Der letzte Schnee von Calafinwe (Vernon Roche vs. Sigismund Dijkstra) ================================================================================ Epilog: -------- Schneeflocken rieselten aus den dicken grauen Wolken herab und legten sich sachte auf die kleinen Erdhügel. Zehn Jahre waren vergangen, welche die drei Besucher dieses einsamen Landstrichs quer durch die Geschichte getrieben haben. Zehn Jahre, in denen Nilfgaards Flamme, die auf den Grabhügeln seiner Feinde tanzt, stetig gen Norden marschiert war, Redanien und Kaedwen endgültig dem Boden gleichgemacht hatte und nun vor der Haustür zu Kovir und Poviss stand. Bedauernd sahen sie auf die kleinen Hügel direkt vor ihren Füßen, auf die sie ein paar eilig gepflückte Blumen gelegt hatten. „Ihr habt mir nie erzählt, was damals passiert ist“, fragte Geralt, nachdem sie eine Weile andächtig geschwiegen hatten. Die anderen beiden sagten nichts. Sie kannten diese unausgesprochene Frage, diesen Vorwurf, hatte ihr Freund sie doch jedes Jahr zuvor, zum selben Tag in genau der gleichen Situation, wieder und wieder vorgebracht. Ohne je eine Antwort zu erhalten. „Die Wahrheit ist“, fing der Ältere der beiden wider Erwarten an. „Dass wir es selber nicht so genau wissen.“ Der Hexer sah ihn überrascht an. Hortensio hatte sich in den vergangenen Jahren sehr verändert, was wohl auch den Veränderungen auf der Landkarte geschuldet war. Der Mann, den Geralt als stämmigen Armbrustschützen in Erinnerung hatte, war ein betagter Greis geworden, der auf den Tag genau vor zehn Jahren beschlossen hatte, sich zur Ruhe zu setzen. Damals hatte ihn der Kampfwille verlassen. Er drängte ihn nicht. Ihm war klar, dass die bloße Erinnerung für die beiden nach wie vor schmerzlich war. Die Trauer, die sich ihrer bemannt hatte, würde sie ein Leben lang verfolgen. „Wir ahnten damals nicht, in was für Schwierigkeiten Roche sich, uns, gebracht hatte. Wenn wir gewusst hätten ...“ „Athur ... Nicht ...“, unterbrach Hortensio seinen Begleiter. Geralt schwieg und senkte seinen Blick wieder auf das Grab. Es lag auf einer lichten Anhöhe in einer Gegend, die früher zum nördlichen Temerien gehört hatte. Der Hexer wusste, dass es leer war, von vornherein waren die Gebeine des Anführers der Blauen Streifen nie dort zur Ruhe gebettet worden. Weil sie sie damals nicht gefunden hatten. Wie so manch anderen. Der Hexer hatte dereinst auf eigene Faust versucht, mehr über Roches Verschwinden herauszufinden. Er hatte jeden in der Truppe der Temerischen Freischärler befragt. Mehrmals. Bei dem ein oder anderen hatte er es sich sogar erlaubt, Axii anzuwenden. Selbst bei Ves, die damals eine derjenigen war, die Roche am nächsten standen. Doch ihr Gedächtnis schien so gut wie ausgelöscht zu sein. Sie erinnerte sich lediglich an einen Kampf mit Eichhörnchen. Danach? Schwärze. Einige Tage später war sie ebenfalls verschwunden. Wie vom Erdboden verschluckt. Geralt seufzte. Er würde die Geheimnisse, die sich um die Person Vernon Roche und die Temerischen Freischärler gebildet hatten, wohl nie lüften. Die vermutlich letzten Schneeflocken für dieses Jahr segelten weiterhin herab. Sie überzogen den kleinen Erdhügel mit beruhigendem Weiß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)