Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 28: ------------ „Ignorieren.“ „Ja, ja, ich versuch’s.“ Adam verdrehte genervt die Augen und warf noch mal einen Blick zu dem Kerl, der am Tresen stand und ihn mit einem schleimigen Grinsen ansah. Ihm den Rücken zuwendend, nahm er einige der dreckigen Gläser, die auf der Tresenoberfläche standen, und verschwand in der Küche. Ihm machte die Arbeit hier wahnsinnigen Spaß, aber einige der Kunden schienen die Barkeeper als Freiwild anzusehen. Zwar waren einige Flirtversuche durchaus schmeichelhaft, doch so was wie „Ist dein Arsch für heute Nacht noch frei?“ war nicht gerade das, was Adam unter einem Kompliment oder einer anreizenden Anmache verstand. Er seufzte. Seine Kollegen konnten damit umgehen und mit einem frechen Spruch diese Kunden abservieren, ihm fehlte jedoch die Routine. Also verzog er sich lieber nach hinten zu dem Geschirr und wartete möglichst, bis die Luft wieder rein war. In der Küche stellte er erst mal die Gläser neben das Spülbecken und öffnete das Fenster. Die meisten Raucher qualmten zwischen der Arbeit hier eine, weswegen der Rauch hier immer recht dicht die Luft verpestete. Und er als einziger Nichtraucher neben Muse durfte regelmäßig lüften, um halbwegs vernünftig atmen zu können. Seltsam, bei Leon war Zigarettenrauch ein Bestandteil seines Geruchs, den Adam liebte. Bei anderen war es nicht mehr als penetranter, nervtötender Gestank. „Arg, verdammt.“ Mit einem entnervten Laut pfefferte er den Waschlappen, den er gerade erst für die Gläser in die Hand genommen hatte, ins Waschbecken, ging zum Fenster und lehnte sich auf das Fensterbrett. Draußen fielen ab und zu ein paar Flocken zu Boden, sanft und leise, aber nicht weiter störend. Der Geruch von den Mülltonnen, die in der Gasse aufgestellt waren, zu der das Fenster führte, drang zu ihm, doch er vermischte sich mit dem Zigarettenrauch und war nicht weiter auffallend. Er knurrte innerlich, ohne dem sich bietenden Anblick weiter Beachtung zu schenken. So langsam gaste es ihn mächtig an, dass seine Gedanken andauernd um Leon zirkulierten. Egal wie er sich ablenkte, irgendetwas führte ihn immer wieder zu seinem Künstler zurück. Entweder, er würde bald durchdrehen, oder er musste irgendetwas dagegen unternehmen. Er wusste nur noch nicht was. Die Musik von dem Discoraum drang durch die dünne Tür. Er legte sein Kinn auf seine verschränkten Arme, schloss die Augen und ließ den Beat auf sich einwirken. Es half ihm zwar nicht, auf Dauer seine Gedanken in geregelte Bahnen zu lenken, aber irgendwie tat es ihm trotzdem gut. Laute Musik konnte das Denken sehr konsequent blockieren. Genauso wie die Sehnsucht in ihm. Nach einiger Zeit machte er sich schließlich wieder an die Arbeit, und trabte dann wieder nach vorne. Zu seiner Erleichterung war der schleimige Kerl von vorhin verschwunden, so dass er sich mit neuem Elan und einem bezauberndem Lächeln den Kunden widmete. „Die Gläser sind sauber?“ Muse grinste, da er genau wusste, dass Adam nicht wegen den Gläsern nach hinten gegangen war. Adam lächelte ihn an und nickte. Es freute ihn, dass Muse, obwohl er ziemlich müde und erschöpft aussah, doch zumindest noch ein Grinsen zustande brachte. Es munterte ihn selber auch immer wieder auf. Er konnte wirklich nicht sagen, was er ohne den stillen Jungen an seiner Seite machen würde. Vermutlich langsam aber sicher an sich selber verzweifeln. Während er einige der Discobesucher bediente, wanderte sein Blick kurz zu André, der auf seiner Plattform seinem Job nachging, nämlich die Menge durch seine heißen Tanzeinlagen anzuheizen. Glücklicherweise war er ihm noch nicht direkt über den Weg gelaufen. Zu mehr als einer kurzen Begrüßung, bei der ihr üblicher Kuss gänzlich gefehlt hatte, war es nicht gekommen, was ihm große Erleichterung bereitete. Er wusste beim besten Willen nicht, wie er mit André und seinen Gefühlen umgehen sollte. Das letzte, was er wollte, war ihn zu verletzten oder die Freundschaft mit ihm aufzugeben, doch das würde sich wohl als schwierig gestalten. Wie ging man mit einer Person um, die einen liebte, die man selber aber nur sehr gern mochte und die den eigenen Schwarm nicht leiden konnte? Die Zeit tröpfelte langsam vor sich hin, wie zäher Honig. Adam zählte schon gar nicht mehr, wie oft er bereits auf die Uhr gesehen hatte, doch heute wollte und wollte die Nacht einfach nicht vergehen. Er wusste auch, warum. Innerlich wartete er nur darauf, dass André Pause machen und sich zu ihm gesellen würde. Sein ganzer Körper stand derart unter Spannung, dass er sich einfach nur noch wünschte, nach Hause zu gehen, sich in sein Bett zu schmeißen und die nächsten paar Tage niemanden zu sehen und niemanden zu sprechen. Schon gar nicht André. Aber inzwischen wusste er nur zu genau, dass es nicht so einfach war. Menschliche Beziehungen waren nie einfach. Wieso hatte er sich nur darauf eingelassen? Er hätte sich so viele Probleme ersparen können. Resolut schob er diese Gedanken, die wie Frühlingsblumen immer wieder fröhlich in seinem Kopf aufploppten, beiseite. Und nur einige Augenblicke später sah er auch schon, wie das Objekt seiner Gedanken mit direktem Kurs auf den Tresen zuhielt. „Einen Wodka-O bitte.“ Mit einem Lächeln setzte sich André auf einen der Barhocker, stützte sein Kinn auf seiner Hand ab und schaute Adam auffordernd an. Dieser füllte ohne mit der Wimper zu zucken ein Glas mit Cola auf und stellte es vor den Tänzer. „Im Dienst dürfen wir keinen Alkohol trinken.“ „Seit wann sind wir denn so penibel?“ „Schon immer, falls du das noch nicht bemerkt hast.“ Adam sah sich mit einem flauen Gefühl im Magen um. Egal, wie cool er tat, er wollte dieses Gespräch vermeiden, aber im Moment schien keiner der Besucher was trinken zu wollen. „Mir kam es immer ein bisschen anders vor.“ André nahm einen kleinen Schluck von seiner Cola und fixierte Adam dann ernst. „Geh mir nicht aus dem Weg, Adam. Und meide mich nicht. Das gefällt mir nicht.“ „Ich meide dich doch gar nicht. Ich rede grad mit dir, oder etwa nicht?“ „Als ich dich heute begrüßt habe, hast du wie ein Kaninchen auf der Flucht ausgesehen. So als ob ich dich gleich fressen würde.“ Er zuckte mit den Schultern und strich sich unsicher einige Strähne aus der Stirn. „Du übertreibst.“ „Tu ich nicht.“ André biss sich leicht auf die Unterlippe, beugte sich vor und meinte so leise, dass Adam es gerade so noch hören konnte: „Ich liebe dich. Aber ich will nicht, dass dir das Angst macht. Es ist doch für uns beide angenehmer, wenn wir uns normal verhalten, oder?“ Adam sah ihn einige Sekunden lang in die hellgrünen Augen. Ihm fiel erst jetzt auf, dass sie Ähnlichkeit mit den Augen einer Katze hatten, aber nicht so hinterlistig, wie bei einigen dieser Tiere, sondern warm und fürsorglich. André war tatsächlich warm und fürsorglich, auch wenn er auf den ersten Blick wie ein Lebemann, der sich um nichts kümmerte, wirkte. Langsam nickte Adam. „Ich will dich nicht verletzten.“ Er schloss kurz die Augen. Bei der lauten Musik musste er nicht mal allzu leise reden, um nicht von anderen gehört zu werden. „Weil ich weiß, dass ich deine Gefühle nicht erwidern werde.“ André lächelte sanft, obwohl sein Blick eine Spur verletzter war. „Noch nicht. Vielleicht wird sich das ja noch ändern. Ich werde mich zumindest bemühen.“ Seinen Blick auf das Glas vor sich gerichtet, zuckte Adam nur mit den Schultern. Er war sich sicher, dass sich nichts ändern würde, aber er würde André nicht davon abbringen können. Und egal wie schmeichelhaft es eigentlich war, dass sich der Tänzer in ihn verliebt hatte, ihm passte es so ganz und gar nicht. Aber jetzt ließ es sich auch nicht mehr ändern. Er atmete einmal tief ein und versuchte sich an einem Grinsen. „Okay, tu, was du nicht lassen kannst. Du weißt ja, wie ich dazu stehe. Und dass ich Leon liebe und niemand anderen will.“ „Ja, ich weiß.“ Mit einem zufriedenen Schmunzeln drückte André einen kurzen Kuss auf Adams Lippen. „Aber alles kann sich ändern.“ „Abwarten.“ Vielleicht würden sie doch noch halbwegs normal miteinander umgehen können. Adam unterdrückte einen halb erleichterten Seufzer. Dieses kurze Gespräch hatte eigentlich noch nichts geklärt, aber es nahm ein bisschen von seiner Alarmbereitschaft in Andrés Nähe. Sie wussten beide, woran sie waren, deswegen brauchten sie sich nicht verstellen oder aus falscher Vorsicht Rücksicht auf den anderen zu nehmen. Wie es sich weiterhin entwickeln würde... Nun, abwarten und Tee trinken, hieß wohl die Devise. Oder heiße Schokolade, je nach persönlicher Vorliebe. Mit einem etwas unsicheren Lächeln in Andrés Richtung wendete er sich kurz ab, um zu schauen, ob irgendwo Kunden für ihn waren, als er bemerkte, wie seine Kollegen leise miteinander tuschelten und dabei alle ihre Aufmerksamkeit auf einen Punkt gerichtet hatten. Ihre Mienen spiegelten sowohl Entzücken wie auch teilweise Unglauben wieder. Adam runzelte die Stirn und ließ seinen Blick zum selben Punkt schweifen. Und sein Atem stockte für einige Augenblicke. Irgendjemand da oben schien es nicht gut mit ihm zu meinen. Das Objekt ihrer Aufmerksamkeit kam gerade die Treppe von der Galerie nach unten auf die Tanzfläche. Seine Bewegungen waren langsam und elegant. Seine wohlgeformten Schenkel wurden von schwarzen, enganliegenden Hosen betont. Um seine Hüfte waren drei Gürtel geschlungen, die von einer silberenen Schnalle gehalten wurden. Schwarze, kniehohe Stiefel, die mit etlichen silbernen Schnallen und dünnen, schwarzen Schnüren verziert waren, betonten seine festen Waden. Ein ärmelloses, schwarzes Oberteil bedeckte den Oberkörper. Ein hellgrauen Fellkragen umspielte seinen Hals, und das Shirt wurde vorne mit einem Reißverschluss geschlossen. Dieser jedoch war bis unter die Brust geöffnet, so dass man einen aufregenden Blick auf die dunkle Haut und die Schlüsselbeine hatte. Je nach Bewegung rutschte der Stoff teilweise derart nach oben, dass ein Teil des flachen Bauches und der Hüftknochen aufblitzen. Das gesamte Outfit wurde mit einem schwarzen Schnallenhalsband und fingerlosen, schwarzen Handschuhe, die ebenfalls von Schnürchen und Schnallen geziert wurden, vervollständigt. Die blonden, langen Haare waren zu einem französischen Zopf geflochten, wobei jedoch einige Strähnen frech ins Gesicht fielen, und an den Ohren glitzerten silberne Ohrringe in verschiedenen Formen. Adam hielt schockiert den Atem an und konnte nur auf ihn starren, ohne sich zu rühren. Sein Herz fing sofort an, in Rekordgeschwindigkeit zu schlagen, und die Schmetterlinge führten einen Veitstanz in seinem Bauch auf. Er wusste, dass er blass geworden war, und genau diese Reaktion war Andrés Aufmerksamkeit nicht entgangen. Mit einer hochgezogenen Augenbraue drehte er sich in die Richtung von Adams Blick und erstarrte. „Was zum Teufel macht Leon hier?“ Treffender hätte er wohl kaum Adams Gedanken wiedergeben können, der sich die gleiche Frage stellte. Was zum Teufel machte Leon hier? Er hatte das Paradise Hill doch derart verteufelt und Adam selbst von dem Besuch abgeraten, und jetzt tauchte er plötzlich hier auf? Was wollte er hier? Sich vergnügen, tanzen? Wohl kaum. Männer aufreißen? Ganz bestimmt nicht, allein schon, weil er Sachiko im Schlepptau hatte. Was wollte er dann hier, verdammt noch mal? Muse tippte ihn leicht an und riss ihn so aus seiner Starrheit. Überrascht und mit völlig hilflosem Gesichtsausdruck sah er ihn an. „Willst du nicht lieber nach hinten gehen?“ Er deutete mit dem Kinn auf Leon. „Oder willst du ihm wirklich begegnen?“ Adam schluckte und versuchte, den Schmetterlingsauflauf in seinem Magen zu ignorieren. Natürlich konnte er nicht vor ihm dauernd abhauen, allein schon, weil er ihn ja für sich erobern wollte, aber das jetzt war mehr als unvorbereitet. Er hasste es, ins kalte Wasser springen zu müssen. „Ich werde doch nicht den Schwanz einziehen.“ Nervös knabberte an der Unterlippe. „Und vielleicht übersieht er mich ja. Immerhin haben wir ja mehrere Theken.“ Wie aufs Stichwort wendete Leon gerade in diesem Moment seinen Blick genau in Adams Richtung. Es dauerte nur einige Augenblicke und Erkennen machte sich auf seinem Gesicht breit. Er beugte sich kurz zu Sachiko und flüsterte ihr etwas zu, bevor er sich durch die Männermenge, die ihm ihre nahezu ungeteilte Aufmerksamkeit schenkte, zu Adam begab. „Vielleicht auch nicht.“, meinte Muse nur lakonisch und hob die Augenbrauen. „Wer ist die Frau?“ „Sachiko.“ Adam trat näher an die Theke. „Oh, okay.“ Nur einige Momente später hatte Leon ihn auch erreicht. Mit einem süffisanten Lächeln lehnte er seine Ellbogen gegen den Tresen und beugte sich leicht zu ihm vor. „Ich war schon ewig nicht mehr hier. Was kannst du mir empfehlen, Adam?“ Instinktiv hielt Adam sich an der Tresenkante fest, so stark, dass seine Fingerknöchel weiß wurden. Seine Beine fühlten sich mit einem Mal wie Pudding an und die Schmetterlinge in seinem Bauch schlugen inzwischen Purzelbäume. Seine Kehle war völlig ausgedörrt, und hätte er irgendetwas gesagt, dann hätte er wohl nur ein trockenes Krächzen rausgebracht. Er verfluchte sich innerlich. Ja, klar, er hatte ihn seit fast einer Woche nicht mehr gesehen, und wie er seinen Namen aussprach, hatte einen ganz besonderen Klang. Die rauchige Stimme, die Augen, die ihn neckisch betrachteten. Klar, er hatte es unheimlich vermisst, war fast umgekommen vor Sehnsucht. Aber, in drei Teufels Namen, musste er so extrem reagieren? Er räusperte sich kurz. „Ehm, wie wär’s mit Sex on the Beach?“ Musste das der einzige Cocktailname sein, der ihm auf Anhieb einfiel? Verdammt! „Oder... eh, Bloody Mary? Wodka-O? Oder Cola? Red Bull? Wir haben einige gute Sachen.” Das Lächeln, das professionell und geschäftsmäßig wirken sollte, glich mehr einer hilflosen Grimasse. Er atmete einmal tief durch, bevor er langsam, jedes Wort einzeln betonend meinte: „Was machst du hier?“ „Mich amüsieren, sieht man das nicht? Oder ist das verboten?“ „Du warst die letzten gottverdammten vier Jahre nicht mehr hier und hättest mir fast den Kopf abgerissen, als ich erzählt habe, dass ich hier arbeite. Aber jetzt plötzlich willst du dich hier amüsieren?“ „Ich kann ja auch auf mich aufpassen, im Gegensatz zu dir. Und ich bin kein Grünschnabel von achtzehn mickrigen Jahren.“ Die Schmetterlinge in seinem Inneren kurz zur Seite schiebend, funkelte Adam den blonden Männerfang böse an. Irgendwie wurde er das dumpfe Gefühl nicht los, dass Leon nur gekommen war, um ihn zu ärgern. Sachiko, die neben ihrem Freund stand und nervös an ihrer Unterlippe kaute, bestätigte diese Vermutung mit ihrem entschuldigenden Blick. Leon hätte unter normalen Umständen nie auch nur einen Fuß in diese Diskothek gesetzt, aber jetzt war er nicht nur drin, sondern hatte sich auch noch extra sexy aufgestylt. Wollte er Adam eifersüchtig machen oder was? „Gut, fein.“ In Adam brodelte es. Eigentlich hätte er erwartet, Leon würde sich um eine Versöhnung bemühen, aber das hier war das komplette Gegenteil. Es wirkte mehr so, als ob er ihn noch mehr anstacheln und wütender machen wollen würde. „Also, was willst du trinken? Du bist nicht der einzige hier, ich muss mich auch noch um andere Kunden kümmern.“ „Wie um ihn zum Beispiel?“ Leon deutete mit dem Kinn zu André, der die ganze Zeit ruhig auf seinem Platz gesessen und das Gespräch misstrauisch beäugt hatte. „Er ist kein Kunde, er ist ein Mitarbeiter und Freund.“ Das letzte Wort betonte Adam besonders. Was zum Teufel sollte das jetzt? „Ah, Freund. Richtig.“ Er wendete sich zum Tänzer und legte den Kopf leicht schief. „Solltest du nicht auf der Plattform stehen und die Menge aufgeilen?“ „Nicht nötig.“ André ließ kurz seinen Blick schweifen, um auf die um sie herumstehenden Männer aufmerksam zu machen, bevor er wieder mit feindseligem Blick Leon fixierte. „Ich glaub, diese Aufgabe hast du mit deinem Auftauchen übernommen. Die würden auf mich eh nicht mehr achten.“ Er machte eine ausholende Handbewegung, so als ob er auf eine angerichtete Tafel deuten würde. „Willst du dich nicht bedienen, so wie du es früher immer getan hast?“ Adam zuckte zusammen. Natürlich, früher war Leon öfter mal hier gewesen. Und früher schien er sich hier den ein oder anderen Sexpartner gesucht zu haben. Wollte er das heute auch machen? Er ließ seinen Blick zu Leon schweifen, nicht ohne zu bemerken, wie die Luft noch einen Tick dicker geworden war. Leon lächelte jedoch nur süffisant. Dieser Ausdruck schien auf beängstigende Weise auf seinem Gesicht gefroren sein. „Ich glaube nicht, dass einer von denen hier meinem momentanen Geschmack entspricht.“ „Ach, ja, stimmt ja. Du stehst auf schwarzhaarige, kleine Jungs, nicht wahr?“ Andrés Lippen verzogen sich zu einem fast sadistischen Grinsen. „Aber du scheinst es dir jedes Mal mit ihnen zu verscherzen. Irgendwas machst du eindeutig falsch.“ Leon verengte leicht die Augen und ein gefährliches Funkeln erschien in ihnen. Er wirkte zwar ruhig, doch die zusammengebissenen Kiefer sprachen eine andere Sprache. Adam wurde das Gefühl nicht los, das Leon nur deswegen nicht auf André losging, weil dieser einerseits zu weit von ihm weg saß, andererseits, weil Sachiko ihre Hand beruhigend und zurückhaltend auf seinen Oberarm gelegt hatte. „Pass auf, was du sagst, André.“ Sachiko schob sich vorsichtshalber vor Leon. „Provozier keinen Streit. Das haben wir alle hier nicht nötig.“ André sah sie etwas verwirrt mit zusammen gezogenen Augenbrauen an. „Kennen wir uns?“ Sie lächelte leicht. „Vielleicht.“ Mit einem Ruck drehte sie sich zu ihrem Begleiter um. „Komm, gehen wir tanzen, bevor du noch aus der Haut fährst.“ „Ich würde aber immer noch gerne etwas trinken.“ Leons Stimme klang wie ein Knurren und er fixierte den Tänzer mit einem zornigen Blick. Mit einem angestrengtem Einatmen kramte Sachiko einen Schein aus ihrer Tasche und drückte ihn Adam in die Hand. „Apfelschorle. Ohne Alkohol. Mach schnell, bevor er André noch ernsthaft an die Gurgel springt.“ Adam nickte leicht verwirrt. Irgendwas hatte er verpasst. Er verstand nicht ganz, wieso Leon plötzlich so wütend reagierte. In Andrés Äußerung lag seiner Meinung nach nichts provokantes oder verletzendes. Jedenfalls nicht provokanter und verletzender als jede andere Äußerung, die er hätte von sich geben können. Aber so langsam hatte er sowieso das Gefühl, dass es ein sinnloses Unterfangen war, Leon zu verstehen. Man konnte sich wohl nur auf ihn einlassen und darauf hoffen, dass er sich irgendwann erklärte. Und wenn das dann nicht der Fall war, musste man es einfach schlucken. Fertig. Aber trotz besseren Wissens hoffte er auf eine Erklärung. Eine Erklärung, wieso Leon heute hier aufgetaucht war. Unruhig füllte er die Apfelschorle in ein Glas und stellte es vor Leon auf den Tresen. Ganz kurz berührten sich ihre Fingerspitzen, als Leon das Glas nahm. Adam konnte nicht sagen, ob das Absicht von ihm gewesen war, aber er musste seinen ersten Impuls unterdrücken, die Hand zurückzureißen, als ob er eine heiße Herdplatte angefasst hätte. Ein Kribbeln lief durch seinen Körper und heizte die Schmetterlinge nochmals an. Verdammt, er wollte wütend auf Leon sein, weil er hier plötzlich aufgetaucht war, wollte seinen Zorn an ihm auslassen, aber es bereitete ihm größte Mühe, sich ihm nicht in die Arme zu schmeißen. Deswegen war das Funkeln, dass er ihm schenkte, eine Mischung aus blanker Wut und innerer Zerrissenheit. Er konnte nur hoffen, dass Leon seinen Blick falsch interpretierte. Egal wie, Hauptsache falsch. Wenn dieser irgendetwas interpretierte, ließ er es sich zumindest nicht anmerken. Mit einem süffisanten Lächeln nahm er einen Schluck und musterte Adam kurz. „Willst du nicht auch auf die Tanzfläche gehen?“ „Wie du siehst, ich arbeite.“, knurrte der Junge. Seine einzige Rettung. Würde er mit Leon tanzen, wäre es dahin mit seiner Selbstbeherrschung. „Dann später. Ich denke, wir werden noch etwas länger hier bleiben.“ Leon schmunzelte und drehte sich zur Tanzfläche. Elegant und stolz, wie ein König, der seinen Thronsaal betrat, mischte er sich unter die Menschenmenge. Er war der Blickfang, der Mittelpunkt. Adam konnte förmlich sehen, wie die Kerle nach ihm lechzten und hechelten. Und als er zu Tanzen anfing, war es um sie geschehen. Seine geschmeidigen Bewegungen zogen die Aufmerksamkeit auf sich, seine lasziven Blicke waren purer Sex, sein gesamter Körper verkörperte Verheißung und Glut. Die Hose brachte seine Schenkel wirklich ungehörig zur Geltung, betonte Körperstellen, die nicht noch extra betont werden mussten, und sein Oberteil bedeckte nur knapp seinen flachen, braungebrannten Bauch. Das goldweiße Haar fing die Discolichter auf und spiegelte sie in einem kleinen Feuerwerk wieder. Als Leon nach einiger Zeit seinen Kopf nach hinten fallen ließ und sich komplett der Musik hingab, musste Adam sich abrupt umdrehen. Dieses Gefühl, jetzt gleich zu ihm laufen zu wollen, ihn zu küssen und ihm am besten noch die Kleider vom Leib zu reißen, schien übermächtig. Aber es mischte sich noch mit einer unangenehmen Bitterkeit. Leon war ein Gott, den jeder wollte, und Adam nur ein kleiner, dummer, unscheinbarer Junge, der sich nach diesem Gott sehnte. Wieso sollte dieser Gott gerade ihn erwählen, wenn er doch weitaus bessere und willigere Leute zur Auswahl hatte? Und trotzdem fühlte er so etwas wie Stolz, dass er nicht bereit war, sich wehrlos zu einem willigen Püppchen zu machen. Er wendete sich wieder zu Leon und ein schmales Lächeln erschien auf seinen Lippen. Er hatte aber auch bestimmt nicht vor, einfach so aufzugeben. „Sag mal, was macht ihr eigentlich hier?“ Ihr eine Cola hinstellend, gesellte er sich zu Sachiko. Sie zuckte nur mit den Schultern, glitt auf den Barhocker und warf kurz einen Blick zu Leon, eindeutig darüber erleichtert, ihn nicht mehr in Andrés Nähe zu sehen. Dann ließ sie ihr Augenmerk kurz über den Tänzer gleiten und unterdrückte ein sardonisches Lächeln, bevor sie sich Adam zuwandte. „Er hat kurz, nachdem wir uns heute Nachmittag getrennt haben, mich darüber benachrichtigt, dass er doch heute gerne hierher kommen würde. Frag mich nicht, wieso.“ „Um mich zu provozieren?“ „Vielleicht.“ Das Gesicht unbegeistert verziehend, nippte sie an ihrem Getränk. „Vermutlich. Ach, ich weiß es nicht. In letzter Zeit ist er für mich ein Buch mit sieben Siegeln. Ich versteh seine Handlungen nicht mehr so ganz.“ Für einen kurzen Augenblick schwieg sie, öffnete kurz den Mund, schüttelte dann jedoch den Kopf. „Aber anscheinend hast du durchaus Einfluss auf ihn. Du solltest nicht aufgeben.“ „Hm.“ Er hätte nur zu gerne gewusst, was sie eigentlich hatte sagen wollen, aber sie würde ihm auf eine entsprechende Frage bestimmt nicht antworten. „Kopf hoch.“ Sachiko tippte ihm leicht an die Stirn. „Und jetzt geh ich mal mit André ein Wörtchen reden. Ich glaub, er sollte wissen, wer ich bin. Oder, besser gesagt, mal war.“ Sie zwinkerte ihm noch mal kurz zu, bevor sie wieder von ihrem Hocker rutschte und zu dem Tänzer ging. Adam hörte nicht, was sie sagten, doch Andrés Gesichtsausdruck wechselte von höchst erstaunt zu beinahe betroffen. Anscheinend vertieften sie sich in ein anregendes Gespräch, so dass Adam sein Interesse verlor und sich seiner Arbeit widmete. Viele Kunden gab es im Moment eh nicht, da sich die meisten dem blonden Adonis auf der Tanzfläche zugewandt hatten, und die wenigen, die sich von seinem Anblick losreißen konnten, wurden von seinen Kollegen bedient. Er unterdrückte ein unzufriedenes Grummeln in seiner Bauchgegend. Leon würde heute Nacht vermutlich nicht alleine nach Hause gehen. Und es bereitete ihm mittelschwere Übelkeit, wenn er daran dachte, dass irgendeiner dieser notgeilen Kerle seinen Künstler anfasste. Er zuckte erschrocken zusammen, als er einen Druck auf seiner Schulter spürte, und drehte sich überrascht um. Muse lächelte ihn etwas schief an. „Ich glaub, du solltest etwas frische Luft schnappen.“ Adam verzog das Gesicht. Muse hatte Recht. Wenn er noch länger hier bleiben würde, würde er entweder eingehen oder ausrasten. Beides klang nicht sonderlich verführerisch. „Der Müll muss rausgetragen werden.“ Ein eindeutiger Wink mit dem Zaunpfahl. Er lächelte. „Ist zwar nicht unbedingt die frischeste Luft, die ich mir da vorstellen könnte...“ „Besser als gar nichts.“ Muse streckte ihm kurz die Zunge raus und schob ihn dann nach hinten zur Küche. Adam seufzte, schloss die Tür hinter sich und atmete erst einmal tief ein. Mit einem selbstironischen Lächeln schnippte er ein paar Mal, doch irgendwie schaffte er es nicht, von hier zu verschwinden. Und er brauchte nicht in den Saal zu schauen, um zu wissen, dass auch Leon noch da war. Zauberei und Wunder gab es eben doch nur in Büchern. Nach einem weiteren Seufzer räumte er die Flaschen und den restlichen Müll zusammen und verpackte sie in einigen Tüten, bevor er sie durch die schmale Tür, die nach draußen in eine Gasse führte, zog. Angewidert verzog er die Nase. Die ganzen Mülltonnen verbreiteten gewiss keine frische Luft, aber irgendwer musste die Arbeit ja machen. Er knurrte leise. Die Tonnen waren alle bis über den Rand gefüllt, so dass er die vollen Tüten einfach in eine Ecke quetschte. Eigentlich war es keine sonderlich aufwendige oder langwierige Aufgabe, weswegen die meisten, die sie machen mussten, sich noch ein bisschen Zeit für eine Raucherpause nahmen. Dumm nur, dass er nicht rauchte. Müde ging er an der Gassenecke in die Knie, so dass er einen Blick auf den Eingang der Diskothek und die Straße hatte. Zumindest konnte er so ein bisschen Ruhe haben. Er saß öfter mal hier, wenn er Zeit dafür hatte, und betrachtete die Passanten und Discobesucher. Es war immer wieder interessant, was es doch für verschiedene Leute gab. Vom scheuen Brillenträger über den langhaarigen Hardcoremetaler bis zum herausgeputzten Beau konnte man so ziemlich jede Persönlichkeit entdecken. Tatsächlich diente die Discopassage eigentlich in erster Linie zum Sehen und Gesehen werden, Kontakte knüpfen und am Besten jemanden für eine Nacht finden. Er fragte sich, wie viele von diesen Leuten, Männer wie Frauen, an einer ernsthaften Beziehung interessiert waren. Zumindest wusste er von sich, dass er wohl nicht mit jemandem ins Bett konnte, den er nicht liebte. Das hatte ihm letztenendes die Nacht bei André deutlich gezeigt. Egal wie nah dran er gewesen war, er hätte es nicht durchgezogen. Er konnte sich überhaupt nicht vorstellen, mit jemand anderem als Leon zu schlafen. Und dieser Gedanke stachelte wieder seinen Ärger an. Wieso zum Teufel war er so abhängig von dem Kerl? Wieso so verliebt? „Arg.“ Er schüttelte den Kopf, um die unnützen Gedanken zu verscheuchen und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die Straße. Bald müsste er eh wieder rein, bevor Muse einen Suchtrupp nach ihm losschickte. Aber die kühle Luft und die Ruhe hielten ihn doch noch einige Augenblicke fest. Er ließ seinen Blick schweifen, als er plötzlich Schritte hörten, die aus Richtung der Straße direkt auf ihn zukamen. Unbegeistert verzog er das Gesicht, als er sah, wer da auf ihn zumarschierte, und erhob sich aus seiner hockenden Position. Auch wenn es schon einige Zeit her war, erkannte er den Kerl, der ihn vorher auf derart unsympathische Weise angemacht hatte. Und der leicht torkelnde Gang sagte ihm, dass er schleunigst wieder in die Küche verschwinden sollte. Dummerweise schaffte er gerade mal ein paar Schritte weiter in die Gasse rein, bevor der Typ nah genug an ihn ran gekommen war, um ihn am Handgelenk zu packen. „Hey, bleib stehen!“ „Entschuldigen Sie, ich muss weiter arbeiten.“ Er musterte ihn kurz. Sein Blick war noch recht klar, er hatte also anscheinend nicht so viel getrunken, jedoch genug, um ihn übermütig zu machen. Adam gefiel das gar nicht. Er hatte schon die wildesten Geschichten gehört und er hatte gewiss keine Lust, sich jetzt mit einem notgeilen Betrunkenen auseinander zu setzen. „Du hast bestimmt ein bisschen Zeit, um dich mit mir zu unterhalten.“ Dadurch, dass Adam immer weiter vor dem Gast zurückwich, hatte er ihn schließlich irgendwann an die Wand gedrängt. Adam sah ihn angewidert an, als die Bierfahne zu ihm rüberwehte. „Nein, tut mir Leid.“ Er presste die Worte förmlich aus seinem Mund, um höflich zu bleiben. „Ich habe zu tun.“ „Ach, komm schon. Stell dich nicht so an.“ Adam schluckte und unterdrückte das starke Bedürfnis, ihm eine der Bierflaschen über den Schädel zu ziehen, die auf einigen der Tonnen standen. Stattdessen presse er seine Hände gegen dessen Brustkorb und versuchte ihn wegzudrücken. Aber obwohl er nicht gerade ein Schwächling war, stellte sich sein Bedränger als schwerer heraus, als er aussah. Und das er nicht auf eine Unterhaltung aus war, wurde auch ziemlich deutlich, nachdem der Typ seine Hände zu Adams Hintern gleiten ließ. Der Junge knurrte innerlich. „Würden Sie bitte Ihre Hände von mir nehmen?“ Einem Kunden gegenüber durfte man niemals unhöflich oder unfreundlich sein. Das hatte ihm sein Chef mehrmals eingetrichtert und ihn dazu angehalten, diese Regel beflissentlich anzuwenden. Die einzige Antwort, die er bekam, war ein leises Kichern und Lippen, die sich an seinem Ohr zu schaffen machten. Der Bieratem rief leichte Übelkeit in ihm hervor und die Feuchtigkeit an seinem Ohr ließ ihn vor Ekel erschaudern. Er schloss kurz die Augen. Scheiß auf diese Regel! „Lass mich los, du mieses Arschloch!“ Ohne weiter auf Höflichkeit und kundenfreundliches Benehmen zu achten, rammte er ihm sein Knie in die Weichteile und stieß ihn grob von sich. Durch den Schmerz taumelte der Typ nach hinten, so dass Adam sich an ihm vorbei zur Küchentür schlängeln konnte. Erschrocken prallte er zurück, als sich die Tür öffnete und Leon ihm gegenüberstand. Das hatte grad noch gefehlt! Das Glück schien ihm in dieser Nacht wirklich nicht hold zu sein. Leon ließ kurz seinen Blick über das Geschehen und vor allem den halb zusammengekrümmten Kunden schweifen und zog dann skeptisch eine Augenbraue hoch. „Was machst du denn hier?“, zischte Adam leise. Dass Leon sehen musste, wie seine Vorhersagen Realität wurden, gefiel ihm so ganz und gar nicht. „Eigentlich dich suchen. Ich hab vom Chef die Erlaubnis bekommen, dich auf die Tanzfläche zu entführen.“ Er betrachtete Adam eine Spur genauer. „Und das du so lange weggeblieben bist, hat mich stutzig gemacht. Zurecht, wie ich sehe. Hätte das hier aber nicht erwartet.“ „Ich auch nicht. Und wenn das jetzt geklärt wäre, könnten wir bitte rein gehen?“ Er machte Anstalten, Leon wieder zurück durch die Tür zu schieben, als ein Stöhnen, gemischt mit einem verärgerten Knurren, ihn inne halten ließ. „Glaubst du, du kannst mir einfach so in die Eier treten und dich davon machen, du kleiner Hurensohn?“ Sein unangenehmer Verehrer richtete sich ein wenig auf und funkelte die beiden wütend an. „Erst flirten was das Zeug hält und dann den Rückzug antreten. Das haben wir wieder gern! Bleib hier, du kleine Schwuchtel!“ Erschrocken zuckte Adam zusammen und wich zur Seite aus, als er plötzlich etwas Glitzerndes angeflogen kommen sah. Die Bierflasche, die sehr ungezielt geworfen worden war, zersplitterte knapp neben der Tür an der Wand und zerbarst in zahlreiche, kleine Splitter. Noch bevor er irgendwie reagieren konnte, rauschte Leon an ihm vorbei, packte den Betrunkenen am Kragen und drückte ihn gegen die gegenüberliegende Mauer. „Hast du irgendein Problem, Kleiner?“, fauchte Leon äußerst ungehalten. Adam schluckte. Er sah den Künstler zwar nur von hinten, konnte sich aber seinen funkelnden Blick nur zu gut vorstellen. Und bei seinem Auftreten vergaß man irgendwie immer zu leicht, dass er nicht nur recht groß war, sondern auch nicht unbedingt ein Schwächling. Tatsächlich schien er keine weiteren Probleme zu haben, Adams Bedränger festzuhalten. „Lass ihn los.“ Adams Stimme zitterte leicht. „Gehen wir wieder rein. Ich will hier keinen Ärger.“ Leon drehte seinen Kopf zu ihm und warf ihm einen abschätzenden Blick zu, und Adam zuckte nochmals erschrocken zusammen. Anscheinend hatten einige der Glassplitter Leons Stirnseite getroffen, zumindest bedeckte frisches, rotes Blut die Schläfe und lief die Wange hinab. Er starrte ihn einige Sekunden lang an. Sein Innerstes verkrampfte sich schmerzhaft und schien zu gefrieren. „Gehen wir rein.“ Er bemühte sich, nicht hysterisch zu klingen, doch ihm viel es schwer, Ruhe zu bewahren. Nur einige Zentimeter weiter zur Seite und die Flasche hätte Leon treffen können. Nur einige, wenige Zentimeter. Er wollte sich gar nicht ausmalen, was dann passiert wäre. Welche Verletzungen er davon getragen hätte. Wie viel Blut sein Gesicht dann bedecken würde. Mit einem verächtlichen Laut ließ Leon seinen Gefangenen los und gab ihm einen Stoß in Richtung Straße. „Verschwinde.“ Ohne weiter auf ihn zu achten, drehte er sich auf dem Absatz um und stapfte in die Küche, Adam am Oberarm packend und hinter sich herzerrend. Mit einem lauten Knall schloß er die Tür hinter sich und fixierte dann Adam. „Ich will es ja ungern sagen, aber... hab ich es nicht gesagt?“ „Dann sag es nicht, wenn du es nur ungern sagen willst. Lass es einfach. Mal davon abgesehen, dass ich auch ganz gut ohne dich zurecht gekommen wäre.“ „Natürlich. Du magst zwar sportlich sein, aber der Kerl war größer und breiter als du. Der hätte dich mit Leichtigkeit flach legen können. Gegen deinen Willen.“ „Er war betrunken, er konnte ja nicht mal die Flasche vernünftig werfen. Wie hätte er mich da bitte festhalten können?“ „Ja, er war betrunken. Du kannst dir anscheinend gar nicht vorstellen, wie stark und penetrant Betrunkene sein können.“ Adam starrte ihn wütend an und öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, klappte ihn jedoch zu, als ihm das Blut wieder bewusst wurde, das immer noch stetig nach unten zu Boden tropfte. „Wir sollten deine Wunde versorgen.“, meinte er, eine Spur ruhiger, aber ziemlich bestimmt. Und er sah deutlich, wie sich bei Leon ein Widerspruch bildete. Ist doch gar nicht so schlimm, nur ein bisschen Blut abwaschen, passt schon. Er konnte es förmlich hören und verdrehte bereits innerlich die Augen, sich für eine weitere Diskussion wappnend, als just in diesem Augenblick die Tür zur Theke aufging. „Seit ihr fer...tig...“ Muse starrte erschrocken Leon an, als er das Blut sah. „Was ist passiert?“ „Ein Betrunkener wollte nicht von mir lassen. Und als ich ihm deutlich zu verstehen gegeben habe, dass seine Avancen nicht erwünscht sind, hat er vor Wut ne Bierflasche gegen die Wand geschleudert.“ Adam versuchte möglichst unbeeindruckt zu wirken, doch in seinem Inneren schien immer noch ein Frostklumpen zu liegen. „Dummerweise stand Leon dort, deswegen haben ihn ein paar Splitter getroffen.“ „Ich hol den Erste-Hilfe-Kasten. Und ihr geht besser in den Aufenthaltsraum. Hier ist es zu voll.“ „Und nimm Sachi gleich dazu.“, rief Leon ihm noch nach, während Muse schon halb verschwunden war und fügte mit einem leisen Murmeln hinzu: „Wenn ich mich schon versorgen lassen muss, dann von ihr.“ Adam unterdrückte einen unzufriedenen Laut. Als ob er sich nicht auch hätte drum kümmern können. Gut, vielleicht hatte Sachiko tatsächlich mehr Ahnung von Wundversorgung, aber er musste ja nicht gleich so rundheraus Adams Fähigkeiten in Frage stellen. Er warf ihm aus den Augenwinkeln einen kurzen Blick zu. Wobei er wohl einfach nur überinterpretierte. Was Leon und seine Handlungen anging, war er wirklich empfindlich geworden. „Komm mit.“ Durch eine dritte Tür, die in einen Gang führte, verließ er die Küche und ging eine Treppe hoch zum Aufenthaltsraum, in dem die Mitarbeiter normalerweise ihre Pausen verbrachten. Wie erwartet war keiner da, es war zu spät, als das noch jemand seine Pause nicht gehabt hätte. Und die Tänzer, die sich ausruhten und vorbereiteten, besaßen einen separaten Raum, um ungestört zu sein. Adam deutete auf einen Stuhl und drehte sich zum Kühlschrank. „Was willst du trinken?“ „Tee.“ Ohne mit der Wimper zu zucken, trat Leon an einen der Schränke, holte eine Tasse, füllte einen Teebeutel und Zucker ein und setzte dann den Wasserkocher auf. „Heiße Schokolade für dich?“ „Du kennst dich ja ziemlich gut hier aus.“ Adam verschränkte skeptisch die Arme, nickte aber. Während der Künstler das Getränk des Jungen zubereitete, zuckte er nur mit den Schultern. „Ich war früher häufig hier und war auch mit dem Chef und den Mitarbeitern per du. Deswegen hab ich mich öfter mal hier aufgehalten. Und anscheinend hat sich in all den Jahren ja nichts geändert.“ Mit ungerührter Miene wartete er auf den Wasserkocher, goss ihnen dann schließlich heißes Wasser ein und setzte sich. Schweigen trat ein. Die Uhr schien ohrenbetäubend laut zu ticken. Adam schluckte und warf einen Blick auf sie. Bald war seine Schicht zu Ende und er würde sich gemütlich in sein Bett einkuscheln können. Schlaf und Ruhe waren bitter nötig, vor allem nach diesem kleinen Schock jetzt. Er bemühte sich, nicht auf das Blut zu starren, denn jedes Mal, wenn er einen Blick drauf warf, krampfte sich sein Magen schmerzhaft zusammen. Der kleine Vorfall hätte weitaus gefährlicher enden können, und das machte ihm Angst. Mächtig Angst. Bevor das Schweigen komplett unangenehm werden konnte, hörten sie Schritte auf der Treppe und Sachiko und Muse traten mitsamt Verbandskasten ein. Sachiko musterte ihren Freund mit geschürzten Lippen und schüttelte nur leicht den Kopf. Anscheinend brachte sie das Blut nicht sonderlich aus der Fassung. „Was machst du wieder für Sachen. Dich kann man ja echt nicht aus den Augen lassen.“ „Hey, das ist doch nicht meine Schuld.“, protestierte Leon gespielt empört, doch der Schalk in seinen Augen war nicht zu übersehen. „Natürlich, wie immer halt.“ Sie betrachtete auch Adam kurz. „Geht es dir gut?“ Er nickte nur und kniff die Lippen zusammen. Sie sollten nicht irgendwelche dummen Späßchen treiben, sondern sich um die Verletzungen kümmern, verdammt! „Du siehst blass aus.“ Muse trat zu ihm und strich ihm sanft ein paar Strähnen zurück. „Ich hab mich ziemlich erschrocken. Es war pures Glück, dass der Kerl so schlecht gezielt hat.“ Kurz erzählte er Muse genauer, was passiert war, während Sachiko mit warmen Wasser Leons Gesicht abwusch. Die beiden scherzten fröhlich, als ob nichts weiter passiert wäre, und das versetze Adam wieder einen leichten Stich ins Herz. Wieso nahmen sie das so leicht? Ein paar Zentimeter zur Seite und Leons Auge hätte ernsthaft verletzt werden können. Oder noch schlimmeres. Er musste einen kurzen Schauder unterdrücken. Lieber nicht daran denken. Es war vorbei, fertig. „Diese beschissenen Betrunkenen.“ Muse fluchte leise. „Wir sollten wirklich mehr aufpassen. Ist ja nicht das erste Mal, dass einer versucht, handgreiflich zu werden.“ „Leon hat mich gewarnt.“ Adam schnitt eine unbegeisterte Grimasse. „Aber ich dachte mir, er macht sich einfach nur zu viele Gedanken.“ „Naja, es kommt nicht häufig vor, aber es kommt vor.“ Sein Freund zuckte mit den Schultern und drückte Adam dann zur Beruhigung einen Kuss auf die Stirn. „Komm, mach dir keine Gedanken. Es ist nichts weiter passiert und ab sofort wirst du einfach vorsichtiger sein.“ Sein Blick schweifte kurz zur Uhr. „Ich red mit dem Chef, dass du früher gehen darfst. Heute Nacht wirst du nicht mehr viel zustande bringen, denk ich.“ Adam nickte, und Muse verschwand wieder nach unten. Einige Augenblicke später war auch Sachiko mit ihrer Krankenversorgung fertig. „So,“, sie klatschte kurz in die Hände, „fertig. Die Verletzungen sind wirklich nicht weiter der Rede wert. Da werden noch nicht mal Narben übrig bleiben. Es sah viel schlimmer aus, als es eigentlich ist. Kopfwunden bluten häufig stärker, als die Verletzung es wert ist. Und desinfiziert hab ich es auch.“ Zufrieden betrachtete sie ihr Werk, das aus einem leicht bepflasterten Leon bestand. „Nicht weiter schlimm.“ Etwas unsicher nickte Adam. Er wusste nicht so recht, ob sie das zu ihrer eigenen oder zu seiner Beruhigung sagte, aber er tippte auf letzteres. Den beiden schien das Ganze ja nicht sonderlich viel auszumachen. Die Ruhe hätte er auch gern gehabt, denn sein Magen hatte sich immer noch nicht aus seinem eisigen Zustand in wärmere Gefilde begeben. „Ah, und wenn der Chef dich früher gehen lässt, bringen wir dich heim. Länger hier zu bleiben wollen wir eigentlich auch nicht.“ Wieder nickte er. Was blieb ihm anderes übrig? Er würde jetzt kaum drauf bestehen können, allein im Dunkeln nach Hause zu laufen. Die würden ihn alle, André und Muse eingeschlossen, für bescheuert und hirnamputiert halten. Also blieb ihm nichts anderes übrig, als sich in sein Schicksal zu fügen, und als Muse einige Minuten später die Erlaubnis vom Chef übermittelte, brachen sie auf. Adam nahm sich nur kurz Zeit, um sich von seinen Kollegen zu verabschieden und sich für sein frühzeitiges Verschwinden zu entschuldigen, bevor sie dann in Leons Auto einstiegen. Er lehnte seine Stirn gegen das kühle Fenster und starrte nach draußen, auf die leicht verschneiten Straßen, während Leon Musik anmachte und sich leise mit Sachiko unterhielt. Es dauerte nicht lange, bis sie bei Sachikos Heim ankamen, einem kleinen Einfamilienhaus, in dem sie mit ihrer Freundin lebte. Ohne großes Aufhebens drückte sie Adam noch einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich von Leon auf ähnliche Weise verabschiedete und einige Augenblicke später in ihrem Haus verschwand. Adam wechselte zum Beifahrersitz und Leon fuhr wieder los. Sie schwiegen. Das gleiche, fast unangenehme Schweigen wie im Aufenthaltsraum, das sich auch die ganze Fahrt lang hinzog. Schließlich hielten sie vor Adams Haus. „Danke fürs Heimfahren.“ Seine Stimme klang trocken und seine Kehle fühlte sich zugeschnürt an. Am liebsten hätte er sich jetzt an Leon gekuschelt und wäre ihm nicht von der Seite gewichen, aber er wusste, dass der nächste Schritt nicht von ihm kommen durfte. Ansonsten würde er zum Spielball in Leons Klauen werden, und das wollte er nicht. Leon schwieg einige Augenblicke, bevor er sich zu ihm drehte und ihm sanft einige Strähnen aus der Stirn strich. „Du bist immer noch blass.“, meinte er sanft. „Mach dir keine Gedanken, mir ist nichts passiert. Nur ein bisschen Kopfschmerzen, nichts weiter.“ Adam nickte, doch es beruhigte ihn nicht wirklich. Dazu war er innerlich noch zu aufgewühlt, auch wenn er nach der gehörigen Portion Schlaf die ganze Sache wohl schon viel lockerer sehen würde. Im Moment war das ganze Blut, die ganze Begegnung, die glitzernden Splitter, das alles in seinem Kopf noch zu präsent, als das er es einfach so wegwischen könnte. „Mhm.“ Leon zog Adam an sich und küsste ihn zärtlich auf die Schläfe. „Geh schlafen. Du bist doch zu unschuldig und unerfahren, als das du so was einfach so verarbeiten kannst.“ Diese Aussage hätte Adam auf die Palme bringen können, aber der weiche Klang in Leons Stimme nahm ihr alle Schärfe. Und dummerweise hatte er ja Recht. Wie viele Schlägereien oder Auseinandersetzungen mit Betrunkenen hatte er denn bitte schon erlebt? Er war wirklich unerfahren. Er hatte überhaupt keinen Plan vom Leben. Nicht gerade etwas, worauf er stolz sein konnte, schon gar nicht als Achtzehnjähriger. Irgendwie wurde er das Gefühl nicht los, ein grad frisch geschlüpftes Küken zu sein, dass noch seiner Mamahenne nachlief. Und diese Mamahenne schien in erster Linie Leon zu sein, ein bisschen gemixt mit Muse und Sachiko. Ein sehr aufbauender Gedanke. „Ich bin zu dumm und naiv, als das du dich in mich verlieben könntest, nicht wahr?“ Er wusste, dass es nichts brachte, in Selbstmitleid zu baden, aber irgendwie musste er das jetzt los werden. „Steh ich auf verlorenem Posten?“ Leon lächelte. „Wenn ich jetzt Ja sage, würdest du dann aufgeben?“ Adam musterte ihn überrascht. Die Frage hatte er nicht erwartet. Für einige Augenblicke war er auch geneigt zu nicken, doch es brachte nichts zu lügen. Er schüttelte leicht den Kopf. „Nein. Noch gebe ich nicht auf.“ „Eben.“ Er seufzte. „Ich möchte mit dir reden, aber nicht jetzt. Dazu bin ich zu müde und mein Kopf tut weh. Ich besuch dich dann irgendwann im Laufe der Woche. Und jetzt geh, du brauchst Schlaf.“ Der Junge nickte, löste sich von Leon und stieg ohne ein weiteres Wort aus dem Wagen. Nach einigen Schritten drehte er sich jedoch wieder zu Leon um. „Wieso warst du heute Abend da? Du magst die Disco doch gar nicht wirklich.“ Für einige Sekunden tippte Leon schweigend mit den Fingerspitzen auf das Lenkrad, so als ob er überlegen würde. Dann fing er Adams Blick mit seinen auf. „Wegen dir. Ich wollte sehen, wie es dir geht. Darauf achten, dass André seine Finger von dir lässt. Dass überhaupt die Leute ihre Finger von dir lassen.“ Seine Lippen verzogen sich zu einen schiefen Grinsen. „Und ja, ich wollte auch dafür sorgen, dass du mich nicht vergisst. Dass du weißt, um welches heiße Prachtexemplar sich deine Gedanken drehen sollten.“ „Ich versteh dich nicht, Leon. Ich versteh dich einfach nicht.“ „Ich mich auch nicht immer.“ Sein Gesichtsausdruck wurde ein wenig nachdenklicher. „Aber eigentlich geht es doch gar nicht ums Verstehen. Es geht darum, ob sich etwas richtig anfühlt oder nicht. Ob du dich mit etwas wohl fühlst. Fühlst du dich bei mir wohl?“ Adam schluckte. „Wenn du nicht grad mal wieder den Arroganten raushängen lässt oder wir uns streiten... ja, doch, eigentlich schon.“ „Siehst du. Dann brauchst du mich auch nicht zu verstehen.“ Er lächelte. „Und jetzt geh ins Bett. Wir brauchen beide Schlaf.“ Mit einem fast sadistischen Grinsen warf er ihm eine Kusshand zu, startete den Motor und fuhr los. Adam sah ihm noch einige Momente lang nach. Es ging also nur darum, sich wohl zu fühlen? Er wusste nicht, was er davon halten sollte. Oder wie er es auf Leons Verhalten übertragen konnte. Und es war auch nicht sonderlich beruhigend zu wissen, dass nicht mal Leon sich selber verstand. Aber irgendwie hatte dieses kurze Gespräch die Spannung zwischen ihnen genommen. Es hieß wohl abwarten und Tee trinken. Mal wieder. Leon wollte mit ihm reden. Gut. Dann würde er warten. Er gähnte und betrat sein Haus. Jetzt würde er sich erst mal eine Mütze Schlaf gönnen. Außerdem würden heute seine Eltern wieder kommen, da wollte er halbwegs ausgeschlafen sein. Es gab immerhin viel zu erzählen. Und es dauerte wirklich nicht lange, da schlief er tief und fest in seinem Bett und ließ die unverständlichen Geliebten unverständliche Geliebte sein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)