Sintflut von Nordsee ================================================================================ Kapitel 5: Ps.: Woher kennst du meinen Namen? --------------------------------------------- "Ps.: Woher kennst du meinen Namen?" Es sind schon wieder ein paar Tage vergangen. Toni ist schon längst wieder bei sich zu Hause und treibt die dort anwesenden Menschen in den Wahnsinn. So sehr Annabell sie vermisst hat, als sie vor knapp vier Wochen hier hoch gezogen ist, so sehr freut sie sich auch wieder über die Ruhe, welche jetzt wieder in ihrer Wohnung herrscht. Sie liebt ihre Freundin wirklich, aber genauso sehr würde sie die junge Frau in regelmäßigen Abständen auch an die Wand werfen wollen, damit sie nicht weiter ihre Nerven strapaziert. Das schafft sie sogar aus der Ferne. Jeden verdammten Tag kam jetzt eine Nachricht, ob sich der Oskar nicht schon gemeldet hat und jedes Mal musste sie Toni enttäuschen. Wenn Annabell ehrlich zu sich selbst ist, hat sie aber auch mit nichts anderem gerechnet. Warum sollte er sich auch ausgerechnet bei ihr melden? Am Ende hat er sogar mitbekommen, wie Toni ihre Nummer auf den Untersetzer gekritzelt hat, und von Anfang an entschieden, dass er sich definitiv nicht melden wird. Und wenn das nicht der Grund ist, dann hat Oskar sicherlich eine Freundin, wenn nicht sogar eine Frau. Dann ehrt es ihn sogar, dass er rein gar nicht reagiert und die, doch recht plumpe, Anmache einfach ignoriert, weil er eben treu ist. Seufzend wälzt Annabell sich im Bett von links nach rechts und versucht eine bequeme Position zu finden. Obwohl sie es nicht müsste, ist sie total aufgeregt. Morgen Nachmittag hat sie das Vorstellungsgespräch in der Kita, die sich bis dato als einzige auf ihre Bewerbungen gemeldet hat. Sie weiß, dass sie nicht all zu pessimistisch an die Sache ran gehen sollte, vor allem was die anderen Bewerbungen angeht. Diese sind schließlich noch gar nicht so lange raus und es dauert ja alles seine Zeit. Trotzdem flattert ihr Herz jedes Mal, wenn sie nur an den nächsten Tag denkt. Sie hat Angst irgendetwas Falsches zu sagen oder sich anderweitig zu blamieren. Sie wüsste zwar auf Anhieb nicht, mit was direkt, aber ihr Schicksal ist da sehr kreativ und hat schon so manch blamable Situationen für sie hinauf beschworen. Das Aufleuchten ihres Handys lenkt sie ab und Annabell starrt erst irritiert auf das weiße Licht, welches ihr Schlafzimmer nun erhellt. Toni kann es nicht sein, sie hat ihr vorhin eine Gute Nacht gewünscht und ihr damit klar gemacht, dass sie sie heute nicht mehr zu behelligen braucht. Außer natürlich, es ist irgendwas passiert und ihre Freundin sieht gar keine andere Möglichkeit als sie zu erreichen. Allerdings würde sie dann eher gleich anrufen und nicht nur eine Nachricht schicken, was sie daran erkennt, weil das Display sich bald wieder von alleine verdunkelt. Ihre Eltern würden ebenfalls anrufen und wenn, dann auch nur zur Tageszeit und nicht nachts, kurz vor dreiundzwanzig Uhr. Annabell ist erst versucht das Handy zu ignorieren, doch dann siegt doch die Neugier und sie streckt sich soweit, bis sie das schlanke Teil zwischen ihren Fingern spürt und es beherzt in ihre Hand nimmt. Leise ächzend dreht sie sich auf den Bauch und Annabell knautscht das Kissen unter ihrem Kinn zusammen, damit sie es ein wenig gemütlicher hat. Neugierig drückt sie den Home-Button und erstarrt in der nächsten Sekunde, als sie eine ihr unbekannte Nummer auf dem Display erkennt. Ihr Herz setzt für ein paar Sekunden aus, bevor es mit einem ohrenbetäubenden lauten Hämmern wieder beginnt zu schlagen und das in einem sehr starken Stakkato. Ist gerade tatsächlich das passiert, woran sie schon gar nicht mehr geglaubt hat? Sie kann nur einen Teil der Nachricht bis jetzt lesen, da sie noch immer das Handy nicht entsperrt hat, aber alles deutet darauf hin. Die fremde Nummer und auch der Anfang der Nachricht. ‚Hi. Wahrscheinlich hast du eher mi…‘, weiter kann sie nicht lesen, zumindest nicht, solange sie ihr Handy wie ein fremdes Objekt anstarrt. Schnell reißt sie sich zusammen und wischt einmal quer über ihr Handy und gibt es endlich frei. Mit immer noch schlagenden Herzen tippt sie auf die Nachricht und öffnet sie endlich, damit sie sie vollständig lesen kann. Unbekannt: Hi. Wahrscheinlich hast du eher mit einer Nachricht von mir gerechnet. Ich will ehrlich sein, ich habe lange überlegt, ob ich überhaupt auf diese Nummer reagieren soll. Letzten Endes hat die Neugier gesiegt und ich mag dann doch wissen, wer mir denn seine Nummer hat zukommen lassen. LG Óskar. Ps.: Woher kennst du meinen Namen? Heilige Mutter Gottes! Annabell ist ehrlich sprachlos und sie kann noch gar nicht glauben, dass Óskar – Óskar und nicht Oskar? – wirklich auf diese Nummer reagiert hat. Mit offenem Mund starrt sie einige Minuten lang auf die Nachricht und liest sie sich immer und immer wieder durch, zumindest so lange, bis das Display sich erneut von selbst verdunkelt. Ihr Herz wummert regelrecht in ihrer Brust und Hitze steigt in ihre Wangen. Verdammt, das ist doch nur eine ganz simple Nachricht und sie führt sich auf, als hätte sie im Lotto gewonnen oder einen Luxusurlaub … oder eben eine Nachricht ihres heimlichen Schwarms erhalten. Bevor sie noch ganz durchdreht, sollte sie sich aber überlegen, was genau sie Óskar nun zurück schreibt. Sie will keinen falschen Eindruck hinterlassen, wobei sie nicht weiß, ob das nach der Untersetzernummer nicht schon zu spät ist. Annabell: Hey Óskar (Nicht Oskar?). Ich bin ehrlich überrascht, dass du dich überhaupt gemeldet hast. Ich habe nicht wirklich daran geglaubt. Dafür freut es mich umso mehr. Und vielleicht sollte ich mich bei deiner Neugier bedanken! LG Ps.: Deine Kollegin ist sehr gut darin dich gefühlt aller zwei Minuten beim Namen zu nennen, wenn sie mit dir spricht. Erst zögert sie noch, dann aber drückt die auf senden und sie kann nur noch zugucken, wie sie raus geht, bevor angezeigt wird, dass die Nachricht beim Empfänger auch wirklich angekommen ist. Tief atmet sie ein und aus, bevor sie das Handy in den Standby-Modus versetzt, es neben ihrem Gesicht aufs Kopfkissen ablegt und danach schweigend in die Dunkelheit starrt. Sie kann es noch immer nicht fassen, dass das gerade passiert ist. Annabell hört ihr Herz weiterhin in ihrem Kopf hämmern und sie versucht so ruhig wie möglich zu atmen. Ihr krabbelt es in den Fingern und am liebsten würde sie Toni sofort eine Nachricht schreiben, dass er sich doch noch gemeldet hat und scheinbar Óskar heißt und nicht Oskar, aber sie bremst sich im nächsten Moment sofort wieder. Nur weil er einmal geschrieben hat, muss es ja nicht sein, dass es zu einem regelmäßigen Kontakt heran wächst. Also hält Annabell erst mal den Ball flach und wartet ab, was noch passiert. Wirklich lange muss sie dann gar nicht mehr geduldig sein, denn da wird ihr Schlafzimmer ein weiteres Mal erhellt und kündigt eine neue Nachricht an. Sofort nimmt sie das kleine mobile Gerät zur Hand und entsperrt das Display. Unbekannt: Óskar mit Ó und nicht O. Und ich habe nun ehrlich nicht damit gerechnet, dass sofort eine Antwort kommt. Ich hoffe, ich habe dich damit nicht geweckt? Warum dachtest du, dass ich mich nicht melden würde? Das Argument mit der Kollegin zählt, mehr muss ich, denke ich, dann auch nicht dazu sagen. Aber du hast mir noch immer nicht verraten wer du bist? Ich habe zwar eine Ahnung und wenn ich ehrlich bin auch eine kleine Hoffnung, aber ich kann mir erst sicher sein, wenn du mir eine Antwort gibst. Diesmal lässt Annabell sich nicht so viel Zeit mit antworten, sondern tippt gleich drauf los, damit sie eine Antwort bekommt, da seine Worte sie doch ein bisschen stutzig gemacht haben. Annabell: Okay, Óskar, eine ungewöhnliche Schreibweise, aber nein, keine Sorge. Ich liege zwar schon im Bett, kann aber nicht schlafen. Da ist die Ablenkung sogar sehr willkommen. Wer denkst, oder sollte ich sagen hoffst du denn, bin ich? Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Willst du eine ehrliche Antwort von mir? Wer steckt wem denn schon seine Nummer auf einem alten Untersetzer zu? Ich hätte die wohl ungesehen in den Mülleimer geschmissen. Zudem hast du wahrscheinlich Frau und Kind zu Hause und antwortest jetzt nur aus Höflichkeit. Als nächstes speichert Annabell die Nummer unter ‚Óskar‘ ab. Wartend kaut sie auf ihrer Unterlippe herum und lauscht dem stetigen Pochen ihres Herzens. Es fühlt sich nach wie vor surreal an. Óskar: Ist die isländische Schreibweise, ein einfaches O kann ja schließlich jeder. Ich verstehe, was du sagen willst. Ich hätte deine Nummer wohl auch nie gesehen, wenn mir mein Kollege das Ding nicht entgegen geworfen hätte. Ich wollte darauf ehrlich gesagt auch nicht eingehen, aber dann hat er mich solange bequatscht, bis ich den Untersetzer zumindest schon mal zur Seite gelegt habe – das ich ihn dann auf Arbeit vergessen habe, das ist wieder eine andere Geschichte. Das ist auch mit ein Grund, warum ich mich erst jetzt melde, da ich zwei Tage frei hatte. Aber ich kann dich beruhigen, ich bin Single und habe auch keine Kinder. Sonst hätte ich deine Nummer gar nicht erst angeguckt. Mein Kollege hat mir übrigens auch verraten, an welchem Tisch er den Deckel aufgelesen hat. Nun ist die Frage, wer du von den beiden bist? Da du nach meiner Hoffnung gefragt hast…ich hoffe du bist nicht An-irgendwas-Sophie. Okay gut, er ist Single und Kinder hat er auch keine. Sie kann gar nicht sagen wie sehr sie sich darüber freut. Sonst hat sie immer das Pech, wenn sie mal Interesse an jemanden hatte, dann war der entweder, vergeben und hatte schon Kinder oder schwul und das er frei hatte und noch dazu ihre Nummer nicht mit nach Hause genommen hat, das versteht sie. Wie gesagt, er ist jetzt schon viel weiter auf diese Anmache eingegangen als Annabell jeweils zu träumen gewagt hat. Sie weiß nun allerdings auch nicht, ob sie sich freuen soll, dass sie nicht Toni ist, oder ob sie Ärger verspüren soll, weil er sich den Namen ihrer Freundin – zumindest mehr oder weniger – gemerkt hat. Aber wahrscheinlich ist ihm das selbst gar nicht so bewusst, Männer sind da eh ein bisschen anders gewickelt als sie Frauen. Mit der Antwort auf das Ó hat er aber ihre Neugier erneut geweckt. Annabell: Du kommst aus Island? Antonia-Sophie lautet der Name. Aber du kannst dich freuen, ich bin nicht Toni. Ich bin Annabell. Óskar: Jetzt hast du mich aber erschreckt. Ich dachte jetzt du schreibst, dass du Antonia-Sophie bist. Verstehe das bitte nicht falsch, schließlich kenne ich deine Freundin nicht, aber du bist mir mehr ins Auge gestochen. Fast wortwörtlich, wenn ich das mal so sagen darf, oder warst du das nicht, mit der ich zusammen gerauscht bin? Nicht direkt, meine Großmutter kommt aus Island, ist als Kind aber selbst nach Deutschland gekommen und sie hat bei jedem ihrer Kinder und Enkelkinder darauf bestanden, dass der Name wenigstens ein bisschen nach Island klingt. War ja klar, dass er sich daran erinnert und es ihr sogar noch unter die Nase reiben muss. Aber sie würde es wahrscheinlich genauso machen und wenn sie ganz ehrlich ist, freut sich Annabell darüber, dass er sich noch an sie erinnert, dabei kann sie das Grinsen, welches sich auf ihre Züge geschlichen hat auch nicht unterdrücken und sie will es auch gar nicht. Und noch erfreuter ist sie, dass er sich tatsächlich freut, dass sie es ist und nicht Toni, die ja sonst jeden Mann sofort um den Finger gewickelt bekommt. Von seiner Herkunft ist sie ehrlich gesagt ziemlich überrascht, aber irgendwie passt das zu ihm. Wenn nicht Island, er könnte sicherlich auch ganz leicht als Norweger durchgehen, oder als Finne. Annabell: Erwischt, die war ich. Sorry noch mal dafür, ich hab nicht darauf geachtet, wo ich hinlaufe. Ich finde es toll, dass das deine Großmutter so durchsetzen konnte. Óskar: Kein Problem, ist doch nichts passiert. Schon, aber wenn alle deinen Namen falsch schreiben und auch nicht korrekt aussprechen, das nervt irgendwann tierisch, aber mein Name ist jetzt nicht das Thema. Erzähl mal, was machst du so? Bist du hier im Urlaub? Wobei, mein Kollege sagt, dass du öfters bei uns isst… Aber du kommst nicht von hier, oder? Oh, jetzt will er es aber wissen. Aber gut, Annabell hat nichts zu verbergen und auch keine Geheimnisse, außer vielleicht, dass sie sich schon vor Ewigkeiten in ihn verknallt hat, obwohl sie Óskar eigentlich nur vom Sehen kennt und alleine diese Tatsache findet sie persönlich schon total verrückt. Vielleicht hat Toni aber auch recht und es ist nur eine Schwärmerei und wenn sie Óskar etwas mehr kennengelernt hat, dann merkt sie, dass ihre Gefühle gar nicht so tief sind wie sie die ganze Zeit denkt… Aber dafür müssen sie sich wie gesagt erst einmal kennenlernen und Annabell ist fest entschlossen diese Chance zu nutzen, welche sich ihr hier gerade regelrecht aufdrängt. Also schreibt sie Óskar, dass sie eben erst knapp vier Wochen in Cuxhaven wohnt und ursprünglich aus der Nähe von Dresden kommt. Dass sie im Moment auf Jobsuche ist, morgen aber das Bewerbungsgespräch hat und voller Hoffnung ist, dass es sogar beim ersten Mal gleich was wird, auch wenn sie weiß, dass das eher unwahrscheinlich ist. Sie hält sich sogar zurück und fragt nicht, wie sein Name ausgesprochen wird, wenn nicht wie Oskar. Das hebt sie sich für später auf. Von Óskar erfährt sie, dass er sozusagen der Chef der Sintflut ist und zumindest für die Filiale den Arsch hin hält. Diese Betitelung stammt nicht von ihr, sondern von Óskar selbst, womit er sie zum Grinsen gebracht hat. Er wohnt schon sein ganzes Leben in Cuxhaven und fühlt sich hier auch pudelwohl, wie er ihr mitteilt. Er hat einen Hund, einen Rottweiler, welcher auf den Namen Max hört. Annabell musste ihre ehrlichen Bedenken wegen des Hundes aussprechen, da für sie die Rasse Rottweiler ehrlich gesagt ziemlich bedrohlich klingt. Doch Óskar hat zumindest versucht ihre Vorurteile zu zerstreuen und ihr versichert, dass sein Hund sich viel lieber die Ohren kraulen lässt als unschuldige Frauen zu belästigen. Allerdings hat er ihr trotzdem klar gemacht, dass Max auch für sein Herrchen einspringt und bei drohender Gefahr tatsächlich gefährlich werden könnte. Das hat Annabell dann auch nur halbwegs beruhigt, aber sie kann sich auch noch kein Urteil erlauben, solange sie Hund und auch Herrchen noch nicht richtig persönlich kennenlernen konnte. Noch lange haben sie sich hin und her geschrieben, bis Annabell irgendwann mit dem Handy in der Hand eingeschlafen ist und dabei gar nicht mehr an das bevorstehende Bewerbungsgespräch gedacht hat, welches ihr zuvor den Schlaf nicht gönnen wollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)