alt und wunderschön. Alle jungen Männer sahen ihr nach und machten ihr den Hof. Doch die Fast-Frau war im Herzen noch ein Kind und konnte mit den Aufwartungen nichts anfangen. Es war ein warmer Sommertag - im Anwesen wurde ein großes Fest gefeiert. Viele gut gekleidete Menschen drängten sich um kleine Tische. Es wurde höflich gelacht. Die junge Frau ging umher und erfreute sich an den hübschen Kleidern und den Strahlen der Sonne. Sie war so in Gedanken, dass sie nicht darauf achtete wohin ihre Füße sie führten. Ungeschickt rempelte sie einen jungen Mann an. Er musterte sie und lächelte geheimnisvoll. Sie plauschten eine Weile... „Plauschten“, flüstert John heiser. Er fühlt sich furchtbar. Kalter Schweiß bedeckt seine Haut und ihm ist schummrig. Obwohl er sitzt, hat er das Gefühl jeden Moment umzukippen. „Hör auf damit.“ Unsicher sieht er den Gastgeber an, der zu seinen Füßen sitzt. Jack zieht die Augenbraue hoch. „Das bin ich nicht. Das bist du selbst.“ Sichtlich unzufrieden verzieht er das Gesicht. „Was?“ Sie ging mit dem jungen Mann durch den Garten, vorbei an den Gästen und Rosenbüschen. Verträumt lauschte sie seinen Worten. Ihr Herz klopfte laut und ihr Bauch kribbelte angenehm. Plötzlich raschelte es in der Hecke zu ihrer Rechten. Neugierig ging die junge Frau in die Hocke und sah unter die Blätter. Erstaunt stellte sie fest, dass dort ein Kaninchen saß. Es war schneeweiß und mümmelte an Löwenzahn. Der junge Mann sah ihr über die Schulter und betrachtet ebenfalls das kleine Tier... John wird immer blasser. Seine Sicht beginnt zu verschwimmen. Das Tier, der pompöse Teppich und die heruntergefallene Tasse verlieren an Farbe und Kontur. Die Welt wird nicht dunkel - sie wird gleißend hell. Ein schneeweißes Kaninchen ... mit Weste und Hut ... und einer Taschenuhr. Nein! Ein normales Kaninchen! Es huscht davon ... "Keine Zeit, bin spät dran!" ... Immerzu blickt es auf die Uhr. Nein! Eilig hastet es durch das grüne Gras ... verschwindet in einem Loch ... zwischen den Wurzeln eines Baumes. Nein! ... grünes Gras wird rot ... dunkelrot ... schreiende Stille erfüllt den Irrgarten aus Rosen und Liguster ... „Keine Zeit, bin später dran!“ ... höfliches Gelächter in der Ferne ... weiß wird rot ... Ein dunkles Loch ... die junge Frau fällt und fällt ... ein geheimnisvolles Lächeln erfüllt die Dunkelheit ... Die Helligkeit schwindet und eine drückende Holzdecke kommt zum Vorschein. Die Ränder der Wahrnehmung sind noch unscharf und wackelig. „Was ... ist passiert?“, stammelt John und versucht seine Gedanken zu sortieren. Zwei schwarze Augen schieben sich in sein Sichtfeld und mustern ihn besorgt. „Keine Ahnung. Bist umgekippt, ja, ja. Einfach so.“ Der Gast seufzt. Mühsam dreht er sich auf die Seite und setzt sich auf. Er schließt die Augen und atmet tief durch. Was zum Teufel ist das gewesen? Diese Stimme! So vertraut ... die Geschichte ebenso. Woher nur? „Das Kaninchen“, flüstert der Gast abwesend. Er dreht den Kopf und blickt das Tier fest an. „Wie meinen?“ „Mutter hat mir eine Geschichte erzählt. Als ich klein war, hatte das weiße Kaninchen eine Weste, einen Hut und eine Taschenuhr. Es ging auf zwei Beinen und verschwand in einem Loch.“ John erhebt sich. Wieder bei voller Größe streckt er sich ausgiebig. Als wäre er sich nicht um klaren wo er ist, sieht er sich um. „Und als du nicht mehr 'klein' warst?“ Neugierig ist das Tier auf den Tisch gesprungen und mustert John eingehend. Immer noch liegt Verwirrung in den schwarzen Augen und ein wenig Zorn. „War es nur ein Kaninchen. Ein einfaches Kaninchen.“ Die Gesichtszüge von Jack entspannen sich. Er scheint zufrieden mit dem Gehörten. „Setz dich lieber, nicht das du wieder umkippst.“ Abwesend nickt der Besuch und lässt sich wieder auf dem Sessel nieder. Er legt den Kopf auf der Rückenlehne ab und schließt die Augen. So viele Dinge, die er gewollt vergessen hat. Die Sturmflut die gerade beginnt über ihn herein zu brechen wird noch schlimmer werden, so viel steht wohl fest. Viele Einzelbilder und Emotionen rauschen durch seinen Kopf. Bilder von seiner Mutter, wie sie bewusstlos auf dem Boden lag. Bilder von ihm selbst, wie in der Küche stand und Essen kochte. Verzweiflung und Ohnmacht. Wut und Hass. Männer die in die Wohnung kamen und wieder gingen. Klassenkameraden die ihn verspotteten. Klassenkameraden die er auf dem Schulhof verprügelte. Rote Briefe, die er zu Hause in den Müll warf, weil seine Mutter sich eh nicht dafür interessierte. Niemand interessierte sich dafür, oder für ihn. „Wie kannst du glauben, dass das erste Kaninchen echt gewesen sein könnte?“ Jack hat sich wieder zwischen den Schüsseln und Schalen niedergelassen. Der Gast hebt ruckartig den Kopf. „Ich ... ähm ...“ John ist irritiert. Eine sehr gute Frage. Wie konnte er angenommen haben, dass es Kaninchen mit Weste und Hut gegeben hatte? Diffus blitzt etwas auf, ganz hinten in weiter Ferne. Im tiefsten Dunkel seiner Erinnerungen ist noch etwas. Doch so sehr er auch versucht, dahin zu gelangen - es gelingt ihm nicht. Wenn es Kaninchen mit Weste und Hut geben würde, würde es auch Hasen geben, die Tee trinken. Warum? Warum suchen ihn diese wirren Gedanken heim? Es ist still in dem überfüllten Raum. Kein Geräusch ist zu hören und die Zeit scheint träge. Besuch und Gastgeber ruhen wortlos und hängen ihren Gedanken nach. Wieviel Zeit vergeht kann niemanden sagen. Es gibt keine Uhr und auch keine Aussicht ins Freie. „Wo bist du hin?“, ergreift Jack als erster wieder das Wort. Der Gast denkt nach und ordnet kurz seine Gedanken. „Ich ... weiß nicht so genau.“ „Du musst doch wissen ...“, beginnt der Gastgeber. „Muss ich nicht!“, herrscht John ihn an. Seine Gedächtnislücken sind etwas, an dass er sich schon lange gewöhnt hat. Nicht nur seine Kindheit liegt normalerweise in Dunkelheit - auch viele andere Dinge. Früher hat er sich manchmal gefragt 'warum' - manchmal 'was' da im Verborgenen liegt. Doch irgendwann hat er aufgehört und es einfach akzeptiert. „Nun, dann erzähle ich etwas.“ Jack verschwindet wieder um im Regal gegenüber auf zu tauchen. „Es war einmal ein Mann mit Hut, der lebte ziemlich gut. Denn Verrückte haben es leicht, weil der Verstand nicht ständig kreischt. Sie leben ohne Leid und Not, bis sie einst ereilt der Tod. Doch dem Mann mit Hut wurde das Herz ganz schwer ...“ John dämmerte bereits wieder weg. „Ein Mann mit Hut.“ Immer wieder hallte es durch seinen Kopf. In der hintersten Ecke seines Verstandes blitzte es wieder. Länger und eindeutiger wie vorhin, aber nicht lang genug um etwas zu erkennen. Diffus bildet sich ein Bild. Ein Mann mit wilden Haaren und einem Zylinder. Doch das Gesicht will sich einfach nicht aus dem Nebel erheben. Ein 'Geldgeber' seiner Mutter? John erinnert sich, dass es einige Männer gab die er regelmäßig sah - Stammkunden. Der Mann mit dem Hut ... Er ist sich unsicher. Der Gast starrt noch eine Weile vor sich hin. „Johnny Boy“, säuselt der Gastgeber. „Was ist los?“ Erschöpft fährt sich der Besucher durch das Haar. „Ich weiß nicht. So viele merkwürdige Dinge.“ Heimtückisch lacht das Tier und verschwindet um eine Ecke. „Merkwürdig ... verrückt ... Ja, ja ... alles das Gleiche ... nich?“ „Verrückt“, wiederholt John nachdenklich. Ist er verrückt? War seine Mutter verrückt? Was ist Erinnerung, was Einbildung? „Wir sind hier alle verrückt. Ich bin verrückt, du bist verrückt ...“ Irritiert sieht sich der Gast um. „Woher willst du wissen das ist ich verrückt bin?“, flüstert John in den überfüllten Raum. „Du bist hierher gekommen, oder?“ Freudlos lacht der Gast auf. „Ja. Stimmt.“ Verrückt ... Der Mann mit Hut ... Johns Augen weiten sich. „Hatch.“ Plötzlich formt sich ein Gesicht. Wirre gelbe Augen, ein faltiges Gesicht, das wilde Haar grau und der Zylinder, alt und verschlissen. Hatch. Der gute alte Hatch. Verrückt bis in den kleinen Zeh, aber der Retter in der Not. „Johnny Boy“, säuselt Jack wieder aus den Schatten heraus. „Du bist dran.“ „Ich ... Ich war bei Hatch, aber ich weiß nicht mehr so richtig. Zwischen meiner Flucht und Hatch liegen noch ... Zwei Jahre ungefähr." Erschöpft fährt sich John über die Stirn. Er fühlt sich erschlagen und schlapp. Der Gastgeber taucht wieder auf. Er steht nur wenige Schritte vor dem Sessel. Der peitschenartige Schwanz schwingt ruhig und gleichmäßig hin und her. Neugierig sehen die schwarzen Augen den Besucher an. „Erzähl mir von Hatch.“ John hat die Hand über den Augen liegen. Obwohl die Kerzen nur warmes, diffuses Licht liefern, brennt es in seinen Augen. Vorsichtig sieht er zwischen den Fingern hindurch. Jack hat den Namen merkwürdig betont. Irgendwie, als würde er ihn kennen. Was hat das zu bedeuten? Der Gast holt tief Luft. „Ich war auf der Straße - lebte dort. Es wurde Winter und ich wusste nicht wohin. Der erste Schnee fiel. Dicht und unbarmherzig. Ein weißer Vorhang. Ich war noch nicht lange auf der Straße, ein paar Monate erst. Ich wusste nichts über das Leben dort, vor allem im Winter. Es war kalt, meine Sachen waren nass. Ich hockte in einer Gasse und dachte, ich würde das nicht überleben.“ John fühlte die Kälte. Eisige, todbringende Kälte. Sie kroch aus seiner Erinnerung und hüllte ihn erneut ein. „Plötzlich setzte sich Jemand neben mich. Ein alter Mann mit mehr Klamotten am Leib, wie ich je besessen hatte … und einem Zylinder auf dem Kopf. Er schaute mich an. Diese gelben Augen ... Er musterte mich und grinste merkwürdig grotesk. Er packte mich am Oberarm und half mir auf. Freundschaftlich klopfte er mir auf die Schulter und sagte; ‚Komm mit, John, ich weiß ein trockenes Plätzchen.‘ Wir gingen. Straßen, Gassen, alles sah gleich aus – weiß und kalt. Immer mehr Schnee fiel vom Himmel. Es wirkte auch mich, als wolle er die Welt ersticken. Irgendwann kamen wir an einer verlassenen kleinen Halle an. Hatch brachte mich nach drinnen. Er half mir aus den nassen Sachen, gab mir neue und deckte mich zu mit allem was er hatte. Ich weiß nicht mehr genau, aber ich glaube die nächsten Tage verbrachte ich irgendwo zwischen Leben und Tod.“ Der Gast seufzt. Die Erinnerungen sind sehr gemischt. Hatch hat ihn gerettet, nicht nur in dieser Nacht. Dennoch umfängt John eine dunkle Melancholie, wenn er an den alten Mann zurück denkt. Jack schleicht um die die Beine seines Gastes, schmiegt sich an sie und schnurrt leicht. Langsam, fast in Zeitlupe, verschwindet er unter dem Beistelltisch. „Woher wusste er?“ „Wusste er was?“ Der Gastgeber dreht sich um. Das Grinsen ist heimtückisch und bedrohlich. „Woher wusste er, wie du heißt?“ Die Kälte aus seinen Erinnerungen verstärkt sich. Die eisige Faust schlägt ihn in den Magen und drückt ihm die Luft aus den Lungen. Tränen rinnen aus seinen Augenwinkeln. Wieso hat er sich nie darüber gewundert? Jahrelang hat er sich gefragt, warum sich Hatch seiner, ausgerechnet seiner, erbarmt hat. Scheinbar … Wahrscheinlich … Offensichtlich … Johns Sicht verschwimmt, seine Augen drehen sich nach oben in die Höhlen bis nur noch das Weiß zusehen ist. Der Mann keucht und kippt nach vorn vom Sessel. Das katzenartige Wesen sitzt vor dem ohnmächtigen Mann und verzieht genervt das Gesicht. Es rollt die Augen und schleicht davon. Stück für Stück verschwindet der Gastgeber in den Schatten der vielen Erinnerungen in diesem Raum. „Menschen“, faucht Jack verächtlich. Kapitel 4: Er roch nach Frühling ... und Kuchen ----------------------------------------------- „Warum gehen wir eigentlich nie in den Park?“ „Hm. Der Park macht mich traurig, immer traurig ... und müde.“ John rollt mit den Augen und seufzt. Er mustert Hatch eingehend. Der Kerl ist definitiv verrückt, ständig erzählt er so merkwürdige Dinge. An guten Tagen ist er weitestgehend normal und dann, ganz plötzlich, flippt er aus und redet Zeug, das keinen Sinn macht. Manchmal redet er von Zuckerwatte, manchmal von Hasen und Tee. Neulich sprach er von Zwillingen die keine wären – lauter fantastische Dinge eben. „Traurig und müde. Die Bäume rascheln so merkwürdig.“ Hatch zittert kurz, als wolle er seinen Worten Nachdruck verleihen. „Is' klar“, nuschelt der junge Mann leise. Inzwischen ist Frühling. Der Verrückte hat sich gut um John gekümmert, hat ihm alles erklärt und gezeigt. Wo man die besten Reste findet, wo man gelegentlich die Chance auf einen gratis Kaffee hat. Wo man sich im Winter aufwärmen kann. Eben alles, was man für ein Leben auf der Straße braucht. Auch welche Gebiete man meidet, weil Gangs dort herrschen. Eine lose Freundschaft hat sich zwischen den ungleichen Männern entwickelt. Eine Zweckgemeinschaft, die ihr Überleben sichert und ein wenig Wärme spendet. Die Sonne verschwindet hinter den Häusern und die Nacht macht sich langsam breit. Die kleine verwahrlosten Halle verwandelt sich in ein dunkles Loch, welches Träume und Hoffnungen frisst. Die Männer sitzen zusammen und hängen ihren Gedanken nach. Das letzte Licht schwindet. Dunkelheit hüllt alles ein. Die Straßenlaterne ist so weit entfernt, dass ihr Licht kaum bis hierher reicht. Hatch gähnt und legt sich wortlos auf die Seite. Er tastet über den Boden und zieht sich dann das gefundene Laken über seinen Körper. John betrachtet ihn eine Weile. Ihm kommt ein Gespräch in den Sinn. Ein Gespräch mit Molly. Molly ist ebenfalls eine Obdachlose. Sie ist schon ewig auf der Straße und inzwischen Ende 60. Sie war früher Stripperin, verdiente gutes Geld und dann kam der Absturz. Drogen. John hat es sofort geschüttelt, er wollte nichts mehr mit Molly zu tun haben. Doch Hatch erzählte ihm dann, dass sie den Absprung geschafft hat, nur leider zu spät um ihre Existenz zu retten. Der junge Mann erzählte der alten Frau, dass er ein schlechtes Gewissen hat. Der Mann mit Hut war immer gut zu ihm, hat sich gekümmert, ihn quasi das Leben gerettet und er weiß einfach nicht, wie er seine Dankbarkeit ausdrücken soll. Molly hat gekichert und John verschmitzt angegrinst. „Du weißt wie sich junge hübsche Männer bei älteren Herren am besten bedanken, oder?“ Es hat ihn geschaudert, bei dem Gedanken. Molly hatte gelacht und anschließend gemeint, dass sie Hatch noch nie mit einer Frau gesehen habe, oder das Gefühl habe, das er Interesse am weiblichen Geschlecht hätte. Sie hatte dann mit den Augenbrauen gewackelt um John zu verdeutlichen was sie dachte. Der Gedanke, wie seine Mutter zu werden, hielt ihn bisher ab. Doch er verkauft sich ja nicht, er ... sagt 'danke'. Außerdem war er auch neugierig, wenn er ehrlich war. Und vielleicht wäre es nicht schlecht, noch eine andere Erinnerung zu haben, wie ... wie ... John schluckt. Er will nicht mehr an seine Mutter denken – nie wieder.   Inzwischen ist es mitten in der Nacht. Der Atem des Älteren geht ruhig und gleichmäßig, er schläft friedlich. Johns Herz klopft wild. Er hat sich neben Hatch gelegt, ganz dicht, so dicht wie noch nie. Unsicher beißt er sich auf die Unterlippe. Soll er? Wirklich? Er atmet durch und schließt die Augen. Vorsichtig tastet seine rechte Hand sich an den Mann mit Hut heran. Er berührt die Weste und folgt dem Reißverschluss abwärts, bis zum Gürtel. Zitternd fahren Johns Finger den Hosenbund entlang und dann weiter nach unten. Er ertastet vorsichtig die Männlichkeit des anderen durch den Stoff. Mit kreisenden Bewegungen beginnt er sie zu massieren. Nach einigen Momenten ertönt ein leises Keuchen. John spürt, wie es unter seinen Fingern beginnt fester zu werden. Wieder keucht es leise. Hatch, der bis eben auf der Seite lag, dreht sich auf den Rücken. Der junge Mann rutscht ein wenig dichter heran. Seine Ohren sind rot und seine Wangen glühen. „Was ...“, murmelt es kaum hörbar von dem Älteren. Die Augen fest geschlossen, ignoriert John das Flüstern. Er will nichts sehen. Solange er nicht hinsieht, kann er sich einbilden, dass Hatch schläft. Dass, dessen Geist einen Traum um die Geschehnisse bildet und er nie erfährt, was John hier gerade macht. Der Körper zuckt kurz und ein wohliges Stöhnen ertönt. Fahrig wandern die Hände nach unten, schieben Hose und Slip nach unten. Er träumt, er träumt. Immer wieder redet sich der junge Mann das ein und keift die Augen noch mehr zusammen. Unsicher fasst er an die weiche Haut, schließt die Hand darum und spürt die Härte. „Was ... tust du ...“, flüstert Hatch. John schluckt und schweigt. Er beginnt seine Hand zu bewegen, mit leichten Druck auf und ab. Der Ältere seufzt. Immer wieder zuckt er kurz. Die Geräusche und das Beben von Hatch bestätigen ihm, das sein ‚Danke‘ Wirkung zeigt. Allerdings bewirken sie auch etwas Anderes. Krampfhaft beißt sich der junge Mann auf die Lippe. Obwohl er es nicht will, regt sich etwas. Es ist eng in seiner Hose, sehr eng inzwischen. John beschleunigt sein Tun, will es endlich zu Ende bringen, um sich nicht weiter selbst zu quälen. Die Hüfte beginnt sich mit zubewegen, stößt in die fremde Hand. „Nicht ... aufhören ...“, stöhnt es heiser. Die ersten Tropfen verbessern das gleiten, schneller und fester bewegt John seine Hand. Er spürt das Zucken, welches den Höhepunkt ankündigt. „Hahhh“, stöhnt Hatch. Warm läuft es über seine Hand. John pumpt noch einige Male, dann lässt er ab und rollt sich auf die Seite, weg von Hatch. Er keucht leicht. Sein Herz hämmert gegen seinen Brustkorb und seine Mitte zieht. So hat er sich das nicht vorgestellt. Er wollte dem Mann mit Hut doch nur einen Gefallen tun, Danke sagen. Das ihn das Stöhnen und Keuchen anmacht, hat er nicht gedacht. Oder ist eher etwas Anderes? Das Gefühl, das er, John, das ausgelöst hat; das er, derartige Glücksgefühle bei einem Menschen ausgelöst hat … Plötzlich ist es warm an seinem Rücken. Ein Arm legt sich um ihn und die fremde Hand wandert zielsicher in seine Hose. Erschrocken stöhnt John. Er will protestieren, aber bereits die erste Handbewegung löst jeden Widerwillen auf. Die Hand ist warm und rau. Der Griff ist sicher und fest. Die Bewegung ist geübt und ... Erneut stöhnt er. Die zweite fremde Hand fasst den Hosenbund, schiebt den störenden Stoff nach unten. Die Bewegung wird ausladender. John stöhnt und windet sich, er spürt den Druck und das Prickeln. Die Hand hält inne, streicht mit der Fingerkuppe über die Eichel. „Mehr“, wispert der junge Mann und schämt sich sofort dafür. Der Zwiespalt könnte nicht größer sein. Die körperliche Wonne und die seelische Scham kämpfen noch um die Vorherrschaft - noch. Zwei Finger platzieren sich um die Eichel. Sanft stößt das Becken von hinten und drückt Johns Männlichkeit durch den gebildeten Schlitz. „Hahhh“, keucht der junge Mann. Er kommt stummen der Aufforderung nach, bewegt seine Hüfte, vor und zurück, immer in den engen Zwischenraum der Finger. Das Prickeln wird zum heißen Kribben. Er spürt den warmen Atem in seinem Nacken und die Härte, die sich beginnt an seinen Hintern zu drücken. Aber es ist John egal, er konzentriert sich nur auf vorn. Das Spiel der Finger um seine Spitze fordert seine ganze Aufmerksamkeit. Diffus spürt er die Bewegungen hinter sich und den schneller werdenden Atem an seinem Hinterkopf. Die Finger verengen den Spalt, John stöhnt und keucht direkt danach schmerzerfüllt auf. Still liegt er da und sammelt sich. Er weiß, was da gerade an seiner Rückseite passiert ist. Hatch hat seine Bewegung ausgenutzt und ... und … ist in ihm, ganz einfach. Es drückt und zieht leicht. Noch bevor der junge Mann sich der Situation richtig bewusstwird, umspielen die Finger seine Eichel und fordern ihn zum weiter machen auf. Der junge Mann seufzt und setzt sich langsam wieder in Bewegung. Das Gefühl um seine Härte überwiegt für den Augenblick, so dass er den anfänglichen Schmerz ignorieren kann. Er bewegt sich - nur er. Nach vorn in den verführerisch engen Zwischenraum; nach hinten, sich die Männlichkeit seines Hintermanns bis zum Anschlag einverleiben. John stöhnt und keucht. Der Schmerz ist verschwunden und ein unbekanntes Gefühl keimt auf. Das ‚da hinten‘ beginnt sich gut anzufühlen, gleicht sich dem Kribbeln von der Vorderseite an. Hatch stöhnt kurz auf, als der junge Mann ein wenig die Position ändert. Die Härt auf die er sich immer wieder schiebt, berührt etwas in ihm, das seine Männlichkeit jedes Mal zucken lässt vor Freude. Ein Taifun aus Glück und Lust prasselt auf John ein. Es fühlt sich großartig an - zumindest körperlich. Alles andere blendete er aus; die Wonne hat gewonnen. Es klingt ein wenig als würde Hatch einen Namen keuchen. Aber nicht den des jungen Mannes, es klingt eher wie ein Frauenname. Die Bewegung wird stockend - die ständige Stimulation fordert ihren Tribut. „Ich ... Ich ... kann nicht mehr“, keucht John heiser und lässt den Kopf kraftlos sinken. Alles ist heiß und kribbelt, der Druck in seinen Lenden ist unerträglich, aber ihm fehlt die Kraft, weiter zu machen. Die fremde Hand umschließt die zuckende Härte, die Hüfte hinter ihm setzt sich in Bewegung. Verzweifelt stöhnt John - laut und lustvoll - wieder und wieder. Alles dreht sich und Funken sprühen vor seinen geschlossenen Augen Die Hüfte stößt zu - kurz und kräftig - wieder und wieder. Jeder Stoß malträtiert den süßen Punkt, setzt den jungen Körper unter Strom. Die Hand pumpt und pumpt. Die Dunkelheit löst sich in einem Feuerwerk auf. Alles ist hell, warm, wunderschön. Pulsierende Glückseligkeit hüllt ihn ein. Erschöpft schließt John die Augen ...   Entfernte Stimmen dringen in sein Bewusstsein. Noch im Halbschlaf versucht John sie zu sortieren. „... nicht so schlimm.“ Das ist Hatch - definitiv. „Ts. Wie konntest du nur?!“ John runzelt die Stirn. Die Stimme ist männlich, aber ihm völlig unbekannt. „Er hat angefangen“, rechtfertigt sich Hatch wie ein kleines Kind. Dem jungen Mann schießt die Hitze ins Gesicht. Er ahnt worum es geht. „Du Trottel! Das ist kein Grund!“ Der Unbekannte klingt verärgert und genervt. „Er ... Er“, Hatch seufzt. „Er roch nach Frühling ... und Kuchen.“ Der Unbekannte schnalzt mit der Zunge. „Wir wissen beide, wer auch nach Frühling und Kuchen gerochen hat.“ Hatch beginnt fürchterlich zu schluchzen. Vorsichtig blinzelt John. Der Mann mit Hut sitz vornübergebeugt, das Gesicht hinter den Händen versteckt. Und vor ihm sitzt ... Der junge Mann reißt die Augen auf. Das sitzt ein verdammter Hase. Ein großer brauner Hase. Das konnte doch nicht sein?! Der Hase wendet den Kopf und sieht in Johns Richtung. Er stellt die Löffel auf. Schlagartig dreht er sich um und sprintet davon. Hatch sieht auf und scheint einige Momente zu brauchen, bis er realisiert, dass der Hase weg ist. Er erhebt sich und geht zu John. „Morgen, Junge“, nuschelt er Richtung Boden ...   Sein Brustkorb ist schwer, jeder Atemzug strengt ihn an. Der Gast öffnet die Augen und sieht ein hämisches Grinsen und schwarze funkelnde Augen. „Interessant, ja, ja“, schnurrt Jack und springt von seinem Besucher herunter. Summend schleicht er davon. John versucht sich zu sammeln. Offensichtlich ist er wieder umgekippt, offensichtlich hat er erneut einen Backflash gehabt. Kalter Schweiß steht ihm auf der Stirn. Sein Herz schlägt schnell und ihm brummt der Schädel. Was passiert hier nur? Schwerfällig setzt sich der Gast auf. „Trink“, ertönt es aus einer nicht definierbaren Richtung. Irritiert sieht sich John um. Neben ihm steht ein Glas Wasser. Er nimmt es und trinkt es in einem Zug leer. Die kalte Flüssigkeit ist eine Wohltat. Sie klärt seinen Körper und auch seinen Geist. Aus irgendeiner Ecke summt es leise. Der Gast runzelt die Stirn. Die Melodie kommt ihm bekannt vor. „Bist du geblieben?“ Der Besucher sieht sich um. Er entdeckt Jack auf dem Sessel. Neugierig legt das Wesen den Kopf schief und lächelt geheimnisvoll. „Nein. Ich bin gegangen. Molly hat mir einen Tipp geben. Ich habe einen Platz in einem Wohnheim bekommen“, erklärt er leise. „Hast du ihn noch einmal gesehen?“ Es fühlt sich an wie ein Schlag in die Magengrube. Tränen schießen John in die Augen. Er nickt langsam und stockend. Jack zieht eine Grimasse, sein Schweif schlägt ungeduldig auf das Polster. „Lass dir doch nicht alles aus der Nase ziehen.“ „Ich bin ein paar Monaten später zu ihm, wollte nach ihm sehen, aber ...“ Die Tränen laufen über Johns Wangen. „Er war tot.“ Er lässt sich auf die Seite fallen und rollt sich seitlich zusammen. Teilnahmslos starrt er vor sich hin. „Er ... Er hat den Hasen gegessen.“ Kapitel 5: Geschichten sind wichtig ----------------------------------- Der Gast weint – hemmungslos. Der Körper bebt und zittert, das Schluchzen ist laut und verzweifelt. Hatch war der erste, bei dem er das Gefühl hatte, das er sich um ihn kümmert. Dass er etwas wert ist. Der Mann mit Hut war nicht nur Mentor, er war auch Freund und … irgendwie auch Vater. Bei ihm hatte John das Gefühl von Wärme, wie er es ganz früher bei seiner Mutter hatte, damals, als er ihr noch wichtiger war, wie der nächste Schuss. John hat es bildlich vor Augen. Er war guter Dinge als in die kleine Halle gegangen war. Er wollte Hatch sagen, dass er den Platz im Wohnheim hatte, dass er einen Job in Aussicht hatte. Als er um die Ecke ging, blieben seine Gedanken stehen, die Welt stoppte und alles zerfiel. Der kalte Körper lag wohl schon ein paar Tage dort. Die Haut war fahl, gräulich. Insekten hatten begonnen sich über den Kadaver herzumachen. Der junge Mann hatte das Gefühl sein Herz schrumpfte zusammen und seine Lungen schienen nicht richtig zuarbeiten. Er fiel auf die Knie und schrie … „Den Hasen?“, fragt der Gastgeber hörbar irritiert nach. Der Besucher schnieft und nickt. „Ja“, krächzt er. „Er hat ihn gegessen – oder zumindest angefangen.“ Langsam setzt sich John wieder auf. Er zieht die Knie an den Körper und schlingt die Arme darum. „Der Hase lag dort, dass Fell war teilweise abgezogen und eines der Hinterbeine fehlte. Es … es lag neben Hatch, es waren Bissspuren am Fleisch. Der Notarzt meinte später, er hätte sich daran verschluckt und wäre erstickt. Wäre … wäre ich da gewesen, hätte ich davon abhalten können, oder wenigsten helfen können, oder …“ Wieder weint John und schluchzt. Er vergräbt das Gesicht hinter seinen Knien und wiegt sich leicht vor und zurück. Der Besucher verliert sich zusehens in seinen Erinnerungen. Sein Blick ist entrückt und er summt. Der Gastgeber scheint ebenfalls abwesend. Er hat die Augen geschlossen und lauscht dem Summen. Gemächlich vergeht die Zeit. Moment um Moment vergeht sie und kehrt nicht zurück. Unaufhaltsam schreitet sie voran. John wiegt sich immer noch. Vor, zurück, vor, zurück ... Jack liegt auf dem Sessel, die Augen geschlossen und rührt sich nicht. Plötzlich hält der Besuch inne und hebt den Kopf. Sein Blick geht immer noch ins Leere. „Du bist dran.“ Der Gastgeber öffnet die Augen, erst das eine, dann das andere. Er mustert seinen Gast eingehend und setzt sich langsam auf. „Nun gut.“ John streckt sich ausgiebig. „Es war einmal eine Raupe. Sie war klein und dick und hässlich. Doch die Zeit war ihr hold. Sie wurde schön - unbeschreiblich schön. Ein Schmetterling, filigran und bunt. Ihre Flügel schimmerten in allen Farben. Ein Sturm kam auf und fegte den Schmetterling davon. Er strudelte im Wind und als es vorbei war, war er in einer fremden Stadt. Der Schmetterling wusste weder ein noch aus. Eines Tages traf sie einen Freund - ein falscher Freund. Er säuselte sie wäre sooo hübsch. Ja, ja. Sie könnte tanzen und Geld verdienen. Und sie tat es ...“ John schluckt. Molly? Redet er von Molly? „Sie tanzte und tanzte. Sie verdiente viel Geld. Doch der Freund meinte es nicht gut mit ihr. Er brachte sie ins Paradies - in eine Welt voller bunter Farben. Eine Welt ohne Schmerz und Dunkelheit. Der Schmetterling konnte nicht mehr ohne das Paradies leben. So tanzte sie nicht mehr für sich, sondern für das Paradies.“ Der Gast keucht kurz. Definitiv redet John von Molly, aber ... Warum? „Die Zeit, die der Raupe einst hold, wurde nun ihr Feind. Sie ließ den Schmetterling hässlich werden - so hässlich, dass ihn niemand mehr tanzen sehen wollte. Der Schmetterling wurde davongejagt. Doch in der dunkelsten Stunde fand sie etwas wieder - einen Freund. Ein Freund aus alten Tagen und ihrer alten Welt.“ „Warum erzählst du mir das?“ Die Stimme des Gastes ist durch das Weinen fürchterlich kratzig. Immer noch starrt er vor sich hin. Der Gastgeber springt geräuschlos von dem wuchtigen Sessel. Ganz langsam schleicht er um John herum und setzt sich vor ihn. „Warum?! Warum nicht?“ Der Besucher braucht einen Moment, bis er seinen Blick auf das Tier fokussiert hat. John huscht augenblicklich ein Schauer über den Rücken. Die schwarzen Augen sind groß und klar, der Mann hat das Gefühl er könnte das Universum darin sehen. Er verliert sich mehr und mehr in dieser unendlichen Dunkelheit. „Nun?“ John zuckt zusammen. Er schüttelt den Kopf um sich zu sortieren. „Ähm. Was hast du davon, mir diese Dinge zu erzählen?“ Er begreift es nicht. Was hat Jack davon, wenn er diese Geschichten preis gibt? Das Tier grinst geheimnisvoll. „Vielleicht möchte ich, dass du sie erfährst. Ja, ja. Vielleicht sind sie ... wichtig.“ Der Gast mustert Jack und runzelt die Stirn. Wichtig? Wieso sollten sie wichtig sein? „Wichtig ... für ... mich?“, fragt er unsicher. „Uns, mein Lieber. Uns“, schnurrt der Gastgeber sinnlich. John öffnet den Mund um etwas zu sagen, aber kein Wort verlässt seine Lippen. Seine Augen folgen unfreiwillig der Bewegung des Schweifs des Tieres. Gemächlich schwingt dieser hin und her. Hin, her. Hin und her. Hin ... und ... her. Hin ... ... und ... ... her. „Uns“, flüstert John völlig abwesend. „Ja, ja. Du und ich. Wir sind verbunden. Gehören zusammen. Ich und du.“ „Zusammen. Wir ... Was?!“ Jack hat aufgehört den Schweif zubewegen und der Gast ist wieder im 'hier'. „Worum ging es?“, hakt John verdutzt nach. „Geschichten sind wichtig - sie sagen uns wer wir sind.“ Das Grinsen des Tieres ist breit und selbstgefällig. Der Besuch beginnt zu lachen; laut, schrill und hysterisch. Die Augen scheinen ihm fast aus dem Kopf zu quellen und sein Gesicht wirkt grotesk verzerrt. Der Gastgeber verzieht das Gesicht. Er legt die Ohren an und schüttelt den Kopf. Wütend murrt er und erhebt sich. Verfolgt von dem bizarren Gelächter seines Besuchers schleicht er davon und verschwindet in den Schatten. John lacht … und lacht … und lacht. Geschichten sagen uns wer wir sind! Was soll der Quatsch?! Seine Mutter hat Geschichten erzählt; und was für welche. Eine bizarrer als die andere. Was sagt das über sie? Das sie verrückt ist? Und Jack; was für Geschichten erzählt er? Genauso absurde Storys und … Der Gast stutzt. Aber sie sind wahr – egal wie fantastisch sie sind. Die Geschichte von Molly, die von seiner Mutter wahrscheinlich auch … „Jack?“ „Hm?“, säuselt es quer durch den Raum und wieder zurück. „Lebt sie noch?“ Es kichert, leise und ein wenig böswillig. „Quid pro Quo, mein Lieber. Du bist dran!“ Der Besucher schnauft und sinkt merklich in sich zusammen. Wovon soll er erzählen? Davon das alles den Bach runter ging? Nach Hatchs Tod war ihm alles egal gewesen; er hatte den Job nicht angertreten, er hatte den Platz im Wohnheim verloren, er hatte … Molly. „Ganz genau“, haucht es dicht an Johns Ohr. Panisch schüttelt der Gast den Kopf. „Bitte nicht“, wimmert er und versteckt das Gesicht wieder hinter den Knien. Während ihm wieder Tränen über die Wangen laufen, spürt er wie sich das Tier an ihn schmiegt und um ihn herumschleicht. „Johnny Boy“, schnurrt es schmeichelnd. Langsam versiegen die Tränen. Der Besucher schluchzt noch einige Male und atmet kurz durch. „Ich bin aus dem Wohnheim geflogen. Wochenlang bin ich umhergeirrt. Ich war wütend - fürchterlich wütend. Kopflos habe ich mich in jede Auseinandersetzung gestürzt. Blut und Schmerz beherrschte meine Welt. Und ich wollte es so. Ich ... wollte leiden, weil ich Hatch im Stich gelassen hatte. Molly hat mich dann irgendwann in einer Gasse gefunden. Ich war kein Mensch mehr. Ich ...“, John stockt. Dunkle Bilder und Erinnerungen laufen in seinem Inneren ab; so viel Leid und Elend. „Mein Gesicht war zugeschwollen und voller verkrusteten Blut und Rotz. Mein Körper war grün und blau. Mein ... mein Hintern war verstopft mit einem Pfropfen aus Scheiße, Blut und Sperma.“ Der Gast holt geräuschvoll Luft, bevor er fortfährt, „Ich war dem Tod so nah - näher wie dem Leben und es war gut so. Es sollte so sein. Molly ... nahm mich mit.“ Erneut rinnen Tränen über die geröteten Wangen des Besuchers. „Sie hat mich in eine billige Absteige gebracht und mich gebadet. Sie hat den ganzen Dreck von mir abgewaschen und das zum Vorschein gebracht was sich darunter versteckt hatte. Ein kleiner verlorener Junge, der nichts mit sich oder der Welt anzufangen wusste ... Molly pflegte mich gesund - zumindest körperlich. Sie versuchte mir ins Gewissen zu reden. Ich ertrug es irgendwann nicht mehr und ...“ Noch mehr Tränen bahnen sich ihren Weg. „Ich schlich zu ihr. Es war dunkel im dem Zimmer und stickig. Der schwere Geruch ihrer Vanille-Zigarillos lag in der Luft.“ Die Stimme des Gastes word höher und überschlägt sich beinahe. „Ich hatte das Kissen in der Hand. Mehrere Minuten stand ich da und sah sie an, dann drückte ich es ihr ins Gesicht. Sie wehrte sich kaum; es war ganz leicht. Als ich das Kissen wegnahm sah sie friedlich aus. Ich glaube sie wollte es vielleicht sogar. Sie war nicht glücklich in dieser Welt.“ „Man ist nie glücklich in einer fremden Welt.“ Jack lacht amüsiert. „Bald geschafft, ja, ja“, flüstert der Gastgeber und schnurrt während er sich wieder auf dem wuchtigen Sessel niederlässt. Der Besucher sieht verwirrt zur Seite. Geschafft? Was meint er damit? Unsicher verengt John die Augen. Nein! Er wird sich nicht wieder an der Nase herum führen lassen. „Quid pro Quo, mein Lieber. Du bist dran!“, äfft er Jack nach. Böse funkeln die schwarzen Augen und die Kerzen beginnen erneut zu flackern. Ganz langsam geht eine nach der anderen aus, bis nur noch die Kerze in der Laterne neben dem Tisch leuchtet. Der komplette Raum ist in tiefe Finsternis gehüllt. Kapitel 6: Es war einmal ... ---------------------------- „Ich fange am Anfang an, ja, ja. Ganz am Anfang.“ Das Tier verengt die Augen. Es fährt die Krallen aus und versenkt sie im Stoff des Sessels. „Und du wirst zuhören. Zuhören bis ganz zum Schluss“, faucht Jack bedrohlich. John rutscht unruhig hin und her. Er will etwas sagen, doch er kann nicht. Aus irgendeinem Grund öffnet sich sein Mund nicht. Panisch fasst er sich an die Lippen. Es fühlt sich an als wären sie verklebt. Was soll das?! Was geht hier vor?! Hämisch lacht der Gastgeber, dann beginnt er zu erzählen, „Es war einmal ... Ein hübsches Mädchen hüpfte durch einen großen Garten. Ihr blondes Haar glitzerte in der Sonne. Viele Augen folgten ihr, bewunderten sie. Sie rempelte einen jungen Mann an. Ein höfliches Gespräch entstand, es wurde gescherzt und gelacht. Die beiden jungen Menschen verließen die Party, gingen zwischen den Büschen hindurch und entfernten sich mehr und mehr. Der junge Mann wurde zudringlich, strich dem Mädchen über den Körper, vergrub seine Hand in ihrem wunderschönen Haar. Sie wollte schreien, doch er erstickte ihren Schrei mit einem brutalen Kuss. Er drängte sie zu Boden, fasste sie an. Der Mann umfasste ihre Handgelenke und fixierte sie über ihrem Kopf auf dem hübschen Rasen. Das teure Kleid schob er hoch, legte ihren Slip frei. Das gepflegte Grün war weich unter ihrem nackten Hintern, fühlte sich befremdlich an. Sie spürte seine Finger auf ihrer Haut und wie er sie an einer Stelle berührte, die außer ihr selbst niemand anderes je angefasst hatte. Er löste seine Lippen von ihren und drohte ihr unverhohlen. Angst löste Tränen aus ihren blauen Augen, sie zitterte und bebte. Sie biss die Zähne zusammen, wollte nicht, dass er ihr mehr Schmerz wie nötig bescherte und nickte. Bewusst schloss sie die Augen, wünschte sich weg von hier, doch brennende Feuersglut zwischen ihren Beinen verhinderte es. Er erstickte jedes Geräusch mit seiner jetzt freien Hand. Erbarmungslos trieb er sein Fleisch in ihres, legte Blut frei und Unschuld brach. Minuten wurden Stunden, Feuersglut zu einem alles verzehrenden Feuersturm. Endlich fertig ließ er von ihre ab, richtete anschließend sich und seine Kleidung. Ein dämonenhaftes Lächeln und eine weitere Drohung später wendete er sich ab und ging. Sie weinte, vor Schmerz und Scham. „Bin spät dran, keine Zeit.“ Das Mädchen blinzelte die Tränen davon. Ein Kaninchen huschte an ihr vorbei. Es ging auf zwei Beinen und trug eine Taschenuhr in der kleinen Pfote. Ungläubig blinzelte sie erneut. Das Tier verschwand in einem Busch und war nicht mehr zusehen. „Nimm mich mit“, flüsterte das Mädchen leise und brüchig. Sie wollte weg von hier, weit weg. Plötzlich fühlte sie sich leicht. Der alles einnehmende Schmerz verschwand und sie erhob sich. Lautlos und unbemerkt huschte sie davon, folgt dem Kaninchen und verschwand aus dieser Welt. Also doch, denkt sich der Gast. Er hat immer vermutet, dass der Mann seine Mutter damals vergewaltigt hat. Ihre Geschichte variierte an diesem Punkt immer so sehr, dass er sich sicher war, dass sie ihm die Wahrheit verschwiegen hatte. Allerdings ist es auch nachvollziehbar; wer erzählt schon seinem Kind, dass man missbraucht wurde? Das Mädchen kam in eine neue Welt, voll wundersamer Dinge. Sie traf wundersame Personen und erlebte allerlei Abenteuer. Ihre neuen Freunde mochten sie und wollten, dass sie für immer blieb. Doch der Hüter dieser fremden Welt war anderer Meinung. Er stöberte sie auf und forderte sie auf zugehen. Ein Kampf entbrannte. Mehrere Tage kämpften der Hüter und das Mädchen, unterstützt durch ihre neuen Freunde. Eine brutale, gewalttätige Schlacht. Am Ende schleuderte eine mächtige Explosion das Mädchen zurück in ihre Welt und auch der Hüter wurde hinfortgerissen. Das Mädchen erwachte im Krankenhaus, Monate nach den Geschehnissen im Garten. Ihr Bauch war bereits gewölbt und der Unglaube darüber schürte Panik. Sie schrie und weinte, tobte und verzweifelte. Die Frage nach dem Warum beantworteten ihre Eltern nie. „Ein Leben ist ein Leben“, hatte der Vater ihr gesagt, als er ihr eröffnete, dass sie das Haus verlassen müsse. Sie ging fort, voller Schmerz und Qual. Das Mädchen versuchte zu leben, doch es konnte nicht. Sie versuchte zu lieben, doch die Erinnerungen suchten sie heim, wenn sie dem Kind in die Augen sah. Stumm rinnen John Tränen über die Wangen. Er hatte schon immer das Gefühl, dass er schuld am 'Zustand' seiner Mutter war. Er konnte nichts dafür, aber dennoch war er der Auslöser – irgendwie. Wie sollte man auch damit leben? Wie sollte man damit funktionieren? Trotz allem Elend, was ihm dadurch wiederfahren ist über die Jahre, verstand er nun die Flucht, die seine Mutter angetreten hatte. Der Hüter fand sich in einer dreckigen Gasse wieder, in einer ihm fremden Welt und einer fremden Gestalt. Seine Kräfte waren schwächer, aber hatten ihn nicht ganz verlassen und so wandelte er sich. Er ging unter die Menschen und lernte über sie, er lernte über ihre Schwächen. Gram und Hass über sein Dasein in der fremden Welt wuchsen in ihm ins Unermessliche. Er wollte Rache! Der Hüter fand das Mädchen, schlich sich in ihr Leben und stürzte sie noch mehr ins Elend. Die Freunde des Mädchens waren ebenfalls schuld an seinem Unglück, so fand er. Er fand zwar keinen Weg zurück in seine Welt, aber einen, um die anderen hier her zu holen. Und er tat es. Einen nach dem anderen brachte er in die hässliche Welt der Menschen. Einen nach dem anderen stürzte er ins Verderben. Am Ende ging er wieder zu dem einstigen Mädchen. Das Kind hatte sie verlassen und so war sie allein. Zufrieden mit seinem Werk legte sich der Hüter zu der sterbenden Frau. Der Tod umarmte den ausgemergelten Körper bereits. Der Hüter streckte seine Klauen nach ihr aus und strich über die fahle Haut. „Süße kleine Alice“, säuselte er. Ihre glasigen Augen sahen ihn an. „Er ist weg.“ Der Hüter brummte. Ihr Leid reichte ihm noch nicht und so schob er sich über sie, drängte sich zwischen ihre Beine. „Auf ein letztes Mal“, flüsterte er ihr ins Ohr. Er nahm sie, hart und brutal, zerstörte das letzte bisschen Licht, dass letzte bisschen Leben in ihr. „Du wirst ihn nicht finden“, hauchte sie. „Wieso sollte ich das wollen?“, fauchte er und trieb sich erneut in den sterbenden Körper. Sie schrie, atemlos keuchte sie, „Weil er es ist.“ Sie hauchte ihr Leben aus und fand endlich Frieden. Der Hüter blieb verwirrt zurück. Monate, Jahre verbrachte er damit zu verstehen. Während der Schlacht musste etwas geschehen sein, aber was? Immerzu ging er die Geschehnisse in seinem Kopf durch, wieder und wieder. Dann, eines Tages begriff er. Der Hüter hatte das in Gewalt gezeugte Kind unter dem Herzen des Mädchens verletzt. Die Magie der fremden Welt hielt stets das Gleichgewicht und so, verband sie wohl den Hüter und das Ungeborene. Das Kind besaß nun einen Teil seiner Macht, seiner Seele. Er konnte erst zurück, wenn er vollständig war. So begab sich der Hüter auf die Suche … und schließlich fand er das Kind, zerstört und Rande des Wahnsinns. Es hockte in einer Gasse und sah einer Frau beim Sterben zu … Der Besucher schließt die Augen. Er ist ein Monster. Gezeugt mit Gewalt, verbunden mit einer Bestie. Bestie? Jack redet die ganze Zeit über einen Hüter, aber er hat immer ein Biest vor Augen. Ein Welten zerstörendes Monstrum. Das Monster … aus seinem Schrank. Als er klein war, hatte er immer Angst vor dem Monster. Es hatte Fledermausflügel, einen Schlangenkörper, riesige spitze Klauen und messerscharfe Zähne. Seine Mutter hatte dieses Ding heraufbeschworen, sie hatte ihm immer einen Reim aufgesagt … Wie ging der noch? Eine Frauenstimme flüstert in seinem Kopf, die Stimme seiner Mutter. „Twas brillig, and the slithy toves Did gyre and gimble in the wabe; All mimsy were the borogoves, And the mome raths outgrabe. Beware the Jabberwock, my son! The jaws that bite, the claws that catch! ...*“ Johns Augen weiten sich und er starrt seinen Gastgeber an. Der Jabberwock! Das katzenartige Wesen lacht dämonisch und beginnt sich zu verändern. Die Schnauze wird länger, ausgeprägter. Der Körper wird immer größer, länglicher. Die Vorderläufe teilen sich und ledrige Haut bildet sich zwischen den Hälfen. Das Biest verändert sich mehr und mehr, wird größer und größer. Das Bücherregal hinter dem Sessel stürzt um und reißt seine Nachbarn mit. Der Boden knarzt unter dem Gewicht und die Decke bröckelt. Plötzlich teilt sich der Gast den Raum nicht mehr mit einem Katzenwesen, sondern mit einem ... Drachen? John weicht zurück bis ihm ein Regal Flucht unterbindet. Unmöglich, schießt es ihm immer wieder durch den Kopf. Doch nach allem, was er heute (?) Nacht erfahren hat, sollte ihm eigentlich klar sein, dass offensichtlich nichts unmöglich ist. „Mein Name, Johnny Boy“, fordert das Biest grollend. Gäfer läuft ihm aus dem Maul und tropf schwer auf den Boden. Zitternd schüttelt der junge Mann den Kopf, mehr aus Reflex wie aus Gegenwehr. Die klauenbewährte Pranke packt Johns Kopf. „Sag. Meinen. Namen!“ „Tu es nicht“, kommt es panisch von der Seite. Eine Katze?! Mit bunten Ringelstreifen?! Das Tier hockt auf der Bücherpyramide und in seinem, gruselig, menschlichen Gesicht spiegelt nackte Angst. „Halt dich raus, Grinser!“, donnert Jack wütend und lässt den jungen Mann los. Er wendet sich um und schnappt sich den ungebetenen Gast. „Wenn du seinen Namen sagst, bekommt er seine Macht zurück“, keucht die Katze. Das folgende Geräusch ist dumpf und gleichzeitig matschig. Der Kopf zerplatzt in der dämonischen Klaue und der restliche Körper fällt leblos zu Boden. Blut und Hirn verteilen sich auf den Büchern und auch ein wenig auf John. Mit glühenden Augen wendet sich das Monster wieder dem Mann zu. Er packt ihn und drückt zu. „Mein Name!“ Wieder schüttelt der junge Mann den Kopf. Der Drache erhöht den Druck. „Du hast die Wahl, Johnny Boy. Entweder ich wüte in dieser, deiner Welt, oder ich gehe zurück in meine.“ John hat Angst, Angst was dieses Monster in der Welt anrichten könnte, was es mit ihm anrichten könnte. Er hat schon so viel Leid erzeugt, was könnte er noch alles tun?! „Ich ... dein Name ... ist ... Jabberwock.“ Ein unheimlicher Wind tobt augenblicklich durch den dunklen Raum. Ein finsteres Grinsen ziert das Gesicht des Dämons und er lässt John los. Der Wind wird zum Sturm, Blätter wirbeln durch die Luft. Das riesige Ungetüm scheint blasser, durchsichtig zu werden. „Adiue, Johnny Boy.“ Der Mann fühlt ein merkwürdiges ziehen in seiner Brust, etwas bricht aus ihm heraus. Ein dunkler Schleier verlässt seinen Körper und hüllt den Drachen ein. Die Energie verschmilzt mit Jack und ein blaues Leuchten entsteht und blendet John. Das Biest verschwindet und tiefe Dunkelheit legt sich über den jungen Mann. Er fühlt sich leer. Verzweifelt brüllt er in die Finsternis und beginnt zu weinen. Epilog: Was am Ende übrig bleibt -------------------------------- John weint und weint. Er fühlt sich furchtbar und elend. Ein heller Schimmer durchbricht plötzlich die Finsternis. „Sch, schon gut.“ Ungläubig sieht der junge Mann auf. Da steht eine helle Lichtgestalt, in einem hübschen Kleid und mit langem schönen Haar. „Mum?“ „Es ist gut, John. Wirklich.“ „Aber ...“, stammelt er. „Oh je“, ertönt es aus der anderen Richtung. John sieht sich um. Da hockt die Ringel-Katze, hell leuchtend, und blickt ihren zerquetschten Körper an. „Deine Mutter hat recht, es ist gut.“ Wieder dreht der junge Mann den Kopf. „Molly?“ Die Frau steht hinter Alice und lächelt. „Es tut mir leid“, schluchzt John. „Muss es nicht. Ich habe jetzt Frieden; wie wir alle.“ Hinter Alice und Molly tauchen noch mehr Lichtgestalten auf. Ein Hase, ein Kaninchen, zwei Männer - offensichtlich Zwillinge und ... „Hatch?“ Der alte Mann mit Hut sieht verschämt zu Boden und nestelt an seiner Weste. Alice geht zu ihrem Sohn und hockt sich vor ihn. Sie legt ihm eine Hand auf die Wange. „Was am Ende übrig bleibt, ist was zählt.“ „Und was ist übrig?“, fragt John schluchzend. „Frieden.“ Alice richtet sich auf und hält ihrem Sohn die Hand hin. „Komm mit, John.“ Unsicher legt er seine zitternde Hand in die seiner Mutter. Plötzlich ist alles ganz leicht, Schmerz und Leere lösen sich auf. Hinter sich hört der junge Mann etwas Dumpfes. Er dreht sich um. Sein Körper ist kraftlos nach hinten umgekippt und wirkt irgendwie fremdartig. „Lass uns gehen“, ertönt die Stimme von Alice. John sieht zu ihr auf. Seine kleine Kinderhand drückt die seiner Mutter und er lächelt. Er dreht sich noch einmal um. „Komm Grinser, wir gehen.“ Die Ringel-Katze schnaubt betrübt und erhebt sich. Sie dreht dich um und lächelt breit. „Ja, gehen wir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)