Cruel Fairytale von May_Be (- Hänsel & Gretel -) ================================================================================ Kapitel 7: Dunkles Verlangen ---------------------------- Das Mondlicht schien durch die Gardinen hindurch und warf geometrische Muster an die Zimmerdecke. Ich beobachtete sie aufmerksam, hoffte dadurch müde zu werden, doch der erlösende Schlaf blieb aus. Ich seufzte schwer und setzte mich auf. Wie in einer wiederkehrenden Endlosschleife wurden die Ereignisse des Tages in meinem Kopf abgespielt. Ich konnte nicht mehr, versuchte dagegen anzukämpfen, doch vergebens. Nach unserer kleinen Auseinandersetzung sprachen wir kein Wort mehr miteinander. Selbst als wir zu Hause waren. Es war das erste Mal, dass wir einander nichts zu sagen hatten. Wir verkrochen uns nach dem Mittagessen auf unseren Zimmern und begegneten uns erst abends vor dem Badezimmer. Ayumi und ich sahen uns unsicher an, wichen dem Blick des anderen aus und gingen in verschiedene Richtungen. Das war doch zum Kotzen! Sie war der wichtigste Mensch für mich und ich verhielt mich wie das größte Arschloch. Dieses Schweigen zwischen uns war nicht zum Aushalten und machte mich wahnsinnig. Impulsiv warf ich die Decke zurück und sprang auf. Leise öffnete ich die Tür meines Schlafzimmers und spähte in den dunklen Flur. Totenstille, alle schliefen. Ich verspürte einen unauslöschlichen Drang. Ich wollte, nein, ich musste sofort mit Ayumi sprechen und unseren Streit, oder wie auch immer man das nennen mochte, aus der Welt schaffen. Sonst würde ich die ganze Nacht kein Augen zumachen können. Es war egoistisch von mir, aber es sollte zwischen uns wieder so werden, wie es heute Morgen noch war, bevor alles den Bach unterging. Ich schlich leise durch den Flur und schlüpfte in ihr Zimmer, die Tür lehnte ich nur ein wenig an. Ich trat an ihren Futon, in dem sie schlummerte und rüttelte leicht an ihrer Schulter. „Mhm...“, gab sie verschlafen von sich und sofort tat es mir leid, dass ich ihren Schlaf störte. Aber es musste sein. „Ayumi“, flüsterte ich und rüttelte sie etwas kräftiger. Plötzlich packte sie mich und zog zu sich hinab. „Hyde...“, murmelte sie verschlafen, „Hyde...“ Ich stützte mich erschrocken links und rechts von ihr ab, um sie nicht zu erdrücken. Das Mondlicht fiel sanft auf ihr Gesicht. Ihre Augen waren geschlossen. Ihr Atem war ruhig. Sie träumte. Mein Blick wanderte zu ihren leicht geöffneten Lippen und ich schluckte. Mein Herz raste plötzlich wie wild in meiner Brust. Mich überkam ein schmerzliches Verlangen. Nur einmal wollte ich diese Lippen küssen. Nur einmal. Ich beugte mich langsam hinab, doch hielt im nächsten Moment inne. Mir wurde plötzlich bewusst, warum mich der Kuss zwischen Yuji und Ayumi so wütend gemacht hatte. Es war nicht nur deswegen, weil ich sie vor solchen Typen wie Murai beschützen wollte. Nein. Ich wollte selbst derjenige sein, der sie küsste. Sie sollte nur Augen für mich haben. Diese Erkenntnis traf mich wie ein Schlag und erschreckte mich. Ich schüttelte den Kopf und nahm Abstand. Fluchtartig verließ ich ihr Schlafzimmer und stieß mit jemanden im Flur zusammen. „Oh, wo kommst du denn her?“ Masamis Stimme schnitt durch die Stille. Ohne etwas zu sagen wollte ich an ihr vorbeigehen, doch sie versperrte mir den Weg. „Kommst du etwa aus Ayumis Zimmer, hm?“, fragte sie und ihr Tonfall veränderte sich. Er klang nicht bestürzt oder schockiert, sondern auf eine unangenehme Weise neugierig. „Was hast du denn da um diese Uhrzeit zu suchen?“ Ich hatte nicht vor ihr eine Antwort zu geben. „Geht dich nichts an.“ „Das mag sein“, stimmte sie mir überraschenderweise zu, „aber deinen Vater wird das sicher interessieren.“ Selbst in der Dunkelheit spürte ich ihr heimtückisches Lächeln. Ganz unerwartet legte sie ihre Hand an meine Wange und ich zuckte zusammen. Es war ein natürlicher Schutzreflex. Ich war nicht daran gewöhnt, dass diese Frau zu etwas anderem fähig war als zur Grausamkeit. „Du bist groß geworden, Hyde“, sagte sie unvermittelt, „und du siehst deinem Vater sehr ähnlich.“ Masami trat einen Schritt näher, sodass ich beinahe ihren Atem auf der Haut spüren konnte. „Warum begehrt man immer das, was man nicht haben darf? Das Verbotene. Das Sündhafte.“ Die Art, wie sie es sagte, gefiel mir nicht. „Kannst du mir das beantworten, Hyde?“ Mein Herz klopfte schneller, je näher sie trat, je mehr sie sagte. Wusste sie etwa von meinen Gefühlen für Ayumi? Nein, das war unmöglich... „Nein?“, unterbrach sie meine Gedanken, „auch gut. Denn das ist krank. Deine Gefühle für deine eigene Schwester. Dein eigenes Fleisch und Blut. Du bist genauso krank wie er.“ Ich wollte mir das nicht länger anhören und ging an ihr vorbei. Sie hatte nicht das Recht über mich zu richten, nicht sie. „Was wird wohl dein Vater dazu sagen?“, fügte sie noch hinzu. Ihr teuflisches Lachen verfolgte mich, lange Zeit nachdem ich bereits im Bett lag. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)