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Wolf im Schnee

von

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I can´t stand the cold

Seit Stiles an einem regnerischen Novembermorgen in New York an Bord gegangen war, waren die Flugzeuge immer kleiner geworden, mit jedem weiteren Umsteigen und je weiter er sich in nördlicher Richtung von der Zivilisation entfernte und nun saß er in einer Art Keksdose mit Flügeln; gerade groß genug für ihn, sein Gepäck, seine Ausrüstung und den Piloten.
 

Und wie er so aus dem Fenster schaute und feststellte, dass die Spuren menschlicher Existenz unter ihnen immer seltener wurden, fragte Stiles sich zum ersten Mal, ob das Alles wirklich so eine gute Idee gewesen war?
 

Nach nur zwei Jahren war seine Ehe bereits am Ende gewesen und Lydia hatte nicht lange gefackelt und war zu Jackson gezogen, noch ehe die Tinte auf den Scheidungspapieren überhaupt trocken gewesen war. Stiles hatte zunächst keinen Schimmer gehabt, wie es danach mit seinem Leben weitergehen sollte? Immerhin hatte er mit ihr doch das volle Programm gewollt: Hochzeit, Babys, ein Eigenheim in einem Vorort, gemeinsam durch dick und dünn, in guten wie in schlechten Tagen, in Krankheit und Gesundheit, egal was da kommen sollte, bis sie schließlich irgendwann gemeinsam alt und grau geworden wären!
 

Lydia hingegen hatte offensichtlich etwas völlig anderes gewollt! Sie wollte Spaß, Partys mit ihren Hollywood-Freunden und ganz sicher wollte sie sich nicht ihre Figur mit irgendwelchen Schwangerschaften ruinieren, wo sie doch gerade erst am Anfang ihrer Filmkarriere stand!
 

Und als die Universität Stiles nun diesen Forschungsauftrag in Alaska angeboten hatte, hatte er ihn ganz einfach ohne großes Zögern angenommen, denn er wollte bloß noch weg von allem und zwar so weit wie irgend möglich!

Weg von allem, was ihm das Herz brach!

Weg von allem, was er nicht verstand!

Weg von allem, was ihn so wütend machte, wie er im ganzen Leben noch nicht gewesen war!
 

Es war ja auch nicht so, dass Stiles nicht bereits früher schon Feldforschung getrieben hätte. Er war nicht die Art Wissenschaftler, die bloß im Labor saß und Daten auswertete, welche andere gesammelt hatten; nein, er wollte da draußen sein und seine Forschungsobjekte mit eigenen Augen beobachten, doch diese neue Mission war zugegebenermaßen etwas anderes, als ein, oder zwei Wochen im Sommer in den Wälder des Staates New Yorks ein wenig zu campen, eine Stunde von der nächsten Kleinstadt entfernt, die über ein Krankenhaus, Supermärkte, Kneipen und so weiter verfügte, um dort das Verhalten der letzten Wölfe in freier Wildbahn zu studieren.
 

Seine Alaska-Mission hingegen würde vier Monate dauern; den ganzen frostigen Winter lang!

Sollte es einen Notfall geben, konnte es einen halben Tag dauern, ehe sie ihn hier mit dem Hubschrauber heraus hatten. Aber nur gesetzt den Fall, dass es ihm überhaupt gelänge, einen Notruf abzusetzen, denn ein verlässliches Mobilfunknetz gab es in der Region nicht, eine Internetverbindung war zwar theoretisch vorhanden, doch die war stark vom Wetter abhängig und ansonsten gab es noch Funk.

Also wenn es nicht gerade schneite zumindest, denn dann konnte es schwierig werden.
 

Stiles würde vier Monate lang ganz auf sich allein gestellt sein und keinen realen Menschen sehen, bis auf den Fahrer des Versorgungskonvois, der ihn je nach Wetterlage alle zwei bis drei Wochen mit dem Lebensnotwendigsten eindecken würde.
 

In New York hatte das alles noch absolut richtig geklungen; endlich weg aus dem Großstadt-Dickicht, das ihn zu ersticken drohte!

Ab in die Einsamkeit, wo er zu sich selbst finden und die Scherben seines Lebens wieder zusammensetzen konnte.

Er würde sich in die Arbeit stürzen und das würde ihn heilen, hatte er sich vorgestellt.

Wie unglaublich einsam es werden würde, hatte er dabei offenbar ausgeblendet, doch das verkarstete, verschneite Land, welches sich nun scheinbar endlos unter ihm erstreckte, heilte ihn von allen Illusionen und holte ihn schnell zurück in die Realität.
 

Er hatte sich allein gefühlt, nachdem Lydia weg war.
 

Nun, in den nächsten Monaten würde er herausfinden, was wahre Einsamkeit war, denn da unten war nichts, außer der weiß verschneiten Weite!
 

Nach einer Weile setzte das kleine Flugzeug zur Landung an.

Einen richtigen Flughafen gab es hier selbstverständlich nicht; nur eine winzige Landebahn nahe einer Ortschaft, welche aus zwei Dutzend Häuschen bestand, bewohnt in erster Linie von den Arbeitern einer nahegelegenen Bleimine.

Es gab so etwas wie einen kleinen Supermarkt, der gleichfalls Leihbücherei und Videothek war und betrieben wurde von einem bärigen, schlecht gelaunten Kerl, der sich als `Kannst-mich-Barney-nennen´-Barnes vorstellte und behauptete, der Bürgermeister dieses Örtchens zu sein. Hier würde Stiles die Nacht verbringen, denn es war kurz nach vier am Nachmittag und die Sonne begann bereits unterzugehen, so dass er es nicht mehr bei Tageslicht zu seiner Forschundsstation schaffen würde und dieser Barney Barnes vermietete zusätzlich zu all seinen anderen Obliegenheiten im Bedarfsfall auch noch Fremdenzimmer.
 

Stiles kam beinahe sein Flugzeugdinner wieder hoch, als er das Zimmer erblickte, welches ihm für die Nacht zugedacht war. Es stank, wie eine Bärenhöhle, wirklich alles in diesem Raum wirkte irgendwie schmuddelig und Stiles fragte sich flüchtig, wie lange eigentlich seine letzte Tetanusimpfung her war.
 

"Stilinski?" fragte Barney Barnes: "Polacke, oder was?"
 

Die Frage riss Stiles aus seinen Gedanken und er nickte:

"Meine Vorfahren kamen aus Polen. Ist aber schon mehrere Generationen her."
 

Barnes gab eine Art verächtliches Grunzen von sich und erklärte:

"Besser als so´n Russe!"
 

Barney Barnes war offensichtlich ein echtes Schätzchen!
 

"Und dein Job is also, Wölfe anzuglotzen, Stilinski?" erkundigte sich Barnes nun: "Könnt mir was Sinnvolleres vorstellen, um Zeit totzuschlagen. Am besten alle abschießen, die Biester! Heulen die ganze Nacht, fressen aus der Mülltonne... ! Hasse die Viecher!"
 

"Aha!" machte Stiles kurz angebunden.

Auf diese Diskussion hatte er wirklich keine Lust! Er selbst liebte Wölfe. Das hatte er schon als Kind getan, doch leider gab es in Kalifornien, wo er groß geworden war keine. Als kleiner Junge hatte er seinen Vater deshalb zu überreden versucht, einen Wolf als Haustier halten zu dürfen, doch dieser hatte ihm erklärt, dass das nicht erlaubt sei und sich auch von dem Argument: `Wir können doch so tun, als sei es ein Hund!´ nicht überzeugen lassen.
 

Doch in einem besonderen Sommer vor vielen Jahren waren sein Dad und er zum zelten in die Rocky Mountains gefahren. Dort hatte Stiles endlich Wölfe in freier Wildbahn beobachten dürfen und dieses Erlebnis hatte ihn für sein gesamtes späteres Leben beeinflusst. Er hatte Biologie studiert und den Canis Lupus von Tag eins zum Schwerpunkt seiner Studien gemacht. Für seine Kommilitonen lief er bloß unter dem Indianernamen: `Der-mit-dem-Wolf-tanzt´, denn sie hielten sich für besonders witzig und originell. Stiles Begeisterung tat dieser Spott keinen Abbruch. Seine Doktorarbeit mit dem Titel: `Mensch und Wolf – Gestern und Heute´, welche die Beziehung des Wolfes zum Menschen, von der Domestizierung durch den Frühzeitmenschen bis hin zur beinahe vollständigen Ausrottung des Wolfes in der Neuzeit ausführlich beleuchtete, war längst ein Standardwerk der Fachliteratur und Stiles Stilinski war heutzutage DER führende Wolfsexperte in den USA.
 

Um Barney Barnes vom Thema Wolfsgenozid abzulenken, aber auch weil seine letzte Mahlzeit schon viele Stunden zurücklag, erkundigte sich Stiles, ob er hier im Ort wohl irgendwo noch eine warme Mahlzeit bekäme:
 

„Musst zu Emma gehn´! Hat das Diner anner Hauptstraße! Is´ ne Deutsche, die Emma! Schlimmer als die Russen, diese Krauts.“ erklärte Barney und kratzte sich durch das schüttere, fettige Haupthaar. Dann fügte er nachdenklich hinzu: „Obwohl... dafür isse eigentlich ganz okay, die alte Emma. Und der Fraß taugt auch was! Geh zu Emma, Junge!“
 

Das war ein eindeutiger Befehl und aus Mangel an Alternativen, weil er wirklich Hunger hatte und auch, weil er auf die Gesellschaft von Barney Barnes keinen gesteigerten Wert legte, der offenbar hobbymäßig hasste, ganz gleich, ob Mensch oder Tier, zog Stiles sich seine Thermokleidung an, denn draußen herrschten Temperaturen unter minus fünfzehn Grad Celsius und er wäre in seiner Jeans und der Daunenjacke, mit denen er in New York losgeflogen war, schon beinahe auf der kurzen Strecke von der Landebahn zu seiner Unterkunft erfroren. Dann machte er sich dann auf den Weg zu Emmas Diner.
 

Der `Fraß´ war wirklich ziemlich gut und Emma in der Tat eine sehr nette Person.

Stiles hatte gegrillte Käsetoasts und Wursteintopf geordert, weil er bei der Eiseskälte einfach etwas Handfestes brauchte.

Er war der einzige Gast und so hatte Emma; eine große, weißhaarige, robuste Frau Mitte fünfzig Zeit dafür, Stiles während des Essens den gesamten Klatsch des kleinen Örtchens zu erzählen , welches den Namen Miners Creek trug. Sie berichtete also, wer-mit-wem, wer-mit-wem-auf-keinen-Fall, von DEM GROßEN SKANDAL beim Sommersonnenwend-Fest vor zwei Jahren, wobei sie den Prediger im letzten Winter erwischt hatten und so weiter.
 

Und obwohl Stiles natürlich keine der Personen kannte, über die gesprochen wurde, amüsierte er sich bestens, denn Emma hatte einen bissigen Humor und einen spannenden Erzählstil.

Und weil es hier so nett war, orderte Stiles noch eine Kanne Kaffee und einen Karamellpudding zum Nachtisch.
 

Als er schließlich wieder aufbrach, gab Emma ihm noch mit auf den Weg:

„Kann verdammt einsam da draußen werden, so ganz allein! Wenn du also anfängst weiße Mäuse zu sehen oder so, dann steig´ auf deinen Schlitten und komm´ für einen Tag vorbei, hörst du Junge?“
 

Stiles lächelte dankbar und versprach:

„Werd´s mir merken!“ ehe er zahlte, noch einmal das gute Essen lobte und verschwand.
 

Trotz der Affenkälte lüftete Stiles das ihm zugedachte Zimmer gründlich und stellte erleichtert fest, dass wenigstens die Bettwäsche einigermaßen sauber war.

Sein Zimmer verfügte über einen alten, kleinen Röhrenfernseher, vor den er sich hockte, bis er müde genug war, um sich schlafen zu legen.
 

Und mitten in Nacht wurde Stiles wach von einem Ruf aus der Ferne, der ihn bis ins Mark erschütterte und seinen gesamten Körper mit einer Gänsehaut überzog. Es war das Klagen eines einsamen Wolfes, so durchdringend und tragisch, dass es Stiles die Tränen in die Augen trieb!



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