Rivals' Reunion von MizunaStardust ================================================================================ Kapitel 12: Augenblick ---------------------- XII: Augenblick In the cool of the evening when everything is getting kinda groovy I call you up and ask you: Would you like to go with me and see a movie. First you say no, you’ve got some plans for tonight And then you stop and say all right. You always keep me guessing, I never seem to know what you are thinking And if a boy looks at you, it's for sure your little eye will be a-winking I get confused: I never know where I stand And then you smile – and hold my hand. If you decide someday to stop this little game that you've been playing I'm gonna tell you all the things my heart's been dying to be saying Just like a ghost you've been haunting my dreams But now I know: You're not what you seem. Love is kinda crazy with a spooky little boy like you. (Dusty Springfield) Joey Wheeler im Interview Part II Ok … läuft die Kamera? Gut. Hey, ihr da oben. Ich hab ne kleine Ansage für euch. Wenn ihr denkt, ihr könnt hier irgendwelche Psychospielchen mit uns spielen, dann muss ich euch enttäuschen. Das, was ihr abzieht, stand nicht im Vertrag, und ich bin sicher, die Zuschauer da draußen durchschauen auch, was für eine miese Schiene ihr hier fahrt. Oder finden sie das sogar noch doppelt lustig?! Das wäre wirklich traurig. Auf was ich mich beziehe? Ist das nicht offensichtlich? Ich meine diese dämliche Aktion von heute Morgen, als ihr Yami und mich im Keller eingesperrt habt! Freiheitsberaubung nenne ich das! Was, wenn jemand von uns klaustrophobisch ist, hä? Was, wenn jemand ein Trauma hat? Habt ihr an sowas überhaupt nur mal gedacht?! Ich denke nicht, ihr Penner! Hä? … Was soll das heißen, ihr hattet damit nichts zu tun? Wer soll euch das bitte glauben? Haltet ihr uns für dämlich?! Jeder weiß, dass ihr hier die Fäden in der Hand haltet. Ihr habt wahrscheinlich Kontrolle über den Strom, ihr hackt euch in unseren Fernseher ein, und jetzt wollt ihr mir ernsthaft weismachen, das mit dem Keller war nicht euer Werk? Ihr seid ja noch dämlicher und niederträchtiger als ich befürchtete hatte. Hört mal gut zu, damit das ein für alle Mal klar ist: Ich werde eigenhändig dafür sorgen, dass meinen Freunden hier drin nichts passiert und dass niemand körperlich oder psychisch zu Schaden kommt. Eine Sache, die euch anscheinend vollkommen egal ist! Ihr könnt euch nicht vorstellen, wie es ist, durch schlimme Zeiten zusammen zu gehen. Ihr wisst nicht, wie es sich anfühlt, wenn einem die Kontrolle über Dinge entgleitet, wenn es um Leben und Tod geht und man einfach nur versucht, alle, die einem etwas bedeuten, zu schützen und heil aus einer Sache rauszubringen. Ihr habt einfach keine Ahnung! Alles, was ihr kennt, ist euer lauschiges Büro, eure geleckten Apartments und euer Gehaltsscheck! Und wenn es wegen eines solchen vertragswidrigen Vorfalls schlechte Publicity für euch gibt, dann könnt ihr selbst schauen, wie ihr eure Einschaltquote rettet! Dann könnt ihr sehen, wo euer Monatsgehalt bleibt und wie ihr euren Urlaub auf den Bahamas bezahlt! Mir ist das egal, denn ich handle so, damit ich abends mit gutem Gewissen einschlafen kann! Und ihr Zuschauer da draußen vor dem Bildschirm: Seid nicht so dumm! Lasst euch nicht von so billiger Unterhaltung auf Kosten anderer einlullen. Was hier abgeht, ist nicht menschenwürdig. Und wenn sie noch so oft beteuern, sie hätten damit nichts zu tun gehabt. Fragt euch doch mal ernsthaft, wer es sonst gewesen sein soll. Wer sonst? ~*~ Eine tiefgreifende Unzufriedenheit hatte Umko heimgesucht. Mittlerweile bereute er es, überhaupt an diesem sinnlosen und unwürdigen Format teilgenommen zu haben. Im Inneren dieses Hauses erschien ihm alles, was in den letzten drei Jahren geschehen war, so weit entfernt. Alles, das weiter zurücklag, seine Beziehung mit Limono und alle Gefühle, die mit ihr einhergingen, dagegen nahm viel mehr Raum in seinem Kopf ein, als er es für gesund hielt. Er konnte ihre süßen und bitteren Seiten auf seiner Zunge schmecken wie einen gerade geöffneten Wein, der sein Aroma entfaltete. Umko war nicht sonderlich erpicht darauf gewesen, in irgendeiner Weise Zeit mit seinem Ex-Mann zu verbringen. Und doch hatte er keine Wahl gehabt, nachdem das Spiel ihn dazu verdonnert hatte, genau das zu tun. Es gefiel ihm nicht, dass ihm ihre gemeinsame Spurensuche zu deutlich in Erinnerung rief, wie gut sie miteinander harmonierten und dass sie etwas ineinander anstießen. Er wollte nicht mehr darüber nachdenken müssen, denn all das hatte er längst hinter sich gelassen. Es war zu kräftezehrend gewesen, sodass er keine Wahl gehabt hatte, als es endlich loszulassen. Dennoch ertappte er sich dabei, wie er Limono beobachtete, seine Regungen und Gesten studierte. Auch jetzt, bei seinem Duell gegen diesen mehr als merkwürdigen Seto Kaiba, ruhten seine Augen gebannt auf ihm. Limono schien immer zu wissen, wie man ein Publikum für sich gewann. Und er selbst stellte da leider keine Ausnahme dar. Er mochte es nicht, dass er begann, sich zu fragen, wie Seto Kaiba und sein Ex-Mann zueinanderstanden. Er mochte es nicht, dass in ihm erneut der Wunsch aufkam, Limonos Performance gelte ihm allein. Es war so erbärmlich. Er musste versuchen, nicht den Kontakt mit dem Hier und Jetzt zu verlieren. Musste sich in Erinnerung rufen, warum ihre Ehe auseinandergegangen war. Was danach gewesen war. Was er gelernt hatte und wer er dachte geworden zu sein. Aber je mehr er versuchte, daran festzuhalten, desto mehr entglitten ihm die dünnen Taue, die ihn mit der Gegenwart verbanden. ~*~ Umko trommelte mit den Fingern auf den Tresen. Dann nahm er einen weiteren Schluck aus seiner Bierflasche. Eine innere Unruhe hatte ihn befallen. Bereits seit einer Stunde saß er nun schon hier und wusste nicht, was das alles überhaupt sollte – es war ein regulärer Freitagabend in seinem und Limonos Leben. „Hey, welche Laus ist dir denn über die Leber gelaufen? Du sitzt schon die ganze Zeit total apathisch da und siehst aus, als wolltest du gar nicht wirklich hier sein.“ Der junge Mann, der sich neben ihn an die Bar gesetzt und sein Glas neben Umkos Bierflasche abgestellt hatte, lächelte ihn freundlich an. Er hatte blaues Haar und aufgeschlossene, rotbraune Augen. Obwohl seine Worte sicher nur gutgemeint waren, befand sich Umko in einem Tunnel, in dem er absolut nichts wahrnahm, abgesehen von seinen eigenen Gedanken, die ihn in höchster Lautstärke anschrien. Deshalb wandte er sich nur widerwillig dieser Unterbrechung zu, um die unerwünschte Anbahnung mit einem knappen „Nein, alles in Ordnung. Ich bin nur müde“ abzutun. „Ok … warum gehst du nicht nach Hause?“, ließ sein Sitznachbar nicht locker. Seine Gesichtszüge waren weich und neugierig musterte er Umko nun über den Rand seines Glases hinweg. Umko seufzte. „Mein Mann ist noch hier. Ich warte auf ihn“, sagte er wahrheitsgemäß. War es eine leise Enttäuschung, die nun durch die Augen seines Gegenübers zuckte? „Verstehe“, sagte er, „naja, wer weiß. Manchmal werden die Abende, die man am wenigsten herbeisehnt, ja unverhofft die besten“, redete der junge Mann einfach weiter und zwinkerte ihm zu. Umko sah amüsiert auf, „Ich bezweifle, dass das heute noch passieren wird.“ „Vielleicht nicht. Mir fiel nichts Besseres ein, um dich aufzuheitern“, gab der Blauhaarige schmunzelnd klein bei. Ein blasses Lächeln umspielte nun Umkos Mundwinkel. „Naja, es scheint wenigstens ein wenig geholfen zu haben“, stellte seine unfreiwillige Bekanntschaft zufrieden fest, „ich bin übrigens Ren.“ „Umko“, sagte Umko. Tatsächlich hatte ihn das bisschen Smalltalk ein wenig aus seinem Sumpf der schlechten Laune gezogen. Ren und Umko unterhielten sich eine ganze Weile miteinander und tranken das ein oder andere Bier. Und auch wenn sie sich nicht besonders viel von Belang erzählten, so war es doch eine gute Alternative dazu, hier zu sitzen und darauf zu warten, dass Limono die Lust am Feiern verlor, das musste Umko letztlich zugeben. Ren schien ein nettes Gespräch so sehr zu schätzen wie er selbst. Und während Umko von seiner Arbeit erzählte, während Ren ihm erklärte, wie Hockey funktionierte und sie über die neusten Netflix-Serien fachsimpelten, wuchs in Umko ein unterschwelliger Groll gegen Limono, der in den letzten beiden Stunden nicht auch nur ein einziges Mal hier aufgetaucht war und nach ihm gesehen hatte. Zuletzt hatte er einen flüchtigen Schimmer von ihm erhascht, wie er in Richtung Tanzfläche geschwebt war, und seitdem keine Spur mehr von ihm entdecken können. Die Beziehung mit Limono war nie einfach für Umko gewesen. Am schlimmsten war vielleicht das Gefühl, ihn nie ganz für sich alleine zu haben, ihn immer mit anderen teilen zu müssen. Wenn sie gemeinsam das Black Rainbow betraten, um den Abend auswärts zu verbringen, dauerte es meistens keine halbe Stunde bis Limono verschwunden war und Umko deplatziert an einem Tisch oder an der Bar zurückblieb. Es war in Ordnung für ihn, denn er war kein großer Tänzer und nicht sonderlich extrovertiert und er wollte Limono nicht um seinen Spaß bringen. Dennoch nistete sich jedes Mal eine Enttäuschung in ihm ein, den Abend nicht gemeinsam mit Limono verbringen zu können. Es war 2:00 Uhr, als Ren schließlich sagte: „Naja, ich denke, ich sollte mich mal so langsam auf den Weg machen. Ich muss morgen eigentlich früh raus. Ich bin schon länger hier als geplant.“ Gerade in diesem Moment tauchte Limono wie aus dem Nichts genau zwischen den beiden Gesprächspartnern auf. Sein Gesicht war gerötet, was ihm außerordentlich gutstand, und nachdem er beim Barkeeper ein Getränk bestellt hatte, wandte er sich lächelnd Umko zu und küsste ihn, als ob es in diesem Augenblick nichts Wichtigeres zu tun gäbe. Während er seine Hände auf Umkos Schultern liegen ließ, schenkte er ihm einen tiefen Blick und sagte: „Tut mir leid, hast du dich sehr gelangweilt?“ Und Umko hörte sich ein „Nein, ach was, alles gut“, antworten. Limonos Lächeln wurde größer und er sagte nah an Umkos Ohr: „Gut, dann bin ich froh. Ich hatte es schon befürchtet. Wollen wir gehen?“ Umko versank im Violett von Limonos Augen und die rauen Wellen in seinem Inneren waren geglättet. Er bemerkte kaum, wie Ren neben ihnen zahlte und noch vor ihnen den Club verließ, nachdem er einen letzten Blick über die Schulter zu Umko herübergeworfen hatte. Er verschwendete auch keinen Gedanken mehr auf seine neue Bekanntschaft. Es war stets dasselbe Spiel. Immer wenn Umko sich darüber ärgerte, wie egoistisch sich Limono verhielt, wenn diese Angst ihn ergriff und umklammert hielt, dass alles und jeder auf dieser Welt ein größeres Stück von Limono abbekam als er selbst, dass er in jeder Hinsicht auf der Strecke blieb, dann schaffte sein Partner es innerhalb eines Wimpernschlages, all diese Gefühle mit einem Wort, einer Geste wegzuwischen. Gerade wenn die Enttäuschung begann, Raum in seinen Gedanken zu gewinnen, gab es stets diesen Augenblick, in dem Limono unvermittelt neben ihm auftauchte und einen Arm um seine Taille legte oder ihm einen vertrauten Blick schenkte und ihm so wieder das Gefühl gab, dass sich all das lohnte. Dass es immer versteckte Nischen des Lebens, Worte und Gesten geben würde, die nur ihnen beiden gehörten. Dass zwischen ihnen alles anders war. Und dass Limono dies ebenso empfand. Limono war immer bei allen hoch im Kurs gewesen. Jeder kannte ihn und Limono kannte jeden. Er hatte ein Talent, es innerhalb weniger Herzschläge zu veranlassen, dass sich die Dinge um ihn drehten. Umko glaubte manchmal, er beeinflusste das Raum-Zeit-Kontinuum, indem er er nur einen Ort betrat. Er war eine Sonne, um die alles kreiste. Für Umko war es bereits nicht einfach gewesen, als sich dieses Szenario nur in den Kreisen ihrer Freunde und Bekannten aus dem Black Rainbow abgespielt hatte. Doch als Limono dann mit „Green Leviathan“ Bekanntheit erlangte, nahm das Ganze unerträgliche Ausmaße an, die er sich in seinen kühnsten Träumen nicht hatte ausmalen können. Es verging kein Tag mehr, an dem Limono, wenn sie durch die Stadt schlenderten, nicht von Fans beiderlei Geschlechtern angesprochen wurde. Umkos Ehemann war alles andere als der nette Boygroup-Star, der sich immer und überall für jeden Zeit nahm, aber das schien niemanden so recht zu stören. Im Gegenteil: Kichernde Mädchen und verzückte junge und ältere Männer schienen von Limonos unverblümter und manchmal unerhörter Art angezogen zu sein. Und Umko musste schnell begreifen, dass es nur eines in Limonos Leben gab, für das sie sich nicht interessierten: Und das war er selbst. Im Gegenteil wären sie alle froh gewesen, wenn es ihn nicht gegeben hätte. Wenn es nach ihnen gegangen wäre, dann wäre Limono entweder zu haben oder aber in einer aufregenden Romanze mit seinem zweiten Gitarristen Riku. Riku, der Umko von dem Moment an ein Dorn im Auge gewesen war, in dem Limono ihn als alten Bandkollegen vorgestellt hatte. Riku, der in sämtlichen Fanfictions, die Umko heimlich über „Green Leviathan“ im Internet las, als attraktiver und talentierter Liebhaber dargestellt wurde, der keinen von Limonos Wünschen unerfüllt ließ, während er selbst in selbigen nur der gehörnte, hintergangene Ehemann war. Er war kein eifersüchtiger Mensch und das durfte man in einer Beziehung mit Limono auch nicht sein, aber was Riku anging war Umko an einem Punkt angelangt, an dem er sich selbst nicht mehr wiedererkannte. Dass Limono ein sehr körperlicher Mensch war, der mit Berührungen nie geizte, auch nicht bei seinen Bekanntschaften im Black Rainbow, konnte Umko hinnehmen. Aber er spürte einen Stich in seinem Herzen, wenn er sah, was zwischen Riku und seinem Partner auf der Bühne passierte, und wie sehr die Fans der Band darauf abfuhren. Alle spürten es und das jagte Umko einen kalten Schauer der Gewissheit über den Rücken. * „Zum tausendsten Mal, Umko, es ist – nichts – passiert!“, Limono sprach ruhig, aber in einem Ton, der keine weiteren Diskussionen mehr duldete, „Ich weiß nicht, wie oft ich es dir noch sagen soll, bevor du es mir glaubst!“ Limono stand in der Tür in seinem Mantel, einen Rollkoffer in einer Hand. Er sah ungeduldig auf die Uhr. Umko rang mit Worten. Was konnte er sagen, damit Limono seine Ängste und Gedanken begriff, bevor er gleich für so viele Tage vom Erdboden verschluckt sein würde. Er hatte das Gefühl, da war so viel, was sie einander klarmachen, voreinander aussprechen mussten, aber ihre gemeinsame Zeit war stets so knapp bemessen. „Limono, kannst du nicht einen späteren Zug nehmen?“, fragte er mit einem Anflug von Verzweiflung in der Stimme. Limono seufzte und verdrehte die Augen. „Du weißt, dass das nicht geht. Ich verpasse sonst den Gig. Und ich sehe so oder so nicht, wo dein Problem ist. Du rennst irgendwelchen Hirngespinsten nach.“ „Hirngespinste?! Nennst du es etwa Hirngespinste, wenn ich auf Aufzeichnungen eurer Konzerte sehe, wie Riku dir auf der Bühne die Zunge in den Hals schiebt und dich angrabscht?“, brauste Umko auf. Es war ihm egal, wie eifersüchtig und erbärmlich er auf Limono wirken musste. Er musste es einfach alles aus seinem System bekommen. „Wie oft soll ich dir noch sagen, dass das lediglich Show für die Fans ist und nichts weiter. Wieso willst du das nicht verstehen?! Unser Manager hat uns geraten …“ „Es ist mir egal, was euer Management euch rät! Du machst doch sonst auch nicht, was andere von dir wollen! Warum lässt du dich was das angeht so leicht darauf ein? Und überhaupt: Ich sehe doch, wie dieser Riku dir hinterhersabbert. Er steht total auf dich und er lässt keine Gelegenheit aus, dir nahezukommen! Du kannst mir nicht sagen, dass du das nicht siehst. Ich weiß, dass du sowas immer merkst.“ Limono schwieg jetzt. Einige Sekunden lang sah er Umko einfach nur wortlos an. Dann atmete er hörbar aus. „Ich muss jetzt los“, sagte er ruhig, „wir seh‘n uns in zwei Wochen.“ Die Worte waren wir eine Beißzange, die Umkos Herz zusammenpresste, und er konnte nicht mehr sprechen. Erschöpft ließ er sich auf das Sofa fallen, während das Geräusch der Räder von Limonos Koffer immer leiser wurde und schließlich verstummt war. Noch immer hatte er die Hoffnung nicht ganz aufgegeben, dass sein Partner vielleicht noch einmal umkehren würde, dass es ihm wichtiger war, diese Auseinandersetzung auszudiskutieren und beizulegen, dass das, was sie hatten, ihm wichtiger war. Doch es blieb still. Es war ein absurder Gedanke gewesen. Natürlich konnte Limono nicht einfach alles hinschmeißen. Die Band, sein Management, all die Fans, die ein Vermögen für Tickets ausgegeben hatten – sie alle zählten auf ihn. Nur Umko konnte das nicht. Kraftlos und unendlich müde sackte er auf dem Sofa in sich zusammen. All das war so wirr und er durchschaute es nicht mehr. Sicher gab es für ihn einen Platz in Limonos Leben, aber vielleicht war es nicht der Platz, den er sich wünschte. Er fühlte sich machtlos. Wie in einem bösen Traum, in dem man alles, was einem zustößt, über sich ergehen ließ. Er wollte aufwachen und sehen, dass alles war wie immer, wie früher. Also blieb er zurück in der stillen Wohnung. Ohne große Hoffnung starrte er auf sein Handy, aber es klingelte nicht. Was hatte er anderes erwartet? Limono war vor der Situation geflohen und die Ablenkung durch andere Verpflichtungen kam ihm wahrscheinlich nur zu recht. Für Umko jedoch waren die nächsten Tage eine Tortur. Er pendelte hin und her zwischen Angst, die ihm die Kehle zuschnürte, Hoffnung, Enttäuschung und Wut. Ja, er war wütend auf Limono, darauf, dass er Umkos Bedürfnisse so unter den Tisch kehrte, dass er so weit abgerutscht war in der Reihe von Limonos Prioritäten, dass er seine Gefühle und Bedenken nicht ernstnahm und nicht ansatzweise versuchte, ihn zu verstehen. Im nächsten Augenblick jedoch flaute der starke Ärger ab und wich einer Resignation und Traurigkeit, nur um an einer anderen Stelle in Umkos Gedankenkarussell wieder umso heißer aufzuflammen. Er konnte nicht weiter, hatte alles zerdacht und keinen Schlaf gefunden. Am dritten Tag fasste er einen Entschluss. Er musste es jetzt klären oder nie. Fahrig und übermüdet setzte er sich ins Auto. „Green Leviathan“ spielte heute Abend in Osaka. Bei Instagram hatte Limono ein Foto gepostet, auf dem im Hintergrund des Tourbusses der Schriftzug eines Hotels zu sehen war. Es war ein Leichtes, dahinterzukommen, wo die Band untergebracht war. Die Fahrt dauerte drei Stunden, aber Umko nahm keine Notiz davon, er war aufgekratzt und befand sich gedanklich in anderen Sphären. Als er das Hotel betrat, hängte er sich an die Fersen eines Staff-Members und folgte ihm in den dritten Stock. Während er den Flur entlanglief, hörte er aus einem der Zimmer laute, hitzige Stimmen. Eine davon erkannte er als Limonos, die andere musste zu Riku gehören. „Ich verstehe nicht, warum es jetzt soooo furchtbar tragisch ist, dass ich nicht beim Soundcheck war. Ich war eben müde!“, seufzte Limono entnervt. „Es IST tragisch, weil wir anderen auch nicht einfach machen können, was wir wollen!“, Rikus Antwort klang gepresst und er schien sich zusammenzureißen, um nicht zu schreien, „wir waren alle müde. So ist das nun mal, wenn man nach der Show lange feiert. Aber du bekommst genauso dein Geld für diesen Mist wie wir auch, wenn nicht sogar das Doppelte. Also hast du gefälligst auch was dafür zu tun!“ „Sag mir nicht, was ich zu tun oder zu lassen hab. Als ob ihr mich für den Soundcheck unbedingt gebraucht hättet.“ „Das hätten wir! Und darum geht es auch gar nicht. Du verstehst einfach meinen Punkt nicht!“ „Hör zu, ich funktioniere, wenn ich es muss, klar? Alles andere ist unwichtig und geht dich im Übrigen nichts an. Und abgesehen davon bin ich dir keine Rechenschaft schuldig. Also, würdest du jetzt bitte mein Zimmer verlassen? Ich habe zu tun.“ „Schon klar, ich bin immer nur gut genug, wenn dir gerade die Laune danach steht. Sobald es unangenehm wird, soll ich gehn“, bemerkte Riku schnippisch. „So siehts aus. Du hast es kapiert, warum bist du dann also noch hier?“, fragte Limono unbeeindruckt zurück. Umko hörte Schritte hinter der Tür und im nächsten Moment wurde sie schwungvoll aufgerissen. Limono blickte Umko an, der perplex auf dem Flur stand. Seine Augen weiteten sich überrascht. Umko konnte förmlich sehen, wie Limonos Schutzschilde sanken und seine harte Fassade bröckelte. Dann fiel er Umko wortlos um den Hals. Umko hielt ihn einfach fest, vergrub sein Gesicht in Limonos Haar, dass so vertraut duftete. Er sah kaum auf, als Riku sich mit dem abschätzigsten aller Blicke an ihnen vorbeidrängte und den Raum verließ. * Limono und Umko lagen auf dem Hotelbett. Limono hatte seinen Kopf an Umkos Schulter gebettet. „Ich würde lieber hierbleiben als heute Abend den Gig zu spielen“, sagte er und hob den Kopf leicht an, um Umko anzusehen. Sein Blick war jetzt ruhig und müde und er war ganz im Hier und Jetzt situiert. Nicht fern, wie bei ihrem letzten Gespräch. Umko zog ihn enger an sich heran. „Das wäre schön. Darf ich mir das Konzert anhören?“ Limono lächelte. Ein ehrliches Lächeln: Er schien sich über diese Bitte zu freuen: „Klar, ich besorge dir einen Backstage-Pass. Du kannst dich hinten aufhalten und dich am Buffet bedienen. Vielleicht solltest du öfter mit auf Tour gehen. Das hätte für uns beide viele Vorzüge“ Umko war noch dabei, diesen Vorschlag abzuwägen, als Limonos gelöste Gesichtszüge wieder ernster wurden. Leise fragte er: „Umko … glaubst du mir denn?“ Umkos Blick wanderte instinktiv in die andere Richtung. Es fiel ihm schwer, sich selbst oder Limono eine ehrliche Antwort darauf zu geben. Zaghaft sagte er: „Ich … ich versuche es zumindest.“ Es schien Limono zu ausreichen, auch wenn Umko sein verletzter Gesichtsausdruck nicht entging. All ihre Konflikte, die endlosen Diskussionen hatten sich für diesen Moment aufgelöst. Wieder einmal hatte Limonos ehrliche Reaktion und seine Freude darüber, dass Umko ihm hinterhergereist war, diesen all seinen Groll vergessen lassen. Wieder einmal fühlte er sich vom einen auf den nächsten Augenblick im Zentrum von Limonos Aufmerksamkeit, fühlte sich gebraucht und besonders. Wie bei ihren Besuchen im Black Rainbow war auch nun wieder dieser Moment gekommen, gerade als er angefangen hatte, alles von Anfang an zu hinterfragen, als seine Gefühle ins Wanken gerieten. Dieser Moment, in dem Limono ihn ansah, als wollte er nie jemand anderen ansehen. In dem nur sie beide Platz hatten. In dem er das Gefühl hatte, etwas in Limono bewegen zu können, etwas wecken zu können, das sonst schlummerte. Allein für diese Momente war diese bodenlose Achterbahnfahrt es ihm wert. Es waren diese schönen Oasen in ihrer Beziehung, die Umko im Glauben daran ließen, dass all das gut und richtig war. Es reichte ihm und er kam ohnehin nicht von alldem los. Er wollte Limono. Daran ließ sich nicht rütteln. Das, was er ihm gab, war einfach zu schön, um es gehenzulassen. Dennoch blieb ein winziger Zweifel zurück, die nagende Frage, ob er ein sicherer Hafen war, zu dem Limono immer wieder zurückkehren würde, oder nur jemand, den er von Zeit zu Zeit mit seiner vollen Aufmerksamkeit bedachte, wenn er sich an allem anderen sattgesehen hatte. Und der schwere Stein in Umkos Magen löste sich nicht ganz auf. ~*~ Nach dem Turnier war Umko ohne Umschweife auf sein Zimmer zurückgekehrt. Auch wenn er seinen Gedanken nicht entrinnen konnte, wollte er für sich sein. Er fürchtete sich davor, dass Limono ihn erneut ansprechen könnte. Er traute sich selbst nicht über den Weg und das enttäuschte ihn. War alles, was er sich eingeredet hatte und was er dachte gewonnen zu haben, nur ein Luftschloss gewesen? Würde er Limono wieder erliegen, wenn er ihm den nächsten exklusiven Augenblick schenkte? Und war Seto Kaiba vielleicht demselben Irrlicht hinterhergelaufen? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)