Die Kinder des Windes von Elnaro (Der König von Kalaß) ================================================================================ Kapitel 7: Anerkennung ---------------------- Der Umzug geht ohne Probleme vonstatten, denn die beiden besitzen ja ohnehin nichts, das sie mitnehmen müssten. Ihr neues Haus befindet sich genau auf der gegenüberliegenden Seite der Siedlung. Kein schlechter Platz, denn Atanes Rathaus bildet einen Stirnseite und sie nun die andere und Interessanterweise haben sich die Baumeister besonders viel Mühe gegeben, denn das Haus ist unerwartet schön geworden. Kaum ist das neue Gebäude errichtet, machen sich die Baumeister über die anderen her und führen Renovierungs- und Reparaturarbeiten durch. Offenbar sind viele der anderen Häuser in den letzten Jahrzehnten etwas vernachlässigt worden, doch der Bau des neuen gab ihnen neue Motivation. Am Abend des Einzugs, übt Siva ein wenig Bogenschießen. Ramon versucht ihr beizubringen die Elementarsiegel zur Erhöhung ihrer Treffgenauigkeit einzusetzen. Im Moment schießt sie jedoch ohne Einsatz der Siegel genauer, als mit, denn sie reißen sie fast immer mit hinab in die Tiefe. Ein wenig frustriert darüber immer noch so schwach zu sein, setzt sich die Prinzessin auf den erhöhten Holzsteg ihres neuen Hauses, kurz bevor Rinao sie besuchen kommt. Damit sich die beiden jungen Frauen in Ruhe unterhalten können, zieht sich Ramon ins Haus zurück, denn er hat eine hemmende Wirkung auf die junge Besucherin. Siva bittet ihre Freundin bereits nach kurzer Zeit des Plauschen darum ihr ein paar Lieder über den Ersten König vorzusingen, was sie sehr gern tut. Fröhlich stimmt sie ihr Lieblingslied an: Gegründet aus Steinen und Sand, In blau und in weiß und in rot, Hat er das erhabene Land Kalaß. Uns errettet in Not. I-falana, i-falana, Dem Gott sein‘ erhabenem Kinde. Nur gutes im Sinn hört man noch heut‘ im Winde Dem König Sein Stimm Ob Nord, Süd, ob Ost oder West Vereint er die Menschen, einst Wilde. Dem Zweifel bleibt nicht mal ein Rest Formt er uns nach seinem Bilde. Schon bei der ersten Wiederholung des fröhlichen Refrains stimmt Siva mit ein: I-falana, i-falana, Dem Gott sein‘ erhabenem Kinde. Nur gutes im Sinn hört man noch heute im Winde Dem König Sein Stimm „Kennst du auch Lieder über meinen Verlobten?“ will Siva daraufhin euphorisch wissen. „Oh, ja die kenne ich, aber ich bin mir sicher die willst du nicht hören.“ vermutet Rinao zögerlich. „Sie haben einen anderen Charakter, als die des Ersten Königs.“ ergänzt sie. „Sing es mir bitte trotzdem vor.“ Etwas bedrückt stimmt das Mädchen an: Inarus kam, Inarus ging. Nur Asche blieb, wo Leben war. Trag sie zur Ruh, trag ihn zur Ruh. Unser Traum zerrinn. Inarus kam, Inarus ging. Ein Königreich, ein Untergang Trag sie zur Ruh, trag ihn zur Ruh. Frag nicht nach dem Sinn. „Das…das reicht. Du hattest recht, ich will es nicht hören.“ unterbricht die Prinzessin den traurigen Gesang. Kurze Zeit schweigen die Mädchen, doch dann holt Siva tief Luft und erklärt ihrer Freundin was sie morgen vor hat zu tun. „Morgen wollen wir schauen, ob wir das Damwild wiederfinden, das wir bei unserer Ankunft gesehen haben. Die Beschreibungen wo es sich niedergelassen hat waren sehr vage.“ „Du hast nicht mit Meran und Tandol gesprochen, nehme ich an. Die beiden machen die Patrouillen auf der Insel und kennen sich deshalb viel besser aus als alle anderen.“ klärt Riano auf und das bringt die Prinzessin auf eine fixe Idee: „Die beiden, ihre Mutter und Prias sind die einzigen, mit denen ich auf der Insel nicht gesprochen habe. Weißt du was? Ich sehe überhaupt nicht ein mich vor denen zu verstecken. Wenn sie etwas wissen, das mir weiterhilft, warum sollte ich sie dann nicht fragen? Nur Ramon sollte davon erst mal nichts erfahren. Ihm würde das gar nicht gefallen. Ich behaupte einfach ich würde mit zu dir gehen und biege dann bei Meran und Tandol ins Haus ab. Deckst du mich vor Ramon?“ Etwas widerwillig stimmt Rinao zu. Unter dem Vorwand ein neues Kleid anprobieren zu wollen, verlassen die beiden Mädchen Ramons Sichtradius. Wie geplant biegt Siva am Hauseingang Merans und Tandols, leider aber auch Madlenes ein, denn die drei leben gemeinsam unter einem Dach. Die Schiebetür steht offen, deshalb ist Siva so frei das Haus zu betreten. Sie befreit sich von ihren Schuhen und fragt ob jemand da sei. Aus einem zweiten Raum kommt ihr Meran, der zweitgeborene und somit ältere von beiden entgegen. Wie immer trägt er sein langes Haar offen. Er ist legerer gekleidet als sonst und empfängt sie lächelnd mit den Worten; „Na sieh an, hoher Besuch. Was verschafft uns die Ehre, Prinzessin?“ Tandol tritt nun ebenfalls hinter der dünnen Papierwand hervor und bittet sie freundlich, aber nicht aufgesetzt: „Oh, willkommen Prinzessin.“ Auch er trägt lockere Kleidung und sein halblanges Haar bedeckt den Großteil seines Gesichts. Siva geht um die Wand herum. Zwei gegenüberliegende Sitzkissen und einen Tisch, auf dem Karten liegen und zwei Krüge stehen, erscheinen in ihrem Blickfeld. Offenbar haben sich die Brüder die Zeit mit einem Spiel vertrieben, das Siva allerdings nicht kennt. Madlene scheint nicht zu Hause zu sein, perfekte Voraussetzungen also für sie, um die beiden Männer kennen zu lernen, ohne von diesem Drachen überwacht zu werden. Tandol holt noch ein weiteres Kissen von einem ganzen Stapel davon aus einer Ecke des Zimmers und bittet sie sich dazu zu setzen, was sie auch tut. „Euren Verlobten habt Ihr zu Hause gelassen?“ fragt Meran neugierig und schließt die rhetorische Frage gleich wieder. „Gute Entscheidung, was wollt Ihr wissen?“ „Es geht um die Patrouillen, die ihr beiden macht. Ich könnte eure Erfahrung mit dem Gelände gut gebrauchen.“ erklärt sie ganz direkt. Der mittlere Sohn zeigt sich etwas enttäuscht. „Es geht gar nicht um ihn, Tandol. Schade eigentlich.“ Er rutscht ein Stück an sie heran. „Wir hatten gehofft dich ein wenig über ihn aufklären zu können, schöne Prinzessin. Er hat dich sicherlich getäuscht. Leider ist er ein sehr schlechter Mensch.“ sagt Meran plötzlich in einem herablassenden Tonfall, wie sie ihn von ihm noch nie gehört hat, allerdings kennt sie ihn auch nicht besonders gut. „Ich habe Verständnis für euch alle drei, aber ich bin nur hier, um mit euch über die Insel zu sprechen.“ reagiert Siva hart, ohne sich verunsichern zu lassen. „Gut, sprechen wir über die Insel.“ lenkt er ein, bevor er eine kleine Pause macht und ergänzt: „Sie wäre so viel besser ohne unseren Vater.“ Sein Bruder prustet vor Belustigung, doch Siva reagiert genervt. „Ist es wirklich nicht möglich sich sachlich mit euch zu unterhalten?“ „Lass mich reden, Bruder.“ wirft Tandol, der jüngste ein. „Wie du vielleicht weißt, haben weder Meran noch ich eine Frau. Du kannst es dir wahrscheinlich nicht vorstellen, aber für uns war es wie ein Schlag ins Gesicht unseren Vater schon wieder mit einer neuen Frau zu sehen, wo wir doch keine haben. Sein Verschleiß an Menschenfrauen ist uns ja egal, aber eine wie dich steht ihm schlicht nicht auch noch zu. Zumal er keine mehr braucht, denn er ist ohnehin schon tot. Wir sind der Meinung du stehst einem von uns zu. Unser Blut ist kaum schlechter als seins. Wenn man die Zeit raus rechnet, in der er tot war, sind wir sogar älter als er. Wir haben Vorrecht.“ „Ich soll einen von Euch beiden auswählen und Ramon fallen lassen?“ schließt Siva leicht belustigt. „Oder du wählst keinen aus. Wir sind es gewohnt zu teilen.“ erklärt Tandol weiter. Die Brüder rücken links und rechts immer näher an die Siebzehnjährige heran, der sich die Frage aufdrängt: „Was hält Madlene davon?“ „Madlene, Madlene…Was soll sie schon davon halten? Sie ist unsere Mutter, sie wird ihre Schwiegertochter in jedem Fall hassen, uns egal. Außerdem sind wir mächtiger als sie.“ antwortet ihr nun der ältere der beiden Brüder, sich eine Haarsträhne hinters Ohr streichend. Offenbar stehen sie viel weniger unter ihrer Kontrolle als gedacht. Er legt seine Hand auf Sivas nacktes Knie und fragt fordernd wie sie denn nun dazu stehe. Natürlich hat sie kein Interesse daran sich mit einem oder sogar beiden Männern einzulassen. Sie rechnet Tandols Aussage über sein Alter kurz im Kopf nach. Wie skurril, dass die Söhne praktisch älter sind, als der Vater, allerdings sind sie auch sehr viel uninteressanter. „Kein Interesse.“ antwortet sie schließlich gespielt freundlich lächelnd, ohne weiter von Merans Hand Notiz zu nehmen, die nach wie vor auf ihrem Knie verweilt. Sie ging davon aus er nehme sie von selbst wieder weg, wenn sie ihn verbal zurückweist. Dem ist allerdings nicht so. Ganz im Gegenteil, denn er fährt ihr Bein weiter hinauf. „Ich hoffe doch du kamst nicht in unser Haus, um uns so etwas zu sagen und uns daraufhin unbefriedigt zurück zu lassen.“ Meran versucht in Sivas Geist einzudringen, was sie bemerkt. „Versuch es gar nicht erst.“ spottet sie, doch Tandol greift ebenfalls darauf zu und bringt sie ins Schlingern. Sie versucht sich gegen die zwei miteinander harmonierenden und auf einander abgestimmten Attacken zur Wehr zu setzen, doch sie scheitert. Die beiden nutzen die Gelegenheit und drücken sie an ihren Schultern zu Boden. Auf die überwältigte junge Frau herab schauend, fordert Tandol sanfter als in dieser Situation erwartet: „Entscheide selbst welchen von uns beiden du möchtest, schöne Prinzessin.“ „Lasst mich sofort los!“ befiehlt sie und versucht weiter auf die Brüder einzureden. „Was wollt ihr damit überhaupt erreichen? Eure Tat wird bekannt werden. Ramon wird euch bestrafen.“ „Ramon? Wenn Vater davon erfährt, wird er dich fallen lassen, du wirst sehen. Gebrauchte Ware lässt er links liegen. Das hat er doch früher auch schon so gemacht. Frauen mussten unberührt sein. Sobald mal ein anderer dran war, wurde sie uninteressant. Meran und ich sind da genügsamer.“ lacht Tandol sie aus. Die beiden wissen ja nicht, dass sie gar nicht unberührt war, als sie zusammen kamen. Das deutet sie wiederum als Zeichen, dass seine Söhne ihn nicht so gut kennen wie sie es tut. „Also? Der Sanfte, oder der Attraktive?“ fragt Meran von sich überzeugt grinsend, wobei sein jüngerer Bruder interveniert, doch Siva zeigt sich erneut unbeeindruckt. „Ihr beide seid das Erbe Ramons nicht wert! Jahrhundertelang ordnetet ihr euch eurer Mutter unter, obwohl ihr gemeinsam so eine Kraft habt. Ihr seid eine Lachnummer. Kein Wunder, dass keiner von Euch eine Frau hat.“ „Wir haben uns ihr nicht untergeordnet. Es war anders herum, meine Liebe.“ lacht der ältere, dem die freie Sicht auf sie durch sein langes Haar behindert wird. Er nimmt einen seiner beiden Hände von ihr, streicht sich das Haar hinters Ohr und beugt sich nah an sie heran. „Vergiss den Untoten. Ich bin kein Mörder, kein Verräter an meinem Volk und habe auch sonst keine Verbrechen begangen. Schenke mir Kinder und ich werde gut für sie sorgen.“ haucht er sie an. Ohne Druckmittel lässt sich Siva jedoch nicht einschüchtern. Sie sagt ihm mitten in sein Gesicht, mag er auch noch so nah sein: „Du widerst mich an. Ihr beide tut das. Wie könnte ich auch nur einen von euch mögen, wo ihr euch doch an euer Mutter erneuert!“ Ein kleines Stück weicht er zurück, als er nun belustigt lächelnd antwortet: „Erzählt wer? Unser Vater, wo er doch so gut wie gar nichts von uns weiß? Es sieht ihm ähnlich lügen über uns zu verbreiten.“ doch Siva vertraut Ramon mehr als Tandol. Jeder würde es in dieser Situation abstreiten etwas mit seiner Mutter zu haben. Auch das große Getue, sie beide würden Madlene lenken und nicht umgekehrt, hält die Prinzessin für absoluten Blödsinn. Sie hat doch mit eigenen Augen gesehen wie die drei Söhne wortlos hinter ihr standen, als seien sie ihre Schoßhunde. Siva hält das hier für ein lächerliches Laientheater. Sie konzentriert sich noch einmal ganz intensiv auf sich selbst, so wie ihr es Ramon beigebracht hat, wenn sie versucht die Siegel zu kontrollieren. Nicht wissend, ob es reichen wird, nimmt sie alles zusammen, was ihr zur Verfügung steht. Sie glaubt fest daran, dass diese beiden Männer Schwächlinge seien. Tatsächlich wächst ihre Macht sprunghaft an, wodurch sie sich aus dem Griff der beiden befreien und sie zurück stoßen kann. Sie richtet sich vor den am Boden liegenden Männern auf. „Wisst ihr, ich bin es leid von Männern wie euch angemacht zu werden, denn ihr macht alle denselben Fehler mich zu unterschätzen. Ich bin keine gewöhnliche Frau. Ich bin die Tochter des Ersten Königs und ich verspreche euch, es wird nicht mehr lange dauern bis ich eure Königin bin. Es ist besser ihr lernt mich schon jetzt mit Respekt zu behandeln! Kommt mir nicht noch einmal zu Nahe! Und noch was. Ab sofort erscheint ihr beiden zu den festgelegten Gemeinschaftsmahlzeiten und ihr werdet Ramon und mich freundlich begrüßen, so wie jeder andere auch. Habt ihr das verstanden?“ Siva redete sich immer weiter in Rage und hat begonnen in einer violetten Aura zu glimmen. Dies ist erst das zweite Mal, dass die beiden Brüder eine Aura an einem der Gotteskinder zu sehen bekommen. Ramon hat eine, wenn er die Siegel trägt und nun zeigt die Prinzessin eine Aura und das vollkommen ohne dem Einsatz eines Katalysators. Die Wucht ihres Erwachens hatte die beiden ein ganzen Stück zurück geworfen, womit sie nicht im geringsten gerechnet hätten. Aus einem Schock im ersten Moment, wird recht schnell Angst, denn sie wussten wahrlich nicht mit was für einer Macht sie sich hier angelegt haben. „Wir sehen uns morgen früh beim Gemeinschaftsfrühstück.“ befiehlt die Reinblütige und verlässt das Haus. Zum Schluss war sie sogar fähig die Gedanken der Brüder zu erfassen, weshalb eine verbale Antwort obsolet wurde. Leider konnte sie den Geist der beiden noch nicht lesen, als sie über ihre Mutter sprachen, weshalb Siva die Wahrheit weiterhin nur erahnen kann. Sie hat einen recht ordentlichen Machtzuwachs zu verzeichnen, den sie erst einmal verbergen muss. Ramon will sie nichts von ihrem Ausflug zu seinen jüngeren Söhnen erzählen, um keine Belehrung erhalten zu müssen. Sie hatte die Situation ganz klar unterschätzt, dafür ist sie nun aber auch über sich hinaus gewachsen. Da für den nächsten Tag eine Erkundungsmission geplant ist, um die Damhirsche ausfindig zu machen, erhält sie dort vielleicht eine Gelegenheit ihre neu gewonnene Kraft an den Siegeln und eventuell auch an Ramon auszutesten. Es würde sie ja schon interessieren wie weit sie von seinen Fähigkeiten entfernt ist. Wie jeden Morgen geht das neu zugezogene Pärchen zum Gemeinschaftsfrühstück, doch heute treffen sie dort zum ersten Mal auch Meran und Tandol an, welche die beiden wie befohlen ehrfürchtig Grüßen. Ramon glaubt seinen Ohren nicht zu trauen. Es ist nicht leicht einen Mann zu überraschen, der glaubt alles schon gesehen zu haben, doch ein Gruß seiner Söhne, die ihren Hass auf ihn bisher offen zum Ausdruck gebracht haben, bringt ihn zum Erstaunen. Es bricht ein kleines Getuschel zwischen den anderen Frühstückenden aus, denn sie sind ebenso verwundert wie es Ramon ist. Eine Versöhnung des Letzten Königs mit seiner Familie wird sein Ansehen in der Gemeinschaft erneut heben, da ist sich Siva ganz sicher. Direkt nach dem morgendlichen Mahl auf dem Rückweg zu ihrem neuen Haus, spricht Ramon seine Verlobte auf das ungewöhnliche Verhalten seiner Söhne an. „Habt Ihr etwas damit zu tun, Siva?“ vermutet er völlig ungestützt. Sie gibt es zu, doch schweigt was die Details betrifft. „Was auch immer Ihr getan habt. Vielen Dank dafür“ schließt er besonnen. Diese Geste seiner Söhne bedeutet ihm wirklich sehr viel, denn sie bringt ihm der Vergebung seiner Sünden einen Schritt näher. Bei Prias hat er die Hoffnung allerdings bereits aufgegeben, denn der Hass hat ihn zu stark durchdrungen. Siva lächelt selbstzufrieden. Sie hat zwar nicht erreicht was sie wollte, aber wahrscheinlich etwas Besseres als das. Sie hat sich den Respekt zweier ihrer größten Gegenspieler verdient. Ganz so wie geplant brechen die beiden in den fast ganz Ialana bedeckenden Mischwald auf. Ramon trägt die Siegel bei sich, wobei er das das Windsiegel an Siva reichte, die es dazu benutzen soll die Leichtfüßigkeit zu trainieren. Er selbst benutzt die anderen Juwelen um seine Wahrnehmung zu erweitern. Nach einem zweistündigen Fußmarsch durch den uralten, dichten Wald findet er die Stelle wieder, an der er das Damwild beobachtet hat. Er spürt, dass sich eine Herde ganz in der Nähe befinden muss. Auch ohne der Macht der Leichtflüssigkeit ist seine Geschicklichkeit so erhöht, dass er sich nahezu lautlos bewegen kann, doch Siva bringt es nicht fertig das Windsiegel länger als ein paar Sekunden zu kanalisieren. Er hatte gehofft ihre Fähigkeiten in einem Feldtest schneller heraus zu kitzeln, doch es klappt nicht. Je häufiger sie scheitert, desto unwahrscheinlicher wird es für sie zu einem Erfolg zu kommen, da das Juwel immer einen Teil ihrer Kraft mit sich in die Tiefe reißt. „Das wird heute nichts mehr.“ stellt sie enttäuscht fest und lässt sich auf einen moosgrünen Stein sinken. „Dann gehen wir morgen einfach noch einmal auf die Jagd, wir haben alle Zeit der Welt.“ beschwichtigt er sie geduldig. Danach lehnt er sich an einen ebenfalls moosbewachsenen Baum neben ihr. „Es ist sehr schön mal wieder vollkommen allein mit Euch zu sein, Prinzessin.“ ergänzt er entspannt nach einer Weile der Stille. Die beiden sprechen nicht weiter, denn sie lauschen dem Gesang der Vögel des Waldes. Eigentlich ist dies das erste Mal, dass die beiden sich entspannen. Anstrengende Wochen auf der Insel liegen hinter ihnen und die Zeit davor hatte es in sich. Keiner von beiden ist gewillt die Ruhe zu stören, als direkt vor ihnen, allerdings in einiger Entfernung, ein Hirsch aus dem Gebüsch auftaucht. Anmutig schreitet er hinaus und präsentiert stolz sein riesiges Schaufelgeweih. So eines hat die Prinzessin noch niemals gesehen, denn sie ist nur mit Rotwild vom Festland vertraut. Ganz langsam steht sie auf, nimmt ihren Bogen, zieht einen Pfeil aus ihrem Köcher und spannt ihn, ohne dass der Damhirsch auch nur gezuckt hätte. Siva ist sich sicher ihr Ziel nicht zu verfehlen. Gerade noch mit verschränkten Armen im Einvernehmen die jungen Frau am Hirsch üben zu lassen, beschleicht Ramon ein merkwürdiges Gefühl. Selbst überrascht lehnt er sich nach vorn und legt seine Hand auf der gespannten Sehne ab. In diesem Moment strömen vier Dam-Tiere aus dem Gebüsch neben dem anmutigen Hirsch, die nun langsam auf die beiden Menschen zuschreiten. Siva macht einen Kontrollblick zu Ramon, der weiterhin nur den Hirsch fixiert. Direkt unter ihrem Bogen, auf dem immer noch seine Hand ruht, läuft eines der Damwild Weibchen hindurch, als wolle es von ihr gestreichelt werden. Sie legt ihre Jagtwaffe bei Seite, setzt sich wieder auf den bemoosten Stein und beginnt das Tier vor ihr am Fell zu berühren. „Ich habe Euch erkannt. Ihr braucht Euch nicht länger vor uns zu verbergen, Göttin Ahanani.“ ruft der Letze König dem Hirsch zu, ohne dass eines der anderen Tiere davon verjagt würde. Sie schauen nur kurz zu ihm und gehen dann wieder ihren ursprünglichen Zielen nach. Der stattliche Damhirsch tritt vollständig hinter dem Gebüsch hervor und verwandelt sich vor ihren Augen in eine makellos schöne Frau, die es mit den überragenden Schönheiten Siva oder Atane aufnehmen könnte. Sie trägt ein altertümliches, gelbes Gewand, welches dem Fuathels gar nicht unähnlich ist. Ihr langes, kirschholzfarbenes Haar ist mit eingeflochtenen Gerberablüten verziert, doch das wirklich besondere an ihr ist ihr eindrucksvolles Schaufelgeweih. Die schöne Frau strahlt eine warme, gelbgoldene, entspannende Aura aus, die dem des Erdsiegels ähnlich ist. Sivas Gefühl bestätigt Ramons Aussage vor ihr stände die leibhaftige Erdgöttin Ahanani. Siva erhebt sich wieder und das Dam-Tier macht ihr Platz, weicht ihr jedoch nicht von der Seite. Wie schon bei Fuathels Präsenz, verschlägt es der jungen Frau die Sprache. Die Göttin tritt ein Stück näher und geht auf Ramons Enthüllung ein. „Wir begegnen uns hier nicht zur ersten Mal. Ich habe mich deinen niederträchtigen Plänen schon einmal in den Weg gestellt. Lass dir eines gesagt sein, ausgedienter König von Kalaß, dies hier ist eine geweihte Insel und alles darauf ist heilig, auch dieses Wild. Ihr Menschen habt genug Nahrung, auch ohne diese Tiere zu töten.“ Ihre Aura schwillt zu einer bedrohlichen Stärke heran, doch Ramon scheint das nicht allzu sehr zu beeindrucken. „Ahanani, ich ehre Eure Macht und Eure Anmut und respektiere Euren Wunsch zum Erhalt des Lebens, doch wie auch schon bei unserer letzen Begegnung, werde ich mein Vorhaben nicht aufgrund Eures Erscheinens aufgeben. Ich selbst habe von Euch lernen dürfen, dass Ihr nicht eingreift, sondern mich nur mit Euren vorwurfsvollen Blicken tadelt. Seid versichert, Ihr tadelt einen Mann ohne Gewissen. Wir sind gekommen um eine neue Nahrungsquelle zu erschließen und das werden wir auch durchsetzen.“ Siva glaubt nicht wie offen er mit der Erdgöttin spricht. Fuathel schüchterte ihn weit mehr ein, als sie auf ihn trafen. Wie kann er sich diesen mentalen Mächten nur so furchtlos entgegensetzen? Noch etwas verstimmter als zuvor, lässt Ahanani ihrer Macht noch ein wenig mehr Freiraum. „Bist du denn noch immer so rigoros? Ich dachte du hättest inzwischen dazugelernt, wie typisch für Thels Brut. Eine Göttin anzulügen ist nicht besonders klug. Ich habe das Mädchen neben dir beobachtet und konnte dadurch auch einen Blick auf dich werfen. Du grämst dich über vergangene Taten. Begehe keine weiteren Fehler!“ Sivas Gedanken kreisen um das Wort „beobachtet“. Fuathel meinte ebenfalls die Erdgöttin würde ihm folgen. Die geschwächte junge Frau kann sich aufgrund der stetig wachsenden goldenen Aura kaum noch auf den Beinen halten, was die Aufmerksamkeit der Göttin auf sich lenkt. Angespannt fixiert sie diese nun. „Du bist das Mädchen, das Thel so viele neue Flausen in den Kopf gesetzt hat. Ich sah bereits deine Ablehnung gegen seine Ideen. Ich bin damit einverstanden euch beide gehen zu lassen, wenn ihr diese gesegneten Tiere am Leben lasst.“ Ramon nimmt sich Sivas Bogen und einen Pfeil aus ihrem Köcher und zielt auf eines der grasenden Dam-Tiere. „Wir sind ebenfalls gesegnet, Ahanani und die Starken nehmen sich von den Schwachen was sie brauchen. Das ist ein natürlicher Prozess, in den Ihr nicht eingreifen dürft. Fuathel erzählte mir einst von dieser Bestimmung, deren Übereinkunft im göttlichen Rat nach seiner Rückkehr getroffen wurde. Die Prinzessin und ich werden jagen, doch nur so viel wie der Bestand hergibt. Wollt Ihr den Kreislauf der Natur in Frage stellen?“ Bevor er den Pfeil los lassen kann, bricht eine Woge der Macht aus ihr heraus, welche die beiden Menschen zu Boden drückt und das gesamte Wild verjagt. „Ich BIN die Natur!“ erschallt ihre Stimme laut während des Ausbruchs. Danach ist es vollkommen still. Sogar die Vögel haben aufgehört zu singen. Langsam richten sich der König und die Prinzessin wieder auf. Die Erdgöttin denkt über seinen Vorschlag nach, der durchaus akzeptabel ist. Das Mädchen hat ihr schon bewiesen, dass sie keine Gefahr mehr darstellt und der Mann scheint informierter zu sein als sie dachte. Das Jagtverbot hatte sie trotzig eingeführt, um es den Kindern Fuathels ein wenig schwerer zu machen. Bisher nahmen diese es hin, ohne mit ihr zu verhandeln. Dieser furchtlose Mann ist der erste, der es versucht. Er ist überhaupt der erste Mensch der den Mumm hatte ihr die Stirn zu bieten. Sie lässt sich darauf ein und wenn es ihr unbequem wird, kann sie die Erlaubnis ja jederzeit widerrufen. „Nur so viel wie der Bestand hergibt.“ bestätigt sie. Ohne einer Verabschiedung, dreht sie sich von den beiden weg. In einem goldgelben Schein, der sie umgibt, verwandelt sie sich wieder in einen Hirsch. Sie trabt elegant hinter das Gebüsch zurück, aus dem sie gekommen ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)