Sintflut von Nordsee ================================================================================ Kapitel 9: Hey, schöne Frau... ------------------------------ "Hey, schöne Frau..." Wie beinahe jeden Morgen wird sie von einer Guten-Morgen-Nachricht begrüßt. Annabell kann da machen, was sie will, aber sie fühlt sich da jedes Mal aufs neue wie etwas Besonderes und das versüßt ihr die Tage immer und immer wieder. Sie hatte schon ein wenig die Befürchtung gehabt, dass er sich nach ihrem spontanen Treffen vielleicht etwas zurück zieht, aber den Eindruck macht zumindest diese Nachricht noch nicht. Sie will darüber auch nicht weiter nachdenken, sondern sie gibt den Gruß natürlich an Óskar zurück und danach ist sie wirklich bereit sich dem heutigen Tag zu stellen. Zwar hat sie an sich nichts vor, außer ein bisschen Haushalt, aber selbst das lässt sich mit guter Laune viel besser bewerkstelligen. Nach einem reichhaltigen Frühstück, legt Annabell dann auch schon los und sie wuselt wie ein Wirbelwind durch ihre eigenen vier Wände und sie ist am Ende schneller fertig als sie gucken kann. Gut, da bleibt mehr Zeit zum Entspannen. Prompt wird sie von ihrem Handy abgelenkt, welches irgendwo im Wohnzimmer kurz anfängt mit piepen, bevor es wieder verstummt. Neugierig schleicht sich Annabell dahin und lässt sich auf ihre Couch plumpsen, die sie mit einem leisen ‚uff‘ beinahe verschlingt, da sie so weich ist. Toni: Guten Morgen meine Knutschkugel. Amüsiert schielt Annabell auf ihre Uhr und sie kann nur grinsend den Kopf schütteln. Annabell: Jetzt hätte ich auch ausgeschlafen. Es ist gleich um eins. Mittags, wohlbemerkt. Toni: Na und? Es ist Wochenende, warum soll ich mich da schon am Morgen aus dem Bett quälen? Hast du was geplant, am Wochenende? Das war ja klar. Aber Annabell lässt Toni machen, diese war schon immer ein extremer Langschläfer und egal was für Argumente sie gebracht hat, sie wurden jedes Mal wieder ignoriert. Aber am Ende muss ja jeder für sich selbst wissen, was am besten für einen ist. Annabell: Nein, vielleicht schnappe ich mir gleich meine Inliner und drehe eine Runde übern Deich. Das Wetter heute muss noch mal genutzt werden, hier scheint uns beinahe wortwörtlich die Sonne aus dem Arsch. Deswegen wird sie sich wohl dann wirklich ihre Rollen unter die Füße schnallen. Zwar neigt Annabell sonst zur totalen Faulheit, aber bei ihren Inlineskates, da bekommt sie komischerweise ihren Hintern hoch und sie kann stundenlang auf den Dingern durch die Gegend kurven. Damit hat sie schon die eine oder andere schöne Stelle entdeckt und sie hat nicht vor demnächst damit aufzuhören, so lange zumindest das Wetter mitspielt. Toni: Wie langweilig. Willst du nicht lieber mal ausgehen? So lernst du doch nie jemanden kennen. Bei uns gießt es wie aus Kübeln, da beneide ich dich schon ein bisschen. Annabell: Wer sagt, dass ich nie jemanden kennenlerne? Ich habe hier oben vielleicht noch keine neue Freundin gefunden, aber deswegen lebe ich nicht abgeschottet. Und auf meinen kleinen Ausflügen lerne ich immer neue Menschen kennen. Das reicht mir und das weißt du. Auch wenn Annabell weiß, dass ihre Freundin nur das Beste für sie will, ihre ständige Nörgelei nervt zunehmend. Sie selbst muss doch wissen, mit wem sie sich wohl fühlt und wenn bis jetzt noch keiner ihr dieses Gefühl vermitteln konnte – außer Óskar, aber davon weiß Toni noch nichts – dann wird sie sich auch nicht in irgendwelche Freundschaften stürzen, welche sie am Ende nur unglücklich machen und das weiß Toni eigentlich auch. Annabell hat langsam das Gefühl, dass ihre Freundin durch ihren Umzug mehr leidet als sie selbst. Vielleicht, weil sie selbst zwar viele Bettbekanntschaften und auch kurze Beziehungen hat, aber direkte Freundschaften gehören nicht dazu. Viele kommen mit Tonis Art auf Dauer nicht klar und auch wenn Annabell selbst manchmal tierisch genervt ist, sie kennen sich seit dem Kindergarten und haben schon viel zusammen erlebt, da kann sie die Freundschaft nicht einfach so kündigen, auch wenn Toni noch so anstrengend sein kann. Jeder Mensch hat einen Freund verdient und auch wenn man sich mal streitet, deswegen muss man ja noch lange nicht getrennte Wege gehen. Das ist schließlich in einer Beziehung genauso. Toni: Ja, du hast ja recht, sorry. Ich vermisse dich einfach so sehr und fühle mich manchmal ganz schön einsam, weißt du das? Hier ist keiner mehr, mit dem ich einfach nur so verrückt sein kann, wie ich nun mal bin. Annabell: Ich vermisse dich auch, keine Frage. Wir werden uns auch sicherlich bald wiedersehen, schließlich hab ich vor Weihnachten zu meinen Eltern zu fahren. Ich hab dich lieb. Toni: Ich habe dich auch lieb! So wie es aussieht hat Annabell wirklich recht und Toni hat ganz schön an der Distanz zwischen ihnen zu knabbern. Aber sie ist optimistisch, dass sich das bald wieder legen und Toni ein bisschen ihre verrückten Handlungen ablegen wird. Nicht zu hundert Prozent, aber zumindest soweit, dass man keine Angst mehr haben muss, dass man bald in einer Sache drin steckt, in die man weder jemals hinein wollte noch überhaupt daran gedacht hat. Toni: Gibt’s eigentlich was Neues an der Oskar-Front? Irgendwas? Es musste ja irgendwann soweit sein. Annabell ist allerdings überrascht, dass ihre Freundin seit Wochen das erste Mal wieder danach fragt. Sie hätte nicht gedacht, dass die brünette Frau so lange Stillschweigen darüber hält, aber da muss sie sich eingestehen, sie hat sich in ihrer Freundin getäuscht. Aber das heißt jetzt noch lange nicht, dass sie ihr sofort jede noch so kleine Neuigkeit über sie und Óskar schreiben wird. Nein, da hat Annabell noch viel zu große Bedenken, dass Toni sich wieder in Dinge einmischt, die sie gar nichts angehen, beste Freundin hin oder her. Außerdem würde sie sich nur selbst in den Himmel loben, dass es ihr doch so super gelungen ist, dass nun reger Schriftverkehr zwischen Óskar und ihr herrscht. Auf keinen Fall ist Annabell dafür jetzt bereit. Zu gegebener Zeit wird sie es Toni schon noch erzählen, aber nun will sie selbst erst mal sehen, wohin genau die Reise mit ihnen führt, jetzt stehen sie erst einmal am Anfang von allen und es kann sich in wirklich jede erdenkliche Richtung entwickeln. Annabell: Was soll es schon neues geben? Genau genommen lügt Annabell auch nicht, schließlich heißt er ja Óskar und nicht Oskar, weswegen sie eigentlich gar nicht über den blonden, großen Mann reden… sie macht sich nur nicht die Mühe ihre Freundin darauf hinzuweisen, damit würde sie sich schließlich nur selbst verraten. Toni: Ach man und ich hatte gehofft, dass du endlich mal einen Mann abbekommst, der dich verdient. Das bringt Annabell wiederum zum schmunzeln. So verrückt und teilweise sehr unüberlegt Toni auch ist und handelt, sie macht sich am Ende doch nur Sorgen und will nur das Beste für ihre Mitmenschen, auch wenn sie da sehr oft übers Ziel hinaus schießt. Annabell: Ich weiß und irgendwo wird sich schon mein Deckel für mich komischen Topf verstecken. Pass auf, irgendwann fällt er mir von ganz alleine vor die Füße. Toni: Dein Wort in Gottes Ohr. Ganz automatisch wandern Annabells Gedanken zu Óskar. Bis jetzt scheint er rein vom Gefühl her schon ein ziemlich gut passender Deckel zu sein. Klar, viel kann sie darüber noch nicht urteilen, aber wenn sie einfach ihrem Bauchgefühl nachgehen würde, dann fühlt sich das schon sehr passend und toll an und das Kribbeln, was bei diesen Gedanken durch ihren Körper krabbelt, das verstärkt dieses Gefühl gleich noch mehr. Am späten Nachmittag ist Annabell dann wirklich mit ihren Inlineskates unterwegs. Immer am Deich entlang ist sie gefahren und hat sich den seichten Fahrtwind um die Nase wehen lassen. Durch einige Ortsteile ist sie schon durchgerauscht. Im Moment befindet Annabell sich in einer kleinen Einkaufspassage. Haufenweise Touristen strömen in die Läden und wieder hinaus und Annabell muss von ganz alleine daran denken, dass sie selbst vor nicht allzu langer Zeit ebenfalls so durch die Gänge und Läden gestromert ist. Im gemächlichen Tempo fährt sie zu einem der zahlreichen Cafés die in dieser Einkaufspassage vorhanden sind. Dort sucht sie sich einen freien Tisch und mit einer leichten Erschütterung lässt sie sich in einen der Korbstühle fallen, da sie doch mehr Schwung hat als gedacht. Ein wenig schwerfällig sortiert sie ihre Füße samt den Inlineskates unter den Tisch, bevor sie sich zurück lehnt. Ihr steht jetzt der Sinn nach einem Kaffee und nach einer Kugel Eis. Genau diese Genussmittel bestellt Annabell wenig später bei einer der freundlichen Bedienungen und sobald alles vor ihr auf dem Tisch steht, kann sie sich auch nicht mehr zurückhalten und genüsslich lässt sie sich das fruchtige Eis auf ihrer Zunge zergehen. Ab und an muss sie eine etwas zu neugierige Wespe verscheuchen, ansonsten ist sie recht ungestört und Annabell beobachtet teilweise belustig, teilweise verwundert die Passanten, welche weiterhin geschäftig durch die Passage wuseln. Manche voll beladen mit Einkaufstaschen, was wohl so viel bedeutet, dass sie erfolgreich bei ihrer Shoppingtour waren und andere, die haben nur ihren Rucksack dabei und sind von ihrer Neugier angetrieben nur in dieser Ecke gelandet und haben keinerlei Absicht sich in großartige Unkosten zu stürzen. Annabell könnte stundenlang hier sitzen und sich daran gütlich tun, was hier für ein geschäftiges Treiben herrscht. Ihr Hintern wird nach einiger Zeit allerdings schon taub und das ist dann wohl ihr Zeichen, dass sie sich langsam wieder auf den Weg machen könnte. Ob sie schon nach Hause fährt, das weiß sie aber noch nicht, denn so richtig der Sinn danach steht ihr noch nicht. Das Wetter ist einfach viel zu schön, als alleine in der Wohnung zu versauern, mag sie auch noch so schön sein. Mit einer Handbewegung hat sie auf sich aufmerksam gemacht und dann dauert es auch nicht mehr lange, da hat sie ihre Schulden beglichen. Schnell beschließt Annabell noch einen Blick auf ihr Handy zu haschen und sie zieht überrascht die Augenbrauen in die Höhe, als tatsächlich Óskars Name auf ihrem Display steht. Neugierig und mit leicht klopfendem Herzen tippt sie drauf und öffnet sogleich die Nachricht. Óskar: Hey, schöne Frau. Hast du spontan Lust heute Abend mit mir ins Kino zu gehen? Ich würde dich gegen 18 Uhr abholen. Mit solch einem Inhalt hat Annabell ehrlich gesagt nicht gerechnet und schon alleine bei der Betitelung schießt ihr die Röte ins Gesicht. Was für ein Spinner.  Aber als sie in sich hinein hört, findet sie auch nichts, was dagegen spricht und sie empfindet für sich selbst, dass sie einfach mal mutig sein soll und das Angebot annehmen. Das will sie ihm auch sofort schreiben, als ihr Blick auf die kleine Uhr fällt, die oben rechts in ihrem Displayrand steht und sie beinahe höhnisch angrinst. In sage und schreibe dreißig Minuten würde Óskar schon vor ihrer Tür stehen. Das wird aber eine verdammt knappe Kiste, da sie schließlich noch den ganzen Weg wieder zurückfahren muss und das sind ungefähr drei Kilometer. Aber sie will deswegen auch nicht ihre Verabredung absagen, vor allem, da er sichtlich nicht von ihrer Art abgeschreckt wurde. Annabell: Die Idee klingt super, allerdings kann ich nicht versprechen, ob ich es wirklich bis dahin schaffe zu Hause zu sein. Ich bin noch unterwegs, beeile mich aber. Nach der Nachricht wirft Annabell all ihr heraus gekramtes Zeug, was Frau nun mal immer braucht, in ihren Rucksack, als ihr Handy dann schon wieder vibrierend über den Tisch des Cafés tanzt. Óskar: Yeah! Ich warte einfach. Überschlag dich nicht, ich will dich schließlich heile mitnehmen, also mach keinen Stress. Pah, das sagt der so einfach. Er ist wohl scheinbar schon in den Startlöchern, was sie von sich ja nun überhaupt nicht behaupten kann. Aber mit einem hat Óskar trotzdem recht, sie sollte sich nicht übernehmen und sich damit in ein Unglück stürzen. Sie steht nicht wirklich auf gebrochene Knochen und die werden unweigerlich kommen, wenn sie sich unüberlegt jetzt auf den Rückweg macht und nicht auf sich und andere achtet. Annabell verzichtet jetzt auch auf eine Antwort, denn sie will nicht dafür noch unnötige Minuten verschwenden, welche sie für ihren Heimweg gebrauchen könnte, um zumindest halbwegs pünktlich gegen sechs Uhr zu Hause zu sein. Das Handy verstaut sie nun auch noch in ihrem Rucksack, dann schwingt sie sich diesen auf die Schultern und setzt sich auch schon in Bewegung. Leider kommt sie nicht ganz so schnell vorwärts, wie sie es gerne hätte, da irgendwie jetzt alle Menschen auf einmal aus der Umgebung unterwegs sind. Sie kann keine drei Meter gemütlich fahren, weil ihr immer jemand in die Quere kommt. Ganz egal ob Fußgänger oder sogar Fahrradfahrer, die schon drohen vom Fahrrad zu fallen, so langsam lassen diese sich rollen. Der Gegenverkehr dabei ist auch nicht zu verachten und Annabell flucht nicht nur einmal laut in ihrem Kopf herum, weil sie einfach nicht an der stinklangsamen Kolonne vorbei kommt. Zu ihrem Erstaunen strengt dieses ganze unnötige Abbremsen und langsam fahren mehr an, als wenn sie mit ordentlicher Geschwindigkeit den Fahrradweg entlang brausen würde. Nach für sie unendlicher Zeit, kann sie die Truppe endlich überholen. „Ich würde es mal mit Treten versuchen“, kann sie sich dann doch nicht verkneifen, als sie nach und nach an ihnen vorbei zieht. Ein erbostes Schimpfen, von wegen „Die jungen Leute, kein benehmen mehr“, schallt ihr hinterher, doch dafür hat sie jetzt keine Zeit. Außerdem hat sie den Verkehr ja nicht aufgehalten, sondern die alten Schachteln, die sich wahrscheinlich von ihren Motorbetriebenen Rädern durch die Gegend schieben lassen, aber trotz allem muss man ab und zu doch mal in die Pedalen treten, sonst nützt einem der Motor nämlich auch nichts. Ein bisschen erleichtert atmet sie auf, als sie endlich die Kugelbake passiert und sich dort gleich drei mögliche Wege für sie präsentieren. Normalweiße fährt sie immer direkt am Küstenstreifen entlang, auch wenn sie aufpassen muss, dass sie da nicht in den einen oder anderen Sand- oder Muschelschalenhaufen fährt. Annabell könnte auch direkt auf dem Deich entlang fahren, dort ist der Weg allerdings recht schmal und dafür müsste sie sich jetzt viel zu sehr konzentrieren, damit sie nicht den Hang hinunter stürzt oder gar einen anderen Passanten über den Haufen fährt. Deswegen entscheidet sie sich heute für den Weg hinterm Deich. Dort sieht man vom Meer leider gar nichts, aber dafür kommt sie direkt an ihrem Wohnhaus raus und muss nicht noch den Deich erklimmen, der für Zeitdruck nun alles andere als angemessen ist. Der asphaltierte Weg ist auch relativ wenig befahren und so kommt Annabell jetzt wenigstens mal in einem ordentlichen Tempo voran und wenn sie mal ein Hindernis hat, kann sie das ganz bequem umschiffen und muss nicht unnütz abbremsen. Als ihr Wohnhaus in Sicht kommt, glüht Annabells Gesicht regelrecht und ihr ist alles andere als kalt. So auf Teufel komm raus zu fahren und auf Dauer noch die Geschwindigkeit zu halten, dass strengt ganz schön an und sie merkt mal wieder, dass sie vielleicht doch öfters mal ein wenig Sport treiben sollte. Die paar Runden mit ihren Inlineskates scheinen nicht gerade ausreichend zu sein. Aber gut, das ist jetzt eh egal. Sie lenkt in den kleinen Kreisverkehr ein, der direkt an ihrem Haus liegt und nimmt mit Schwung die Kurve zur Einfahrt ihres Wohnhauses, als sie da schon unsanft ausgebremst und im Kreis herum gewirbelt wird. Ein harter Griff um ihre Oberarme hält sie aber soweit an Ort und Stelle, dass sie nicht noch mit der Nase voran auf den Pflastersteinen landet, bevor ihr Gleichgewicht sich nach hinten verlagert und sie mit einem ganzen schön herben Plumpsen auf ihrem Hintern landet. Die Bank, auf welcher sie Glücklicherweise gelandet ist, rutscht durch den starken Aufprall an die Hauswand und das Holz knarzt unschön unter ihrem Gewicht. Keuchend hält sie sich einige Sekunden an den Armen fest, welche sie noch immer fest im Griff haben, bevor sie ihren Blick hebt und in graue Augen schaut, welche ein wenig erschrocken, aber auch amüsiert zu ihr hinunter schauen, bevor sich eine blonde Strähne löst und genau in dieses Gesicht fallen. „Óskar“, stellt Annabell ein wenig platt fest, bevor sich von alleine ein erfreutes Lächeln auf ihre Züge schleicht. „Du bist ja schon da.“, sagt sie das unübersehbare. „Und du bist ganz schön stürmisch. Mal wieder.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)