Drawback 2 von ManaRu ================================================================================ Kapitel 5: Flashback 2 ---------------------- 17:53 Uhr. Seufzend sah er auf seine Wanduhr. Noch sieben Minuten, dann wäre der Nachhilfeunterricht für diesen Tag beendet. Er war nicht dumm und schlechte Noten hatte er auch nicht, sondern nur Einsen und Zweien. Doch sein Vater wollte, dass das auch in Zukunft so aussah, also musste er dafür täglich nach der Schule zwei Stunden lernen. Jeden Tag ein anderes Fach. Heute war es Mathematik. Etwas, dass er bisher gut verstand, sich irgendwann gut in diese Logik reindenken konnte, doch jedes Mal fast verzweifelte, wenn ein neues Thema drankam. Er brauchte nun mal ein bisschen Zeit. Das kam eben nicht von jetzt auf gleich. „Sieh nicht auf die Uhr, sondern auf die Aufgabe!“ Ermahnte sein Lehrer ihn und sofort senkte er den Blick und brachte die Aufgabe schnell hinter sich. War doch gar nicht so schwer! Pünktlich um 18 Uhr hatte er ‘Freizeit‘. Doch sein restlicher Tag wird wohl so aussehen, wie jeder Andere auch: Er bekam noch ein paar Minuten Zeit, seine Schulsachen auszuräumen und die Tasche für den nächsten Schultag zu packen, ehe er runter ins Esszimmer müsste, um mit seiner Familie zusammen zu essen. Danach müsste er seiner Mutter beim Aufräumen helfen, ehe sein Vater und seine Mutter den Abwasch machen würden. In dieser Zeit musste er dann duschen, damit er um spätestens 19:30 Uhr fertig in seinem Zimmer saß. Dann hätte er noch eine halbe Stunde, ehe er ins Bett müsste. Meistens war er um diese Uhrzeit nicht müde, aber er durfte nicht länger wach bleiben, damit seine Konzentration am nächsten Tag einsatzbereit war. Und zwar zu 100%! Als er gerade die Treppe runter ging, sah er noch, wie sein Lehrer von seinem Vater zur Türe begleitet wurde und dann das Haus verließ. Sofort ging er ins Esszimmer und setzte sich mit an den Tisch, auf dem bereits das Essen stand. Seine Mutter konnte unglaublich gut kochen. Er liebte ihre Küche! Noch nie hatte er vergleichbares gegessen. „Ich habe gehört, dass es heute gut geklappt hat.“ Hörte er seinen Vater. Er sah zu ihm und nickte mit einem leichten Lächeln, denn hinter diesen Worten war ein gewisses, kleines Kompliment versteckt. Sein Vater machte sowas nicht offensichtlich. Niemals würde er ihm so etwas sagen wie ‘ich bin stolz auf dich‘ oder ‘das hast du gut gemacht‘. Er verpackte es immer. Dabei würde er solche Sätze gerne einmal hören. Still aß er mit seiner Familie, da sein Vater sonst bei Tisch kein Wort hören wollte. Wenn man das Bedürfnis hatte, zu reden, sollte man es danach machen. Nachdem jeder satt und soweit zufrieden war, half er seiner Mutter, das Geschirr vom Tisch zu räumen, trug es in die Küche, damit sie mit seinem Vater gleich alles sauber machen konnte. „Wenn deine Nachhilfestunden weiterhin so verlaufen, wird aus dir ein guter Arzt. Oder ein Anwalt.“ Mit diesen Worten hielt sein Vater ihn davon ab, nach oben ins Badezimmer zu gehen. „Beides wäre eine denkbare Option. Doch etwas minderwertigeres steht nicht zur Debatte.“ Solche Worte konnte er nicht leiden. Zwar war er gerade mal 12 Jahre alt, aber trotzdem hatte er schon gewisse Vorstellungen, wie seine Zukunft aussehen sollte. Und das hatte nichts mit Arzt oder Anwalt zu tun. „Ich würde viel lieber Autor werden.“ Entwich es ihm in einem Anflug von Wahnsinn. Was anderes konnte es nicht sein, schließlich wusste er, wie sein Vater zu seiner Jobwahl stand. „Autor?“ Fragte sein Vater gereizt nach und vorsichtig nickte er, senkte den Blick gen Boden. Wieso? Wieso war er so dumm, dass auszusprechen? Hätte er das nicht einfach verschweigen können? Nein, er hatte für einen kurzen Moment verdrängt, wie blöd so ein Kommentar war. „Bist du nun von allen Sinnen verlassen?“ Sein Vater stand vom Tisch auf und kam auf ihn zu. Er war ein gestandener Mann mit ernstem Blick, großem Wissen und einem Talent dafür, mit Blicken andere Menschen sofort einzuschüchtern. So wie ihn jetzt. „Ich will solche Worte nicht noch einmal von dir hören!“ Er nickte einfach nur stumm. Jetzt etwas dagegen zu sagen, würde ihm noch richtig Ärger einhandeln. „Schatz, er ist müde. Seine Fantasie geht wieder mit ihm durch. Er sollte ins Bett.“ Hörte er seine Mutter mit sanfter Stimme aus der Küche kommen. Sie war so lieb, zu gut für diese Welt, denn er wusste, dass sie ihm mit diesen Worten nur helfen wollte, einer Standpauke zu entkommen. „Du wirst solch einen Unsinn nie wieder zur Sprache bringen, hast du mich verstanden, Yutaka?“ Knurrte sein Vater. Er sah zu seiner Mutter, die ihn anlächelte und nickte. Doch er wollte einfach nicht. Das Ganze musste doch irgendwann mal ein Ende haben, oder nicht? Wenn er nicht sagt, was er will -was er wirklich will- wird es doch immer so weiter gehen. Es sprach doch auch nichts dagegen, weiterhin zur Schule zu gehen, zu lernen, gute Noten zu schreiben und zu studieren. Doch er wollte viel lieber Literaturwissenschaften studieren, als Medizin oder Jura. Außerdem war es doch bestimmt viel einfacher, ein Autor zu werden, als Arzt oder Anwalt, oder etwa nicht? „Ich will aber kein Arzt werden. Und auch kein Anwalt.“ Vielleicht hatte sein Vater ja doch ein Einsehen und würde seinen Wunsch akzeptieren. Wahrscheinlich nicht sofort, aber nach und nach doch bestimmt! „Bitte?“ Oder auch nicht? „Ich will das nicht werden.“ Startete er den nächsten Versuch. „In unserer Familie sind alle Männer hoch angesehen und haben einen vernünftigen Job, um ihrer Familie etwas bieten zu können. Du wirst dieses Ansehen nicht damit zerstören, dass du Autor wirst.“ „Dann Künstler.“ Platzte es trotzig aus ihm heraus, ohne vorher über diese Worte nachgedacht zu haben. Er würde niemals im Leben ein Bild malen. Er konnte doch kaum ein gutaussehendes Strichmännchen auf ein Blatt Papier zeichnen. „Jetzt drehst du wohl völlig durch!“ Schnaufte sein Vater wütend und er sah ihn durchdringend an. Seine Mutter stand still im Türrahmen und sah geschockt zu ihren zwei Männern. „Ich will etwas machen, was mir Spaß macht und womit ich glücklich werde!“ Versuchte er ihm nun seinen Standpunkt zu erklären. Was hätte er von einem Job, zu dem er nicht gehen will? Er musste doch auch Spaß an der Arbeit haben, sonst würde sich das Ganze doch gar nicht lohnen. „Spaß? Spaß haben Kinder im Sandkasten! Aber das Leben als arbeitender Erwachsener macht nie Spaß, denn du bist in der Pflicht, deine Familie zu versorgen. Wenn es um Spaß gehen würde, wären wir alle arm!“ Dieses Argument zog bei ihm überhaupt nicht! „Ich will keine Familie! Ich will keine Kinder, keine Frau und keinen Job, der mich reich, aber unglücklich macht!“ Jetzt hatte er wohl den Vogel komplett abgeschossen, denn seinem Vater entgleisten nun alle Gesichtszüge. Er packte ihn am Handgelenk und zog ihn hinter sich her, hoch ins Zimmer, wo er ihn losließ und auf den Schrank deutete. „Dann pack deine Sachen und geh!“ Schrie er ihn wütend an. Er zuckte vor Schreck zusammen und sah ihn mit weit aufgerissenen Augen an. „Du hast mich schon verstanden! Ich gebe mein hart verdientes Geld für dich, für meine Familie, aus. Du hast einen Nachhilfelehrer, bist auf einer der besten Schulen und hast die besten Chancen, etwas aus dir zu machen. Und das soll nun der Dank dafür sein?“ Schrie er weiter auf ihn ein, öffnete seinen Schrank und holte eine Tasche raus und warf schon ein paar Klamotten in diese. „So etwas undankbares habe ich noch nie in meinem Leben gesehen. Solch ein Kind habe ich nicht erzogen!“ Hatte er den Bogen vielleicht nicht nur überspannt, sondern nun die Sehne zum Reißen gebracht? Schon oft waren sie aneinander geraten. Oft hatte er versucht, seinem Vater zu erklären, dass er einen anderen Job ausüben wollte, als er es von ihm verlangte. Natürlich stieß er immer auf taube Ohren bei ihm. Doch scheinbar hatte er dessen Geduldsfaden nun tatsächlich in der Mitte gekappt. Auf einmal bekam er eine gepackte Tasche gegen den Oberkörper gedrückt und wurde nun wieder nach unten geschoben. „Du bist enterbt und wag es dich nicht, hier aufzutauchen, wenn du deine Lektion nicht gelernt hast!“ Damit schob er ihn auch schon aus dem Haus raus, warf ihm noch Schuhe und Jacke nach draußen und knallte ihm die Türe vor der Nase zu. Was zum Teufel war das denn bitte? Wie konnte man nur so aus der Haut fahren? Nur, weil er Autor werden möchte? Er soll mal schön froh sein, dass er nicht Putzfrau werden möchte. Was hätte er dann gemacht? Wenn er seine Worte richtig verstanden hatte, dürfte er wiederkommen, wenn er sich entschuldigen würde? Nein, heute nicht! Gerade war er so geladen, dass er ihm keine Entschuldigung entgegenbringen könnte, sondern nur Gemecker. Er schluckte seine Wut und Trauer einfach runter, zog sich die Schuhe und Jacke an, nahm sich die Tasche und lief los. Der Nachteil, ein Streber zu sein -zumindest nannten ihn in der Schule alle so- lag darin, keine Freunde zu haben. Also hatte er auch niemanden, zu dem er gehen konnte. Eine verdammt unangenehme Situation, schließlich war es schon Abend und es konnte viel passieren, wenn es dunkel war. Er hatte nicht einmal Geld, um etwas zu Essen zu kaufen, oder sich ein Hotelzimmer zu organisieren. Während er herumlief, kaute er sich auf seiner Unterlippe rum. Jetzt musste ihm schnell etwas einfallen, denn er wollte nicht schon nach den ersten zehn Minuten zurück nach Hause und sich bei ihm entschuldigen. Er würde versuchen, ihn warten zu lassen, damit es seinem Vater genau so leidtun wird, ihn rausgeworfen zu haben. Welche Eltern taten ihrem 12 Jahre jungen Kind so etwas an? Sogar seine Mutter hatte ihm nicht mehr geholfen. Oh ja, die wird er alle Beide nun schön warten lassen. Auf seinem Rundgang kam er an mehreren kleinen Läden vorbei, in denen noch einige Leute etwas kauften. Mit jedem Schritt, den er machte, wurde ihm gefühlt immer kälter. Warum hatte er ihm nicht Geld mitgegeben? Die ganzen Anziehsachen konnte er nicht übereinander anziehen. Er hatte gesehen, was sein Vater ihm in die Tasche geworfen hatte. Ein kurzärmliges Shirt nach dem Anderen. Viel wird ihm das nicht helfen. Wie viel wohl ein Hotelzimmer kostet? Konnte doch nicht so viel sein! Aber wie soll er an das Geld dafür kommen? Er würde auf keinen Fall betteln. Doch dann kam ihm eine Idee. Aber konnte er das wirklich machen? Wieder biss er sich auf die Unterlippe, blieb vor einem Laden stehen, sah hinein und beobachtete die Personen dort drin. Ohne zu überlegen, lief er los, als die erste Person den Laden wieder verließ, rempelte den Mann an und schaffte es tatsächlich, ihm seine Geldbörse aus der Hosentasche zu ziehen. Mit schnellen Schritten lief er weiter, zog die Geldscheine heraus, die er sich selber einsteckte und warf den Rest, den er nicht brauchte, in den nächsten Mülleimer. War er so gut, oder war es so einfach? Ihm war es egal. Es hatte funktioniert und das wird es bestimmt noch einmal. Er brauchte doch nur genug Geld für eine Nacht im Hotel. Mit Frühstück! Um alles Weitere könnte er sich am nächsten Tag Gedanken machen. Wahrscheinlich hätte er dann schon die Nase voll und würde wieder nach Hause gehen. Als er einen Mann im Anzug entdeckte, der telefonierte, sah er eine weitere Chance. Der Mann hatte doch bestimmt genug Geld bei sich, oder andere Wertgegenstände, die er in Geld umwandeln könnte. Gerade, als er die Hand ausstreckte, wurde er am Handgelenk gepackt und zur Seite gerissen. Vor Schreck fiepste er auf und starrte den Mann vor sich mit großen Augen an. Noch einer im Anzug? „Na na! Habe ich das gerade richtig gesehen? Was wird die Polizei dazu sagen? Oder deine Eltern?“ Ach du … „Ein kleiner Dieb?“ Fragte der andere Mann auf einmal, der sein Telefonat beendet hatte. Beide sahen ihn mit einem breiten Grinsen an. „Es tut mir leid.“ Sagte er sofort und versuchte, seine Hand aus dem Griff zu befreien. „Bitte… ich verschwinde auch sofort!“ Als er von seiner Hand hochsah, entdeckte er noch einen Mann in Anzug. Was war denn los, dass hier nun jeder einen Anzug trug? Fand hier irgendwo ein Geschäftsmeeting statt? „Es wäre traurig, wenn meine Männer sich von einem Kind beklauen lassen würden.“ Lachte der Mann auf einmal und sah ihm in die Augen. Sie sahen so ernst aus, so böse und doch war da noch etwas anderes in ihnen zu sehen. Doch er konnte nicht genau sagen, was es war. „Wo sind deine Eltern?“ Fragte er ihn und trotzig sah er zur Seite. „Die haben mich rausgeworfen.“ Nuschelte er leise und wurde losgelassen. „Dann komm mit uns mit.“ Fragend sah er ihn an, doch der Kerl lächelte noch immer. „Wie heißt du?“ „Yutaka.“ „Dann komm mit uns, Yutaka.“ Damit ließen sie ihn stehen. Sie schienen nicht einmal sauer zu sein, dass er versucht hatte, sie zu beklauen. Aber warum? Ohne es wirklich zu merken, begann er, ihnen hinterher zu laufen. Er wusste nicht warum, aber irgendwie hatte er etwas an sich, dass er glaubte, ihm vertrauen zu können. Und es war allemal besser, als die Nacht auf der Straße zu verbringen! Wenig später stieg er aus dem Auto aus, sah sich um und lief einen Gang entlang an dessen Ende ein großer Raum mit vielen Tischen und Stühlen war, ehe sie einen weiteren Gang betraten. Er sah viele Türen links und rechts, hörte ein paar Stimmen, die sich unterhielten, ehe ein Schreien zu hören war. Sofort blieb er stehen und sah die Männer an, die ihn mitgenommen hatten. „Bitte warte doch!“ Hörte er eine verzweifelte Frauenstimme, ehe er sah, wie jemand um die Ecke gerannt kam, die vor ihnen lag. Er sah blonde Haare und ein verbundenes Gesicht, ehe der Junge in ihn rannte und sie beide zu Boden gingen. Erschrocken keuchte er auf und sah dem anderen Jungen in die Augen. Er schien Angst zu haben und sein Gesicht war voller Blut. Doch er hatte irgendwie keine Angst vor diesem Jungen, oder schreckte wegen dessen Anblick zurück. Stattdessen lächelte er ihn nur an. „Ich bin Yutaka.“ Stellte er sich ihm vor. Sein Gegenüber wirkte kurz etwas irritiert, lächelte dann aber auch, bewegte sich aber keinen Millimeter. „Hi Yutaka. Ich bin Akira.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)