Rejection of Fate von Puppenspieler ================================================================================ Kapitel 1: One-Shot ------------------- „Was mache ich nur mit dir, Bruder?“   Hass.   Er war wie eine Puppe. Reglos, zuckte nicht einmal mit der Wimper. Nur das gleichmäßige Heben und Senken seines Brustkorbes zeigte, dass er noch lebte. Er bemerkte Vanitas nicht.   Er bemerkte Vanitas nie.   All die Zeit. All die Jahre, die sie nun schon zwei Teile eines Ganzen waren, war Ventus so unbekümmert blind für Vanitas‘ Existenz gewesen, wenn er nicht direkt vor ihm stand.   Wut.   Blind für sein Leid. Blind für den Schmerz. Blind für die Tränen, die auf heißem Stein versiegten, ohne dass sie je jemanden gekümmert hatten. Blind für die ohnmächtige Wut, die Verzweiflung, die Einsamkeit. Blind für all die Emotionen, die zu viel waren, als dass Vanitas sie in sich halten könnte.   Und da, wo Ventus blind war, war er selbst gezwungen gewesen, jede noch so kleine Regung seines Herzens am eigenen Leib zu spüren. Jede Angst, jede Unsicherheit, jede Panik, die ihn keuchend und vor Schmerzen windend zurückgelassen hatte. Jede Freude, jedes Glück, das ihn mit einem leisen Hauch von Wärme verspottete, der gleich wieder erlosch, um ihn eingefroren zurückzulassen. Jedes Lachen, das erdbebengleich seinen ganzen Körper erschütterte.   Auch jetzt – gäbe es etwas anderes als die gähnende Leere des Schlafes in Ventus‘ Herz, Vanitas würde es spüren. Er hatte es gespürt, vor gar nicht so lange Zeit. Ein kurzer Impuls. Wärme. Freude. Zufriedenheit. Nur ein kurzes Echo längst vergangener Emotionen, doch es war da gewesen.   „Sag, was war das? Was hat dich nach all den Jahren so sehr berührt, Ventus?“   Schmerz.   Und Vanitas hatte keine Wahl gehabt, als es zu ertragen. Ohne Körper, ohne Form – es war ihm unmöglich gewesen, irgendetwas zu tun, um das Gefühl abzuschütteln. Er hatte es ertragen müssen, hatte seine eigenen davon ausgelösten Emotionen ertragen müssen, ohne ein Ventil zu haben. Kein Körper, der Unversierte gebären konnte. Kein Körper, der das Schlüsselschwert rief um allem, was er fühlte, mit Aggression und Hass Luft machen zu können. Es tat so weh. Und doch war es genau dieser Schmerz, der ihm endlich wieder das Gefühl gab, zu leben.   Er war Ventus ausgeliefert gewesen.   All die Jahre.   Und all die Jahre…   Vanitas hob den Helm von seinem Kopf, warf ihn achtlos beiseite. Er sprang in einer eleganten Bewegung von der Lehne des Throns hinab, dessen geradezu lächerlich pompöse Größe den kleinen Ventus nur noch kleiner wirken ließ. Noch in der Luft beschwor er sein Schlüsselschwert.   Es war so sehr Routine, dass er nicht einmal hinsah.   Als er leichtfüßig vor Ventus auf dem Boden landete, zerstob gerade der letzte Unversierte wieder in Dunkelheit. Vanitas spürte, wie das heranwachsende Gefühl zu ihm zurückkehrte, nur, um bei nächster Gelegenheit erneut auszubrechen, wenn es ihn überwältigte.   Verzweiflung.   „Du bist nie, was ich brauche.“   Ein Schritt, und er war nah genug, um Ventus zu berühren, wenn er seine Hand nach ihm ausstreckte. „Du bist schwach, wenn du stark sein sollst“, fuhr er fort, ungerührt, dass sein Gegenüber ihm nicht zuhörte. Kein Wimpernzucken. Kein unregelmäßiger Atemzug. Nichts als Leere und Stille, die er von Ventus‘ Herzen spürte.   In einem jähen Anflug von Ärger packte Vanitas in blondes Haar, zwang sein Gegenüber, den Kopf zu heben. Nicht einmal der körperliche Schmerz erreichte den Jungen.   „Und dann bist du stark, wenn du dich mir unterordnen sollst.“ All das Elend könnte längst ein Ende haben. Wenn Ventus nicht in einem Anflug von gutmenschlichem Wahnsinn beschlossen hätte, lieber sein eigenes Herz zu riskieren, als die χ-Klinge zu reparieren. Vanitas hatte alles gespürt. Ventus‘ Verzweiflung, seine Angst um seine geliebten Freunde, seine Freundschaft, übelkeiterregend süß und unbeugsam. Ah, und seinen Hass – den Hass seiner eigenen Dunkelheit gegenüber. Und seine eigenen Gefühle? Seine eigene Verzweiflung? Sein Schmerz? Sein Hass auf Ventus, nutzlos und untauglich, der das bessere Leben hatte, obwohl er es nicht verdiente. Sein Neid. Seine Angst im Angesicht der Auslöschung. Ventus war blind dafür gewesen.   Wie immer.   Mit einem Schnauben ließ er von seinem Schopf ab, ließ die Hand hinabsinken, bis seine Fingerspitzen direkt auf der Brust des Jungen lagen, direkt auf seinem Herzen, dass still und stet pulsierte. „Du bist laut, wenn es unerträglich ist.“   All die Zeit, die er auf dem Schlüsselschwertfriedhof verbracht hatte, allein mit allem Elend, war das Schlimmste nicht die harte Hand seines Meisters gewesen, die Gnadenlosigkeit des Trainings, oder die Einsamkeit der Einöde. Es war Ventus‘ Herz, kaum, dass es erwacht war. Ventus‘ Herz, das ihm immer wieder in spontanen Ausbrüchen vor die Nase hielt, was er selbst nicht haben konnte. Ein Leben. Freunde. Glück.   Einsamkeit.   „Und das eine Mal, dass ich es hätte brauchen können… bist du still. All die Jahre warst du still.“   Jahre, in denen Vanitas’ Gesamte Existenz nichts mehr gewesen war als ein vages, körperloses Bewusstsein irgendwo im Nirgendwo. Er hatte keinen Halt und keine Orientierung gehabt, und seine einzige Verbindung zur Außenwelt – Ventus. Ventus, der hier saß und schlief, selbst im Auge der Bedrohung Vanitas. All die Jahre war sein Herz still gewesen. Still und leer und nichtssagend.   Das einzige, das Vanitas noch mit der Welt verband, hatte ihn im Stich gelassen.   Er spürte nichts, außer sich selbst. Seiner Gedanken, seiner Gefühle. Doch welchen Wert hatte das, wenn man allem Leben so fern war, als könne man genauso gut die einzige Existenz in allen Welten sein? Vielleicht war er längst tot, und die Gefühle nur ein stiller Nachhall einer Existenz, die nie hätte sein sollen. Vielleicht war er für immer verloren, abgetrieben ins endlose Nichts, in dem er auf Ewigkeit nichts tun konnte, als den Schmerz in seinem Herzen zu ertragen, und all die Gefühle, die er sonst mit dem Schlüsselschwert niedergestreckt hätte. Vielleicht existierte Ventus auch gar nicht mehr, und deshalb empfing er nichts als Stille von seiner anderen Hälfte.   Selbst vom jungen Abbild seines Meisters geborgen zu werden, hatte der ziellosen Erscheinung, die Vanitas‘ Sein war, kaum helfen können, sich seines Lebens sicher zu sein.   Und dann, plötzlich, kam die Regung, und so seicht sie war, der Schmerz, der mit ihr kam, war explosiv und atemberaubend, war viel mehr, als Vanitas ertragen konnte. Doch er war die Sicherheit, die er brauchte, um zu wissen, dass seine formlose Existenz wirklich noch eine Bestimmung hatte.   Er lebte. Er kehrte zurück.   Und dann suchte er, suchte, bis er schließlich sein Ziel gefunden hatte, den kleinen Jungen, der so unschuldig hier schlief und allen Tumult ignorierte. Noch ein Unversierter fiel Vanitas‘ Schlüsselschwert zum Opfer, ehe er seine gierigen kleinen Griffel nach Ventus ausstrecken konnte.   Abscheu.    „Was mache ich nur mit dir, Bruder?“   Vanitas lachte, laut, hart, ohne Freude. Seine Stimme hallte von den Wänden wider, trug ein gespenstiges Echo durch den Raum.   „Soll ich dich töten? Du bist immer noch so schwach. Aber der Meister sieht immer noch einen Nutzen in dir.“ Es war lange nicht mehr sein Ernst. Nichts als ein boshafter Scherz, dem beinahe der Biss fehlte. Ventus war die Kette, die ihn aller Freiheit beraubte, doch die Kette war unsprengbar, denn wo sie ihn einengte, war sie gleichzeitig das Einzige, das ihn zusammenhielt.    „Soll ich über deinen Schlaf wachen? Die Albträume fernhalten? Keine Sorge.“ Er gluckste, könnte nicht weiter entfernt sein von wahrer Belustigung. „Der wahre Albtraum beginnt für dich erst, wenn du erst deine Augen wieder aufschlägst. Weißt du, was mit deinen Freunden passiert ist?“ Er legte eine Kunstpause ein, in der Ventus natürlich nicht antwortete. Das Schweigen bedachte er mit einem hasserfüllten Schnauben. „Natürlich nicht.“ Blind, nicht für Vanitas‘, sondern für alles Elend.   Neid.   Es war so unfair, dieses bequeme Leben, das Ventus führte.   Verachtung.   „Sie sind alle dem Meister zum Opfer gefallen.“ Er grinste hämisch. „Wolltest du sie nicht beschützen? Ihn zurückholen, deinen Terra? Und dann hast du nicht einmal mitbekommen, dass sein Körper den Grundstein gelegt hat für alles, das Meister Xehanort in den letzten Jahren erreicht hat. Er ist unrettbar.“   Vielleicht war es Einbildung. Vielleicht hörte Ventus ihn doch. Für den Bruchteil eines Augenblicks glaubte Vanitas, so etwas wie eine Regung zu sehen, doch verborgen hinter einem Schleier aus blondem Haar war das Gesicht des Jungen viel zu wenig gut erkennbar, um sicher zu sein. Wunschdenken. Es spornte ihn trotzdem an, fortzufahren.   „Und Aqua. Die gute Aqua. Sie hat so viel aufgegeben. Um dich zu retten. Um Terra zu retten. Sie hat es wirklich versucht, im Gegensatz zu dir, Schwächling. Wenn du wüsstest, welchen Preis sie dafür zahlen musste…“ Er unterbrach sich für ein Seufzen, das vor Hohn und Spott nur so triefte, die gröbste Karikatur von Mitleid. „Ein Leben im Reich der Dunkelheit. So viele Jahre in Einsamkeit, unfähig, zu erfahren, was hier im Reich des Lichts passierte, mit nichts als ein bisschen Hoffnung im Herzen, um sich gegen den Wahnsinn zu wappnen, der an jeder Ecke lauert. Und am Ende… hat der Meister seine Klauen in sie geschlagen. Da ist keine Aqua mehr, zu der du zurückkehren kannst. Da ist kein Terra mehr, der dir das Haar zerzaust.“   Es war Vanitas, der es gerade tat, den blonden Schopf zerstrubbelte, wie er es einst im Traum gesehen hatte, als es Terras große Pranke gewesen war.   Es steckte keine Liebe in der Geste, keine Zuneigung.   Rachsucht.   Seine Finger krallten sich erneut in Ventus‘ Haar, hoben den Kopf des Jungen in einem groben Ruck wieder an. Seine Augen waren immer noch geschlossen, sein Gesicht ohne Regung. Noch. Ventus würde die Gnade des Schlafes nicht ewig ausnutzen können.   „Ich weiß jetzt, was ich tue.“ Er lächelte, kaltherzige Grausamkeit versteckt hinter einer Maske aus Zärtlichkeit, während die zweite Hand sich auf Ventus‘ Wange legte.  „Ich werde dich nicht töten, Ventus. Ich mag deinen Anblick kaum ertragen, aber so viel Gnade hast du gar nicht verdient, mein geliebter Bruder.“   So selbstzerstörerisch war Vanitas nicht. Er würde Ventus nicht töten, nein.   Ihm blühte ein weit besseres Schicksal.   „Ich kann es nicht erwarten, es zu sehen. Wie dein kleines Herz zerbricht, weil alles zerstört ist, was dir lieb und teuer ist. Und was bleibt dir dann noch, hm?“ Vanitas lachte, Wahnsinn brachte seine Stimme dazu, sich zu überschlagen. Er lehnte sich näher zu Ventus hinunter, näher, bis seine Stirn fast mit der des Jungen kollidierte, bis seine weit aufgerissenen Augen das fremde Gesicht nur noch verschwommen sahen.   Er konnte es nicht erwarten, bis dieser Frieden verzerrt wurde, wenn Ventus‘ ganze Welt zerbrach.   „Was bleibt noch, Ventus?“   Hilflosigkeit.   Vanitas kannte die Antwort. Lebte die Antwort.   Nichts blieb, wenn alle Hoffnung verloren war. Nur Schmerz, nur Wut, Verzweiflung, Tränen. Schreien bis zur Heiserkeit, ohne je gehört zu werden.   Dunkelheit.   „Du wirst ein Teil meiner Welt werden, Bruder mein“, wisperte er schließlich, als vertraue er ihm damit das größte Geheimnis an. Sein Blick wurde weich, während die frostige Kälte in seinen Augen nur noch kälter wurde. „Die Dunkelheit wird dich holen. Verschlucken. Ah. Du wirst verzweifeln. Du wirst leiden. Du wirst schreien.“ Er seufzte leise, zärtlich. „Du wirst keinen anderen Lebensweg mehr haben, keinen Daseinsgrund.“   Ventus‘ Stirn war warm, als Vanitas sie tatsächlich berührte. Warm wie seine Wange. Er ließ vom Haar des Jungen ab, hielt er ihn doch nun anders an seinem Platz, legte die Hand flach auf seine Brust. Spürte seinen Herzschlag, spürte seine Wärme, die nicht einmal so recht seine Fingerspitzen erreichen wollte. Bald würde all das fort sein. Die Ruhe. Der stille Frieden. Die Wärme des Glücks und der Freundschaft. Bald würde Ventus die Welt sehen, wie Vanitas sie sah: Kalt, einsam, nichts als Leid und Elend und Schmerz, der überwältigend und endlos war. Die Welt der Starken. Die Welt derer, die für ihre Bestimmung lebten, nicht für fadenscheinige Träumereien. Wirst du es sein, der bettelt, dass wir uns vereinen?   Hoffnung.   Ein schwacher Funke zuckte in seiner Brust. Es war nicht Ventus‘ Herz, das zu ihm sprach; von seinem Gegenüber empfing er immer noch nicht mehr als Stille.   „Du hast keinen Ausweg mehr. Dein schönes Leben in Glück und Freundschaft ist vorbei.“   Vanitas lächelte in grausamer Zufriedenheit, schloss die Augen.   „Du gehörst mir, Ventus.“   Erstaunen.   Plötzlich waren da Finger, die um sein Handgelenk griffen, fest und unnachgiebig. Ventus‘ Gesicht zeigte keine Regung. Sein Herz zeigte keine Regung.   Und trotzdem versuchte er, aufzubegehren. Obwohl es keinen Sinn mehr hatte. Vanitas‘ Gesicht verzog sich in einem Strom aus heißkalten Gefühlen zu einer Fratze und die Hand über Ventus‘ Herzen schnellte hinauf, bis sie seinen Hals umfasste. Die Schatten, die die Unversierten über sie warfen, wurden geradezu erdrückend.   Hass.   „Du gehörst mir.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)