Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 32: ------------ Der Duft von Kaffee empfing Adam, als er die Haustür von Leons Villa öffnete, und aus der Küche hörte er leise Musik. Er sah kurz auf die Uhr. Er war eine viertel Stunde zu früh, aber... naja, sie waren jetzt ein Paar, oder? Da war Pünktlichkeit nicht so wirklich relevant... oder? Während er seine Sachen ablegte, runzelte er unzufrieden die Stirn. Wobei er von ihrem Pärchendasein noch nicht wirklich überzeugt war. Seit der einen Nacht, in der Leon bei ihm gewesen war, über eine Woche vergangen. Die Modellstunde am Donnerstag war entfallen, weil Leon irgendwelche Dinge organisieren musste. Die unheimlich wichtig gewesen sein mussten, wenn er seine Kunst dafür zurückstellte. Und am Wochenende hatten sie ein Kinodate gehabt. Zugegeben, es war ein schöner Abend gewesen, mit vorherigem Restaurantbesuch und einem interessanten Film, aber.. ernsthaft, er hatte nicht mal die Nacht mit Leon verbracht! Und heute trafen sie sich auch nur wegen der Modellstunde. Wie erwartet beantwortete Leon auch kaum eine der Nachrichten, die Adam ihm schrieb. Nur die Wichtigsten in aller Kürze. Kein Guten Morgen, Gute Nacht, Was machst du so... Es war zum Haare raufen. Er musste vorsichtig sein, um nicht zu gierig zu werden, das wusste er, aber ernsthaft... er hatte das Gefühl, dass er Leon seltener sah als vorher. Aber wenigstens hatte er ihm den Schlüssel zu seinem Haus wiedergegeben. Wenn das mal nicht ein Zeichen seiner tiefen, unendlichen Liebe war... Leise vor sich hingrummelnd betrat er die Küche. Leon stand über den Küchentisch gebeugt, der übersät war mit Skizzenblättern. Skizzen von Adam. Unzufrieden schob er sie hin und her, betrachtete das ein oder andere Blatt genauer und legte es wieder zur Seite. Seine Stirn hatte er konzentriert gerunzelt. „Ich brauche Aktzeichnungen von dir, sonst wird das nichts.“ Er schaute nicht mal vom Tisch auf. Adam gab einen wütenden Laut von sich. „Dir auch einen schönen Tag, mein Schatz!“ Leon zuckte leicht zusammen und sah ihn dann verwirrt an, so als ob er gerade weit weg gewesen wäre. „Oh... ich hab dich gar nicht gehört.“ Adam seufzte, trat zu ihm und gab ihm einen flüchtigen Kuss. „Aber du hast mit mir geredet?“ „Ja, anscheinend.“ Er blinzelte ein paar Mal, immer noch verwirrt. „Schokolade?“ „Mhm.“ Während Leon in der Küche rumwerkelte, betrachtete Adam die Skizzen vor sich. Irgendwie war es peinlich, sich selber in so vielen verschiedenen Ausführungen vor sich zu haben, aber schon anhand der Skizzen konnte er, selbst als Laie, erkennen, wie talentiert Leon war. Es brannte ihm unter den Fingernägeln, das fertige Werk zu sehen. „Du hast so viele. Stellt dich davon nichts zufrieden?“ „Nein. Es ist nichts dabei, was ich gebrauchen kann.“ Leon gab einen unzufriedenen Seufzer von sich. „Die Ausstellung beginnt im Februar, so viel Zeit bleibt nicht mehr.“ Mit einem Blick auf eine Abbilung, bei der Adam sich lasziv und mit nacktem Oberkörper auf einem der Diwane räkelte, grinste er Leon an. „Das letzte Mal, als du einen Akt von mir zeichnen wolltest, bist du nicht weit gekommen. Glaubst du etwa, diesmal klappt es besser?“ „Ts.“ Leon betrachtete ihn für einen Moment mit einem undefinierbaren Blick, bevor er zu ihm trat, seine Finger in seinen Haaren vergrub und Adams Kopf leicht nach hinten zog, so dass seine Kehle freilag. Sanft biss er in die zarte Haut, bevor er mit der Zunge darüber leckte und leicht an der Stelle saugte. Adam erzitterte kurz und krallte sich in Leons Hemd fest. „Wer sagt denn, dass ich mich nicht vorher ein wenig austobe?“ Er fuhr mit den Zähnen über sein Ohrläppchen. „Oder danach?“ Seine Augen verdunkelten sich, und ein verschmitztes Lächeln umspielte seine Lippen, während er Adam küsste. „Oder zwischendrin?“ „Okay, okay, okay, ich hab's kapiert.“ Adam trat einige Schritte zurück und atmete ein paar Mal tief durch. Sein Gesicht brannte. „Aber nicht jetzt und nicht hier, oder?“ Der Künstler ließ seinen Blick süffisant durch die Küche schweifen. Er blieb kurz am Küchentisch hängen. „Nein, die Skizzen würden dreckig werden. Das will ich nicht.“ „Leon... du lässt mich ernsthaft seit über einer Woche zappeln, setzt mich am Samstag brav zuhause wieder ab, ohne auch nur eine zweideutige Bemerkung zu machen, und willst mich jetzt quasi durchs Haus vögeln? Ernsthaft?“ „Hm...“ Leon zog belustigt eine Augenbraue hoch. „Ich habe deine ungeblümte Wortwahl vermisst.“ Er schloß kurz die Augen und rieb sich die Nasenwurzel. Erst jetzt bemerkte Adam, dass er müde wirkte. „Ich war etwas zu beschäftigt, um sich meinem... unserem Sexleben zu widmen.“ „Womit?“ „Mhm.“ Er gähnte leicht und wendete sich wieder Adams heißer Schokolade zu. „Was hast du die Weihnachtsfeiertage vor?“ Adam stutzte durch den plötzlichen Themenwechsel „Ehm... am 24ten verbringe ich den Abend mit meinen Eltern und Muse... und die anderen Tage... nichts.“ „Muse?“ Leon warf ihm einen verwunderten Blick zu. „Warum feiert Muse mit euch?“ Unwillig verschränkte Adam die Arme und ließ sich am Küchentisch nieder. „Weil... Muse kein gutes Verhältnis zu seiner Familie hat.“ „Das heißt?“ Er konnte förmlich den Frost in Leons Stimme hören. „Sein Vater hat seit seinem Outing vor.. uhm, zwei Jahren kein Wort mehr mit ihm geredet. Seine Mutter spricht nur das Nötigste mit ihm, und seine kleinen Brüder wissen gar nicht, warum die Eltern sich so komisch ihm gegenüber benehmen, also meiden sie ihn auch. Die Familie fährt über die Feiertage weg... ohne ihn, und da er sonst alleine wäre, ist er am 24ten bei uns. Die anderen Tage arbeitet er...“ Er hatte es hastig ausgesprochen, ohne auch nur Atem zu holen. Über Muse' Familienverhältnisse hatte er selber erst vor kurzem erfahren, nachdem er mal nachgehakt hatte, warum sie sich nie bei ihm trafen. Nun, die Antwort war alles andere als erquickend gewesen, aber Muse hatte es mit einem schiefen Grinsen erzählt. So, als ob er sich bereits daran gewöhnt hatte. Als ob man sich jemals an sowas gewöhnen konnte. Leons Schultern versteiften sich ein wenig. Wie erwartet. Es unterstrich wohl nur sein Bild von Muse als unsicheren, labilen Jungen, der mit sich und der Welt nicht klar kam, und damit kein adäquater Umgang für Adam war. Aber er verlor kein weiteres Wort darüber. „Wie auch immer... ich hätte gerne ein Weihnachtsgeschenk von dir.“ „Ein... Weihnachtsgeschenk?“ Adam sah überrascht an. „Eh.. gerne, okay... aber... was kann ich dir kaufen, was du dir nicht selber kaufen kannst?“ „Nichts.“ Er grinste. „Du sollst mir auch nichts kaufen. Du sollst mich mit deiner Anwesenheit beglücken.“ Leicht genervt verdrehte die Augen. „Ich richte gezwungenermaßen am 25ten eine Weihnachtsparty aus. Wird ein großes Event mit ganz vielen ganz tollen und einflussreichen Leuten. Elegant, edel, abgehoben. So, wie man sich eine High Society-Party vorstellt. Und ich brauche dringend einen Ausgleich, um den Abend durchzustehen. Zumal meine Familie auch kommt.“ „Deine...“ Adam schluckte. Er hatte sich verhört, oder? Bitte, bitte, er hatte sich verhört! „Deine... Familie?“ „Meine Mutter und mein Bruder mit seiner Familie, ja.“ „Oh...“ Oh... what the fuck? Er sollte Leons Familie kennenlernen? Ernsthaft? Wie sollte er sich das vorstellen? Hallo, ich bin Adam, ich bin der – vielleicht irgendwie auf ganz komische Art und Weise – geliebte Freund von Ihrem Sohn, ich habe keine Ahnung von nichts und weiß nicht mal, wie man die goldene Gabel richtig hält, aber darf ich Sie Mama nennen? Ihm wurde schlecht. „Adam, ich weiß ja nicht, woran du gerade denkst, aber klapp bitte wieder deinen Mund zu.“ „Ich soll deine Familie kennenlernen?“ Seine Stimme klang fiepsiger als geplant. Leon strich sich mit beiden Händen übers Gesicht und seufzte schwer. „Ernsthaft, hör auf damit. Ich verlange es als Weihnachtsgeschenk, weil das ein wirklich großes Opfer ist. Meine Familie ist in nichts, wirklich nichts mit deiner Familie zu vergleichen. Mein Bruder ist ja noch halbwegs erträglich, aber vor meiner Mutter wirst du vermutlich schreiend wegrennen wollen. Wenn du mich schon für arrogant hältst, hast du die beiden noch nicht erlebt. Für sie gibt es nur Geld. Alles, was sich nicht in handfesten Zahlen ausdrücken lässt, ist wertlos. Jeder, der nicht wenigstens eine goldene Rolex trägt, einen Rolls Royce besitzt und einen eigenen Butler hat, ist wertlos. Meine Mutter hätte mir fast den Kopf abgerissen, als sie erfuhr, dass ich kein Personal habe. Du bist für sie bestimmt nicht der heiß geliebte zukünftige Schwiegersohn, sondern bestenfalls eine Kakerlake, deren Anwesenheit sie gezwungenermaßen ertragen muss.“ Adam betrachtete ihn. Er hatte die Kiefermuskeln angespannt, und seine Augen hatten einen harten Glanz. Anscheinend versetzte schon allein der Gedanke an seine Familie ihn in Wut. „Und warum machst du das dann? Also, die Party?“ Der Künstler zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter legt großen Wert auf ihr Image. Und damit es nicht ganz so offensichtlich wird, wie wenig sie von mir hält, muss ich wenigstens ab und zu so tun, als ob ich zur Familie gehöre. Das heißt, regelmäßig auf Partys auftauchen, regelmäßig eigene veranstalten. Sie sagt mir, wann sie mich gerne wo hätte, und in neunzig Prozent der Fälle erfülle ich ihr ihren Wunsch. Sonst hätte sie mich vermutlich schon enterbt.“ Adam stützte nachdenklich sein Gesicht auf seiner Hand ab und schob die Skizzen vor ihm unruhig hin und her. Seine anfängliche Euphorie war direkt verpufft, und... ja, was? Einem unguten Gefühl im Bauch gewichen. „Ist dir ihr Geld so wichtig? Bist du darauf angewiesen?“ „Nein. Mit meinen Werken verdiene ich mehr als genug, um meinen Lebensstil so zu pflegen, wie ich es gerne hätte.“ Seine Augen funkelten. „Nenne es eine krude Art der Rache, dafür, dass ich sie als Mutter ertragen muss. Ich weiß, wie sehr es sie fuchst, jedes Mal, wenn ich ihr Geld ausgebe. Aber solange ich meine Rolle als pflichtbewusster Sohn spiele, wäre es ein zu großer Imageschaden, wenn sie mich enterben würde. Also spiele ich weiterhin meine Rolle und genieße den Gedanken, wie sehr sie sich in ihrem zukünftigen Grab umdrehen wird.“ „Warum?“ Nervös tippte er auf dem Tisch rum. Er war sich nicht sicher, wie viel er fragen durfte, ohne bei Leon auf dünnes Eis zu geraten. „Warum habt ihr so ein schlechtes Verhältnis?“ „Ich entspreche nicht ihren Erwartungen.“ Leon runzelte verwirrt die Stirn, und betrachtete dann die Tasse mit Adams heißer Schokolade, die inzwischen abgekühlt war und die er komplett vergessen hatte. „Für sie sind Zahlen wichtig. Jemand, der die Firma führen kann. Jemand wie mein Bruder, mit dem entsprechenden mathematischen und technischen Verständnis. Kein kleiner Junge, der nur bunte Bilder malen kann.“ Im letzten Satz schwang ein leiser Schmerz mit. Gemischt mit Zorn, Wut, Ablehnung. Und so viel mehr, doch Adam ahnte, dass er nicht an diesen Wunden rühren sollte. Zumindest noch nicht. „Mhm.“ Er versuchte, seine Gedanken zu sortieren. „Womit... was macht deine Familie eigentlich, dass ihr so reich seid?“ „Ehm.“ Leon neigte nachdenklich seinen Kopf zur Seite. „Irgendwas... mit Computern. Oder Software. Oder... beides?“ Adam sah ihn verdutzt an. „Was? Du weißt es nicht?“ Der Künstler zuckte mit den Schultern. „Das ist nicht ganz richtig. Ich verstehe es nicht. Mein Bruder hat schon vor Jahren aufgegeben, es mir zu erklären. Das ist einfach... nicht meine Welt. Es interessiert mich auch nicht sonderlich. Es hat irgendwas mit Technik zu tun, und dafür bin ich nicht geeignet.“ „Du... bist nicht für Technik geeignet?“ Er verdrehte die Augen. „Richtig.“ Fast schon verlegen strich er sich einige Strähnen hinters Ohr und musterte höchst interessiert seine Fingernägel, während er leise vor sich hinmurmelte. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass ich nicht sehr viel Technik hier rumstehen habe? Sachi nennt mich den größten DAU, den sie jemals getroffen hat. Ehrlich gesagt bin ich froh, dass ich meinen BluRay-Player noch selber bedienen kann und mir die Mikrowelle bisher nicht um die Ohren geflogen ist. Wenn was mit dem Handy ist, lass ich es Sachi machen oder gehe zu einem Profi. Ich mag keine Technik, und die Technik mag mich nicht.“ Er sah auf und fixierte Adam, der ihn nur aus großen Augen ansah. „Wenn du lachst, schmeiß ich dich raus.“ Adam schüttelte nur den Kopf, legte sich jedoch eine Hand vor den Mund, um sein Grinsen zu unterdrücken. „Ich meine es ernst!“ Er konnte nicht mehr. Mit einem Keuchen brach das Lachen aus ihm raus. Er hielt sich den Bauch, während er versuchte, zu Atem zu komme, doch er konnte einfach nicht aufhören. Leon! Der große, alleskönnende, bestaussehendste und arroganteste Leon! Die Verführung in Person, der coolste, und beste, und sexieste Mann aller Zeiten... stand auf Kriegsfuß mit Technik! Selbst mit der einfachsten Technik eines Handys, das jeder Fünfjährige benutzen konnte! Es dauerte einige Momente, bis er sich wieder im Griff hatte. In der Zeit fixierte Leon ihn mit zusammengekniffenen Augen, während er am Küchentresen lehnte und die Arme verärgert verschränkte. Sein Blick war kalt, eiskalt, doch das störte Adam nicht. Diesmal nicht. Mit einem verschmitzten Lächeln stand er auf und stellte sich vor Leon. Sanft strich er ihm über die Ohrmuscheln. „Adam...“ Leons Stimme glich einem Knurren, doch er ignorierte es. „Ich hab etwas Neues über dich erfahren.“ „Dass Technik und ich nicht miteinander können?“ „Nein.“ Adam schnurrte fast. „Wenn dir etwas peinlich ist, wirst du nicht rot, nicht richtig zumindest.“ Er lächelte. „Aber die Spitzen deiner Ohren. Sie sind dunkelrot.“ Und wurden es just in diesem Moment noch etwas mehr. Leon wollte ein wenig zurückweichen, einen erschrockenen Ausdruck in den Augen, doch Adam ließ es nicht zu. Er küsste ihn zärtlich, strich sanft an seinen Ohren entlang über die Wangenknochen, und verschränkte dann seine Arme hinter Leons Nacken. Er spürte, wie sein Widerstand langsam wegbrach, bis Leon ihn schließlich enger an sich zog und den Kuss vertiefte. „Du bist unmöglich...“ Leons Stimme war heiser. In seinen Augen lag ein fiebriger Glanz, gierig. „Mhm.“ Und er war es unheimlich gerne. --- Langsam gingen die Lichterketten an den einzelnen Ständen an. Sie tauchten den Weihnachtsmarkt in warmes Orange, und gaben der Szenerie eine heimelige Stimmung. Die Besucher waren ausgelassen, und ließen sich noch nicht mal von dem leichten Schneefall stören. Adam konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal auf einem Weihnachtsmarkt gewesen war. Irgendwann als Kind mit seinen Eltern vermutlich. Aber eigentlich änderten sie sich auch nicht. Jedes Jahr die gleiche Musik, die gleichen Stände, die gleichen Leute. Trotzdem, irgendwie fand er es ganz nett. Auch wenn er sich nicht so sonderlich wohl fühlte in großen Menschenmengen, diesmal ging es. Er war nicht allein. „Hier!“ Muse hielt ihm einen der beiden To-Go-Becher hin, den er grad an einem der Stände geholt hatte. Heiße Schokolade für Adam, Kaffee für Muse. Adam lächelte und schloß die Finger um den heißen Becher. In der Kälte genau das Richtige. „Danke.“ Sie schlenderten weiter, immer wieder einen Blick auf die Auslage der Buden werfend, aber nicht wirklich interessiert. Keiner von beiden hatte so richtig Lust, irgendwas einzukaufen. Sie wollten nur zusammen was unternehmen. „Hast du eigentlich inzwischen mit André gesprochen? Über deinen neuen Beziehungsstatus?“ „Mhm. Gestern bei der Arbeit.“ Er nahm einen Schluck von seiner Schokolade. „Nur kurz, aber.. ich weiß nicht. Er meinte, ich soll mir keine Sorgen machen. Er sei ja schon ein großer Junge und so.“ Er lachte leise auf. „Keine Ahnung, ob Liebeskummer leichter zu ertragen ist, wenn man älter wird. Jedenfalls wirkte er nicht so wahnsinnig bekümmert. Vielleicht... war es ihm doch nicht so ernst.“ „Hm.“ Muse sah Adam von der Seite an, ein schiefes Lächeln auf den Lippen. „Ich glaube nicht. André wirkt wie ein Spieler, ja. Es geht ihm um Spaß, und eigentlich will er nur eine gute Zeit verbringen. Aber...“ Er überlegte. „Mit dir war es ihm schon ernst. Er hat in den letzten Wochen keinen Typen mehr abgeschleppt, und das will schon was heißen. Normalerweise geht er nicht alleine nach Hause.“ „Ach, das ist doch Scheiße.“ Adam verzog unwillig den Mund. „Ich will mit ihm einfach nur befreundet sein. Ganz normal, wie mit dir.“ „Mach dir keine Sorgen. Auch wenn André jetzt erstmal ein gebrochenes Herz hat, er kommt damit schon zurecht. Er ist ein guter Kerl, von seiner Seite aus wird es keine Probleme machen. Wenn du dich normal verhältst, tut er es auch.“ Ihm fiel Andrés Blick ein, in der einen Nacht, als er ihm gesagt hatte, was er für ihn fühlte. Die Resignation, diese Verletztheit. Er war wirklich gut in der Lage, diese Gefühle zu verbergen. Zu gut, vermutlich. Im Paradise Hill oder wenn sie zusammen unterwegs waren, unter Freunden und auf der Tanzfläche war er immer der Stimmungsmacher, der fröhliche, gut gelaunte Typ, der gerne flirtete, scherzte, und einen aus negativen Gedanken herausriss. Der für einen da war, aufmunterte, zuhörte. Er fragte sich, wie es war, wenn André allein in seinem Loft war. Ohne Gesellschaft, nur für sich. Gab es da auch schlaflose Nächte, in denen er Gedanken hin- und herwälzte? Und wer hörte ihm dann zu? „Da du ja eh bald in Leons Familie eingeführt wirst, macht es eh keinen Sinn, wenn André sich noch weiter Hoffnungen macht.“ Muse grinste, als Adam ihn leicht in den Arm boxte. „In Leons Familie eingeführt, dass ich nicht lache. Wenn ich ihm glauben darf, kommt seine Mutter aus den tiefsten Tiefen der Hölle und ist ein siebenköpfiges Monstrum, das Gift speit und kleine Kinder zum Nachtisch frisst. Ernsthaft, ich hab ein bisschen Angst vor ihr.“ „Von Leon vernascht und von seiner Mutter gefressen... klingt doch traumhaft!“ „Haha!“ Adam zog einen Schmollmund, musste aber lächeln, als Muse loslachte. Er hakte sich bei ihm unter, bemerkte jedoch, wie dieser plötzlich langsamer wurde, und sein Lachen erstarb. Überrascht sah er ihn an, und folgte seinem Blick, der auf eine Person gerichtet war, mitten in der Menge, umgeben von den anderen Besuchern des Weihnachtsmarktes. Ein Mann in einem einfachen Anzug. Er trug eine Brille, und seine braunen Haare waren leicht verstrubbelt. Ein Allerweltsgesicht, total unauffällig, und dann irgendwie doch nicht. Ihm fielen Muse' Worte wieder ein. Sie starrten sich einige Sekunden lang schweigend an, Philip mit einem Gesichtsausdruck, der erschrocken, fast schon panisch wirkte. Als eine Frau – seine Frau – ihm eine Hand auf den Arm legte und ihn ansprach, drehte er sich weg, wendete sich ihr zu. Sagte etwas, mit einem verlegenen Gesicht und einem Lachen, und Sekunden später verschwanden sie wieder im Gewusel. Wie Geister, nicht wirklich da. Nicht wirklich greifbar. Adam bemerkte, dass er ja bei Muse eingehakt war, und gab einen erschrockenen Laut von sich. „Er... wird das doch nicht missverstanden haben, oder? Er sah so geschockt aus.“ „Nein.“ Muse' Stimme war nur ein Flüstern. „Er war geschockt, weil es mich tatsächlich auch in der realen Welt gibt. Außerhalb unserer Dates. Da, wo seine Frau mich treffen könnte... wo ich seine Familie zerstören könnte...“ „Aber..“ Er wusste nicht, was er sagen sollte. „Schon okay.“ Ein schiefes Lächeln, unsicher. „Lass uns weitergehen.“ „Muse...“ Adam hielt ihn fest und drehte ihn zu sich. „Warum? Warum lächelst du, wenn du eigentlich... weiß nicht... heulen solltest? Schreien? Wütend werden?“ Muse lächelte sanft. Traurig und sanft. Seine braunen, liebevollen Augen glänzten leicht. „Weil es auch nichts ändern würde. Ich muss geduldig sein. Irgendwann...“ Er stockte. „Irgendwann wird es besser werden. Er ist noch nicht bereit dazu. Irgendwann wird er den Mut haben und dazu.. zu uns stehen. Ganz sicher. Und so lange muss ich ihm Zeit lassen.“ Es klang wie ein Mantra, das er sich immer wieder und wieder und wieder vorsagte. Leise, wenn der Schmerz, die Sehnsucht zu groß wurde. Irgendwann. Ganz sicher. Adam sah ihn ungläubig an, und vergrub dann sein Gesicht an Muse' Schulter. Er spürte, wie Muse ihm tröstend durch die Haare fuhr. Es war so absurd. Eigentlich sollte er ihn trösten. Am liebsten würde er für ihn schreien, für ihn weinen. Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er wusste, Muse liebte Philip über alles. Er wusste, er sollte ihn mögen, weil er Muse Freund war. Ihn akzeptieren, sich freuen, wenn sie sich sehen konnten. Aber er wusste beim besten Willen nicht, wie er diesen Mann nicht hassen sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)