Christmas Angel von Khaleesi26 (Eine Weihnachtsgeschichte) ================================================================================ Kapitel 3: Rache ist süß ------------------------ „Also, meine Mutter kennst du ja schon, Satoe. Mein Vater ist natürlich auch da, er heißt Keisuke und ist ein ziemlich erfolgreicher Anwalt. Tante Zoe hat sich gerade von ihrem Freund getrennt. Kann also sein, dass sie gerade etwas melancholisch ist. Dann sind da noch mein nerviger, kleiner Cousin Yoshi. Ein absoluter Mistbengel. Komm dem bloß nicht zu nahe, sonst beschmiert er deine Schuhe mit Zahnpasta oder so. Und dann ist da noch meine Oma Ai. Sie ist sehr nett, hat nur manchmal einen etwas schrägen Humor. Und dann ist da noch… was ist denn?“ Abrupt blieb ich stehen, als Tai mich an meiner Hand zurückzog. „Waren das etwa zu viele Erklärungen auf einmal?“, grinste ich ihn entschuldigend an. Tai sah mich aufgebracht an. „Was soll das? Es war nie die Rede davon, dass deine ganze Verwandtschaft auch anwesend ist. Das mach ich nicht, nein.“ Energisch schüttelte er den Kopf. Ich stöhnte auf. Was hatte dieser Typ denn bitte für ein Problem? „Was hast du denn gedacht? Es ist Weihnachten. Natürlich ist meine ganze Familie da. Und du musst doch auch gar nicht viel mit ihnen reden. Halt dich einfach an mich. Ein verliebter Blick hier, Händchenhalten da und meine Mutter ist glücklich. Kapiert? Und immerhin bekommst du ein gratis Essen, also beschwer dich nicht.“ Bestimmend sah ich ihn an. Wir hatten schließlich einen Deal. Auf keinen Fall durfte er jetzt einen Rückzieher machen. Tai verdrehte die Augen. „Na schön. Toll, dass ich jetzt alles über deine Verwandtschaft weiß, aber was ist mit dir?“ Stirnrunzelnd sah ich ihn an. „Was soll mit mir sein?“ „Na, ein paar Hintergrundinformationen zu deiner Person wären schon ganz praktisch. Oder habe ich etwa meine neue Freundin erst gestern zufällig auf der Straße kennengelernt, als ich sie beinahe mit meinem Motorrad über den Haufen gefahren hätte?“ Er zog eine Augenbraue nach oben, als wäre ich bescheuert, dass ich daran nicht gedacht hatte. Und tatsächlich. Ich hatte überhaupt nicht in Erwägung gezogen, dass dieser Plan einige Lücken aufwies. Woher kannten wir uns? Wie lang waren wir schon zusammen? Was war sein Lieblingsessen? Wer waren seine Eltern? Ich wusste rein gar nichts von ihm und er nichts von mir. „Okay. Hier ein paar Fakten: ich heiße Mimi Tachikawa, aber das weißt du ja schon“, begann ich eilig zu erklären. „Ich bin 23 und wohne zurzeit bei meiner besten Freundin. Ich mag grün, Katzen, Sushi und alles, was süß ist. Ich werde schnell seekrank, deswegen hasse ich Freizeitparks. Meine Lieblingsserie ist „Gossip Girl“. Ich wollte schon immer mal nach Paris. Ich singe unter der Dusche. Oh, und ich stehe total auf Luke Evans, auch wenn er schwul ist. So. Mehr musst du nicht wissen.“ Ich stemmte bestimmend die Hände an die Hüften. Wir hatten jetzt wirklich keine Zeit uns irgendeine romantische Geschichte auszudenken. Meine Familie saß beim Essen und wartete auf uns. Außerdem war es ja nur ein Nachmittag. Kein Grund so einen Wirbel zu machen. „Danke, für diese vielen, unbrauchbaren Informationen. Das hat mich jetzt so gar nicht weitergebracht“, murrte Tai. Was wollte er denn? War dieser Typ denn niemals zufrieden? „Gib dich mit dem zufrieden, was du bekommst. Mehr kriegst du nämlich nicht. Wenn irgendwelche Fragen kommen, improvisieren wir halt.“ Tai zog bedächtig eine Augenbraue in die Höhe, lenkte dann jedoch ein. „Okay, wenn du meinst. Und was ist mit mir? Willst du gar nichts über mich wissen?“, fragte er. „Was sollte ich wissen wollen? Du siehst gut aus und machst einen guten Eindruck. Mehr braucht es nicht, um meine Mutter zu beeindrucken.“ Er wollte gerade etwas darauf erwidern, doch ich nahm ihn an der Hand und zog ihn weiter mit mir. Dann öffnete ich die Tür zum Esszimmer. Der Tisch war reichlich gedeckt und meine Verwandtschaft schon am Essen. Das Gerede verstummte, als wir reinkamen. Und alle Blicke fielen auf uns. Wie unangenehm. Meine Mutter sprang als Erste auf. „Mimi, Tai. Da seid ihr ja endlich. Kommt rein!“ Ein verkrampftes Lächeln legte sich auf meine Lippen, als meine Mutter uns zu unseren Plätzen führte. Tai setzte sich neben meinen Cousin Yoshi, der zum Glück viel zu sehr in seinen blöden Gameboy vertieft war, um Tai zu registrieren oder um überhaupt irgendwas vom Essen mitzubekommen. Verzogener Bengel. Tante Zoe musterte uns von der anderen Seite her verwundert. „Wer ist denn das, Mimi? Du hast uns gar nicht gesagt, dass du einen Freund hast.“ „Warum sollte sie auch?“, mischte Oma Ai sich vom anderen Ende des Tisches aus ein. „Sie ist jung. Wahrscheinlich wechselt sie ihre Freunde, wie Unterhosen. Kein Grund gleich jeden mit nach Hause zu schleppen.“ Ups. Genau das meinte ich mit „schrägem“ Humor. „Aber Mama. Was redest du denn da?“, erwiderte meine Mutter und nahm gegenüber von Tai Platz. Keine Sekunde später schmachtete sie ihn auch schon wieder an. „Das ist Tai, mein Freund. Und ich wechsle meine Freunde überhaupt nicht wie Unterhosen. Wir sind nämlich schon seit fünf Monaten zusammen“, erklärte ich überzeugend. Mein Vater ließ sein Besteck sinken. „Fünf Monate schon? Und das erfahren wir erst jetzt?“ Meine Mutter ging zum Glück gleich für mich in die Bresche. „Ach, stell dich nicht so an, Keisuke. Sie wollte uns eben damit überraschen und das ist ihr gelungen.“ Sie zwinkerte Tai zu, der unbeholfen grinste. Dann räusperte er sich. „Ich wollte mich bei Ihnen für diese spontane Einladung bedanken. Ich war mindestens ebenso überrascht, wie Sie.“ Ich warf ihm einen schiefen Seitenblick zu, während meine Mutter anfing zu kichern, wie ein kleines Lamm. „Oh, Tai. Bitte, nenn mich doch Satoe.“ Ich ließ mir von meiner Mutter die Schüssel mit dem Kartoffelbrei reichen und lud Tai und mir eine ordentliche Portion davon auf. „Was machen Sie beruflich, Tai?“, fragte mein Vater, ohne Umschweife. Typisch Anwalt. Gleich erst mal die Fakten klären. „Er ist Lehrer“, kam mir schneller über die Lippen als beabsichtigt. Tai sah mich irritiert an, da er sich offensichtlich fragte, woher ich das wusste. Ich hatte ihm ja noch nichts von meiner Informantin erzählt. Meine Mutter stieß einen Freudenschrei aus. „Lehrer? Oh, wie wundervoll! An welcher Schule unterrichtest du?“ „Ich bin seit kurzem an der Hibiya High School.“ Aha. An derselben Schule, auf die Sora und er früher gingen. Ich grinste. „Dieselbe Schule, an der er früher war.“ Wieder warf er mir einen deutlich irritierten Seitenblick zu, während ich in mich rein grinste. Ich sollte das wirklich lassen. Sonst dachte er am Ende noch, ich stalke ihn. „Ja… Ja, genau so ist es“, stammelte Tai etwas unbeholfen. „Früher war ich selbst an der Schule und es war immer mein größter Traum, dort später mal zu unterrichten.“ Irgendwie konnte ich mir Tai so gar nicht als Lehrer vorstellen. Er war viel zu jung und sah viel zu gut aus. Die Mädchen auf der High School schmachteten ihn sicher genauso peinlich an wie meine Mutter. „Und was unterrichten Sie dort?“, bohrte mein Vater weiter. Oh, endlich mal etwas, dass ich noch nicht über ihn wusste. „Englisch und Sport. Ich war deshalb extra ein Jahr im Ausland, um meine Sprachkenntnisse zu perfektionieren. Jetzt bin ich wieder hier und habe sofort eine Stelle an der Hibiya bekommen.“ Hmm, Sport also. Das konnte ich mir schon eher bei ihm vorstellen. Recht unsportlich schien er ja nicht zu sein. „Hm, sehr schön. Dann werdet ihr sicher beide sehr erfolgreich sein, in dem, was ihr tut. Bei Mimi habe ich da jedenfalls gar keine Zweifel“, sagte mein Vater. Ich stöhnte leise in mich hinein. Ging das schon wieder los? „Na ja, aber erst mal muss sie sich ja auf sich selbst konzentrieren, Keisuke. Was danach kommt, werden wir noch sehen“, warf meine Mutter ein und ich erstarrte. Hatte sie mein energisches Kopfschütteln nicht bemerkt? „Was meinst du damit? Sie soll sich auf sich selbst konzentrieren? Was könnte denn zurzeit wichtiger sein, als ihre Prüfungen?“ Oh Gott. Und es ging los. Ring frei für Runde Eins. „Ich meine doch nur, dass es auch noch andere Dinge gibt, die für sie wichtig sind.“ „Ja. Zum Beispiel ihr überaus gutaussehender Freund. Ich an ihrer Stelle könnte mich auch nicht auf meine Prüfungen konzentrieren, wenn er neben mir sitzen würde“, mischte meine Großmutter sich ein. „Mutter!“, tadelte wiederrum meine Mutter und ich dachte, damit wäre das Thema erledigt, doch im Gegenteil. Ring frei für Runde Zwei. „Ich sehe das, wie Keisuke“, mischte sich nun auch meine Tante Zoe ein. „Männer lenken einen nur ab. Nichts gegen dich, Tai. Aber eine Frau sollte sich immer auf ihre beruflichen Erfolge konzentrieren. Am Ende ist das doch das Einzige, worauf wir uns verlassen können.“ Wow. Die Trennung von ihrem Freund hing ihr wohl wirklich ganz schön nach. „Sei nicht so dramatisch“, erwiderte meine Mutter, während ich auf meinem Stuhl immer kleiner wurde. „Es gibt wichtigere Dinge, als so ein blödes Studium.“ Und dieser Satz brach mir das Genick. „Was bitte sollte es denn Wichtigeres geben für Mimi? Weißt du überhaupt, was du da redest, Satoe? Sie hat so hart dafür gearbeitet und jetzt steht sie kurz vor ihrem Abschluss und du sagst: es gibt wichtigere Dinge?“ Mein Vater wurde so langsam etwas energisch und sah meine Mutter verständnislos an. Kein Wunder. Er hatte ja auch keine Ahnung, was ich meiner Mutter vorhin in der Küche gebeichtet hatte und warum sie so verzweifelt versuchte, mich eben in Schutz zu nehmen. „Du siehst das alles viel zu eng“, sagte sie bestimmend und straffte ihre Schultern. „Mimi geht nun mal ihren eigenen Weg. Ob es dir passt oder nicht.“ Am liebsten wäre ich über den Tisch gesprungen und hätte ihr den Mund zugehalten, doch es war zu spät. Eine leichte Zornesfalte bildete sich auf der Stirn meines Vaters. „Was zum Teufel willst du eigentlich sagen, Satoe? Ich kenne das. Ich kenne diesen Blick von dir. Du machst wirklich äußerst komische Andeutungen.“ „Was, ich? Ich mache überhaupt keine Andeutungen! Ich versuche nur, die Fakten auf den Tisch zu legen.“ „Und welche wären das?“ „Was willst du, Keisuke? Du benimmst dich, als wärst du in einem Gerichtssaal. Das hier ist ein Weihnachtsessen. Also, hör auf damit.“ „Dann hör du auf, solch unüberlegte Sachen zu sagen. Mimi ist Jahrgangsbeste und sobald sie ihren Abschluss hat, wird sie…“ „Schluss! Das reicht!“ Ich schlug mit der flachen Hand auf den Tisch, sodass alle augenblicklich verstummten. Tai zuckte neben mir zusammen. Sogar Yoshi sah von seinem Gameboy auf. Nur noch die absolut nervige Melodie seines Mario Spiels war noch zu hören. Ansonsten traute sich beinahe keiner mehr Luft zu holen. Ich glaube, meine Familie hatte mich bisher eher selten so wütend erlebt. Verblüfft sahen mich alle an, während ich den Blick durch die Gesichter schweifen ließ, nur um am Ende bei meinem Vater hängen zu bleiben. „Ich habe mein Studium geschmissen, Papa“, sagte ich laut. „Ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten. Deswegen habe ich geschmissen. Ich habe es gehasst! Genauso wie dieses Essen oder dieses beschissene Weihnachten! Ich hasse es!“ Ohne eine Antwort abzuwarten, schmiss ich meine Serviette auf den Teller und stürmte aus dem Zimmer. Mir war der Appetit vergangen. Ich hörte noch, wie Tai sagte: „Ich sehe mal nach ihr“, und ebenfalls aufstand. Ich ging geradewegs in die Küche, wo ich anfing vor Wut zu schreien. Ich nahm den Pfannenwender, der noch vom Kochen auf der Anrichte lag und pfefferte ihn mit Wucht in die Spüle. „Verdammt!“, rief ich, als Tai gerade reinkam. „Hey, der arme Pfannenwender kann nun wirklich nichts für deinen Wutausbruch.“ Ich presste die Zähne aufeinander und krallte mich in die Arbeitsplatte. „Mach dich nicht lustig über mich!“ Tai grinste verwegen, steckte die Hände in die Taschen und kam auf mich zu. „Mache ich nicht. Ich hatte nur nicht damit gerechnet, so eine Show geboten zu bekommen, als du mich zu deinem Freund auserkoren hast. Allerdings glaube ich, dass du es deinem Vater etwas schonender hättest beibringen können. Er wirkte ein wenig geschockt – gelinde gesagt.“ „Ich weiß“, sagte ich traurig und zugleich einsichtig. „Ich hätte nicht so aus der Haut fahren dürfen.“ Tai stellte sich neben mich. „Was hast du denn geschmissen?“ „Mein BWL Studium.“ „BWL“, wiederholte Tai und ließ sich dabei das Wort ganz genau auf der Zunge zergehen, als müsste er darüber nachdenken. „Passt so gar nicht zu dir“, stellte er schließlich fest und ich grinste ein wenig. „Schön, dass du das auch so siehst, obwohl du mich erst seit ein paar Stunden kennst.“ „Hey, immerhin schon seit gestern.“ Ich grinste noch mehr. „Außerdem wirkst du nicht wie das Mädchen, welches am Schreibtisch sitzen und stumpfe Aufgaben lösen kann.“ „Das ist das Witzige daran. Weil ich es nämlich kann. Sogar richtig gut. Aber trotzdem hat es mich überhaupt nicht glücklich gemacht. Es war langweilig. Und jetzt, so kurz vor der Prüfung, musste ich immer wieder daran denken, dass danach alles gelaufen sein würde. Ich würde diese stumpfen Aufgaben für den Rest meines Lebens machen, wenn ich diese Prüfung schreiben würde. Also… hab ich kurz vorher alles hingeschmissen.“ Tai stutzte erst, doch dann gingen seine Mundwinkel leicht nach oben. „Das war ziemlich mutig von dir.“ Ich seufzte. „Oder dumm.“ „Nein, finde ich nicht. Es erfordert viel Mut einfach so alles aufzugeben, wofür man Jahre lang gearbeitet hat. Du hast auf dein Herz gehört und das kann nie falsch sein.“ Ich hob meinen Kopf und lächelte ihn dankbar an. „Danke, Tai. Aber angesichts der Lage, in der ich jetzt stecke, war es vielleicht doch etwas unüberlegt.“ „Wieso? Welche Lage meinst du?“ Ach, egal. Wenn ich hier gerade schon einem wildfremden mein Herz ausschüttete, dann konnte ich auch gleich die ganze unbequeme Wahrheit auf den Tisch packen. „Nach dem Studium hab ich meinen Nebenjob verloren, der mir die Wohnung finanziert hat. Ergo bin ich auch dort rausgeflogen. Und jetzt wohne ich bei meiner erfolgreichen Freundin, die einfach in allem super gut ist und die auch noch einen super netten und ebenso super erfolgreichen Freund hat. Man könnte auch sagen: ich bin die totale Niete.“ Tai wandte sich zu mir und lehnte sich an die Arbeitsplatte, sodass er mir unweigerlich näherkam. Ein schelmisches Grinsen legte sich auf seine Lippen. „Das ist zwar nicht schön, aber als totale Niete würde ich dich trotzdem nicht bezeichnen. Immerhin hast du auch einen super netten und super erfolgreichen Freund.“ Ich musste lachen und lehnte mich ihm ebenfalls etwas entgegen. „Stimmt ja, hatte ich ganz vergessen. Mein super netter Freund, der High School Lehrer. Kann ich mir irgendwie so gar nicht vorstellen bei dir.“ „Hm, wenn du wüsstest. Und apropos wissen: woher wusstest du das?“ „Was?“ „Dass ich Lehrer bin und auf welche Schule ich früher gegangen bin? Verfolgst du mich insgeheim schon länger und der beinahe Unfall war einfach nur ein Vorwand, um mir endlich näher zu kommen?“ „Das hättest du wohl gerne“, lachte ich auf. Wissend sah ich ihn an. „Vielleicht kann ich ja Gedanken lesen.“ „So?“, meinte Tai und richtete sich auf, nur, um auf mich zuzukommen und beide Hände rechts und links neben mir abzustützen. Seine warmen, braunen Augen sahen mich an und zogen mich nicht das erste Mal in ihren Bann. „Und was denke ich jetzt?“, sagte er so leise, dass nur ich es hören konnte, während seine Augen meine suchten. Mit der Arbeitsplatte im Rücken versuchte ich mich zurückzulehnen, da er mir plötzlich so ungewohnt nah war, dass mir die Hitze ins Gesicht stieg. „Da seid ihr ja, ihr beiden Turteltauben“, erklang plötzlich die Stimme meiner Mutter hinter uns, was uns beide augenblicklich zusammenzucken und Tai zurückweichen ließ. Er schaffte den gewohnten Abstand zwischen uns, doch auf meine Mutter musste diese Situation ziemlich eindeutig gewirkt haben. Genauso, wie auf mich. Ich hatte immer noch Probleme das Pochen meines Herzens unter Kontrolle zu bringen. „Mimi, dein Vater würde gern mit dir reden.“ Mein Vater stand direkt hinter ihr. Ich sah betreten zu Boden. „Ist gut. Würdest du uns kurz alleine lassen?“, richtete ich mich an Tai. Er nickte und schenkte mir ein aufmunterndes Lächeln. Dann ging er zu meiner Mutter und hielt ihr seinen Arm hin. „Haben Sie vielleicht Lust, mich ein wenig im Haus rumzuführen, Frau Tachikawa?“ Meine Mutter lächelte und hakte sich wie selbstverständlich bei ihm unter. „Sehr gerne. Und noch mal: nenn mich Satoe.“ Dann zwinkerte sie mir zu und verließ strahlend übers ganze Gesicht mit Tai die Küche. Ich musste ein wenig darüber schmunzeln, welche Wirkung Tai auf sie hatte. Sicher malte sie sich in ihrem Kopf schon aus, ihn als festen Schwiegersohn in die Familie zu integrieren und wie wir irgendwann heiraten würden. Vielleicht sollte ich ihn doch noch mal erpressen, ein paar Mal öfter mit zu meiner Familie nach Hause zu kommen. „Mimi, ich…“, setzte dann jedoch mein Vater an und riss mich aus meiner rosaroten Fantasiewelt. „Tut mir leid, Papa“, sagte ich traurig. „Ich hätte es dir schonender beibringen sollen. Tut mir leid, dass ich so rumgeschrien habe.“ „Darum geht es doch gar nicht, Mimi“, entgegnete er und kam auf mich zu. „Es geht darum, dass du überhaupt nichts gesagt hast. Warum hast du dieses Studium denn gemacht, wenn du es so sehr hasst?“ Beschämt sah ich zur Seite. „Vielleicht, weil ich dich nicht enttäuschen wollte? Du warst so stolz auf mich und hast die ganze Zeit so darauf hin gefiebert, dass ich bei dir in der Firma anfange und ich…“ „Ach, Mimi…“ Unvermittelt zog er mich in eine Umarmung. „Du könntest mich nie enttäuschen. Wie kommst du denn auf so einen Unsinn? Ich dachte die ganze Zeit, es wäre das, was du machen willst und wollte dich eben bestmöglich unterstützen. Wie hätte ich denn ahnen können, dass du das eigentlich gar nicht machen willst, wenn du nie einen Ton sagst? Wenn du denkst, dass BWL nicht das Richtige ist, dann ist das okay. Besser, du erkennst es jetzt, als irgendwann in ein paar Jahren.“ Mir fiel ein riesen Stein vom Herzen. Tränen der Freude und der Erleichterung stiegen mir in die Augen und ich umarmte meinen Vater innig. „Danke, Papa. Danke, dass du es verstehst und nicht sauer bist.“ Wir standen noch eine Weile so da und umarmten uns, bis mein Vater von mir abließ und mich fragend ansah. „Weißt du denn schon, was du in Zukunft machen möchtest, wenn BWL nicht das Richtige für dich ist?“ Ich zuckte mit den Schultern und schüttelte frustriert den Kopf. „Nein, ich habe keine Ahnung.“ „Wenn BWL nichts für dich ist, dann vielleicht Jura?“, überlegte mein Vater laut, doch als ich ihm gegen den Arm schlug, fing er an zu grinsen. „Ganz sicher nicht. Und da ist noch etwas, dass ich dir besser sagen sollte. Ich habe leider meine Wohnung und meinen Job verloren. Aber ich bin bei Sora untergekommen. Du brauchst dir also keine Sorgen zu machen.“ Ich hatte erwartet, dass es ihn irgendwie schocken würde, aber dann winkte er nur ab. „Satoe hat mir schon alles erzählt. Ich verstehe nicht, warum du nicht bei uns wohnen willst. Das Haus ist groß genug und wir könnten dich finanziell unterstützen.“ „Danke, Papa. Aber ich will das nicht. Ich möchte auf eigenen Beinen stehen und wenn ich ewig an euch hänge, werde ich nie herausfinden, was ich wirklich machen will. Hier würde es mir einfach viel zu gut gehen und dann hätte ich vielleicht gar keine Lust mehr zu arbeiten. So bin ich wenigstens gezwungen, mir was zu überlegen“, lachte ich und mein Vater nickte. „Verstehe. Das ist in Ordnung. Außerdem hast du ja jetzt einen ganz tollen Freund, der für dich da ist.“ Ich wollte gerade etwas darauf erwidern und auch mit dieser Sache reinen Tisch machen, als sich ein Lächeln auf die Lippen meines Vaters legte, dass ich nur all zu gut kannte. „Ich mag Tai wirklich gerne. Er scheint ein netter Kerl zu sein und ist als Lehrer sicher gut angesehen. Eine wirklich gute Partie.“ Innerlich seufzte ich laut auf. Da kam dann doch wieder der Anwalt durch. Na, hoffentlich brach es ihm nicht das Herz, wenn ich ihnen bald mitteilen musste, dass ich mich von meinem „Freund“ Tai getrennt hatte. „Ich verspreche dir, ich überlege mir gut, was ich mit meiner Zukunft anstellen will. Und jetzt würde ich gerne einen gemütlichen Weihnachtsnachmittag mit meiner Familie verbringen.“ Er lächelte und nahm mich wieder mit zurück in den Salon. Alle waren schon fertig mit Essen. Ich hatte leider wenig von dem leckeren Essen meiner Mutter mitbekommen, doch das würde ich später nachholen, denn definitiv würde ich was für Sora und mich mit nach Hause nehmen. Als wir reinkamen, sah ich Tai, der mit einer Tasse Glühpunsch in der Mitte stand und warum auch immer, alle Blicke auf sich gezogen hatte. Wie gebannt hing meine Verwandtschaft an seinen Lippen, was mich unvermittelt stutzen ließ. Hoffentlich übertrieb er es nicht gerade mit der Freundlichkeit. Ich hatte zwar gesagt, er solle nett zu meiner Familie sein, aber doch nicht so nett, dass sie ihn nicht mehr gehen lassen wollten. Als ich dann auch noch sah, wie meine Großmutter dabeisaß und entspannt in das Lachen der anderen einstimmte, kam ich zu dem Entschluss, dass es an der Zeit war dazwischen zu funken. Schnurstraks ging ich auf Tai zu und stellte mich neben ihn. „Na, was macht ihr so schönes?“ „Hallo, Liebling. Ich erzähle deiner Familie nur eben ein paar Anekdoten aus dem Alltag eines High School Lehrers.“ Liebling? Hatte der zu tief ins Glas geguckt oder nahm er seine Rolle inzwischen doch ernster als erwartet? „Mimi, du glaubst nicht… was man da alles erlebt. Gott, es ist ja schon so verdammt lang her, dass ich jung war“, meinte Tante Zoe und hielt sich immer noch den Bauch vor Lachen. Ein leichter Rotschimmer hatte sich auf ihre Wangen gelegt und ich fragte mich, ob das an meinem neuen Freund lag oder an dem Glühwein in ihrer Hand. „Jetzt, wo es mit BWL nicht mehr klappt, Mimi, werd doch einfach auch Lehrerin.“ Ich schüttelte energisch den Kopf, als Tai plötzlich eine Hand um meine Taille legte und mich an sich zog. „Ich denke nicht, dass das für meine Prinzessin das Richtige wäre. Heutzutage muss man schon wirklich aus hartem Holz geschnitzt sein, um zu unterrichten.“ Überrascht sah ich ihn an und drückte mich sachte von ihm. „Traust du mir etwa nicht zu, aus hartem Holz geschnitzt zu sein?“ Tai grinste. „Ach, komm schon. Dir wird doch schon schlecht, wenn du auf einem Schiff bist. Wie willst du es dann mit pubertierenden Teenagern aufnehmen?“ Meine Tante prustete los und sogar meine Mutter musste kichern. „Wo er recht hat. Das passt nicht zu dir, Mimi.“ Beleidigt verzog ich das Gesicht und verschränkte die Arme vor der Brust. „Wie schön, dass ihr beide mich so gut kennt.“ „Nicht?“, stimmte Tai mir lachend zu, woraufhin er sich direkt einen drohenden Blick von mir einfing. Er sollte es lieber nicht zu bunt treiben. Sonst war er die längste Zeit mein fester Freund gewesen. „Aber jetzt erzählt doch mal! Wir wissen ja noch gar nicht, wie ihr euch kennengelernt habt“, meinte meine Mutter plötzlich und alle sahen mich gespannt an. Oje, was sollte ich denn darauf nur sagen? Wie war das? Improvisation. Das bekam ich ja wohl noch hin. „Nun, ich… also, wir…“, stammelte ich und wieder Mal riss Tai das Wort an sich. „Das war eine sehr witzige Situation, wie ich Mimi begegnet bin.“ Geschockt sah ich ihn an. Was hatte er denn jetzt vor? Er wollte doch nicht etwa von unserem beinahe Unfall erzählen? Meine Mutter würde einen Schock fürs Leben bekommen, wenn sie erfuhr, dass ich um ein Haar umgekommen wäre. „Wir haben uns in einem Vergnügungspark kennengelernt.“ „Was? Aber Mimi hasst Vergnügungsparks“, entgegnete meine Mutter und sah uns gespannt an. „Ich war mit einer Freundin da. Nur so zum Spaß“, ergänzte ich schnell, doch Tai schüttelte lachend den Kopf. „Ach, Liebling. Muss dir doch nicht peinlich sein, dass du dort ein Date hattest“, sagte er grinsend und kniff mir in die Wange. Ich schlug seine Hand zur Seite und warf ihm einen wütenden Blick zu. „Auf jeden Fall wollte meine kleine, süße Mimi ihr Date beeindrucken, indem sie in so ein riesen Teil von Achterbahn stieg…“, erzählte Tai so begeistert weiter, als wäre er wirklich dabei gewesen. In eine Achterbahn? Als ob ich das jemals tun würde. „Danach war ihr total übel und weil ihr das so peinlich war, hat sie sich in eine Ecke verkrümelt um sich… na ja, sagen wir mal, um sich zu erleichtern.“ Meine Mutter schlug die Hand vor den Mund und ich hätte am liebsten das selbe getan. Doch ich bewahrte die Fassung. „Natürlich war ihr das super unangenehm. Ich meine, wer küsst schon gerne jemanden, der sich gerade erst übergeben hat?“ Alle prusteten wieder los, während ich nur die Hände zu Fäusten ballte. „Aber zum Glück war ich ja da. Ich hab gesehen, wie schlecht es ihr ging, als sie danach mutterseelenallein auf der Bank saß. Ich hab ihr ein Wasser gebracht und als es ihr besser ging, auch noch eine Zuckerwatte. Mimi liebt ja alles, was süß ist. Es war Liebe auf den ersten Blick“, sagte er und schlug verträumt die Augen auf. „Bei ihr. Nicht bei mir. Sie tat mir einfach nur leid. Doch irgendwie hat sie sich von der ersten Sekunde an so unsterblich in mich verliebt, dass sie mir nicht mehr von der Pelle gerückt ist.“ Also… das war ja wohl die Höhe! Was bildete dieser Kerl sich ein, wer er war? „Hach, ja, das ist meine Mimi. Ich kann es mir bildhaft vorstellen“, schwärmte meine Mutter und verdrehte verträumt die Augen. Was? Ihr Ernst? „Na ja, jedenfalls habe ich irgendwann ihrem Werben nachgegeben. Ihre Tochter kann ziemlich überzeugend sein, wenn Sie verstehen, was ich meine.“ Er zwinkerte meiner Mutter zu und Tante Zoe schlug sich die Hand vor den Mund, nur um dahinter beherzt loszulachen. So, das genügte! „Du musst nicht so ins Detail gehen, Schatz“, flötete ich gespielt nett, schlang unauffällig meine Arme um ihn und kniff ihn in den Po. Tai zuckte zusammen, biss sich jedoch schnell auf die Lippe, um nicht loszuschreien. Ich grinste fies in seine Richtung. Das hatte er nun davon. Zeit, diese Farce aufzulösen. „Ich denke, du hast genug für heute. Zeit nach Hause zu gehen“, säuselte ich lieb und nahm ihm seinen Glühwein ab. „Gerade, wo es anfängt Spaß zu machen“, grinste Tai schief, doch ich warf ihm sofort einen „Übertreib es nicht, Freundchen“-Blick zu. „Wie schade, dass ihr schon gehen müsst“, sagte meine Mutter und nahm mich in die Arme. „Tja, die Prinzessin hat gesprochen. Bis bald mal, Satoe. Keisuke.“ Er schüttelte meinen Eltern die Hand. Endlich hatte es ein Ende. Allerdings konnte ich schon ahnen, wie enttäuscht sie sein würden, wenn ich ihnen erzählte, ich hatte mit Tai Schluss gemacht. Dafür musste ich mir auf jeden Fall noch eine passende Ausrede zurechtlegen. Meine Eltern würden mich für verrückt erklären, wenn ich ihn ohne Grund abschoss. Dabei hatte ich Tai als meinen Freund ausgegeben, um ihnen Enttäuschung zu ersparen. Na, der Schuss ging wohl nach hinten los, das wurde mir jetzt auch klar. Was musste dieser Kerl auch so verdammt charmant sein und das Herz meiner Mutter gleich im Sturm erobern? „Ich habe eine fantastische Idee“, meinte meine Mutter plötzlich, als wir schon fast zur Tür raus waren. „Warum essen wir nicht morgen alle gemeinsam? Wir könnten zu dir kommen, Mimi. Nur, um uns noch ein bisschen besser kennenzulernen. Der Nachmittag heute ist doch viel zu schnell vorbeigegangen.“ Oh, nein. Auf. Gar. Keinen. Fall. „Sehr gerne, ich würde mich freuen.“ Fassungslos sah ich Tai an. Hatte er jetzt völlig den Verstand verloren? „Aber, wir haben doch morgen schon was vor, Schatz. Weißt du nicht mehr?“, sagte ich hinter hervorgepressten Zähnen. Das Lächeln fiel mir immer schwerer. „Hm, das sag ich ab. Ist eh nicht so wichtig“, winkte Tai schnell ab, was mich nur noch sprachloser machte. Ob er noch zu retten war? „Oh, super. Mimi, du kochst was Leckeres, ja? Wir kommen dann so gegen Eins“, jubelte meine Mutter vergnügt. Schön, dass meine Eltern sich selbst einluden. Und Tai gleich mit. Na, der konnte was erleben. „Ja, gut. Aber jetzt müssen wir wirklich gehen. Bis morgen“, rief ich in den Raum und schob Tai recht wiederwillig aus der Tür. „Sag mal, geht’s noch?“, zischte ich sofort, als die Tür hinter uns zugefallen war. „Was hast du denn? Bist du sauer?“, fragte er treudoof und ging in den Flur, um sich seine Jacke überzuziehen. „Ob ich sauer bin? Wir hatten einen Deal, falls ich dich daran erinnern darf. Dein Soll ist hiermit erfüllt. Auf nimmer wiedersehen!“, motzte ich und stapfte fuchsteufelswild hinter ihm her. „Du bist wirklich süß, wenn du dich so aufregst. Ich geb es nicht gern zu, aber der Nachmittag war wirklich amüsant. Gönn mir doch auch mal ein wenig Spaß.“ Meine Augen verengten sich zu Schlitzen. Begriff er denn hier gar nichts? „Und wie soll ich meiner Mutter dann erklären, dass ich mit dir Schluss gemacht habe? Sie ist doch jetzt schon bis über beide Ohren in dich verliebt.“ „Du machst mit mir Schluss? Wieso darf ich nicht mit dir Schluss machen?“ Ich lachte und zischte zugleich. „Das hättest du wohl gern. Reicht dir wohl nicht, dass du dir eben diese völlig absurde Geschichte aus den Fingern gesogen hast.“ Tai lachte. „Ja, die war gut, nicht? Ich weiß gar nicht, warum du dich so aufregst. Du hast gesagt, wir sollen improvisieren. Ich habe nur versucht, aus den wenigen Informationen, die du mir gegeben hast, was zu machen.“ Dieser Typ war der Wahnsinn! Bei so viel Dreistigkeit klappte mir beinahe der Mund auf. Doch dann kam er plötzlich einige Schritte auf mich zu und grinste mich mit diesem einzigartigen, schiefen Grinsen an, mit dem er irgendwie alle um den Finger wickelte. Aber nicht mich! „Hast du vielleicht schon mal daran gedacht, dass ich noch ein bisschen länger dein Fake-Freund sein möchte? Vielleicht will ich dich ja ein bisschen näher kennenlernen.“ Ich schluckte schwer. „Ach, das ist… d-das ist doch…“, stammelte ich unbeholfen und konnte es nicht unterdrücken rot anzulaufen. Tais Grinsen wurde breiter. „Vielleicht macht es mir aber auch nur Spaß dich zu ärgern. Immerhin hast du mein Motorrad geschrottet und mich erpresst. Du hast es verdient.“ Ich biss die Zähne aufeinander und musste an mich halten, ihm nicht ins Gesicht zu springen. Der Typ hatte echt Nerven! Er wandte sich zum Gehen um, als er in seine Jackentasche griff und plötzlich angewidert das Gesicht verzog. „Was zum Teufel…?“ Er zog seine Hand aus seiner Jackentasche und hielt sie hoch. Sie war vollgeschmiert mit Kartoffelbrei, der klebrig zwischen seinen Fingern pappte. Ich prustete los und krümmte mich vor Lachen. „Das kann nur Yoshi gewesen sein.“ „Was… dein Cousin? Dieser miese, kleine, verzogene…“ Ich zuckte mit den Schultern und gab mir keine Mühe meine Schadenfreude zu verbergen. „Das nennt man Karma, Tai. Erinnere mich daran, dass ich dem kleinen Stinker dieses Jahr was ganz besonders Schönes zu Weihnachten schenke.“ Ich hielt mir den Bauch, während mir die Tränen ins Gesicht stiegen, und Tai nur wütend seine Taschen nach weiteren Essensresten durchsuchte. Aber irgendwie hatte er recht. Es machte wirklich ein wenig Spaß. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)