Canyon Camping von Yuugii (Yuri/Raven) ================================================================================ Kapitel 1: Teil I ----------------- „Leute! Jetzt mal ernsthaft, Onkel Raven braucht dringend eine Pause! Kommt schon nur fünf Minuten“, murrte der Brünette mit dem wüsten, zerzausten Haar und ließ theatralisch seine Zunge aus seinem Mund hängen und keuchte in einer solchen Lautstärke, dass selbst ein Maulwurf unter der Erde ihn hätten hören können. Seit Stunden waren sie in diesem felsigen Terrain und stiegen einige Klippen auf und wieder ab, nur um an ihr Ziel zu kommen. Die Relewiese Senke zu durchqueren war kein Kinderspiel. Der strahlend blaue Himmel ohne einer einzigen Wolke am Himmel und der Wind, der den feinen Sand in die Luft wirbelte, taten ihr übriges. Die Gruppe war angespannt. Genervt. Niemand hatte gesagt, dass es einfach werden würde die Elementargeister zu sammeln. Sie alle waren müde und selbst der sonst so ruhige und sich zurückhaltende Yuri reagierte nur noch gereizt auf Ravens dramatische Art sich zu beschweren. So langsam hatte er das Gefühl, dass Raven ihn einfach nur provozieren wollte. Vermutlich machte es ihm einfach Spaß sich am laufenden Band zu beschweren oder über Kleinigkeiten zu nörgeln. Erst ein Stein im Schuh, dann Sand im Auge, eine Fliege im Mund und jetzt das. Yuri hatte es schon lange aufgegeben, diesem schon lange volljährigen Plagegeist belehren zu wollen. Vollkommen egal, was er sagte, sein treuer Reisegefährte hörte ohnehin nur das, was er hören wollte oder grinste einfach nur in sich hinein. Doch einige Personen ihres Team waren nicht so zurückhaltend und kaum hatte Raven seinen Satz beendet, verpasste Rita ihm einen festen Schlag auf den Kopf, sodass er sich auf die Zunge biss und noch kläglicher jammerte. Carol lachte beherzt und auch Judith konnte ihr breites, schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen. Estelle kicherte leise auf. „Oh? Was ist denn los, Raven?“, kam es mit leicht spöttischen Unterton von Judith. „Ach, selbst meine liebste Judith hintergeht mich!“, murrte Raven und ließ den Kopf hängen. „Ist ja auch kein Wunder“, begann Rita und schenkte dem alten Kauz einen vernichtenden Blick. „Bei so einem schlechten Charakter machst du es uns nicht gerade schwer, dich zurückzulassen.“ „Haha... komm, so schlimm ist er doch auch nicht“, versuchte sich Carol einzumischen, doch Rita war nicht gewillt zuzuhören und verpasste dem Jüngeren eine Kopfnuss, ehe sie sich erneut an Raven wandte. „Wir alle sind müde und erschöpft! Reiß dich verdammt nochmal zusammen, du alte Zimperliese!“ „Autsch, das hat gesessen. Du brichst mir mein Herz. Bin ja schon ruhig“, flüsterte Raven kleinlaut und grinste dann, während er seine Arme hinter seinem Kopf verschränkte. Fürs erste war Raven somit ruhiggestellt und Yuri atmete erleichtert aus. Es war ohnehin schon schwierig genug, diesen Canyon hinabzusteigen, da hatte er nicht noch die Zeit oder gar die Kraft, sich das ständige Gemecker der alten Saufnase anzuhören. So langsam glaubte Yuri, dass er sich nur beklagte, weil er sich darüber amüsierte, wie seine jüngeren Teammitglieder sich über ihn aufregten. Das war wohl seine Form von Unterhaltung. Der Abstieg dauerte weitaus länger als geplant. Der einzige, der kein Problem damit zu haben schien, war Repede, der mittlerweile die Führung übernahm und zwischendurch gelangweilt gähnte, während er darauf wartete, dass seine Teamkollegen ihn endlich einholten. Yuri musste grinsen. Repede sprang einen kleinen Absatz hinab, setzte sich hin und gähnte erneut, warf seinen Teamkollegen einen fragenden Blick zu. Für ihn war es ein Leichtes sich hier zu bewegen. Und wäre Yuri nur mit Repede hier gewesen, wäre er vermutlich auch schon längst unten angekommen. Doch er konnte seine Freunde nicht wortlos stehenlassen. Als Yuri nach einem der Felsen griff, musste er mehrmals sicherstellen, dass die Steinwand sicher war. Ein Steinschlag war das letzte, was er hier gebrauchen konnte. Er wandte seinen Kopf zur Seite und ließ seinen Blick über die Schlucht gleiten. Goldbraune Felsen, das Pfeifen des Windes und das Echo eines vorbeifliegenden Falken erfüllten ihn und ließen in ihm das Gefühl von Freiheit aufkommen. Unter anderen Umständen wäre dies sicher eine wunderbare Reise gewesen. Jetzt, wo er die Hauptstadt verlassen hatte und die Welt erkundete und all die verschiedenen Orte bereiste, wurde ihm erst so richtig bewusst, wie klein sein Zuhause war. Wie erdrückend und langweilig seine Heimat gewesen war und wie krampfhaft er die Augen vor der Wahrheit verschlossen hatte. Die Barriere schenkte ihm die Möglichkeit eines friedliches Lebens, doch auch symbolisierte sie die Gitter eines Käfigs. Man konnte nicht einfach rein und rausgehen. Man lebte nur innerhalb der Mauern der Stadt. Nie hatte er das hinterfragt. Jetzt erschien es ihm fast unmöglich in seine vier Wände zurückzukehren und sein altes Leben ganz normal weiterzuführen. Nicht einmal die kaiserliche Armee hatten diesen Kontinent erforscht. Weccea galt als komplett unerforscht und fast niemand zuvor hatte je einen Fuß in diese Schlucht gesetzt. Das schroffe Gebirge um sie herum hielt Menschen davon ab, die Relewiese Senke zu betreten und es schien fast unmöglich sicher am Boden anzukommen. Doch Yuri gab nie auf. Ganz egal, was sich ihm in den Weg stellte, er ließ sich davon nicht beirren. Entschlossenheit brannte in ihm erneut auf. Noch ein tiefer Atemzug, ehe er sich weiter den Weg nach unten bahnte und seinen Freunden den Weg ebnete. Er sicherte den Pfad und achtete besonderes darauf, dass die Monster, die diese Schlucht als ihr Zuhause betrachteten, nicht zu sehr gestört wurden. Auf unnötige Kämpfe konnten sie gut und gerne verzichten, insbesondere da der Abstieg allein schon anstrengend genug war. »Als sie unten ankamen, erwartete sie Duke, der erklärte, dass er es für eine Anmaßung halte, dass sie die Welt verändern wollten, nur um ein Problem zu lösen, dass die Menschheit selbst verursacht hätte. Der Weißhaarige erwähnte zudem, dass sie Relewiese Respekt zollen sollten, da es sich um die älteste Quelle der Welt handelte. Yuri warf ihm einen skeptischen Blick zu, ehe sie sich in die Höhle begaben und auf Khroma stießen. Nach einem langen und harten Kampf, besiegten sie Khroma und schafften es ihr eigentliches Ziel, einen Elementargeist zu finden, zu erreichen.« Yuri verließ die Höhle. Erleichtert atmete er aus. Sie waren ihrem Ziel einen Schritt näher gekommen und der Kampf gegen Khroma verlief ziemlich gut. Noch immer rauschte das Adrenalin in seinen Adern. Dieser Kampf allein hatte den schweren Abstieg gerechtfertigt. Wie sehr er sich doch einen würdigen Gegner wünschte, der ihm im Kampf alles abverlangte. Er hatte es genossen, elegant sein Schwert zu schwingen und Khroma in ihrer Form als Entelexeia von den Füßen zu wehen. Doch auch sie unterlag seiner Kraft. Es ist frustrierend, dass die Kämpfe immer so schnell vorbei sind. Oder sind meine Erwartungen zu hoch?, grübelte er gedanklich weiter und analysierte den Kampf post factum. Sie hatten keine schweren Verwundungen zu beklagen und auch war die Erschöpfung nicht so schlimm, wie er erwartet hatte. Er selbst wäre locker in der Lage gewesen, wieder hochzuklettern. Er warf einen fragenden Blick in die Runde. Waren seine Freunde ebenfalls bereit, den Rückweg anzutreten? „Gut, lasst uns zurückkehren und mit Ba'ul den Ort verlassen“, erklärte Rita, konnte sich einen sorgenvollen Blick in Estelles Richtung nicht verkneifen. „Ja, wir sollten zurückkehren bevor es dunkel wird. Wer weiß, was für Monster hier nachts rumlaufen“, warf Carol etwas ängstlich ein und Yuri nickte dem zu. Gerade als er weitergehen wollte, hörte er Repede wimmern, der sich neben ihn stellte und seine Jacke zwischen seine Zähne nahm. „Was ist los, Repede? Willst du noch hierbleiben?“ Repede knurrte und zerrte Yuri zurück. „Hey! Mach mal halblang, Repede! Lass’ meine Jacke los!“ Yuri stemmte sich mit seinem ganzen Körpergewicht gegen seinen kleinen Begleiter, sodass dieser ihn nicht weiter mit sich ziehen konnte. Sofort ließ Repede den Stoff los und bellte laut. „Moment“, hauchte Yuri. Sein kleiner pelziger Freund wollte ihm etwas mitteilen. „Wo ist Raven?!“, kam es dann beinahe panisch von ihm und er sah die anderen fragend an. „War er nicht gerade noch hier?“, fragte Rita und hob eine Augenbraue. Der alte Kauz machte aber auch nur Ärger! Jetzt versteckte er sich und machte eine große Szene, nur weil man ihm keine Aufmerksamkeit schenkte? Wenn sie den Kerl zwischen die Finger bekam, würde sie ihm die Ohren langziehen! Der konnte sich auf etwas gefasst machen! Sie krempelte ihre Ärmel hoch und man hätte meinen können, dass sie ihre Faust mit Energie auflud, die sie mit einem Schlag bei Raven entladen wollte. „Ich schwöre dir, Raven, wenn du nicht sofort rauskommst und diese Posse nicht auf der Stelle beendest, wirst du dir wünschen, niemals geboren worden zu sein!“ Sie stampfte in Richtung Höhleneingang. Ihr Blick verriet, dass sie sich auf keine weiteren Diskussionen einlassen würde und zur Not den Kerl an ein Seil binden und hinterherschleifen würde. Rita hasste dieses kindisches Verhalten. Was glaubte Raven eigentlich, wer er war? Dabei war er um einiges älter als sie und verhielt sich schlimmer als ein Kleinkind! Sie war müde und obwohl sie Höhenangst hatte, würde sie alles dafür geben, in ihre Kajüte zu fallen und auf Ba'uls Rücken durch die Lüfte zu segeln. Ihre Haare waren verklebt von Sand und Dreck und auch wenn sie kein großer Fan vom Duschen war, würde sie ein erholsamen Bad zusammen mit Estelle nicht ablehnen. Der Gedanke trieb ihr die Röte ins Gesicht, doch schnell schüttelte sie diese unlauteren Gedanken wieder ab. Zunächst musste sie Raven Verstand einprügeln. Yuri folgte ihr, um das Schlimmste zu verhindern. Ihr kleiner Wirbelwind war geladen. Normalerweise hielt er sich aus solchen Streitigkeiten heraus. Dieses affige Verhalten war ihm einfach zuwider und er hatte keine Lust seine Zeit damit zu verplempern, Rita vor dem Explodieren zu bewahren. Ihre Zündschnur war ohnehin nur sehr kurz und sie war immer bereit zum Explodieren. Zügig überholte er sie. Als er sich einige Schritte innerhalb der Höhle befand, hörte er das Echo vieler Schritte, was ihm verriet, dass die anderen ihnen nun gefolgt waren. Judith in erster Linie, weil sie dramatische Komödien mochte und sie sich den Kampf zweier Sturköpfe nicht entgehen lassen wollte und Estelle und Carol aus Sorge. „Raven?“, fragte er nach und hörte erneut sein Echo, das es ihm eiskalt den Rücken herunterlaufen ließ. Ohne großartig nachzudenken, beschleunigte er sein Tempo und rannte wie von einer Tarantel gebissen in die Richtung, wo sie ihren Kampf gegen Khroma ausgefochten hatten. Irgendetwas in ihm fand keine Ruhe. Instinktiv wusste er, wo er seinen Blick hinrichten musste und inmitten der weißen, leuchtenden Blüten lag Ravens Körper reglos dar. „Hey, du alter Kauz! Wir wollen weiter! Keine Zeit für ein Nickerchen. Besser du nimmst die Beine in die Hand, bevor Rita hier ist“, sagte er während er ihm näher kam und vor ihm stehen blieb. Auf seinen Lippen befand sich ein amüsiertes Lächeln. Eine sanfte Brise durchfuhr die Höhle, welche ein Pfeifen hervorrief und Yuris langes Haar erfasste und dazu führte, dass die Blüten am Boden leise raschelten und einige Blütenblätter davon trieben. Er seufzte und ging in die Hocke und legte forsch eine Hand auf Ravens Schulter, schüttelte ihn mehrmals und sprach seinen Namen leicht gereizt aus. „Aufstehen, Raven!“, sprach er laut und deutlich im Befehlston. Für einen dummen Jungenstreich ging das hier eindeutig zu weit. „Ich fass’ es nicht! Liegt der Kerl hier einfach seelenruhig herum! Oh, dir mach’ ich Feuer unter’m Hintern!“, keifte Rita und machte sich bereit, einen Feuerball auf den scheinbaren Faulenzer abzufeuern, doch Carol und Estelle hielten sie im letzten Augenblick auf und riefen synchron: „Nicht!“. Repede kam näher und setzte sich wortlos neben den sonst so lebendigen und lauten Raven, der sich nun ausschwieg und keinerlei Lebenszeichen von sich gab. Vorsichtig legte er sich neben den Brünetten und wimmerte leise. Yuri zog seine Hand nun zurück und er spürte ein unsagbar schmerzhaftes Stechen in der Brust. Onkel Raven braucht dringend eine Pause! Kommt schon nur fünf Minuten, hörte er Ravens Stimme in seinem Kopf widerhallen. Hätte er Ravens Bitte ernst nehmen sollen? Wenn selbst Repede seine sanfte Seite zeigte und ganz ruhig wurde, war die Lage ernst. Raven veräppelte sie nicht und sein Klagen war ernst gemeint. Er hatte alles gegeben und kein Wort mehr verloren. Den sonst so munteren und vorlauten Raven schwach und hilflos zu sehen, gefiel Yuri nicht. Es fühlte sich falsch an. Das war keine Realität, die er akzeptieren wollte. Aber wann lief denn irgendetwas so, wie er es sich vorgestellt hatte? Wenn er genau darüber nachdachte, hatte Raven auch im Kampf immer wieder schweren Schaden erlitten und war unnatürlich still gewesen. Sonst meckerte er am laufenden Bann, klopfte dumme Sprüche oder flirtete spaßeshalber mit seinen Teamkollegen. Er blieb stets auf Distanz und war ein absoluter Meisterschütze. Er war ein erfahrener Kämpfer, der auf sich selbst aufpassen konnte und nicht beschützt werden musste. Das war der Hauptgrund, warum Yuri ihn überhaupt dabei hatte. Estelle, Carol und auch Rita waren noch Kinder und hatten kaum nennenswerte Erfahrung oder gar Fertigkeiten, die sie im Kampf voranbrachten. Natürlich waren Ritas magische Angriffe äußerst verheerend, doch im Nahkampf wäre sie der Klinge schutzlos ausgeliefert. Allein deshalb war er schon erleichtert, dass er Judith und Raven dabei hatte, die in den Kämpfen gekonnt die Gegner ausschalteten, ihre Kollegen beschützten und trotzdem unverwundet aus dem Kämpfen kamen. Und jetzt wurde ihm bewusst, dass Raven heute beinahe jeden Schlag abbekommen hatte. Wie oft hatte Khroma ihn mit ihrem langen Schweif von den Füßen gefegt? Wie oft wurde er gegen die harten Felswände geschlagen? Wie oft hatte er ihre scharfen Klauen abbekommen? Und all das, ohne mit der Wimper zu zucken oder sich zu beschweren. Stattdessen hatte er sich auf das Heilen konzentriert und weiterhin aus der Ferne angegriffen. Er hatte sich nicht unterkriegen lassen und trotzdem war er unglaublich unachtsam gewesen. „Raven, was tust du denn da? Ausweichen, du Trantüte!“, brüllte Yuri und sah wie der Ältere bewegungslos vor Khroma stehenblieb und das gigantische Monster anstarrte. Yuri eilte so schnell wie möglich zu ihm und in letzter Sekunde konnte er Khromas Schlag abwehren. Doch etwas beunruhigte ihn. Raven hatte ein mattes, beinahe deprimiertes Lächeln auf den Lippen. Es war nur ein Hauch einer Sekunde. Irgendetwas in Yuri sagte ihm, dass Raven diesen Schlag erwartet hatte und dass er nicht mehr ausweichen wollte. Hatte er genug davon, immer wegzulaufen und sich aus dem Kampfgeschehen herauszuhalten? Doch warum wirkte er beinahe enttäuscht darüber, dass Yuri ihm geholfen hatte? Khroma ließ ihm keine Zeit weiter nachzudenken und versuchte ihn zu überwältigen. „Urg... nicht mal in Ruhe nachdenken kann man hier“, murmelte er und wurde ein Stück nach hinten geschoben. Durch die vielen leuchtenden Blumen in der Höhle, hatte er keinen guten Halt und Khroma konnte ihn in ihrer Drachenform ohne große Anstrengung wegdrücken, doch das wollte er sich nicht gefallen lassen. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, hielt er ihre scharfe Klaue in der Luft und keuchte angestrengt. Sein Schwert klirrte während ihre scharfe Kralle auf das eiserne Metall traf. Sie war verdammt stark. Trotzdem gab er nicht auf, sammelte all seine Kräfte und schlug ihre Klaue davon, sodass sie einige Schritte nach hinten taumelte. Raven pfiff beeindruckt. „Wow, was für ein starker Kerl. Prinzessin Raven ist beeindruckt“, sagte er breit grinsend und rieb sich seinen kleinen Bart am Kinn. „Ich hoffe, unsere Prinzessin ist sich im Klaren, dass der Prinz gleich sein Schwert gegen sie richtet, wenn sie sich nicht endlich zusammenreißt!“ „Ja, ja... immer ich! Immer auf die armen, schwachen, alten Leute, die sich nicht mehr wehren können!“, jammerte er gespielt beleidigt und sein Grinsen wurde nur noch breiter. „Pass auf, dass ich dich nicht unterwegs an irgendeinem Hafen aussetze“, knurrte Yuri zurück. Er wollte sich über Raven ärgern, konnte es aber nicht. Eigentlich war es ganz witzig mit ihm zu diskutieren. Rasch machte er einen Ausweichschritt nach hinten, bevor Khromas Angriff ihn treffen konnte. Der ehemalige Ritter leckte sich über die Lippen. Ein hitziger Kampf mit echten Waffen zog er einer hitzigen Debatte jedoch vor, also stürzte er sich erneut ins Kampfgetümmel. „Wir rasten hier“, kam es bestimmt von Yuri. „H-hier?!“, wiederholte Carol ängstlich. „Was ist, wenn uns Monster angreifen? Hier sind wir ungeschützt und haben keine Fluchtmöglichkeit!“ „Ich sagte, dass wir hier rasten! Oder willst du jetzt doch wieder der Boss von Brave Vesperia sein? Du wolltest, dass ich der Anführer bin, also wirst du auch auf meine Befehle hören!“ Absolute Stille. Judith trat näher. „Wow. Ich mag es ja, wenn Männer geradeheraus sind, aber das geht zu weit. Du musst Carol nicht anschreien, nur weil du als Anführer versagt hast.“ Sie lächelte beinahe liebenswert, doch ihr Blick durchbohrte ihn wie ein Pfeil. Estelle mischte sich nun auch ein und stellte sich schützend vor Yuri, bevor die Situation noch weiter eskalieren konnte. „Wir sollten uns jetzt wirklich nicht streiten! Ich werde Raven heilen“, meinte sie und kam dem Älteren näher, faltete ihre Hände wie zum Gebet und begann ihre Kräfte auf ihn zu wirken. „Es funktioniert nicht“, hauchte sie schockiert. „Natürlich nicht. Erschöpfung ist keine Wunde, die du mit deiner Heilmagie aufheben kannst. Auch Krankheiten sind nichts, die man mit magischer Kraft allein bezwingen kann. Du hast es gut gemeint, Estelle, aber du darfst dich nicht verausgaben“, erklärte Rita und legte behutsam und mit einem warmen Lächeln auf ihren Lippen eine Hand auf Estelles Schulter. Die Prinzessin zwang sich zu einem Lächeln, warf dann einen Blick zurück zu Raven. „Und du, Yuri“, begann Rita und sog scharf Luft ein, ehe sie ihn mit einem zerschmetternden Blick fixierte. „Wir alle sind erschöpft und ausgelaugt. Wir haben einen schweren Kampf hinter uns und ich kann verstehen, dass du gereizt bist, aber das heißt nicht, dass du deinen Ärger an uns auslassen darfst. Wir alle – mich eingeschlossen – haben Raven nicht ernstgenommen. Trotzdem ist es fraglich, ob wir hier bleiben sollten. Weccea ist nicht gerade für seine Gastfreundschaft bekannt und nachts werden hier garantiert weitaus gefährlichere Monster als Rhinos und Echsen herumrennen“, meinte sie, verschränkte ihre Arme und stapfte mit einem Fuß auf und ab. „Ich weiß...“, murrte Yuri und drehte Raven auf den Rücken. Ich bin nicht wütend auf Raven oder auf die anderen, sondern weil ich als Anführer versagt habe. Judith hat recht. Hätte ich Raven mehr Beachtung geschenkt und ihn nicht ignoriert, hätte ich bemerkt, wie schlecht es ihm geht, fuhr er gedanklich fort und starrte auf die Blüten, die sanft im Wind hin und her wiegten. „Oh, du weißt das? Wie schön! Ich erwähne gerne nochmal, dass zu viel Aer gesundheitliche Auswirkungen hat und Raven sich nicht schneller erholen wird, wenn wir unser Lager hier aufschlagen. Oder soll ich dir sämtliche Folgen einer Aer Vergiftung auflisten, damit du mir glaubst?“ „WAS?! Wir sollen draußen unter dem freien Himmel rasten?!“, fragte Carol panisch und spürte, wie seine Seele in diesem Moment am liebsten seine Seele verlassen hätte. Das war doch nicht ihr ernst? Oder doch? Verdammt! Rita war immer so schwer zu durchschauen und wenn es eines gab, das Carol nicht mochte, dann waren es zweideutige Botschaften oder Ironie. Oder Sarkasmus! Die konnte er nie richtig einordnen. War ja auch irgendwie alles das gleiche und total kompliziert. Und außerdem...! Plötzliche viele Sterne vor seinen Augen und ein pochender Schmerz in seinem Kopf. Mal wieder hatte Rita zugeschlagen. Wieso konnte sie nicht wie alle anderen Mädchen einfach süß und lieb sein? Diese doofe Nuss! Immer schlug sie ihn, wenn sie unterschiedlicher Ansicht waren. „AUUU“, kreischte Carol und rieb sich seinen Kopf, zerzauste dabei seine Frisur. „Ruhe, du Weichei“, ermahnte sie ihn und warf ihm erneut einen bösen Blick zu. Judith kicherte amüsiert und kam nun näher. „Yuri könnte ihn ja hoch tragen und sobald wir hoch genug sind, rufe ich Ba'ul.“ „Das ist zu gefährlich“, warf Estelle ein. „Wir haben noch ein paar Zelte übrig, die sollten uns die Monster für ein paar Stunden fernhalten. Die Sonne geht gleich unter, also sollten wir jetzt keine Risiken eingehen. Wir haben sehr lange für den Abstieg gebraucht und der Weg nach oben wird sicher doppelt so schwierig. Im Dunkeln sehen wir nicht gut genug.“ „Gut, dann campen wir im Canyon. Das große Canyon Camping! Teil eins! Haha... hoffentlich gibt’s davon niemals eine Fortsetzung“, seufzte Carol und ließ den Kopf hängen. Repede schnaubte. „Was? Der war doch gut? Kommt schon! Kein Schmunzeln? Nichts? Bin ja schon ruhig“, murmelte er dann und sie machten sich auf den Weg nach draußen, wo sie zwei Zelte aufbauten und mithilfe von vertrockneten Ästen und Überresten von dem Gestrüpp ein kleines Lagerfeuer machten. Yuri hatte Raven nach draußen getragen. Wieso kann nicht einmal etwas nach Plan laufen? Ich ziehe den Ärger wohl echt magisch an. Wenigstens kann ich mich damit rühmen, besonders anziehend zu sein, schoss es Yuri dem Kopf. Der Mond erhellte die Klippen und spiegelte sich im Wasser wieder. Eine kleine Zwangspause war vielleicht gar nicht so schlecht. Es hieß doch, dass es die Reise war und nicht das Ziel, die einen erfüllte und den eigenen Horizont erweiterte. Wenn er eines gelernt hatte, dann war es, dass er als Anführer nichts taugte. Kapitel 2: Teil II ------------------ Siehst du, Flynn? Genau deshalb bin ich als Ritter nicht geeignet. Ich kann nicht mal meine Freunde beschützen und als Anführer einer Gilde muss ich noch eine Menge lernen. Du hättest das sicher sofort gemerkt, dass es Raven nicht gut geht. Du bist immer so besorgt um andere, fuhr er seinen Gedankengang fort und zwang sich zu einem kläglichen, müden Lächeln, das ihn alles an Kraft abverlangte. Ob du dir auch gerade den Mond ansiehst? Machst du dir wieder Sorgen um andere? So typisch für dich, du Idiot. „Yuri! Ich bin heute mit dem Abendessen dran!“, rief Carol ihm zu und grinste breit. „Und? Was gibt’s, kleiner Meisterkoch?“ „Spaghetti... mit Ketchup!“ „Nein, danke. Lass’ mich lieber kochen.“ Yuri verzog angewidert das Gesicht. „Das war ein Witz. Ich mache eine richtige Soße. Ich wollte... mit dir reden, das ist alles.“ „Nicht so schüchtern, Captain Carol, sonst nimmt dich niemand ernst. Vor allem nicht das Mädchen, das du beeindrucken willst“, sagte er mit einem kleinen vielsagenden Zwinkern. Carol wurde sofort puterrot und senkte den Blick. Yuri hätte schwören können, dass heißer Dampf aus seinen Ohren hervortrat, weil irgendetwas in seinen Synapsen durchgebrannt sein musste. „Sehr witzig...“, murrte er mit gespielt beleidigter Stimmlage und kam näher. „Es tut mir leid. Du bist der Anführer von Brave Vesperia. Ich hätte dir zuhören müssen.“ „Nein. Du hattest recht. Ich hätte mehr nachdenken müssen. Deine Einwände waren, nein, sind berechtigt.“ „Ich war es so lange gewohnt, immer nur wegzulaufen. Mittlerweile weiß ich, dass sich sein Gildenmitglied nicht dadurch profiliert, dass er so viel wie möglich alleine schafft. Wir müssen zusammenarbeiten, um unsere Ziele zu erreichen. Heute ist mir klar geworden, dass ich viel mehr aufpassen muss. Nicht nur auf mich selbst. Sondern auch auf meine Freunde. Wir sind ein Team und wir müssen uns zuhören und an einen Strang ziehen.“ „Du musst dich nicht entschuldigen. Nicht nur dir ist heute etwas klar geworden. Als Anführer muss ich sehr viel verantwortungsbewusster sein. Ich darf nicht einfach drauf losrennen, ohne mir Gedanken zu machen. Na ja, ich arbeite dran. Vielleicht kann ich das irgendwann wirklich in die Tat umsetzen und nicht nur große Reden schwingen“, sagte er mit eine tiefen Seufzer und vermied es Carol anzusehen. „Yuri.“ „Was?“ „Du bist kein Versager. Du bist großartig und wir alle schätzen dich. Wir sind ein Team. Vergiss das nicht.“ „Geht klar, Captain Carol!“, sagte er und gestikulierte einen Militärgruß, während er sich wie ein Soldat formatierte und stur auf einer Stelle stehen blieb. „Ich gehe dann mal kochen...“ Carol verdrehte die Augen. Er hatte sich den Titel „Captain“ noch lange nicht verdient und Yuri wusste, dass er so nicht genannt werden wollte. Als er zum Lagerfeuer zurückging, fragte er sich, ob Yuri über Raven grübelte oder ob nicht noch etwas Anderes auf seiner Seele lastete. Der Kerl machte ja auch nie den Mund auf und hatte zig Geheimnisse, die er nie preisgab. Aber er selbst schien zu glauben, dass niemand ihn durchschauen konnte. Dabei war er zu lesen wie ein offenes Buch. ★━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━★ „Rita, du bist so still. Alles in Ordnung?“, wollte Estelle fragen und nahm vorsichtig die Hand der Brünetten in ihre eigene und schenkte ihr einen besorgten Blick. Rita sah sie mit großen Augen an, legte dann den Kopf schief und suchte nach den richtigen Worten. „Ich weiß nicht warum, aber ich glaube, ich habe ein schlechtes Gewissen.“ „Wieso denn?“, fragte Estelle nach und drückte sanft die Hand ihrer Freundin. „Urg... na ja... vielleicht hätte ich Raven keine verpassen sollen? Vielleicht ist es meine Schuld, dass er umgekippt ist. Ich kann meine Kraft nur schwer regulieren und was ist, wenn ich ihm eine Gehirnerschütterung verpasst habe? Oder er einen bleibenden Hirnschaden beibehält? Nicht, dass das bei ihm einen großen Unterschied machen würde, aber ich möchte ungern die Verantwortung für diverse Spätfolgen tragen. Was ist, wenn ich seinen Frontallappen verletzt habe und er seine Sprachfähigkeit verliert? GUT, ja, er spricht immer wie ein Dorftrottel, das würde vielleicht kaum einen Unterschied machen, aber was ich eigentlich meine, ist“, begann sie und wollte gerade mit weiteren möglichen Faktoren beginnen, als Estelle ihren Finger auf ihre Lippen legte. „Du machst dir zu viele Sorgen.“ Das Lagerfeuer tauchte sie in warme Farben, wodurch ihr Lächeln noch herzlicher erschien. Rita wurde ganz still und wartete darauf, dass Estelle ihre Hand zurückzog. „Raven ist stark. Und du trägst keine Schuld. Du denkst nur wieder zu viel nach“, sagte sie dann und kicherte, zog ihre Hand nun endlich zurück. Sie schloss ihre Augen für einen Moment und Rita fand, dass ihre langen Wimpern und ihr zartes Gesicht sie wie einen Engel aussehen ließen. Sie versuchte sich ihre Aufregung nicht ansehen zu lassen und seufzte. „Du hast ja recht. Morgen früh steht er wieder lachend vor uns und dann kann ich ihn nach Herzenslust ausschimpfen, weil er uns allen Sorgen gemacht hat und wir wegen ihm hier bleiben mussten“, sagte sie dann und nickte sich selbst zustimmend zu. „Darauf wollte ich nicht hinaus...“, meinte die Prinzessin kleinlaut und ließ ihren Kopf hängen. Warum nur hatte Rita so viel Spaß daran, sich mit anderen zu zanken? ★━━━━━━━━━━━━━━━━━━━━★ Es war spät in der Nacht und Yuri hatte sich freiwillig dazu gemeldet, die Nachtwache zu übernehmen. Sein Blick war stur nach oben gerichtet. Das Feuer an ihrem Lager war beinahe völlig erloschen und nur noch einzelne Funken sprangen in die Höhe, die ein leises Knistern verursachten. Es war ziemlich ruhig. Still. Beinahe zu still. Er horchte auf, um sicher zu gehen, dass er keine möglichen Angreifer überhörte oder gar übersah. Yuri spürte die Präsenz einer Person. Jemand war hier. War Duke zurückgekehrt, um sie an ihren Vorhaben zu hindern? Leviathans Klaue? Oder gar die Jagdklingen? Langsam bewegte er seine Hand in Richtung seines Schwertes und gab keinerlei weitere Regung von sich. Sein Atem ging gleichmäßig. Er ließ sich nicht anmerken, dass er den unbekannten Eindringling bemerkt hatte. Die Barriere des Zelts war noch aufrecht, also konnte es sich um kein Monster handeln und wer auch immer hierher Fuß setzte, war kein Tourist oder ein lebenslustiger Abenteuer. Außerdem musste die Person hinter ihm unglaubliche Fähigkeiten haben. Seine Schritte waren nicht zu hören. Er wusste genau, wie man sich anschlich, ohne bemerkt zu werden. Doch Yuri war aufmerksam und hatte ein Leben in der Unterstadt von Zaphias geführt, wusste also ganz genau, jedes Geräusch und jede Schwingung in der Luft zu deuten. Ohne weiter darüber nachzudenken, drehte er sich auf der Stelle um, zog sein Schwert kunstvoll aus der Scheide und richtete es auf den vermeintlichen Angreifer. Schulterlange, braune Haare, die ihm ins Gesicht standen und die Hälfe seines Gesichts verbargen. „Whoah, whoah! Ganz ruhig! Lass mal die Pferde im Stall! Kein Grund mit dem Ding da auf mich zu zielen!“, erklärte sich der Angreifer, hob schützend beide Hände in die Luft und signalisierte, dass er unbewaffnet war, während die Spitze der Klinge direkt vor seinen Augen baumelte. Seine Frisur sah anders aus. Kaum zu glauben, wie sehr eine Frisur das Erscheinen einer Person verändern konnte. „Ach, du bist’s nur...“ „Wow, danke für den lebhaften Empfang. Ich kehre von den Toten zurück und keiner hält es für nötig, mich willkommen zu heißen. Ich bin echt froh, wieder zurück zu sein.“ „Das nächste Mal sag Bescheid, bevor du umkippst, Alterchen. In deinem Alter musst du vorsichtig sein. Jeder Schritt könnte dein letzter sein.“ „Urg, du brichst mir mein Herz, liebster Yuri. Deine Fürsorge ist zu viel des Guten.“ Yuri verstaute seine Waffe wieder in der Schwertscheide und warf sie sich über die Schulter, wandte sich wieder ab und tat so, als wäre sein Teamgefährte nicht hier. „Schlecht gelaunt?“, fragte dieser breit grinsend nach. „Nimmst du überhaupt irgendetwas ernst?“ „Klar, so einiges. Bei einem feinen Whisky bin ich immer ernst. Nur den feinsten Tropfen für den guten, alten Raven. Keine Ausnahme.“ Raven kicherte amüsiert und zuckte mit den Schultern. „Verdammt, Raven!“, keifte Yuri plötzlich und drehte sich zu dem Älteren um und warf ihm einen wütenden Blick zu. In seinen Augen brannte Zorn. Es war das erste Mal, dass Raven seinen Kameraden so wutentbrannt sah. Raven blieb sein Lachen in der Kehle stecken. „Du weißt ganz genau, was ich meine! Ich habe so langsam das Gefühl, dass du sterben willst! Und es ist mir scheißegal, was du mit deinem Leben anfängst, aber ich werde nicht die Verantwortung für deinen Tod tragen! Wenn du dich umbringen willst, dann lass mich da raus!“ Raven erwiderte nichts. „Warum sagst du nichts? Wieso rechtfertigst du dich nicht?“ Raven senkte nur den Blick und raunte etwas, was Yuri nicht hören konnte. „Du bist zu jung, um das zu verstehen.“ „Bin ich das? Ich mag vielleicht einiges jünger sein, dennoch scheine ich weitaus reifer und verantwortungsbewusster zu sein als du. Auch wenn du sterben willst, kannst du uns nicht da reinziehen. Carol, Estelle und Rita sollten mit deinen Problemen nichts zu tun haben. Du bist erwachsen und wenn du dich nicht entsprechend verhalten kannst, dann ziehe dich zurück und hör’ auf, uns ein Klotz am Bein zu sein.“ „Yuri, ich bin nich’ hier, weil ich es sein will. Es ist mein Auftrag, mein Job, euch zu begleiten. Ich nehm’ meine Pflicht sehr ernst. Und es ist nich’ so, dass ich es darauf anlege, hier und jetzt zu sterben. Glaub’ mir, Selbstmord ist nich’ schön. Blergh! Allein der Gedanke von einem Monster halbiert zu werden, ist ziemlich widerlich und stell’ dir mal vor, du überlebst trotzdem und musst dann weiterleben. Als halber Mensch, dem etwas fehlt. Der Tod hat etwas unglaublich Schönes an sich. Etwas Beruhigendes. Erlösend. Aber Sterben selbst macht keinen Spaß“, erklärte er und verschränkte die Arme. „Ich kann verstehen, dass die Erlebnisse im Krieg dich immer noch sehr belasten, aber ich werde nicht zulassen, dass du unsere Mission gefährdest. Wenn du dein Trauma nicht überwinden kannst, setze ich dich in Dahngrest ab und führe meine Reise ohne dich fort.“ „Och, komm schon. Jetzt verletzt du meine Gefühle. Was willst du mir noch etwas brechen?“ „Wenn du nicht aufpasst, sicher noch ein paar Knochen. Aber das kann ja auch ein Monster erledigen, da muss ich mir nicht die Hände schmutzig machen. Weiter oben befinden sich ein paar Panzertiere, die brauchen nur einmal über dich drüber laufen und dann bist du Matsch. Aber erwarte nicht, dass ich dich rette wie heute gegen Khroma.“ „Es war nich’ so, dass ich mich Khroma vor die Füße geworfen und drauf gewartet hätte, dass sie mir den finalen Schlag verpasst. Ich habe in unserem Kampf alles gegeben. Ich erinner’ dich gern’ dran, dass ich dich mehr als einmal mit meinem Love Shot geheilt hab’. Also? Wo bleibt mein Dankeschön? ♥“ „Ich glaube dir nicht. Du hast darauf gewartet, dass sie dich trifft.“ „Unsinn! Das bildest du dir nur ein.“ „Tue ich das? Ich kann dich nur schwer einschätzen, weil du dich ja immer über alles lustig machst und ich nicht weiß, wann du einen Witz machst und wann du es ernst meinst! Woher hätte ich wissen sollen, dass du wirklich erschöpft bist? Wo du doch ständig Witze drüber machst?“ „Yuri, komm’ wieder runter. Mir geht’s gut.“ „Dir geht es nicht gut! Zu deiner Information, du hast kein Herz! Auch wenn du glaubst, dass ich es nicht merke, sehe ich doch, dass du leidest und warum fragst du nicht verdammt noch mal Rita, ob sie dir hilft?! Sie erforscht Aer ihr ganzes Leben lang, sicher kann sie dir dabei helfen, dein Blastia Herz zu optimieren.“ Yuri wandte den Blick ab und ballte seine Hände zu Fäuste. „Aww, wie süß! Der sonst so grimmige Yuri, dem alles und jeder egal ist, macht sich Sorgen um mich! Ich fühle mich geehrt! Und? ♥ Wann steht unser Hochzeitstermin?“ „Hör auf mit deinen bescheuerten Witzen!“ „Was ist, wenn das gar kein Witz war?“ Raven zwinkerte und grinste amüsiert. Yuri atmete laut hörbar aus und sagte nichts mehr. Einige Minuten standen sie wortlos an dem kleinen vorbeirauschenden Fluss und beobachteten die Wellen auf dem Wasser, die durch kleinere Insekten hervorgerufen wurden. „Ich brauche nicht die Hilfe eines Kindes. Ich brauche niemandes Mitleid. Auch deines nich’, Yuri. Du solltest es am besten wissen, wie es sich anfühlt, wie ein Sonderling behandelt zu werden. Du bist doch in der Unterstadt aufgewachsen. Haben dich die mitleidigen Blicke anderer, vor allem der Menschen der Oberstadt, nich’ auch gestört? War das nich’ der Grund, warum du diese Reise angetreten hast? Weil du die Ungerechtigkeit nich’ zulassen wolltest?“ „Worauf willst du hinaus, Raven?“ „Du weißt genau, was ich meine. Ich krieg’ das allein hin. Ich komm’ schon klar.“ „Ist es so schwer für dich, die Hilfe deiner Freunde anzunehmen?“ „Du bist nicht der Richtige, mir diese Frage zu stellen, Yuri.“ Yuri konnte ihn nicht ansehen. Raven hatte recht. Er war der letzte, der ihm deshalb Vorhaltungen machen durfte. Immerhin hatte er viele Entscheidungen ohne die Zustimmung seiner Freunde getroffen und sie absichtlich im Dunkeln gelassen. Er hatte wirklich geglaubt, dass er die Bürde allein tragen musste, also hatte er sich dem Captain Cumore und dem Ratsmitglied Ragou selbst entledigt. Er konnte nicht darauf warten, dass das Gesetz diese beiden Verbrecher einholte, denn er wusste genau, dass Geld allein die Welt regierte. Wer genügend Geld hatte, konnte sich freikaufen. Weder Cumore noch Ragou hätten jemals ihre Fehler eingesehen. Sie beide hatten in ihren letzten Augenblicken äußerst traurige Gestalten abgegeben. Sie flehten um Gnade und bettelten um ihr Leben, doch Yuri hatte kein Mitleid für sie gehabt. Immerhin mussten andere Menschen wegen ihnen leiden oder hatten gar ihr Leben verloren. Ich habe diese Verantwortung übernommen und habe geglaubt, dass ich es für immer für mich behalten könnte. Aus Angst, dass ich sie damit belasten könnte, wollte ich es geheim halten und habe ihnen nicht zugetraut, diese Bürde zu tragen. Ich habe kein Recht über Vertrauen zu reden. Ich selbst kann die Hilfe anderer ja auch nicht annehmen, selbst wenn ich sie brauche, weil mein Stolz es mir nicht erlaubt, beendete er seinen Gedankengang und sah Raven nun mit finsterer Miene an. „Wir sind uns sehr ähnlich, Alterchen.“ „Sag’ ich doch. Wir passen wie Arsch auf Eimer zusammen!“ Er lachte heiter. „So würde ich es zwar nicht formulieren, aber ich lasse es ausnahmsweise mal durchgehen. Trotzdem bitte ich dich darum, zukünftig vorsichtiger zu sein. Selbst unsere Blastia-Forscherin war schockiert, dich in diesem Zustand zu sehen.“ „Was denn? Unser Haudegen hat sich Sorgen um mich gemacht? Hat sie auch geweint?“ „Wir alle haben uns Sorgen gemacht. Immerhin weiß niemand, ob dein Herz Blastia nicht einfach stehenbleibt. Es wäre schade, eine so gute Kampfkraft wie dich zu verlieren. Ich kann ja nicht den ganzen Tag auf unsere Kinder aufpassen und den Babysitter spielen“, sagte Yuri mit einem Grinsen. „Ach, geht es dir nur darum, dass du jemanden brauchst, der dir die Kids im Kampf vom Leib hält, damit du dich in Ruhe amüsieren kannst?“ „Mama Yuri braucht auch mal eine Auszeit.“ „Und Papa Raven wird hier nich’ gefragt?“ „Sorry, einer muss in der Beziehung ja immer Recht haben und das bin ja wohl offensichtlich ich.“ „Ey, Alter vor Schönheit!“, erwiderte Raven gespielt gekränkt und stemmte seine Hände in die Hüften. „Wenn du es so ausdrückst, sollte ich dich vielleicht doch im nächsten Altenheim aussetzen“, seufzte Yuri und zuckte mit den Schultern. „Yuri. Der hat echt wehgetan. Ging mitten ins Herz. Oder viel eher... durch?“ Yuri lachte leise und drehte sich zum Gehen um, steuerte das Camp wieder an. „Wo willst du hin?“, fragte Raven perplex nach. „Na, jetzt wo du ja wach bist, kannst du die Nachtwache übernehmen. Ich haue mich jetzt auf’ s Ohr!“ „Wie bitte?! Bleibst du wohl stehen! Du kannst den armen, kranken Patienten doch nicht mitten im Nirgendwo stehenlassen?!“ Raven stampfte auf und ab, doch Yuri zeigte sich unbeeindruckt. „Gute Nacht, Raven“, sagte er mit einem kleinen Zwinkern und drehte sich erneut um. Dann seufzte er und atmete tief ein. „Pass auf dich auf. Wenn du Hilfe brauchst, sage mir Bescheid. Ich weiß, dass du ungern um Hilfe bitten willst, aber ich kann dein Geheimnis bewahren. Ich werde niemanden sagen, wie es um dich steht. Ich erwarte im Gegenzug von dir, dass du wenigstens mir gegenüber ehrlich bist.“ „Verstanden.“ „Und sprich morgen mal mit Carol. Er würde es von uns allen am wenigsten ertragen, wenn du plötzlich vor die Hunde gehst.“ „Ich weiß. Papa Raven wird mit seinen Schützlingen morgen ganz in Ruhe sprechen und Mama Yuri kann sich jetzt mal eine Pause gönnen“, sagte er grinsend. Er hätte schwören können, dass Yuri geschmunzelt hatte, doch sicher konnte er sich nicht sein, da dieser mit dem Rücken zu ihm stand. Raven blieb mit seinen Gedanken zurück. Verzeiht, Leute. Ich bin halt echt nich’ mehr der Jüngste. Ist wohl ’ne Midlifecrisis. Wenn unser Captain und selbst die tickende Zeitbombe wegen mir besorgt waren, muss ich mich echt zusammenreißen. Auch wenn ich nich’ für mich leben kann... kann ich wenigstens für meine Freunde leben. Das wäre doch zumindest einen Versuch wert. Am nächsten Morgen reiste die Gruppe lauthals ab. Rita hatte Raven noch Stunden später beschimpft und ihn als miesen Simulanten bezeichnet, während sie ihn mit Feuerbällen durch die Gegend jagte und die anderen lachend daneben standen. Yuri fragte sich, wie lange sie noch so unbeschwert reisen konnten. Sein Blick galt dem Adephagos am Himmel, der die Welt zu verschlucken drohte und alles Leben auszulöschen vermochte. Obwohl ihre Situation mehr als nur ungewiss war, genoss er die friedliche Reise und das Abenteuer. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)