Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 14: ------------ „Liebt er dich?“ „Nein.“ Es klang irgendwie hart und kalt, sehr schmerzhaft, aber es war die absolute Wahrheit. Und Adam hatte wirklich nicht vor, sich irgendwelche falschen Illusionen zu machen. Egal wie nett, fürsorglich oder zärtlich Leon sich ihm gegenüber verhielt, er liebte ihn nicht. Mit einem Seufzer blieb er bei dem Drehständer mit den Handyanhängern stehen und schaute sie sich an. Er liebte ihn nicht. „Und das macht dir nichts aus?“ Die Frage klang beiläufig, aber auch ein wenig verwundert. Muse gesellte sich neben ihn und nahm einen der Anhänger vom Haken, um ihn etwas genauer anzuschauen. Sie beide hatten spontan entschlossen, ein bisschen durch die Stadt zu flanieren, und waren gerade in irgendeinem Krimskramsshop kleben geblieben. Im Moment lag Adam Muse mit dem gestrigen Tag in den Ohren. Gut, im Moment war der falsche Ausdruck, im Grunde genommen hatte er den gesamten Tag kein anderes Thema gehabt. Er kam sich mehr und mehr vor wie ein kleines, verliebtes Mädchen, doch irgendwie konnte er nichts dagegen machen. Es war schließlich eine Tatsache. Er war verliebt, bis über beide Ohren. Und auch wenn es ihm nicht gefiel, er war dem hilflos ausgeliefert. „Wieso sollte es mir etwas ausmachen?“, meinte er leicht verwundert und beugte sich über Muse’ Schulter, um den Anhänger ebenfalls zu begutachten. „Also, ich mein, was genau meinst du?“ „Na ja, er küsst dich, hält mit dir Händchen und tröstet dich. Er benimmt sich, als ob ihr ein Paar wärt, liebt dich aber nicht. Das ist doch... keine Ahnung, anstrengend. Und irgendwie...“ Muse schwieg einen Moment. „Er nutzt dich doch nur aus, oder? Ich mein, also, er hat dich, kann mit dir machen, was er will, aber da ihr nicht fest zusammen seid oder überhaupt gegenseitige Gefühle vorhanden sind, kann er sich auch noch mit anderen amüsieren.“ „Vielleicht macht er das nicht.“ Adam ignorierte den skeptischen Blick von Muse und nahm ihm den Anhänger aus der Hand. „Gefällt er dir?“ „Wer?“ „Der Anhänger, wer denn sonst?“ „Nein. Ich mag keine Katzen. Ich bin absolut allergisch gegen die Viecher. Außerdem“, er holte sich das Teil wieder und hängte es an seinen Platz zurück, „sind Handyanhänger was für Mädchen.“ „Und? Wir sind schwul, wir dürfen was mädchenhaftes an uns haben. Wir haben sozusagen die offizielle Erlaubnis der Gesellschaft.“ Muse lachte leise und ging weiter, während Adam ihm in Gedanken versunken folgte. Machte es ihm etwas aus, wie Leon sich benahm? „Ehrlich gesagt,“, Muse drehte den Kopf ein wenig zu seinem Freund, der leicht erschrocken zusammen zuckte, „ich mag Leon nicht. Er kommt mir sehr arrogant und selbstverliebt vor. Vermutlich denkt er, er hat dich für sicher, und kann deswegen machen, was er will. Was mich aber nicht wirklich wundert. Du benimmst dich auch wie ein verliebtes Schoßhündchen.“ „Hey!“ Adam puffte ihn gegen die Schulter und zog die Augenbrauen zusammen. „Sag das nicht. Es ist einfach nur... es ist einfach nur schön. Es ist einfach nur schön, wenn er mich küsst und so. Wenn er nett ist. Und nicht selbstverliebt und arrogant.“ „Was er ja anscheinend öfter ist.“ „Ja, schon. Trotzdem. Er hat auch eine nette Seite.“ „Also, so wie ich das sehe,“, Muse drehte sich komplett zu ihm um und musterte ihn kritisch, „hast du eine fette, rosarote Brille an. Blick den Tatsachen mal ins Gesicht, Adam. Er liebt dich nicht. Er sieht in dir ein Modell, ein schönes Objekt zum Zeichnen und einen netten Zeitvertreib. Du spielst ihm ja auch wunderbar in die Hände. Lässt dich küssen, in den Arm nehmen und das ganze. Nicht mehr lange, und du landest mit ihm im Bett. Und spätestens dann bist du entweder sein Betthäschen oder abgeschrieben. Was ist dir lieber?“ „Nichts von beidem.“ Adam errötete leicht und widmete sich komplett den Haken mit den Ohrringen. „Ich will weder das eine noch das andere. Aber ich muss ja nicht mit ihm schlafen.“ „Früher oder später wirst du es tun.“ „Wer sagt das?“ Er biss sich auf die Unterlippe. „Ich hab gar nicht das Bedürfnis danach.“ „Er aber.“ „Bis jetzt konnte ich mich noch ganz gut wehren.“ „Ja, bis jetzt. Bis jetzt war dir aber auch noch nicht klar, dass du schwul und ihn verknallt bist. Ich glaub, dass ändert einiges.“ „Ach, was.“ Er vertiefte sich in die Musterung von irgendeinem Ohrringpaar, ohne es wirklich zu merken. Musste Muse in so vielen Punkten recht haben? Ein Modell, ein schönes Objekt. Er hatte fast genau die gleichen Worte benutzt wie Sachiko. Dabei wusste er noch nicht mal von dem, was letzten Donnerstag geschehen war. Adam hatte es vorgezogen, es für sich zu behalten. Es würde nur zu sehr weh tun, es noch mal zu wiederholen und dann vielleicht eine niederschlagende Analyse dieser Dinge zu bekommen. Eine Analyse, die besagte, dass Leon sein „Ich hasse dich“ ernst gemeint hatte und im Moment nur mit Adam spielte, ihn als Zeitvertreib benutzte. Aber, wenn das der Fall war, hätte er sich dann gestern so sehr um ihn gekümmert? Hätte er Pete Kontra geboten und ihn dann so sanft geküsst? Ihm dieses Lächeln geschenkt und mit ihm diese freundschaftlichen Späßchen getrieben? Leon konnte bestimmt gut schauspielern, aber so gut? Wohl kaum, oder? Oder? Es tat so gut, sich selbst zu belügen. Und sich in einer falschen Sicherheit zu wiegen. Er ließ seinen Blick nach draußen wandern, wo leise die Schneeflocken zu Boden schwebten. Die Welt wurde in Watte verpackt, nach und nach, und alles außerhalb kam ihm unwirklich, unrealistisch vor. Das, was ihn an der ganzen Sache störte, war es, nicht zu wissen, woran er war. Wenn Leon ihn tatsächlich nur als Zeitvertreib ansah, wollte er es wissen. Dann würde er vielleicht sein Herz nicht so sehr in die ganze Sache legen. Vielleicht. „Brauchst du Ohrringe?“ Adam schreckte auf und sah Muse verwirrt an. „Was?“ „Ob du Ohrringe brauchst. Du starrst sie schon die ganze Zeit an.“ „Uhm. Nein, eigentlich nicht.“ Er tippte kurz an seine eigenen Stecker. „Das ist alles Modeschmuck, ich bräuchte schon echtes Gold oder Silber. Ansonsten kann ich die keine zwei Stunden tragen.“ Leicht gelangweilt sah er sich um. „Brauchst du noch irgendwas? Oder gehen wir weiter?“ „Gehen wir weiter. Hier gibt’s nichts für mich.“ Adam folgte Muse aus dem Laden raus. Draußen war es kalt geworden. Weiße Atemwölkchen bildeten sich, wenn sie ausatmeten. Für einen Augenblick genoss er die kalte Luft um ihn herum. Sein Blick wanderte zu Muse, der sich mit zusammengezogenen Augenbrauen umschaute. Er nahm sich die Zeit, um seinen Freund zu mustern, etwas, was er in letzter Zeit immer wieder gerne tat. In den Wochen, in denen sie sich kannten, hatte Muse sich geändert, zumindest ihm gegenüber. Die anfängliche Schüchternheit war nahezu komplett verschwunden, er sagte offen und ehrlich seine Meinung und scheute sich nicht, Adam mal zurecht zu stutzen, wenn es nötig war. Oder Halt zu geben, wenn er wegen Leon ein emotionales Tief hatte. Seltsam, jahrelang war Adam ohne Freunde ausgekommen, und plötzlich konnte er es sich nicht vorstellen, Muse nicht mehr an seiner Seite zu haben. Seine Lippen verzogen sich zu einem leichten Lächeln. Muse hatte sich wohl auch nicht träumen lassen, mit dem einzelgängerischen Adam eine Freundschaft zu schließen. Es wirkte fast wie eine Symbiose, in der sie sich gegenseitig etwas gaben, was der andere brauchte. Freundschaft, Selbstvertrauen, einen Rat oder einfach nur ein geduldiges Ohr. In so kurzer Zeit. Wie wäre es gewesen, wenn Adam Muse früher angesprochen hätte? Wär vielleicht sogar mehr daraus geworden als nur Freundschaft? Muse kam zwar nicht mal annähernd an Leon heran, was das Äußere betraf, aber er hatte was, vor allem, seitdem er sich seine Haare nach hinten zusammenband und nicht mehr lasch ins Gesicht hängen ließ. Sehr männliche Züge, aber trotzdem ein offenes, ehrliches Gesicht, manchmal ein wenig verletzlich, manchmal hart und verschlossen. Die braunen, sehr schönen Augen strahlten Wärme und Geborgenheit aus, und sein breiter Rücken, die breiten Schultern luden zum Anlehnen an. Er war sicher zärtlich. Niemals grob, arrogant oder selbstverliebt. Sicherlich. Mit einem innerlichen Lachen und einem weinenden Auge schüttelte Adam den Kopf. Er war wirklich schwul, bis in die Haarspitzen. Hätte er sich seinen Freund sonst so vorgestellt und genau angeschaut? Trotzdem, es war zu spät. Nicht nur hatte Muse eine Liebesbeziehung, auch er selber war komplett Leon verfallen. Ohne irgendwelche Alternativen. Jetzt galt es nur noch, diesen exzentrischen Künstler von sich zu überzeugen. Eine sehr einfache Aufgabe, wirklich. Nun ja, das Leben wär ja langweilig ohne Herausforderungen. „Sag mal, langweil ich dich?“ Der sarkastische Ton in Muse Stimme war kaum zu überhören, als er Adam mal wieder aus seinen Tagträumereien herausriss. Dieser sah ihn etwas verdattert an und weitete überlegend die Augen. „Nein, wieso?“ „Weil du mir mal wieder nicht zuhörst. Wohin driftest du eigentlich dauernd ab?“ „Uhm... ich hab mir nur überlegt, was gewesen wäre, wenn ich dich vor Leon kennen gelernt hätte. Ich hätte mich wohl in dich verliebt.“ Adam sagte es eher beiläufig, während er seinen Blick zu irgendeinem Schaufenster wandte, aber aus den Augenwinkeln sah er sehr genau, wie Muse puterrot anlief. Er musste wieder lächeln. So süß! „Themawechsel.“ Muse warf einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr. „Mir ist grad aufgefallen, dass es schon spät ist. Ich muss bald los, zur Arbeit.“ „Zur Arbeit? Welche Arbeit?“ Adam zog skeptisch eine Augenbraue hoch. Davon hörte er jetzt das erste Mal. „Oh, weißt du das nicht? Ich arbeite in einer... eh, Bar. In einer Homobar. Abends als Barkeeper.“ „In ner Homobar?“ Es war irgendwie ein passender Job für Muse, aber Adam konnte seine Überraschung trotzdem nicht verbergen. „Darfst du das denn? Du bist doch noch gar keine 18.“ „Ich mach das schon länger, der Besitzer kennt mich und drückt da ein Auge zu. Ist zwar nicht ganz legal, aber was die Behörden nicht wissen... Na ja, was ich eigentlich sagen wollte, hättest du Lust, mal vorbei zu schauen?“ „In 'ner Homobar?“ Adam fielen fast die Augen aus dem Kopf. Was hatte er dort bitte verloren? „Ehm.“ Muse warf ihm einen leicht belustigten Blick zu. „Schon vergessen, du bist auch homosexuell. Außerdem hilft es dir vielleicht, nicht dauernd an Leon zu denken, wenn du mit ein paar anderen in Kontakt trittst. Vielleicht findest du ja einen, der dir besser gefällt. Und der nicht nur sein Spielchen mit dir treibt.“ Er blieb skeptisch. Und so ganz hatte er sich mit seinem Schwulsein einfach noch nicht abgefunden. „Ich bin noch nicht 18.“ „Wenn du sagst, du gehörst zu mir, lassen die dich rein. Ist kein Problem.“ Muse warf noch mal einen Blick auf seine Uhr. „Du, ich muss los. Überleg’s dir einfach mal und sag mir dann morgen Bescheid, okay?“ Er gab Adam noch einen kurzen Kuss auf die Stirn, winkte ihm zu und verschwand dann in eine andere Richtung. Adam sah ihm einige Momente lang nach, während er sich den Schal enger ums Gesicht zog. Es hatte sich irgendwie eingebürgert, dass Muse ihn mit einem Kuss auf die Stirn verabschiedete. Irgendwie war das schwul, so richtig schwul. Aber es störte ihn nicht, in keinster Weise. Tatsächlich merkte er so langsam aber sicher, dass er Körperkontakt und Zärtlichkeiten über alles genoss. Anscheinend musste er ein Defizit von mehreren Jahren aufholen, da der Körperkontakt zu seinen Eltern wirklich nicht gezählt werden konnte. Nachdenklich machte er sich auf den Heimweg. Es war bereits spät, die Sonne war schon untergegangen und die Straßen wurden nur noch von den Laternen beleuchtet. Die Kälte der Nacht kroch unter seine Kleidung, obwohl er eine ziemlich dicke Jacke, Schal und Mütze anhatte. Er blieb für einen Moment stehen und schaute nach oben, genoss die kalten Flocken auf seinem Gesicht, obwohl er vor Kälte leicht zitterte. Jetzt von Leon gewärmt zu werden. Eine Wohltat. Er musste leise lachen. Vielleicht war es tatsächlich keine schlechte Idee, diese Bar aufzusuchen. Gleichgesinnte zu treffen, ein bisschen was zu trinken, zu tanzen und sich einfach von diesem blonden Gespenst, das sich in seinen Gehirnwindungen festgesetzt hatte, abzulenken war so langsam wirklich bitter nötig für ihn. Ansonsten würde er nur letztenendes sich zu sehr in diese seltsame Beziehung, die er zu Leon hatte, hineinsteigern und am Ende als liebeskrankes Wrack wieder rauskommen. Vielleicht würde er ja jemand anderen kennen lernen. Jemanden, der besser war als Leon. Auch wenn es so jemanden wohl nicht wirklich gab. Er seufzte und setzte seinen Weg fort. Es tat weh, verflucht weh, wie hoffnungslos seine erste Liebe doch war. Fühlte es sich so an, wenn das Herz zu brechen drohte? Wenn es weinte und vor Einsamkeit fast verging? Fühlte es sich so an, wenn man sich nach jemanden sehnte, ihn in seinen Arm halten wollte, einfach nur bei sich? Die Wärme, die Präsenz des anderen spüren, die Haut, die Haare berühren, die Lippen? Muse hatte Recht. Wie lange würde er sich vor dem Sex mit Leon schützen, wie lange dagegen wehren können? So sehr, wie er sich nach seiner Berührung sehnte, so sehr, dass es fast körperliche Schmerzen bereitete. Und was würde danach sein? Würde Leon es ignorieren, es ausnutzen? Würde er sich eine Zigarette anzünden, sich wieder anziehen und sich irgendwelchen anderen Dingen widmen? Würde er Adam in den Arm nehmen, ihn wegen den seltsamen, neuen Gefühlen trösten, ihn streicheln und festhalten? Adam wusste es nicht. Er konnte es sich nicht mal annähernd vorstellen. Leon hatte so viele Facetten, welche von ihnen würde er diesmal zeigen? Und egal, wie sehr Adam sie sehen, sie erfahren wollte, die Angst vor der Enttäuschung, der Zurückweisung fraß sich in sein Innerstes, ließ alles in ihm gefrieren und brachte es zum Erzittern. Er wollte nicht wieder diese Hilflosigkeit fühlen, die er nach dem Gespräch zwischen Sachiko und Leon gefühlt hatte. Er wollte nicht wieder diesen Drang in sich verspüren, zu laufen, einfach nur weit weg zu laufen und Leon und alles, was bis jetzt geschehen war, hinter sich zu lassen, zu vergessen. Jetzt, im Moment, so wie es war, war es gut. Das reichte ihm doch völlig. Mehr wollte er gar nicht. Wirklich nicht. Mit einen genervten Knurren warf er seinen Kopf zurück und strich sich über’s Gesicht. Schluss, Aus, Ende. Für heute hatte er sich den Kopf genug über Leon zerbrochen. Es gab noch andere Themen, über die es sich nachzudenken lohnte. Ihm fiel im Moment zwar kein einziges ein, aber es gab sie bestimmt. Irgendwo. Immer noch leicht genervt kam er schließlich zu Hause an. Noch während er sich in der Diele auszog, roch er bereits den Duft von frisch zubereitetem Essen. Anscheinend war sein Vater heute etwas früher nach Hause gekommen, so dass er hatte kochen können. Was das anging, war seine Mutter nämlich ein heilloses Desaster. Mit einem Lächeln auf den Lippen trabte er in die Küche. „Hey, es gibt was Vernünftiges zu Essen! Das ist ja mal genial!“ „Was heißt hier ‚es gibt was Vernünftiges zu Essen’!“ Seine Mutter, die gerade den Tisch gedeckt hatte, kam zu ihm, gab ihm einen Stupser gegen die Stirn und gleich darauf einen Willkommenskuss auf die Wange. „Auch wenn ich koche, gibt es vernünftige Speisen.“ „Ja, aber lange nicht so leckere wie die von Dad.“ Fröhlich vor sich hin grinsend drückte er seinem Vater, der am Herd stand und über seine Nudeln wachte, kurz einen Kuss auf die Wange. „Wieso bist du heute so früh da?“ „Ach, die auf der Arbeit hatten mal einen gnädigen Tag und ließen mich früher gehen. Na ja, natürlich nicht, ohne mir einen Stapel an Arbeiten für zu Hause mitzugeben.“ Er lächelte ihn warm an. „Aber schön, dass du rechtzeitig zum Essen gekommen bist. Ich dachte schon, ich müsste mit deiner Mutter alleine bleiben.“ „Was natürlich sehr schlimm gewesen wäre.“ Adam lachte leise auf und half seiner Mutter beim Tischdecken. Es war schon etwas länger her, dass sie zu dritt zusammen gegessen hatten. Unter der Woche arbeiteten seine Eltern häufig bis spät abends, und am Wochenende waren ihre Planungen meistens auch so schlecht gelegt, dass sie selten zu einem gemeinsamen Mahl kamen. Dabei liebte Adam sie über alles. Es bereitete ihm immer große Freude, wenn er seine Eltern zusammen sah. Sie waren ein sehr glückliches Paar, und man musste kein Familienmitglied sein, um die Wärme und Liebe zwischen ihnen zu sehen. Und Adam war für sie immer ihr geliebtes Kind gewesen. Er wusste, nicht jeder hatte das Glück, eine solche Familie, solche fürsorglichen, liebevollen Eltern zu besitzen, und umso mehr genoss er es, wenn er Zeit mit ihnen verbringen konnte. Während dem Essen unterhielten sie sich über verschiedene Dinge, die Arbeit, Verwandte, Bekannte, jedoch blieb Adam eher schweigsam. Er wartete auf eine jener Gesprächspausen, die zwangsweise irgendwann entstanden, wenn man ein Thema vollkommen ausgeschöpft hatte. Es gab schon länger eine Sache, die er bei seinen Eltern erfragen wollte. Auch wenn es bestimmt nicht in das gängige Elternrepertoire gehörte, war er sich sicher, dass sie sich damit auskannten. Schließlich kam sie, die Gesprächspause. „Sagt mal,“ Adam zog die zwei Worte etwas lang, während er sich vollkommen darauf konzentrierte, ein paar Nudeln aufzuspießen, „wie ist eigentlich Analsex?“ Er hob gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie sein Vater seinen Kaffee über den gesamten Tisch spuckte, während seine Mutter Adam nur kurz überrascht musterte und dann schallend zu lachen begann. Er hatte nicht wirklich eine andere Reaktion erwartet. Seine Mutter war eine sehr lockere Frau, die problemlos über Sex sprechen und Tabus brechen konnte. Dahingegen war sein Vater zwar ein sehr freundlicher und warmer Mann, aber, nun, man könnte sagen, ein wenig prüde und bei bestimmten Sachen verschlossen. Manchmal wunderte Adam sich ernsthaft, wie diese zwei Menschen zusammen gekommen waren. Es gab wohl kaum zwei Personen, die mehr wie Tag und Nacht waren. Mit geschäftigen Bewegungen und einem hochroten Kopf sprang sein Vater auf und holte einen Lappen, um den Kaffee aufzuwischen. „Sag... sag mal, ist es denn bei euch schon so weit?“ Er sah seinen Sohn etwas verdattert und hilflos an. „Ich mein, bei dir und Leon.“ Diesmal war es an Adam, rot anzulaufen. „Nein, ist es nicht. Ich frag ja nur generell, rein aus Interesse.“ „Also,“, seine Mutter gluckste immer noch vergnügt, „solltest du da nicht eher Muse fragen? Er hat bestimmt mehr Erfahrung, zumindest was zwei Männer angeht. Nicht, dass ich dir nicht Auskunft geben will, aber wir können dir ja nur die heterosexuelle Sicht schildern.“ Die Röte in den Gesichtern ihrer beiden Männer vertiefte sich noch ein wenig. Diese Frau hatte wirklich keine Skrupel. Und obwohl es für Adam einer der lobenswerten Züge an seiner Mutter war, sie erschreckte ihn immer wieder damit. „Ich frag lieber euch.“, meinte er, jetzt doch ein wenig kleinlaut. Muse mochte zwar sein guter Freund sein, aber er würde nur in diese Frage vielleicht etwas hineininterpretieren, was so nicht der Fall war. „Nun,“ sein Vater setzte sich wieder an den Tisch, rückte seine Brille zurecht und starrte seine Kaffeetasse nervös an, „nun, du brauchst jedenfalls Gleitgel. Und viel Zeit und Ruhe. Musst entspannt sein und... und... nun ja... also...“ Ein Klingeln an der Tür befreite Adams Vater aus seiner misslichen Lage. Mit einem erleichtern Gesichtsausdruck sprang er auf, warf noch Adam einen entschuldigenden Blick zu und eilte aus der Küche. Adams Mutter lachte kurz auf. „Du solltest deinen Vater wirklich nicht mit solchen Fragen schockieren. Er ist auch nicht mehr der Jüngste, weißt du.“ „Ha, ha, ha.“ Adam erstach eine weitere Nudel, immer noch einen hochroten Kopf. „Ich vergesse immer wieder, dass du die Tabulose in der Beziehung bist. Und dass er über einige Dinge nicht so leicht sprechen kann.“ „Was heißt hier ‚tabulos’?“ Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. „Ich nehm die Sachen nur nicht so ernst wie er.“ Adam wollte gerade antworten, da kam sein Vater zurück. Er hatte einen seltsamen Ausdruck auf dem Gesicht, ein wenig fasziniert, ein wenig schockiert, und ziemlich verwirrt. „Du hast Besuch, Adam.“ Er deutete in die Diele. Mit einem fragenden Blick und zusammen gezogenen Augenbrauen stand er vom Tisch auf und verließ die Küche. Er wüsste nicht, wer ihn um die Zeit besuchen konnte. Muse war bei seiner Arbeit, und sonst gab es wirklich niemanden. Als er in die Diele raustrat und seinen Gast erblickte, wäre er fast wieder in die Küche zurückgewichen. Leon sah so absolut deplaziert aus. Er trug einen edlen, schwarzen Mantel, schwarze Lederhandschuhe und eine dunkle Hose, hatte seine Haare zu einem französischen Zopf geflochten, so dass nur ein paar wenige Haarsträhnen in seine Stirn fielen, und an seinen Ohren baumelten diamantbesetzte goldene Obelisken. Alles in allem wirkte er wie ein Millionenerbe aus reichem Hause, und stand dabei in einer warmen Diele, die mit einer einfachen Kommode, einem Kleiderständer, einem dunkelbraunen Schränkchen für die Schuhe und einem dunkelroten Teppich ausgestattet war. Es wirkte wie ein Pfau, der sich in einen Hühnerstall verirrt hatte. „Was machst du denn hier?“, frage Adam überrumpelt. Was hatte der Kerl hier verloren? „Danke, mich freut es auch, dich zu sehen.“ Leon löste sich von der Musterung der Umgebung und lächelte Adam freundlich zu. „Ich wollte dir nur Bescheid geben, dass ich die nächsten zwei Wochen nicht da sein werde. Deswegen fallen unsere Modellstunden auch ins Wasser.“ Und dafür kam er extra her? So was konnte man ja auch über Telefon sagen, oder? „Oh. Okay. Wo bist du denn?“ Adam konnte irgendwie nicht wirklich einen klaren Gedanken fassen. Er hasste es, ihm unvorbereitet zu begegnen. Und das jetzt war mehr als unvorbereitet. „In New York. Mein Bruder hat anscheinend plötzlich Sehnsucht nach mir bekommen und zu sich bestellt. Und so eine liebliche Bitte kann ich ja beim besten Willen nicht abschlagen.“ Leons Stimme klang stark sarkastisch. Anscheinend war er nicht wirklich einverstanden mit dieser kleinen Reise. Adam hob die Augenbrauen. Er hatte nicht mal gewusst, dass Leon Geschwister hatte. Aber das er sich von seinem Bruder auch noch sozusagen herumkommandieren ließ, war sehr erstaunlich. Er zog es jedoch vor, seine Gedanken nicht auszusprechen. „Okay. Gut, dann sehen wir uns ja in zwei Wochen wieder.“ „Hm. Ich hätte noch eine Bitte an dich.“ Leon kramte in seiner Manteltasche und hielt Adam einen Schlüssel hin. „Könntest du dich in der Zeit um mein Haus kümmern? Die, die das normalerweise macht, kann grad nicht, und ich möchte ungern, dass meine Pflanzen in der Zeit eingehen. Wärst du so lieb?“ Der Junge starrte den Schlüssel einige Augenblicke an. Ach, deswegen war er gekommen. Ein Schlüssel ließ sich schlecht über Telefon übergeben. Dazu war nicht mal Leon fähig. „Ja, klar. Mach ich.“ Er nahm den Schlüssel und steckte ihn in die Tasche. Irgendwie, für einen einzigen, kleinen Moment hatte er doch tatsächlich dran gedacht, Leon hatte ihn einfach nur kurz sehen wollen. Aber das war natürlich nur ein dämliches Hirngespinst. Sie hatten sich ja erst gestern gesehen, das reichte Leon bestimmt. Er hatte ja noch andere Bekanntschaften als diesen kleinen, naiven Jungen, um die er sich auch bestimmt viel lieber kümmerte. Adam schluckte. Zumindest war er gut genug für einen Pflanzensitter. „Danke schön.“ Leon lächelte. „Ich muss auch schon los, mein Flug geht bald. Wir sehen uns dann ja in zwei Wochen wieder. Ich werde wohl Dienstag oder Mittwoch dann wieder da sein.“ „Hm.“ Adam nickte nur. „Gute Reise. Komm gut an.“ „Danke, mach ich. Und entschuldige bitte nochmal für die Störung. Dein Vater sah ein bisschen überrascht aus.“ „Macht nichts, schon in Ordnung.“ Leon lächelte ihm noch einmal zu, drehte sich dann um und öffnete die Haustür. Draußen schneite es immer noch, ruhig, still. Die Auffahrt war komplett weiß übertüncht, wie ein Teppich aus feinem Mehl. Adam trat hinter Leon, um die Tür hinter ihm zu zu machen. Durch die eindringende kalte Luft erzitterte er kurz, aber irgendwie störte es ihn nicht. Er würde Leon für zwei Wochen nicht sehen, da wollte er zumindest noch ein bisschen was von seiner Wärme spüren. Von seinem Geruch riechen. Ein bisschen noch. Ein bisschen mehr. Nur ihn zu berühren, nur das traute er sich nicht. Obwohl er ihm doch so nah war. Plötzlich drehte Leon sich nochmal zu ihm um, und bevor Adam auch nur irgendwie reagieren konnte, hatte er ihm schon sanft einen Kuss auf die Lippen gedrückt. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, aber Adams Inneres zerbarst fast vor Wärme. Eine so leichte, eine so kurze Berührung, wie konnte sie nur so göttlich schön sein? „Bis in zwei Wochen.“ Leichtfüßig stolzierte Leon die Treppen und die Auffahrt hinunter, ohne sich noch ein weiteres Mal umzudrehen. Adam sah ihm nach, bis er in sein Auto eingestiegen und los gefahren war. Mit einem tiefen Seufzer ließ er die Tür zufallen und lehnte sich dagegen, den Kopf nach hinten gelegt. Sein Blick fiel auf den Kalender, der über der Kommode hing. Zwei Wochen, hm? Ein Datum war mit einem Herzchen fett und rot umrandet. Adam schloss kurz die Augen. Leon würde an seinem Geburtstag nicht anwesend sein. Bis jetzt hatte er nicht gemerkt, wie gerne er ihn dabei gehabt hätte. Bis jetzt hatte er nicht gemerkt, wie gerne er eigentlich Leon die ganze Zeit bei sich gehabt hätte. Wobei es doch eigentlich völlig lächerlich war. Er war nur ein Modell, ein Zeitvertreib, wenn Leon mal langweilig war, ein Aufpasser für die Pflanzen. Aber nie und nimmer war er ein Lover. Ja, man konnte nicht mal sagen, dass sie Freunde waren. Er seufzte wieder. Diese Frage hatte er sich schon so oft gestellt, und immer noch keine Antwort gefunden. Was war er eigentlich für Leon? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)