Unsere Zukunft von Alaiya (Taichi/Koushiro & Mimi/Miyako OS-Sammlung) ================================================================================ [15. Juli 2009] Unentschlossen ------------------------------ Mit gleich zwei gehobenen Augenbrauen sah Mimi über Koushiros Schulter. „Und du bist dir sicher, dass du nicht shoppen gehen möchtest?“ Er sah nur auf den Bildschirm, klickte von einem Angebot zum nächsten, ohne auch nur zu wissen, wonach er eigentlich suchte. „Ziemlich sicher“, murrte er. „Also wenn du mich fragst, würde ich ihm ja etwas zum Anziehen schenken“, meinte Mimi. „Taichi könnte einen neuen Stil vertragen, seit er studiert ...“ „Glaubst du wirklich, dass Koushiro der richtige für Stilberatung ist?“, warf Tentomon ein, das zu Koushiros Füßen am Boden hockte, von wo aus es seinen Partner und die beiden jungen Frauen beäugte. Diese Bemerkung brachte Koushiro tatsächlich dazu aufzusehen. „Was meinst du?“ „Es meint, dass du auch mal einen frischen Stil gebrauchen könntest“, erwiderte Palmon und sprang auf. „Ja, wenn ich so darüber nachdenke, ist es ewig her, dass ich in etwas anderem als einen einfachen Hemd gesehen habe“, stimmte Mimi zu. Koushiro sah sie mit zusammengezogenen Augenbrauen an, doch dankbarerweise kam Miyako ihm zur Hilfe. „Mimi, lass uns erst einmal bei dem konkreten Problem helfen“, meinte sie und wandte sich wieder dem Rechner zu. „Ich meine ja nur.“ Ihre Freundin zog einen Schmollmund, lugte dann aber wieder über Koushiros Schulter. Wenn er ehrlich mit sich war, hatte Koushiro wirklich keine Ahnung, wonach er überhaupt suchen sollte. War es nicht peinlich? Er hatte nur noch vier Tage. Wenn er etwas aus dem Internet bestellen wollte, sollte er sich entscheiden, sonst wäre es nicht rechtzeitig da. Doch was schenkte man jemanden wie Taichi? Vielleicht lag Mimi ja gar nicht so falsch. Vielleicht wäre es durchaus keine schlechte Idee irgendeine Kleidung herauszusuchen. Doch er kannte sich damit nicht aus. Was, wenn es falsche Implikationen hatte? Was ... Er errötete. Hawkmon, das auf Miyakos Schoß saß, streckte sich, um ebenfalls auf den Bildschirm sehen zu können. „Gehen wir das ganze doch analytischer an. Was hast du ihm bisher denn zum Geburtstag geschenkt?“ Koushiro warf ihm einen Seitenblick zu. „Nichts.“ Ein synchrones Seufzen der beiden Frauen. „Nichts?“ Zur Antwort zuckte Koushiro nur mit den Schultern. „Ich ... Ich habe mir nie mit jemanden irgendwie Geschenke getauscht oder so. Also ... Ja. Wir waren ja nur Freunde.“ „Und jetzt?“, fragte Hawkmon, wurde jedoch von seiner Partnerin enger gefasst. „Jetzt sind sie zusammen und dann ist es halt etwas anderes.“ Koushiro sah zu Miyako, seufzte seinerseits und blickte auf den Bildschirm. Er klickte weiter durch die schier endlose Produktauswahl Amazons, die es leider umso schwerer machte, sich für etwas zu entscheiden. „Ein Buch ist zu unpersönlich“, überlegte er laut. „Und außerdem langweilig“, stimmte Mimi ihm zu. „Ach, jetzt tu nicht so“, erwiderte Miyako. „Und Taichi ist nicht der große Anime-Fan, um ihm sowas zu schenkten“, überlegte er weiter. „Wäre ja auch irgendwie seltsam“, warf Tentomon ein. „Hatte er nicht früher auch viel mit Videospielen zu tun?“, fragte Miyako. Alle wandten sich ihr zu. Sie zuckte mit den Schultern. „Ich weiß nur, dass Daisuke und Ken ein paar mal zu ihm rüber sind zum 'zocken'.“ Sie zeigte Anführungszeichen mit diesen Worten und verdrehte die Augen. „Ich glaube Takeru auch. Und einmal hat er Iori mitgeschleppt.“ „Und du?“ „Jungsabend“, murrte sie und verschränkte die Arme. „Die haben nur Angst.“ Wieder seufzte Koushiro. Mit Videospielen hatte er auch nie viel zu tun gehabt. Er hatte früher einmal eine Weile RPGs gespielt, aber damit endete seine Erfahrung auch. Am Computer programmierte er lieber, als seine Zeit mit irgendwelchen Spielen zu verschwenden. Vielleicht hätte er doch etwas tun sollen. „Was ist mit irgendwelchen Fußball-Sachen?“, schlug Mimi halbherzig vor. „Ich habe keine Ahnung, was er da hat und was nicht.“ Natürlich kannte er sich auch damit nicht aus. „Du könntest recherchieren“, meinte Miyako. „Ist das nicht etwas unpersönlich?“ Ein halbherziges Schulterzucken war die Antwort. Schließlich seufzte Mimi und ließ sich rücklings auf sein Bett fallen. „Na ja, du könntest auch selbst etwas machen, wenn es dir um die persönliche Note geht.“ „Selbst etwas machen?“, fragte er. „Ja.“ Auch sie zuckte mit den Achseln, während sie die Decke fixierte. „Ich meine ... Keine Ahnung. Du könntest etwas kochen?“ Koushiro überlegte für eine Weile. Eine Erinnerung an einige Sommertage, an denen Yagami Yuuko ihn als Kochhilfe dazugeholt hatte, während seine Eltern nicht im Haus gewesen waren, kamen ihn in Erinnerung. An sich war Taichi der bessere Koch, verglichen mit ihm. Er hatte ja öfter für Hikari gekocht, als die beiden klein gewesen waren. War es vielleicht deswegen eine gute Idee? Immerhin würde er etwas probieren, worin er nicht gut war. Aber was, wenn es schief ging? Es war zum Haare raufen. Warum war er mit diesen Dingen nur so schlecht? Er klappte den Laptop zu und seufzte. Es war halt so schwer. Vielleicht sollte er ihm einfach einen Gutschein schenken oder so etwas in der Art. Das wäre unpersönlich und einfallslos, aber immerhin wäre es etwas. Miyako klopfte ihm auf die Schulter. „Komm. Dir fällt schon etwas ein.“ Niedergeschlagen sah Koushiro auf seinen zugeklappten Laptop. „Es ist doch egal, was es ist. Also, ich meine, er wird sich ja definitiv freuen, was von dir zu bekommen, weißt du?“ Unsicher lächelnd schaute Miyako ihn an. „Also werd darüber besser nicht nervös, ja?“ „Ja“, seufzte er. Am liebsten hätte auch er sich auf das Bett fallen lassen, was jedoch schwer oder eher peinlich gewesen wäre, da Mimi bereits hier lag. Sie hatte ihr neues Handy herausgeholt und schien gerade ihr eigenes Spiegelbild auf dem Bildschirm zu betrachten oder eher ihr Abbild, das mit der Frontalkamera ... Koushiros Blick wanderte zu seinem Laptop zurück. Er stand auf und setzte sich an seinen Schreibtisch. „Koushiro-han?“, fragte Tentomon vorsichtig, als er seinen Laptop mit dem Stand-PC verband. War es eine dumme Idee? Es wäre ja eigentlich nicht nur für Taichi, aber ... „Ich glaube, ich habe eine Idee“, murmelte er und rief den Programmeditor auf. Es war sieben Uhr am Morgen, als Taichis Wecker klingelte. Immerhin hatte er um halb zehn seine erste Vorlesung und wollte vorher noch etwas in der Bibliothek nachschauen. Leider war auch der eigene Geburtstag nichts besonderes, wenn man einmal studierte. Nicht einmal Kuchen gab es zum Frühstück. Mit diesem bedauerlichen Gedanken streckte er sich, nahm sein Handy vom Nachttisch, um den Wecker auszustellen. Es war ein neues Modell, dass er vor zwei Wochen bereits von seinem Vater als verfrühtes Geburtstagsgeschenk bekommen hatte. Wenig überraschend fand er gleich mehrere neue Nachrichten da. Geburtstagsgrüße. Von Yamato, von Takeru, von Hikari, die er erst am Nachmittag treffen würde, von Sora, von Mimi, von Daisuke und auch eine von Michael aus den USA. Er rieb sich die Augen, während er noch einmal gähnte. Er hasste den frühen Morgen. Doch was hatte er für eine Wahl. Natürlich war da auch eine Nachricht von Koushiro. Mit Anhang. Taichi lächelte unwillkürlich, als er die Nachricht öffnete. Er war am Abend mit Koushiro verabredet und wusste sehr wohl, dass sein Freund deutlich nervös deswegen war. Schließlich tat Koushiro sich mit diesen Dingen schwer. Die Nachricht war kurz: Alles Gute zum Geburtstag, Taichi. Mein Geschenk ist vielleicht etwas ungewöhnlich. Es ist nicht ganz fertig. Probier es aus. Installier es auf deinem Handy. Taichi klickte auf den Anhang. Tatsächlich ein Programm. Sein Handy warnte ihn fremde Inhalte nur zu installieren, wenn er den Urheber kannte und vertraute. Doch er kannte Koushiro und vertraute ihm erst recht. Er stellte den Download an, ehe er aufstand, um ins Badezimmer zu gehen. Zehn Minuten später kam er mit gewaschenem Gesicht und gegelten Haaren in sein Schlafzimmer zurück, das wie so oft während der Vorlesungszeit leer war. Es war einfach eine schlechte Idee ein gelangweiltes Digimon allein in einem Apartment zu lassen - einmal ganz davon abgesehen, dass es seine Vermieterin nicht mochte. Das Programm, dass Koushiro ihm geschickt hatte, war fertig programmiert. Gate 0.1 hatte sein Handy es betitelt. Taichi hob eine Augenbraue, ehe er es öffnete. Das Bild, dass sich ihm zeigte, war vertraut. Das Tor zur digitalen Welt, wie sie es auch auf den Laptops hatten. Und mitten im Fenster zu sehen war etwas Wald. Ein Abschnitt von File Island, wenn er nicht irrte. Er hob das Handy und das Bild hob sich ebenfalls. Konnte es sein? Er drehte das Handy etwas, bekam wieder ein neues Bild gezeigt und nun wurde auch eine kleine, orangene Gestalt sichtbar, die gegen einen Baum gelehnt vor sich hin döste. Das musste Koushiro so geplant haben. Natürlich hatte er das so geplant. Taichi grinste. „Hey, Agumon?“ Die orangene Gestalt schnarchte munter weiter. „Agumon?“ Das Digimon grummelte etwas Unverständliches. Wahrscheinlich hatte Koushiro den guten Schlaf von Taichis Partner nicht mit einbezogen. Dennoch grinste Taichi, als er auf die Mail wechselte und eine sehr knappe Antwort schrieb: Du bist ein Genie. [28. August 2009] Kulturelle Unterschiede ----------------------------------------- Krach. Geschrei. Kreischende Kinder. Lachen. Brechende Wellen. Noch mehr Kreischen. Musik. Erholsam war etwas anderes. Zweifelnd sah Miyako zu Michael. „Es ist voll hier.“ Der amerikanische Auserwählte grinste sie an. „Cool, ne?“ Miyako seufzte und tauschte einen Blick mit Poromon, das eine Flügelbewegung machte – sein Equivalent eines Schulterzuckens. Eigentlich hatte sie gehofft ein wenig mehr Privatsphäre zu haben. Mimi drückte ihre Hand. „Jetzt komm schon. Das Wetter ist gut. Natürlich kommen Leute hierher.“ Der Wind wehte ihr die Haare aus dem Gesicht. „Und mal ehrlich, der Strand ist wunderschön.“ Wieder war ein Seufzen Miyakos einzige Antwort. Sie wollte nicht widersprechen. In Odaiba war es an Tagen wie diesem auch nicht anders. Der Strand war mit Leuten überfüllt, inklusive trotz Badeverbot planschender Kinder. Ein zweifelnder Blick von Mimi, während Tanemon aus ihrer Badetasche lugte. „Na?“ „Schon gut, schon gut.“ Miyako erlaubte, dass Mimi sie mit sich zog, als sie Michael und Maria zum Strand folgte. Sie liefen die Promenade entlang, dann eine der vielen Holztreppen hinunter. Der Strand war voll, aber nicht voll genug, als dass sie Probleme gehabt hätten, einen Platz für ihre Picknickdecke und Badesachen zu finden. Vielleicht hätte Miyako sich wohler gefühlt, wäre es nicht so ungewohnt gewesen, ständig das amerikanische Geschrei zu hören. Sie war daran nicht gewohnt. Es war zu laut. Es war zu fremd. Es waren Sommerferien. Und amerikanische Sommerferien waren förmlich endlos. Drei Monate. Es war ihr erster Sommer im fremden Land. Sie war zum Studium hierher gezogen, im vergangenen September. Viel hatte sie damals, dank der Englischpaukerei, nicht von den Resten des Sommers gehabt und nun … Warum hatte sie nur an den Strand gewollt? Während sie noch unschlüssig herumstand, schlüpfte Michael aus seinen Sachen. In weniger als einer Sekunde, stand er nur in einer orangen Badehose da, die er offenbar unter seinen Shorts getragen hatte und stürzte schon mit Betamon gemeinsam in Richtung des Wassers. Maria dagegen zögerte. Sie sah prüfend zu Miyako und Mimi. „Kann ich euch kurz allein lassen?“ „Sicher, sicher“, meinte Mimi schnell. Bokomon sah seine Partnerin an. „Ich kann auch auf die Sachen aufpassen.“ Maria lächelte. „Ich habe dich lieber dabei. Man weiß ja nie.“ Sie zwinkerte den anderen beiden jungen Frauen zu, ehe sie mit ihrer Tasche und mit Bokomon im Schlepptau losmarschierte, wahrscheinlich auf der Suche nach einer Umkleidekabine. Miyako seufzte und ließ sich auf die Decke fallen. An sich trug auch sie ihren Badeanzug unter der Kleidung. Sie war sich nur nicht sicher, ob sie einen Badegang überstehen würde, ohne mit einem Kind zu kollidieren. Sie begann ihre dünne, kurzärmlige Bluse zu öffnen und faltete sie zusammen, als sich Mimi neben sie setzte. „Alles in Ordnung?“, fragte sie auf Japanisch. Miyako wandte sich ihr zu und zuckte mit den Schultern. „Es ist halt …“ Sie sah zu einer Gruppe grölender Jugendlicher hinüber. „Ungewohnt.“ „Und das nach fast einem Jahr?“, meinte Mimi. Sie rückte näher an sie und legte einen Arm um sie. „Zu meiner Verteidigung: Ein Jahr hier auf fast achtzehn Jahre Japan.“ Mimi lachte. „Man kann hier besser feiern.“ „Du meinst, man kann sich hier auf Feiern besser totsaufen?“, kommentierte Miyako trocken. Sie war von Mimi gleich auf mehrere Studentenfeten geschleppt worden – und diese waren ihr noch gruseliger Gewesen als dieser Strand. Dabei hatte sie sich in Japan immer für jemanden gehalten, der gerne feierte. „Och komm schon, Miya-chan“, schnurrte Mimi und wuschelte durch ihr zu kurzes Haar. „Es ist nicht so …“ MIyako lachte leise. „Ja, es ist nicht so schlimm“, gab sie zu. Dann sah sie den Strand entlang. „Aber schlimm genug.“ Mimi zuckte mit den Schultern und küsste sie kurz auf die Wange. Dann rückte sie fort um die Knöpfe ihres weit geschnittenen Kleides zu öffnen und es zu Boden gleiten zu lassen, um ihren sehr rüschigen Bikini zu enthüllen. „Also: Kommst du rein?“ Sie sprach wieder Englisch. Miyako lehnte sich zurück und sah zum Himmel, gab dann aber seufzend nach. „Okay.“ Damit stand sie auf und entledigte sich Schuhen und Hose, was einige missmutigen Blicke auf sich zog. Ja, ja, wie konnte sie es nur wagen, sich außerhalb einer Umkleide … Dabei machten es doch die meisten. „Ich bleibe hier“, murrte Poromon und hopste auf die Badetasche. Mimis Blick war amüsiert. „Als ob wir etwas anderes erwartet hätten.“ Und während das kleine, fedrige Digimon seine Sonnenbrille auspackte, nahm Mimi Miyakos Hand und sie liefen gemeinsam in Richtung des Wassers. [4. September 2009] Tourismus ----------------------------- Irgendwie war es in der digitalen Welt einfacher. Vieles zumindest. In der digitalen Welt musste man sich weniger Sorgen machen. Über vieles. Jedenfalls nicht über andere Menschen. Selbst jetzt, wo mehr und mehr Kinder und Jugendliche Partner bekamen, war es leicht ein Plätzchen für Zweisamkeit zu finden. Es war leicht, einen Spaziergang zu machen, ohne einem einzelnen Menschen über den Weg zu laufen. Taichis Finger waren fest mit denen seines Freundes verwoben. Er wusste, dass gerade die Menschenleere vieles für seinen Freund einfacher machte. Koushiro hatte sich oft schon unwohl gefühlt, wenn andere Menschen da waren. Die vollen Straßen Tokyos, die oftmals vollen Parks, dort konnte er sich nicht entspannen. Hier in der digitalen Welt war es leichter. „Glaubst du, dass es hier jemals regnet?“, fragte er und schaute zu Koushiro, der stumm neben ihm herlief. Wenigstens hatte er seinen Laptop in der realen Welt zurückgelassen, etwas das nicht garantiert war. „Hier regnet es oft genug“, warf Agumon ein, dass neben ihnen her tapste. „Du merkst auch nie, wenn du nicht angesprochen bist“, kommentierte Tentomon. Taichi grinste und sah Koushiro an. Der junge Mann errötete, sah in Richtung des Sees, in dessen Mitte einmal ein verlassener U-Bahnwagon auf einer Insel gestanden war. „Nun, technisch gesehen gibt es in der digitalen Welt keine richtige Atmosphäre wie in unserer Welt, weshalb Wetterphänomene oftmals irrational sind oder vom Code eines Gebiets abhängen.“ Taichi lachte. „Das war eine Koushiro-typische Antwort.“ Dieser Komment jagte seinem Freund nur noch mehr Röte ins Gesicht. Schämte er sich? Manchmal fühlte sich Taichi wie ein Gedankenleser. „Und das meine ich natürlich vollkommen positiv“, fügte er rasch hinzu. Koushiro atmete tief durch. „Ich weiß, ich weiß.“ Er hob den Blick. „Ich weiß.“ In der Hoffnung ihn zu beruhigen, schenkte Taichi ihm ein Lächeln. „Ich habe zumindest nie einen Regenschauer hier erlebt.“ „Das könnte darauf zurückzuführen sein, dass du ein Tourist bist.“ Tentomon flog etwas höher, um auf einer Höhe mit Taichis Kopf zu sein. „Tourist?“, empörte sich Taichi übertrieben. „Ich bitte dich! Wir haben diese Welt gerettet.“ „Als Touristen.“ Seit wann hatte der rote Käfer so einen Humor? Denn es war deutlich erkennbar, dass seine Worte scherzhaft gemeint waren. Ein unterschwelliges und gelinde gesagt etwas gruseliges Kichern klang in seinen Worten mit. Taichi zuckte mit den Schultern und drückte Koushiros Hand. „Was sagst du dazu?“ Koushiro seufzte. „Nun, als Touristen würde ich uns nicht bezeichnen.“ „Na, leben tut ihr hier ja aber auch nicht“, meinte Tentomon. „Dann seid ihr aber auch Touristen“, erwiderte Taichi. „Wenn ihr in Tokyo seid.“ „Vielleicht.“ Taichi lachte und schüttelte den Kopf. Es war doch etwas gutes, einfach nur über diese Dinge scherzen zu können. Von einzelnen Vorfällen einmal abgesehen, hatten sie ziemlich lange Frieden gehabt. Keine bösen Digimon. Keine nahenden Weltuntergänge. Nur ab und an ein paar verwirrte Digimon und solche Kleinigkeiten. Er blieb stehen und fixierte die Insel in der Mitte des Sees. „Vielleicht sollten wir hier einmal wieder Grillen.“ Ein mattes Lächeln zeigte sich auf Koushiros Gesicht. „Pass dieses Mal aber besser auf, dass du keine friedlichen Digimon ankokelst.“ Taichi lachte, bis ihm etwas einfiel. Er runzelte die Stirn. Hatte er Koushiro je davon erzählt. Nun war es an Koushiro leise zu lachen, während Taichi Blick zu seinem Partner wanderte. Hatte Agumon davon erzählt? „Du bist manchmal leicht zu durchschauen“, meinte Koushiro leise. Sein Lächeln war sanft, breitete sich auch auf seine Augen aus. Manchmal war er wirklich süß. Ach, was dachte er da? Süß war Koushiro eigentlich immer. Taichi wandte sich ihm zu und hob vorsichtig eine Hand. Er war immer vorsichtig, wenn es um Koushiro ging. Er wusste zu genau, dass Koushiro es manchmal einfach nicht mochte, berührt zu werden. Erst als sein Freund nichts sagte und auch keine Anstalten machte, seine Hand wegzuschieben, beugte sich Taichi vor und legte seine Stirn gegen die Koushiros. Für einen Moment schloss er die Augen und genoss diesen Moment der Zweisamkeit. Dann küsste er ihn auf die Stirn. „Taichi?“, fragte Koushiro leise. Er hob die Augenbraue und sah ihn fragend an. Daraufhin hob Koushiro seine eigenen Hände, legte sie auf Taichis Schultern und streckte sich, um ihn kurz auf die Lippen zu küssen und sich dann mit geröteten Wangen wieder von ihm zu entfernen. Seine Wangen glühten, ehe er sich den beiden Digimon zuwandte. Auch Taichi folgte verlegen seinem Blick – dabei war es nicht leicht ihn in Verlegenheit zu bringen. Während Tentomon über dem Wasser vor sich hin surrte, als wäre es gänzlich allein hier, starrte Agumon sie unverhohlen an. Wie so oft. Taichi seufzte und lachte leise. „Spanner“, meinte er zu seinem Partner und ergriff wieder Koushiros Hand. Er sah zu ihm. „Wir sollten wieder öfter herkommen.“ Koushiro nickte, sein Blick dem See zugewandt. „Wir sind aber schon oft hier.“ „Öfter geht trotzdem“, erwiderte Taichi und drückte noch einmal seine Hand. [28. November 2009] Bärenwerkstatt ---------------------------------- „Ein Katzenbär?“, fragte Miyako und sah auf die Plüschhülle, die Hikari herausgesucht hatte. Hikari zuckte mit den Schultern. „Es erinnert mich ein wenig an Tailmon.“ Sie kicherte und schenkte Miyako ein weites Lächeln. „Vielleicht sollte ich es Tailmon schenken.“ „Tailmon, eh?“ Miyako schaute sich die schier endlose Auswahl an verschiedenen Plüschtier-Hüllen an. Es war wieder eine von Mimis wilden Ideen gewesen, wenngleich eine, die auch bei Sora und Hikari auf einige Gegenliebe gestoßen war. Erneut antwortete Hikari mit einem Schulterzucken. Ihr Blick war fragend, während sie ebenfalls noch die anderen möglichen Plüschtiere begutachtete. Miyako hob eine Augenbraue. „Na ja, hast du nicht … Irgendwen?“ Es fühlte sich seltsam an diese Frage zu stellen. Immerhin war Hikari jahrelang ihre beste Freundin gewesen, aber seit sie in verschiedenen Ländern lebten, bekam sie nicht immer das neuste mit. Sie wusste sehr wohl, dass sich Hikari von Takeru getrennt hatte und das vor mehr als zwei Monaten, doch was genau passiert war konnte sie nur raten. Leise seufzte Hikari. „Nein. Im Moment nicht. Ich habe im Moment sowieso zu viel zu tun.“ Nervös zwirbelte sie an einer ihrer Haarsträhnen. „Ich meine Uni und so.“ Miyako nickte nur. Hikaris Studium hatte erst vor kurzem Angefangen und wahrscheinlich war es deswegen umso stressiger. Ach, sie verfluchte manchmal Momoe, die viel davon geredet hatte, wie viel Zeit sie gehabt hatte. Ja, kein Wunder. Doofe Hauswirtschaftsuni. Dennoch musterte sie Hikari weiterhin. Etwas unschlüssig griff sie schließlich die Hülle für einen relativ normalen, weißen Teddy aus der Auslage. „Du und Takeru …“, begann sie schließlich. Dieses Mal war Hikaris Seufzen schwerer. Noch immer spielte sie mit ihrer Haarsträhne. Es war so seltsam, dass ihre Haare im Moment länger waren, als Miyakos. „Deswegen der Mädels-Ausflug?“ „Nein.“ Miyako hob abwehrend die Hände. „Das war Mimis Idee.“ Und Mimi war zusammen mit Sora irgendwo verschwunden, war wahrscheinlich schon irgendwo an der Füllstation oder weiter. „Ich dachte nur … Du weißt schon … Ich bekomme halt gar nichts mehr mit.“ Zumindest war es diesbezüglich angenehm, ausnahmsweise mal keine Digimon dabei zu haben – vorrangig, da diese in solchen Läden nur ungerne gesehen waren, also in Läden für Kinder. Ironisch, wenn man bedachte, dass Kinder weit häufiger Digimonpartner hatte, als jede andere Altersgruppe. „Sorry“, murmelte Hikari. Ihr Blick war auf die Ecke des Regals fixiert. „Na ja. Eigentlich ist es nichts dramatisches gewesen. Es ist nur …“ Sie lachte verlegen. „Ach …“ Ihre Wangen liefen rot an. Miyako schlenderte weiter, damit es nicht zu peinlich wurde, ließ ihren Blick die Regale entlang wandern. Vielleicht sollte sie auch noch Bären für ihre Schwestern mitnehmen – selbst wenn das doch etwas teuer würde. Warum musste Weihnachten immer so teuer sein, wenn man eine große Familie hatte? Schließlich seufzte Hikari, zum wohl sechsten oder siebten Mal. „Okay. Also kurzum: Takeru und ich waren halt nicht besonders lang zusammen. Es war halt zu seltsam.“ „Seltsam?“ Wurde sie zu amerikanisch? Ein unbestimmtes Gefühl sagte Miyako, dass sie vor eineinhalb Jahren noch nicht so nachgebohrt hatte. Sie räusperte sich unbeholfen. „Ich meine, ihr beide … Ich dachte immer, es wäre perfekt. Ich meine, ihr kennt euch schon so lange und alles …“ Hikaris Wangen glühten auf, verblassten jedoch schnell wieder. „Dachte ich ja auch.“ Bedauern schwang in ihrer Stimme mit. „Aber … Na ja. Vielleicht kennen wir uns halt auch zu gut. Es war seltsam.“ Sie schüttelte den Kopf, als wolle sie einen Gedanken verraten. „Die Sache ist halt, wir kennen uns so lange, dass … Es war fast, als wäre ich mit Taichi …“ Wieder schüttelte sie den Kopf und lachte verlegen. „Entschuldige. Das klingt albern.“ Unschlüssig sah Miyako zu ihrer Freundin, während sie gemeinsam in Richtung der Füllstation schlenderten. So ein wenig verstand sie, wovon Hikari redete. Takeru und sie hatten sich gekannt, seit sie sieben Jahre alt gewesen waren. Sie waren mehr als ihr halbes Leben unzertrennlich gewesen. Vielleicht wäre es vergleichbar damit gewesen, wenn sie irgendwann etwas mit Daisuke angefangen hatte. Immerhin hatte sie ihn auch schon seit frühster Grundschulzeit. Allein der Gedanke war albern. „Ich verstehe, glaub ich“, murmelte sie. Sie sah sich in dem großen und dank der sich nähernden Weihnachtszeit gut gefüllten Laden nach Mimi um. Immerhin hatte sie versprochen nicht zu schauen, was für einen Bären sie machte – sie ging jede Wette ein, dass dieser bunt und rüschig werden würde. Doch im Moment war sie nicht zu sehen. Gut. „Willst du was richtig Peinliches hören?“, fragte Hikari dann, während sie sich anstellten. Miyako warf ihr einen Seitenblick zu. „Vielleicht?“ „Als ich ganz klein war, war ich immer in Taichi verknallt“, murmelte Hikari. Etwas überfordert schaute Miyako sie an. Das war zu privat. Dankbarerweise musste sie nicht sofort antworten, da die Station frei wurde und eine Mitarbeiterin sie herwinkte. Gern überließ Miyako Hikari den Vortritt. Sie dachte an ihren eigenen Bruder. Sie konnte sich nicht daran erinnern, diesen je toll gefunden zu haben. Dann wiederum war sie auch lesbisch, aber selbst Momoe oder Chizuru hatte sie nie so gesehen. Einzig Jun. Als diese gerade in der Mittelschule und sie gerade in der Grundschule waren. Sie hatte es natürlich niemanden gesagt. Sie seufzte. Hikari war früher viel krank gewesen. Sie war oft zuhause gewesen, war nicht oft rausgekommen und wenn war Taichi oft dabei gewesen. Vielleicht war es normal. „Entschuldige“, seufzte Hikari, als sie sich wieder zu ihr stellte und nach Anweisung auf das Befüllpedal drückte. Schnell winkte Miyako ab. „Ich verstehe es schon. Ich meine, du hast früher viel mit Taichi und so …“ Das klang auch falsch. Sie schüttelte den Kopf. „Ich verstehe schon“, wiederholte sie nur. Hikari lächelte verlegen. Dann schwiegen sie, bis die Plüschtiere befüllt waren. „Und jetzt?“, fragte Hikari und sah sich hilfesuchend um. „Jetzt werden die Bären flauschig gebürstet“, erwiderte Miyako. Sie war wenigstens nicht das erste Mal hier. „Vielleicht sollten wir schauen, wo die anderen beiden sind“, meinte Hikari. Miyako zuckte mit den Schultern und holte ihr Handy heraus. Offenbar hatte sie vorher ein Klingeln überhört, denn sie hatte eine neue Nachricht von Mimi. Sie lächelte, als sie sie öffnete. „Die beiden sind offenbar schon fertig.“ Sie zeigte Hikari das Bild, das Mimi ihr geschickt hatte. „Wo ist das?“, fragte Hikari. Miyako seufzte. „Starbucks ein Block weiter.“ Wo auch sonst? Typisch Mimi. „Wir können uns gleich da mit ihnen treffen.“ „Das heißt, wir sollten uns beeilen?“ Sie nickte. „Heißt es wohl.“ Zumindest kamen sie dann weniger zum Reden über Dinge, bei denen sie unsicher war, was sie sagen sollte. [6. Dezember 2009] Jubiläum --------------------------- Es war kühl, nicht kalt. Genau wie letztes Jahr. Genau wie das Jahr davor. Taichis Hand lag warm in der Koushiros. Es freute ihn und gleichzeitig verunsicherte es ihn. Würde es jemand bemerken? Würde jemand etwas sagen? Es gehörte sich nicht in der Öffentlichkeit Händchen zu halten. Es gehörte sich einfach nicht. Schon gar nicht, wenn man als Mann mit einem anderen Mann Händchen hielt – nicht, dass Koushiro von sich selbst bereits als Mann dachte. Er war nicht einmal 20. Taichi bemerkte seinen unsicheren Blick, drehte sich zu ihm um. „Wir sind gleich da“, meinte er. Ja, es war beinahe eine Erleichterung, dass Taichi mittlerweile ein eigenes Apartment hatte und war es auch noch so klein. Es war billiger so, hatten seine Eltern gesagt. Doch die Begründung war Koushiro egal. Sie konnten allein sein. Nun, mehr oder minder allein. „Entspann dich, Koushiro“, meinte Tentomon, das neben ihm durch die Luft surrte und wahrscheinlich mehr Aufmerksamkeit auf sich zog, als ihre ineinander verschränkten Finger. Koushiro bemühte sich tief durchzuatmen, darüber nicht weiter nachzudenken. Ganz allein waren sie ohnehin nicht. Die meiste Zeit waren Tentomon und Agumon dabei. Auch wenn es manchmal nicht half. Im Gegenteil. Manchmal wünschte er sich ein wenig Zeit allein mit Taichi, auch wenn es ihm oft besser ging, wenn Tentomon dabei war. So war es halt. Tentomon war mehr oder minder ein Teil von ihm. Sie waren Partner. Zwei Teile eines ganzen. „Was ist eigentlich in dem Paket gewesen?“, fragte Taichi, als sie in die Straße zu dem Apartmentgebäude, wo er lebte, einbogen. „Eine Überraschung von Mimi“, erwiderte Koushiro. Er hatte versprechen müssen, es nicht zu verraten. Taichi stocherte weiter. „Und was?“ „Etwas zu essen!“, rief Agumon aus. „Ich habe es gerochen.“ „Kuchen?“, schloss Taichi mit detektivischem Spürsinn. Koushiro lächelte matt und wich dem Blick seines Freundes mit roten Wangen aus. „Ich darf nichts sagen“, murmelte er. Taichi seufzte melodramatisch, beschleunigte aber seinen Schritt und ging weiter. „Dann muss ich es wohl selbst herausfinden.“ Bald schon hatten sie das Gebäude – ein für Tokyo üblicher, zweistöckiger Plattenbau, der zehn Eineinhalb-Zimmer-Apartments beherbergte – erreicht und liefen die Treppe am Rand des Gebäudes hoch. Taichis Apartment war das vorletzte auf der oberen Ebene. Er fischte energetisch seinen Schlüssel aus der Tasche, ließ dafür Koushiros Hand los und schloss auf. „Dann schauen wir mal.“ „Du bist genauso verfressen wie Agumon“, meinte Koushiro. „Ich bin nur der Meinung, dass es zu Feiern auch etwas gutes zu Essen geben soll“, erwiderte Taichi mit einem zwinkern. Er öffnete die Tür und hielt sie für Koushiro auf. Dieser seufzte, trat herein, zog sich die Schuhe aus und stellte sie unter die Garderobe, ehe er sich eins der zwei Pantoffelpaare nahm. Er stiefelte bereits in die Wohnung, von Agumon und Tentomon gefolgt, während Taichi die Tür hinter ihnen schloss. Agumon fand als erstes den Weg zum Kühlschrank und öffnete diesen, um das die Pappschachtel, die Koushiro zuvor mitgebracht hatte, zu fixieren. „Kuchen.“ „Jetzt lass deine Krallen davon“, tadelte Tentomon. „Mimi-han hat den Kuchen für die beiden gemacht, nicht für dich.“ „Ich habe heute noch nichts zu Essen gehabt. Also, seit dem Frühstück nicht mehr.“ Taichi seufzte, als er zu ihnen trat. Er legte ganz beiläufig einen Arm um Koushiros Schultern und betrachtete seinen Partner. „Also früher warst du bei weitem nicht so verfressen.“ „Früher waren ich auch seltener hier“, konterte Agumon. „Menschenessen ist halt lecker.“ Taichi gluckste. Er klopfte Koushiro auf die Schulter, gab ihm dann einen schnellen Kuss auf die Wange. „Du kannst dich schon mal Setzen. Wenn du mir erlaubst, zu servieren.“ Koushiro sah etwas unschlüssig zu seinem Partner, zu Agumon und dann zu seinem Freund, ehe er nickte. Okay. Damit ging er zum kleinen Tisch zwischen Fernseher und Bett und kniete sich davor auf eins der Kissen. Mit ein wenig Hilfe von Agumon und Tentomon hatte Taichi innerhalb weniger Minuten das Päckchen, die vier Teller und Gabeln auf den Tisch gestellt. Dann nahm er die Fernbedienung seiner Klimaanlage und regelte die Temperatur etwas hoch, ehe er sich ebenfalls hinsetzte. Mit glänzenden Augen betrachtete Agumon das Paket. „Also“, begann Taichi mit einem Räuspern, „magst du oder soll ich?“ „Ich mach.“ Koushiro streckte sich und öffnete das Päckchen, in das er bisher selbst noch nicht reingeschaut hatte. Zuvor kam, wie er gewusst und Taichi schon vermutet hatte, ein Kuchen. Ein mittelgroßer, mit weißem Frosting überzogener Kuchen, der mit Beeren, glitzernder Schrift und einer ebenso glitzernder Zeichnung als Lebensmittelfarbe verziert war. Koushiro wurde rot, während Taichi lachte. „Typisch Mimi.“ „Alles Gute zum Einjährigen“, stand da zusammen mit einem Herzchen. Daneben war eine kleine mit Blümchen und weiteren Herzchen verzierte Eins gezeichnet. Koushiros Wangen glühte. „Sie übertreibt.“ „Lass sie“, erwiderte Taichi und nahm ein große Messer. „Darf ich?“ Koushiro zuckte mit den Schultern. „Ist ja auch mit für dich.“ Und so schnitt Taichi den Kuchen, der aus luftigen Teig, aber mit irgendeiner Art rotem Gelee gefüllt war, an. Das erste Stück bekam Agumon, das zweite Tentomon. Erst dann bediente Taichi Koushiro und sich selbst. Zumindest beherrschte sich Agumon lang genug, um zu warten, bis jeder etwas auf seinem Teller hatte, dann aber begann es, den Kuchen zu verschlingen. Koushiro derweil war zurückhaltend. Mimi war eine ausgesprochen gute Köchin, selbst wenn sie für seinen Geschmack meistens viel zu süß kochte und vor allem backte. Dennoch wusste er es zu schätzen, dass sie so etwas für ihn und Taichi tat. Generell, sie und Miyako hatten so viel für ihn getan. „Isst du nicht?“, fragte Taichi. „Ähm.“ Koushiro schreckte aus seinen Gedanken auf. „Doch. Doch.“ Taichi gluckste, ehe er mit seiner Gabel etwas von Koushiros Stück abtrennte und aufspieste. „Sag Aah“, meinte er. „Idiot“, murrte Koushiro. Sein erster Instinkt war es, von Taichi fortzurücken. Seine Wangen brannten. Doch beherrschte er sich, öffnete den Mund und ließ sich von Taichi füttern. Wie er geahnt hatte, war der Kuchen extrem süß, die Füllung – ein Beerengelee – aber auch sehr fruchtig. Er kaute, schluckte, während seine Wangen noch immer brannten. Zu seiner Überraschung bemerkte er auch, dass Taichis Wangen gerötet waren, als er ihn ansah. Er nahm seine eigene Gabel und aß stumm, fixierte seinen Blick dabei auf den Teller. Sie waren wirklich ein Jahr zusammen und noch immer wurde er so verlegen. Es war furchtbar mit ihm. Doch was sollte er dagegen tun? Als sein Teller leer war, atmete er tief durch. Vielleicht sollte er etwas sagen. Taichi nahm ihm diese Entscheidung ab. „Hey, Agumon?“ Das Digimon schaute überrascht von seinem mittlerweile sauber gelecktem Teller auf. „Ja?“ „Agumon“, begann nun auch Tentomon, das scheinbar verstand. „Was hältst du davon, wenn wir erst einmal ein wenig in die digitale Welt zurückgehen. Es ist … Ziemlich … Warm hier, oder?“ „Findest du?“ Agumon sah verständnislos zu ihm, verstand dann jedoch auch. „Oh. Ähm.“ Sein Blick wanderte zu seinem Partner. „Äh, ja. Sicher. Warm.“ „Koushiro?“, fragte Taichi. Koushiro nickte und zog seine Tasche zu sich, um seinen Laptop hervorzuholen. „Ich mache euch das Tor auf.“ Dabei konnten sie dankbar sein, dass es mittlerweile auch ohne D-3 ging. Mit ein paar kurzen Eingaben und einem heben seines Digivices öffnete sich das Tor zur digitalen Welt. „Ähm, wir sehen uns dann morgen“, meinte Tentomon verlegen, ehe es in die digitale Welt gezogen wurde. „Behalt mir noch etwas Kuchen da, ja, Taichi?“, bat Agumon. „Sicher“, erwiderte Taichi und seufzte, als das Digimon verschwunden war. Dann wandte er sich Koushiro zu, seine Wangen schon wieder etwas gerötet. „Sorry.“ Koushiro musterte ihn unsicher. „Schon gut.“ Er verstand. Taichi hatte mit ihm allein sein wollen und wenn man Agumon nicht aus der in diesem Fall recht metaphorischen Tür hinausschupste, würde es ewig da bleiben – vor allem wenn es Kuchen gab. Schweigen senkte sich über sie, während Taichi vorsichtig um den Tisch herumrückte, auf dem noch immer mehr als die Hälfte des Kuchens stand. Vorsichtig schob Taichi seine Hand über die Koushiros und beugte sich zu ihm rüber. Er wartete, wie er es immer tat, nahm Rücksicht, vielleicht zu viel, wenn Koushiro darüber nachdachte. Ein sanftes Lächeln war auf Taichis Gesicht zu sehen. Koushiro zögerte, wandte sich dann aber seinem Freund zu. „Ich …“ Die Stimme versagte ihm, doch Taichi lächelte. „Alles Gute zum Einjährigen“, meinte er und beugte sich herüber, um ihn zu küssen. Koushiro ließ es zu. Unsicher hob er seine Arme und legte sie um Taichis Nacken, während er seinen Kuss erwiderte. Dann löste er seine Lippen von denen des anderen. „Taichi“, flüsterte er und seufzte. „Danke, dass du bei mir bist.“ Taichis Hand strich durch sein Haar, ehe Taichi sich hinlegte und vorsichtig Koushiro mit sich zog. Er musterte ihn. „Ich bin gerne bei dir.“ Dann küsste er ihn erneut. [1. Januar 2010] Happy New Year ------------------------------- Mimis Kopf dröhnte förmlich, als sie erwachte oder, wie sie es bezeichnen würde, wieder zu sich kam. Alkoholkoma. Oder auch der Fluch dessen, nicht viel zu vertragen. Was war überhaupt passiert? Sie lag in ihrem Bett. Das war schon einmal gut. Ein Teil von ihr fürchtete sich immer davor, in einem fremden Bett aufzuwachen. Immerhin hatte sie so viele dieser Geschichten hier in Amerika gehört. Nicht zuletzt von ihre Kommilitoninnen. Es war verdammt kalt im Zimmer. Hatten sie die Heizung nicht angemacht? Sie runzelte die Stirn. Jemand lag neben ihr. Miyako. Sie schnarchte leise. Hatte sie auch getrunken? Wahrscheinlich. Wo hatten sie noch einmal getrunken? Filmrisse. In einem Anflug von Selbstironie grinste sie und schloss die Augen, in der Hoffnung, dass ihre Kopfschmerzen dadurch etwas abklangen. Die Zeit vergingen. Das Ticken ihres Weckers und das Rauschen einzelner Fahrzeuge, waren die einzigen Geräusche, abseits von Miyakos leisem Schnarchen. Miyako schnarchte oft, wenn sie angetrunken oder gar betrunken war. Irgendwo in einem der benachbarten Apartments wurde eine Dusche angestellt. Mimi konnte was Wasser in den Leitungen rauschen hören. Langsam kam eine Erkenntnis zu ihr: Sie hatten den ersten Januar. Den ersten Tag des Jahres 2010. Sie waren am Abend vorher mit Michael, Maria, Wallace, Lou und den Digimon am Times Square gewesen. Hatten gefeiert. Dann hatte Wallace eine Kneipe vorgeschlagen und da … Da irgendwo endeten dann auch ihre Erinnerungen. Nur grob erinnerte sie sich daran erst Sekt, dann Wein und dann einen Cocktail getrunken zu haben. Oh, und es hatte europäisches Bier gegeben. Sie brauchte eine Kopfschmerztablette, verdammt. Wo waren eigentlich Palmon und Poromon? Wie spät war es überhaupt? Blinzelnd schaute Mimi zum Wecker. Zu früh. Kurz nach zehn erst.Warum zur Hölle war sie so früh wach? Sie seufzte. Es brachte ja alles nichts. Sie wollte Miyako nicht wecken, doch musste sie langsam auch auf die Toilette. Also schob sie ihre Freundin, deren Kopf auf ihrer Brust gebettet war, vorsichtig von sich herunter, wobei sie nicht umher kam festzustellen, dass Miyako von ihrer Unterhose abgesehen praktisch unbekleidet war. Kurz spürte sie ein Grinsen über ihre eigenen Lippen flackern, beherrschte sich aber. Sie war sich zumindest recht sicher, dass dahingehend am Vorabend nichts mehr passiert war. Sie schleppte sich ins Badezimmer, wo sie zur Toilette ging, ehe sie im Spiegelschrank nach einem Schmerzmittel suchte und schließlich eine Dose mit Ibuprofen zu greifen bekam. Sie spülte gleich zwei Tabletten mit einer Hand voll Wasser herunter, schloss den Schrank dann und schaute in den Spiegel. Sie sah furchtbar aus – und das auch, wenn man ihr komplett zerzaustes Haar ignorierte. Egal. Wenn es nach ihr ging, würde sie heute sowieso das Haus nicht verlassen. Sie nahm sich einen Bademantel, da sie selbst nur Unterwäsche trug und wohl auch in dieser geschlafen hatte, ehe sie sich in die kleine Küche schleppte. Ausnahmsweise brauchte sie einen Kaffee. Dankbarerweise war Miyako ein Junkie, weshalb es sogar eine Auswahl an Sorten gab. Da sie selbst keine Vorzüge hatte, füllte sie einfach etwas in einen Filter, dann Wasser in die Maschine und startete diese. Mit einem Seufzen setzte sie sich auf einen Küchenstuhl und bettete ihren Kopf auf den Armen, während sie darauf wartete, dass der Kaffee durchgelaufen war. Ihre generelle Regel hielt: Silvester war klasse. Neujahr war kopfschmerzlich. Sie gähnte. Aber hey, zumindest war Miyako hier. Und allen Erinnerungen nach hatten sie Spaß gehabt. Ein Knarzen ließ sie aufsehen, als sich die Tür zu Miyakos kleinem Arbeitszimmer öffnete. Palmon lugte heraus. Ein breites und etwas gruseliges Lächeln erschien auf dem Gesicht der kleinen, lebenden Pflanze. „Mimi! Du bist wach!“ Mimi murrte eine müde Antwort und legte den Kopf wieder hin. „Ist gestern ziemlich spät geworden, hmm?“ Das war Poromons Stimme. Es klang tadelnd. „Du mich auch“, murrte Mimi auf Englisch und sah hoffnungsvoll zur Kaffeemaschine. Noch ein bisschen. „Soll ich dir vielleicht etwas bringen, Mimi?“, fragte Palmon. „Alles gut“, erwiderte sie und runzelte die Stirn. „Wie sind wir gestern nach Hause gekommen?“ „Nur dank uns in einem Stück“, antwortete Poromon. „Ich musste euch tragen.“ Mimi seufzte. Natürlich. Nun, zumindest hatten sie sich so das Taxi gespart. Ob Taxifahrer wohl deswegen Digimon nicht mochten? Endlich, der letzte Tropfen Kaffee tropfte in die Kanne. Nun, nicht ganz der allerletzte Tropfen, doch auf die Sprühtropfen der alten Maschine konnte sie verzichten. Also nahm sie eine Tasse, füllte sie sich zu zwei dritteln, füllte sie mit Sahne auf und schaufelte fünf Teelöffel Zucker hinterher, um das bittere Getränk erträglich zu machen. Vorsichtig schnüffelte sie daran, trank dann und seufzte. Placebo hin oder her, ihr ging es gleich besser. Sie trank den nächsten Schluck und genoss das Gefühl des warmen Getränks, ehe sie die Augen öffnete und einen Entschluss fasste. Sie öffnete den großen Kühlschrank und fischte Eier und Milch heraus, dann Mehl, Zucker, Salz und Natron aus dem Hängeregal und begann Pfannkuchenteig vorzubereiten. Dank ihrem Nebenjob im Restaurant hatte sie damit Übung und vielleicht eine halbe Stunde später stapelten sich die Pfannkuchen auf einem Teller, der seinerseits auf einem Tablett stand. Dieses vor sich her balancierend, machte sie sich auf den Rückweg ins Schlafzimmer, wo Miyako noch immer vor sich hin schlummerte. Mimi lächelte und stellte das Tablett auf dem Tisch ab, der gleichzeitig Nacht- und Fernsehtisch war. Dann stupfte sie Miyako vorsichtig an. „Guten Morgen, Sonnenschein“, flötete sie leise. Ein unverständliches Murren war Miyakos Antwort. Also beugte Mimi sich vor und küsste sie auf die Wange, dann auf das Ohr. „Guten Morgen, Miyako-chan“, flüsterte sie. Miyako blinzelte sie an. „Was?“ Also ein drittes Mal. Sie legte eine Hand unter Miyakos Kinn und küsste sie sanft auf die Lippen. „Guten Morgen, Dornröschen. Ich habe dir Frühstück gebracht.“ Miyako öffnete die Augen ganz, sah erst sie, dann das Tablett an. Dann breitete sich ein mattes Lächeln auf ihrem Gesicht aus. „Du bist die Beste, Mimi.“ „Natürlich bin ich das“, erwiderte sie. „Ich habe dir sogar Kaffee gemacht.“ Nun fixierten sich Miyakos Augen auf die Kanne und ihr Lächeln wurde etwas breiter. „Unglaublich.“ Sie setzte sich mit einem Stöhnen auf und hielt sich den Kopf. „Mein Schädel bringt mich um.“ Dann erst bemerkte sie ihren Bekleidungsgrad und zog sich die Patchworkdecke um die Schultern. Ihre Wangen glühten leicht. „Zu Schade“, kommentierte Mimi. Miyako zog einen übertriebenen Schmollmund. „Wenn du was sehen willst, mach die Heizung an.“ Mimi lachte. „Okay.“ Sie stand auf und schlurfte zur Heizung, verfluchte wieder einmal die Tatsache, dass sie in dem relativ alten Gebäude keine Klimaanlage hatten. „Soll ich dir vielleicht noch Kopfschmerztabletten bringen?“ „Liebend gerne.“ Daraufhin machte Mimi einem verspielten Knicks und verschwand noch einmal ins Bad, um mit dem orangen Fläschchen zurückzukommen. „Hier.“ Sie setzte sich neben Miyako aufs Bett und legte einen Arm um sie. Miyako lächelte. Sie hatte mittlerweile eine Tasse Kaffee in der Hand. „Danke“, flüsterte sie. Sie sahen einander an. Dann beugte sich Mimi noch einmal vor, um sie zu küssen. „Bevor ich es vergesse: Happy New Year.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)