Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 33: ------------ „Wie findest du das?“ „Nein, Schatz, das ist etwas zu ausgeflippt, würde ich sagen.“ „Hm... und das?“ „Immer noch zu ausgeflippt. Sachi, ernsthaft, das ist Leons Weihnachtsparty. Such mal was neutrales, seriöses.“ „Ja, aber... ich komm doch sonst nicht dazu, Adam einzukleiden!“ Sachiko sah ihre Freundin vorwurfsvoll an, während diese sich wieder Adams Haaren widmete. „Das heißt nicht, dass du ihn genau heute zu einem bunten Gockel machen solltest.“ Claire zerrieb noch etwas Haargel zwischen ihren Handflächen und strich Adam einige Strähnen nach hinten. Er saß ruhig auf einem Stuhl und beobachtete belustigt das Wortgefecht zwischen den beiden Frauen. Sachiko hatte sich netterweise angeboten, ihn für die Weihnachtsparty einzukleiden. Für ihn war sie DIE Rettung, denn nachdem er Leons Einladung angenommen hatte, war ihm siedend heiß eingefallen, dass er nichts, aber wirklich rein gar nichts hatte, was man auf so einer Party trug. Er konnte sich nicht erinnern, jemals irgendwohin gegangen zu sein, wo man sich herausputzen musste. Hochzeiten gab es in seiner Familie nicht – oder er besuchte sie einfach nicht –, und Todesfälle auch nicht. Wenn es etwas schicker sein sollte, hatte er einige edle Hemden, die er dann mit dunklen Jeans kombinierte, das war aber auch schon das Höchste der Gefühle. Und weitab von allem, was man auf so einer High Society-Party tragen konnte. Aber wenn Leons Mutter ihn schon für eine Kakerlake hielt, wollte er wenigtens eine gut angezogene Kakerlake sein. Sachiko war zumindest in Begeisterungsstürme ausgebrochen, als er ihr sein Leid geklagt hatte. Als Modedesignerin sah sie in ihm wohl eine lebende Schaufensterpuppe, die es einzukleiden galt. Er hatte nichts dagegen, wobei er Claire durchaus zustimmen musste – einige der Anzüge, die sie ins Auge gefasst hatte, waren sehr... ausgefallen. Wobei sie eine gute Waffe gegen Leons Mutter gewesen wären. Wer sich vor Lachen auf dem Boden kringelte, konnte zumindest nicht fies und gemein sein. Verärgert biss er sich auf die Unterlippe. Ihn machte der Gedanke an die Begegnung mit Leons Familie nervös, nervöser, als ihm irgendwie lieb war. Aber er hätte im Leben nicht den Weihnachtswunsch von seinem Liebsten ausschlagen können. „Kommst du heute Abend eigentlich auch mit, Claire?“, fragte er, während die junge Frau immer noch seine Strähnchen zurecht zupfte. Netter Nebeneffekt von seinem Mangel an angemessener Bekleidung war nämlich auch gewesen, dass er endlich Sachikos Freundin kennenlernen durfte. Sie hatten sich bei den beiden Frauen zu Hause verabredet, und würden dann zusammen zu Leon fahren. Und Claire war tatsächlich eine Freude. Sie war unheimlich offen, nett, und, vor allem, normal. Nicht so überdreht, wie Sachiko es manchmal war, nicht so arrogant wie Leon. Soweit er wusste, gehörte sie auch zur stinknormalen Mittelschicht, hatte sich aber als Schmuckdesignerin einen Namen gemacht. Jetzt saß er also im gemütlichen Wohnzimmer ihres kleinen Häuschens und ließ sich von den beiden Ladies hübsch machen. Er konnte sich schlimmere Arten vorstellen, wie man sich auf die Begegnung mit einem kinderfressenden Monster vorbereitete. Sie strich sich eine ihrer blonden Locken zurück und sah seine Haare kritisch an, bevor sie antwortete. „Nein, das tu ich mir nicht an.“ Claire hob beide Augenbrauen und schürzte die Lippen. „Ich lege keinen Wert darauf, Leons Mutter zu treffen.“ „Hm, warum?“ „Adam, steh mal auf!“ Sachiko scheuchte ihn hoch und hielt ein Hemd an seinen Körper. „Das könnte passen...“ Sie sah ihn an. „Die erste Begegnung nach meiner OP war etwas... unglücklich.“ Claire gab einen abfälligen Laut von sich, während sie sich, endlich zufrieden mit Adams Frisur, ihre Hände an einem Tuch abwischte. „Unglücklich würde ich das nicht nennen.“ Adam sah fragend von einer zur anderen. Sachiko verdrehte die Augen. „Mhm.“ Sie neigte überlegend den Kopf zur Seite. „Wir haben uns auch auf einer der Partys getroffen. Leons Mutter ist nicht sehr... uhm... tolerant. Sie fand meine OP nicht so berauschend.“ „Nicht berauschend???“ Claires Stimme stieg eine Oktave an, bevor sie einmal tief durchatmete und dann Adam ansah. „Die ersten Worte von Leons Mutter waren – ich zitiere –: 'Kasami, du warst so ein hübscher Mann, aber du bist eine unheimlich hässliche Frau.'“ „Oh.“ Adam starrte sie an. Das siebenköpfige, kinderfressende und giftspeiende Monster war vielleicht gar nicht so weit hergeholt wie er gedacht hatte. „Ja, oh!“ Sachikos Freundin spuckte förmlich Gift und Galle. „Hätte Sachi mich nicht aufgehalten, hätte ich ihr die Augen ausgekratzt.“ „Ach, hört auf.“ Sachiko drückte Adam ein Hemd in die Hand. „Zieh das mal an.“ „Und... was hat Leon darauf gesagt?“ Er konnte sich nicht vorstellen, dass Leon das einfach so hingenommen hatte. Es war offensichtlich, wie sehr er Sachiko liebte und dass er alles für sie tun würde. Die beiden Frauen wechselten einen verschmitzen Blick. „Tja,“, Claire setzte sich auf einen Stuhl und musterte Adam, „er hat sie hochkant rausgeschmissen.“ „Er hat was???“ Sachiko kicherte, während sie Adam neben dem Hemd noch eine Weste, ein Jackett und eine passende Hose reichte. „Er hat sie rausgeschmissen. Es war der Skandal schlechthin, und es ging wochenlang durch alle Klatschblätter. Leons Mutter hasst negative Schlagzeilen. Ich will nicht wissen, wie nahe sie dran war, ihn zu enterben und aus dem Familienregister zu streichen.“ Sie musterte Adam, der sich in der Zwischenzeit umgezogen hatte. „Auch wenn ich bei seiner Reaktion etwas geschockt war, war ich doch sehr befriedigt. Die alte Hexe braucht ab und an eine deutliche Ansage. Wir können von Glück reden, dass sie Leon weitestgehend in Ruhe lässt und er sie nur ein paar Mal im Jahr ertragen muss. Sonst würde einer von beiden vermutlich schon unter der Erde liegen.“ Sie zog ihn vor einen Spiegel. „Na, wie findest du es?“ Er musste zugeben – ganz uneingebildet –, dass er umwerfend aussah. Sachiko hatte schließlich doch eine einfache Kombination komplett in Schwarz gewählt. An jedem anderen hätte es vielleicht langweilig, oder zumindest schlicht gewirkt, aber indem Claire seine schwarzen Haare ordentlich nach hinten gegelt hatte, kamen seine kristallblauen Augen besonders zur Geltung und wurden durch sein komplett schwarzes Outfit zusätzlich hervorgehoben. Nichts, wirklich nichts lenkte mehr von diesen strahlenden Augen ab. „Sieht gut aus... oder?“ „Sieht umwerfend aus.“ Sachiko drückte ihm einen Kuss auf die Nasenspitze. „Ich glaube, ich werde dich jetzt öfter als Modell missbrauchen. So, und jetzt muss ich mich selber fertig machen. Wir sollten bald los.“ Über zwei Stunden später – Adam hatte nicht den blassesten Schimmer gehabt, wie lange eine Frau brauchte, um sich fertig zu machen, und wie Sachiko 'bald' definierte – parkten sie schließlich vor Leons Auffahrt. Er erkannte die Villa nicht wieder. Normalerweise strahlte sie immer eine gewisse Ruhe aus, Frieden, ein kleines eigenes Reich, doch jetzt war sie passend zum Anlass geschmückt und erstrahlte durch zahlreiche Lichterketten. Von drinnen hörte man klassische Musik, und überall parkten fremde Autos, standen fremde Menschen, unterhielten sich fremde Gäste. Irgendwie versetzte es ihm einen Stich. Leon hatte sein eigenes Reich fremden Personen, die er noch nicht mal sonderlich mochte, geöffnet. Nur wegen diesem lächerlichen Machtspiel mit seiner Mutter. Er konnte wirklich nicht sagen, ob er es nur kindisch, oder absolut dämlich fand. Oder ob er es einfach nicht verstand, weil seine Familie so komplett anders war. Sachiko hakte sich bei ihm unter, und gemeinsam betraten sie die Eingangshalle. Mit einem breiten Grinsen wurden sie von Maria empfangen. „Sachi, Adam!“ Sie nahm sie beide in den Arm und drückte sie an sich. „Herzchen, schön, dass ihr da seid. Los, los, gebt mir eure Jacken, ich räum sie weg.“ „Spielst du den Butler, Maria?“, fragte Adam verwundert. Mit ihr hätte er hier nicht unbedingt gerechnet. „So ungefähr, zusammen mit meinem Mann. Leon hasst es doch so, fremde Leute anzustellen. Er kriegt ja schon die Krise, weil hier so viele vom Catering rumlaufen.“ Sie schmunzelte. „Du willst bestimmt ganz schnell zu deinem Herzblatt, nicht wahr? Du musst ein wenig gucken, er läuft hier irgendwo rum. Das Schnuckelchen ist immer so wuselig bei solchen Gelegenheiten, ich frag mich, wie er immer noch so ein Charmeur bleiben kann. Ah, und holt euch was zu trinken. Der Champagner ist köstlich!“ Adam nickte und sah sich um. Leon war tatsächlich nirgends zu sehen, dafür aber gefühlte zehntausend andere Leute, die in feinen Anzügen und eleganten Roben herumstanden, vom Buffet naschten, an ihrem teuren Champagner nippten und vor sich hin tratschten. Zwischen ihnen wuselten zahlreiche Kellner herum, die den Gästen quasi die Wünsche von den Augen ablasen, noch bevor sie überhaupt wussten, dass sie welche hatten. Überall glitzerte und glänzte es, und obwohl ihn Sachiko und Claire so herausgeputzt hatten, kam er sich vor wie ein Elefant zwischen einer Schar eleganter Schwäne. Oder eine Kakerlake. Aber definitiv nicht die selbe Spezies. Leicht verkrampft drückte er sich näher an Sachiko. „Du sagst mir Bescheid, wenn ich in irgendein Fettnäpfchen trete, oder?“ Sie lächelte, während sie hier und da anderen Gästen grüßend zunickte. „Lächeln und winken, im Zweifelsfall. Und wenn dir nichts einfällt, sag was Intelligentes über das Wetter.“ „Haha!“ Mit einem Grinsen nahm sie einem der vorbeilaufenden Kellner zwei Gläser vom Tablett und drückte Adam eins davon in die Hand. „Entspann dich! Du bist hier, um Spaß zu haben.“ „Nein.“ Er sah sich immer noch suchend nach Leon um. „Um genau zu sein, bin ich hier, um für die Entspannung des Gastgebers zu sorgen, wenn ich es richtig verstanden habe.“ „Soso.“ Sachikos Grinsen vertiefte sich, während sie einen Schluck von ihrem Champagner nahm. „Wenn ihr beide dann plötzlich verschwunden seid, sollte ich euch auch besser nicht suchen gehen, oder?“ „Sachiko!“ Er merkte, wie ihm die Röte ins Gesicht stieg, doch genau in dem Moment fand er endlich, wen er suchte. Am Ende des Salons – der Raum auf der anderen Seite der Eingangshalle, gegenüber der Küche, den er tatsächlich nur während seinem Pflanzensitterdasein betreten hatte – erblickte er das blonde Haar seines Künstlers. Wie nicht anders zu erwarten, sah er umwerfend aus. Anstatt eines Anzuges trug er nur ein weißes Hemd mit einer eleganten, schwarzen Weste darüber und den dazu passenden Hosen. Seine Haare waren zu einem engen, französischen Zopf geflochten, und die Hemdsärmel hatte er bis zu den Ellbogen aufgekrempelt. Er wirkte wesentlich legerer als seine Gäste, und übertraf sie dabei in Eleganz und Charisma immer noch bei Weitem. Leon sprach mit einer älteren Frau, und während sie sich ihnen näherten, erkannte Adam auch sehr genau, wer es war. Sie hatte die selben rauchgrauen Augen mit dem stets arroganten Ausdruck. Das selbe weißblonde Haar, die selben Wangenknochen. Leons Mutter musste in ihrer Jugend eine Schönheit gewesen sein, und im Prinzip war sie es immer noch. Ihre aufrechte Haltung strahlte die Würde einer Königin aus, die genau wusste, wieviel Macht sie besaß. Und wie unwichtig der restliche Pöbel war. „Leon, da bist du ja!“ Sachiko löste sich von Adam und drückte Leon einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich an dessen Mutter wandte. „Frohe Weihnachten, Mrs. Constal!“ „Kasami.“ Adam schluckte. Die Frau wusste, wie man die Pole vom Schmelzen abhielt. Und das mit einem einzigen Wort. Er bewunderte sie fast dafür. Fast. Die frostige Begrüßung ignorierend zog Sachiko Adam näher heran. „Ich hab dir Adam mitgebracht. Und ich.. geh mir jetzt erstmal was zu Essen holen. Du passt auf ihn auf, ja?“ Auf dem Absatz kehrt machend rauschte sie davon und ließ Adam hilflos zurück. Er sah ihr einen Moment nach, bevor er sich Leon zuwendete. „Hi...“ Das Wort wollte kaum seine Kehle verlassen. Er wusste nicht, was er tun sollte? Leons Mutter begrüßen? Leon betrachtete ihn mit einem schiefen Grinsen. „Du siehst gut aus.“ Dann legte er ihm seine Hand auf den Rücken und drehte ihn zu Mrs. Constal. „Mutter, darf ich vorstellen, das ist Adam.“ Ihre Augen waren hart wie Stahl, während sie ihn musterte. Wie eine Ware, von oben bis unten. Er sah ihr förmlich an, wie sie ihn einsortierte, bewertete, in einer Kategorie ablegte. Und obwohl ihr Gesicht dem von Leon so verblüffend ähnlich war, fehlte ihr komplett die Wärme, die so häufig in seinen Augen lag. „Adam.“ Ihre Stimme war nur einen Ticken weniger kalt als bei Sachikos Begrüßung. Er hatte das dumpfe Gefühl, sie hatte ihn tatsächlich in der Kategorie Kakerlake abgelegt. Und wenn nicht Leons Hand auf seinem Rücken gelegen und ihn damit an Ort und Stelle gehalten hätte, wäre er mit Sicherheit genauso geflüchtet wie Sachiko. „Dein... neues Spielzeug?“ Ein Stich fuhr ihm durchs Herz, und er merkte, wie sich sein Magen zusammenkrampfte. Spielzeug. Anscheinend kannte sie auch nur Spielzeuge an der Seite ihres Sohnes. Doch Leons Grinsen vertiefte sich noch etwas, und ein fast schon sadistischer Zug umspielte seine Lippen. „Mein... Freund.“ Die Augen von Leons Mutter weiteten sich leicht vor Überraschung, und er sah Leon seine Selbstzufriedenheit an. „Freund? Ernsthaft?“ Adam musterte Leon für einige Sekunden, betrachtete den kalten Ausdruck in seinen Augen, das sardonische Grinsen, bevor er seinen Kopf senkte und den Boden anstarrte. Spielzeug. Im Moment war er tatsächlich nur ein Spielzeug. Nicht für Leons Entspannung, sondern nur dafür da, seine Mutter zu ärgern. Ein Werkzeug, nicht mehr. Ein wenig hatte er sich gefreut, dass Leon ihn zu der Party eingeladen hatte. Dass er ihn bei sich haben wollte, dass er sich durch seine Anwesenheit entspannen konnte. Er hatte tatsächlich gedacht, er wäre wichtig, er würde eine besondere Rolle spielen. Scheinbar hatte er seine eigene Bedeutung komplett überschätzt. Leons Mutter setzte gerade an, um etwas zu sagen – vermutlich etwas bissiges und unheimlich bösartiges –, wurde jedoch von einem hellen Aufschrei, der durch den ganzen Raum gelte, unterbrochen. Adam zuckte zusammen und drehte sich zum Quell des Schreis. „Onkel Leon!!!“ Eine Wolke aus weißen Rüschen und blonden Locken rauschte auf sie zu und sprang mit Anlauf in Leons Arme. Er fing das Mädchen gekonnt auf und wirbelte sie lachend durch die Luft. „Prinzessin! Du seid schon da?“ „Gerade gekommen!“ Sie bedeckte Leons Gesicht mit zahlreichen Küsschen und schlang ihre Arme eng um seinen Hals. „Ich hab dich sooooooo vermisst, Onkel Leon! Du besuchst uns viel zu selten! Und dein Haus ist so schön und groß und super!“ Leon lachte auf. Das selbe warme Lachen, das er Maria oder Sachiko schenkte. Adam verstand so langsam. Seine Mutter zu ärgern war scheinbar nicht der einzige Grund, warum er den Kontakt zu seiner Familie aufrecht hielt und bei diesen Machtspielchen mitmachte. „Wo sind deine Eltern?“ „Noch in der Eingangshalle. Sie unterhalten sich mit irgendwelchen besooooooonders wichtigen Leuten. Aber ich wollte zuerst dich sehen!“ Erst jetzt schien sie auch ihre Umgebung richtig wahrzunehmen und winkte Leons Mutter zu. „Hallo Großmutter!“ Dann widmete sie Adam ihre Aufmerksamkeit. Konzentriert runzelte sie die Nase, als ob sie versuchte, ihn mit ihrer Erinnerung abzugleichen und so herauszufinden, wer er war. Erst jetzt erkannte er sie auch. Leon hatte sie als Modell für das Mädchen auf der Schaukel genommen, eins der Gemälde, das er gesehen hatte, als er Leons Ausstellung besuchte. „Und duuuu bist?“ „Ehm... Adam. Hi...!“ Er lächelte zögerlich. Wie ging man mit Kindern um? Leon rückte seine Nichte auf seinem Arm etwas zurecht und betrachtete die Beiden milde. „Er ist mein Freund.“ „Dein Freund?“ Ihre grauen Augen wurden groß und rund. „Heißt das, ihr heiratet irgendwann?“ Ihr Onkel lachte leise auf. „Dass zwei Männer heiraten, ist nicht so einfach, Anna. Also nein, eher nicht.“ „Aber...“ Sie sah ihn wieder an, die Stirn gerunzelt. „Ihr habt euch lieb?“ Adam hielt den Atem an. Hatten sie sich lieb? Er merkte, wie Leons Augen sich leicht verdunkelten. Sturmgrau. Das war wohl die falsche Frage gewesen. „Komm, ich muss noch deine Eltern begrüßen.“ Leon wandte sich an Adam und seine Mutter. „Entschuldigt mich bitte.“ Mit seiner Nichte auf dem Arm verließ er den Salon, immer wieder links und rechts neue Gäste grüßend oder kurz einen Plausch haltend. Adam blieb einen Moment stehen. Er fühlte sich einsam, verlassen, und er wollte nicht wissen, welches Gesicht er gerade machte. Diesen Abend hatte er etwas anders erwartet. Er wusste nicht genau, wie, aber zumindest hatte er nicht damit gerechnet, dass es ihn so niederschmettern würde. Dabei war er im Prinzip gerade erst angekommen. Er spürte den Blick von Leons Mutter in seinem Rücken, der sich scheinbar bis in seine Seele bohrte. Mit einem verkrampften Lächeln wendete er sich ihr zu. „Ich... ehm...“ „Du machst dich nur selbst unglücklich, wenn du dich mit diesem Nichtsnutz einlässt.“ Sie betrachtete ihn nachdenklich. „Er benutzt dich nur, das ist dir klar, oder?“ „Das liegt wohl in der Familie“, presste er verärgert zwischen den Zähnen hervor. Diese Frau nahm ihm die Luft zum Atmen. Sie verzog ihre Lippen zu dem Ansatz eines Lächelns. „Das stimmt. Zumindest in der Hinsicht ist er ganz mein Sohn.“ Mit einem letzten Blick, der eine Mischung aus Abscheu und Mitleid beinhaltete – das Mitleid, das man einer niederen Kreatur entgegenbrachte – , ließ sie ihn stehen und gesellte sich zu Gästen, die eher ihrem Stand entsprachen. Adam atmete tief durch und sah sich um. Er fühlte sich verloren. Er kannte niemanden und er wollte auch niemanden kennen. So herausgeputzt wie er war gehörte er doch nicht dazu. Tatsächlich beneidete er Muse gerade sehr darum, dass er arbeiten durfte. Jetzt wäre er tausend Mal lieber im Paradise Hill, würde mit Muse und André scherzen, mit den Gästen schäkern, und nach der Arbeit zufrieden ins Bett fallen. Und nicht intelligente Sachen über das Wetter sagen und sich einfach nur wegen dem, was er war, oder, besser gesagt, was er nicht war, verurteilen lassen. Mit einem Seufzer machte er sich auf den Weg zum Buffet und legte sich einige der Snacks auf einen Teller. Allein dafür hatte sich der Besuch zumindest schon gelohnt. Die Hälfte der Schnittchen und Häppchen konnte er nicht mal benennen, aber sie schmeckten ungemein gut. Wie zu erwarten war, Leon wählte natürlich nur das Beste vom Besten. Fraglich, warum er sich dann gerade Adam als Partner ausgesucht hatte. Die negativen Gedanken beiseite schiebend wanderte er ruhelos durch die Villa. Dass sowohl das Atelier wie auch Leons Schlafzimmer abgeschlossen waren, hatte er sich schon gedacht. Seine beiden Heiligtümer, die Räume, die am Intimsten zeigten, wer er war, würde er natürlich nicht einer Masse von Fremden oder seiner heißgeliebten Familie öffnen. Sonst konnte man sich aber frei bewegen. Die meisten Gäste befanden sich jedoch im Erdgeschoss, da im Salon das Abendprogramm stattfand. Auftritte von Pianisten und Cellisten, eine Spendenaktion, wichtige Reden – das übliche Programm für eine Veranstaltung der Reichen und Schönen, wie Adam annahm. Ihn interessierte es nicht. Leon sah er immer nur flüchtig. Er wirkte tatsächlich wie ein Schmetterling, von einer Gästeblüte zur nächsten schwirrend, dort ein Gespräch, da ein nettes Lächeln. Kurz der Ehefrau von einem wichtigen Geldgeber über den Arm gestrichen, da einen Schluck Wein mit einigen vielversprechenden Emporkömmlingen getrunken. Falls er sich Adams Anwesenheit bewusst war, zeigte er es zumindest nicht. Er war ganz in seinem Element. Und Sachiko hatte sich in ein Gespräch mit einigen Leuten in ihrem Alter vertieft, vielleicht alte Freunde. Adam war tatsächlich allein. Verstimmt nahm er sich noch ein weiteres Glas Champagner und seinen Snackteller und begab sich ins obere Stockwerk, weg vom Getummel, dem Lärm, den Menschen. Eines der kleineren Gästezimmer schien verlassen. Es war dunkel, nur erleuchtet von dem Schein der außen angebrachten Lichterketten. Müde setzte er sich auf die breite Fensterbank, lehnte sich mit den Rücken gegen die Wand und starrte nach draußen. Der leise Schneefall untermalte den sanft beleuchteten Garten und das Gefühl von friedlichem Winter, fröhlichen Menschen und der ausgelassenen Stimmung. Die Unterhaltungen der Gäste drangen nur wie von Ferne zu ihm durch, gemischt mit der weihnachtlichen Musik, die im Salon gespielt wurde. „Merry Christmas und so...“ Er drückte seine Stirn gegen das kalte Glas. Seine Hochstimmung der letzten Tage war verschwunden. Das Bedrüfnis, das Haus und die Party zu verlassen, war nahezu übermächtig, aber es war ein kindisches Bedürfnis. Zumal seine Schuhe nicht unbedingt auf einen langen Spaziergang durch den Schnee ausgelegt waren. Er seufzte. Ein Spielzeug. Ein Werkzeug. Hatten sie sich lieb? Eher nicht. Leon wusste nur zu gut, wie er ihn benutzen musste. Wirklich, was für ein Idiot er doch war! Aber eigentlich hatte er es gewusst. Er hatte sich die letzten Tage in Tagträume geflüchtet, gedacht, dass es jetzt alles rosa und fluffig werden würde. Nicht ernsthaft, aber ernsthaft genug, um seine Hoffnungen unrealistisch werden zu lassen. Trotzdem... er biss die Zähne zusammen. Er würde nicht klein beigeben, sich nicht von dem ganzen Schein blenden lassen, von Leons Attitüde. Würde nicht zulassen, dass ihn Abende wie diese beirrten. Das, was hinter Leons Fassade immer wieder aufblitzte, wollte er endlich, endlich komplett sehen. Und dafür würde er weiter kämpfen. Hinter ihm öffnete sich leise die Tür. Für einen kurzen Moment schwoll der Geräuschpegel von draußen an, bevor die Tür wieder geschlossen wurde. „Hier bist du.“ Leon kam langsam zu ihm, lehnte sich mit dem Rücken gegen die Fensterbank und zündete sich eine Zigarette an. Im Schein der Lichterketten konnte er fast nur seine Konturen ausmachen. Kein Kuss, keine Berührung, nichts. Interessant. „Ist es dir draußen zu laut?“ Adam antwortete nicht, musterte ihn nur ruhig. „Willst du eigentlich irgendwann Kinder?“ Leon stutzte kurz, bevor er an seiner Zigarette zog. „Warum fragst du?“ „Du scheinst deine Nichte sehr gerne zu haben.“ „Ja, das tu ich.“ Er lächelte. „Sie ist ein süßes Mädchen. Aber ich bin wohl eher nicht als Vater geeignet.“ „Hm.“ Adam zuckte mit den Achseln. „Für die, die du liebst, tust du doch alles. Du würdest für sie durch die Hölle gehen. Deine Kinder würden doch dazu gehören, oder?“ „Vermutlich.“ Leon sah ihn von der Seite an. „Warum fragst du das? Willst du mir sagen, ich soll mir eine Frau suchen, heiraten und Kinder kriegen? Du?“ „Nein.“ Er lehnte den Kopf gegen die Wand und betrachtete Leon, seine Wangenknochen, die schlanken Finger, die die Zigarette hielten, die goldenen Strähnen. Wie sehr er doch diesen Mann liebte. Und wie sehr er sich schon an diesen Schmerz gewöhnt hatte. „Du hast mich gar nicht zur Entspannung herbestellt, nicht wahr? Du wolltest nur deine Mutter verärgern.“ „Adam...“ „Streit es nicht ab. Ganz so blöd, wie du denkst, bin ich nicht.“ Seine Stimme war erstaunlich ruhig. Eigentlich hätte er wütend sein sollen. Vor einigen Wochen wäre er es noch gewesen und hätte Leon angeschrien. Aber auch er lernte dazu. Leon musterte die glühende Spitze seiner Zigarette, fast schon gelangweilt. „Das Problem ist, dass du immer machst, was ich dir sage. Du bist so besessen von mir – das, was du Liebe nennst –, dass du mir so sehr gefallen möchtest, dass du dich selber dabei vergisst.“ Er lächelte. „Wenn ich dir sagen würde, blas mir einen, hier und jetzt, würdest du es auch tun.“ Adam schwieg für einen Moment, betrachtete seinen Künstler. Betrachtete seine Konturen, das Schattenspiel auf seinem Gesicht, das seine emotionslosen Züge unterstrich. Er atmete langsam aus. Ließ sich von der Fensterbank gleiten und stellte sich vor Leon. Er ignorierte seinen überraschten Gesichtsausdruck, strich mit seinen Fingerspitzen über Leons Hals, die Schlüsselbeine, seine Brust, weiter nach unten. Fühlte den teuren Stoff unter seiner Haut, die Muskeln, die sich darunter abzeichneten. Kniete sich hin und öffnete gemächlich den Hosenknopf, streifte die Hose ein wenig nach unten, nur so viel, wie wirklich nötig war. Ohne seinen Blick von Leons Gesicht abzuwenden, von seinen glitzernden Augen, tippte er mit der Zunge kurz seine Eichel an. Umspielte sie, knabberte leicht daran, spürte an seinen Lippen, wie das Glied steif wurde. Ein leises Stöhnen entfuhr Leon. Ausdruckslos vergrub er seine Finger in Adams Haaren, hielt ihn fest, so dass er nicht mehr entkommen, keinen Rückzieher mehr machen konnte. Als ob er das gewollt hätte. Ruhig umschloss er den Schaft mit seinen Mund. Von draußen war die Musik zu hören, das Stimmengewirr, das ein oder andere Lachen. Es konnte jederzeit jemand eintreten. Ihre kleine Ruheinsel stören. Aber niemand kam. Leon legte genußvoll den Kopf nach hinten, gab sich ganz dem Gefühl der weichen Lippen, der feuchten Zunge hin. Sein Griff in Adams Haaren wurde für einen Moment fester, bevor er zärtlich anfing, seinen Nacken zu streicheln. Adam senkte leicht seine Lider, nahm seinen Blick jedoch nicht von Leons Gesicht, von seiner Erregung, den vollen Lippen, die einen kleinen Spalt geöffnet waren. Die Ader an seinem Hals pochte, die Brust hob und senkte sich immer stärker. Adam fuhr mit seinen Händen langsam an den Lenden hoch, über die weiche Haut, unter sein Hemd. Legte sie auf Leons Bauch, spürte, wie er immer heftiger atmete. Er löste kurz seinen Mund von Leons Glied, betrachtete es für einige Sekunden, wie es im fahlen Licht glänzte, feucht von seinem Speichel. Sah, wie Leon ihn anstarrte, atemlos. Fordernd. Auf Adams Lippen stahl sich der Anflug eines zufriedenen Lächelns, bevor er sie wieder um den Schaft schloß. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sich Leons Bauchmuskeln unter seinen Händen kurz verkrampften, und sich im nächsten Moment ein bitterer, salziger Geschmack in seinem Mund ausbreitete. Leon keuchte leise, ließ seine Hand für einige Sekunden auf Adams Nacken liegen, die Augen geschlossen. Kurz verharrte Adam in seiner Position, bevor er laut schluckte. Langsam stand er auf, nahm einen Schluck aus seinem Champagnerglas und strich sich vorsichtig über den Mund. Leon lehnte immer noch am Fensterbrett, beobachtete jetzt jede seiner Bewegungen. Er strich sich seinen Anzug zurecht, glättete die Falten, kämmte sich mit den Fingern seine Haare wieder ordentlich nach hinten. Er hielt kurz inne, trat dann einen Schritt näher zu Leon, nah genug, dass sie sich fast berührten. Nur fast. „Du irrst dich. Ich tue immer nur das, was ich auch tun möchte.“ Er lächelte. Seine Stimme war nur ein leises Flüstern. „Ich bin müde. Gib mir deinen Zimmerschlüssel.“ Er bemerkte, wie Leon versuchte, in seiner Mimik zu lesen, in seinen Augen, seiner Stimme. Und es befriedigte ihn ungemein, dass er es nicht schaffte. Wortlos kramte er aus seiner Tasche den kleinen Schlüsselbund hervor, für das Schlafzimmer und das Atelier, und ließ ihn in Adams offene Hand fallen. Adam nickte leicht, wie zum Dank, drehte sich dann um und verließ das Zimmer. Das Licht auf dem Flur blendete ihn im ersten Moment. Die Geräuschkulisse schien ohrenbetäubend, die vielen Menschen, ihr lautes Lachen, ihr falsches Lächeln. Es bereitete ihm Kopfschmerzen. Diese ganze, fadenscheinige Welt bereitete ihm Kopfschmerzen. Er musste den Drang unterdrücken zu rennen, und ging bemüht ruhig zu Leons Zimmer, schloß auf und flüchtete sich in die Ruhe, die dort herrschte. Sofort umfing ihn Leons Präsenz. Sein Duft nach Zigarettenrauch und Aftershave, sein herber Eigengeruch. Erschöpft sperrte er ab – er wusste, Leon hatte einen Ersatzschlüssel, und er legte wirklich keinen Wert drauf, dass sich ein betrunkener Gast doch hierher verirrte –, zog sich komplett aus und kuschelte sich unter die Bettdecke. Er spürte noch Leons Finger in seinem Nacken, in seinem Haar. Hörte das leise Keuchen. Sah die Überraschung in seinen Augen aufleuchten. Und bereute es ungemein, dass sein Künstler den perfekten Gastgeber spielen musste. Er lächelte, bevor er langsam einschlief. Leons Fassungslosigkeit war tatsächlich das perfekte Weihnachtsgeschenk. Ein leises Klack und das Klimpern von Schlüsseln weckte ihn. Ohne den Kopf zu heben sah er auf die Digitaluhr, die auf dem Nachttisch stand. Kurz vor fünf Uhr. Die Party war wohl vorbei. Adam schloß wieder die Augen, lauschte nur Leon, wie er im Zimmer hin- und herging. Leon bemühte sich nicht, leise zu sein, doch das war auch gar nicht nötig. Es fiel ihm jetzt erst auf, dass er eigentlich immer leise war. Jede seiner Bewegungen war bedacht, nie mehr als nötig, aber immer genau richtig. Sein Hemd raschelte leise, während er seinen Zopf löste und sich durch die langen Haare fuhr. Ruhig zog er sich aus, legte die Kleidung ordentlich über einen Stuhl, und glitt behutsam unter die Decke. Einen Moment später spürte er seine Wärme an seinem Rücken, den Arm, der sich um seine Brust legte und ihn näher zu sich heran zog. Der Atem an seinem Ohr war geschwängert von Zigarettenrauch und einer Mischung aus Wein und Champagner. Langsam drehte sich Adam zu ihm, schmiegte seinen Körper an Leons, streichelte sanft seine Wange. Er wirkte müde. Zu oft falsch gelächelt, zu viel sinnlos geredet. Zu viele Berührungen, die ihm nichts bedeuteten, zu viele Schicksale, die ihm egal waren. Sie küssten sich. Lange, sacht, weich. Adam hatte gedacht, Leon würde wütend sein. Fordernd, rau, hart. Aber er hatte sich geirrt. Er war sanft, zärtlich, noch zärtlicher als sonst. Fragend. Er erkundete jeden Zentimeter von Adams Körper aufs Neue, als ob er ihn noch nie gesehen hätte. Trotz seiner Erschöpfung ließ er sich Zeit. Übersäte seinen Körper mit flüchtigen Küssen, steigerte langsam ihre Erregung, brachte sie vorsichtig zum Höhepunkt. Danach kuschelte er sich an Adams Brust. Adam drehte sich auf die Seite, zog Leons Kopf näher zu sich heran, umfing ihn mit seinen Armen und vergrub sein Gesicht in den blonden Haaren. Sie hatten nicht ein einziges Wort geredet, doch das war auch nicht nötig gewesen. Sie hatten nur die Stille gebraucht. Bald hörte er nur noch Leons regelmäßigen Atem, spürte den warmen Hauch auf seiner Brust. Er küsste sanft seinen Scheitel. Es wäre so viel einfacher, für diesen Mann nur ein Spielzeug zu sein. Aber einfach wollte er nicht. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)