Die Kinder des Windes von Elnaro (Der König von Kalaß) ================================================================================ Kapitel 8: Schwarz ------------------ Die Prinzessin ist inzwischen so schwach, dass sie von Ramon gestützt werden muss. Begegnungen mit Göttern setzen ihr zu, als sei das bändigen der Siegel für heute noch nicht genug gewesen. Sie fragt sich woher Ramon diese gigantische Menge innerer Stärke nimmt und auch was genau Ahananis Meinung änderte. Im Moment hat sie jedoch keine Kraft dazu ihn dazu zu befragen. Während er sie ein paar Meter zu einer mit Klee bewachsenen kleinen Lichtung führt, auf der gerade noch eines der Dam-Tiere graste, erklärt er: „Nun verstehe ich warum Akane so schnell auf meinen Vorschlag zu jagen und zu fischen einging. Es war ein Test. Sie wusste genau, dass sich mir die Erdgöttin entgegenstellen würde. Sie hat mich ins offene Messer laufen lassen.“ Er setzt die junge Frau auf dem Klee ab, die sich erschöpft direkt nach hinten sinken lässt, doch bevor sie mit ihrem Kopf den Boden berührt, hält er ihn mit seiner Hand auf und legt ihn sanft auf seinem Schoß ab. Er streichelt ihr ein wenig durch ihr in der Sonne glänzenden Haar und schaut sanft zu ihr hinab. „Es hat mich noch nie weniger geärgert mich mit einem Gott messen zu müssen, meine Schöne. Ich glaube das Schicksal meint es endlich einmal gut mit mir. “ Sein Haar fällt ihm ein wenig ins Gesicht und seine Ohrringe glänzen in der hellen Mittagssonne, die er verdeckt. Der letzte Mann, der Siva von oben anschaute, war sein zweitgeborener Sohn Meran, der sie darum bat ihm Kinder zu schenken. Ihr Gesicht verkrampft sich bei dem Gedanken, was Ramon natürlich sofort registriert. „Was betrübt Euch? Lasst mich in Euren Geist sehen, dann braucht Ihr nicht zu sprechen.“ schlägt er vor, was sie durch ein Kopfschütteln unmittelbar abweist. Er soll nichts von der Angelegenheit wissen. „Zu schade.“ sagt er grinsend, bevor er vorschlägt: „Habt Ihr genug Kraft mir zuzuhören? Dann berichte ich davon wie ich damals auf die Götter traf.“ Da die Prinzessin darauf mit einem entspannten Lächeln auf den Lippen und einem Schließen ihre Augen reagiert, legt er sich nun ebenfalls nach hinten in den Klee hinein. Die freie Hand legt er hinter seinen Kopf, mit der anderen fährt er Siva weiterhin durch ihr volles violettes Haar. „Ich berichtete Euch von meiner Einsamkeit, meiner Flucht zu meinen Untertanen und meinem Gebet zur Erdgöttin. Ich glaube sie verhöhnte mich damit, nicht zu erscheinen. Ihr habt es gerade selbst gehört. Sie empfindet Antipathie gegen die Kinder des Windes. Das wusste ich damals jedoch noch nicht. Ich stand allein in meinem Schlafgemach des alten Nalitischen Schosses. Ihr kennt es nicht, da es die Jahre nicht überdauerte. Ich bat Ahanani darum mir den Weg zu weisen, als ein violett- Türkisfarbener Windstoß durch mein Fenster hinein in mein Gemach blies. Wie ihr Euch inzwischen denken könnt, manifestierte sich der Windgott Fuathel vor mir. Seine riesigen Pfauenfederflügel reichten bis zur Decke hinauf und seine Aura war überwältigend. Niemand glaubte mir, dass die Götter wahrhaftig sein, doch ich wusste, dass da einer vor mir stand. Ich ging vor Ehrfurcht auf die Knie, wagte es kaum ihn anzusehen, doch er begann zu lachen und sagte: ‚Ein König kniet vor niemandem. Komm wieder hoch!‘ Seiner Anweisung nachzukommen war weniger einfach als gedacht, denn meine Knie zitterten. Er warf sich auf mein Bett und erklärte mir warum er erschienen war. ‚Du bist der erste dem ich mich zeige, seit mein Sohn nicht mehr ist. Du kannst dich geehrt fühlen. Du sprichst schon eine ganze Weile zu mir, aber auch zu den anderen dreien. Das kannst du lassen. Denen sind deine Sorgen nicht ernst genug. Du bist einer von meinen, also sollte ich mich um dich kümmern. Das sehe selbst ich ein.‘ sagte er ganz entspannt, als sei es nichts. Ich stützte mich nach hinten auf das Fensterbrett und sah ihn noch immer ungläubig an. Es war schließlich das erste Mal, dass ich einen Gott sah. So wie Ihr, Prinzessin, schaffte ich es nicht zu sprechen, aber das war auch gar nicht nötig, denn er las einfach aus meinen Gedanken was er wissen wollte. Seit dieser Nacht besuchte er mich unregelmäßig und ich gewöhnte mich langsam an seine Aura. Irgendwann bat ich ihn darum sprechen zu dürfen, anstatt immer nur gelesen zu werden und er verstand es. Mit seiner Hilfe und durch seine Beratung war es mir möglich das Land immer mächtiger und reicher zu machen. Ich fing an mich von den Menschen zu isolieren, denn als Berater benötigte ich nur noch ihn. Ich fühlte mich besonders, denn ich war der einzige der mit einem Gott korrespondierte. Was ihm besonders auf der Seele brannte, war der Verfall des Glaubens. Er hatte mir geholfen das Land mächtiger zu machen, also unterstütze ich ihn bei der Missionierung des Glaubens. Er stimmte dieses Vorhaben mit den anderen drei Göttern in einem göttlichen Rat ab. Wie Ihr wisst, ließ sich ich die vier Kathedralen errichten und vier Kristalljuwelen anfertigen. Fuathel war der erste, der sein Juwel beseelte und Kawanata, die Wassergöttin zog schnell nach. Phantakare, der Feuergott stellte als Bedingung einen neuen Ruf zu erhalten, deshalb überarbeiteten wir sein Bild und stellten ihn als starken Gott der Schmiedekunst dar. Am schwierigsten war es Ahanani zu überzeugen. Sie sah schon voraus, dass es möglich war die Macht der Siegel missbräuchlich einzusetzen, doch Fuathel überzeugte sie schließlich, dass ein Mensch das nicht fertig brächte. Währenddessen war Amrea die einzige am Königshof, mit der ich näheren Kontakt hatte. Prias nahm es ihr übel, dass sie sich mit mir traf, doch ihr war das gleich. Viele Abende lang unterrichtete sie mich über ihre Forschungsergebnisse zur Resurrektion eines Mana-i. Viele Male bat sie mich meine und ihre lieblosen Ehen zu lösen, damit wir beide uns verbinden konnten, doch ich interessierte mich nur für ihr Wissen, nicht aber für sie, weshalb ich keinen Vorteil darin für mich sah. Madlene hatte ich schon lange nicht mehr am Hals, es hätte also nur Amrea etwas genützt. Prinzessin, ich berichtete schon davon, dass es noch niemals zuvor die Scheidung einer Ehe unter Gotteskindern gab, doch ich war inzwischen so weit, dass ich auch dieses Gesetz außer Kraft gesetzt hätte, wäre es die richtige Frau gewesen. Für Euch hätte ich es getan. Mein Interesse widmete sich immer stärker der Macht die den Siegeln innewohnt. Da ich vor Fuathel nichts verbergen konnte, dauerte es nicht lange bis er es herausfand. Er weigerte sich zwar mir dabei zu helfen diese Macht zu kontrollieren, doch er hinderte mich auch nicht daran es zu versuchen, was ich als Aufforderung verstand. Weitere fünfzig Jahre verstrichen und ich war inzwischen in der Lage mir jedes einzelne der Siegel zu unterwerfen. Fuathel erkannte große Macht in mir und erklärte mir wie ich mein Reich noch mächtiger machen könnte. ‚Wieso solltest du nicht den ganzen Kontinent beherrschen?‘ fragte Fuathel einmal und diese Frage blieb an mir hängen. Ich begann mich für einen Gottkönig zu halten, den mächtigsten König, der je gelebt hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt unterhielt ich hervorragende Beziehungen zu den Königshäusern in Aranor und Deskend. Ich war ausgesprochen gut mit König Taronir von Yoken befreundet, dem Vater von Nienna, der mich später zu Fall brachte. Oft besuchte ich den nördlichen Königshof, denn ich fand Gefallen an den Damen des Deskender Hofes und das beruhte auf Gegenseitigkeit. Es ist schwierig für mich Euch so etwas zu erzählen, Prinzessin.“ Er sieht zur auf seinem Schoß liegen Geliebten, die ihm keinen Vorwurf zu machen scheint. „Ist doch jetzt vorbei, Ramon.“ haucht sie erschöpft. „Nagut,“ fährt er fort. „Viele Jahre schon hatte ich für meine Sünde der Polygamie gebüßt und sie nicht mehr praktiziert, doch die blassen und hellhaarigen yokener Mädchen reizten mich. Je höher die Damen im Rang standen, desto mehr interessierte ich mich für sie. Über viele Jahrzehnte hinweg verführte ich nur den zartesten Hochadel und die edlen Damen des Hofes schwiegen darüber. Gleichzeitig schwächte ich die Königreiche, indem ich Durchgangszölle erließ, die auch auf dem Seeweg nicht umgangen werden konnten. Kalaß wurde somit immer reicher, während Roschea und Yoken ärmer wurden. Ich nutze die ins Reich gespülten Finanzen, um eine mächtige Streitmacht aufzubauen. Einsetzen wollte ich sie nicht, denn sie diente zunächst nur der Abschreckung. Des weiteren ließ ich die Festung Tarbas und eine starke Grenzmauer um sie herum errichten und die nahegelegene Kathedrale des Windgottes ziehen. Schnell siedelten sich besonders wohlhabende Menschen in dieser Stadt an. Der alte König Taronir verstarb und Nienna wurde zum Kindkönig, der mich schon früh hassen lernte. Der Junge hatte eine ältere Schwester, Prinzessin Zeniade, die in mein Schema passte und die für mich schwärmte. Bei einem Staatsbesuch, angeblich zur Regulierung der Zölle, machte ich sie mir zu eigen. Nienna erwischte uns in flagranti und erklärte mich zu seinem persönlichen Erzfeind. Ich nahm ihn nicht ernst, war er doch erst zehn Jahre alt. Trotzdem erhielt ich darauf folgend nie wieder eine Einladung an den Hof, noch wurde ein Gesuch meinerseits akzeptiert. Der Adel und Hochadel meines Volkes bemerkte die schlechter werdenden Beziehungen zu den Nachbarländern und versuchte mich zur Rede zu stellen, jedoch ohne Erfolg. Schon lange wussten sie rein gar nichts mehr über meine Staatsgeschäfte. Wie jedes Jahr reiste ich nach Aranor, um das Grab Quinyas, meiner weißen Mondlilie an dem Tag zu besuchen, an dem sich unser Kennenlernen jährte. Was ich dort sah, veränderte den Lauf der Dinge nachhaltig, denn es trug maßgeblich zu meinem Fall bei. Eine junge Frau mit weißem, langen und gelockten Haar, die Augen so hell wie ein klarer Himmel und edler blasser Haut, in Schönheit kaum zu übertreffen, stand vor Quinyas Familiengruft, nachdem ich eine Mondlilie darin abgelegt hatte. Sie sprach mich an mit ihrer lieblichen Stimme: ‚Ihr seid nicht von hier. Dürfte ich fragen warum Ihr meine Familiengruft besucht?‘ Es war unglaublich. Es war als sei Quinya von den Toten auferstanden. Natürlich war sie es nicht, doch sie hatte große Ähnlichkeit mit ihr. Mein Herz, das schon vor Jahrhunderten aufgehört hatte zu schlagen, begann unter meiner Brust zu beben. Ich ging in mich und antwortete ihr, ohne meine innere Euphorie über sie Preis zu geben: ‚Ich besuche hier jedes Jahr das Grab eines Mädchens, das hier vor 460 Jahren bestattet wurde. Wie ist Euer Name?‘ Sie schien ein wenig verwirrt, doch sie ordnete sich und sagte: ‚Lyrielle. Ich heiße Lyrielle. Darf ich fragen, warum Ihr ein so altes Grab besucht, Eure Hoheit?‘ Ich lachte, denn sie erkannte zwar, dass sich adlig war, jedoch nicht meinen wahren Rang. ‚Weil ich sie kannte, Lyrielle. Ihr zeigt eine große äußerliche Ähnlichkeit zu ihr.‘ Sie fuhr in sich zusammen. ‚Ihr seid einer der Unsterblichen? Ich…ich habe noch niemals einen Unsterblichen getroffen. Entschuldigt bitte, mein Benehmen. Wie ist Euer werter Name?‘ ‚Ramon‘ antwortete ich ihr wahrheitsgetreu und ihr hübsches blasses Gesicht lief rot an. ‚Ihr seid der Ewige König.‘ rief sie aus und ich lachte erneut. ‚Ihr seid anders als das Mädchen, dessen Grab ich besuchte. Werdet Ihr trotz Eurer ungewöhnlichen Haut und Haarfarbe gut behandelt?‘ Lyrielle verstand diese Frage nicht. ‚Ja, … wieso nicht?‘ antwortete sie. Ich ging mit ihr gemeinsam essen und erfuhr, dass sie schon achtzehn war, dabei hatte ich sie ein paar Jahre jünger geschätzt. Nun, ich möchte es nicht näher beschreiben, aber eines führte zum anderen und sie kam mit mir in das eben erst neu errichtete Schloss nach Nalita. Die Vormachtstellung auf Altera machte Kalaß so reich, dass ich Unmengen von Mitteln zum Ausbau der Hauptstadt und meinem Nebensitz der Festungsstadt zur Verfügung hatte. Auch das Kalaßer Volk liebte mich als König und ich hatte ein Mädchen gefunden, das mir am Herzen lag, wenn auch nur, weil sie einer anderen ähnlich sah. Das Blatt schien sich für mich endlich gewendet zu haben, doch schon nach wenigen Wochen wurde ich unruhig. Lyrielle kam mir seltsam vor. Sie erzählte Geschichten aus ihrer Kindheit, die klangen als stammten sie aus der Feder eines Romanautoren. Ich begann ihr zu misstrauen und beobachtete was sie tat, wenn sie glaubte allein zu sein. Sich immer wieder umschauend, schlich sie sich eines abends zu Madlene. Ich wartete das Treffen ab und am nächsten Tag forschte ich im Geist der Königin danach. Wie konnte es auch anders sein war Lyrielle eine auf mich angesetzte Spionen meiner Frau, die mich unterwandern sollte. Der Zufall war aber auch wirklich zu groß. Im Wissen meiner jungen schönen Mätresse keine Geheimnisse verraten zu dürfen, lebte ich diese Lüge noch einige Zeit. Eines warmen Herbstabends lag ich gemeinsam mit ihr im Bett. Sie erzählte mir von ihrer erfundenen Kindheit, doch ich fand das nicht schlimm, war sie doch eine so gute Lügnerin und eine noch bessere Geschichtenerzählerin. Irgendwann fragte sie: ‚Ist dies das Leben, das Ihr Euch vorgestellt habt, Majestät?‘ ‚Wie meint Ihr das?‘ fragte ich zurück. ‚Glaubt Ihr die Götter haben sich diesen Weg für Euch ausgemalt?‘ verfeinerte sie und ich antwortete wortkarg: ‚Wohl eher nicht.‘. ‚Man sagt Ihr wärt mit ihnen im Bunde, Majestät. Das erzählt man sich hier überall.‘ bohrte sie nach, was mir missfiel, wusste ich doch genau wieso sie es wissen wollte. ‚Sagt man das?‘ schnitt ich sie ab, doch sie versuchte es weiter mit der dreisten Frage: ‚Kennt Ihr die vier Götter persönlich?‘ und ich antwortete unüberlegt: ‚Nicht alle vier.‘ Als sie dann wissen wollte mit welchen ich in Kontakt stünde, blockte ich ab. ‚Ihr seid der einsamste Mensch den ich kenne.‘ flüsterte sie und: ‚Jeder braucht einen Menschen, dem er sich anvertrauen kann.‘ Dann schmiegte sie ihren schönen warmen Körper an mich und hauchte: ‚Ach kommt schon. Ich bin für Euch da, ich höre Euch zu. Sagt schon, plant Ihr einen Krieg gegen Yoken? Mir ist es egal, solange Roshea sicher ist.‘ ‚Vielleicht tue ich das.‘ entgegnete ich uneindeutig und auch verstimmt. Es schien als wolle sie ihren Auftrag endlich abschließen. Ich dachte, dass sie wohl jetzt genug von mir hatte. Diese Ablehnung verletzte mich, deshalb stellte ich ihr eine Gegenfrage. ‚Wie lange wollt Ihr noch so weitermachen, Lyrielle?‘ Sie versuchte zunächst noch die Unschuldige zu spielen, doch das brachte sie nicht voran. Sie entfernte sich langsam von mir, doch dann, blitzschnell holte sie einen kleinen, schmalen und sehr spitzen Dolch unter dem Kissen hervor. Sie überraschte mich und stach mir eine kleine Wunde in die Brust. Mit Leichtigkeit überwältigte die schwache Frau, auch wenn sie strampelte und zappelte, machte ich sie bewegungsunfähig und wehrlos, in dem ich mich auf sie setze. Ihr kennt diese Technik, Prinzessin, denn ich wendete sie vor ein paar Monaten auch an Euch an. Ich wünschte Ihr könnt mir das irgendwann einmal verzeihen. Ihr wisst wie verzweifelt ich zu dieser Zeit an meinem Leben festhielt… Nun, Lyrielle lag, das wundervolle weiße Haar wild über dem Gesicht verstreut, unter mir und schimpfte: ‚Kein Gift! Kein Dolchstoß! Was tötet einen Unsterblichen?‘ ‚Die Liebe.‘ antwortete ich sanft . Erbost darüber versuchte sie sich erneut durch wildes herumzappeln zu befreien. ‚Es ist mir egal wie Ihr wirklich heißt und woher Ihr in Wahrheit stammt. Es ist mir auch egal welchen Auftrag Ihr habt und von wem. Ich habe nur eine Frage an Euch: Habe ich einen Platz in Euren Herzen?‘ fragte ich streng. Sie hörte auf sich zur Wehr zu setzen und ihre Antwort war der wahre Dolchstoß. ‚Hätte ich eines würde es Euch gehören. In einem anderen Leben vielleicht, aber in diesem versuche ich Euch zu töten, …Majestät.‘ sagte sie hart, was mich traurig machte. Wie traurig musste sie erst sein, doch sie weinte nicht. Sie weinte niemals. Mich vor meinem inneren Auge wieder in Einsamkeit versinken sehend, bat ich sie ein neues Leben mit mir zu beginnen. Ich erklärte, dass ich vergeben und vergessen könne. Unter ihren wild im Gesicht verstreuten Haaren, erkannte ich ihre Emotionen nicht, doch ihre Stimme blieb hart, als spreche sie mit mir über das Mahl von gestern Abend. ‚Aber ich vergebe mir niemals. Ich bin nicht sie, Majestät, und werde es niemals sein. Tötet mich oder ich töte Euch, sobald-‘ Mitten in diesem unsinnigen Satz unterbrach ich sie mit einem Kuss auf ihre mit Haar bedeckten Lippen. Ich schlief noch einmal mit ihr, bevor ich ihr den Dolch, den sie mitgebracht hatte, tief ins Herz stach. ‚Sie hatte doch eins…‘ dachte ich melancholisch, ohne zu realisieren, was ich da getan hatte. Ich warf mir einen Mantel über, ging zur Tür hinaus und sagte den Wachen, sie müssten in meinen Gemach aufräumen. Dann ging ich hinüber zum Ostflügel, in dem Madlene und meine Söhne lebten. Ihre Wachen versuchten mich daran zu hindern bis zu ihr vorzudringen, hatte sie doch schon geahnt, dass dies eines Tages passieren könnte. Ich fand sie in ihrem Gemach vor, doch nicht allein. Meran, mein zweitgeborener Sohn lag neben ihr. Es war abscheulich, doch nicht so sehr wie das was ich getan hatte. Ich warf sie noch in dieser Nacht allesamt aus meinem schönen neuen Schloss. Ich hatte die Königin, und alle Königssöhne vor die Tür gesetzt. Prinzessin, Ihr könnt Euch nicht ausmalen wie verzweifelt ich war. Noch niemals hatte ich einen Menschen getötet und dieses Leben, welches ich genommen hatte, bedeutete mir auch noch so viel. Ich suchte Rat bei Fuathel, doch er verstand den Unterschied zwischen einem Menschen mehr oder weniger nicht. ‚Das war doch nur irgendein Mädchen. Sie sah einer ähnlich, in die du als Junge mal verliebt warst, mehr nicht. Sie war nur eine Illusion, der du dich hingeben wolltest. Sie wäre ohnehin in ein paar Jahren gestorben. Menschen werden nicht alt.‘ sagte er schulterzuckend. Vollkommen ohne Unterstützung musste ich mit meiner Trauer und meiner Schuld selbst zurechtkommen. Aus allen Himmelsrichtungen holte ich die Elementarsiegel zusammen, welche zuvor in den Kathedralen ihren Platz gefunden hatten und meisterte den Umgang mit ihnen im Kampf. Ich war verbittert und fand meine Erfüllung in Ansprachen zum Kalaßer Volk. Noch immer liebten sie mich. Sie jubelten mir zu und ich trieb sie an, sich als bestes und reinstes Volk des Kontinents zu betrachten. Ja, ich erhöhte sie sogar über das Volk der Mana-i. Die von mir hochgerüstete Kavaliere scharrte mit den Hufen. Nur wenige kleinere Konflikte gab es in den fünftausend Jahren, seit der Gründung der Reiche, doch noch niemals zuvor einen solchen Krieg wie ich ihn über den Kontinent brachte. Ich schickte die Streitmacht nach Yoken und war überrascht bereits nach kurzer Zeit auf stark befestigte Landstriche zu stoßen. Dort, wo das Hagralgebirge die passierbaren Ebenen verengt, lag die alte Grenze und nur Fünfzig Kilometer nördlich von verläuft ein Fluss, der Merl. An ihm scheiterten meine Truppen und wurden schwer geschlagen, denn Nienna hatte die Brücken befestigen lassen. Unerklärlicherweise wurden wir sogar bis hinter unsere eigene Grenze zurück gedrängt. Es starben vielmehr meiner Leute als ihrer und zur gleichen Zeit marschierte das vollständige rosheanische Heer von Süden in mein Königreich ein, welches es gezielt auf die fast ungeschützte Hauptstadt Nalita abgesehen hatte. Ich und viele andere flüchteten in die Festungsstadt Tarbas. Ich selbst rüstete mich für die Schlacht. Ein begabter Schmid fertigte mir eine Rüstung an, in welcher ich die vier Siegel einarbeiten ließ. Ich zog meine dezimierte Streitmacht um das weiträumige Gelände der Festungsstadt zurück und beschloss selbst hinaus auf das Schlachtfeld zu ziehen. Ich war so hochmütig, dass ich dachte ich allein sei der entscheidende Faktor. Die westlichen Ausläufer der Nosramaebene waren stark umkämpft und die Schlacht in vollen Gange, als ich dazu stieß. Ich sah die Felder aus der Ferne. Viele Soldaten waren schon gefallen, viele von meinen und viele des Wüstenkönigs Hernan von Roshea, den ich bis kurze Zeit zuvor nicht für eine Gefahr gehalten hatte. Sein Wappen trug damals einen Löwen auf blauem Grund. Ich sah wie seine Banner auf dem Schachtfeld wehten und suchte vergebens nach meinem grünen Pfau. Rasend vor Wut wollte ich eingreifen, doch vor mir erschien ein Hirsch, der mich erhaben ansah und sich kurz darauf in einem gelbgoldenen Schein in die Erdgöttin Ahanani verwandelte, so wie sie es vorhin getan hat. Sie warnte mich davor es gäbe kein Zurück mehr, wenn ich diese Grenze überschreiten würde. Als ich sie frage was ich tun soll, um mein Reich wieder zu der Macht zu verhelfen, die es noch vor einem Jahr gehabt hatte, versicherte sie mir das sei unmöglich und ich solle mich hier und jetzt ergeben, um unnötiges Blutvergießen zu vermeiden. Ich war zu sehr in Rage, um angemessen mit der Erdgöttin zu sprechen. Ich schrie: ‚Ich sehe nur drei Möglichkeiten, Ahanani. Helft mir, geht mir aus dem Weg oder tötet mich jetzt sofort! Solange ich lebe werde ich mein geliebtes Kalaß beschützen.‘ Sie verwandelte sich wieder zurück in einen Dam-Hirsch, bewegte sich jedoch nicht vom Fleck, deshalb griff ich sie mit aller Macht an, die mir zur Verfügung stand. Mein türkis loderndes Schwert teilte den Hirsch in zwei Hälften, die zu Erde erstarrten und zerbröckelten. Euphorisch über meinen Sieg über die Göttin stürzte ich mich in die Schlacht. Wie ein messerscharfer Windstoß zerschnitt ich jeden Soldaten, der nicht zu mir gehörte. Ich vermute es waren ein paar hundert. Ich registrierte erst später, dass all meine Männer bereits gefallen waren. Nur ich stand noch auf dem blutroten Schlachtfeld, umringt von tausenden von Toten. Ich weiß noch wie mir die Schuldgefühle die Luft abschnürten und brach unter der Verausgabung und der Last der Siegel zusammen. Erst am nächsten Tag erwachte ich, als nahe gelegene Bauern das Schlachtfeld plünderten. Ein Kind kam zu mir, das meine saubere, unversehrte und juwelenbesetzte Rüstung musterte. Als ich die Augen öffnete erschrak es sich und rannte zu seiner Mutter, die es in ihre Arme schloss. Als sie mich als ihren König erkannte, ging sie in die Knie und flehte: ‚Macht, dass das wieder aufhört, Euer Gnaden. Mein Mann und mein ältester Sohn sind schon gefallen. Ich weiß nicht mehr weiter.‘ Ich musterte ihren schmutzigen Leib müde und verließ das Schlachtfeld ohne ein Wort. Ich glaubte zunächst mein Fehler hätte darin gelegen, zu spät in die Schlecht eingegriffen zu haben, deshalb machte ich einfach so weiter. Ich ging nach Norden und kämpfte in weiteren Schlachten, diesmal gegen die Yokener Heere. Wieder tötete ich in zwei Schlachten viele hundert Männer im Alleingang, doch die Gegner waren in der Überzahl. Ich drohte überwältigt zu werden und floh zurück nach Tarbas, wo ich mich geschlagene zwei Jahre lang in meinem Gram in der Festung verkroch. Prias Frau Amrea war die einzige, die mich besuchte. Ich bat sie um Beistand, doch sie beschimpfte mich nur bis aufs Blut und verlor endgültig den Glauben daran ich sei die Reinkarnation des Ersten Königs. Mittels Ansprachen versuchte ich das Volk zum Ausharren anzuspornen, denn ich war der Hoffnung gemeinsam mit Fuathel das Land noch zurück erobern zu können, wenn er mir doch endlich wieder erschienen würde. Die Nahrung war knapp, doch sie reichte, denn wir hatten kleinere Ackerflächen innerhalb der Mauern, Vorräte und Zugang zum Meer. Mag die Festungsstadt noch so uneinnehmbar gewesen sein, ein einzelner Soldat, der nachts seine Kameraden meuchelte und das Haupttor für die Yokener Belagerungstruppen öffnet, reichte aus, um sie zu Fall zu bringen. Ich hätte mich noch ewig in den unterirdischen Gängen der Festung verstecken können, in der ich Euch festhielt, doch was hätte das genützt? Nicht nur der Krieg, das ganze Königreich war verloren, also ergab ich mich vor aller Augen. Ich hoffte die Stadt gegen mich eintauschen zu können und es gelang. Man nahm mich gefangen und brachte mich nach Deskend, wo ich in ihren Kerkern auf meinen Prozess wartete. Bei Hof lag eine festliche Stimmung in der Luft. Es herrschte wieder Frieden und der König von Yoken kündigte seine Hochzeit mit Prinzessin Adriana an, die nur einen Monat nach meiner Hinrichtung stattfinden sollte. Sie war ein bezauberndes Wesen, gerade erst sechzehn Jahre alt geworden und ins heiratsfähige Alter gekommen, doch schon erstaunlich klug. Sie kam zu mir an die Zellentür, um sich mit mir zu unterhalten. Sie interessierte sich für mein langes Leben und besonders für die Götter. Nienna wusste davon nichts, denn sie überredete die Wachen über ihre Besuche bei mir zu schweigen. Sie war gut darin Menschen zu lesen und zu manipulieren in ihrer charmanten, aber auch etwas frechen Art. Sie machte mir meine letzten Tage angenehm. Bei den Prozessen handelte ich für Tarbas einen Sonderstatus aus, um dem Volk der Mana-i einen Lebensort zu geben. König Nienna, inzwischen zwanzig Jahre alt, hasste mich jedoch so sehr, dass er mein Volk für mich bluten ließ. Von den Bewohnern der Siedlung erfuhr ich vor ein paar Tagen von einer Razzia gegen die Gotteskinder. Nur wenige konnten fliehen oder sich verstecken. Diese Sache wurde vertuscht oder verschleiert, ich weiß es nicht, aber sicher ist, dass sie in den Chroniken nicht auftaucht und somit Niennas weiße Weste nicht beschmutzen konnte. Natürlich wurde ich zum Tode verurteilt und der Termin dafür stand schon lange fest, wie ich bereits von Adriana wusste. In einem Anflug der Großzügigkeit, aus heutiger Sicht wohl eher Überheblichkeit, beging der Jungspund den Fehler mich selbst entscheiden zu lassen wie ich mein Ende finden und wo ich bestattet werden wollte. Eine Chance auf Rache in einem nächsten Leben witternd, nutzte ich mein unvollständiges Wissen über die Resurrektion. Kalaßer Steinmetze schufen meinen Sarkopharg und erweiterten heimlich die Inschrift in der Kathedrale des Windes. Am Abend vor der Hinrichtung kam Prinzessin Adriana zu mir. Sie fragte mich durch die Zellentür hindurch warum ich in so großer Entfernung am Berg Bugat bestatten werden wolle. Ich verweigerte die Antwort, solange die Wachen mithörten und wir nicht ungestört reden konnten, deshalb schickte sie alle Soldaten, bis auf einen den sie schon seit Kindertagen kannte, weg und betrat meine Zelle. Sie setzte sich neben mich auf die Holzbank, die mein Bett darstellen sollte. Ich beugte mich zu ihr und flüsterte: ‚Angst vor Grabräuberei.‘ was auch der Wahrheit entsprach. Sie kicherte: ‚Ich hätte ja gedacht ein Gefangener, der sich monatelang nicht waschen konnte, wäre schmutzig oder würde müffeln, doch Ihr duftet noch immer frisch und seid sauber. Wie macht Ihr das?‘ ‚Ich bin eben ein König.‘ antwortete ich und sie lachte: ‚Nienna müffelt, wenn er seine Schwertübungen gemacht hat. Dabei ist er nicht einmal gut darin und er ist auch ein König.‘ Dann wurde sie ernster und erzählte: ‚Zeniande, meine zukünftige Schwägerin, deutete einmal etwas an, das Euch betraf. Nienna verfiel mal wieder einem seiner cholerischen Anfälle, als Ihr in die Schlacht eingegriffen haben sollt. Darüber weiß ich nicht viel, doch er schrie Ihr wäret ein Monster, das gerichtet werden müsse. Sie versuchte ihn zu beruhigen und sagte ein so zärtlicher Mann könne gar kein Monster sein. Er zertrümmerte darauf hin ein sehr altes Erbstück, eine vom Wüstenvolk bemalte Wahrheitsmuschel.‘ und diesmal lachte ich. ‚Wenn das eine echte Wahrheitsmuschel war, dann war sie so viel wert wie all der andere Plunder zusammen, den Ihr in Eurer bescheidenen Residenz verstauben lasst.‘ ‚Nicht jeder kann ein solches Prunkschloss haben wie Ihr.‘ war ihre etwas verstimmte Reaktion darauf. ‚Ihr seid zu neugierig, Prinzessin. Ihr werdet Euch nur Ärger einhandeln.‘ sagte ich, bevor sie auf ihr eigentliches Thema zurückkommen konnte, doch sie hatte ihren eignen Kopf und schoss über ihr Ziel hinaus, wie ich meine. ‚Und wenn schon? Was sollte Euch das angehen? Morgen um diese Zeit seid ihr nicht mehr. Also, war da was zwischen Zeniade und Euch?‘ rief sie fordernd, was mich außerordentlich verletze. Der Gedanke an den Tod machte mich verrückt. Blitzschnell stand ich auf, stemmte meine Arme links und rechts neben sie an die Wand und beugte mich über sie, um sie einzuschüchtern, was mir gelang. Ich schrie ihr in ihr hübsches, mädchenhaftes Gesicht: ‚Führt mich nicht vor, sonst vergesse ich mich!‘ Der mit ihr befreundete Wachmann, stürmte in die Zelle. Es wäre so leicht gewesen auszubrechen, aber auch so sinnlos. Ich stellte mich aufrecht und fixierte ihn. Adriana gab zu sie habe mich unabsichtlich gereizt und das alles in Ordnung sei. Er ging wieder hinaus und verschloss die schwere Eisentür hinter sich, woraufhin sich die Prinzessin bei mir entschuldigte. ‚Ich wäre auch ausgeflippt an Euer Stelle. Das war ungehobelt. Verzeiht.‘ ‚Ihr solltet jetzt besser gehen.‘ antwortete ich verärgert, doch sie verweigerte es und flehte: ‚Nein, ich habe nur doch diesen einen Abend mit Euch. Ich gehe nicht. Ich sage Euch weshalb ich hier bin. Bei Hof geht das Gerücht Ihr wärt der Meister der Verführung. Man flüstert es hier und da, sobald die Männer verschwunden sind und das von den edelsten Damen des Hauses. Ein Jammer sei es Euch zu verlieren, sagen sie mit vorgehaltener Hand. Vor ihren Männern lügen sie und verlangen Rache für den sinnlosen Krieg. Bevor Ihr geht, will ich wissen was es ist, das sie so an Euch schätzen. Nein, ich will es einfordern!‘ Noch immer stand ich vor ihr. Ich beobachtete wie sie ihren Hände in ihrem Schoß zu Fäusten geballt hatte. Es war ihr wirklich ernst, deshalb ging ich auf sie ein. ‚Dies ist kein geeigneter Ort für solch eine Forderung, Prinzessin.‘ Das Schicksal hatte mir ein letztes makabres Geschenk gemacht: Die Jungfräulichkeit der Frau meines Erzfeindes. Ich schloss die Augen und lächelte verzweifelnd in mich hinein. Nach meinem Versagen auf ganzer Linie hatte ich diese eine Eigenschaft nicht verloren: Edlen Damen den Kopf zu verdrehen…War das etwa alles was ich konnte? Der Ort erwies sich als egal und sie gab sich mir hin. Es erschien mir alles wie ein sinnloser Traum. Ich dachte mein ganzes Leben hätte auf diesen einen Moment hin gearbeitet. In Herrlichkeit unterzugehen, das war meine Bestimmung. Lächelnd trat ich am nächten morgen den Gang zum Henker an. Nienna platze fast vor Wut, als er das Grinsen auf meinem Gesicht sah, was mir nur noch mehr Freude bereitete. Prinzessin Adriana wohnte der Hinrichtung nicht bei, Prinzessin Zeniade aber schon. Ich hatte ausgehandelt, dass mich Niennas Henker verbluten lassen sollte, doch der verrückte König zückte seinen eigenen Dolch und vollstreckte das Urteil selbst. Er bohrte mir mit aufgerissenen Augen, euphorisch lächelnd die kleinen spitze Klinge, die Lyrielles Dolch ähnelte, durch eben die Stelle, an der sich heute meine Sterblichkeit als erstes zeigt. Ihr wisst welche ich meine, Prinzessin, der Herd des schwarzen Schorfes mittig unterhalb meiner Brust. Ich schloss meine Augen und es war als sei es Lyrielle, die mich erstach. Ich dachte an sie und an Quinya als ich entschwand. Zumindest sein Versprechen was meine letzte Ruhestätte anging hielt er ganz offensichtlich ein, denn an ebendieser fandet Ihr mich mehr als zwei Jahrhunderte später... meine liebste Siva.“ Er legt den Arm über seine Augen, um zu verbergen, dass ihm die Tränen gekommen sind. „Es ist alles wahr, was man sich über mich erzählt, Prinzessin. Ich habe mein Volk verraten, Frauen benutzt, um meine Eitelkeit zu befriedigen, gemordet ohne einen Gedanken an die Folgen zu verschwenden und ich würde es wieder tun. Ich habe meinen eigenen Thon zu Fall gebracht und mein geliebtes Königreich zu Grunde gerichtet. Ich verdiene den Namen Inarus und die Abscheu meines Volkes. Ihr habt zu mir gehalten, doch nur weil Ihr nicht alles wusstet. Wie denkt Ihr nun über mich?“ Siva setzt sich auf, als sie sein Schluchzen bemerkt. Sie selbst ist noch von den vielen Eindrücken gefesselt, dessen Bilder sie am Ende frei in ihren Kopf rieseln lassen hat. Sie sah Lyrielle vor sich, als er sie ermordete, riesige Heere, die sich in Schlachten gegenseitig auslöschten, abgeschlagene Körperteile, aufgespießte Köpfe und einen Krieger, der seine Gegner gnadenlos zerteilte ohne auch nur einen Tropfen Blut abzubekommen. Dann sah sie seine Hinrichtung…Sie sieht an sich herab und bemerkt, dass ihre eigenen Hände zittern. Als ihr Blick verschwimmt schaut sie verunsichert zu Ramon, dem Letzen König von Kalaß, der das selbe durchmacht wie sie, nur um vieles stärker. Tränen des Mitgefühls rinnen über ihre Wangen. Noch niemals hat sie für jemand anderen als sich selbst geweint. Sie benötigt dringend Trost, doch wie soll der aufgelöste Mann neben ihr ihn diesen schenken? Sie tut das was sie sich selbst für sich wünschen würde und lehnt sich über den weinenden Ramon. Sie legt ihre Arme um seinen Kopf und den darauf liegenden Arm, den er von selbst von den Augen nimmt. Pigmentierte Tränen laufen an seinen Schläfen herab und hinterlassen eine dunkle Spur. „Es ändert gar nichts, Ramon.“ flüstert sie und hebt seinen Kopf an ihre Brust, an die er sich schmiegt. „Ich habe es vorhin schon gesagt. Es ist vorbei, schon geschehen und lässt sich nicht mehr ändern. Alle Vorwürfe, die ich Euch machen könnte, habe ich Euch schon gemacht. Für mich zählt was Ihr jetzt seid, nicht was Ihr früher einmal wart.“ Noch immer weint er an ihre Brust gepresst. Gefühle, die er Jahrhunderte lang in vollkommener Einsamkeit mit sich herumgetragen hat, brechen mit einem Mal aus ihm heraus und Sivas Herz wird weicher als es je zuvor gewesen ist. Das ist er, der Mann auf den sie gewartet hat, daran gibt es für sie nun keinen Zweifel mehr. „Ich liebe Euch, Ramon. Ich liebe Euch genauso wie Ihr seid, mit all Euren Verfehlungen und all den Sünden, die Ihr begangen habt.“ schwört sie sanft, doch er bleibt stumm an ihre Brust gedrückt. „Wäre ich so alt wie Ihr, wer weiß wie tief meine Abgründe wären. Nicht nur Ihr seid eitel und haltet Euch für etwas Besonderes, das bin und tue ich ebenso. Ich erkenne dieselben Denkstrukturen in uns. Ihr sagtet einmal alles wäre anders gekommen, hättet ihr mich früher kennengelernt. Das glaube ich jetzt auch. Gemeinsam wären wir stark genug gewesen den Kontinent unter uns zu vereinen. Ach, und macht Euch keine Sorgen wegen der Frauen. Mit mir an Eurer Seite, hättet Ihr keine anderen gebraucht, deshalb werfe ich Euch das auch nicht vor. Ihr wolltet, dass ich mich Euch öffne, Euch erzähle was mich antreibt, was mich bewegt bei Euch zu sein. Das tue ich nun aus Respekt vor Eurem Mut. Ich liebte die Tiefe meines Vaters Seele leidenschaftlich und verabscheute mich selbst dafür. Mein Leben drohte aus den Fugen zu geraten. Ihr botet mir einen Ausweg aus diesem Dilemma. Der Gefallene König hatte mich schon zu Kindertagen fasziniert, deshalb tat ich alles was nötig war, um Euch zurück zu holen. Doch als Ihr erwachtet, erlangte ich unmittelbar Eure Zuneigung zu mir. Das war zu leicht und enttäuschte mich. Es fällt mir schwer es zuzugeben, doch nun weiß ich, dass Aiven nur ein Gespiele für mich war, ebenso wie die vielen Frauen für Euch. Er war wertvoll für mich, doch nicht der Mann fürs Leben. Zu oberflächlich, zu süß und vor allem zu jung war er, um mich auf Dauer zu fesseln. Eure Tiefe hingegen war vergleichbar mit der meines Vaters und die Zuneigung zu Euch war nicht verwerflich. Es dauerte einige Zeit, bis sich dies akzeptierte. Habt Nachsehen mit mir, denn ich bin zu jung, um mich selbst gut genug zu kennen, doch ich weiß ich liebe Euer dunkles Wesen und wie Ihr es auslebt. Ich wäre selbst gern dazu in der Lage, doch ich denke ich lerne schnell. Ihr seid mein Mentor und mein Geliebter zugleich. Ich bin bereit Euch bis ans Ende der Welt zu folgen. Ich gewähre Euch Zugriff auf meinen Geist, wenn Ihr Euch von meiner Aufrichtigkeit überzeugen wollt.“ Er kommt ihrem Angebot nach, denn wer weiß wie schnell er wieder so eine Gelegenheit erhält. Ihre Gedanken fliegen ungeordnet und wild durcheinander. So etwas hat er noch nie gesehen. Unzählige Entscheidungsmöglichkeiten öffnen und schließen sich vor seinem geistigen Auge und er kann nicht sagen welche davon die von ihr favorisierten sind. Es wundert ihn wie dieses Mädchen überhaupt fähig ist einen klaren Gedanken zu fassen, so viele Optionen, wie ihr in jedem Moment mitsamt all ihrer Konsequenzen, vorgeschlagen werden. Wie weise und mächtig wird sie werden, wenn sie irgendwann einmal fähig ist die Ergebnisse all dieser Gedanken strukturiert auszuwerten? Kein Wunder, dass ihm ihr Blut solch einen Machtzuwachs verschaffte. Das göttliche in ihr ist sehr stark und rein. Irgendwann wir sie ihn lesen können wie ein offenes Buch. Er wusste, dass sie Potenzial hat, doch wie viel, war ihm nicht bewusst. Er sieht zu ihr hinauf . Sie lächelt ihm mit noch immer glasigen Augen an und flüstert liebevoll: „Alle Sünden, die noch kommen mögen, werden wir gemeinsam begehen, Ramon.“ Er ist sich jetzt sicher eine wahre Göttin des Verlangens vor sich zu haben. Eine bessere Frau hätte er nirgends auf der Welt finden können. Er stützt sich auf einer Hand zu ihr hinauf und küsst sie, immer noch in ihren Gedanken verweilend, doch dieses Mal öffnen sich nicht vier oder fünf Türen vor ihm, sondern nur eine in die er hineingezogen wird. Ein wunderschöner, angenehm warmer Ort in dem er etwas verweilt, bis sich erneut eine Option vor ihm auftut. Eine, die er in den Gedanken anderer Frauen schon oft gesehen hat. Es ist schön in ihr nicht nur Chaos, sondern auch etwas gewohntes vorzufinden. Er lässt ihren Geist los und bricht endlich sein Schweigen. „Diesen Gedanken mag ich besonders, Prinzessin.“ sagt er schelmisch lächelnd, wobei ihm noch der Rest einer Träne aus einem Auge fließt. „So alt, aber immer noch so spitz.“ grinst sie, doch er kontert: „Das sind Eure Gedanken, nicht meine. Ich kann nichts dafür, dass ich sowas in euch Frauen auslöse.“ Er richtet sich auf und in diesem Moment kehrt eines der Damwild Weibchen zurück, läuft langsam auf die kleine kleebedeckte Lichtung zu und beginnt, nachdem es kurz das Menschenpärchen beobachtet hat, an zu grasen. „Es wird leicht werden das Wild zu erlegen.“ sagt Siva lachend und er stimmt mit ein. „Zumindest zu Anfang.“ Die beiden treten den Rückweg an, doch Siva ist noch immer zu erschöpft, um zu laufen, deshalb nimmt Ramon sie auf seine Arme. Es ist inzwischen später Nachmittag geworden und sie müssen jetzt zurück, wenn sie sicherstellen wollen, dass sie vor der Dämmerung zurück sind. Es ist eine große Erleichterung für die beiden es geschafft zu haben sich alles zu gestehen. Sie bilden nun eine vollkommene Einheit, der niemand mehr beikommen kann, dessen sind sie sich bewusst. Auf Ramons lange Erzählung bezugnehmend, erklärt Siva die junge Prinzessin Adriana hätte sie stark an Aivens Mutter Königin Yasane von Yoken erinnert, welche eine direkte Nachfahrin ist und grübelt, ob es Reinkarnationen vielleicht wirklich gibt. Sie vergisst den Gedanken, als ihr etwas anderes wieder einfällt. „Was ist eine Wahrheitsmuschel?“ fragt sie hochinteressiert, doch er stutzt. „Ein magisches Artefakt , welches nur das Wüstenvolk verwenden konnte. Aber sagt mir nicht, Ihr habt das nicht gewusst.“ Sie schüttelt den Kopf, deshalb bittet er sie zu erklären was sie darüber weiß und das ist nicht allzu viel. „Es handelt sich dabei um ein Volk, das in der Wüste lebte und dort eine eigene Sprache entwickelte.“ Ramon schließt die Augen und atmet entsetzt tief aus. An der Erläuterung stimmte so gut wie gar nichts. Er erklärt: „Nachdem ich heute schon so viel geredet habe, schadet es nicht Euch noch eine Geschichte zu erzählen. Prinzessin, was glaubt ihr warum so viele besonders wichtige Texte in der Sprache des Wüstenvolkes verfasst wurden und die Begriffe sich noch immer in unserer heutigen Sprache manifestieren? Zu Zeiten des Ersten Königs hatte das Wüstenvolk eine Stadt am Südufer des Lanim. Allerdings nannte man es damals noch nicht Wüstenvolk, denn diesen Namen erhielten sie erst später, doch dazu gleich. Man sagt sie seien die ersten gewesen, die eine Schrift entwickelten. Sie waren ihrer Zeit weit voraus und bildeten eine eigene Hochkultur. König Torani-Colian schloss damals alle bekannten Stämme des Kontinents zu einem großen Reich zusammen, doch das fortschrittliche Wüstenvolk bildete innerhalb des Landes eine Konklave, was er akzeptierte. Man sagte diesem Volk magische Fähigkeiten nach und auch, dass sie mit Hilfe von magischen Gegenständen Lügner enttarnen oder die Zukunft vorhersagen konnten. Der Erste König soll sehr oft Rat bei ihnen gesucht haben, sagen einige Überlieferungen. Ich weiß nicht ob das stimmt, doch ich weiß auf welche Weise dieses Volk in den Untergang ging. Der Grund ist nicht überliefert, doch der Dritte König versammelte vor etwa dreitausend Jahren eine Streitmacht und vertrieb das weise Volk aus ihrer Stadt, hinein in die Wüste Salaij.“ „Die Wüste des Durstes.“ stammelt Siva, wovon sich Ramon nicht stören lässt. „In der Wüste überlebte das Volk nicht lang und dünnte immer weiter aus. Man sagt in einigen Rosheanern soll noch heute das Blut des alten Wüstenvolkes fließen. Seht Ihr die Parallelen zu den Kindern des Windes, Siva? Ich denke dieses Volk stand mit einem der Götter in Kontakt, aber ich weiß es nicht und um ehrlich zu sein, ist es mir auch nicht mehr wichtig. Für mich zählt nur ihr Vermächtnis, denn daraus kann ich ableiten was von mir übrig bleiben wird, wenn ich sterbe.“ Die junge Frau wird in seinen Armen unruhig. Sie drückt sich etwas von ihm weg, um ihm besser ins Gesicht sehen zu können. „Wir beide werden Äonen überdauern, Ramon. Wir werden niemals sterben und gemeinsam mit dieser Welt untergehen und seien wir es selbst, die den Untergang verursachen. Das verspreche ich Euch.“ „Ein düsteres Versprechen, doch ich freue mich auf die Ewigkeit mit Euch.“ entgegnet er mit einem ebenso düsteren Lächeln. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)