Verlorene Sonne von Noxxyde ================================================================================ 1 - Kapitel 1 Ruhelos wippte Thomas – Tom, bitte, danke – mit dem Fuß. Sunny war zu spät. Nicht, dass das unüblich gewesen wäre, eine halbe Stunde musste man bei ihr grundsätzlich einplanen, aber mehr als zwei schienen ihm dann doch übertrieben. Ganz besonders dann, wenn sie sich offensichtlich nicht einmal dazu herablassen konnte ihm eine kurze Nachricht zu schicken. „Muss ja ‘n toller Kunde sein, wenn du dafür deinen besten Freund vergisst“, murrte er in seinen Cosmopolitan. Das war nun der dritte Cocktail, den er eigentlich durch ein Glas Wasser hatte ersetzen wollen, aber wenn man von der besten Freundin für einen prallen Scheck versetzt wurde, durfte man sich ja wohl wenigstens besaufen. Sein Handy vibrierte, doch nicht Sunnys Name zierte das Display, sondern die der Agentur Little Secrets. Sein Arbeitgeber, sozusagen. Er hob ab. „Japp?“ „Hey, Tom.“ Solveigs Stimme war unter dröhnender Barmusik und schallendem Gelächter nur schwer auszumachen. „Ich wollte nur fragen, ob du was von Sunny weißt. Ihr letzter Termin sollte seit Stunden rum sein, aber sie hat bisher nichts von sich hören lassen.“ „Nee, mich hat sie auch versetzt.“ Toms Frust rang mit dem Nuscheln, das der Alkohol über seine Zunge legte und verlor. Er räusperte sich, in der Hoffnung, den nächsten Satz ein wenig klarer rauszubekommen. „Ich warte schon seit zwei Stunden im Apple‘s.“ „Och, du Ärmster. In zwanzig Minuten ist meine Schicht rum, dann leiste ich dir gern Gesellschaft.“ „Passt schon. Ich sollte eh nicht so lange machen, hab ja gleich morgen früh eine Buchung.“ Mit jemandem, der dafür, dass Tom sich zu dieser gottlosen Stunde aus dem Bett quälte, hoffentlich ordentlich Trinkgeld springen ließ. „Aber gib mir Bescheid, sobald sich das treulose Stück bei dir meldet, ja?“ „Versprochen, wenn du dasselbe tust. Ich würde mir aber an deiner Stelle keine unnötigen Sorgen machen. Wahrscheinlich hat sie einfach nur ein paar Stunden drangehängt. Ist ein Stammkunde.“ Tom schnaubte. Von wegen ein Stammkunde. Wenn Sunny einfach so einen Cocktailabend platzen ließ, musste es der Stammkunde sein. Nicht, dass sie jemals seinen Namen erwähnt hätte – Diskretion war eines der obersten Gebote in diesem Business, selbst unter Kollegen – aber seit ein paar Monaten bestimmte auffallend oft eine Person ihre Erzählungen. Das Bild, das sich Tom daraus malte, wollte ihm nicht so recht gefallen. Der Kerl klang wie einer der vielen, deren pralles Portemonnaie gerade so ihre mangelnden sozialen Fähigkeiten ausglich. Aber vielleicht gewannen hier auch nur Toms eigene Vorurteile. „Dann hoffe ich mal, dass sie sich die Überstunden wenigstens angemessen vergüten lässt und mir einen Drink ausgibt, falls sie mal wieder Zeit für mich findet.“ Solveig lachte. „Ich bin sicher, das wird sie. Gute Nacht, Tom.“ „Gute Nacht.“ Doch bevor Tom auflegen konnte, rief Solveig: „Warte! Vergiss nicht, dir für morgen den Wecker zu stellen!“ „Ja, Mami. Ist schon erledigt. Bin schließlich Profi.“ Solveig stieß einen Seufzer aus, der verdächtig nach einem getarnten Lachen klang. „Ich meins ernst. Punkt acht. Dein Kunde hat am Telefon ziemlich deutlich gemacht, dass er keine Verspätung duldet. Wenn du nicht pünktlich bist, wird er weder dich noch uns nochmal beauftragen, da helfen dann auch dein Schlafzimmerblick und deine dunklen Locken nicht weiter. Die ich übrigens beide nur erwähne, weil er sie bei der Buchung mehrmals angesprochen hat. Mach was draus.“ „Als würde ich mir eine Chance auf Trinkgeld entgehen lassen. Schönen Abend, dir.“ Tom legte auf, kippte seinen Cosmo herunter und bestellte den nächsten.   ~~~~~~~~~~   Zum dritten Mal an diesem noch recht jungen Tag, putzte sich Tom die Zähne. Erneut vergeblich. Wenn nicht einmal Zahnpasta, Kaffee und Zigaretten den Nachgeschmack eines Kunden wegspülten, war das eher ein psychisches denn physisches Problem. Der Kerl war aber auch unangenehm gewesen. Tom spuckte mit roten Schlieren versetzten Schaum ins Waschbecken. „Kein Wunder, dass wir schon deine dritte Agentur sind, weil du bei den anderen immer wieder versetzt wurdest“, erzählte er seiner stillen Wohnung. „Morgendlicher Blowjob schön und gut, aber wenn ich nicht tierisch in dich verknallt bin, hast du davor gefälligst zu duschen, du Schwein. Versuch wenigstens so zu tun, als hättest du Respekt vor mir und meinem Job.“ Nur geringfügig besänftigt verstaute er ein Bündel Scheine in seinem Safe. Zugegeben, das Trinkgeld konnte sich sehen lassen. Aber auch, wenn seine Miete damit für diesen Monat gesichert war, konnte er sich nicht so recht vormachen, dass das die Verachtung aufwog, mit der der Kunde ihn behandelt hatte. Andererseits: Vor die Wahl gestellt, einem Fremden eine gute Zeit zu schenken und dabei ordentlich bezahlt zu werden, oder zu seinem alten Job in einem Callcenter zurückzukehren? Da lutschte er lieber Schwänze – auch, wenn gelegentlich ein faules Ei darunter war. Ein Glas Orangensaft in der Hand, schnappte sich Tom sein Handy und deaktivierte den Wecker. So früh würde er den Rest der Woche garantiert nicht mehr aufstehen. Anschließend öffnete er die Nachricht von Solveig, die bereits seit einer halben Stunde auf seine Aufmerksamkeit wartete. ‚Guten Morgen, mein Hübscher. Mr. K würde dich gerne übermorgen um 14 Uhr nackt in seinem Bett vorfinden. Übliches Hotel. Klappt das?‘ Tom lächelte. Na, das war doch mal eine erfreuliche Wiedergutmachung für den miesen Start in den Tag. Der Mann, den die Agentur als Mr. K führte, war nicht nur einer seiner ersten Kunden gewesen; über die vergangenen beiden Jahre hatte sich so etwas wie Freundschaft zwischen ihnen aufgebaut. Nicht genug, um ihre Beziehung in bezahlungsfreie Gefilde zu manövrieren, aber definitiv ausreichend, um Toms Stimmung zu heben und ihn den widerlichen Geschmack in seinem Mund vergessen zu lassen. Nach einer kurzen Kontrolle, ob sich der Termin mit anderen Plänen überschnitt, stimmte er zu. Zögernd setzte er nach: ‚Hast du was von Sunny gehört?‘ ‚Nein. Du?‘‘ ‚Auch nicht.‘ Die leise Sorge, die Tom in den vergangenen Stunden relativ erfolgreich ignoriert hatte, pochte nun beharrlich gegen seine Schläfen. ‚Sollten wir ihren Notfallkontakt informieren?‘ Das wäre Sunnys Zwillingsschwester Marlene. Tom hatte sie das eine oder andere Mal gesehen, konnte die Worte, die sie zu diesen Gelegenheiten miteinander gewechselt hatten, aber an beiden Händen abzählen. ‚Vielleicht hat sie einfach nur verschlafen. Lass uns bis zum Abend warten. Wenn wir bis dahin noch nichts gehört haben, mache ich die Pferde scheu!‘ Zähneknirschend nahm Tom Solveigs Entscheidung hin. Der Tag zog sich; der Abend kam und ging ohne eine Nachricht von Sunny. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)