Nur durch dich von Daelis ================================================================================ Kapitel 2: Doppelgänger ----------------------- "Du siehst Seto wirklich sehr ähnlich", ließ Kisara vernehmen. Je länger sie ihn anblicke, desto weniger konnte sie sich erklären, wie es sein konnte, dass dieser junge Mann nicht ihr Seto war. Er hatte das gleiche, braune Haar, die gleichen tiefblauen Augen, die auf den Grund ihrer Seele zu blicken schienen, wann immer sich ihre Blicke trafen. Genaueres Hinsehen verriet aber doch Unterschiede. Die helle Haut, den harten Zug um die Mundwinkel - ganz abgesehen natürlich von der ungewöhnlichen Kleidung. Solche, wie diese, hatte sie noch nie gesehen. Allein der Stoff des weißen Mantels, der noch immer über ihren Schultern lag und einen angenehmen Geruch verströmte, fühlte sich ungewohnt glatt an. Beinahe wie eine Wasseroberfläche. "Mag sein." Ihr Retter sah nicht zu ihr, sondern geradeaus, sodass sie einen verstohlenen Blick auf sein Profil werfen konnte. Strenge Gesichtszüge, die durchaus anziehend waren. Wer immer er war, er war sicherlich jemand mit Einfluss, befand Kisara. Dafür sprach auch sein sicheres Auftreten, als er sie gerettet hatte. "Mein Name ist übrigens Kisara", fuhr sie fort, den Blick nicht von dem jungen Mann wendend, der ohne Probleme als Zwilling ihres Setos durchgehen könnte. Seine Erwiderung fiel knapp aus und ließ ihr vor Schreck beinahe den Atem stocken. "Seto Kaiba." Einen Moment lang war es still zwischen ihnen. "Seto...", begann Kisara zögerlich, damit nun doch die Aufmerksamkeit ihres Retters auf sich ziehend, der sie aus klaren, aber doch kalten Augen fragend ansah. Sie hatte ihn etwas fragen wollen, doch jetzt waren die sorgsam zurechtgelegten Worte wie fortgeblasen. Als sie schwieg, hob Seto nur eine Augenbraue, beließ es aber dabei und hakte nicht nach. "Du kommst von sehr weit her, oder?", fand sie schließlich ihre Worte wieder, während sie sich dem Tempel näherten, der sich majestätisch über der Stadt erhob, wie es sonst nur ein Gebäude durfte, nämlich der Palast des Pharaos. Normalerweise weckte der Anblick des Tempels, der ihr Zuhause geworden war, in ihr das Gefühl von Sicherheit. Dank des Priesters Seto konnte sie dort schlafen, bekam etwas zu essen und saubere Kleidung, wofür sie im Austausch im Tempel half, wo sie nur konnte. Es mochte kein luxuriöses Leben sein, aber Kisara war zufrieden. Es war in gewisser Weise mehr, als sie sich jemals erträumt hatte. Verarmt und allein, von ihrer Familie verstoßen, hatte Kisara in den ersten Jahren ihres jungen Lebens viel Diskriminierung erfahren, war eine Ausgestoßene gewesen und nicht selten als Hexe beschimpft worden, wenn nicht Schlimmeres. Dass sie in dem strengen Priester, der am Hofe des Pharaos diente, ihren Seto wiederfand, war reines Glück gewesen. Er hatte sie ebenso schnell wiedererkannt wie sie ihn und dafür gesorgt, dass sie die Arbeit im Tempel erhielt. Oft beobachtete sie die Betenden, die kamen, um die Götter um ihren Segen zu bitten und konnte nicht anders als zu glauben, dass sie ihren Segen in Form Setos längst gefunden hatte. Hätte man sie gefragt, ob sie willens wäre, ihm den Rest ihres Lebens treu und ergeben zu folgen, sie hätte nicht gezögert, zuzustimmen. Allerdings war ihr da dieser Seto, Seto Kaiba, noch nicht begegnet. An jedem anderen Tag hätten ihre Füße sie ob dieses Anblickes noch eiliger zurück in den Tempel getragen, doch heute schien ihr der Weg dorthin gar zu kurz. Sie hatte so viele Fragen, die sie nur noch nicht zu formulieren wusste. So viele Dinge, die sie über diesen Seto lernen wollte, der so kalt und unnahbar schien und ihr doch zugleich wie eine vertraute Seele nah war, selbst wenn sie sich heute erst kennengelernt hatten. Es fühlte sich beinahe so an, als wäre er der Priester Seto, als wäre sie der Retter ihrer Kindheit, dem sie verdankte, nicht als Sklavin geendet zu sein. Hätte sie es nicht besser gewusst, hätte sie die beiden Männer sofort für Zwillinge gehalten. Für zwei Seiten der gleichen Medaille, wenn nicht gar eine Seele geteilt in zwei Körper, so unmöglich das auch war. Jede Faser ihres Körpers schien ihr sagen zu wollen, dass sie Seto Kaiba vertrauen konnte und dass... ja, was war es eigentlich, das sie zu ihm zog und Kisara veranlasste, selbst jetzt den Blick nicht von ihm wenden zu können? Die junge Frau kannte kein Wort für dieses Gefühl, doch sie wusste sicher, dass etwas an Seto Kaiba war, das alles veränderte. "Kann man so sagen. Aber ich habe auch nicht vor, lange in Ägypten zu bleiben", erwiderte Seto ruhig. Er hatte für diesen ganzen Quatsch schlicht auch gar keine Zeit. Neugier hatte ihn nach Ägypten geführt, hin zu dieser Tafel. Doch nicht Neugier auf das Leben vor Jahrtausenden, sondern sein Interesse am weißen Drachen mit eiskaltem Blick. Ein Monster, das ihn schon seit dem Beginn von Duel Monsters begleitete und immer mehr ein Teil von ihm geworden war. Kisaras enttäuschten Gesichtsausdruck bemerkte er nicht, hatte Seto den Blick doch nach vorn gewandt. Ein Mann eilte auf sie beide zu. Niemand brauchte Seto irgendetwas sagen. Er wusste sofort, wer dieser Mann in der blau-goldenen Robe war. Beinahe schien es ihm, als blicke er in einen Spiegel. Kein Wunder, dass Kisara ihn verwechselt hatte. Jetzt verstand er das und wenn er den Blick des Fremden richtig deutete, der ihn ebenso erschrocken ansah wie Kisara anfangs, dann ging es ihm nicht anders als Seto. Es war schier unglaublich, wie ähnlich sie einander sahen. So sehr, dass sogar über die sonst so beherrschten Gesichtszüge Seto Kaibas ein überraschter Ausdruck huschte. Die Ähnlichkeit war frappierend. Jeder müsste sie für Zwillinge halten. Das musste der Seto sein, von dem Kisara gesprochen hatte. Ganz ohne Frage. Seiner Kleidung nach zu urteilen, musste er wohlhabend sein und zur Adelsschicht Ägyptens gehören, wenn nicht direkt zur Priesterschaft. Mit den Regeln dieser Epoche war er nicht allzu vertraut, doch angesichts des Umstandes, dass dieser Seto aus einem Tempel auf sie zukam, war er vermutlich beides - Adeliger und Priester. Den Menschen aus niederen Schichten wäre ein so hohes Amt wohl auch kaum zugestanden worden. Wie einflussreich dieser Priester jedoch wirklich war und dass er direkt dem Pharao diente, in dem er selbst einen bekannten Rivalen erkennen würde, ahnte Seto Kaiba dabei freilich nicht. Dafür aber fiel ihm der Millenniumsstab auf, was mehr als genug Grund für Seto war, um misstrauisch zu bleiben. Mit diesem Ding hatte Marik auch herumgewedelt. "Kisara, bist du wohlauf? Was ist geschehen?" Ziemlich schnell hatte der Priester die richtigen Schlüsse gezogen, als er die weißhaarige Frau nicht nur in Begleitung eines Fremden, sondern obendrein mit einem seltsamen Mantel bekleidet antraf. Allerdings war ihm der Mann nicht entgangen, der ihm so stark ähnelte, wie es nur ein Spiegelbild vermochte. Der Priester spürte förmlich, wie ihm ein eisiger Schauer über die Arme lief. Wer war dieser Fremde und was hatte er mit Kisara zu tun? War er womöglich hinter der Kraft der Bestie her, die in ihr schlummerte? Hatte dieser Fremde zu diesem Zweck womöglich seine Gestalt imitiert? Seto war sich im Klaren darüber, dass er vielleicht irrte, doch das Leben im Palast am Hofe des Pharaos hatte ihn gelehrt, dass Intrigen überall lauerten und diejenigen, die über Magie verfügten, Unglaubliches zu tun vermochte und zu tun bereit waren, um ihre Ziele zu erreichen. Da war es nicht unmöglich, dass jemand die Kräfte bemerkt hatte, die Shada auch in der jungen Frau erkannt hatte. Der Weiße Drache mit eiskaltem Blick. Eine mächtige Bestie von ungeheurer Stärke, die auf keinen Fall in die falschen Hände gelangen dufte. Nicht auszudenken, wenn Ägyptens Feinde oder gar dieser verabscheuungswürdige Dieb Bakura ihre Hände diese Macht an sich rissen. Skeptisch beäugte er den Fremden, Kisara bei der Hand nehmend, als fürchte er, die junge Frau würde ansonsten entführt. "Wer ist dein Begleiter, Kisara?", erkundigte sich der Priester unverhohlen misstrauisch. Er war niemand, der leicht Vertrauen fasste und besonders jetzt, wo es so viele Übergriffe gegeben hatte und sich herauskristallisierte, dass es einen Verräter im Palast geben musste, musste er darauf vorbereitet sein, davon auszugehen, dass Informationen weitergegeben worden waren. Auch über Kisara. Dass dieser ihm so ähnlich sehende Fremde ausgerechnet jetzt hier aufkreuzte und auch noch in Begleitung Kisaras, hielt Seto nicht für Zufall. Dafür waren die einzelnen Punkte zu unwahrscheinlich und umso mehr ihr Zusammenspiel. Er witterte Gefahr. Für Ägypten und für Kisara, die er unter seinen Schutz gestellt hatte und die obendrein versprochen hatte, ihm die Macht der Bestie zur Verfügung zu stellen, die in ihr wohnte, wenngleich dies für ihren Körper eine immense Belastung darstellte. "Seto, das ist... Seto Kaiba", stellte Kisara nach kurzem Zögern aber mit einem Lächeln vor, das dem Priester verriet, dass zumindest Kisara bereits Vertrauen gefasst hatte. Er hoffte nur, das würde sie nicht bereuen. "Seto?", wiederholte er überrascht und der Fremde nickte. "Seto Kaiba ist mein Name. Kisara war so freundlich, mir den Weg zum Tempel zu weisen." Des Fremden Blick war kalt und hart, nicht weniger misstrauisch als sein eigener. "Und was wünscht Ihr hier?" Ihm entging nicht, wie erschrocken Kisara über die unfreundliche Art des Priesters schien. Seto selbst störte sich zwar nicht unbedingt daran, doch unbegründet fand er sie allemal. Er hatte diesem Mann keinen Anlass gegeben, ihn als Feind anzusehen, doch genau das tat der Priester Seto offenkundig. Abfällig klickte Seto mit der Zunge, als er ein leises "Tch" von sich gab. "Unterstützung, um Ägypten zu verlassen und in meine Heimat zurückzukehren. Die Details würde ich vorziehen, nicht in der Öffentlichkeit zu besprechen." Setos Blick war nicht weniger unerbittlich wie der des gleichnamigen Priesters, der jetzt leicht die Brauen kraus zog. "Seto hat mich vorhin gerettet", mischte sich Kisara ein, der die Anspannung zwischen den beiden Männern nicht entgangen war, wenn sie sie auch nicht nachfühlen konnte. Ob des fragenden Blickes ihres Kindheitsfreundes senkte sie wie beschämt den Blick. "Jemand stachelte ein paar Leute auf", gab sie kleinlaut zu. Der Priester blickte noch immer fragend drein, doch Kisara schwieg. Stattdessen ergriff nun aber der unfreiwillige Zeitreisende das Wort. "Sie wollten sie steinigen." Seto konnte sehen, wie für einen Moment Furcht in den Augen des Priesters flackerte, ehe dieser die Fassung zurückgewann und kalte Wut den Platz der Furcht einnahm. "Ist das so?" Eine rhetorische Frage, ganz offensichtlich. "Dann habt Ihr meinen Dank, Seto Kaiba. Bitte folgt mir." Mit einer knappen Geste bedeutete er ihm, zu folgen, während der Priester Kisara noch immer bei der Hand haltend förmlich mit sich zog. Darüber schien die junge Frau jedoch nicht im Mindesten verärgert, wie Seto aus den Augenwinkeln bemerkte. Wie auch immer die beiden zu einander standen, sie waren einander sehr vertraut. "Leider habe ich im Moment nicht die Zeit, mich Eurem Anliegen persönlich zu widmen", fuhr der Priester fort, während er sie durch die große Halle führte, die von zahlreichen Säulen getragen wurde, jede von ihnen mit Reliefs und bunten Malereien verziert. "Man erwartet mich bei Hofe. Doch ich bin zuversichtlich, dass der Tempel Euch den Heimweg gern erleichtern wird." Floskeln. Seto glaubte nicht, dass irgendjemand ihm hier wirklich helfen konnte. Wie auch? Nein, was er brauchte, waren Informationen und solange er die bekam, würde er sich nicht beklagen. Den Weg zurück, wie immer der auch aussehen mochte, würde er alleine finden und sollte es keinen geben, würde er sich eben einen schaffen. Die Idee, es könnte unmöglich sein, kam ihm nicht einmal. "Ich danke." "Ich werde dir alles zeigen, Seto", ereiferte sich Kisara, den widerwilligen Blick ob ihres Angebotes ignorierend, der ihr der Priester zuwarf. Seto nickte nur. Damit wären sie und er dann quitt, wenngleich er keine Gegenleistung gefordert hätte. Angesichts der Umstände aber war er nicht undankbar für die angebotene Hilfe. "Pass auf dich auf", bat Kisara den Priester noch, als dieser sich damit zufrieden gab, sie ins Tempelinnerste geführt zu haben und sich anschickte, sich zu verabschieden. Er nickte nur. "Natürlich. Bis später." "Jemand sollte sich noch um ihre Wunden kümmern", störte Seto das Gespräch der beiden, die so nahe bei einander standen, dass man sie sofort für ein Liebespaar halten musste. Er konnte sehen, wie der Priester stutzte. "Wunden?" Erschrecken folgte Scham und darauf folgte Wut, die auch ihm galt, wie Seto bemerkte. Irrational, urteilte der CEO der Kaiba Corp. harsch in seinen Gedanken. Der Priester nickte. "Ich werde Salama schicken, damit sie sich die Verletungen ansieht", versprach er, ganz an Kisara gewandt, offenbar entschlossen, Seto zu ignorieren, dessen Miene nicht preisgab, dass er das überhaupt bemerkte - was er natürlich sehr wohl tat. In seinen Augen war es unübersehbar, dass der Priester eifersüchtig war und fürchtete, jemand könnte ihm seine Freundin wegschnappen. Eine lächerliche Vorstellung, fand Seto. Immerhin hatte er nicht die geringsten Anstalten gemacht, auch nur mit Kisara zu flirten und obendrein war er der jungen Frau gänzlich fremd und hatte sich ihr Vertrauen wohl zu einem guten Teil nur dadurch verdient, dass er ihrem Geliebten - und als solchen schätzte Seto den Priester ein - so ähnlich sah. Salama betrat den Raum nur wenige Augenblicke, nachdem der Priester ihn verlassen hatte, nur noch einen finsteren Blick über die Schulter zu Seto werfen, der kühl zurückstarrte. Für diese Spielchen hatte er keine Zeit. Wenn dieser Mann ein Problem mit ihm hatte, sollte er sich klar ausdrücken. Für Seto zählte nur, einen Weg zurück zu finden. "Ihr habt Kisara gerettet? Das ist sehr nobel von euch", plapperte Salama, eine Frau in den Dreißigern mit freundlichem Gesicht und einem langen, schwarzen Zopf gut gelaunt drauf los, während sie Kisara den weißen Mantel Setos von den Schultern streifte, um die Prellungen zu untersuchen. "Nun muss ich Euch aber bitte, hinter dem Vorhang dort drüber zu warten." Seto seufzte innerlich, nickte aber und fügte sich der Anweisung. Hauptsache, das hier ging schnell vonstatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)