Shots. von voltech (Beyblade Business Verse) ================================================================================ Kapitel 1: One Shot. -------------------- Boris schüttelte den letzten Tropfen ab, schloss seine Hose und betätigte die Spülung des Urinals. Seine Lippen kribbelten; ein sicheres Zeichen dafür, dass er sein Limit an Alkohol erreicht hatte und auf Wasser umsteigen sollte. Er trat ans Waschbecken, drehte das Wasser auf und wusch sich die Hände. Er hielt kurz inne. Dann wusch er sie nochmal. Und noch ein drittes Mal. Aller guten Dinge waren immerhin drei, nicht? Er konnte gute Dinge gerade gut gebrauchen. Es stand in nächster Zeit viel an. Boris warf einen Blick in den Spiegel. Ach, fuck. Was hatte er sich auch überreden lassen, mit den Spießern seines Verhandlungsteams mitzugehen. Immerhin hatte ihr Auftraggeber sie alleine ziehen lassen. Er atmete tief durch und maß sein Spiegelbild eines weiteren Blickes. Er sah gut aus. Das Hemd, das Yuriy ihm zum Geburtstag geschenkt hatte, war sauber, das Jackett noch nicht verknittert, er selbst zwar betrunken, aber nicht zu sehr. Er konnte das. Es war immerhin nur ein Abend. Er musste sich nicht amüsieren, nur einen guten Eindruck bei den japanischen Kollegen hinterlassen. Boris wandte sich ab, trat mit klopfendem Herzen zurück ins Halbdunkel der Bar. Es spielte leise Musik im Hintergrund, der Schuppen war generell recht nobel - aber nicht so nobel, dass sie Getränke an die Tische brachten. Vorhin hatten sich seine Arbeitskollegen noch um den Barkeeper geschart, hatten die japanischen Kollegen von McKinsey mit ihrer Lautstärke erbleichen lassen als sie bestellt hatten. Nun waren sie am Tresen nicht mehr zu sehen. Boris runzelte irritiert die Stirn, ehe er eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm: Jemand winkte. Er sah genauer hin, erkannte die Kollegin, die aus der Zweigstelle in Hong Kong gekommen war. Miriam - Mariam? Zögerlich erhob er die Hand, um die Geste zu erwidern. Sie hatte auch irgendwas mit Beyblades zu tun, wenn er sich recht erinnerte. Er war beim Briefing zu sehr auf die verhandlungsrelevanten Informationen konzentriert. Boris bahnte sich einen Weg zu den zwei Stehtischen, die seine Kollegen erobert hatten, und gesellte sich zögerlich hinzu. Es wurde laut, weil ihn alle zugleich begrüßen wollten: Sie schienen alle weitaus weniger nüchtern zu sein als er. Irgendjemand schlug ihm kräftig auf die Schulter, und er fuhr zusammen, riss sich aber gerade noch am Riemen und hinderte sich damit daran, den Übeltäter zu ergreifen und ihm den Arm zu brechen. Derselbe jemand - hieß er Vladimir oder war das der andere Kerl, den eigentlich niemand leiden konnte? - drückte ihm einen Drink in die Hand. Boris nahm ihn an, nickte zum Dank und schnupperte. Es roch herb und war definitiv nicht Vodka. Das war ungewöhnlich für seine russischen Kollegen; sie lebten das Klischee manchmal zu sehr. Es folgte ein halb gelallter Trinkspruch, der einen ihrer Vorgesetzten verfluchte, der ein verficktes Arschloch war - in Boris hinterließ das ein seltsames Gefühl - und sie tranken mit einem “Kampai!”. Boris befand, dass er dieses seltsame Getränk mochte. Er konnte seine Farbe nicht erkennen, aber es schmeckte seltsam rauchig, brannte im Rachen - anders als guter Vodka - und hinterließ einen süßlich-herben Nachgeschmack. “Was ist das?”, fragte er an seinen freundlichen Spender - Vladimir? Vitali? Ach verdammt, der Kerl war doch mit ihm in der Moskauer Abteilung - gewandt. Dieser hob prostend sein Glas: “Whisky”, erklärte er, und Boris nickte als hätte er eine Ahnung vom Getränk. “Gut”, brummte er zur Antwort. “Nicht wahr? Das hier ist der einzige Schuppen in dem man den Whisky bekommt”, erklärte Vladimir-oder-Vitali eine Spur zu laut eine Spur zu Nahe an seinem Ohr auf Russisch. Boris musste sich zusammenreißen, ihn gewaltsam von sich wegzuschieben und trat einen halben Schritt von seinem Kollegen zurück. “Er hat als erster japanischer Whisky einen Preis gewonnen!” Boris nickte anerkennend. Das motivierte seinen Kollegen, weiter von diesem Whisky zu schwärm-lallen. Der Kollege hieß Vitali. Er war genau der, den im Büro in Moskau niemand leiden konnte und den in St. Petersburg aus irgendeinem Grund alle liebten. Boris bewegte sich unauffällig noch einen weiteren Schritt zur Seite, um den ausschweifenden Gesten des Kollegen auszuweichen, und wünschte sich, Kolja würde nicht mit Fieber in Tartu das Bett hüten. Wäre sein estnischer Lieblingskollege hier, könnten sie gemeinsam abziehen und über Vitali und ihren Auftraggeber lästern. “He can’t hold his spirits, can’t he?”, schaltete sich plötzlich die Kollegin aus dem Büro in Hong Kong ein, die sich in seine Richtung lehnte. Sie war kleiner als er, und Boris fiel auf, dass sie zwei Knöpfe ihrer Bluse geöffnet hatte. Er bemühte sich, nicht zu genau hinzusehen. Sie schnalzte missbilligend mit der Zunge. “Dabei ist das Moskauer Büro berüchtigt für seine Saufgelage”, fügte sie grinsend hinzu. “Nope”, bekräftigte Boris mit einem schiefen Grinsen. “Alles nur Gerüchte” Die junge Frau grinste breit und streckte ihm die Hand entgegen. "Ich weiß, wir sind uns schon vorgestellt worden, aber es waren zu viele Namen und Details”, entschuldigte sie sich, ehe sie sich vorstellte. Ihr Händedruck war ungewöhnlich fest. “Mariam" Boris sah ihr in die Augen. "Boris”   ---   Er quetschte sich neben zwei Frauen an das letzte Waschbecken und beugte sich sehr weit vor, um sein Gesicht im Spiegel zu betrachten. Seine Füße taten weh, scheiß Schuhe, und er sah aus, als hätte er schon drei Tage durchgefeiert. „Hör mal, Kai“, äffte er murmelnd die Stimme nach, die schon den ganzen Tag in seinem Kopf widerhallte, „Hör mal, das muss nicht unbedingt stimmen. So ein verficktes Arschloch…“ „Chill mal, Süßer“, sagte die Frau neben ihm mit einer sehr tiefen Stimme und hielt ihm eine Packung Zigaretten hin. „Willste?“ Kai winkte ab, die Bewegung ließ ihn schwanken und Schmerz schoss durch seinen malträtierten kleinen Zeh. Wahrscheinlich hatte er eine Blase, auch das noch. Er wandte sich wieder seinem Spiegelbild zu und begann umständlich, seine Haare zu richten. Da draußen auf der Tanzfläche ging es heute ziemlich ab. Wahrscheinlich würde es ewig dauern, bis er Takao und die anderen im Getümmel wiederfand. Noch dazu in seinem jetzigen Zustand. Der letzte Shot war definitiv schlecht… Irgendwann war die Frau weg und an ihre Stelle trat ein Kerl in einem Muscleshirt, das Kai unfreiwillig in die Vergangenheit zurückversetzte. Ob man bei ihm auch immer so viel gesehen hatte? Der Typ bemerkte seinen Blick und grinste anzüglich, ein guter Grund für Kai, die Toilette zu verlassen. Geradeaus laufen ging noch, aber sobald Menschen im Weg waren wurde es schwierig, ihnen auszuweichen. Dummerweise waren hier überall Menschen. Als wäre er nicht schon gereizt genug – wenn er betrunken war, fiel es ihm schwerer, sein Temperament zu zügeln, vor allem wenn sein Nervenkostüm so überspannt war wie heute. Dabei hatte er eigentlich allen Grund zu feiern. Hör mal Kai, das muss nicht unbedingt stimmen … Was für ein Wichser! Immerhin betäubte der Alkohol seine brennenden Füße. Vielleicht konnte er sich zur Bar durchschlagen und dort ein bisschen verschnaufen, bevor er sich wieder auf die Suche nach seinen Freunden machte. Takao hatte einen ziemlich guten Instinkt entwickelt, ihn in Menschenansammlungen zu finden, also musste er einfach nur warten. Und wenn er schon mal da war konnte ein weiterer Drink auch nicht schaden, um endlich seine Laune ein bisschen zu heben. Immerhin war ihm nicht nur ein geschäftlicher Durchbruch gelungen, nein, heute war auch noch das monatliche Bladebreakers-Reunion-Treffen… Freude, Genossen! Er reckte den Hals, um sich zu orientieren und sah in einiger Entfernung die Leuchtreklame über dem Tresen. Dann schlug er den Weg in diese Richtung ein. Natürlich rempelte er unentwegt Leute an, die meisten waren aber betrunken genug, um ihm das nicht übel zu nehmen. Bis er schließlich geradewegs in jemanden hineinlief. Er konnte nicht sagen, wie genau es passiert war, plötzlich strauchelte er und sein Gesicht landete im Rücken des fremden Kerls, dessen Körper ihm kurz viel zu nah war, bevor er zurückzuckte. „Pass gefälligst auf!“, fauchte Kai, der Fluch, der hätte folgen sollen, blieb ihm jedoch im Hals stecken als der andere sich zu ihm umdrehte. „Brooklyn?!“ Die Welt war doch ein verficktes Dorf… Diese Hackfresse hätte er überall wiedererkannt, auch wenn er sich nicht erinnern konnte, dass er schon immer so weit zu ihr hatte aufblicken müssen. Wann war der Typ denn so in die Höhe geschossen? Ob Brooklyn wirklich so lange brauchte wie er tat, um ihn ebenfalls zu erkennen, war fraglich, aber schließlich hoben sich die rotblonden Augenbrauen und er sagte: “Kai Hiwatari, was für ein Zufall.” Dann flog sein Blick einmal an Kai hinab und wieder herauf. “Gut siehst du aus.” “Jaja”, grollte er zurück und verdrehte die Augen, “Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen, wo sind denn deine Streifen, hattest du nicht mal mehr Muskeln, was ist das für ein Outfit, blabla... Schön dich zu sehen Brooklyn, ich muss jetzt weiter, will mich noch betrinken.” Und mit diesen Worten schob er sich an dem anderen vorbei und hoffte, die Erinnerung an diesen Moment mit dem nächsten Shot killen zu können - doch da schlossen Brooklyns Finger sich um sein Handgelenk. Wäre er nüchtern gewesen hätte er einfach herumwirbeln und seine Faust in Brooklyns Gesicht versenken können, doch in seinem jetzigen Zustand brachte der plötzliche Zug an seinem Arm ihn beinahe aus dem Gleichgewicht. Verdammte Schuhe…! “Was?!” Brooklyn lächelte unschuldig. “Ich wollte eigentlich sagen: Was für eine Überraschung, dich hier zu sehen, ohne deine Streifen hätte ich dich fast nicht erkannt aber gut siehst du aus daher frage ich mich, darf ich dir einen Drink kaufen und wir unterhalten uns ein bisschen über die gute alte Zeit?” Er hielt inne. “Allerdings wirkst du nicht so, als hättest du gerade einen Nerv dafür. Das letzte Mal habe ich dich so aufgebracht gesehen als Hitoshi dich von der Seitenlinie aus beleidigt hat - wie viele Jahre ist das jetzt her?” Er wich zurück als er plötzlich Kais Zeigefinger unter der Nase hatte und ein Paar roter Augen ihn im Halbdunkel anblitzten wie zwei glühende Kohlen. Kai atmete einmal tief durch. “Halt einfach die Fresse”, sagte er dann gepresst. “Und erwähne diesen Namen nicht!” Natürlich hielt Brooklyn sich nicht daran. Er folgte Kai beharrlich bis zur Bar und besaß die Dreistigkeit, sich einen Drink zu bestellen. Immerhin konnte Kai ihn davon abhalten, für sie beide zu bezahlen. Er schwieg sich aus, doch Brooklyn ließ sich nun nicht mehr vertreiben. “Also”, sagte er schließlich, “Was hat Hitoshi dir getan? Lass mich raten, es hat irgendwas damit zu tun, dass er der neue Leiter der BBA ist.” Kai verdrehte die Augen. “Er hat ein Problem mit meiner Firma”, murmelte er in sein Glas und, als er Brooklyns auffordernden Blick bemerkte: “Er hat behauptet, Hiwatari Enterprises besäße ein Monopol auf Beyblade-Teile, wenn wir so weitermachen wie bisher.” “Und hat er recht damit?” “Natürlich hat er recht! VolTech ist jetzt schon die bekannteste Marke, aber eben auch die beste. Und die Verträge, die noch mit Daitenji-san ausgehandelt wurden, spielen uns wirklich gut in die Hände. Aber Kinomiya will ja unbedingt ein vielfältiges Angebot sichern. Dabei haben selbst seine eigenen Berater gesagt, dass die Indielabels nur Schrott produzieren. Und dass er so auf sie besteht, hat doch auch nur finanzielle Gründe: Wenn Beyblade-Teile in den BBA-Katalog aufgenommen werden sollen, müssen sie geprüft werden, und mit dieser Prüfung verdient sich die BBA dumm und dämlich. Und mir kommt er dann mit Anschuldigungen, dass ich monopolisiere. Nur weil wir Switchblade gekauft haben - die waren doch eh am Ende nach dem Skandal um ihre Angriffsringe! Und hätten wir sie nicht gekauft, hätte er mir auch daraus einen Strick gedreht. Von wegen Kartell und geheime Absprachen.” Er machte eine Pause, um noch mehr von seinem Drink hinunterzustürzen. “Ich hätte mir das ja alles gefallen lassen - ehrlich, ich habe nichts gegen harte Verhandlungen, sie sind spannend, sie machen Spaß. Aber Kinomiya war dabei so verdammt herablassend und unhöflich. Ist er übrigens immer, wenn wir uns sehen. Warum muss ich mich, wenn wir inmitten unserer Mitarbeitenden und Geschäftspartner sitzen, von ihm mit Vornamen anreden lassen, während ich brav Kinomiya-kacho zu ihm sage? Er denkt, er kann alles mit mir machen, weil ich ohne die Verträge mit der BBA keine Teile verkaufen kann, aber ganz ehrlich - was ist sein verdammtes Problem?” Brooklyn stützte das Kinn in die Handfläche. “Du blühst ja richtig auf, wenn du dich aufregst”, sagte er verträumt. Kai blieb kurz der Mund offen stehen. “Brooklyn, ganz ehrlich … Deine Mama blüht auf wenn sie sich aufregt.” Diese Worte ließen ihr Gespräch zunächst sterben. Brooklyn versuchte immer noch, zu verstehen, wovon Kai in den letzten Minuten gesprochen hatte. Auch er war nicht mehr ganz nüchtern. “Also... “, sagte er langsam, “Liegt ihr beide euch in den Haaren weil du ein Konkurrenzunternehmen gekauft hast?” “Ja, so ungefähr.” Bei der Erinnerung an die Verhandlung musste Kai kurz lachen. “Zumindest ist er jetzt sehr beleidigt. Aber es war herrlich, zu beobachten, wie er sich an uns die Zähne ausgebissen hat. Und dann sind ihm auch noch die Consultants, die er extra angeheuert hatte, in den Rücken gefallen.” Er grinste Brooklyn an. “Nicht, dass Hitoshi je eine Chance hatte. Ich habe den besten Compliance Officer der Welt, wenn der sagt, ich kann die Firma kaufen, dann mache ich das auch.” “Verstehe”, murmelte Brooklyn und fragte sich, was zur Hölle ein Compliance Officer war. Endlich hob Kais Laune sich. Klar, Hitoshi hatte sich benommen wie ein Elefant im Porzellanladen, aber damit war er ordentlich auf die Fresse gefallen. Und gegen die Bürokratie von Hiwatari Enterprises war kein Kraut gewachsen. “Ich sag dir, Brooklyn”, meinte Kai, “seine Risikoeinschätzung… Ein wahres Kunstwerk.”   ---   “Ist es normal, dass die alle übers Heiraten reden?”, Mariam deutete wenig später - sie hatten sich neue Drinks besorgt - auf die Kollegen ihnen gegenüber, die gerade in eigenen Sphären weilten. Svetlana demonstrierte ihren japanischen Kollegen stolz ihren Verlobungsring. Boris zuckte mit den Schultern. “Sie haben alle zu viel Suits gesehen”, erwiderte er trocken und wackelte bedeutungsschwer mit den Augenbrauen. “Der Klassenfeind im Westen hat sie alle verdorben!” Mariam ließ ein grunzendes Geräusch hören als sie lachte. “Hey, die Serie war mal gut!”, sie hielt kurz inne, als Boris sie mit einem schiefen Blick musterte. Sie zuckte mit den Schultern: “Gabriel Macht ist heiß” Boris grinste süffisant. “Also ich finde Patrick J. Adams heißer” Mariam blickte ihn ungläubig an und gestikulierte in Richtung ihrer Stirn. “Was? Aber er hat so eine hohe Stirn!” - “Und Macht ist alt”, konterte Boris keck. Sie lachten, ehe Mariam das Gespräch in eine andere Richtung lenkte: “Und was bringt dich dazu, Mütterchen Russland den Rücken zu kehren? Doch nicht etwa Adams’ hohe Stirn?” Boris grinste schief und hob prostend sein Glas. “Der Klassenfeind zahlt gut”, erklärte er mit einem Augenzwinkern, womit er Mariam ein erneutes Lachen entlockte. Sie tranken aus. Nun kribbelten nicht mehr nur Boris’ Lippen: Sein ganzes Gesicht fühlte sich heiß an und war bestimmt rot gefleckt. Yuriy zog ihn dafür immer auf. “Wir müssen anstoßen!”, Vitali kam mit einem Tablett voll Vodka-Shots zu ihnen und teilte großzügig aus: Jeder bekam zwei Gläser vor die Nase gesetzt. Irgendjemand beschwerte sich darüber, dass es keine Salzgurken gab - zum Glück auf Russisch. Boris wusste, warum er nicht gerne mit den Kollegen unterwegs war: Die Russen übertrieben gerne, wenn sie im Ausland waren, die Amis führten sich auf, als würde ihnen das Land gehören, und insgesamt waren es alle Spießer. Bis auf einige wenige Ausnahmen. Jemand anderes fragte: “Worauf trinken wir?” Daraufhin hob Vitali sein Glas, um ernsthaft zu verkünden: “Auf Sveta und dieHochzeit!” Sie stießen an, alle Blicke auf die junge Frau gerichtet, die nicht im geringsten peinlich berührt wirkte, sondern glücklich lächelte und ihnen zuprostete. Der Vodka war billig und brannte unangenehm im Rachen. Da kam schon der zweite Trinkspruch, und die zweite Runde Shots wurde gekippt: “Und auf Boris und die Eier in seiner Hose!” Es folgten zustimmende Rufe von den anderen Russen am Tisch, während die japanischen Kollegen nicht zu wissen schienen, wo sie hinschauen sollten. Boris kippte den zweiten Shot und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, dass ihm die Aktion peinlich war. Täuschte es ihn, oder war Mariams lächeln ein bisschen spöttisch? “Ich besorg uns neue Drinks”, erklärte er und flüchtete erstmal aus der Situation. Er konnte noch geradeaus gehen, aber die Menschen in seinem Weg waren ein Problem: Es war fast zu schwer, diesen auszuweichen, sie kamen ihm immer wieder gefährlich nahe. Er schien verzweifelt genug auszusehen, oder der Barkeeper fand ihn sympathisch - Boris wurde jedenfalls fast augenblicklich bedient, nachdem er sich zum Tresen vorgekämpft hatte. Er bekam ein Glas Wasser, auf die Cocktails, die er außerdem bestellt hatte, musste er kurz warten. Während er das Wasser hinunterkippte, zog Boris sein Smartphone aus der Hosentasche, freute sich über das freie W-Lan der Bar und öffnete seinen Messenger. Yuriys letzte Nachrichten, die er während der Verhandlungen empfangen hatte, waren noch ungelesen.   14:30 - Yuriy Ivanov Yuriy: Viel Erfolg bei den Verhandlungen. Ihr werdet es brauchen. >:)   22.36 - Yuriy Ivanov Boris: yura Boris: yurochka Boris: yurichenka Boris: die verhandlungen sind vorbei Boris: dein bericht war fucking genial Boris: !! Boris: können wir jetzt wieder freunde sein?   22.38 - Yuriy Ivanov Yuriy: Hast du getrunken? Yuriy: Nein das war rhetorisch. Yuriy: Die einzige Frage ist: Bist du mit Kai unterwegs oder mit den Spießern von McK?   22.42 - Yuriy Ivanov Boris: mck Boris: aber es ist auch ne bladerin dabei die is ok Boris: wir trinken   22.45 - Yuriy Ivanov Yuriy: Welche Bladerin? Hiromi (lol) Yuriy: дурак. Yuriy: золотой.   22.47 - Yuriy Ivanov Boris: nein mariam nie von gehört Boris: was jetzt? idiot oder goldstück?   22.48 - Yuriy Ivanov Yuriy: Warum nicht beides? Yuriy: Wir waren immer Freunde. Yuriy: Ich dachte eigentlich wir wären mehr als das ;)   22.50 - Yuriy Ivanov Boris: snd wr!! Boris: !! Boris: !!!   Boris tippe die letzte Nachricht, ehe er die Getränke ergriff, dem Barkeeper zuzwinkerte und zu Mariam zurückkehrte. Nach dem Glas Wasser war er etwas stabiler als vorher und schaffte es, bis zur Übergabe keinen Tropfen des Whisky-Cocktails zu verschütten. “Zweimal Oldfashioned”, verkündete er und reichte der jungen Frau ein Glas. Sein Smartphone vibrierte in seiner Hosentasche mehrmals. War Yuriy langweilig? Yuriy war selten gesprächig in Chats, außer es ging um Einkaufslisten oder wichtige Erledigungen. Oder ihm war langweilig. Mit wem war er heute unterwegs … ? Boris wusste nur, dass es irgendein Junior-Irgendwas aus der Firma war. Ein Grinsen zog sich über seine Lippen, während er das Smartphone erneut aus der Hosentasche zog. Hoffentlich war Yuriy langweilig! Betrunken und gelangweilt ließ er sich am ehesten dazu hinreißen, zu sexten - etwas, wozu ein nüchterner Yuriy nicht fähig war, was Boris immer wieder bedauerte. Seine neckische Stimmung verging jedoch in dem Moment, in dem er die Nachrichten sah: Boris schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Wie hatte er nur so blöd sein können?   22:51 - N30b01s Boris: ich zeig dir nachher wie sehr wir mehr als Freunde sind Boris: rawr   22:52 - N30b01s Ivan: please dont Sergej: (GIF von jemandem, der sich die Hände vors Gesicht hält und durch die Finger linst) Ivan: нет. изсвращенцы! Sergej: Will ich es wissen?   22:54 - N30b01s Yuriy: Ich glaube die Nachricht war nur für meine Augen bestimmt. ;*   23:00 - N30b01s Ivan: ich kann das nie wieder vergessen Ivan: nvm me, ich muss mein hirn bleichen   23:06 - N30b01s Sergej: (Katzen-GIF). Sergej: besser?   “Trouble in paradise?”, erkundigte sich Mariam, die Boris amüsiert beobachtete. Er schüttelte den Kopf, halb verneinend, halb über sich selbst: “Nur eine Nachricht falsch verschickt” Sie beobachteten ihre Kollegen eine Weile schweigend, während sie tranken. Vitali zeigte irgendwelche Fotos auf seinem Handy her, Sveta unterhielt sich mit einer der japanischen Kolleginnen, deren Name ihm entfallen war. “Dein Auftritt heut bei den Verhandlungen war so großartig”, meinte Mariam irgendwann, was dazu führte, dass Boris’ Gesicht sich erneut heiß anfühlte - allerdings nicht bloß wegen des Alkohols. Er räusperte sich peinlich berührt. “Ach was, ich hab’ doch nichts gemacht”, versuchte er zu überspielen. “Was?”, Mariam sah ihn mit großen Augen an. “Ich habe noch niemand gesehen, der Kinomiya so klar die Meinung gesagt hat! Normalerweise haben alle Schiss davor sich mit ihm anzulegen!” Boris kratzte sich peinlich berührt am Hinterkopf. “Ich warte ehrlich gesagt darauf, dass sie mich rauswerfen” “Das kann er nicht. Dein Rat war durchdacht und man hat gemerkt dass du dich auskennst. Und es ist nun mal wirklich so”, Mariam verzog abschätzig das Gesicht, während sie die Worte wiederholte, die er während der Verhandlungen früher am Tag Hitoshi Kinomiya jenseits aller Höflichkeit, die er sich mühsam antrainiert hatte, ins Gesicht gesagt hatte, “die Indie Label-Teile sind zu 97% einfach Schrott” “Das hat Kinomiya nicht so gut vertragen fürchte ich”, gab Boris zu bedenken, doch Mariam winkte ab. “Die BBA ist zwar ein wichtiger Kunde, aber vielleicht landen wir bei VolTech, das ist ohnehin spannender”, dachte sie laut, und Boris verkniff sich eine Bemerkung zum Thema. Es musste ja nicht gleich jeder wissen, dass Kai schon mehrmals versucht hatte, ihn von McKinsey abzuwerben. Dass er die lukrativen Angebote abgelehnt hatte, lag vor allem daran, dass er sich im Leben konsequent an den einen sinnvollen Rat hielt, den sein Vater jemals von sich gegeben hatte: Man scheißt nicht dort, wo man schläft. Er wollte darauf nicht weiter eingehen, weshalb er möglichst unauffällig vom Thema ablenkte. “Und du hast auch gebladet?”, erkundigte er sich also. Mariam nickte. “Es ist aber schon lange her, ich hab’ nach dem einen Jahr, in dem wir gegen die Bladebreakers angetreten sind, aufgehört”, erzählte sie. “An den Bladebreakers haben sich alle, die ich kenne, die Zähne ausgebissen”, Boris brummte. “Die Flachwichser hatten immer zu viel Glück” “Ich habe gegen Max Mizuhara gewonnen”, brüstete sich Mariam, dann seufzte sie. “Zweimal sogar. Und dann hat er gewonnen. Aber das waren alles keine Wertungsspiele. Bei der Japan-Meisterschaft lief alles dann weniger gut” Boris machte ein mitfühlendes Geräusch. “Ich habe bei einer Weltmeisterschaft Rei Kon fast besiegt”, teilte er seine Erfahrungen und ließ einige Details aus, auf die er nicht sonderlich stolz war. Mariam machte große Augen. “Was? Mein Bruder auch! Er hat ein paar Mal gegen Kon gebladet! Er hat auch gewonnen, aber das entscheidende Match ging dann an Kon” “Die Wichser haben einfach immer gewonnen. Und dann hat Hiwatari mir bei der Weltmeisterschaft danach meinen Platz im Tagteam geklaut”, beschwerte sich Boris. Mariam verzog das Gesicht. “Du wirst lachen, aber mein ehemaliger Teamkollege hat auch gegen Hiwatari verloren. Dass wir heut wieder gegen ihn verloren haben, schließt den Kreis von ungerechtfertigten Siegen von den Bladebreakers” Sie blickte in ihr Glas, während Boris schnaubte. “Der Sieg heute war leider verdient. Das lag aber nicht an Hiwatari. Hast du den Bericht von ihrem Compliance Officer gelesen?”, er machte eine Kunstpause, ehe er seine Einschätzung verlauten ließ. Dabei betonte er die Silben der folgenden Worte einzeln: “Wahre Kunst” Mariam seufzte. “Auch wieder wahr. Wer auch immer dieser Ivanov ist, er ist für den Job berufen” Boris’ Brust schwoll vor Stolz an; er hoffte, dass man es ihm nicht zu sehr ansah. “Darauf trinken wir!”, sie stießen ohne weitere Worte an.   ---   23.00 - Snegurotschka Kai: Hey mein Held der Arbeit, willst du deinen Bonus in Geld oder Naturalien ausgezahlt bekommen? ;*   23.10 - Snegurotschka Yuriy: Hey Lieblingsboss, wenn du nicht willst, dass Boris dein hübsches Näschen platthaut, überweist du mir ein Sümmchen aufs Konto :*   23.11 - Snegurotschka Kai: Aww Yurenka, ich habe doch gerade all mein Geld für Billofirmen ausgegeben. Aber für dich gebe ich auch mein letztes Hemd! Kai: Seid ihr unterwegs?   23.15 - Snegurotschka Yuriy: Du weißt was sie sagen, kaufe billig und du kaufst zweimal. Deswegen bin ich auch so teuer. Yuriy: Boris ist mit McK weg. Und ich stecke bei Yuuya fest. Der Junge verträgt nichts.   23.17 - Snegurotschka Kai: Aw shit, setz ihn in ein Taxi wenn es nicht mehr geht. Kai: Viel Spaß noch, Großer :)   Er schwankte ein bisschen hin und her, während er tippte, doch es tat gut, sich auf diese eine Sache zu konzentrieren. Dann bemerkte er ungelesene Nachrichten in einem anderen Chat.   21.05 - la chispa Giulia: Kai mein Herz, wie war die Schnäppchenjagd? Feiern wir gemeinsam? Giulia: Kai? Giulia: Kaaaaaaaaaiiiiiiii Giulia: Dann eben nicht. Ich gehe mit Hiromi weg.   Kai lachte in sich hinein und steckte das Telefon weg. Dann fiel ihm auf, dass Brooklyn immer noch neben ihm saß. Den Kerl würde er so schnell wohl nicht loswerden. Er führte das Glas zum Mund und sah ihn einfach sehr herausfordernd an, doch ähnlich wie in ihrem ersten Beybattle wurde sein Blick einfach nur ruhig lächelnd erwidert. Es war unheimlich. Brooklyn schob sein eigenes Glas von sich weg, gab dem Barkeeper ein Zeichen und legte die Hand neben Kais Arm auf den Tresen. “Ich weiß eventuell, warum Hitoshi so mies drauf ist”, sagte er. Kai legte den Kopf etwas zurück - eine Haltung, die seinen Mitarbeitenden in Meetings sagte, dass er zumindest milde interessiert war - und grinste süffisant. “Sag nicht, es hat etwas mit Salima zu tun.” Über Takao hatte er erfahren, dass Hitoshi sie irgendwo in Kanada kennengelernt hatte. Ihre Beziehung war immerhin zwei Jahre lang gut gelaufen, bis sie sich von ihm getrennt hatte. Hitoshi war nie eine wirklich leidliche Person gewesen, doch spätestens ab diesem Zeitpunkt war er unerträglich. Dem offiziellen Ärger, den sie mit ihm hatten, war der persönliche Ärger vorausgegangen. Am Anfang war Hitoshi nämlich noch im Irrglauben gewesen, dass Kai nichts besseres zu tun hatte als mit ihm das Klischee des japanischen Geschäftsmannes zu erfüllen und die Nächte in irgendwelchen Spelunken durchzumachen. Irgendwann hatte Kai seine ständigen Anrufe einfach ignoriert. “Hm”, machte Brooklyn nun langgezogen, “Ja, ein bisschen hat es auch mit Salima zu tun. Hitoshi sitzt jedenfalls ganz schön auf dem Trockenen.” Kai schnaubte. “Aber das ist es nicht”, fuhr Brooklyn fort. In diesem Moment schob der Barkeeper zwei Shots zu ihnen. Auf Kais fragenden Blick hin machte er eine einladende Geste. “Du wirst ihn brauchen. Also. Vor ein paar Tagen habe ich unseren Freund getroffen - wir machen das so einmal im Monat, der alten Zeiten wegen. Da hatte er gerade alle Hände voll damit zu tun, dir deinen Deal zu versauen - ich wusste allerdings nicht, dass es um VolTech geht. Ich habe ihn also aus dem Büro geschleift und ein wenig betrunken gemacht. Tja, und plötzlich war seine Zunge ganz gelöst.” “Spann mich nicht so auf die Folter, Brookie”, sagte Kai und merkte plötzlich, dass er etwas lallte, “Was für dreckige Geheimnisse hat er ausgeplaudert?” “Nun.” Brooklyns Zeigefinger fuhr am Rand seines Glases entlang, bevor er abrutschte und es damit beinahe umstieß. Er schnalzte mit der Zunge, dann erinnerte er sich wohl daran, was er sagen wollte. “Nun, Hitoshi hat ein kleines… Problem. Jemand hat ihm ganz schön den Kopf verdreht, und das schon vor Jahren. Salima sollte ihn ablenken, aber das hat nicht funktioniert - natürlich nicht. Diese… Person verkehrt außerdem in ziemlich hohen Kreisen und Hitoshi sieht sie eigentlich immer nur im geschäftlichen Kontext - weshalb er ihr dann imponieren will, aber irgendwie erreicht er damit immer nur das Gegenteil. Jedenfalls ist er gerade ziemlich sauer auf sich selbst und weiß nicht wirklich, was er noch machen soll.” “Oh je”, sagte Kai theatralisch. “Wer ist denn die arme Frau? Eigentlich müsste ich sie kennen. Mit so vielen Leuten aus hohen Kreisen hat er ja nicht zu tun.” Wenn er ehrlich war, so fiel ihm überhaupt niemand ein außer vielleicht Judy Mizuhara, die sowohl eine entsprechende Position als auch mit Hitoshi zu tun hatte. Aber das war unwahrscheinlich. “Ach Kai...”, sagte Brooklyn und seufzte, “Die Person ist ein Mann. Und ja, du kennst ihn. Ziemlich gut sogar.” “Oooh.” In Kais alkoholvernebeltem Hirn begann es zu arbeiten. Angestrengt ging er alle Geschäftsführer von Beyblade-Herstellern und sämtliche Shareholder der BBA durch, doch entweder waren sie zu alt oder zu unwichtig. Während es einige Minuten lang still zwischen ihnen blieb, wandte Brooklyn nicht eine Sekunde den Blick von ihm ab. Seine Mimik verkam zu einem undurchdringlichen Starren und Kai begann sich zu fragen, was das sollte. Und dann wurde ihm sehr, sehr langsam klar, was der andere ihm sagen wollte. Genauso langsam entgleisten seine Gesichtszüge. “Nein.” “Tja, mein Lieber”, sagte Brooklyn, “Du hast einen Verehrer.” “Ебанные пассатижи!”, stieß er aus, dann griff er nach dem Shotglas und stürzte dessen Inhalt hinunter.   23.55 - Snegurotschka Kai: Yurotschka mein Teuerster Kai: Роднулечка Kai: Du hast mal gesagt, du würdest alles für mich tun.   23.56 - Snegurotschka Yuriy: Kajuscha mein Goldstück Yuriy: Da war ich sehr betrunken und brauchte Geld Yuriy: Was ist denn los?   23.57 - Snegurotschka Kai: Hitoshi Kinomiya steht auf mich. Kai: Kannst du so tun als wärst du mein Freund, damit ich ihn loswerde?   23.57 - Snegurotschka Yuriy: Ahahahahahahahahahahahahahahahahaha Yuriy: Jetzt bist du gefickt. Yuriy: :D   23.59 - Snegurotschka Kai: Ich bitte dich. Kai: Yurek. Kai: Лапочка. Kai: Du bist der beste Teamchef den ich je hatte. Kai: Bitte.   00.01 - Snegurotschka Yuriy: Geh nach Hause und schlaf deinen Rausch aus, Kai. Bitte. Yuriy: Oder sag Boris, dass er zu dir kommen soll. Dann brauche ich mir um euch beide keine Sorgen zu machen. Yuriy: Oder zumindest muss ich nur an einem Ort nach euch suchen.   “Noch einen Shot?”, fragte Brooklyn scheinheilig und Kai nickte. Nach so einer Nachricht konnte er sich auch ganz abschießen. Glück im Spiel, Pech in der Liebe, dachte er bei sich - datingmäßig war er ganz schön am Arsch, seit er zum Geschäftsführer aufgestiegen war. Die Flirts zwischen ihm und Yuriy waren nur zum Zeitvertreib, wenn er auch offen zugab, dass er seinem ehemaligen Teamchef ganz und gar nicht abgeneigt wäre. Aber Boris war ihm nunmal schon vor Jahren zuvorgekommen. Und die Knutschereien mit Giulia, die immer mal wieder passierten, zählten eigentlich auch nicht. Giulia! Sein Kopf, den er müde auf seine verschränkten Arme gelegt hatte, schoss wieder nach oben. Beinahe hätte er in der Bewegung Brooklyn das Shotglas aus der Hand geschlagen. Hastig kramte er sein Handy wieder heraus und schrieb an die Spanierin, um herauszufinden, wo Hiromi und sie waren. Vielleicht konnten die Frauen ihm den Abend retten. Nach dem Senden wandte er sich wieder zu Brooklyn und stürzte den nächsten Shot herunter. Inzwischen hegte er den leisen Verdacht, dass sein Gegenüber die Gunst der Stunde nutzen und ihn richtig abfüllen wollte. Die Motivation dahinter war ihm nicht ganz klar - er konnte sich irgendwie nicht vorstellen, dass Brooklyn ernsthaft auf ihn stand, also wollte er ihn vielleicht nur auf die Straße kotzen sehen oder etwas ähnlich Peinliches. Er konnte ja nicht wissen, dass Kai in seinem ganzen Leben nur zweimal von Alkohol hatte kotzen müssen: Einmal auf seiner eigenen Abschiedsfeier, als er aus der BBA ausgetreten war, und dann noch einmal, nachdem er seinen Arbeitsvertrag als Geschäftsführer von VolTech unterzeichnet hatte.   ---   Sie hatten ihre nächsten Drinks noch nicht ausgetrunken, da kam Vitali schwer auf Svetlana gestützt an den Tisch. Er war sturzbetrunken und hatte einen auffälligen Fleck auf seinem Hemd, der nach halbherzig ausgewaschener Kotze aussah. Boris wechselte einen Blick mit Sveta, die alles andere als glücklich über ihr Los aussah. Boris war nicht einmal aufgefallen, dass der andere Russe nicht da war: Er hatte mit Mariam über Beyblade-Teile gefachsimpelt und nicht darauf geachtet, was rund um sie passierte. Er war wohl doch betrunkener als er dachte. Immerhin stand er noch recht gerade - wenn auch schwer gegen den Tisch gelehnt. Sveta sah ziemlich unglücklich aus und Boris lernte einen weiteren Grund kennen, weshalb niemand im Moskauer Büro Vitali leiden konnte. Er soff und vertrug nichts. “Und das nennt sich Russe”, murmelte er kopfschüttelnd, während Sveta sich wortreich bei den japanischen Kollegen entschuldigte und mehrmals verbeugte. Fuck, seine Zunge war schwer unter Kontrolle zu halten. Sein Murmeln war wohl auch etwas zu laut: Vitali hob träge den Kopf und stierte ihn böse an. Boris erwiderte seinen Blick amüsiert. Mariam neben ihm schnaubte und leerte ihr Glas. “Bei dem vergeht mir echt die Lust zu feiern. Lass uns woanders hin”, hatte sie die wohl beste Idee des Abends. Boris holte sein Handy hervor. “Ein paar Freunde von mir sind auch unterwegs”, Yuriy auch noch, hoffte er. “Ich schreib ihnen mal” Tatsächlich erwartete ihn eine neue Nachricht seines Freundes. Wow, ihm musste unglaublich langweilig sein. Der Inhalt der Nachricht ließ ihn sehr unmännlich kichern.   00:04 - Yuriy Ivanov Yuriy: lol Yuriy: Kai hat einen Verherer und du errätst nie wer :* Yuriy: *VEREHRER   00:05 - Yuriy Ivanov Boris: lol Boris: wer?   00:05 - Yuriy Ivanov Yuriy: Rate!   00:06 - Yuriy Ivanov Boris: takao   00:06 - Yuriy Ivanov Yuriy: Guter Gedanke, aber nein.   00:07 - Yuriy Ivanov Yuriy: Rate weiter.   00:07 - Yuriy Ivanov Boris: komm zu mir & verrats mir Boris: der eine mck hat schon gekotzt. laaaaaame   00:09 - Yuriy Ivanov Yuriy: Yuuya hat mich auch schon fast vollgekotzt   00:10 - Yuriy Ivanov Yuriy: Schreib Kai.   00:11 - Yuriy Ivanov Boris: :-(   Yuriy war mit Yuuya gestraft? Der Kleine klebte ohnehin an seinen Versen wie eine lästige Klette, wenn er nicht gerade hinter Hiwatari her dackelte. Boris verdrehte die Augen. Yuuya war schuld, dass Yuriy nicht mehr in Feierlaune war! Boris’ scrollte in seiner Kontaktliste nach unten und klickte auf den Namen, unter dem er Kai eingespeichert hatte. Kai zu schreiben war auf seiner Prioritätenliste des Abends nicht weit oben. Vielleicht war er ja besoffen, dann konnte er ihm wenigstens ein paar Shots aus der Tasche leiern. Etwas musste dem anderen seine Aktion bei der Verhandlung schon wert sein. Und vielleicht konnte er dann noch ein wenig aufs schlechte Gewissen drücken, weil Kai zu viel mit Yuriy flirtete. Er quälte Hiwatari einfach zu gerne.   00:15 - Mister Burns Boris: yura hat gesagt du bist auch unterwegs Boris: mck ist langweilig Boris: wo hängst du rum?   Er wurde aus den Gedanken gerissen, als plötzlich jemand seinen Namen sagte. “Kaaaaiii… Da bist du jaaaa.” Zwei Arme schlangen sich um seine Taille und hätten ihn beinahe von seinem Barhocker gezogen. Als er über die Schulter nach hinten blickte, erkannte er im Halbdunkel einen blau schimmernden Haarschopf. “Takao”, stellte er fest, “Wo hast du die anderen gelassen?” Takao war auch längst nicht mehr nüchtern. Wie auch, sie hatten die ersten Gläser Sake schon im Dojo getrunken. Auf Kais Frage reagierte er gar nicht, sondern griff sich resolut einen Barhocker und wuchtete ihn zwischen Kai und Brooklyn, bevor er ihn erklomm. “Heey Brooklyn”, grüßte er lallend und Kai war erstaunt, dass er seinen Gegenüber überhaupt erkannte. Doch dann vereinnahmte Takao ihn ganz für sich. “Kaaii. Warum ist sie immer noch so wütend auf mich?” Er meinte Hiromi. Natürlich meinte er Hiromi. Seit zwischen den beiden Schluss war, versuchte er herauszufinden, was schief gelaufen war. Inzwischen tat er Kai ein bisschen leid, denn es war ja schlicht und ergreifend so, dass er einfach nur zu viel zu schnell gewollt hatte. Hiromi war generell nicht sehr begeistert, wenn jemand sie beziehungstechnisch von den Füßen reißen wollte. Aber wie sollte man das erklären, vor allem ohne zu wissen, ob Hiromi Takao unter anderen Umständen wieder zurücknehmen würde? “Shots!”, rief Takao in diesem Moment und so laut, dass Kai kurz zurückzuckte, “Shots für mich und meinen bes… meinen besten Freund hier!” Er schlang rührselig einen Arm um Kais Schultern. “Er ist mein ältester Rive...Rila...Rivale!”, erklärte er Brooklyn und dem Barkeeper. “Ich liebe diesen Mann!” Mit diesen Worten griff er in Kais Gesicht, drückte ihm die Finger in die Wangen, sodass seine Lippen zu einem Kussmund zusammengequetscht wurden. “Er ist so hübsch, oder? Ist er doch? Leider...single as fuck. Kai wie machst du daaas.” Brooklyn verzog traurig das Gesicht und Takao mimte diesen Ausdruck. “Du sollst doch glücklich werden, Kaaaii. So wie… wie Hiromi und… ich.” Noch während er diese Worte formte schien ihm aufzugehen, dass das was er sagte nicht stimmen konnte. Er dachte einige Minuten lang nach; leider vergaß er dabei, Kais Gesicht loszulassen. “Aww shit”, murmelte er schließlich. “Ich muss Hiromi finden. Kaaaiii? Weißt du wo sie ist?” Ohne eine Antwort abzuwarten fing Takao an, mit seinem Handy herumzufummeln. “Ich ruf sie an…” Er schwankte sehr auf seinem Hocker. Kai warf Brooklyn über Takaos Kopf hinweg einen alarmierten Blick zu, dann nahm auch er nochmal sein Handy zur Hand.   00:15 Miss Hermione Kai: Schätzchen, dein Romeo sucht nach dir. Kai: Wo auch immer du bist, GEH IRGENDWO ANDERS HIN. Kai: Du weißt, Takao hat einen sechsten Sinn.   Dann merkte er, dass er eine Nachricht von Boris bekommen hatte. Es fiel ihm zusehends schwer, die Worte zu entziffern, aber anscheinend war der Abend mit McK weitaus langweiliger als sein eigener. Und das musste schon was heißen. Sollte er Boris wirklich hierher lotsen? Den Mann, dem er vor Jahren einen Platz im Tagteam gestohlen hatte? Den Consultant, den Kinomiya bezahlte, damit er gegen ihn arbeitete? Den Lover seines Compliance Officers?? Ach, fuck it. Er schloss die App und schaltete das Display aus. Dann fiel sein Blick auf ein Shotglas vor seiner Nase. Wo war das denn hergekommen? Egal, er kippte es hinunter. “Heey.” Das war wieder Takao. “Hey! Das ist ja mein Bruder! Hirooooo! Hier sind wir!” Er reckte sich und winkte in den überfüllten Raum hinein. Kai spürte, wie das Blut aus seinem Gesicht wich, und auch Brooklyn sah angemessen geschockt aus. Beinahe gleichzeitig wandten sie sich um, in die Richtung, in die Takao winkte. Tatsächlich. Es war HItoshi Kinomiya. Er sah ziemlich mitgenommen aus und sehr daran interessiert, sich das Hirn wegzusaufen. Oder zu vögeln. Oder beides. Noch hatte er sie nicht bemerkt, doch das war nur eine Frage der Zeit, so wie Takao gerade alle Aufmerksamkeit auf sich zog. Kai überlegte nicht lange. “Losloslos!”, rief er Brooklyn zu, sprang von seinem Hocker - Schmerz, Schmerz in seinen Füßen, wie hatte er das vergessen können - und packte den anderen am Handgelenk. Takao ließ er sitzen, er durfte seinen Bruder ablenken und ihm so etwas Zeit verschaffen. “Weg hier!” Aus irgendeinem Grund konnte er in diesem Moment ein Kichern nicht unterdrücken. Er war lattenstramm, seine Schuhe brachten ihn um und er zog einen seiner ärgsten alten Rivalen hinter sich durch einen Club. Diese Nacht war einfach nur lächerlich! “Wohin gehen wir?”, fragte Brooklyn. Kai stieß die Eingangstür auf und kalte Nachtluft schlug ihm entgegen. Der Alkohol in seinem Blut meldete sich mit der Wucht eines Vorschlaghammers. Er hielt inne und Brooklyn lief geradewegs in ihn hinein. “Wohin gehen wir?”, wiederholte er. “Lavanderia”, murmelte Kai, dann drehte er sich zu Brooklyn um. “Ruf mal ein Taxi.” Er musste noch einen Anruf machen.   ---   Es dauerte eine Weile, bis sein Handy mit einem Vibrieren zum Leben erwachte und ein hackedichter Kai brüllte in sein Ohr als er abhob: “Borinka! Weiß-” Kai wurde durch ein Hicksen unterbrochen, ehe er den Satz nochmal ansetzte. Gott, war der besoffen. Boris verstand sein Lallen fast nicht. “Weißt du was du für ein Glück hast dass du mit Yura zusammen bist? Er is’ so klasse. Unfuckingfassbar! Er hat sogar euch dazu gebracht Kinomiya in den Rücken zu fallen” Boris hielt sein Handy grinsend ein paar Zentimeter von seinem Ohr weg. Hiwatari wurde zur reinsten Labertasche wenn er besoffen war, und in was für einer Lautstärke. Kinomiya konnte dagegen einpacken. Zugleich frohlockte Boris innerlich: Er hörte die Spendierhosen klingeln. “Dafür kannst du mir gleich ein paar Runden spendieren”, antwortete er also möglichst gelassen und versuchte, sein eigenes Lallen so gut es ging zu verbergen. “Deine Mutter-”, Kai hielt inne und ein Grinsen zog sich bei den nächsten Worten über Boris' Gesicht. “Nein du warst heut einfach zu hilfreich. Schmeiß dich in ein Taxi und komm ins Lavanderia damit ich dich mit deinem Gewicht in Schnaps dafür belohnen kann, dass du Hitoshi in den Rücken gefallen bist” “Hör mal”, echauffierte sich Boris, “Ich bin ihm doch nicht in den Rücken gefallen! Ich hab’ nur meine professionelle Einschätzung abgegeben” Er beglückwünschte sich dafür, wie eloquent er war, auch wenn er genug getrunken hatte. Davon ließ sich Kai nicht beeindrucken. “Jaja”, kam es da weitaus weniger eloquent von diesem, “jetzt hopp hopp, ich muss dir Drinks spendieren sonst mag mich Yura nicht mehr” Boris prustete und beendete das Telefonat. Dann sah er Mariam amüsiert an. “Wir treffen meine Freunde”, erklärte er ihr. Mariams Gesicht hellte sich auf. “Die klingen als wären sie weniger Spießer als die Leute hier”, gab sie ihm gerade so laut zu verstehen, dass nur er es hörte, und Boris nickte grinsend. Sie verabschiedeten sich von ihrer Runde und stahlen sich in Windeseile davon, um sich ein Taxi zu rufen.    Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)