Schuld von Kerstin-san ================================================================================ Kapitel 1: Schuld ----------------- Ianto weiß nicht, wo die anderen sind oder warum er hier alleine und unbehelligt durch die Tiefen des Torchwoodinstituts wandern kann, ohne dass es jemanden zu kümmern scheint. Warum steht er nicht unter permanenter Beobachtung? Er erinnert sich vage daran, dass er zuletzt auf dem kalten, feuchten Steinboden in Lisas Versteck gekniet hat und sich ein schmales paar Hände auf seine Schultern legen musste, um ihn vorsichtig, aber bestimmt von ihrer blutverschmierten Leiche fortzuziehen, weil er auf Worte nicht reagiert hat. Vermutlich Tosh oder Gwen. Das Echo einer Erinnerung, wie er sich dagegen gewehrt hat, geistert durch seinen Kopf. Eine aufgebrachte Stimme - Owen? - hat sich daraufhin eingemischt und die Hände haben ihn schließlich losgelassen. War es anschließend Jack, der einen scharfen Befehl gegeben hat, der alle dazu veranlasst hat zu gehen oder hat er sich das nur eingebildet? Blinzelnd versucht er sich zu konzentrieren, aber es fällt ihm schwer. Seine Gedanken scheinen nicht still stehen zu können, obwohl er so müde und erschöpft ist. Seinen schmerzenden Knien nach zu urteilen, muss er eine ganze Weile neben Lisas totem Körper und dem des Liefermädchens gekniet haben. Bei dem Gedanken an das junge Mädchen, das völlig unbeteiligt war und nur wegen ihm zwischen die Fronten geraten ist, kneift Ianto seine brennenden Augen zusammen. Das hat er nicht gewollt. Das hat er wirklich nicht gewollt. Er wollte nur Lisa helfen, aber er wollte doch nicht, dass irgendjemand dabei zu Schaden kommt.   Wie von selbst müssen ihn seine Füße anschließend hergebracht haben. Er erinnert sich nicht einmal daran, aufgestanden zu sein, um den Raum mit Lisas Leiche zu verlassen, aber jetzt steht er in dem sonst so verlassenen und staubigen Seitengang, der zu dem vergessenen Abstellraum führt, wo er den Körper von Doktor Tanizaki versteckt hat. Nachdem die Energieversorgung von Tosh wieder hergestellt wurde, ist der Gang nicht länger in ein düsteres Zwielicht getaucht, sodass Ianto neben all dem Staub deutlich seine eigenen Fußspuren und die Schleifspuren erkennen kann, die er früher an diesem Abend verursacht hat. Zögernd öffnet er die quietschende Metalltür und betritt den Abstellraum, wo ihm der metallische Geruch von Blut in die Nase steigt. Ianto schlägt vorsichtig die Plane beiseite, unter der er den Leichnam des Mediziners verborgen hat. Wenn sein Magen nicht schon leer wäre, würde er sich spätestens bei dem Anblick des toten Körpers umdrehen. Das Bild, das sich ihm bietet, lässt Ianto schlucken. Geronnene Blutpfützen zeichnen sich deutlich sichtbar auf dem entstellten Körper ab und das verbliebene menschliche Auge blickt ihm entgegen. Mit einem beklemmenden Gefühl in der Magengegend und einem Anflug von Schuld und Scham, versucht er es vorsichtig zu schließen. Warum hat er das nicht gleich gemacht, als er die Leiche hier versteckt hat? Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt, sodass Iantos Mühe vergeblich ist. Das Auge bleibt in einer halb geöffneten Position stehen und scheint ihn jetzt anklagend und vorwurfsvoll anzustarren. Ianto wendet sich schaudernd ab, aber das Bild hat sich bereits unwiderruflich in seine Netzhaut eingebrannt. Blinzelnd versucht er sich auf etwas anderes zu konzentrieren, aber die Sicht auf Tanizakis grotesk entstelltes Gesicht und auf seinen blutigen Körper, erinnern ihn nur wieder an Lisas Taten. Bilder von ihr, wie sie so unnatürlich ruhig und starr in ihrem Versteck neben Tanizakis Leiche gestanden hat und wie sie mit dieser fremdartigen, emotionslosen Stimme davon gesprochen hat, dass es eine Belohnung für ihn sein sollte, geistern durch seinen Kopf. Mit einem Mal glaubt er wieder die blutigen Pfützen, die die Leiche des Doktors umgeben haben, vor sich zu erkennen und muss einmal mehr würgen. Sein Herz beginnt schneller zu schlagen und plötzlich scheint ihm auch das Atmen bedeutend schwerer zu fallen. Keuchend sinkt er auf die Knie und stellt zu seiner Überraschung fest, dass seine Hände angefangen haben zu zittern. Nicht nur seine Hände wie er schnell erkennen muss, sein ganzer Körper hat sich gegen ihn verschworen und sich in eine bebende Masse verwandelt, die ihm nicht mehr gehorcht.   Ianto weiß nicht, wie lange er schluchzend und zitternd auf dem Boden gekauert hat, aber irgendwann kann er wieder klar denken und auch sein hastiger Atem hat sich etwas beruhigt. Fahrig fährt er sich durch seine Haare und beim Anblick seiner eigenen blutverschmierten Hände überkommt ihn ein dumpfes Gefühl des Ekels. Es ist Lisas mittlerweile getrocknetes Blut, wie ihm schaudernd bewusst wird. Schnell lässt er seine Hände fallen fallen und lockert seine Krawatte, die diesen chaotischen Tag seltsamerweise unbeschadet überstanden hat und sich immer noch fest um seine Kehle schmiegt. Er hat mit einem Mal das Gefühl, dass sie seinen Hals zuschnürt und ihn langsam erstickt. Gierig saugt er die abgestandene Luft in seine Lungen und für einen Moment hat er vergessen, warum es besser ist, nur durch den Mund zu atmen. Die Übelkeit kehrt mit aller Macht zurück und die Augen schließend, versucht er wieder die Kontrolle über seinen Körper zurückzugewinnen und seinen Fluchtinstinkt in den Griff zu bekommen. Einatmen. Ausatmen. Ganz bedacht und kontrolliert. Ianto ist seltsam dankbar, dass sich in den unteren Kellergewölben keine Überwachungskameras befinden, die diese entwürdigende Szene festhalten können. Wenn er ehrlich ist, hat er heute schon genug emotionale Ausbrüche gehabt und den anderen gegenüber mehr von sich preisgegeben, als er sich je träumen gelassen hat. Kein Grund also, die Liste noch zu verlängern und eine weitere Panikattacke hinzuzufügen.   Nach mehreren bewussten Atemzügen, bringt er es über sich, seine Augen wieder zu öffnen und Tanizaki erneut in Augenschein zu nehmen. Auch wenn sich alles in ihm dagegen sträubt, wird er jetzt nicht weglaufen. Das ist er ihm einfach schuldig. Der Doktor hat es nicht verdient, wie eine weggeworfene Verpackung, in einer unbeachteten Ecke herumzuliegen, selbst wenn Ianto seine offensichtliche wissenschaftliche Faszination und Euphorie für Lisas Zustand abstoßend fand. Trotz allem hat er versucht ihr zu helfen. Er ist extra auf Iantos Bitte hin aus Japan angereist und hat sein Möglichstes getan, um Lisa wieder zu einem vollständigen Menschen zu machen. Letztlich vergeblich, aber er wird tun, was er kann, um das zu honorieren. Ianto war schon immer ein zuverlässiger und ordnungsliebender Mensch und da er sowieso an all dem Chaos schuld ist, kann er auch einfach gleich damit anfangen, die Spuren seiner Taten zu beseitigen. Was soll er auch sonst tun? Sich zu Hause verkriechen, wo er keine Beschäftigung hat und alles immer und immer wieder gedanklich durchspielen würde? Nein, er muss sich ablenken. Er weiß nicht, ob die anderen alle zu Hause oder noch hier sind. Er weiß ja nicht einmal, wie spät es ist, weil seine Uhr den Abend nicht überlebt hat und mit gesprungenem Gehäuse und stehen gebliebenen Zeigern nutzlos an seinem linken Handgelenk baumelt. Es macht keinen Unterschied. Er wird Tanizakis Körper aus dieser dunklen Ecke wegschaffen. Vermutlich wird Jack wollen, dass er die Leiche zu Owens medizinischer Station bringt, also wird Ianto den Körper dorthin bugsieren.   Zum zweiten Mal an diesem Tag hakt er seine Arme unter den toten Körper des Doktors und beginnt damit, ihn durch die verwinkelten Korridore zu schleifen. Der tote Körper ist schwerer als er ihn in Erinnerung hatte und Ianto muss mehrfach kleine Pausen einlegen. Dumpf fragt er sich, ob er sich morgen überhaupt noch an all das hier erinnern wird oder ob man ihm eine Dosis Retcon verpasst und er dann irgendwo aufwachen und ein völlig neues Leben haben wird. Ein Leben, in dem er sich nicht einmal daran erinnern wird, Lisa je gekannt zu haben. Vielleicht wird er auch gar nicht mehr aufwachen, überlegt er zynisch. Vielleicht wird Jack seine Drohung wahr machen und ihm einfach eine Kugel verpassen. Vorzugsweise aber erst, nachdem er hier alles sauber gemacht hat. Dieser Gedanke ist so absurd, dass Ianto hysterisch auflacht. Das Geräusch hallt seltsam laut in dem ansonsten ausgestorbenen und ruhigen Korridor wider und klingt selbst in seinen eigenen Ohren so beunruhigend falsch, dass er schnell wieder damit aufhört. Benommen starrt er auf seine Füße. Während Tanizakis toter Körper langsam seinem Griff entgleitet, findet sich Ianto nur Augenblicke später einmal mehr auf dem kalten Steinboden des Torchwoodinstituts wieder. Alle Kraft scheint ihn verlassen zu haben. Was zum Teufel tut er hier eigentlich? Worin liegt der Sinn, dass er verzweifelt versucht, das Unvermeidliche herauszuzögern? Er sollte direkt zu Jack gehen und den Konsequenzen ins Auge sehen. Erwartet er wirklich, dass sich die Gemüter der anderen über Nacht beruhigen und dass morgen alles anders aussehen wird? Er sieht erneut Jacks wutverzerrtes Gesicht vor sich, spürt noch einmal wie der ihm die Waffe an den Kopf presst und ihm förmlich entgegen spuckt, dass er den Job beenden und Lisa töten soll. Erwartet er also Mitleid? Ausgerechnet von Jack? Er weiß es nicht. Er weiß es wirklich nicht, aber etwas in ihm hofft, dass ein Wunder geschehen wird. Denn die Wahrheit ist: Er will nicht sterben. Trotz allem was geschehen ist, ist der Gedanke, ebenfalls zu sterben, schlichtweg furchteinflößend. Aber er würde es noch weniger ertragen, dank Retcon alles zu vergessen. Wenn ihm einfach ein Teil seiner Vergangenheit genommen wird, die ihn zu dem gemacht hat, was er heute ist. Er will Lisa nicht vergessen. Er will sich an ihre leuchtenden Augen und ihr ansteckendes Lachen erinnern. An das Gefühl ihrer Hände auf seinen Schultern und wie sie sich im Schlaf immer vertrauensvoll an seine Seite gekuschelt hat. Gequält schließt er seine Augen.   Wenn er an Lisa denkt, vermischen sich die vielen schönen Erinnerungen unweigerlich mit dem Grauen der Schlacht um Canary Wharf und dem katastrophalen heutigen Abend. Er erinnert sich an den entsetzlichen Moment, in dem er dachte, dass Lisa wirklich tot wäre. Wie sie sich aber einfach wieder aufgerichtet hat und auf Owen, Gwen und ihn zugestapft kam. Völlig emotionslos, sodass er zum ersten Mal wirklich Angst vor ihr empfand. Er erinnert sich auch an Lisas entsetzte Schreie, als der Pterodactylus sich auf sie gestürzt hat und seine Krallen und sein Schnabel erbarmungslos nach ihr gehackt haben. Er erinnert sich an Gwen und Owen, die ihn mit sich gezerrt haben und daran, wie er zwar protestiert und Jack um Gnade für Lisa angefleht hat, sich aber nicht übermäßig stark gegen die festen Griffe der beiden anderen gewehrt hat. Ob er sie da schon aufgegeben hatte? Seine Lisa? War er zu entsetzt darüber, was das Cyberwesen, was Lisa getan hatte? War er dabei zu begreifen, dass er sie schon unwiderruflich verloren hatte und er nicht mehr zu ihr durchdringen konnte? Oder befand er sich nur in einer Schockstarre und konnte deswegen nicht reagieren?   Er versucht nicht allzu intensiv darüber nachzudenken. Er fühlt sich zerschlagen und hat das Gefühl, nicht mehr er selbst zu sein. Der Schmerz darüber, dass Lisa tot ist, raubt ihm einmal mehr den Atem. Er konnte sie nicht beschützen. Nicht von dem Cyberwesen in ihr und nicht vor seinen Teammitgliedern, die sie am Ende erschossen haben.   Er will wütend auf die anderen sein, aber er ist es eigentlich nur auf Jack. Er ist der Boss, er trifft die Entscheidungen und gibt die Befehle. Wenn Jack ihm nur zugehört oder wenigstens versucht hätte Lisa zu helfen, hätte der Rest des Teams ihn wohl ebenfalls unterstützt. Im Gegensatz zu Jack ist er felsenfest davon überzeugt gewesen, dass Lisa noch zu retten war. Die Umwandlung war schließlich nicht vollständig abgeschlossen. Seine Freundin hat ihn immer noch erkannt, hat ganz normal mit ihm gesprochen. Wie konnte Jack nur erwarten, dass er Lisa aufgeben und sterben lassen sollte? Wie hätte er akzeptieren können, dass es keine Möglichkeit für ihre Rettung geben sollte? Wochenlang hat er sich um sie gekümmert. Hat sie in den Keller des Torchwoodinstituts geschmuggelt und dort versteckt. War bei ihr, wenn die Schmerzen unerträglich wurden und Lisa deswegen kaum sprechen konnte. Sie war noch menschlich. Aber für Jack stand von Anfang an fest, dass es unmöglich war, irgendetwas für sie zu tun. Er hat stur darauf beharrt hat, dass die einzige Möglichkeit, sie alle zu retten, Lisas Tod sei. Ihm war es scheinbar völlig gleichgültig, dass in dem Cyberwesen immer noch ein Teil von einem Menschen steckte, der es wert war, gerettet zu werden. Es wäre so einfach, wenn er nur alles auf Jack schieben könnte. Auf Jack, der ihn mit einer Waffe bedroht hat und ihn dazu zwingen wollte, seine Freundin selbst zu töten. Jack, der den Pterodactylus auf Lisa gehetzt hat. Und dennoch... Trotz der Wut, die er gegenüber Jack empfindet, ist das Gefühl nicht mehr so stark ausgeprägt, wie noch vor einigen Stunden. Jack hat schließlich auch zugelassen, dass er mit Lisa sprechen konnte, hat ihm eine Möglichkeit gegeben, zu beweisen, dass seine Freundin noch irgendwo in dem halb umgewandelten Körper steckt. Vielleicht ist er auch deshalb nicht mehr so wütend, weil er insgeheim schon viel früher geahnt hat, dass Lisa nicht mehr gerettet werden konnte, egal wie sehr er sich an diese Hoffnung und diesen Wunsch geklammert hat. Weil am Ende das Cyberwesen vollständig die Kontrolle übernommen und Lisas Persönlichkeit ausradiert hat. Je länger er über all das nachdenkt, umso verwirrender erscheinen ihm seine eigenen Gefühle. Es ist so viel leichter wütend zu sein, als sich genauer mit dem Chaos zu beschäftigen, das in ihm tobt. Er überlegt abwesend, wie viel Wut auf sich selbst mit im Spiel war, als er Jack den Kinnhaken versetzt hat.   Nachdenklich wandern seine Gedanken zum Rest des Teams. Ianto hört erneut Gwens panische und verzweifelte Schreie, als sie in der Cyberwandlungseinheit lag und umgewandelt werden sollte. Er erinnert sich, wie sie hilflos gegen die metallischen Fesseln gekämpft hat, und an seine eigenen Panik, weil sich das verdammte Ding einfach nicht ausschalten lassen wollte.   Von Owen hat er nicht mehr als einen abschätzigen Blick und einige scharfe Worte kassiert, was ihn ehrlich überrascht hat. Gerade bei Owen hätte er vermutet, dass er aus der Haut fährt und die Beherrschung verliert, aber er hat sich sogar die Mühe gemacht, ihn und Jack davon abzuhalten, aufeinander loszugehen.   Er sieht Toshs Gesicht vor sich, die zu Beginn zwar geschockt, aber nicht wirklich anklagend reagiert hat. Sie hat erst einmal abgewartet, was er zu sagen hatte. Typisch Tosh, die nie vorschnell ein Urteil fällt, sondern wartet, bis sie alle Fakten zusammen getragen hat. Er erinnert sich an ihre helle Freude, als sie festgestellt hat, dass es das gesamte Team heil aus dem Keller geschafft hat und wie ihre Erleichterung in Entsetzen und Ungläubigkeit umgeschlagen ist, als Ianto Jack einen Kinnhaken verpasst hat und ihm anschließend angedroht hat, ihn eines Tages leiden und sterben zu lassen, wenn er eigentlich die Möglichkeit hätte, ihn zu retten. Dass er Tosh enttäuscht hat, tut ihm wirklich leid. Sie sind immer gut miteinander ausgekommen und dass sich Tosh ihr Mitgefühl und ihr Vertrauen in das Gute der Welt immer beibehalten hat, hat er immer bewundert. Wie wird sie ihm zukünftig gegenübertreten? Immer noch voller Güte und Freundlichkeit oder mit Abscheu und Ekel?   Irgendwo, tief in ihm, existiert ein winziger Funke Dankbarkeit, weil es letztendlich nicht er selbst war, der Lisa getötet hat. Er hätte es nicht gekonnt. Trotz allem, was sie getan hat und obwohl er wusste, wie falsch das alles war. Er sieht wieder ihre Augen vor sich, die ihn aus dem fremden Gesicht des Liefermädchens heraus angesehen haben, aber doch so vertraut erschienen. Fühlt immer noch ihre sanften Hände, die ihn gehalten haben und hört ihre eindringliche und flehende Stimme, als sie versucht hat zu beweisen, dass es wirklich sie ist. Dass sie Lisa ist, auch wenn sie in einem anderen Körper steckt. Ihm wird schlecht, als er sich an die frische Operationsnaht auf ihrer Stirn erinnert. Energisch schiebt er das Gefühl der Dankbarkeit beiseite. Wenn er zu intensiv darüber nachdenkt, würde er sich Lisas Andenken gegenüber noch schuldiger fühlen und das ist etwas, das er im Moment einfach nicht ertragen kann. Vielleicht mit einigem Abstand, wenn er seine Gefühle etwas sortiert hat, aber nicht jetzt.   Dumpf erinnert er sich, wie er Jack verächtlich als Monster bezeichnet hat, aber tief im Inneren fragt er sich, ob nicht doch er selbst das eigentliche Monster ist. Er, der zugelassen hat, dass Lisa mordet und versucht hat, es zu entschuldigen, weil er unbedingt glauben wollte, dass das Ganze nur eine Art Nebeneffekt von Dr. Tanizakis Bemühungen war und die Wahrheit nicht sehen wollte. Er, der zugelassen hat, dass Gwen, Owen, Tosh und Jack von ihr angegriffen wurden. Er, der alle in Gefahr gebracht hat und der sich insgeheim allein um Lisas Wohlergehen gesorgt hat - selbst nachdem sie mehr Cyberwesen als Mensch war. Wie kann er sich da noch das Recht herausnehmen, Jack als Monster zu bezeichnen?   Ianto spürt mehr als dass er es sieht, wie sich ein warmer Körper neben ihm niederlässt. Er muss nicht aufsehen, um zu wissen, dass es Jack ist. Er weiß es einfach. Jack seufzt und das Geräusch, das dann ertönt, lässt darauf schließen, dass er seinen Kopf eine Spur zu hart gegen die Wand hat schlagen lassen. „Du solltest nach Hause gehen, Ianto.“ Er klingt müde und ausgelaugt. Ianto schüttelt nur stumm den Kopf und starrt weiter an die gegenüberliegende Wand, als gäbe es dort etwas ungeheuer interessantes zu sehen. Jack seufzt erneut und dann spürt er, wie Jacks Hand behutsam nach seiner greift. Im ersten Moment zucken seine Finger vor dem vorsichtigen Druck zurück, als hätte er sich daran verbrannt, aber dann entscheidet er, dass es eigentlich egal ist. Im Moment ist alles egal. Er fühlt sich seltsam abgestumpft. Ob das an seiner eigenen Erschöpfung liegt? Was dann folgt, ist nur ein kurzer, ganz zaghafter Druck gegen seine eigenen schlaffen Finger, ehe sich die warme Hand von Jack wieder zurückzieht. Eine so federleichte Berührung, dass es auch Einbildung gewesen sein könnte, aber Ianto hat auch danach noch das Gefühl, dass er einen Hauch von Wärme spüren kann. Seltsam, wo er doch gerade noch der Meinung war, dass alles egal ist und er sich so apathisch fühlt.   „Du solltest dich wenigstens duschen und umziehen.“ Ianto blickt nicht auf. „Ich habe Wechselsachen hier“, murmelt er und Jack lacht rau auf. „Natürlich hast du das. Immer auf alles vorbereitet, nicht wahr?“ Es klingt, als würde er mehr mit sich selbst reden und da Ianto nicht weiß, ob er die Aussage nach den heutigen Geschehnissen als Vorwurf interpretieren soll, schweigt er lieber. „Na, von mir aus“, murmelt Jack zu seiner Überraschung und richtet sich neben ihm auf. Ianto ist so erstaunt, dass er verwirrt aufblickt. Er muss dabei den Kopf in den Nacken legen, um überhaupt in Jacks Gesicht sehen zu können. Der sieht seltsam verbissen und angespannt aus. „Wir bringen den Körper“ - er nickt zu Tanizaki - „zur medizinischen Station. Wenn du unbedingt trauern oder nur vor dich hinstarren willst, von mir aus. Aber spätestens in zwei Stunden bist du hier fertig, verstanden? Du wirst duschen und entweder gehst du dann freiwillig nach Hause oder ich werde dir eins von Owens Beruhigungsmitteln verpassen und dich selbst dorthin verfrachten. Du wirst dir hier nicht die ganze Nacht um die Ohren schlagen und in Selbstmitleid versinken, verstanden?“ Ianto kann nur nicken. „Und was dann? Ich meine morgen, was ist mit morgen?“, krächzt er seltsam heiser. Jack reibt sich über seine Augenbrauen und sieht ihn mit einem Gesichtsausdruck an, den er nicht deuten kann. „Sag du es mir, Ianto. Was sollte ich deiner Meinung nach tun?“ Ianto zögert nur kurz. „Du solltest mir Retcon verpassen. Oder mich umbringen und anschließend in eine Kryoeinheit packen.“ Die Worte sind nüchtern gesprochen, aber seine Hand verkrampft sich unwillkürlich auf seinem Oberschenkel und verrät dadurch seine Anspannung. Jack nickt und verschränkt seine Arme vor der Brust. Herausfordernd streckt er sein Kinn vor und sucht Iantos Blick. „Das sollte ich tun, aber das werde ich nicht. Kannst du dir denken warum?“ Ianto schüttelt den Kopf. „Weil du Verantwortung übernehmen wirst. Du wirst damit leben, was du getan hast und du wirst dich daran erinnern. An jeden deiner Fehler und an die Menschen, die deinetwegen gestorben sind. Du wirst mit dieser Schuld leben.“ Ianto zuckt unter den letzten Worten zusammen und sein Blick wandert einmal mehr gen Boden, aber er nickt. Es ist vermutlich mehr als er verdient hat und er hat irgendwie das Gefühl, dass das Gewicht, das auf seinen Schultern lastet, ein klitzekleines bisschen leichter geworden ist. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)