Ein Herz aus Glas von Sharry ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Kapitel 1   „Vielen Dank für das gute Spiel!“ Tief verbeugten sie sich, spiegelten die Bewegung der anderen Oberstufenschüler von der anderen Seite des Netzes her. „Das war wirklich ein gelungener Tag“, lobte Trainer Ukai von der Seitenlinie und klatschte breit grinsend in die Hände. „Bedankt euch besser beim Team der Ohgi Minami Hochschule, dass sie extra vorbei gekommen sind für dieses Trainingsspiel und das auch noch unter der Woche.“ „Danke!“ Einstimmig verbeugten sie sich erneut vor dem anderen Team ehe sie nach vorne gingen und die Hände unterm Netz hindurch schüttelten. „Ach, wir haben zu danken“, entgegnete Coach Ninomiya und klopfte Ukai freundschaftlich auf die Schulter, „da unser Mädchenteam heute auch ein Trainingsspiel bei uns hat, hätten wir sonst gar keine Möglichkeit gehabt heute zu trainieren.“ „Na, wenn das so ist...“ Beide Trainer schüttelten ebenfalls die Hände. „Wie dem auch sei, das nächste Mal besuchen wir euch.“ „Nur zu gerne, aber dann bitte am Wochenende damit wir danach noch einen Sake heben können.“ In ausgelassener Stimmung verabschiedeten sie das andere Team und besprachen danach den vergangenen Nachmittag, dabei wurde viel gelacht und trotz einiger Kritikpunkte überwogen die lobenden Worte doch bei weitem. Sie hatten auch gutes Recht bestens gelaunt zu sein. Ohgi Minami war kein herausragendes Team, bereits in der Vorrunde des Frühlingsturniers im August hatte Karasuno sie in zwei Sätzen durchgehend dominiert und gnadenlos geschlagen. Das lag nun jedoch schon über drei Monate zurück und Karasuno bereitete sich auf das Frühlingsturnier in Tokio vor. Ohgi Minami auf der anderen Seite hatte die turnierfreie Zeit wohl genutzt, um sich komplett neu aufzustellen und das schien sich offensichtlich auszuzahlen. Trotzdem hatte Karasuno fast alle Sätze für sich entscheiden können. „Das war ja so cool! Hast du gesehen Kageyama, der letzte Ball hat so richtig schön swoosh gemacht und er ist genau auf der Linie gelandet. Das nenne ich mal Können.“ „Ich fand es klang eher so nach puff“, brachte sich Tanaka lachend ein und zog den kleinen Mittelblocker auf. „Das lag daran, dass Hinata den Ball nur mit dem Handballen getroffen hat und nicht mit der ganzen Hand“, erklärte Kageyama herablassend. „Es war ein reiner Glückstreffer, mehr nicht.“ „WAS?!“ Hinata sprang den anderen direkt an. „Das war ein Swoosh und voll mit Absicht so gezielt! Wenn ich die nicht richtig treffe, fühlen die sich sonst eher so blop an.“ „Ist das schon wieder ein Gespräch auf Grundschulniveau?“ Feixend kam Tsukishima an den dreien vorbei und warf die übrigen Bälle in den Korb. „Hey ihr da“, unterbrach Daichi sie ernst, „macht mit dem Aufräumen weiter, es ist schon spät und wir haben morgen alle Schule.“ „Die von euch, die länger nach Hause brauchen, sollten sich schon mal umziehen gehen“, stimmte Sugawara zu, „wir anderen erledigen den Rest. Damit meine ich vor allem dich Hinata! Es ist schon dunkel und du hast noch einen langen Weg vor dir.“ Schnell zog der Vizekapitän Hinata hinter sich her, welcher gerade versuchte sich mit Tsukishima anzulegen. „Hey, kann ich mich auch umziehen gehen?“, fragte Tanaka während Yamaguchi und Ennoshita Hinata zwischen sich eingeklemmt mitnahmen, gefolgt von Kinoshita, Narita und Tsukishima – der gar nicht so weit entfernt wohnte. „Meine Schwester ist heute zu Besuch und ich...“ „Ja geh nur, wir sind ja eh fast fertig“, genehmigte der Kapitän des Teams mit einem Augenzwinkern. „Oh Daichi, du bist ja heute richtig gutmütig gelaunt.“ Asahi nahm Daichi das zusammengefaltete Netz ab und legte es sich über den Unterarm. „Ach weißt du, ich habe mir gedacht, da du ja heute einen so guten Tag hattest, kannst du ja allein den Rest aufräumen.“ Lachend klopfte der Kapitän des Volleyball-Teams seinem Ass kräftig auf die Schulter, der sichtlich entsetzt über diese Aussage war. „Nimm doch nicht immer alles so ernst, du halbe Portion. Du verstehst noch nicht mal einen Scherz, oder?“ „Ach, Daichi. Mach es dem armen Kerl doch nicht noch schwerer, dabei hatte er heute endlich mal einen guten Tag.“ Von hinten kam Sugawara zu ihnen und schob den Ballkorb vor sich her. „Danke Suga… denke ich.“ Sich gegenseitig aufziehend – wobei das Ass des Teams am meisten einstecken musste – arbeiteten die Drittklässler zügig weiter. Bis auf Kageyama und Nishinoya waren die anderen sich umziehen gegangen oder bereits aufgebrochen. Sowohl Herr Takeda als auch Trainer Ukai hatten direkt nach der kurzen Besprechung die Kurve gekratzt, um einer Versammlung der verschiedenen Trainer der Schule beizuwohnen. Vielleicht würden sie zum neuen Jahr hin ein etwas höheres Budget für den Volleyballclub erhalten. Shimizu und Yachi hatten es nicht geschafft ihre Termine zu verschieben um dem kurzfristig organisierten Trainingsspiel beizuwohnen. Erst am vergangenen Freitag hatte Herr Takeda die Anfrage erhalten. Doch keinen der Verbliebenen störte, dass sie nur so wenige waren; das Auf- und Abbauen nach dem Training gehört zu ihrer täglichen Routine und hatte beinahe etwas Meditatives, etwas Entspannendes. Gerade heute, wo die Flitzebogen des Teams bereits fort waren, hatte es etwas angenehm Ruhiges. „Ist es dir auch aufgefallen?“, murmelte Sugawara nun leise seinem Kapitän zu während er aus dem Augenwinkel die restlichen Anwesenden beobachtete. „Nishinoya ist ungewöhnlich ruhig.“ Daichi nickte nur und begann die noch verstreuten Handtücher einzusammeln. „Lass ihn einfach, du wirst sehen morgen ist er wieder der Alte.“ Mit einem Nicken, wenn auch nicht ganz überzeugt, sah Sugawara sich um. Sie waren fertig. „Ich mach mich dann jetzt auch auf. Bis morgen“, winkte Kageyama ihnen zu und ging, ohne auch nur auf eine Antwort zu warten. Er hatte sich noch nicht mal umgezogen und keiner von den beiden Drittklässlern wusste, wann er die Zeit gehabt hatte seine Tasche zu holen. „Kageyama auf der anderen Seite scheint ganz zufrieden mit heute zu sein“, meinte Sugawara schulterzuckend. „Findest du, Suga? Auf mich wirkte er eigentlich wie immer.“ Nun gingen sie sich schlussendlich auch umziehen. „Unser Asahi allerdings war heute wirklich in Topform, wenn du mich fragst.“ Der Vizekapitän lachte leise: „Ja, man hätte fast schon meinen können, dass er das Ass ist, was?“ „Zu gütig Suga.“ Genanntes Ass kam nun ebenfalls in die Umkleide, ein gefrorenes Lächeln auf den Lippen und eine kleine Sorgenfalte zwischen den Augen. „Ach, Asahi, nimm dir doch nicht immer alles so zu Herzen. Ich war einfach nur sehr beeindruckt davon wie beständig du heute warst und so selbstsicher.“ Asahi schien nicht ganz überzeugt von Sugawaras Worten, während er sein verschwitztes Shirt auszog. „Wieso klingt das aus deinem Mund eher wie eine Beleidigung?“ Erneut lachten die anderen beiden Drittklässler, doch verstummten als hinter dem Ass die Türe aufging und ihr Libero hineinkam. Wieder tauschten Sugawara und Daichi einen ernsten Blick aus und verpassten beinahe wie Asahi den Zweitklässler für einen Moment ernst ansah ehe er sich selbst bestätigend zunickte. „Hey Nishi...“ „Daichi, Suga. Warum geht ihr nicht schon mal vor? Ihr seid doch fertig umgezogen und ich kann gerne abschließen, hab‘s ja nicht weit nach Hause. Wir sehen uns dann morgen, ja?“ Überrascht starrten die beiden Angesprochenen ihr Ass mit großen Augen und offenem Mund an. Sie wussten nicht, was ungewöhnlicher war. Dass Asahi wirklich Daichi unterbrochen hatte oder dass er ihnen bedeutete die Umkleide zu verlassen. Geschockt diskutierten sie gedanklich was sie tun sollten, kamen jedoch zu dem Schluss, dass wenn Asahi schon der Meinung war sich selbst um Nishinoya zu kümmern, dann würden sie das auch ihm überlassen und sein Momentum an Selbstbewusstsein nicht unnötig anzweifeln. „Na gut, meinetwegen, hier ist der Schlüssel zum Abschließen, Asahi. Bis morgen.“ „Bis morgen, Asahi, Nishinoya.“ Libero und Ass winkten zum Abschied. Der Jüngere, ohne überhaupt aufzusehen während er sich die Shorts herunterriss. Der Ältere mit einem fast schon selbstsicheren Lächeln. „Weiß wirklich nicht wer von den beiden mich mehr beunruhigt“, murmelte Sugawara als sie die Sporthalle hinter sich ließen. „Ach, mach dir nicht so einen Kopf, Suga. Nishinoya war heute einfach mal nicht in seiner üblichen Topform, kann vorkommen, morgen ist er bestimmt wieder in Ordnung. Was Asahi angeht gebe ich dir allerdings Recht. Wir müssen aufpassen, dass Mister Arrogant hier uns nicht bald abhebt. Neben Kageyama brauchen wir nicht auch noch einen Oikawa2.0.“ Nun lachten sie beide. „Oh, glücklicherweise hat Asahi mit Oikawa wirklich wenig gemein, was das angeht brauchen wir uns keine Sorgen machen. Aber manchmal würde ich mir schon wünschen, dass er sich zumindest eine Scheibe von Oikawas Selbstbewusstsein abschneiden würde“, gestand Sugawara nachdenklich ein. „Es ist gut, dass er Nishinoya hat.“ „Ich denke, deswegen ist er auch gerade geblieben.“ Sie bogen um eine Kurve. „Da Asahi so ein Sensibelchen ist bemerkt er halt auch schnell, wenn andere im Team mit sich zu kämpfen haben...“ „...Und wenn es unseren Nishinoya trifft, beschäftigt ihn das natürlich noch umso mehr“, führte Sugawara Daichis Satz seufzend fort. „Gerade weil Nishinoya immer so stark und selbstbewusst drauf ist und immer weiß was zu sagen ist wenn Asahi es wieder schwer mit sich hat, glaube ich, dass es für Asahi fast noch schlimmer ist, wenn es Nishinoya beschissen geht.“ Daichi nickte zustimmend und wurde langsamer als vor ihnen die Kreuzung auftauchte, an der sie getrennte Wege gehen würden. „Ich frage mich nur, ob es wirklich nötig ist Noya einen Vortrag zu halten. Er ist keine Maschine, er macht auch mal Fehler, das weiß er am besten. Ich bin mir sicher, dass wir uns keine Sorgen machen brauchen.“ Sugawara verschränkte die Arme und blieb stehen. „Du siehst das anders?“, fragte Daichi nach. „Was? Oh nein, nein. Aber ich frage mich, ob Asahi etwas bemerkt hat was uns entgangen ist. Warum sonst sollte er mit Nishinoya reden wollen? Er weiß doch auch wie unser Libero tickt.““ Schulterzuckend blieb Daichi ebenfalls stehen, doch dann zeigte sein Vizekapitän wieder dieses breite Grinsen. „Ach was, ich mache mir völlig umsonst Sorgen. Vielleicht wird unser halbes Hemd von einem Ass nun endlich erwachsen und ein echter Mann.“ Auflachend setzte sich Daichi wieder in Bewegung und winkte Sugawara zum Abschied zu. „Erwarte nicht das Unmögliche, Suga. Ich wette mit dir morgen ist auch Asahi wieder der alte Hasenfuß.“ „Man wird doch wohl noch träumen dürfen.“   Etwas unwohl zog Asahi seine Sportschuhe aus und verstaute sie bei seinen Sachen. Vor wenigen Sekunden hatte er noch großspurig geglaubt genau zu wissen was er tun konnte. Aber nun, da er Daichi und Sugawara weggeschickt hatte und nur noch die schwarze Gewitterwolke namens Nishinoya hinter seinem Rücken vor sich hin brodelte war er sich gar nicht mehr so sicher. „Also das nenn ich mal ein erfolgreiches Trainingsspiel“, meinte er mit einem halben Lachen, „und so wenige Strafrunden hatten wir schon seit Ewigkeiten nicht mehr.“ Nishinoya hinter ihm grummelte etwas zustimmendes in seinen nicht vorhandenen Bart. Asahi bekam ganz schwitzige Hände; er wollte das hier richtig machen, wollte nicht, dass Nishinoya mit so einem unzufriedenen Nachgeschmack nach Hause gehen musste. Wenn er ehrlich war, war Asahi nicht gut darin anderen Mut zuzureden - meistens, weil er derjenige war, der den Zuspruch am besten gebrauchen konnte - aber deshalb wusste er auch wie wichtig es war einem Teamkameraden beizustehen. Insbesondere, wenn es sich um den Mitspieler handelte, der das Rückgrat des Teams war; insbesondere, wenn es sich um denjenigen handelte, der so gut wie nie seinen eigenen Zweifeln erlag. „Wobei Towada sich wirklich verbessert hat, muss ich sagen. Er scheint in seiner Rolle als neuer Kapitän wirklich aufzugehen. An Daichi kommt er allerdings noch lange nicht ran.“ Wieder grummelte der andere mehr oder weniger zustimmend. Langsam lief das Ass des Teams warm, während er sein Hemd anzog. „Nur weil Ohgi Minami mittlerweile als Team so gut funktioniert konnten wir viele verschiedene Dinge ausprobieren.“ Vorsichtig knöpfte er jeden einzelnen Knopf zu und dachte über den vergangenen Nachmittag nach. „Ich finde mein Sprungaufschlag wird auch schon immer besser, aber der verspätete Angriff bereitet mir echt noch richtige Probleme; bin sogar einmal ins Netz gefallen, sah fast so dämlich aus wie Hinata.“ Dieses Mal erhielt er keine Reaktion und als er sich umdrehte sah er wie Nishinoya seine Uniform festhielt, den Kopf gesenkt. Das tat weh. Es war in Ordnung, wenn Nishinoya mal unzufrieden war, sollte er laut werden, sich ärgern, mal aus der Haut fahren. Das war in Ordnung, er sollte seinem Ärger Luft machen. Aber dieses ruhige vor sich Hinbrüten mit gesenktem Kopf, das passte nicht zu ihrem Libero, das passte nicht zu seiner Nummer vier. Aber Asahi kam dieses Verhalten trotzdem zu gut bekannt vor und deshalb musste er handeln. „Hey Nishinoya, es ist...“ „Sag‘s nicht.“ Der andere hatte sich nicht bewegt. „Ich will es nicht hören.“ Es war in Ordnung, er war verletzt, unzufrieden mit sich selbst, da sagte man schon mal solche Dinge. Tief durchatmend nickte Asahi sich selbst bestätigend zu und legte eine Hand auf die Schulter seines Freundes. „Ach komm schon, Yū, jeder von uns hat schon mal einen…“ „Halt die Klappe, ja?“ Hart schlug der andere seine Hand weg. „Du hast doch keine Ahnung was los ist!“ Nishinoya wirbelte zu ihm herum und sah ihn direkt an, das Trikot in seinen Händen zusammengeknüllt. „Ach, so schlimm war es doch...“ „Fünf Mal!“ Der Libero drückte ihm seine ausgestreckte Hand nahezu ins Gesicht. „Fünf Mal hast du heute Angriffe abwehren müssen, die mir galten, die ich hätte verteidigen müssen.“ Es tat weh, wenn der andere ihn so ansah. „Nishinoya, es war ein Trainingsspiel, mehr nicht und was ist daran so schlimm, wenn ich in der Defensive etwas mehr Übung...?“ „Nein!“ Asahi machte einen Schritt zurück. „Ich kann nicht angreifen oder blocken, ich darf noch nicht mal einen Aufschlag machen. Meine einzige verdammte Aufgabe ist es die Bälle zu kriegen mit denen ihr Punkte machen könnt. Das ist mein scheiß Job! Das ist der einzige beschissene Grund warum ich eine Berechtigung habe auf dem Spielfeld zu stehen!“ Dieses Mal blieb Asahi stehen als der andere noch einen Schritt auf ihn zu machte. „Wenn du einen Angriff abwehren musst, weil ich’s verbockt hab, weil ich ihn nicht halten konnte, dann beraube ich dich in diesem Moment der Chance einen Punkt zu machen. Dann bin ich in diesem Moment nicht mehr als, eine Last, ein Klotz am Bei. Wenn ich so beschissen spiele wie heute, dann habe ich kein Recht darauf mich Libero zu...“ „Moment mal!“ Jetzt machte Asahi einen Schritt nach vorne und sah direkt zu Nishinoya hinab. Sein Herz raste und er hatte riesige Angst. Angst vor diesem wilden Blick, vor diesen wütenden Worten, vor diesen zitternden Fäusten. Aber dieses Mal würde er nicht rennen, dieses Mal würde er Nishinoya gegenüberstehen, ein Gegenüber sein, so wie Nishinoya es immer für ihn war. „Das will ich nie wieder von dir hören, verstanden?! Nie wieder!“ Die Tiefe seiner Stimme überraschte Asahi fast selbst, aber mehr noch schien er den anderen zu beeindrucken. „Nur um das klarzustellen, du bist der Libero, ein Spezialist in der Verteidigung und du bist der Beste, den ich kenne.“ Nishinoya versuchte ihn zu unterbrechen, aber Asahi nahm gerade Fahrt auf. „Aber auch du machst Fehler und auch du hast schlechte Tage und um ehrlich zu sein beruhigt mich das ungemein. Ich hatte zwar nie vor es laut auszusprechen, aber du und Kageyama, ihr seid so gut, das baut schon ganz schön viel Druck auf uns Normalsterbliche auf.“ Nun sah Nishinoya ihn nicht einmal mehr an, sondern hatte den Kopf gesenkt. Zum ersten Mal versuchte der andere nicht ihm das Wort zu nehmen. Vielleicht konnte Asahi ja jetzt endlich zu ihm durchdringen. „Außerdem ist mir egal wie viele Fehler du machst, Hauptsache du stehst mit mir auf dem Spielfeld bis zum Ende jedes einzelnen Spieles. Für jeden deiner Fehler werde ich doppelt so viele Punkte holen, denn das ist meine Aufgabe als Ass. Ich weiß, du denkst da deine wichtigste Aufgabe die Verteidigung ist, müsstest du sie allein meistern, aber es kann immer nur einer einen Punkt mit dem Ball schlagen und wir sind zu sechst auf dem Feld. Also bin ich gerne bereit, einen der anderen den Punkt holen zu lassen, wenn ich dafür deinen Rücken decken kann. Schließlich ist das Wichtigste im Spiel nicht wer den stärksten Angriff hat, sondern wer den Ball in der Luft hält.“ Schwer atmete er als hätte er gerade erst ein Wettrennen gegen Hinata verloren, doch Asahi fühlte sich gut, er hatte die richtigen Worte gefunden – zumindest die meiste Zeit – und er meinte es genauso wie er es gesagt hatte. Sie waren ein Team und wenn einer von ihnen schwächelte, würde der Rest für ihn einstehen. Es war egal ob er den Punkt holte oder ein anderer; das Wichtigste war, dass der Ball im Spiel blieb. Für eine gefühlte Ewigkeit waren sie beide ruhig und Asahi überlegte fahrig was er nun sagen sollte, um diese seltsame Stille zu überbrücken. „Du verstehst es einfach nicht.“ Nishinoya hatte den Blick immer noch gesenkt und schüttelte nur leicht den Kopf. „Du willst es einfach nicht kapieren.“ „Wovon redest du, Nishi...“ „Ich will nicht, dass du für mich abwehrst!“ Der Kopf des Jüngeren schnellte nach oben und Asahi stolperte fast zurück. „Ich brauche deine Hilfe nicht! Ich bin der Libero und die Abwehr ist meine Aufgabe. Ich bin derjenige, der euch den Rücken freihält, nicht anders herum. Dafür brauche ich dich nicht! Ich brauche dich nicht!“ Es tat weh. „Du bist Angreifer, ich bin Verteidiger und es ist nicht dein verdammter Job auf mich aufzupassen! Ich will nicht, dass du meinen Rücken deckst! Verstanden?!“ Nishinoya packte seine Tasche und jagte zur Tür hinaus. Zurück blieb Asahi, eine Hand hilflos nach dem anderen ausgestreckt, der schon längst fort war. Sein Körper bebte, sein Kiefer zitterte. Er musste sich beruhigen, es war in Ordnung, Nishinoya war nur wütend auf sich selbst, weil er heute einen schlechten Tag gehabt hatte. Er hatte diese Worte mit Sicherheit nicht so gemeint. Asahi war nicht gut darin andere Leute aufzumuntern und daher musste er etwas Falsches gesagt haben und Nishinoya nur noch mehr aufgeregt haben. Langsam zog er seine Hand zurück, die Hand, die der andere eben weggeschlagen hatte. „Er hat es nicht so gemeint“, flüsterte er in den leeren Raum hinein, doch er konnte die Tränen nicht aufhalten, als sie seine Wangen hinabglitten. „Er hat es bestimmt nicht so gemeint.“   Den kompletten Weg nach Hause war er gerannt - nicht, dass es ein besonders weiter Weg gewesen war. Er hatte vielleicht fünf Minuten gebraucht, maximal. Heute war ein verdammt beschissener Tag gewesen. Irgendwie hatten seine Beine nicht arbeiten wollen, seine Füße waren schwer wie Blei gewesen und seine Hände so klobig als hätte er Gewichte umgeschnallt gehabt. Es war wirklich kein guter Tag gewesen. Im ersten Satz hatte er ganze vier Punkte einfach verschenkt. Punkte, die er sicher problemlos hätte verteidigen können, wenn sein Körper ihm nur gehorcht hätte. Danach war es nur noch schlimmer geworden und er war immer fahriger geworden; die Ruhe, die in seinem Spiel von absoluter Notwendigkeit war, hatte sich nicht mehr eingestellt. Im vorletzten Satz hätte er Coach Ukai am liebsten darum gebeten ihn nicht wieder aufs Spielfeld zu schicken. Er hatte Angst gehabt, er hatte nicht versagen und immer weiter versagen wollen, er hatte nicht Löcher für seine Teammitglieder zum Stopfen hinterlassen wollen, sobald er wieder das Feld verließ. Aber er hatte nicht die Worte gefunden, selbst dafür hatte er nicht den Mut aufbringen können. Er wusste, dass Daichi es sofort gemerkt hatte; der Kapitän mit der soliden Defensive, der sogar einen versagenden Libero wie ihn ausgleichen konnte. Im Laufe des Spieles hatte Daichi ganz subtil seinen zu schützenden Bereich ausgeweitet, hatte Nishinoya die schwierigeren Bälle abgenommen, hatte ihm nur noch die einfachen überlassen, doch selbst da hatte er gepatzt. Und es war nicht nur Daichi gewesen, selbst Hinata - der jede zweite Annahme mit dem Kopf oder der Brust regelte - hatte sich heute beinahe besser angestellt als Nishinoya und das lag mit Sicherheit nicht an den Annahmefähigkeiten des Erstklässlers. Er wusste nicht was los war, warum er heute nicht einfach funktionieren konnte. Wütend jagte Nishinoya ins Bad und stellte sich noch komplett angezogen unter den eiskalten Wasserstrahl. Er war der Libero, der Schutzgott der Defensive, das Rückgrat des Teams; er konnte weder angreifen, noch blocken, noch aufschlagen. Die schwächlichen Versuche seiner Zuspiele hatte er heute nur zwei Mal ausprobiert und beide Male waren sie katastrophal gescheitert. Langsam fragte er sich warum Kageyama nichts gesagt hatte, ihn nicht mit diesem vernichtenden Blick angeschaut hatte, den er Hinata oder Tsukishima immer zuwarf. Asahi lag falsch, der einzige Übermenschliche in diesem Team war eindeutig Kageyama. Obwohl sie dieses Trainingsspiel genutzt hatten, um neue Taktiken und Kniffe auszuprobieren, hatte ihr jüngstes Teammitglied kaum unsicher gewirkt. Nishinoya auf der anderen Seite - wütend schlug er gegen die Duschwand – er hatte so viele Fehler gemacht, dass er sie schon nicht mal mehr hatte zählen können. Für jeden deiner Fehler werde ich doppelt so viele Punkte holen, denn das ist meine Aufgabe als Ass. Überraschenderweise hatten sie trotzdem kaum Sätze verloren, trotz all seiner Fehler, trotz all der Testversuche und niemand, weder der Coach, noch Daichi oder Kageyama, auch nicht Sugawara oder Tanaka, erst recht nicht Hinata oder Tsukishima, niemand von ihnen hatte ihm auch nur ein einziges Mal einen Vorwurf gemacht, ihn böse oder enttäuscht angeguckt. Er hatte schon großartige Teamkameraden. Und Asahi... Den nächsten, Nishinoya! Gute Annahme, Nishinoya! Ich hab den, keine Sorge! Beim nächsten Mal, Nishinoya! Nishinoya! Keine Sorge, ich bin da! Ich bin hinter dir! Außerdem ist mir egal wie viele Fehler du machst, Hauptsache du stehst mit mir auf dem Spielfeld. Kopfschüttelnd drehte er das Wasser ab. Wann war Asahi so cool geworden? Erst jetzt wurde es ihm bewusst. In den letzten beiden Sätzen, als er am liebsten vom Spielfeld gerannt wäre, da war sein Ass immer in seiner Nähe gewesen. Jetzt wo Nishinoya die letzten Szenen Revue passieren ließ, konnte er es ganz deutlich sehen; er dachte Asahi hätte ihn fünf Mal gedeckt, aber nun wurde ihm bewusst, dass er ihn viel, viel häufiger gerettet hatte. Bereits im letzten Satz waren es mehr als fünf Mal gewesen. Es war nicht Asahis Aufgabe, er war Angreifer, er war das verdammte Ass! Um ehrlich zu sein war Asahi nicht der Beste, wenn es um die Verteidigung ging, konnte Daichi bei Weitem nicht das Wasser reichen und trotzdem war er da gewesen, insbesondere wann immer der Kapitän es nicht gekonnt hatte. Asahi hatte sich selbst übertroffen, unter anderem, weil Nishinoya heute einfach scheiße gespielt hatte. Das will ich nie wieder von dir hören, verstanden?! Nie wieder! Langsam nickte Nishinoya, Asahi hatte doch Recht! Er war der Libero und auch wenn er Fehler machte und auch wenn der heutige Tag so schlecht war, dass er am liebsten tausend Strafrunden machen würde, so war er doch ein guter Verteidiger und er war vor allem nicht allein, sie standen zu sechst auf dem Spielfeld. Also auch wenn er es nicht mochte, auch wenn es seine Aufgabe war den anderen den Rücken zu stärken, so gestand er sich doch leise ein, dass es etwas unglaublich Beruhigendes hatte zu wissen, dass er diese Last nicht allein tragen musste. Das ist meine Aufgabe als Ass. Wann war Asahi bitte so cool geworden? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)