Nacht im Wunderland von Charly89 (Gespräch mit einem Schatten) ================================================================================ Kapitel 6: Es war einmal ... ---------------------------- „Ich fange am Anfang an, ja, ja. Ganz am Anfang.“ Das Tier verengt die Augen. Es fährt die Krallen aus und versenkt sie im Stoff des Sessels. „Und du wirst zuhören. Zuhören bis ganz zum Schluss“, faucht Jack bedrohlich. John rutscht unruhig hin und her. Er will etwas sagen, doch er kann nicht. Aus irgendeinem Grund öffnet sich sein Mund nicht. Panisch fasst er sich an die Lippen. Es fühlt sich an als wären sie verklebt. Was soll das?! Was geht hier vor?! Hämisch lacht der Gastgeber, dann beginnt er zu erzählen, „Es war einmal ... Ein hübsches Mädchen hüpfte durch einen großen Garten. Ihr blondes Haar glitzerte in der Sonne. Viele Augen folgten ihr, bewunderten sie. Sie rempelte einen jungen Mann an. Ein höfliches Gespräch entstand, es wurde gescherzt und gelacht. Die beiden jungen Menschen verließen die Party, gingen zwischen den Büschen hindurch und entfernten sich mehr und mehr. Der junge Mann wurde zudringlich, strich dem Mädchen über den Körper, vergrub seine Hand in ihrem wunderschönen Haar. Sie wollte schreien, doch er erstickte ihren Schrei mit einem brutalen Kuss. Er drängte sie zu Boden, fasste sie an. Der Mann umfasste ihre Handgelenke und fixierte sie über ihrem Kopf auf dem hübschen Rasen. Das teure Kleid schob er hoch, legte ihren Slip frei. Das gepflegte Grün war weich unter ihrem nackten Hintern, fühlte sich befremdlich an. Sie spürte seine Finger auf ihrer Haut und wie er sie an einer Stelle berührte, die außer ihr selbst niemand anderes je angefasst hatte. Er löste seine Lippen von ihren und drohte ihr unverhohlen. Angst löste Tränen aus ihren blauen Augen, sie zitterte und bebte. Sie biss die Zähne zusammen, wollte nicht, dass er ihr mehr Schmerz wie nötig bescherte und nickte. Bewusst schloss sie die Augen, wünschte sich weg von hier, doch brennende Feuersglut zwischen ihren Beinen verhinderte es. Er erstickte jedes Geräusch mit seiner jetzt freien Hand. Erbarmungslos trieb er sein Fleisch in ihres, legte Blut frei und Unschuld brach. Minuten wurden Stunden, Feuersglut zu einem alles verzehrenden Feuersturm. Endlich fertig ließ er von ihre ab, richtete anschließend sich und seine Kleidung. Ein dämonenhaftes Lächeln und eine weitere Drohung später wendete er sich ab und ging. Sie weinte, vor Schmerz und Scham. „Bin spät dran, keine Zeit.“ Das Mädchen blinzelte die Tränen davon. Ein Kaninchen huschte an ihr vorbei. Es ging auf zwei Beinen und trug eine Taschenuhr in der kleinen Pfote. Ungläubig blinzelte sie erneut. Das Tier verschwand in einem Busch und war nicht mehr zusehen. „Nimm mich mit“, flüsterte das Mädchen leise und brüchig. Sie wollte weg von hier, weit weg. Plötzlich fühlte sie sich leicht. Der alles einnehmende Schmerz verschwand und sie erhob sich. Lautlos und unbemerkt huschte sie davon, folgt dem Kaninchen und verschwand aus dieser Welt. Also doch, denkt sich der Gast. Er hat immer vermutet, dass der Mann seine Mutter damals vergewaltigt hat. Ihre Geschichte variierte an diesem Punkt immer so sehr, dass er sich sicher war, dass sie ihm die Wahrheit verschwiegen hatte. Allerdings ist es auch nachvollziehbar; wer erzählt schon seinem Kind, dass man missbraucht wurde? Das Mädchen kam in eine neue Welt, voll wundersamer Dinge. Sie traf wundersame Personen und erlebte allerlei Abenteuer. Ihre neuen Freunde mochten sie und wollten, dass sie für immer blieb. Doch der Hüter dieser fremden Welt war anderer Meinung. Er stöberte sie auf und forderte sie auf zugehen. Ein Kampf entbrannte. Mehrere Tage kämpften der Hüter und das Mädchen, unterstützt durch ihre neuen Freunde. Eine brutale, gewalttätige Schlacht. Am Ende schleuderte eine mächtige Explosion das Mädchen zurück in ihre Welt und auch der Hüter wurde hinfortgerissen. Das Mädchen erwachte im Krankenhaus, Monate nach den Geschehnissen im Garten. Ihr Bauch war bereits gewölbt und der Unglaube darüber schürte Panik. Sie schrie und weinte, tobte und verzweifelte. Die Frage nach dem Warum beantworteten ihre Eltern nie. „Ein Leben ist ein Leben“, hatte der Vater ihr gesagt, als er ihr eröffnete, dass sie das Haus verlassen müsse. Sie ging fort, voller Schmerz und Qual. Das Mädchen versuchte zu leben, doch es konnte nicht. Sie versuchte zu lieben, doch die Erinnerungen suchten sie heim, wenn sie dem Kind in die Augen sah. Stumm rinnen John Tränen über die Wangen. Er hatte schon immer das Gefühl, dass er schuld am 'Zustand' seiner Mutter war. Er konnte nichts dafür, aber dennoch war er der Auslöser – irgendwie. Wie sollte man auch damit leben? Wie sollte man damit funktionieren? Trotz allem Elend, was ihm dadurch wiederfahren ist über die Jahre, verstand er nun die Flucht, die seine Mutter angetreten hatte. Der Hüter fand sich in einer dreckigen Gasse wieder, in einer ihm fremden Welt und einer fremden Gestalt. Seine Kräfte waren schwächer, aber hatten ihn nicht ganz verlassen und so wandelte er sich. Er ging unter die Menschen und lernte über sie, er lernte über ihre Schwächen. Gram und Hass über sein Dasein in der fremden Welt wuchsen in ihm ins Unermessliche. Er wollte Rache! Der Hüter fand das Mädchen, schlich sich in ihr Leben und stürzte sie noch mehr ins Elend. Die Freunde des Mädchens waren ebenfalls schuld an seinem Unglück, so fand er. Er fand zwar keinen Weg zurück in seine Welt, aber einen, um die anderen hier her zu holen. Und er tat es. Einen nach dem anderen brachte er in die hässliche Welt der Menschen. Einen nach dem anderen stürzte er ins Verderben. Am Ende ging er wieder zu dem einstigen Mädchen. Das Kind hatte sie verlassen und so war sie allein. Zufrieden mit seinem Werk legte sich der Hüter zu der sterbenden Frau. Der Tod umarmte den ausgemergelten Körper bereits. Der Hüter streckte seine Klauen nach ihr aus und strich über die fahle Haut. „Süße kleine Alice“, säuselte er. Ihre glasigen Augen sahen ihn an. „Er ist weg.“ Der Hüter brummte. Ihr Leid reichte ihm noch nicht und so schob er sich über sie, drängte sich zwischen ihre Beine. „Auf ein letztes Mal“, flüsterte er ihr ins Ohr. Er nahm sie, hart und brutal, zerstörte das letzte bisschen Licht, dass letzte bisschen Leben in ihr. „Du wirst ihn nicht finden“, hauchte sie. „Wieso sollte ich das wollen?“, fauchte er und trieb sich erneut in den sterbenden Körper. Sie schrie, atemlos keuchte sie, „Weil er es ist.“ Sie hauchte ihr Leben aus und fand endlich Frieden. Der Hüter blieb verwirrt zurück. Monate, Jahre verbrachte er damit zu verstehen. Während der Schlacht musste etwas geschehen sein, aber was? Immerzu ging er die Geschehnisse in seinem Kopf durch, wieder und wieder. Dann, eines Tages begriff er. Der Hüter hatte das in Gewalt gezeugte Kind unter dem Herzen des Mädchens verletzt. Die Magie der fremden Welt hielt stets das Gleichgewicht und so, verband sie wohl den Hüter und das Ungeborene. Das Kind besaß nun einen Teil seiner Macht, seiner Seele. Er konnte erst zurück, wenn er vollständig war. So begab sich der Hüter auf die Suche … und schließlich fand er das Kind, zerstört und Rande des Wahnsinns. Es hockte in einer Gasse und sah einer Frau beim Sterben zu … Der Besucher schließt die Augen. Er ist ein Monster. Gezeugt mit Gewalt, verbunden mit einer Bestie. Bestie? Jack redet die ganze Zeit über einen Hüter, aber er hat immer ein Biest vor Augen. Ein Welten zerstörendes Monstrum. Das Monster … aus seinem Schrank. Als er klein war, hatte er immer Angst vor dem Monster. Es hatte Fledermausflügel, einen Schlangenkörper, riesige spitze Klauen und messerscharfe Zähne. Seine Mutter hatte dieses Ding heraufbeschworen, sie hatte ihm immer einen Reim aufgesagt … Wie ging der noch? Eine Frauenstimme flüstert in seinem Kopf, die Stimme seiner Mutter. „Twas brillig, and the slithy toves Did gyre and gimble in the wabe; All mimsy were the borogoves, And the mome raths outgrabe. Beware the Jabberwock, my son! The jaws that bite, the claws that catch! ...*“ Johns Augen weiten sich und er starrt seinen Gastgeber an. Der Jabberwock! Das katzenartige Wesen lacht dämonisch und beginnt sich zu verändern. Die Schnauze wird länger, ausgeprägter. Der Körper wird immer größer, länglicher. Die Vorderläufe teilen sich und ledrige Haut bildet sich zwischen den Hälfen. Das Biest verändert sich mehr und mehr, wird größer und größer. Das Bücherregal hinter dem Sessel stürzt um und reißt seine Nachbarn mit. Der Boden knarzt unter dem Gewicht und die Decke bröckelt. Plötzlich teilt sich der Gast den Raum nicht mehr mit einem Katzenwesen, sondern mit einem ... Drachen? John weicht zurück bis ihm ein Regal Flucht unterbindet. Unmöglich, schießt es ihm immer wieder durch den Kopf. Doch nach allem, was er heute (?) Nacht erfahren hat, sollte ihm eigentlich klar sein, dass offensichtlich nichts unmöglich ist. „Mein Name, Johnny Boy“, fordert das Biest grollend. Gäfer läuft ihm aus dem Maul und tropf schwer auf den Boden. Zitternd schüttelt der junge Mann den Kopf, mehr aus Reflex wie aus Gegenwehr. Die klauenbewährte Pranke packt Johns Kopf. „Sag. Meinen. Namen!“ „Tu es nicht“, kommt es panisch von der Seite. Eine Katze?! Mit bunten Ringelstreifen?! Das Tier hockt auf der Bücherpyramide und in seinem, gruselig, menschlichen Gesicht spiegelt nackte Angst. „Halt dich raus, Grinser!“, donnert Jack wütend und lässt den jungen Mann los. Er wendet sich um und schnappt sich den ungebetenen Gast. „Wenn du seinen Namen sagst, bekommt er seine Macht zurück“, keucht die Katze. Das folgende Geräusch ist dumpf und gleichzeitig matschig. Der Kopf zerplatzt in der dämonischen Klaue und der restliche Körper fällt leblos zu Boden. Blut und Hirn verteilen sich auf den Büchern und auch ein wenig auf John. Mit glühenden Augen wendet sich das Monster wieder dem Mann zu. Er packt ihn und drückt zu. „Mein Name!“ Wieder schüttelt der junge Mann den Kopf. Der Drache erhöht den Druck. „Du hast die Wahl, Johnny Boy. Entweder ich wüte in dieser, deiner Welt, oder ich gehe zurück in meine.“ John hat Angst, Angst was dieses Monster in der Welt anrichten könnte, was es mit ihm anrichten könnte. Er hat schon so viel Leid erzeugt, was könnte er noch alles tun?! „Ich ... dein Name ... ist ... Jabberwock.“ Ein unheimlicher Wind tobt augenblicklich durch den dunklen Raum. Ein finsteres Grinsen ziert das Gesicht des Dämons und er lässt John los. Der Wind wird zum Sturm, Blätter wirbeln durch die Luft. Das riesige Ungetüm scheint blasser, durchsichtig zu werden. „Adiue, Johnny Boy.“ Der Mann fühlt ein merkwürdiges ziehen in seiner Brust, etwas bricht aus ihm heraus. Ein dunkler Schleier verlässt seinen Körper und hüllt den Drachen ein. Die Energie verschmilzt mit Jack und ein blaues Leuchten entsteht und blendet John. Das Biest verschwindet und tiefe Dunkelheit legt sich über den jungen Mann. Er fühlt sich leer. Verzweifelt brüllt er in die Finsternis und beginnt zu weinen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)