Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 20: ------------ „Was, immer noch nicht???“ Adam zuckte bei Andrés überraschtem Aufschrei leicht zusammen und verzog mürrisch die Miene. „Nein, immer noch nicht. Geh halt zu ihm hin und beschwer dich, ist doch nicht meine Schuld.“ „Hm, ich hab ja doch eher das Gefühl, dass es an dir liegt, nicht an ihm.“, meinte Muse mit einem wissenden Lächeln. „Arg, könnten wir bitte dieses Thema lassen? Das deprimiert mich nur.“ Schmollend stütze er sein Kinn in seine Hand und starrte aus dem Fenster. Draußen hatte es wieder angefangen zu schneien. Es war jedoch nicht das sanfte Rieseln, das sonst vorherrschte, sondern ähnelte einem kleinen Schneesturm. Momentan tangierte es nicht sonderlich, da er zusammen mit André und Muse in einem schnuckeligen Café in der Innenstadt saß und warme Getränke vor sich stehen hatte, doch irgendwann würde er auch wieder nach Hause laufen müssen. Er biss sich innerlich auf die Zunge. Obwohl er erst seit vier Tagen bei Leon wohnte, hatte er es sich schon angewöhnt, von seinem zu Hause zu reden. War einfacher als dauernd „Leons Kleinvilla“ zu sagen. Inzwischen war er auch größtenteils genesen, einzig sein Hals schmerzte noch ein bisschen, doch war es nicht der Rede wert. Leon war, erstaunlicherweise, eine exzellente Krankenschwester. Wobei er sich nicht sicher war, ob die Krankenschwester es in Ordnung fand, dass er so kurz nach der Genesung schon wieder draußen anzutreffen war, vor allem in Muse’ Gesellschaft. Von André wusste er ja noch nichts, und Adam wollte es noch möglichst weit hinauszögern, bis er es erfuhr. Einige Dinge brauchte Leon nun wirklich nicht zu wissen, zu ihrer beider Wohl. Eigentlich hatte er sich auch nur so spontan mit den Beiden verabredet, um sich ein wenig abzulenken. Nach dem Leon am Abend zuvor diese kleine Anspielung in den Raum geworfen hatte und danach zu Bett gegangen war, hatte Adam sich die halbe Nacht damit um die Ohren geschlagen, was er denn nun eigentlich wollte. Und mit welchen Folgen er rechnen musste. Er konnte es absolut nicht einschätzen, kein bisschen, aber das Bedürfnis, Leon noch näher zu sein, noch intensiver zu spüren, wuchs stetig in ihm an. Nicht nötig zu erwähnen, dass der putzende Leon Adams Herz noch ein bisschen höher in die Richtung hatte schlagen lassen. Genauso wie der Leon, der Tee und Essen kochte, oder der Leon, der mit nassen Haaren und offenem Hemd aus dem Bad kam. Oder der Leon, der auf der Couch im Wohnzimmer saß, ein Buch las und nebenbei Chips knabberte. Oder der Leon, der sich liebevoll um jede einzelne seiner vernachlässigten Pflanzen kümmerte. Oder der, der sich um ihn sorgte, wenn er einfach vor dem Fernseher einschlief. Oder der, der leise summend den Tisch deckte. Es war eine Gott verdammte Qual, mit ihm in einem Haus zu sein, ihn andauernd zu sehen, und trotzdem dem Impuls nicht nachgeben zu dürfen, ihn zu Boden zu werfen und nie wieder loszulassen. Hatte er schon mal erwähnt, dass das Leben ungerecht war? Nun, es war absolut ungerecht. Und obwohl Adam hauptsächlich bis jetzt geschlafen hatte, während er sich in Leons Haus aufgehalten hatte, wurde ihm gerade durch die gestrige Putzaktion und die dadurch gemeinsam verbrachte Zeit immer mehr seine Sehnsucht bewusst. Trotzdem, eine gewisse Hemmung blieb, die er sich schlicht nicht erklären konnte. Vielleicht die Angst vor Leons Reaktion? Oder die Angst davor, von ihm nur noch benutzt zu werden? Er hatte jedenfalls entschieden, dass alleine zu grübeln nicht viel bringen würde. Und so kam es, dass sie kurz nach Mittag in diesem Café saßen und sich über Gott und die Welt unterhielten. André hatte es sehr überrascht aufgenommen, dass Adam die nächsten zwei Wochen bei Leon verbringen würde, doch noch überraschter war er gewesen, als das Thema Sex aufgekommen war und Adam erzählt hatte, dass er und Leon noch kein einziges Mal zusammen im Bett gewesen waren. Gut, überrascht war nicht so ganz das richtige Wort. Genau genommen war Andrés Mund ziemlich weit nach unten geklappt und er hatte Adam fassungslos angestarrt. „So, um das nochmal zu resümieren, du und Leon, ihr habt noch nicht miteinander geschlafen?“ “Nein, verdammt. Wie oft soll ich das noch sagen?“ Adam seufzte genervt. War das denn wirklich so schwer zu verstehen? „Woho.“ André nahm einen Zug von seiner Zigarette. „Der Kerl lässt doch sonst nichts anbrennen.“ “Du hast ihn vier Jahre nicht gesehen. Vielleicht hat er sich in der Zwischenzeit verändert?“ „Das glaubst du ja wohl selbst nicht.“ Nachdenklich streifte der Tänzer die Asche am Rand des Aschenbechers ab. „Solche Leute wie er verändern sich nicht. Vielleicht bist du ihm nicht erotisch genug?“ Er lachte kurz auf. „Wobei er dann Tomaten auf den Augen haben müsste.“ „Danke auch.“ Adam verzog schmollend seinen Mund. André hatte eigentlich Recht, er war Leon nicht erotisch genug. Das hatte der Künstler im Selber mal gesagt. Unerotisch. Für ihn als Mann. Damals, vor jetzt schon über zwei Monaten, war es ihm nur recht gewesen. Jetzt störte es. Und diese kurze Anspielung von gestern hatte er auch ziemlich schnell abgetan. Kaum zu glauben, erst machte er ihn immer mächtig an und zeigte deutlich den Willen, ihn zu vernaschen, und dann, wenn er mal die Gelegenheit für mehr bekam, ging er auf Rückzug? Den Kerl sollte mal einer verstehen, Adam zumindest hatte es schon aufgegeben. „Aber das heißt ja auch,“, André starrte nachdenklich an die Decke, „dass du immer noch Jungfrau bist?“ „Ja?“ Adam zog misstrauisch die Augenbrauen zusammen. „Na, wie wär’s, wenn du dann deine ersten Erfahrungen mit mir machst?“, grinste er ihn fröhlich an. „Nein.“ Dieses Wort kam gleichzeitig aus Muse’ wie auch Adams Mund. André schaute verwirrt Muse an. “Ich kann ja verstehen, wenn Adam es verneint, aber wieso bist du dagegen?“ „Weil Adam nicht zu einer männlichen Schlampe mutieren soll, die es mit jedem treibt. Wenn, soll er zumindest sein erstes Mal mit dem Mann haben, den er liebt.“ „Erstens, bin ich nicht jeder, und zweitens, wird es, wie es aussieht, nie zu dem ersten Mal mit dem Mann, den er liebt, kommen. Leon scheint sich da ja arg bedeckt zu halten.“ „Kannst du das bitte mein Problem sein lassen?“, empörte sich Adam. „Es ist ja auch nicht so, dass ich das jetzt, sofort und auf der Stelle machen will. Überhaupt, niemand hat gesagt, dass ich das so dringend will.“ Beide, Muse und André, sahen ihn zweifelnd an. “Dir steht aber auf der Stirn geschrieben ‚Leon, nimm mich’.“, meinte Muse skeptisch. „Na, übertreib mal nicht. So dringend brauch ich es dann auch nicht.“ Adam zog die Augenbrauen zusammen. „Ich hab’s die letzten achtzehn Jahre ganz gut ohne ausgehalten, also werde ich auch noch ein Weilchen länger so auskommen. Ehrlich, ich weiß gar nicht, ob ich das will.“ „Und wieso nicht? Du liebst ihn doch?“, fragte André lapidar. „Ja, schon. Aber... ich hab das Gefühl, dass würde alles nur unnötig komplizierter machen.“ Muse und André wechselten einen vielsagenden Blick . „Was willst du jetzt bitte noch komplizierter machen?“ Der Tänzer schnippte gegen seine Stirn. „Du bist in ihn verliebt, du weißt absolut nicht, wie er dir gegenüber empfindet, aber er ist teilweise wirklich romantisch und zuckersüß, so als ob er deine Gefühle erwidern würde. Trotzdem sagt er diesbezüglich nichts und versucht nicht mal, sich an dich ranzumachen. Es ist eine absolut beschissene Situation, zumindest für dich. Glaubst du wirklich, Sex zwischen euch würde es noch verschlimmern?“ Adam senkte seinen Blick und zuckte mit den Schultern. Er hatte keine Antwort auf diese Frage. „Vielleicht hab ich ja auch einfach nur Schiss vor dem ersten Mal?“, meinte er kleinlaut. „Das hatten wir alle.“ Muse lehnte sich zurück und verschränkte die Arme. „Wobei das wohl als, ehm, passiver Part wohl nochmal was anderes ist. Und das wirst du bestimmt sein.“ “Willst du mir sagen, du bist aktiv?“ Adam sah ihn leicht überrascht an. „Ja, bin ich.“ Er errötete. „Philip ist, uhm, nun ja...“ “Dafür prädestiniert, unten zu liegen.“, ergänzte André Muses Gestotter. „Ja, so könnte man es ausdrücken.“ „Oh.“ Etwas beschämt strich sich Adam durch die Haare. „Das heißt, keiner von euch beiden hat diesbezüglich Erfahrungen? Also... von wegen, der passive Part zu sein...“ Beide schüttelten unisono den Kopf und sahen ihn entschuldigend an. „Du kannst nur auf Leons Fürsorge hoffen.“, meinte André, runzelte dann aber überlegend die Stirn. „Wobei er es gerne auch rauer mag. Zumindest damals, als wir unsere One-Night-Stands hatten.“ „Moment mal! Das heißt ja, dass Leon bei dir der passive Part war?“ „So sieht’s aus. Er ist halt, nun ja, wie ne Schallplatte, beidseitig bespielbar.“ „Könntest du das bitte nicht so... nicht so... seltsam ausdrücken?“ “Ist halt so, kann ich auch nichts machen. Wobei er bei dir eindeutig der Aktive sein wird.“ „Oh, toll. Mann, lassen wir das Thema, okay?“ Adam legte seine Hände an die Kopfseiten, stütze die Ellbogen auf dem Tisch ab und rutsche ein wenig nach vorne. „Das ist so... arg... lassen wir das einfach.“ „Ts, ts, ts...“ Gespielt rügend wackelte André mit dem Zeigefinger. „Du willst dich nur nicht mit deiner eigenen Lust auseinander setzen. Weißt du eigentlich, dass durch sowas Neurosen entstehen können, wenn du deinen Trieb unterdrückst? Das ist schlimm, wirklich schlimm.“ Muse und Adam sahen ihn ein wenig sprachlos an, doch während Muse dann zu Lachen anfing, begnügte sich Adam damit, ihm einen Mordsblick zu zu werfen. „Könntest du bitte aufhören, so nen Stuss zu reden? Ich bin so schon deprimiert genug.“ „Also,“, Muse grinste immer noch, wendete sich dann aber mit halbwegs ernster Miene seinem Freund zu, „wie wär’s, wenn du versuchst, ihn zu verführen?“ „ICH? LEON? VERFÜHREN?“ Adam starrte ihn erst mal einige Sekunden fassungslos an, bevor er merkte, dass er seine Fassungslosigkeit in so einer Lautstärke von sich gegeben hatte, dass das gesamte Café darauf aufmerksam geworden war. Die erstaunten und fragenden Blicke der anderen Gäste ignorierend, aber mit hochroten Kopf, beugte er sich zu Muse. „Sag mal, wovon träumst du nachts? Wie stellst du dir das vor? Soll ich halb bekleidet aus dem Bad kommen, das Handtuch schwingen und dann heiser wispern: ‚Hey, Leon, mir ist schrecklich heiß, kühl mich doch bitte ab’, oder wie?“ „Na ja, vielleicht nicht ganz so, ehm... lächerlich.“ Muse kräuselte bei der Vorstellung skeptisch die Augenbrauen. „Eher, keine Ahnung, halb nackt aus dem Bad kommen ist schon mal keine schlechte Idee. Und dann berührtst du ihn zufällig, streifst seinen Oberarm oder seinen Rücken... aus Versehen natürlich. Er ist auch nur ein Mann, ewig wird er da nicht widerstehen können.“ „Nein, nein, nein!“ Er schüttelte resolut den Kopf. „Vergiss es. Ich werde ihn nicht verführen, ich werde es nicht mal probieren. Nope, nur über meine Leiche. Außerdem, hallo, ich wohn bei ihm, ich übernachte bei ihm, ich hab sogar auf seinem Schoß geschlafen, und er hat trotzdem nicht reagiert.“ “Vielleicht ist er ja impotent geworden.“ André lächelte. „Ich mein, hey, wenn du auf meinem Schoß einschlafen würdest, würdest du bestimmt nicht mehr jungfräulich aufwachen. Ich bin schließlich kein Kostverächter, und Leon normalerweise auch nicht.“ „Er ist bestimmt nicht impotent!“ Adam biss sich auf die Unterlippe. „Er hat mir eigentlich schon öfter gezeigt, dass er nicht uninteressiert an mir ist. Nur jetzt, plötzlich, scheint sein Interesse abgekühlt zu sein.“ „Tja...“ André kratzte sich überlegend am Hals. „Das ist natürlich ein Problem.“ Ein Problem, für das keiner eine Lösung wusste, wie es schien. Die Jungs schwiegen. „Aber zumindest scheinst du es doch zu wollen.“, meinte Muse schließlich. „Oder?“ „Ach, keine Ahnung. Ja, schon. Eigentlich schon.“ Adam nahm einen Bierdeckel in die Hände und wendete ihn hin und her. „Ja, doch. Verdammt, das geht auch nicht anders. Wenn er da fast oben ohne vor dir steht, würdest du auch nicht nein sagen. Ja, verdammt, ich will.“ „Dann sprich Klartext.“ André lächelte, während er einen Zug von seiner Zigarette nahm. „Du hast nichts zu verlieren. Vielleicht ist er ja auch nur schüchtern geworden und hat Angst vor einer Abweisung?“ „Red keinen Stuss. Leon weiß nicht mal, wie man Schüchternheit oder Abweisung buchstabiert.“ Mit einem Seufzer warf er einen Blick auf sein Handy. „Nya, ich muss langsam los. Er erwartet mich um drei.“ Er grinste die beiden schief ein. „Danke, dass ihr euch meine, ehm, Sorgen angehört habt. Ich weiß, ich bin naiv und nervig, tut mir Leid.“ „Dafür sind Freunde da.“ André winkte ab. „Soll ich dich vielleicht hinfahren? Bei dem Wetter ist es nicht sonderlich gut, wenn du läufst, grad, wenn du gerade erst genesen bist.“ „Nein, schon okay. Ich laufe. Passt schon.“ „Gut, wir sehen uns dann ja morgen in der Schule.“ Muse zog ihn zu sich und drückte ihm den Abschiedskuss auf die Stirn. Adam lächelte, beugte sich dann über André und gab ihm ebenfalls einen Kuss, jedoch auf den Mund und etwas länger und intensiver als der von Muse. Irgendwie hatte es sich bei dem Tänzer und ihm diese Begrüßung und Verabschiedung eingebürgert, und auch wenn Adam sich dessen durchaus bewusst war, dass ein gewisser sexueller Touch mitschwang, störte es ihn trotzdem nicht. Das, was er von Leon nicht befriedigend genug bekam, musste er sich eben wo anders holen. Dabei ignorierte er jedoch geflissentlich die Tatsache, dass er selber sich mächtig anstrengte, Leon das Gefühl zu geben, dass er seine Küsse gar nicht wollte. Sollte er vielleicht mal ändern... Mit einem letzten Winken verließ er das Café und trat in den mittelprächtigen Schneesturm hinaus. Sofort wurden die losen Enden seines Schals nach oben in die Luft gewirbelt und der Schnee landete nasskalt in seinem Gesicht. Angewidert verzog er es und überlegte sich für einen Augenblick, ob er Andrés Angebot, ihn zu fahren, nicht vielleicht doch annehmen sollte. Jedoch wollte er nicht Gefahr laufen, dass Leon rein zufällig aus dem Fenster schaute, wenn Andrés Auto in seiner Einfahrt parkte, und den Tänzer gemeinsam mit Adam sah. Er hatte so das mulmige Gefühl, dass das keine gesegnete Begegnung sein würde. Seufzend und mit zusammen gezogenen Schultern trabte er voran. Sein Blickfeld reichte nur einige Meter, und er musste die Augen fast komplett schließen, um irgendwas sehen zu können. Ach du lieblicher Winter, wie Adam das hasste. Er mochte Kälte so oder so nicht, und dann noch mitten in so einem netten Stürmchen durch die Straßen zu wandern gehörte nicht gerade zu seinen Lieblingsbeschäftigungen. Zumindest konnte er sich dann bei Leon auf eine heiße Schokolade oder eine Tasse Tee freuen. Seine Gedanken schweiften zu dem Gespräch, dass er gerade geführt hatte. Er wusste wirklich nicht, wie er noch eine weitere Woche aushalten sollte, ohne wahnsinnig zu werden. Vor allem, wenn er bedachte, dass er die letzten Tage Leon vergleichsweise wenig gesehen hatte. Die nächste Zeit würde es mehr werden, definitiv mehr. Vielleicht sollte er es wirklich drauf ankommen lassen und mit ihm Klartext sprechen. Mehr als ein ‚Nein’ konnte er ja nicht kriegen. Wobei dieses Nein dann sehr schmerzvoll sein würde, vor allem, wenn man bedachte, wie Leon sonst auf ihn reagierte. Oder, besser gesagt, reizte. Aber vielleicht war es tatsächlich nur das. Vielleicht war er für ihn nur ein neues Objekt gewesen, mit dem er ein bisschen spielen konnte, austesten, wie weit er es bringen würde, und nachdem Adam ihn abgewiesen hatte, hatte er die Lust verloren. Und jetzt war er nicht mehr als nur ein kleines Kätzchen oder ein Brüderchen oder sowas. Jemand, auf den man aufpassen konnte, den man umsorgen musste und den man mit einem Kuss tröstete. Aber niemand, der einen sexuellen Reiz ausübte. Es war zum aus der Haut fahren. Da wollte er, aber das Objekt seiner Begierde nicht. Und der große Verführungskünstler war er auch nicht gerade. Adam seufzte gottergeben. Es sollte anscheinend nicht sein. Dann würde er sich eben die nächsten Tage zu Tode quälen, auch egal. Es gab schlimmeres. Ihm fiel im Moment nur nichts ein. Es war die reinste Erleichterung, endlich in die Einfahrt von Leons Villa einzubiegen und den Schutz vor dem Sturm direkt vor Augen zu haben. Adam runzelte jedoch etwas überrascht die Stirn, als er vor der Tür einen fremden Wagen stehen sah. Ein Mercedes Roadster in Dunkelrot. Er war zwar größtenteils mit Schnee bedeckt, aber trotzdem sah man ihm an, dass er edel war, verdammt edel. Und verdammt teuer. Wer auch immer der Besuch war, er musste massig Geld haben. Eigentlich kein Wunder, da Leon selber auch keine arme Kirchenmaus war, aber mit einem mal fühlte sich Adam sehr ordinär und unbedeutend. Er hatte ja noch nicht mal einen Führerschein, von so einem Wagen würde er ewig träumen dürfen. Mit fast schon hängenden Schultern ob dieser Unterlegenheit öffnete er die Tür und trat vorsichtig ein. Jetzt fiel ihm auch mal wieder erst die elegante, luxuriöse Ausstattung von Leons Domizil auf. Inzwischen war er schon so häufig hier gewesen, dass er sich fast daran gewöhnt hatte, doch auf einmal wirkte jede einzelne Fliese, jedes Möbelstück doppelt so wertvoll. Er fragte sich ernsthaft, was Leon machen würde, wenn Adam mal aus Versehen eine der Vasen kaputt machen würde. Würde er ihn auf Taschengröße zurecht stutzen? Oder würde er einfach lächeln und meinen, dass er genug Geld hatte, um eine andere zu kaufen? Vermutlich letzteres, was jedoch das ‚auf Taschengröße zurecht stutzen’ mit beinhaltete. Leon konnte sich kaufen, was er wollte. Er bekam alles, absolut alles, von Kleidern über Autos und Möbel bis zu Reisen und Villen. Selbst die Gefühle von Menschen konnte er sich vermutlich erkaufen. Kein Wunder, dass er so arrogant war und vieles für selbstverständlich nahm. Aber, wenn man diese Faktoren bedachte, war es doch verwunderlich, wie fürsorglich und zärtlich er sein konnte. War es, weil er Adams Gefühle nicht kaufen konnte? Nun, er hatte es nicht mal probiert. Waren ihm ehrliche Gefühle wichtiger als erkauftes? Anscheinend. Tatsächlich. War es. Adam schüttelte den Kopf. Er machte sich mal wieder zu viele Gedanken. Zu viele Gedanken über Leon. Es sollte ihn besser interessieren, wer gerade zu Besuch war. Nicht, dass er sich irgendwie komplett daneben benahm und Leon in eine peinliche Situation manövrierte. Leise zog er seine Jacke, den Schal und die Mütze aus, hängte sie über den Garderobenständer, und stellte seine Schuhe neben die Kommode. Er stutzte. Wie ihm jetzt erst auffiel, lag über der Kommode ein dunkelroter Frauenledermantel und unten standen Overknee-Stiefel in der selben Farbe. Frauenbesuch. Klar. Und diese Frau schien eine sehr heiße Braut zu sein. Okay. Gut. Nannte sich dieses Gefühl, das sich grad von seinem Bauch nach oben in sein Hirn fraß, brennende Eifersucht? Ja, tat es. Er biss sich auf die Unterlippe. Gut, er hatte kein Recht auf Leon, schließlich waren sie nicht zusammen. Und er selber küsste ja auch feuchtfröhlich mit André rum, wieso sollte es Leon nicht auch dürfen? Oder auch mit einer Frau schlafen? Immerhin hatte Adam es für sich selbst bestimmt, mit dem Tänzer nicht ins Bett zu wollen, aber das war ja nichts, was er auch auf Leon übertragen durfte. Er hatte absolut kein Recht darauf. Trotzdem wäre er am liebsten zu Leon gestapft und hätte ihm eine gehörige Standpauke gehalten. Wie konnte er, mitten am Tag, da, wo jederzeit Adam aufkreuzen konnte, eine Frau zu sich einladen und sonst was mit ihr treiben? War er denn des Wahnsinns? Wollte er ihn provozieren? Eifersüchtig machen? Nun, zumindest letzteres hatte er geschafft. Verdammt! Und das nur, weil er einen Mantel und Schuhe gesehen hatte. Was würde erst passieren, wenn er Leon tatsächlich mal mit einer Frau im Arm antreffen würde? Mord und Totschlag? So ein Schwachsinn aber auch! Plötzlich hörte er ein heiseres Frauenlachen, das aus der Küche kam. Verdammt, so lachten wirklich nur Klassefrauen. Vermutlich genau der Typ, der Leon gefiel. Aber gut, er wollte ja nicht so sein und dieses Weib erst mal kennen lernen. Vielleicht sah sie gar nicht so toll aus, wie er es sich gerade vorstellte. Er versuchte, ein freundliches Lächeln aufzusetzen, doch bekam er den grimmigen Ausdruck nicht aus seinem Gesicht. Musste halt so gehen. Vorsichtig öffnete er die Küchentür und linste hinein. Und tatsächlich, das, was da auf einem der Stühle saß und an einer Tasse nippte, war eindeutig eine rassige Schönheit. Eine üppige Fülle an rotbraunen Locken fielen ihren wohlgeformten Rücken hinunter, ein schwarzes, enganliegendes Kleid betonte ihre sanften, verführerischen Rundungen und die endloslangen Beine wurden von dunklen, durchsichtigen Strümpfen bestens zur Geltung gebracht. Sie hatte hellgrüne Katzenaugen, die von langen, schwarzen Wimpern umrahmt wurden, und einen vollen, kirschroten Mund, der eine unausschlagbare Einladung zum Küssen darstellte. Lange, dunkelrote Nägel zierten ihre schlanken Finger, die mehrere Ringe trugen, und dezenter Schmuck vervollständigte ihre extravagante, aber geschmackvolle Aufmachung. Sie war der Typ Frau, der einen Raum betrat und die komplette Aufmerksamkeit der Versammelten auf sich zog. Die, der alle Männer zu Füßen lagen und für eine Nacht mit ihr die eigene Frau mit Freuden betrügen würden. Wieso sollte Leon eine Ausnahme darstellen? Dieser stand gerade an den Küchentisch gelehnt und hatte seine Aufmerksamkeit ganz der faszinierenden Schönheit vor sich gewidmet. Trotzdem bemerkte er anscheinend Adams Eintreten, da er aufsah und ihm zu lächelte. “Da bist du ja.“ Er trat zu ihm und strich ihm ein bisschen Schnee aus den Strähnen, die nicht von Adams Mütze bedeckt gewesen waren. „Bist du nicht mit dem Bus gefahren? Du wirst nur wieder krank.“ Adam schüttelte seine Hand ab und warf einen Blick zu der Frau. „Behandele mich nicht wie einen kleinen Jungen, du bist nicht mein Vater.“, knurrte er. „Entschuldige, ich wusste nicht, dass du Besuch hast.“ „Das ist kein Besuch.“ Leon wendete sich der Schönheit zu, die mit einem betörenden Lächeln den beiden zugeschaut hatte. „Das ist Tanya, eins meiner Modelle.“ „Freut mich, dich kennen zu lernen, Adam.“ Mit einer grazilen Bewegung stand sie auf und reichte ihm die Hand. Ihre Stimme verursachte wohlige Gänsehaut. „Einen wirklich schmucken Jungen hast du da bei dir wohnen, Leon. Dein Geschmack ist wie immer exquisit.“ Etwas zögerlich nahm Adam die dargebotene Hand, ließ sie dann aber schnell wieder los. Was hieß hier ‚exquisiter Geschmack’? War er ein Möbelstück oder was? „Und woher kennen Sie meinen Namen?“ Adams Knurren verbesserte sich in keinster Weise, wurde nur noch ein bisschen tiefer und unzufriedener. „Na, rate mal. Ich kann Gedanken lesen.“ Schelmisch zwinkerte sie ihm zu. „Nein, ernsthaft, Leon hat ihn mir verraten. Ich hab mich nämlich über die zweite Tasse gewundert, die heute in der Spüle stand, und da hat Leon mir ein bisschen was von dir erzählt.“ Stimmt, er hatte heute morgen die Tasse einfach stehen gelassen, als er das Haus verlassen hatte. Eine schlechte Angewohnheit, die Leon jedoch anscheinend nicht störte, wenn man nach seinem Lächeln urteilte. Aber das konnte natürlich auch an der Anwesenheit von Tanya liegen. Adam warf ihm einen kurzen Blick zu. „Und was hat er Interessantes erzählt?“ „Oh, das du ein süßer, naiver Junge bist, der gerne mal ein bisschen aufbraust und den kleinen Kampftiger spielt, aber selten beißt und eigentlich sehr liebenswert ist.“ Adam durchbohrte Leon mit einem Todesblick, doch dieser ignorierte es geflissentlich. „So, hat er das. Interessant.“ Er schwieg. Er wollte sich gar nicht mit dieser Frau unterhalten, die vermutlich eine Akrobatin im Bett war und es nur auf seinen Leon abgesehen hatte. Verständlich, wer tat das nicht. Aber im Moment wohnte ER in diesem Haus und im Moment hatte ER absolute Priorität, was irgendwelche Bettakrobatiken anging. Nun, genau jetzt im Moment vielleicht nicht, aber das würde sich bestimmt bald ändern. „Nun ja, ich muss los. Und ihr zwei wollt bestimmt alleine sein.“ Tanya zwinkerte Adam noch ein Mal zu. „Wir sehen uns ja vielleicht noch einmal, Adam. Bye, bye.“ „Warte, ich bring dich zur Tür.“ Galant wie ein Gentleman hielt Leon ihr die Küchentür auf. „Und dein Auto muss wohl auch noch vom Schnee befreit werden.“ “Oh, würdest du das tun? Du bist ein Schatz, Leon!“ Sich anlächelnd verließen sie die Küche. Adam hörte noch, wie sich unterhielten und dann nach draußen gingen, doch er konnte den Inhalt ihrer Unterhaltung nicht verstehen. Es war auch egal. Brodelnd vor Wut stellte er sich ans Fenster und beobachtete, wie Leon mit einem Handbesen den Schnee von den Scheiben ihres tollen Mercedes’ fegte. Super Gentleman. Wirklich. Er trug nicht mal einen Mantel oder sowas. Sollte er krank werden, würde Adam sich jedenfalls nicht um ihn kümmern. Ne, konnte er vergessen. Diese Tanya würd das sicher liebend gern für ihn übernehmen. Am Besten noch im Krankenschwesternoutfit. Verdammt! Er war eifersüchtig, er war bis in die letzte Haarspitze eifersüchtig. Aber, was noch viel schlimmer war, er hatte nicht mal das Recht dazu. Keinerlei Anrecht auf Leon, nichts, nada, niente. Er würde ihn nicht zur Rechenschaft ziehen dürfen. Und das machte ihn noch um einiges fuchsiger. Leon konnte rummachen, mit wem er wollte, ohne eine Bestrafung befürchten zu müssen. Verdammt, wieso war das Leben so ungerecht? Niedergeschlagen lehnte er seine Stirn gegen die Fensterscheibe. Er wollte Leon haben. Er wollte ihn für sich, nur für sich. Aber er konnte mit so einem Mordsweib niemals konkurrieren. Niemals. Einige Augenblicke später kam Leon wieder rein, sich den Schnee von den Schultern klopfend. „Meine Güte, ist das ein Wetter.“ Er strich sich kurz durch die Haare. „Wieso bist du nicht mit dem Bus gefahren? So waren meine Bemühungen der letzten Tage für die Katz’.“ Gemächlich drehte sich Adam um, den Kopf an die Fensterscheibe gelehnt, und sah Leon ausdruckslos an. Ihm war zum Heulen zu Mute, aber das wollte er nicht zeigen. „Schon gut. Mir tut nur noch der Hals ein bisschen weh, ist nicht der Rede wert.“ Leon zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Ich mach dir trotzdem mal einen Tee. Sicher ist sicher.“ „Mhm.“ Er legte den Kopf ein wenig schief. „Sag mal, welches Motiv malst du mit ihr?“ „Hm? Nichts besonderes. Erotik. Akt. In einem netten Ambiente, nichts weiter.“ „Akt?“ Adam schluckte. Das wurde ja immer besser. „Ja, Akt.“ Leon warf ihm kurz einen fragenden Blick zu, während er Wasser aufstellte und in eine Tasse den Teebeutel und drei Löffel Zucker gab. „Wieso so erstaunt?“ „Uhm. Nichts weiter.“ Er atmete einmal tief durch. „Kann ich es mal sehen? Das Bild? Oder, was du bis jetzt auch immer hast. Die Skizzen?“ „Klar. Die Staffelei ist oben noch aufgebaut, kannst es dir mal anschauen. Ich komm gleich nach, sobald der Tee fertig ist.“ „Mhm, okay.“ Akt. Dieses eine Wort brannte sich in Adams Vorstellung wie ein flammendes Eisen ein, während er nach oben ging. Akt. Diese Frau räkelte sich komplett nackt vor Leons Augen, vor Leons Künstleraugen, vor Leons Männeraugen. Er sah sie an, sah jedes bisschen von ihr genau an, musterte ihre wallenden Haare, den kirschroten Mund, den flachen Bauch, die runden, wohlgeformten Brüste, die straffen Schenkel und, vor allem, den Ort zwischen ihren Schenkeln. Wurde er erregt? Betrachtete er sie nur als Kunstobjekt? Wohl kaum. Nicht bei so einer Frau. Natürlich, Leon war ein Profi. Aber trotzdem, konnte man es komplett ausblenden, wenn so eine Schönheit vor einem lag, und sich nur auf die Arbeit konzentrieren? Adam konnte es sich beim besten Willen nicht vorstellen. Oben war es beheizt und angenehm warm, wie immer. Einer der Diwane war weiter in die Mitte des Raumes gerückt. Darauf befanden sich mehrere Kissen und feine, dünne Decken, die sehr zerwühlt wirkten. In geringer Distanz dazu hatte Leon seine Staffelei und einen Stuhl aufgestellt. Adam trat zur Staffelei, auf der sich noch die Leinwand befand. Momentan befand sich darauf nur eine Bleistiftskizze ohne Farbe, doch das reichte schon aus. Tanya lag mit dem Kopf nach unten auf dem Diwan, ein Bein leicht angewinkelt, während das andere ausgestreckt war. Die langen Haare fielen in einem dichten Schleier zu Boden, und eine ihrer Hände hatte sie in die Decken um sie herum gekrallt, während die andere locker auf ihrem Bauch lag. Die Augenlider hatte sie leicht gesenkt, so dass die Wimpern einen dunkeln Schatten auf ihre Augen warfen, und die Lippen waren lasziv geöffnet. Das Kissen- und Deckenwirrwarr um sie herum gab dem ganzen Bild noch einen weiteren, sexuell anreizenden Touch. Leon war ein absolutes Genie. Das gesamte Bild wirkte, als ob Tanya tatsächlich vor ihm liegen würde. Als ob die Stimmung in dem Bild nach draußen treten, den Betrachter umklammern und nie wieder loslassen würde. Wunderbar. Perfekt. Nur, welche Stimmung herrschte wohl, während er zeichnete? Was fühlte Tanya, wenn sie von diesen Augen betrachtet wurde? Was Leon, während er diese Stimmung einfing? Er starrte die Leinwand immer noch an, als Leon mit dem Tee kam. „Und, gefällt es dir?“, fragte er und drückte Adam die Tasse in die Hand. „Mhm. Wie jedes deiner Bilder.“ „Ah. Du starrst sie so an. Gefällt SIE dir?“ In seiner Stimme klang ein Lachen mit. „Schon vergessen, ich bin schwul.“ Adam drehte sich leicht zu ihm und sah ihn von unten herab an. „Gefällt sie dir?“ „Hm, natürlich. Sie ist eine sehr erotische Frau und hat Charakter.“ „Ward ihr miteinander im Bett?“ Er hatte den Drang danach, den Blick zu senken, aber er zwang sich, Leon anzuschauen. Leon und seine Reaktion. Dieser sah ihn nur leicht amüsiert an. „Nein, wie kommst du da drauf?“ „Weil sie.. weil das...“ Mit einer hilflosen Bewegung umfasste er den ganzen Raum. „Sie gefällt dir. Und ich kann mir vorstellen, dass die Stimmung... also, wenn du zeichnest, dass es wirklich knistert. Und, ich mein... sie ist ja sicher auch nicht abgeneigt.“ Leon begann, die Staffelei abzubauen. „Ich hab kein Bedürfnis, mit ihr ins Bett zu steigen. Sie ist sehr sexy, ja, aber mehr nicht. Außerdem,“, er warf Adam ein Lächeln zu, „ist sie verheiratet.“ „Was?“ Adam sah ihn komplett aus der Fassung gebracht an. „Sie ist verheiratet? Das ist nicht dein Ernst, oder? Und ihr Mann lässt es zu, dass du sie zeichnest?“ „Ja. Er vertraut ihr und weiß, dass er keinen Grund zur Eifersucht hat. Sie sind schon seit längerem zusammen, Misstrauen gibt’s bei denen nicht. Außerdem sind die Bilder, die ich von ihr male, auch für ihn. Ein Geschenk sozusagen.“ Vertrauen. Adam hatte in dieser Sache kein Vertrauen zu Leon, aber sie waren ja auch nicht zusammen. Oder verheiratet. „Aber, trotzdem. Ich mein, da liegt eine nackte Frau vor dir und du wirst nicht erregt?“ „Ich bin Profi, Adam.“ Er räumte die Sachen in einen Schrank, ging zum Diwan und brachte die Decken dort ein wenig in Ordnung. „Ich sehe das Modell nur als das, was es ist: ein Objekt, das ich zeichne. Nicht mehr und nicht weniger.“ „Mhm.“ Der Junge trat hinter den Diwan und strich über die Lehne. Wie war es wohl, so von Leon gezeichnet zu werden? Seine Augen über den nackten Körper gleiten zu spüren? Wie war es, nackt vor ihm zu liegen und ihm alles, wirklich alles preiszugeben? „Willst du mich zeichnen?“ Leon zog eine Augenbraue hoch. „Was hab ich denn bis jetzt die ganze Zeit getan?“ „Nicht so.“ Adam atmete einmal tief durch und sah ihm dann fest in die Augen. „Du hast keinen Akt von mir gezeichnet.“ Der Künstler musterte ihn scharf. „Du willst, dass ich einen Akt von dir... du...“ Er war eindeutig verwirrt. Und auf diese Frage unvorbereitet. „Du warst doch sonst immer so dagegen?“ „Ich will’s ausprobieren. Wie das ist.“ Sein Herz schlug ihm wie wild bis zum Hals. „So schwer kann das doch nicht sein. Und langsam wird’s langweilig, immer nur angezogen oder halbangezogen. Ich will auch eine Herausforderung haben.“ Es waren fadenscheinige Ausreden, aber für Leon musste das genügen. Er wollte keine Herausforderung, er wollte Leon. Er wollte seine Augen auf sich spüren, wollte wissen, wie es war, ihm alles darzubieten, ohne Wenn und Aber. „Gut.“ Leon sog die Luft ein und atmete langsam aus. „Dann zieh dich aus.“ Er nahm einen Block und einen Bleistift heraus und setze sich auf den Stuhl, die Augen auf Adam gerichtet. Dieser drehte ihm den Rücken zu und starrte erst einmal einige Augenblicke auf den Diwan. Er wusste nicht, welcher Teufel ihn geritten hatte, aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Und er wollte es auch nicht. Nicht mehr. Langsam zog er seinen Pullover aus und warf ihn achtlos auf den Boden, ließ das T-Shirt, das er darunter trug, kurz darauf folgen. Befreite sich von den Socken, ohne auch nur einen Blick zu Leon zu werfen. Doch er spürte sie, die aufmerksamen Blicke, die jede seiner Bewegungen verfolgten. Eine Gänsehaut breitete sich auf seinem Rücken aus und das Kribbeln in seinem Bauch wurde mit einem Mal stärker, noch viel stärker. Mit zittrigen Fingern öffnete er den Knopf seiner Hose und ließ sie nach unten gleiten. Er bebte am ganzen Körper. Unkontrollierbar. Zögernd zog er seine Pantys nach unten und warf ihn auf den restlichen Kleiderhaufen. Nervös drehte er sich um. „Und jetzt?“ Er unterdrückte das Verlangen, sich mit den Händen zu bedecken. Verdammt, Leon hatte ihn doch schon mal nackt gesehen, wieso machte er dann so ein Theater draus? Und er war sicher nicht der erste nackte Junge vor Leons Augen. Mal davon abgesehen, nach dem Sport duschte er sich auch immer mit den anderen, ohne diese Scham. Wieso jetzt? Wieso zitterte er am ganzen Körper? Wieso würde er sich am liebsten in eine der Decken wickeln und nie wieder da raus kommen? Aber er bereute es nicht. Er bereute es immer noch nicht. Denn gleichzeitig tat es unheimlich gut, wie Leons Augen über seinen Körper glitten. Über die helle Haut, die Schlüsselbeine entlang, über seine Brust nach unten, weiter nach unten. Adam schluckte. „Setz dich. Oder leg dich hin. Wie du willst. Mach es dir bequem.“ Leons Stimme war ruhig, wie immer. Adam hätte sich gewünscht, zumindest den Anflug von Erregung zu hören. Ein bisschen Heiserkeit, ein bisschen rauer. Aber er war ein Profi. Er sah ein Modell nur als das, was es war. Ein Objekt, das er zeichnete. Vorsichtig setze Adam sich hin, zog ein Bein an sich und ließ das andere nach unten baumeln. Seinen einen Arm ließ er locker an sich runter hängen, den anderen legte er mit dem Handgelenk auf sein angewinkeltes Knie, doch irgendwie war er nicht zufrieden damit. Er konnte Leon sehen. Er konnte sehen, wie er ihn beobachtete. „Du kannst die Augen schließen.“, meinte Leon, immer noch in einem neutralen Ton. Adam nickte, lehnte seinen Kopf zurück und tat wie ihm geheißen. Besser, viel besser. Jetzt war er in der Lage, an irgendwas anderes zu denken. Nicht dauernd Leons Blick im Kopf zu haben. Nicht dauernd dieses wahnsinnige Gefühl im Bauch spüren. Pustekuchen. Er spürte sie. Diese rauchgrauen Augen, wie sie über seinen Körper fuhren. Wie sie ihn streichelten. Von den Haaren nach unten, über seinen bloßgelegten Hals, über die Brust, die Bauchmuskeln entlang. Sie blieben kurz an seinem Bauchnabel hängen, zögernd, zaudernd, bevor sie noch weiter nach unten glitten, über sein Schambein, sein Glied, die festen Schenkel entlang zu dem Knie und schließlich zu den Zehenspitzen. Immer wieder. Sein Hals fühlte sich wie zugeschnürt an. Langsam breitete sich in seinem ganzen Körper Hitze aus. Es war zum Verrückt werden. Es war purer Wahnsinn. Es war nicht zum aushalten. Aber er musste weiterhin sitzen bleiben, weiterhin diese Blicke, die ihn in Flammen setzten, ertragen. Weiterhin sein Herz wie wild schlagen lassen, als ob es ihm gleich aus der Brust springen würde. So tun, als ob nichts wär. Als ob rein gar nichts wär. Adam wusste nicht, wie lange er so da gesessen hatte, als er hörte, wie der Block zu Boden fiel. Oder, besser ausgedrückt, knallte. „Ich brauch eine Pause.“ Noch bevor er reagieren konnte, war Leon bereits aufgestanden und hatte den Raum verlassen. Überrascht blickte er ihm nach, sprang dann auf und raffte sich eine der dünnen Decken um die Hüfte. Er wollte ihm folgen, überlegte es sich dann aber kurz anders und nahm den Block hoch. Und hielt die Luft an. Nichts. Er wusste zwar nicht genau, wie lange er dort gesessen hatte, aber bestimmt mehr als eine halbe Stunde. Und was hatte Leon zu Stande gebracht? Nichts. Keinen einzigen Strich. Keine Radierung, nicht mal der Versuch, irgendwas zu Zeichnen. Er hatte ihn einfach nur angeschaut. Die ganze, gottverdammte Zeit, in der er tausend Tode vor Aufregung gestorben war, hatte Leon nur auf seinem Stuhl gesessen und ihn angeschaut. Langsam stieg brodelnde Wut in ihm auf. Was dachte sich der Mistkerl eigentlich dabei? Was, zum Teufel noch mal, dachte er sich dabei? Zornig stapfte er nach unten, so dass man seine Schritte vermutlich im ganzen Haus hören konnte. Leon war in der Küche, wie nicht anders zu erwarten. Mit einem Ruck stieß er die Tür auf und kam mit einer Mördermiene auf ihn zu. „Was, verdammt nochmal, soll das?“ Er war stark bemüht, seine Stimme zu beherrschen, doch es wollte nicht so ganz klappen. Der Zorn war eindeutig herauszuhören. Leon stand mit dem Rücken zu ihm. Er nippte gerade an einem Glas mit Wasser, stellte es dann langsam ab und drehte sich mit einem tiefen Einatmen zu Adam. Sein Blick war nicht zu deuten. „Was?“ “Was? WAS? Das fragst du noch? Du hast nicht einen Strich, nicht einen einzigen, beschissenen Strich gezeichnet. Weißt du, was das für mich für eine Überwindung ist, mich auszuziehen und dir so zu präsentieren? Weißt du, wie verdammt quälend das ist? Und du bemühst dich nicht mal. Schaust mich nur an. Die ganze Zeit. Verdammt, was sollte das?“ Er sah ihn nur ausdruckslos an. „Ich bin auch nur ein Mann.“ „Ein... was?“ Adam starrte ihn fassungslos an. „Was soll das bitte heißen, verdammt?“ „Dass ich von deinem Anblick nicht unberührt geblieben bin, was denn sonst?“ Leons Stimme nahm einen verärgerten Ton an. „Du bist ein Profi.“ „Anscheinend ja nicht Profi genug.“ „Du hast dich nicht mal von Tanya ablenken lassen.“ Inzwischen stieg in Adam so etwas wie Verzweiflung hoch. Verzweiflung und Unglaube. Absoluter Unglaube. „Du bist nicht Tanya.“ „Nein, ich bin ein kleiner, naiver Junge, verdammt. Du willst mir doch nicht... du meinst doch nicht... Ich mein, verdammt, du lässt dich von mir erregen, aber von Tanya nicht?“ Leon rieb sich über die Stirn, einen erschöpften Ausdruck im Gesicht. „Können wir das bitte lassen?“ „Nein.“ Adam sah ihn an. Nahm seine Hand von seiner Stirn und sah ihm in die Augen. In diese wundervollen, rauchgrauen Augen. Diese Augen, die so viele verschiedene Facetten aufwiesen. Diese Augen, die ihn begehrten. „Du willst mit mir schlafen?“ Sein Herz wollte aus seiner Brust brechen, schlug so wild, dass es sein Innerstes komplett aufwühlte. Aber jetzt, genau jetzt bot sich die Chance, die er so sehr gewollt hatte. „Dann tu es doch.“ Sein letzter Satz war nur ein Flüstern. Für einige Augenblicke sahen sie sich nur an. „Weißt du eigentlich, was du da sagst?“ „Ja.“ Nein, eigentlich nicht. Das Kribbeln in seinem Bauch wurde stärker, immer stärker. Nein, er wusste nicht, was er da sagte, was er da tat. Zu spät. Leons Blick verdunkelte sich. Das Grau einer Gewitterwolke. Das Grau einer stürmischen See. Er zog Adam zu sich, nahm sein Gesicht vorsichtig zwischen seine Hände und küsste ihn. Adam schloss die Augen. Zu spät. Kein Zurück. Seine Finger krallten sich in Leons Hemd. Er spürte das vorsichtige Vorantasten von Leons Zunge, öffnete bereitwillig den Mund, um sie zu empfangen. Es schmeckte süß, wundervoll süß. Seine Zunge umrundete die Spitze von Leons, glitt an ihr entlang, in seine Mundhöhle. Er hatte mit André Erfahrung gesammelt, genug Erfahrung. Zumindest in diesem Bereich. Leon spielte mit ihm. Entzog sich immer wieder seiner suchenden, forschenden Zunge, stupste sie an, leckte über ihre Oberfläche. Adam erschauderte. Zog Leon noch fester an sich. Der Künstler löste seine Hände von Adams Gesicht, strich mit ihnen über seine nackten Schultern zu seinen Schulterblättern, glitt mit den Fingerspitzen sein Rückgrat entlang zu dem dünnen Stoff, der um seine Hüften geschlungen war. Mit langsamen Bewegungen streichelte er die Haut direkt am Stoff, löste sich von Adams Mund und blieb mit dem Gesicht einige Zentimeter von ihm entfernt. Ein dünner Speichelfaden verband noch kurz ihre Zungenspitzen, bevor er abriss. Leon beugte sich über seinen Hals, küsste genießerisch die weiche Haut, biss dann vorsichtig hinein und saugte daran. Zärtlich strich er mit der Zunge über die Stelle, während Adam ihn noch fester an sich zog. Er war nicht in der Lage, irgendwas zu machen. Er wollte es genießen, nur genießen. Wollte jeden einzelnen Moment, jede Berührung in sein Innerstes sperren, um sie nicht zu verlieren. Auf keinen Fall zu verlieren. Behutsam wanderten Leons Hände zu Adams Seiten, strichen mit den Fingerkuppen über die empfindlichen Stellen, verursachten weitere Schauder. Er beugte Adam ein wenig nach hinten, senkte seinen Kopf und nahm eine seiner Brustwarzen in den Mund. Vorsichtig saugte er daran, ließ sie wieder los und strich mit den Zähnen drüber. Adam entwich ein leises Stöhnen. Erschrocken riss er die Augen auf und biss auf einen Knöchel. Verdammt. Verdammt, er verlor die Kontrolle über sich. Verdammt. Leon wechselte zur anderen Brustwarze, während er langsam das Tuch um Adams Hüften nach unten streifte. Seine Finger wanderten zu seinen Pobacken, glitten die Innenseiten der Schenkel entlang und wieder nach oben. Er ging in die Knie. Mit seiner Zunge zog er eine feuchte Spur über Adams Bauchdecke, der inzwischen seine Finger in Leons Haaren verkrallt hatte. Die Hitze breitete sich in seinem ganzen Körper aus, brachte ihm zum Erzittern. Raubte ihm sein vernünftiges Denkvermögen. Leons Mund war inzwischen bei seinem oberen Schambereich angelangt. Vorsichtig saugte er an der empfindlichen Stelle, leckte genüsslich über den Lendenbereich, ohne sonderlich auf Adams Stöhnen zu achten. Ging langsam weiter nah unten. Es gab kein Zurück. Nein. Er war sich nicht sicher. Verdammt. Er wollte es. Trotzdem. Ein beklemmendes Gefühl stieg in ihm auf. Scheiße. Kein Zurück? „Nein, warte!“ Nicht hier, nicht jetzt. Nicht so. Leon hielt inne. Er lehnte kurz seine Stirn gegen Adams Unterbauch und sah dann auf, sah ihn Adams wunderbar hellblaue, kristalline und jetzt, in diesem Moment, hilflosen Augen. Seine Finger in Leons Haaren zitterten. Sein gesamter Körper bebte. „Nein?“ Leons Stimme war tonlos. „Nein.“ Adams Stimme bebte. „Nicht hier. Nicht... nicht jetzt. Ich... will... ich kann... ich weiß nicht.“ Mehr als unzusammenhängendes Gestammel brachte er nicht heraus. Leon seufzte kurz, richtete sich dann wieder auf und nahm Adam zärtlich in den Arm. „Schon gut. Schhhh. Schon gut.“ Er strich ihm sanft durch die Haare. „Zwing dich nicht. Wenn du nicht willst, ist es okay.“ “Ich will doch.“ Adam vergrub sein Gesicht in Leons Hemd. „Ich will. Aber... ich... keine Ahnung... ich hab Angst.“ Angst vor was? Er wusste es nicht. Er hörte nur sein Herz wie verrückt schlagen, hörte das Klopfen von Leons ruhigem Herzen. Er wollte ihn, er wollte ihn so sehr. Verdammt, was war los? „Angst.“ Leon sagte es ruhig. Ohne Ärger, ohne Enttäuschung. „Ich verstehe.“ Er konnte gar nicht verstehen. Adam verstand es ja selber nicht. Und trotzdem, es tat gut. Es tat gut, dass er ihn deswegen nicht verurteilte. Oder ihn wegstieß. „Dann lassen wir es.“ Der Künstler drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Stirn. „Du brauchst dich nicht zu zwingen.“ „Nein, nein.“ Verzweifelt hielt er ihn am Hemd fest, bevor er sich komplett von ihm lösen konnte. „Nein. Ich will es. Ich zwing mich nicht. Ich... ich brauch nur... es war so spontan... ich hab’s mir nicht überlegt... es war zu plötzlich... ich... keine Ahnung...“ „Schon gut. Beruhig dich. Ich mach dir ja keinen Vorwurf daraus.“ Er lehnte seine Stirn gegen Adams. „Wie wär es, ich werde jetzt gehen und noch ein paar Sachen erledigen. Du bleibst hier, kannst dir alles in Ruhe überlegen, und heute Abend, wenn du es willst, wenn du es wirklich willst, kommst du einfach in mein Zimmer, okay? Und wenn du es nicht willst, ist es auch kein Problem. Ja?“ Sanft strich er ihm über die Schläfen. „Okay?“ Adam nickte nur. Er kam sich so dumm vor, so schrecklich dumm. Da hatte er im Gespräch mit Muse und André gemeint, er würde es wollen, und es würde ihn tierisch aufregen, dass Leon nichts machte, und jetzt, wo er die Chance hatte, ging er auf Rückzug. So dumm, so absolut dumm. Wovor hatte er Angst? Wovor in drei Teufels Namen hatte er solche Angst? Leon küsste ihn noch einmal. Sanft. Unendlich zärtlich. „Bedenke aber bitte eins,“, er strich ihm eine Strähne aus dem Gesicht, „solltest du heute Abend kommen, werde ich nicht mehr abbrechen können. Okay?“ Adam nickte wieder nur. Für einen kurzen Augenblick drückte Leon ihn nochmal an sich, musterte ihn einige Sekunden und verließ dann den Raum. Ein wenig später hörte er die Eingangstür ins Schloss fallen. Wie von unsichtbaren Fäden losgelassen ging er in die Knie, die Decke um seine nackten Schultern ziehend. Verdammt. Verdammte Scheiße. Wieso? Wieso hatte er nur den Rückzug angetreten? Wieso? Er verstand es nicht. Wovor hatte er Angst? Vor den Schmerzen? Vor der Lust? Vor dem danach? Er zog die Knie an seinen Körper, umschlang sie fest mit seinen Armen und starrte einen Punkt auf dem Boden an. So jämmerlich. So schrecklich jämmerlich. Erst provozierte er es, forderte es heraus, und kniff dann den Schwanz ein. Jämmerlich. Wieso war Leon nicht ausgerastet? Er hätte es verstanden. Er hätte es in keinster Weise übelgenommen. An seiner Stelle... Ja, an seiner Stelle wäre er durchgeknallt, hätte ihn beschimpft und angeschrieen. Alles. Nur nicht zärtlich in den Arm genommen und getröstet. Vor was hatte er also Angst? Irgendwie plötzlich erschöpft stand er auf, schlurfte nach oben ins Atelier und zog seine Klamotten wieder an. Er wagte es gar nicht, sich umzuschauen. Es wirkte so leer. Ohne Leon wirkte es groß und leer. Kein erotischer Funken, der überspringen konnte. Nichts. Er ging ins Wohnzimmer, legte sich auf die Couch und schloss die Augen. Leons Geruch lag in der Luft. Seine Präsenz. Wie an jeder Stelle in diesem Haus. Aber ohne ihn, ohne seine tatsächliche Anwesenheit, wirkte es immer noch leer. Leblos. Kaum zu glauben, wie viel Leben er mit sich brachte. Wie viel Leben in ihm steckte. Mit einem Unterarm über die Augen gelegt, beruhigte er sich langsam. Nach und nach war er wieder in der Lage, ruhig und vernünftig zu denken. Die Erregung und die Unsicherheit auszusperren. Wo war das Problem? Die Schmerzen. Es war normal. Es würde beim ersten Mal immer Schmerzen geben, da kam er nicht drum rum. Irgendwann würde er sich daran gewöhnen, irgendwann würde es nichts mehr ausmachen. Und Leon war zärtlich. Vorsichtig. Er würde auf ihn achten, würde ihm nicht weh tun wollen. Niemals. Die Angst zu Versagen. Leon erwartete von ihm keinen Akrobaten oder ein plötzliches Naturtalent. Er wusste, dass es Adams erstes Mal sein würde. Das er weder Übung noch Erfahrung hatte. Leon würde ihn leiten, würde ihm zeigen, was gut war, was schlecht war, was er vermeiden oder beachten solle. Würde es nicht klappen, würde er es einfach nochmal versuchen. Oder ihn einfach in den Arm nehmen, wie gerade eben auch. Er würde ihm nichts vorwerfen, bestimmt nicht. Die Folgen. Ja, davor hatte er Angst. Wahnsinnige Angst. Er liebte Leon, aber was war er für ihn? Was würde Leon danach von ihm denken, von ihm halten? Wär er noch interessant für ihn? Oder würde er ihn einfach fallen lassen? Würde er ihn benutzen? Mit ihm spielen? Ihn zu einem Werkzeug seiner Begierde machen? Oder würde er ihn lieben, seinen Körper lieben? Ihn umarmen, wertschätzen, zärtlich umfassen? Er wusste es nicht. Er konnte sich die Antworten beim besten Willen nicht vorstellen, in keinster Weise. Er hatte einfach nur Angst davor, schreckliche Angst. Doch er wusste auch, dass es nichts brachte, vor dieser Angst davon zu laufen. Die Antworten würden nicht von selbst kommen, er würde etwas dafür tun müssen. Er würde es drauf ankommen lassen müssen. Es war bereits dunkel und später Abend, als Leon zurück kam. Adam hatte sich keinen Millimeter von seinem Platz bewegt, aber jetzt lauschte er aufmerksam den Geräuschen von unten. Wie er den Mantel und die Schuhe auszog. Seine Schritte auf den Treppenstufen, wie er langsam nach oben kam. Auf dem obersten Absatz für mehrere Sekunden stehen blieb. Sich dann zu seinem Zimmer drehte und dort hin ging. Noch einmal im Türrahmen stehen blieb, bevor er komplett in seinem Schlafzimmer verschwand. Wie die Tür leise ins Schloss fiel. Leise. Endgültig. Adam atmete tief durch. Sein Herz raste, doch er versuchte es zu ignorieren. Musste es ignorieren, um seinen Mut nicht wieder zu verlieren, seinen Entschluss nicht wieder über den Haufen zu werfen. Es brachte nichts, feige zu sein. Sollte es schmerzen, würde es eben schmerzen. Aber dann hatte er Gewissheit. Eine weitere Erkenntnis. Und würde sich nicht dauernd mit dieser elendigen Unsicherheit herumschlagen. Langsam stand er auf und tapste aus dem Zimmer. Er schaltete seine Gedanken ab, versuchte nur, auf sein Gefühl zu hören. Der Weg zu Leons Tür schien ewig lang und gleichzeitig viel, viel zu kurz. Für einige Augenblicke blieb er davor stehen. Einige endlose Augenblicke. Kurz strich er sich über den Fleck, den Leon ihm an seinem Hals zugefügt hatte. Dann atmete er tief durch. Und klopfte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)