Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 12: ------------ Adam zog seine Mütze noch etwas weiter nach unten und schlang seinen Schal fester um sich. Die Kälte biss sich in der Kleidung fest und wollte sie gar nicht mehr los lassen. Zumindest war es nicht windig. Und es regnete nicht. Ein Blick nach oben machte ihm wieder die düstergrauen Wolken bewusst, die schon seit Tagen keinen Sonnenstrahl durchgelassen hatten. Der Wetterbericht hatte ja was von Schnee gesagt, aber so recht wollte er nicht dran glauben. Eher wieder Regen. Wie schon seit Ewigkeiten. So kam es ihm jedenfalls vor. Den Halbmantel noch enger um sich ziehend warf er einen Blick um sich herum Er saß auf dem alten, abgedeckten Steinbrunnen im Park, da die Sitzbänke von Familien, greisen Spaziergängern und Cliquen von Jugendlichen besetzt waren. Normaler, nachmittäglicher Betrieb, doch da er so selten hier war, war es für ihn sehr ungewohnt. Menschenaufläufe konnte er einfach nicht ausstehen. Mit einem Seufzer linste er auf sein Handy. 14:57 Uhr. Immer noch. Wieso konnte die Zeit nicht ein bisschen schneller vergehen? Er schaltete zu der SMS, die er in der Früh erhalten hatte. „Komm um drei in den Park. Hab Lust was zu unternehmen. Leon.“ Leon. Allein schon, wenn er an den Namen dachte, bekam er einen halben Anfall. Es war natürlich mal wieder typisch, dass er ihm quasi keine Wahl ließ, ob er kommen wollte oder nicht. Mal wieder typisch. Und er folgte ihm. Er lehnte sich zurück und starrte in den Himmel. Nach dem letzten Mal hätte er eigentlich komplett den Kontakt zu ihm abbrechen sollen. Hätte ihn ignorieren sollen. Oder irgendwas anderes in die Richtung. Und nicht wie ein folgsames Hündchen springen, wenn er rief. Mal davon abgesehen konnte er es sich beim besten Willen nicht erklären, wieso er gerade ihn sehen wollte. Hatte er, Leon, nicht selbst gesagt, dass er ihn hasste? Es ihm leise, wie einen Fluch, wie eine Drohung ins Ohr gewispert? Und jetzt, plötzlich, wollte er mit ihm was unternehmen? Das war doch paradox, absolut paradox. Wusste der Kerl nicht, was er wollte? Mit einem lauten Aufatmen lehnte Adam sich wieder nach vorne und schaute auf sein Handy. 14:59 Uhr. Wie pünktlich kam ein exzentrischer, egoistischer und absolut arroganter Künstler? Plötzlich spürte er zwei Hände auf seinen Schultern. Sie übten nur ganz sanft Druck auf ihn aus, zogen ihn nach hinten, bis er gegen einen menschlichen, warmen Körper stieß. Er musste nicht mal nach hinten schauen, um zu wissen, wer es war. Er musste auch nicht fragen oder seine Stimme hören. Er konnte seinen Geruch riechen. Er konnte seine Wärme spüren. „Du bist sogar pünktlich.“ Seine Augen waren immer noch auf den Display seines Handys gebannt. „Du auch.“ Seine Stimme klang ruhig, leise, ein wenig amüsiert. Sie verursachte Schauder auf Adams Haut. Langsam drehte er sich um und musterte Leon einige Augenblicke. Er hatte sich über die Brunnenabdeckung hinweg angeschlichen und kniete jetzt vor ihm. Adam saß ein wenig niedriger als Leon, so dass er zu ihm hochsehen musste. Leon lächele. Mit den Augen, mit dem Mund. Ein komplett anderer Mensch als letzten Donnerstag. Komplett anders. Welches Gesicht war sein echtes? „Was willst du von mir?“ Adams Frage klang giftig. Er wollte sich einfach nicht von Leon wieder einfangen lassen. Nicht mehr, nicht wieder. „Hab ich das nicht geschrieben?“ Leon sprang auf den Boden runter. „Etwas unternehmen. Irgendwas. Ich wollte einfach mal raus aus dem Haus.“ „Und Sachiko hatte gerade keine Zeit oder was?“, fragte Adam, noch eine Spur bitterer. „Ehm... keine Ahnung. Ich hab Sachi nicht gefragt. Ich wollte mit dir weg.“ Leon lächelte wie ein unschuldiger, kleiner Junge, nichts böses denkend, nichts böses kennend. „Mit... mir?“ Adam konnte nicht anders als ihn ungläubig anstarren. „Und... was war mit dem, was du mir letzten Donnerstag gesagt hast?“ „Was hab ich denn gesagt?“ Leon zog eine Augenbraue hoch. Konnte er sich denn wirklich nicht erinnern? „Na, das, wo du mich umarmt hast.“ War das sein Ernst? „Ich hab da nichts gesagt. Das musst du dir eingebildet haben.“ Konnte man sich das einbilden? Konnte es tatsächlich nur das Rauschen des Regens gewesen sein? Das Heulen des Windes? Das Flüstern der Blätter? Konnte er sich wirklich das alles nur eingebildet haben? Oder war Leon einfach nur ein begnadeter Schauspieler und Lügner? „Du hast gesagt, dass du mich hasst.“ Seine Stimme zitterte, aber Adam sah Leon nicht an. Selbst wenn es nicht stimmte, selbst wenn er es sich nur eingebildet hatte, der Gedanke, es wäre möglich, tat zu sehr weh. Und er wollte einfach nicht Leons Reaktion darauf sehen. Wollte nicht sehen, wie vielleicht für den Bruchteil einer Sekunde die Zustimmung in seinen Augen aufblitzte. Wie er vielleicht eine Maske aus Unschuld anzog. Er wollte es nicht sehen. Und sich diese Hoffnung, es möge nicht stimmen, erhalten. „Wieso sollte ich so etwas sagen?“ Er wollte lieber an eine Lüge glauben. „Du hasst mich nicht?“ Er wollte lieber bei diesem Schauspiel mitmachen. „Nein.“ Nein. Ernst. Ruhig. Emotionslos. „Nein.“, wiederholte Adam leise und sah auf. Leon stand direkt vor ihm und betrachtete ihn. Emotionslos. Sein Blick war nicht zu deuten. Lüge? Wahrheit? War das nicht egal? Adam ließ sich von diesem Blick, von diesen grauen Augen gefangen nehmen. Starrte sie an. Lange, sehr lange. War nicht dieses komplette Gespräch unwichtig gewesen? Wäre es nicht besser, es einfach zu vergessen? Alles einfach zu vergessen? Wäre es nicht leichter, viel leichter? Seine Hände zitterten, weswegen er sie in den Jackentaschen vergrub. In seinem Inneren breitete sich ein Gefühl aus. Stark, übermächtig. Unmöglich, es zurück zu drängen. Hoffnung. Erleichterung. Absolute, unbändige Freude. Sanft glitt Leon mit den Fingerspitzen über Adams Wange, sein Ohr entlang nach unten zu seinem Kinn und hob es leicht an. „Du bildest dir interessante Sachen ein.“ Mit dem Daumen strich er über seine Unterlippe. „Wir sollten langsam mal gehen, meinst du nicht? Der Park ist bei dem Wetter nicht gerade angenehm.“ Und das Gefühl, sich selbst zu belügen. Abrupt stand Adam auf und drehte sich weg. Seine Kehle war wie zugeschnürt, ausgetrocknet. „Ja.“ Heiser, erstickt. „Ja, gehen wir.“ Mit steifen Schritten stakste er voran, schnell und zackig. Er hasst mich nicht. Er wusste nicht, ob Leon ihm folgte oder nicht, aber im Moment war es ihm auch egal. Er hasst mich nicht. Leon sah ihm kurz etwas überrascht an, holte dann jedoch sehr schnell auf und hielt ihn am Ärmel fest. Er hasst mich nicht! Mit einem Ruck drehte er ihn zu sich um. Es herrschte Stille. Hierher, zwischen die Bäume, verirrten sich kaum Menschen. Die Geräusche drangen nur gedämpft ans Ohr, übertönt vom Rascheln der Blätter. Leon hob langsam seine Hand, legte die Fingerspitzen auf Adams Wange. Adam bewegte sich nicht. Stocksteif, wie erstarrt, schaute er ihn nur an. Schaute nur, aus leicht geweiteten Augen. Die Wimpern warfen zarte Schatten auf die Haut, die helle, weiche Haut. Mit einem Finger strich Leon vorsichtig die Träne weg. Beugte sich vor, fing die andere mit seinen Lippen auf. Berührte Adam nur sanft, nur zart, wie Glas, wie Porzellan. Wie einen Schmetterling, dessen Flügel zu reißen drohen. „Macht dir der Gedanke so viel aus, dass ich dich hassen könnte?“ Nur ein Flüstern, ein Wispern. Wie der Wind. Adam zuckte mit den Schultern. Würde er auch nur ein Wort sagen, könnte er sich nicht mehr beherrschen. Könnte die Tränen nicht mehr zurück halten. Mit einem Lächeln zog Leon ihn an sich, fuhr mit einer Hand durch Adams Haar, während dieser seinen Kopf in seiner Halsbeuge vergrub. Sich langsam vortastend, legte er seine Arme um seine Hüfte, schloss die Augen, achtete nicht auf die Tränen, die jetzt ungehalten über sein Gesicht flossen. Nahm Leons Geruch wahr, sog ihn in sich auf. Herb und rau. Zigarettenrauch, Aftershave. Leons Geruch. Leon ließ ihn nicht los. Hielt ihn fest, streichelte immer wieder über sein Haar und seinen Rücken. Wartete, bis die stillen Tränen versiegt waren, hielt ihn weiterhin fest. Langsam, nach einiger Zeit, in der sie einfach nur beieinander standen, löste Adam sich von ihm, trat ein paar Schritte zurück und strich sich über das Gesicht. Er lächelte zittrig und warf einen Blick zu Leon. „Entschuldige.“ Etwas unsicher holte er eine Packung Taschentücher aus seiner Manteltasche. „Dein Mantel... er ist nass.“ „Schon in Ordnung.“ Leon lächelte zurück. Ruhig. Abwartend. „Brauch ich nicht.“ „Okay... okay.“ Er steckte die Packung wieder weg und wischte sich nochmal über die Augen. Hilflos sah er sich um, nicht wissend, wohin er sein Augenmerk richten sollte. Leon strich sanft eine Strähne aus seiner Stirn. „Alles in Ordnung? Was war denn los?“ Adam zuckte nur mit den Schultern. „Nichts. Keine Ahnung. War einfach zu viel in letzter Zeit.“ Wie könnte er ihm auch sagen, dass es Erleichterung war? Dass sich die Anspannung in ihm gelöst hatte? Wie konnte er sagen, dass es Leons Schuld war? Wie? „War es der Gedanke, dass ich dich hassen könnte?“ Adam schüttelte den Kopf. „Nein. Nein, irgendwie... nein.“ Das war es wirklich nicht. Nicht allein. Nicht nur. „Hm.“ Leon legte den Kopf leicht schief und musterte ihn. „Macht es dir dann vielleicht Probleme, dass du schwul bist?“ „Was?“ Mit einem Ruck schaute Adam auf und starrte ihn ungläubig an. „Ich bin nicht schwul.“ „Nein?“ Er zog zweifelnd eine Augenbraue hoch. „Etwa bi?“ „Ich... sag mal... wann hab ich denn bitte behauptet, ich würde auf Männer stehen, he?“ „Tust du nicht?“ Leon sah ihn irritiert an. Und kurz, ganz kurz, verdunkelte sich sein Blick. „Nein, tu ich nicht!“ Sein Kampfgeist erwachte wieder. Wie konnte Leon so was behaupten? Der hatte doch überhaupt keine Ahnung! „Hm.“ Überlegend tippte sich der Grund für Adams wütende Gedanken ans Kinn. „Und wieso hast du mich dann geküsst?“ „Wie... was... wieso?“ Adam sah ihn wortlos an, den Mund ein wenig aufgerissen. „Weil... weil...“ Ja, wenn er das nur selber wüsste. Er konnte sich für diese spontane Tat immer noch in seinen Allerwertesten beißen. „Weil... einfach so. Das heißt ja nicht, dass ich auf Männer steh. Ich hab mich jedenfalls noch nie zu einem Mann hingezogen gefühlt.“ „Aha.“, meinte Leon nur lapidar, verschränkte die Arme und musterte Adam von oben bis unten. „Aber von einer Frau?“ „Eh... ehm... nein.“ Adam errötete leicht. Musste dieses Gespräch wirklich sein? Wie zum Teufel hatte er es nur mal wieder geschafft, es in so eine unangenehme Richtung zu lenken? Leons höchst überraschter, höchst ungewohnter Blick machte es jedoch wett. Seine Augen weiteten sich leicht und der Unglaube in seinem Gesichtsausdruck steigerte sich ins Unermessliche. Adam hätte fast zu Lachen angefangen, wenn er nicht der Grund für diesen Unglauben gewesen wäre. „Du hattest noch keine Freundin?“ „Nein.“ „Sex?“ Die Röte in Adams Gesicht vertiefte sich. „Nein.“ „Hast du denn wenigstens geküsst? Also, bevor du mich getroffen hast?“ Inzwischen musterte der Junge höchst fasziniert seine Schuhspitzen. „Nein.“ „Ehm...“ Anscheinend hatte er es geschafft, Leon die Sprache zu verschlagen. „Onanierst du?“ Empört riss Adam den Kopf hoch und durchbohrte Leon wütend mit seinem Blick. „Das geht dich ja wohl einen feuchten Scheißdreck an!“ „Also nein.“ „Das hab ich nicht gesagt.“ „Also ja?“ „Das hab ich auch nicht gesagt. Es geht dich nichts an.“ „Also doch nein.“ „Arg, hörst du mir überhaupt zu?“ Inzwischen hatte Adam seine Hände zu Fäusten geballt. Und am liebsten hätte er eine von ihnen direkt in Leons arrogantes und selbstsicheres Gesicht geschmettert. Was ging ihn das alles an? „Natürlich hör ich dir zu.“ Leon stupste kurz gegen seine Stirn und lächelte dann süffisant. „Ich wusste ja schon immer, dass du sehr naiv bist, aber für so jungfräulich und unschuldig hätte ich dich dann auch wieder nicht gehalten.“ Sein Lächeln wurde noch etwas breiter und in seine Augen trat ein höchst erfreuter Glanz. „Das heißt ja, dass mir dein erster Kuss gehört hat.“ Selbstzufrieden zählte er an den Fingern ab. „Und dein zweiter und dein dritter. Ich kann höchst zufrieden mit mir sein, wie ich sehe.“ „Oh, du bist so ein arroganter, selbstverliebter Bastard, das passt ja auf keine Kuhhaut mehr!“ Adam verschränkte zornig die Arme und fixierte Leon. „Bei dem ersten Kuss war ich unvorbereitet, sonst hättest du ihn nicht bekommen. Und den dritten hatte jemand anders, also bild dir nichts drauf ein.“ Überrascht zog Leon eine Augenbraue hoch. „Wer?“ „Ein Freund von mir.“ Adam grinste ihn spöttisch an. „Ein sehr guter Freund.“ „Männlich? Und du willst nicht schwul sein?“ „Ich hab nicht gesagt, dass mir der Kuss gefallen hat.“ „Und wieso hast du das dann gemacht?“ Um einen Vergleich zu dir zu haben. Aber das sagte Adam nicht. „Einfach so, mir war langweilig.“ „War dir auch langweilig, als du mich geküsst hast?“ „Arg... sag mal, musst du dauernd drauf rumreiten? Ich könnt dich genauso gut fragen, ob dir langweilig war, als du mich geküsst hast.“ „Stimmt, könntest du. Und meine Antwort wäre, nein, ich hab das gemacht, weil es mir gefällt, dich zu küssen.“ Adam wand sich. Das hatte er jetzt eigentlich nicht wissen wollen. Mal wieder verfluchte er sich selber für seine dummen Antworten. Und Leon für seine Fragen. Und seine Antworten. Eigentlich, um genau zu sein, für seine gesamte Art. “Schön für dich. War bei mir halt anders. Punkt. Könnten wir das Thema bitte lassen?“ „Uhm...“ Leon legte gespielt nachdenklich den Kopf zur Seite. „Nein. Ich möchte jetzt doch wissen, was du bist.“ „Und wieso, zum Teufel nochmal?“ „Na, weil ich wissen will, ob es sich überhaupt lohnt, mich an dich ranzumachen. Wenn du eigentlich nur auf Frauen stehst, kann ich mir die Mühe sparen.“ Adam blieb die Spucke weg. Dieser... dieser eingebildete Fatzke. „Du brauchst dich gar nicht an mich ranmachen. Es bringt nichts, selbst wenn ich stockschwul wäre. Glaubst du, ich will, dass du dich in mich verliebst?“ Leon grinste leicht und schaute ihn aus großen, unschuldigen Kulleraugen an. „Vielleicht will ich dich auch nur ins Bett kriegen.“ Und DAS sagt der einem einfach frech ins Gesicht? „Boah, du gehst mir so was von auf den Geist, du arroganter Bastard!“ „Du wirst langweilig. Lass dir mal etwas neues einfallen außer ‚arrogant’ und ‚Bastard’.“ Nachdenklich tippte er sich an die Unterlippe. „Wie wär’s mit ‚selbstverliebt’, ‚Arschloch’, ‚Mistkerl’, ‚egoistisch’, ‚Ratte’? Streng dich an, sei kreativ!“ „Kann es sein, dass diese Beschimpfungen schon mal jemand vor mir gebraucht hat?“ „Jep.“ Ein unschuldiger, engelsgleicher Blick aus rauchgrauen Augen. „Sehr, sehr häufig.“ Adam stand inzwischen kurz vor der Explosion, und dieser letzte Satz machte es nicht gerade besser. Wie konnte man mit so einem Blick zugeben, dass man ein Arschloch war? Wie konnte man sich dessen so sicher sein, die Krone der Schöpfung zu sein? Wie konnte man von sich selber denken, einfach unwiderstehlich auf andere zu wirken? War der Kerl denn wahnsinnig? Ja, wahnsinnig von sich selbst überzeugt. Er atmete einmal tief durch und schloss die Augen. Ruhe, nur Ruhe bewahren. „Du solltest das nicht machen.“ Er spürte Leons Hand an seiner Wange. „Das wirkt so einladend.“ Abrupt riss er die Augen auf. „Ich lade dich zu gar nichts ein!“ Leon war einen Schritt näher getreten. Nahe, zu nahe. Er konnte wieder seinen Geruch riechen. Viel zu nahe. „Wir sollten gehen. Diese Diskussion führt zu nichts. Sie ist beendet.“ Mit einem Ruck drehte Adam sich weg. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals hinauf und seine Kehle fühlte sich ausgetrocknet an. Das Schlucken fiel ihm schwer, viel zu schwer. Konnte sich nicht die Erde auftun und Leon darin verschwinden? So als kleines Geschenk des Himmels? „Du hast Recht.“ Adam sah es nicht, doch er spürte, wie Leon lächelte. Seine Nackenhaare stellten sich auf, trotzdem ging er weiter, ohne sich umzudrehen. Plötzlich fühlte er Leons Hand in seiner. „Ich weiß auch schon, wohin.“ Leon zog ihn vorwärts, ohne seine Hand loszulassen. Erst jetzt merkte Adam, wie kalt es war. Wie sehr er gefroren hatte. Geistesabwesend starrte er auf ihre Hände. Wie warm Leons Hand war. Es gab keinen Grund, sie loszulassen. Oder? Wütend auf sich selber knabberte er auf seiner Unterlippe herum. Wieso musste er so schwach sein? Es fühlte sich zu gut an, um etwas dagegen zu unternehmen, ja, aber konnte er nicht wenigstens ab und zu seine Abwehr gegenüber diesem Bastard aufrecht erhalten? Entschuldigung, nicht Bastard... selbstverliebte, egoistische Ratte. Oder so. Von schräg hinten betrachtete er Leons Profil, die entspannten Gesichtszüge, den Blick nach vorne. Sein Lächeln, der freudige Glanz in seinen Augen, seine sanfte Berührung, seine leise wispernde Stimme... das alles machte es wert, ab und zu die Abwehr zu verringern. Eine Lüge zu Glauben. Und die Wahrheit zu leugnen. Ab und zu. „Wohin willst du?“ Vorsichtig, fast mit Bedauern löste Adam seine Finger aus Leons Hand und trottete ihm wie ein braver Hund hinterher. Die einzige Reaktion Leons war, dass er seinen Schritt verlangsamte, bis Adam auf seiner Höhe war. Ansonsten nichts, absolut nichts. „In ein Café hier in der Nähe. Es ist etwas erhöht, man hat einen guten Überblick über den Park.“ „Und wofür brauchen wir den?“ Adam zog eine Augenbraue skeptisch hoch. „Wüsste nicht, dass dieser Anblick so berauschend ist.“ „Doch, ist es.“ Leon lachte leise auf. „Lass dich einfach überraschen.“ Der Junge zuckte nur mit den Schultern. Leon würde sowieso seinen Willen durchsetzen, egal was war, wieso sollte er also widersprechen? Vor allem bei so einer unwichtigen Sache. Besser, er sparte sich seine Kräfte für andere Dinge auf. Mal wieder merkte Adam, wie selten er doch draußen in der Stadt war, als sie vor dem Café standen. Es hatte zwei Stockwerke und war anscheinend die Anlaufstelle für Jugendliche und Junggebliebene. Schüler, Studenten, junge Pärchen und gelangweilte Jungarbeiter tummelten sich zuhauf in der unteren Etage, die mit Spielautomaten, Billardtischen, Kickergeräten und ähnlichen Zeug für die Kurzweil ausgestattet war, während sich das eigentliche Café im ersten Stock befand. Es sah recht hübsch gestaltet aus, mit zahlreichen Pflanzen, die als eine Art Trennwand zwischen den einzelnen Tischen aufgestellt waren, einen hellen Boden und hellblauem Mobiliar. Auf der der Tür gegenüberliegenden Seite befand sich eine breite Fensterwand, durch die man einen allumfassenden Blick über den Park und den Platz vor dem Gebäude hatte. „Wusste gar nicht, dass es hier so etwas gibt.“, meinte Adam, während Leon ihn zu einem freien Tisch direkt am Fenster führte. „Tja, und dabei bin ich es doch, der erst seit etwas mehr als einem Monat hier wohnt. Wobei ich in der Gegend aufgewachsen bin.“ Leon setzte sich, überschlug seine Beine und zündete sich eine Zigarette an. „Lass mich raten, du willst eine heiße Schokolade?“ „Oh, kannst du hellsehen oder was? Woher wusstest du das nur?“ Adam riss gespielt überrascht seine Augen auf, widmete seine Aufmerksamkeit dann aber schnell der Aussicht, die sich ihm von diesem Platz aus bot. Sie saßen eine Weile schweigend da, bis die Bedienung sowohl ihre Bestellung aufgenommen wie auch gebracht hatte. Dann wand sich Adam Leon zu. „Und wieso wolltest du jetzt genau hierhin?“ „Wegen dem Ausblick.“, meinte dieser nur lapidar und nahm einen Zug von seiner Zigarette. „Haha... das ist ja wohl nicht dein Ernst, oder?“ Adam schnaufte kurz. „So scharf bin ich auf diese Aussicht auch wieder nicht.“ „Aber von hier aus kann man gut die Leute beobachten.“ „Wer hat gesagt, dass ich das will?“ Der Junge zog skeptisch die Augenbrauen hoch. Leon antwortete nicht, sondern beugte sich nur zum Fenster und deutete dann auf ein recht hübsches Mädchen, das unten auf einer Bank saß und sich mit einigen Freunden unterhielt. „Wie gefällt sie dir?“ „Was?“ „Wie gefällt sie dir?“ Leon sah Adam abwartend an, während dieser ihn nur verwirrt anstarrte. „Wofür willst du das wissen?“ „Uhm... sieh es als kleines Spiel an.“ Leon lehnte sich zurück und lächelte. „Ich nenn dir ein paar Leute, die du anschauen sollst. Stell dir vor, du würdest mit denen eine Beziehung anfangen. Du würdest sie küssen, du würdest mit ihnen ins Bett gehen. Den Charakter lassen wir mal außen vor. Dann sag mir, ob es dir gefällt oder nicht.“ „Und was genau soll das bringen?“ „Na ja, wenn du dir partout eine Beziehung mit einer Frau nicht vorstellen kannst, wirst du wohl auch kaum hetero sein, oder?“ Adam klappte leicht den Mund auf. „Ist das alles, weswegen du mich hierher geschleppt hast? Weil du wissen willst, worauf ich steh?“ „Jep, absolut korrekt. Du bist dir doch selber nicht sicher, oder? Also helfe ich dir ein bisschen. Erleichtert dir bestimmt auch ein bisschen die Partnersuche, wenn du weißt, was du eigentlich willst.“ „Eh... eh...“ Adam sah ihn nur wortlos an und seufzte dann tief. Na, wenn es ihn glücklich machte. Leon würde sowieso nicht locker lassen, bis er ein zufriedenstellendes Ergebnis von ihm hatte. Mit einem weiteren Seufzer zuckte er die Schultern und musterte das Mädchen. Im Gedanken spielte er jedes Szenario durch, das Leon ihm vorhin aufgezählt hatte. Dann schüttelte er den Kopf. „Nope. Die interessiert mich so sehr wie ein toter Fisch.“ „Und die da?“ Er wiederholte den Gedankengang. Das Ergebnis war das Gleiche. „Und der?“ Adam betrachtete den Jungen, den Leon ausgesucht hatte, etwas genauer. Schlank, groß, markante Gesichtszüge. Er hatte was. „Vielleicht.“ Ihm war es unangenehm, diese Antwort zu geben, aber er wusste, es würde nichts bringen, wenn er sich selber belog. Wenn er sich dieser Prozedur unterzog, wollte er zumindest auch ein realistisches Ergebnis bekommen. Sie wiederholten das Spielchen noch mehrmals mit immer wieder verschiedenen Typen von Frauen und Männern jeden Alters. Das Ergebnis stellte sich als ziemlich klar heraus. „Du bist stockschwul.“ Ohne eine Miene zu verziehen, nippte Leon an seinem Tee und betrachtete Adam über den Tassenrand hinweg. „Anscheinend.“ Adams Stimme war ruhig, leise. Er hatte seine Stirn gegen die Fensterscheibe gelehnt und starrte nach draußen, fast komplett blind für das, was dort abging. Schwul. Absolut schwul. Eigentlich hätte es ihm schon längst klar sein müssen. Wieso hatte er sich nicht früher darüber Gedanken gemacht? Wieso hatte es ihn nie gewundert, dass er die ganzen Mädchen, die hinter ihm her waren, abgewiesen hatte? Das er keine einzige interessant gefunden hatte? Er war fast achtzehn Jahre, verdammt. Da sollte sich doch normalerweise beim Anblick eines hübschen Mädchens was regen. Wobei, es hatte sich auch beim Anblick eines hübschen Jungen nichts geregt. Absolut nicht, nie. Sein Blick wanderte zu Leon, der ihn immer noch über die Tasse hinweg musterte. Langsam nahm er jedes Detail auf. Die langen Haare, die glänzenden Strähnen, die über die Schulter nach vorne fielen. Den Ring an seinem linken Mittelfinger, die silbernen Ohrringe in Form von Obelisken. Die vollen Lippen, die sich gegen den Tassenrand drückten, die rauchgrauen Augen, denen nichts zu entgehen schien. Die Wangenknochen, die ein wenig herausstachen, das Kinn, das so stur und arrogant wirkte. Er war schwul, hatte aber erst bei diesem Anblick angebissen. War Hals über Kopf auf diesen egozentrischen Künstler eingegangen. Und litt wegen ihm wie ein Hund, immer und immer wieder. Mit einem Seufzer nahm er seine Tasse und trank einen Schluck. Seine Sexualität tangierte ihn im Moment nicht sonderlich. Sie war unwichtig, zweitrangig, denn er hatte nicht vor, auf Partnersuche zu gehen. Er wusste, er würde niemanden finden, der ihm gefiel. Es war unmöglich. Sein Blick wanderte zu Leon. Es war unmöglich, diesen elenden Bastard in irgendeiner Weise zu toppen. Mit einem weiteren, tiefen Seufzer blickte er wieder aus dem Fenster, während er auf seinen Oberschenkel, nicht sichtbar für Leon, mit dem Finger schrieb. Etwas, das er sich bis jetzt nicht hatte eingestehen wollen, etwas, das er bis jetzt in die tiefste Ecke seines Bewusstseins gedrängt hatte, um ja nicht darauf aufmerksam gemacht zu werden. Etwas, was er am liebsten ersticken würde. Und etwas, das er niemals vor einem anderen zugeben würde. Adam liebt Leon. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)