With You, it's different von Yosephia ([Stingue-Week 2017]) ================================================================================ [Day 2] - A different kind of MUSIC ----------------------------------- Als ihm ein Buch gegen die Schläfe geschlagen wurde, schnellte Rogues Kopf herum und sein Blick, der zuvor regelrecht an einer ganz bestimmten Person geklebt hatte, richtete sich auf seine Tischgenossen. Erst als er das Lächeln auf ihren Lippen sah – jedes Einzelne mit einem variierenden Grad von Belustigung –, wurde ihm bewusst, in was für einer Situation er eigentlich steckte. „Hier spielt die Musik, Rogue“, ließ Minerva, die in der Linken eines ihrer polittheoretischen Fachbücher hielt, sich vernehmen und winkte hoheitlich mit der rechten Hand, als befürchtete sie, Rogue wäre nicht einfach nur abgelenkt, sondern sehbehindert. Ihr Lächeln war am wenigsten subtil, aber dafür war es auch weniger amüsiert, als vielmehr diebisch erfreut. Das war diese Art von Lächeln, die Menschen wünschen ließ, schnell das Weite suchen zu können, um nicht Opfer der dahinter liegenden Sticheleien zu werden. Um nicht weiter von ihr observiert zu werden, senkte Rogue den Blick wieder auf sein Mensatablett, auf welchem sich eine beinahe unberührte Portion Nudelauflauf befand. Mittlerweile war sie kalt und die Tabletts von Rogues Freunden waren leer, wie er aus dem Augenwinkel bemerkte – sogar das von Minerva, auf dem sich neben einer eigenen Portion Nudelauflauf auch noch eine riesige Portion Salat, zwei belegte Brötchen, ihr eigener Nachtisch und der von Rogue befunden hatten. Rogue war gar nicht aufgefallen, dass er so sehr von seiner… Beobachtung gefangen gewesen war. Sein Blick war einfach nur zufällig hängen geblieben und es hatte sich eigentlich nur wie ein paar Sekunden angefühlt, eine Minute höchstens, aber ganz offensichtlich hatte er sein Zeitgefühl völlig verloren. Mit einem Stirnrunzeln hob er wieder den Blick und musterte seine Freunde. Minerva, die jetzt herzhaft von einem Apfel abbiss und seinen Blick mit einem Wackeln ihrer Augenbrauen beantwortete. Rufus, der noch immer subtil lächelte, während er sich an einem Becher mit dampfendem Kaffee gütlich tat – wann hatte er sich den eigentlich geholt? Und Dobengal, der sein brandneues Bosco-Lehrbuch hervor geholt hatte, mit mäßigem Interesse ein neues Kapitel las, während sein Kinn in der abgestützten Hand ruhte, und nur gelegentlich träge den Blick hob, als wollte er sich vergewissern, dass Rogue nicht wieder „abgelenkt“ war. „Wie lange habt ihr mich eigentlich beobachtet?“, fragte Rogue vorwurfsvoll. „Zwanzig Minuten oder so“, murmelte Dobengal seinem Lehrbuch entgegen. „Also Nerva zumindest. So hübsch siehst du nicht aus, dass ich dich nonstop anstarren will.“ Rogue überging die Spitze auf sein eigenes Verhalten und bedachte Rufus mit einem düsteren Blick. Von Minerva konnte er kaum etwas anderes erwarten und Dobengal war in der Hinsicht vollkommen schmerzfrei, aber Rufus war normalerweise nicht so boshaft. „Warum habt ihr nichts gesagt?“ „Haben wir“, antwortete Rufus und hob minimal die Schultern an. „Du hast nie reagiert, also war Minerva der Meinung, zu… anderen Mitteln greifen zu müssen.“ „Wer nicht hören will, muss fühlen“, erklärte Minerva ungerührt und biss noch einmal von ihrem Apfel ab. Für einen Moment erwog Rogue, sein Tablett zu nehmen und den Tisch zu verlassen, um anderswo zu Mittag zu essen, aber die Tatsache, dass er mit seinen Freunden überhaupt erst fünf Minuten gebraucht hatte, bis sie einen freien Tisch gefunden hatten, ließ ihn den Gedanken wieder verwerfen. Es war zu abenteuerlich, Nudelauflauf im Stehen zu essen, und Rogue konnte sich kein zweites Mittagessen leisten, egal wie günstig das Essen hier dank Studentenrabatt war. Wahrscheinlich hatte Minerva sogar Recht, räumt er gedanklich ein – wobei er sich hüten würde, das jemals laut auszusprechen. Wenn er so wenig Selbstbeherrschung besaß, hatte er es wohl nicht anders verdient, als Minervas Schinken an den Kopf zu bekommen. Zumal er ihr anrechnen musste, dass es ihn eigentlich nur überrascht und nicht weh getan hatte. So energisch die Schwarzhaarige auch war, gewalttätig war sie nicht – eine Tatsache, über die sie jedoch beängstigend gut hinwegtäuschen konnte. Langsam begann Rogue zu essen, während seine Freunde sich anderweitig beschäftigten. Dobengal mit seinem Lehrbuch, allerdings mit dem Enthusiasmus einer Schildkröte, irgendwie hatte Rogue das Gefühl, dass auch der zweite Fachwechsel keine Besserung für seinen Freund gebracht hatte, den er im ersten Semester in einer Einführungsvorlesung über Stochastik kennen gelernt hatte. Rufus las einen Roman von Zekua Melon, der wahrscheinlich Gegenstand eines seiner Literaturseminare war, die er freiwillig besuchte, um sein Theaterstudium zu ergänzen. Und Minerva widmete sich dem Buch, das zuvor Bekanntschaft mit Rogues Kopf gemacht hatte. Erst jetzt fielen Rogue die vielen Zettelchen auf, die seitlich oder oberhalb an den Seiten angebracht waren, um wichtige Stellen zu markieren. Was auf dem ersten Blick wie ein einziges Durcheinander aussah, war, wie Rogue schon zu Schulzeiten gelernt hatte, ein ausgeklügeltes Lernsystem, mit dem Minerva im Studium genauso Spitzennoten erzielte wie damals in der Schule. Eigentlich wurde es in der Mittagszeit nicht gerne gesehen, wenn jemand einen Platz in der Mensa für seine Hausaufgaben belegte. Dafür gab es eigene Hausaufgabenzimmer in beinahe jedem der Universitätsgebäude und auch ausreichend Arbeitsplätze in der Bibliothek. Dass seine Freunde dennoch bei ihm blieben, um ihm beim Essen Gesellschaft zu leisten, war eine nette Geste – oder aber ein Zeichen dafür, dass sie auf weitere Entgleisungen seinerseits lauerten. Insbesondere Minerva würde Rogue das zutrauen. Schon allein deshalb konzentrierte Rogue sich eisern auf seinen kalten Nudelauflauf, auch wenn seine Gedanken immer wieder abzudriften drohten. Nämlich zum Objekt seiner vorherigen Beobachtungen: Sting Eucliffe. Rogue hatte den lebhaften Kunststudenten vor zwei Wochen kennen gelernt, als sie vor dem Studierendensekretariat hintereinander in der Warteschlange gestanden hatten – Rogue, um etwas bezüglich seiner staatlichen Fördergelder zu klären, Sting, um eine Studienbescheinigung für sein Stipendium beglaubigen zu lassen. Der attraktive Blondschopf war Rogue vom ersten Moment an aufgefallen und als er sich hinter ihn gestellt hatte und Sting über seine Schulter zurück geblickt hatte, waren ihre Blicke einander für einige Sekunden begegnet. In diesem Augenblick hatte Rogue auch erkannt, dass das eben jener Blondschopf war, der wenige Tage zuvor die halbe Mensa zusammen gebrüllt und dann geradezu fluchtartig das Gebäude verlassen hatte. Eine Viertelstunde lang hatten sie einfach nur hintereinander gestanden und Rogue hatte sich dabei zunehmend gewundert, warum Sting so viel auf der Stelle herum hampelte und immer wieder zu ihm zurück blickte. Als Sting der halb geöffnete Rucksack von der Schulter gerutscht war und sich der Inhalt über den Boden verteilt hatte, hatte Rogue ihm geholfen. Danach war es auf einmal sehr einfach gewesen, ins Gespräch zu kommen. Seitdem hatte Rogue das Gefühl, als würde Sting ihn überallhin verfolgen – und bis zu einem gewissen Grad könnte das sogar wörtlich zu verstehen sein, denn irgendwie waren sie andauernd zur selben Zeit in der Mensa, begegneten einander in Gebäudeeingängen oder auch mal in der Bibliothek. Und nein, Rogue war gestern nicht nur deshalb einen Umweg durch die Kunstabteilung gelaufen, um Sting zu treffen, das hatte einen ganz anderen und sehr wichtigen und professionellen Grund gehabt… Abgesehen davon sah Rogue in jedem Blondschopf, der ihm zufällig auf der Straße begegnete, immer zuerst Sting. Jedes blaue Objekt erinnerte ihn an die ausdrucksstarken Augen des Erstsemesters. Und die Tatsache, dass er letzte Nacht sogar von Sting geträumt hatte, hielt Rogue wohlweislich vor seinen Freunden verborgen. Auch so waren sie mehr als nur verwundert gewesen, dass Rogue immer wieder den Gruß des ihnen fremden Blondschopfes erwidert hatte. Da hatte es natürlich nicht lange gedauert, bis sie ihn darauf angesprochen hatten. Obwohl er dabei wirklich versucht hatte, ihnen nur ungefährliche Informationen zu liefern, hatte er seitdem das Gefühl, als würden sie etwas von ihm erwarten. Dabei hatte er ihnen nichts davon erzählt, wie sehr seine Finger jedes Mal beim Anblick von Stings wilden, blonden Haare kribbelten, weil er so gerne mit ihnen durch die sorgsam gestylten Strähnen fahren wollte. Oder dass er jedes Mal das Gefühl hatte, im tiefen Blau der Augen zu rettungslos zu versinken. Wie sehr es ihm gefiel, das Spiel der gut definierten Muskeln unter lässig sitzenden Oberteilen zu beobachten. Wie sein Blick immer wieder von der schrägen Narbe angezogen wurde, welche die rechte Augenbraue spaltete. Wie sich sein Bauch zusammen zog, wenn sich die schmalen Lippen des Anderen zu seinem strahlenden Lächeln verzogen, bei dem seine makellosen Zähne zum Vorschein kamen. Dass er jedes Mal, wenn er Sting näher kam, unwillkürlich schnupperte, um heraus zu finden, ob er wieder mit Ölfarben gearbeitet hatte – er hatte eines von Stings angeblich misslungenen Bildern betrachten dürfen und er hatte nie zuvor etwas Besseres gesehen… Ein wohliger Schauder rann Rogues Rücken hinunter, als er über den Mensalärm hinweg Stings Gelächter hören konnte – oder es sich zumindest einbildete. Den Nudelauflauf vergessend drehte er den Kopf und suchte die Tische zu seiner Linken ab, bis er Sting fand. Der Blondschopf saß mit einigen seiner Freunde zusammen. Anscheinend hatten sie zusammen gelegt, um sich mehrere Portionen Zucchini- und Kürbisbrot zu kaufen, und hatten diese auf zwei Tabletts in die Mitte des Tisches gestellt, während sie um diese Tabletts herum irgendein Kartenspiel spielten. Besonders Sting und sein hünenhafter Freund Orga waren mit Feuereifer dabei. Bei jedem Zug konnte Rogue ganz genau sagen, ob der Blondschopf eine gute oder eine schlechte Karte bekommen hatte. Wenn Sting jemals Poker ausprobieren sollte, würde er wohl innerhalb kürzester Zeit pleite gehen. Dennoch – oder vielleicht auch gerade deswegen – war es erfrischend, ihn zu beobachten. Er war bei allem, was er anging, immer so engagiert dabei, versprühte seine Begeisterung mit jedem Blick, jedem Lächeln, jedem Lachen. Wie eine Sonne strahlte er Wärme und Freude auf alle um ihn herum ab und zog die Leute damit in seinen Bann. Rogue war da keine Ausnahme und er war nicht so schwer von Begriff, dass er sich wirklich noch fragen musste, was es mit diesen Empfindungen auf sich hatte. Er mochte solch intensive Gefühle für eine Person nie zuvor gehegt haben – vor allem nicht so schnell –, aber er war schon seit einigen Jahren nicht mehr jungfräulich. Er hatte schon mehrere Beziehungen geführt. Allerdings noch nie mit einem Mann. Es war völlig neu für Rogue, dass er sich zu einem Mann hingezogen fühlte, und obwohl er sich vorher für aufgeklärt und vorurteilsfrei gehalten hatte – immerhin war sein eigener Cousin bisexuell –, musste er sich eingestehen, dass er keine Ahnung hatte, wie er jetzt mit diesem Thema umgehen sollte. Dabei hatte es ihn noch nicht gestört, als Sting mal bei einer seiner zahlreichen Geschichten quasi im Nebensatz zugegeben hatte, schwul zu sein. Da war Rogue sich noch nicht darüber in Klaren gewesen, dass ihn das irgendwie betreffen könnte. Jetzt war diese Information insofern für ihn hilfreich, weil er sicher sein konnte, dass Sting auf Männer stand. Aber wie er auf den Blondschopf zugehen und irgendetwas in die Wege leiten sollte, das stand auf einem völlig anderen Blatt… Dieses Mal wurde Rogue etwas gegen den Kopf geworfen. Verdutzt blinzelnd drehte er sich wieder zu seinen Freunden um. Dobengal und Rufus waren dabei, ihre Sachen zusammen zu packen. Die Tatsache, dass das zusammengeknüllte Blatt, das als Geschoss gegen Rogue verwandt worden war, boscanische Konjugationsübungen enthielt, verriet dem Schwarzhaarigen, woher es gekommen war. „Ich muss los, habe einen Grammatikkurs“, erklärte Dobengal und obwohl er keine Miene verzog, war sein Desinteresse unüberhörbar. Rogue hatte so ein Gefühl, dass sein Freund einfach kein Studententyp war, aber solange der das nicht selbst einsah, hielt er es für besser, nichts dazu zu sagen. „Viel Spaß euch noch“, fügte er trocken wie eh und je hinzu. Minerva schnaubte amüsiert und Rufus lächelte milde, während alle Drei kurz zu Rogue blickten, der demonstrativ all seine Aufmerksamkeit darauf verwandte, die Papierkugel aus den Überresten seines Essens zu fischen und neben dem Teller aufs Tablett zu legen. Natürlich hatten seine Freunde ihn schon längst durchschaut. Zu seinem Leidwesen waren sie allesamt sehr gute Beobachter und trotz ihres anderweitigen Gebarens – zumindest in Minerva und Dobengals Fällen – keineswegs gefühlstaub. Vorgestern hatte Minerva ihm sogar ganz direkt ins Gesicht gesagt, dass er Sting endlich auf ein Date einladen sollte, um seinem Geschmachte endlich ein Ende zu bereiten. Dabei sollte gerade sie doch wissen, dass er keine Ahnung hatte, wie man jemanden nach einem Date fragte. Das hatte er einfach noch nie machen müssen, weil er immer gefragt worden war. Wenn es darum ging, zu zusagen, ohne gleich zu viele Hoffnungen bei der entsprechenden Frau aufkommen zu lassen, oder taktvoll abzusagen, hatte er durchaus einige Übung, aber in seinem ganzen Leben war die Initiative noch nie von ihm ausgegangen. Das hieß im Klartext, dass er erstens völlig unerfahren, zweitens zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Mann und drittens mit viel, viel mehr Gefühlen, als er es kannte, in einer Situation steckte, aus der er sich auch nur selbst wieder heraus holen konnte. Er musste die Initiative ergreifen, ansonsten würde er irgendwann wahnsinnig werden – oder von irgendjemandem als Stalker verschrien werden. „Ich glaube, Rogue läuft heute auf einer anderen Frequenz“, hörte er Minerva sagen. In Richtung seines nunmehr vollkommen unattraktiven Nudelauflaufs verdrehte er die Augen, sagte jedoch nichts. Dass ausgerechnet diejenige, die in ihrem Leben bisher immer nur Sexbeziehungen geführt hatte, ihn dazu überreden wollte, bei so einer für ihn neuartigen Sache Ernst zu machen, war auch ein Witz für sich. Allerdings war er nicht einmal ansatzweise bösartig genug, um auf diese Ironie hin zu weisen – immerhin wusste er genau, was der wahre Grunde für Minervas zweifelhaftes Beziehungsleben war. „Lass’ ihn doch einfach eine Weile. In so einer Situation hört man nun einmal eine völlige andere Art von Musik“, schmunzelte Rufus, ehe er zum Abschied mit einem Fingerknöchel auf den Tisch klopfte und sich dann auf den Weg machte. Wieder schnaubte Minerva, doch gleich darauf scharrte auch ihr Stuhl und als Rogue aufblickte, war sie schon dabei, ihr Buch in die Tasche zu packen. Als hätte sie einen extra Sinn dafür, sah sie auf, um seinem Blick zu begegnen. Ein überlegenes Lächeln umspielte ihre Lippen, aber in ihren Augen war ein weiches Funkeln zu erkennen, das, wie Rogue wusste, nur sehr, sehr wenigen Menschen vorbehalten war. „Dann wünsche ich dir mal viel Spaß noch mit deiner…“ Sie blickte in die Richtung von Stings Tisch, wo der Kunststudent gerade einen Gewinn bejubelte – wahrscheinlich ein Glückstreffer – und als sie Rogue wieder in die Augen sah, grinste sie unverhohlen. „Musik.“ Ohne eine anständige Verabschiedung verließ auch Minerva den Tisch und Rogue blieb alleine zurück mit einem viel zu großen Bündel Gefühlen in der Brust, noch mehr Fragen und Zweifeln im Kopf und Stings triumphierenden Lachen im Ohr. Irgendwie klang es wirklich ein bisschen wie Musik. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)