Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 9: ----------- Die kargen Sonnenstrahlen fielen durch die Baumkronen, während der kalte Wind durch die Blätter raschelte und wie eine Eishand unter die Haut fuhr. Adam beugte sich keuchend vor und zog seine Sportjacke etwas fester um sich. Sein Blick wanderte verärgert zum Sportlehrer, der sich in eine warme Jacke eingehüllt hatte und grad mit einigen seiner Klassenkameraden plauderte. Klar, wenn man so ein fettes Teil an hatte, störte einen der Wind kein Stück. Adam richtete sich wieder auf und blickte über den Sportplatz. Nur weil es heute nicht regnete und die Sonne ab und zu zwischen den dunklen Wolken hervorblitze, dachte der Typ, er könnte seine lieben Schüler nach draußen jagen, damit sie ein paar Bahnen rannten. Anscheinend war es ihm völlig egal, dass man sich bei dem Wetter umso leichter erkälten konnte, wenn man sich durch sportliche Betätigung erwärmte. Leise vor sich hinfluchend stapfte Adam zu seiner Wasserflasche, immer noch leicht fröstelnd. Kaum hatte er ein paar Schlucke genommen, hörte er auch die liebliche Stimme von Mister Ich-bin-der-Lehrer-ich-sage-wo-es-lang-geht. „Adam, keine Pausen machen! Du musst noch fünf Runden laufen! Auf, dalli, sofort!!!“ Na, trinken war anscheinend auch nicht mehr erlaubt. Adam schenkte ihm ein kurzes Funkeln, warf seine Flasche wieder auf ihren Platz und betrat die Bahn. Außer ihm war nur noch ein anderer Mitschüler am Laufen. Gedämpft schimpfend setze er sich in Bewegung. Nur weil er sich nicht bei jeder Gelegenheit bei diesem Sack einschleimte, wie es die taten, die gerade um ihn herum standen und nicht mal die Hälfte der vorgegebenen Runden hinter sich hatten, es machten, wurde er von diesem korrupten Arschloch bei jeder Gelegenheit nieder gemacht. Aber gut, dass konnte ihm ja egal sein. Wenn er wollte, dass er rannte, würde er rennen. Schließlich joggte er mehrmals die Woche, die paar Runden würden für ihn gewiss kein Problem darstellen. Im Gegensatz zu seinen Leidensgenossen, wie es schien. Er lief mehrere Meter vor Adam, so dass dieser einen guten Blick auf ihn hatte. Selbst aus dieser Entfernung hörte er sein Keuchen, und er hielt immer wieder mal an, um sich zu erholen. Bald hatte Adam ihn überholt. Er verlangsamte sein Tempo und sammelte kurz die Informationen in seinem Gedächtnis zusammen, die er über den Jungen hatte. Es waren nicht viele. Sein Name war Muse, er ging in die Parallelklasse und gehörte zu der Sorte Mensch, auf der immer rumgehackt wurde. Wie Adam es mitbekommen hatte, war er das Lieblingsopfer der Klassen- und Schulbosse, und auch der Sportlehrer behandelte ihn wie den letzten Dreck, da man bei ihm nicht gerade von Sportlichkeit reden konnte. Es kursierten haufenweise Gerüchte über ihn, die von Mafiazugehörigkeit über Massenvergewaltigungen bis zu Prostitution und Selbstmordversuchen reichten. Die Wahrheit kannte keiner, da sich noch keiner mit ihm näher befasst hatte. Und so was wie Freunde schien er nicht zu haben. Muse war ein Außenseiter wie Adam. Nur das Adam sich nicht von anderen fertig machen ließ. Innerlich zuckte er mit den Schultern. Er wollte mit ihm eigentlich auch nichts zu tun haben. Ihm konnte es schließlich egal sein, wenn jemand nicht den Mumm aufbrachte, sich zu wehren. Und er wusste zu wenig Fakten über ihn, als das er ihn interessieren würde. Er war nur ein flüchtiger Gedanke, um die Langeweile zu vertreiben. „Hey, Schwuchtel.“ Adam zuckte leicht zusammen. „Adam, ihr könnt aufhören. Die Stunde ist vorbei.“ Ah, er war gar nicht gemeint gewesen. Adam schielte kurz zu Muse hin. Stimmt, das hartnäckigste Gerücht bestand darin, dass er schwul sei. Von der Seite her musterte er ihn. Er sah nicht wie der typische Klischeeschwule aus und von sich aus wäre Adam nie drauf gekommen. Groß, schlank, ein wenig knochig, aber in keinster Weise feminin. Seine Wangenknochen stachen etwas hervor und er ließ sich einen Spitzbart wachsen. Die schulterlangen, dunkelblonden Haare hingen ihm meistens ins Gesicht, da er eine leicht geduckte Haltung hatte. Würde er mit mehr Selbstbewusstsein auftreten und aufrecht gehen, würde ihn keiner nieder machen. Einige Schritte hinter ihm betrat Adam die Umkleidekabine. Die anderen Jungs hatten sich bereits geduscht und den Raum längst verlassen. Klar, der Lehrer hatte für seine Lieblinge den Unterricht schon früher beendet. Wenn er jetzt darüber nachdachte, hatte Muse sich tatsächlich immer erst dann zum Umziehen begeben, wenn die anderen alle schon fertig waren. Aus Rücksicht, weil er ihnen kein unangenehmes Gefühl vermitteln wollte? Aus Angst, zu sehr von den nackten Männerkörpern erregt zu werden? Was war an diesem Gerücht dran? „Stimmt es, dass du schwul bist?“ Man sollte keine unbeantworteten Fragen mit sich herumschleppen. Er hatte sich seinem Spind zugewendet und Muse nicht angeschaut, und hörte jetzt nur, wie eine Flasche zu Boden fiel. Zum Glück war sie aus Plastik, so dass sie nicht zerbrach. Mit einem Unschuldsblick drehte er sich zu ihm um und schaute in sein halb verärgertes, halb geschocktes Gesicht, dass ihn einige Momente lang anstarrte. Abrupt drehte der Junge sich wieder zu seinem Spind. „Das geht dich nichts an.“ Seine Stimme klang heiser, ein wenig verängstigt. Adam fiel auf, dass er sie bis jetzt so gut wie nie gehört hatte. „Na ja, willst du lieber, dass ich einem Gerücht glaube?“ Er drehte sich komplett zu ihm um und trat einen Schritt auf ihn zu. „Ist doch besser, wenn ich dich dann direkt frage.“ Muse gab einen verächtlichen Laut von sich. Er hatte sich immer noch nicht von seinem Spind weggedreht. „Wenn ich es verneine, wirst du mir ja doch nicht glauben. Und wenn ich es bejahe, rennst du gleich los und erzählst es überall rum, nicht wahr?“ „Wieso sollte ich so was tun?“ Er zuckte mit den Schultern und lächelte schief. „Mir liegt absolut nichts daran, den Anderen noch mehr Futter zu geben, um auf dir rumzuhacken.“ „Und wieso willst du es dann wissen? Vor allem, jetzt, plötzlich. Du hast mich doch sonst nicht mal mit dem Arsch angeschaut.“ „Es interessiert mich halt.“ Er legte den Kopf leicht schief. „Und mir ist eben gerade das Gerücht über dich eingefallen. Ich hab mich noch nie mit der Materie auseinander gesetzt, und du bist der erste eventuell Schwule, der mir über den Weg läuft und den ich fragen könnte. Also, bist du oder bist du nicht?“ Langsam, wie in Zeitlupe, drehte sich Muse zu ihm. Einige Augenblicke starrte er nur in Adams Gesicht, ließ seine Augen von einem Punkt zum anderen schweifen, als ob er etwas bestimmtes suchen würde. „Ja, bin ich.“ Adams Lippen verzogen sich zu einen freundlichen, aber sehr mit sich selber zufriedenen Lächeln. „Siehst du, so schwer war das doch gar nicht. Und ich werde jetzt sicher auch nicht zu den anderen rennen und irgendwas erzählen. Geht die schließlich nichts an.“ Er drehte sich zu seinem Spind um und kramte nach ein paar Klamotten, während er weiter sprach. „Ich hoffe, es stört dich nicht, wenn ich dich dann ab und zu diesbezüglich was frage. Du hast ja sicher Erfahrung, ne?“ „Wieso?“ Muse setzte sich auf die Bank und beobachtete Adams Rücken. „Wieso interessierst du dich dafür? Bist du etwa auch... schwul...?“ Adam hielt kurz in seiner Bewegung inne und warf einen Blick nach hinten. „Keine Ahnung.“ Er zuckte mit den Schultern. „Da gibt es jemanden. Einen Kerl. Aber... keine Ahnung, ob es nur Neugier ist. Irgendwie. Und... ach, keine Ahnung.“ „Du... hattest noch nie was mit einem Mann, oder?“ Adam schüttelte den Kopf. „Und mit einem Mädchen?“ Wieder Kopfschütteln. „Vielleicht bist du ja auch bi.“ Schulterzucken. „Ich weiß es nicht.“ Er ließ sich ebenfalls auf der Bank nieder, gegenüber von Muse. Ein wenig wunderte ihn seine plötzliche Redefreude, aber vermutlich konnte Muse nie mit irgendwem darüber sprechen und war jetzt einfach froh, so was wie einen Gleichgesinnten gefunden zu haben. Adam sollte es nicht stören. Ein Knie an sich gezogen, starrte er einen Punkt auf dem Boden an. „Ich weiß es echt nicht. Mir ist in meinem ganzen Leben bis jetzt noch nie jemand untergekommen, in den ich mich verliebt hätte. Egal ob Mann oder Frau.“ Er schwieg einen Moment. „Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich tatsächlich in ihn verliebt bin. Er... er lässt einem irgendwie gar keine Wahl. Wenn du was mit ihm zu tun hast, bist du von ihm gefangen. Definitiv.“ Muse hörte ihm schweigend zu. Auf seinem Gesicht zeichnete sich Erleichterung ab, anscheinend, weil Adam ihn nicht mit Vorurteilen überhäufte. Adam lachte etwas verunsichert auf. „Sorry, dass ich dich hier so zutexte. Ich mein, wir haben ja sonst nie sonderlich miteinander gesprochen. Hast du nen Freund?“ Muse zuckte zusammen. Sein Gesicht erstarrte förmlich. „Mhm.“ Er wendete den Blick ab, so als ob er nicht drüber reden wollte. Schien keine sonderlich glückliche Beziehung zu sein. Adam lächelte kurz und entschied, es vorerst dabei zu belassen. Vorerst. Seine Neugier würde früher oder später sowieso wieder siegen. „Ich geh dann mal duschen.“ Er wartete einen kurzen Moment, doch Muse blieb sitzen. Hatte er Angst, aufdringlich zu sein? Nun, jedem das Seine. Vorsichtig tappte er in den Duschraum, um auf den kalten und feuchten Fliesen nicht auszurutschen, zog sich aus und stellte sich leicht fröstelnd unter den Duschkopf. Genussvoll drehte er den Wasserhahn auf. Warmes Wasser benetzte seine schweißbedeckte Haut, während er die Augen schloss und sich langsam einseifte. Kaum hatte er die Augen geschlossen und seine Gedanken schweifen lassen, kamen sie auf Leon, obwohl er sich eigentlich mit Muse hatte beschäftigen wollen. Leon und das Treffen am Nachmittag. Er wusste nicht, wie er reagieren sollte. Er wusste nicht, was Leon machen würde. Ihm zur Begrüßung wieder küssen? Oder es gar nicht erst erwähnen? Es als gängigen Abschiedskuss abtun? Verdammt. Er könnte diesem Kerl den Hals umdrehen. Er würde es vermutlich sogar tun, sollte Leon so was nochmal machen. Mit einem kurzen Knurren drehte er das Wasser wieder zu und schüttelte sich kurz, so dass die Wassertropfen von seinen Haaren in alle Richtungen flogen. Nein, er würde Leon nicht den Hals umdrehen. Inzwischen kannte er seine Reaktionen auf Leon schon so gut, dass er sich sicher war, er würde sich nicht mal annähernd wehren, sondern genauso wie am Samstag völlig erstarrt dran stehen und es über sich ergehen lassen. Das Handtuch um die Hüfte wickelnd verließ er den Duschraum, auf dem Boden nasse Spuren hinterlassend. Muse saß immer noch so dran, wie er ihn verlassen hatte, mit trüben Augen ins Leere starrend. Adam tippte ihn leicht an die Schulter. Er zuckte zusammen, die Augen erschrocken aufgerissen. Ein Lächeln breitete sich auf Adams Lippen aus, während er mit dem Daumen hinter sich deutete. „Ich bin fertig. Du kannst also.“ „Oh, ehm. Ja, danke.“ Sein Blick kehrte schnell zum Boden zurück. Adam lachte leise auf. „Es stört mich nicht, wenn du mich anschaust. Ich glaube, du hast deine Hormone soweit im Griff, dass du mich nicht gleich überfällst, nicht wahr?“ Er tätschelte kurz seinen Kopf. „Ich bin nicht wie die anderen. Mir kommt es auf den Menschen an, nicht auf seine Sexualität.“ Muse sah auf. Sein Blick glich dem eines getretenen Hundes, der eine Streicheleinheit von einer unbekannten Person bekam. Oh je, Adam hatte eigentlich nicht vor gehabt, zum guten Samariter aufzusteigen. Aber gut, wenn der Junge jemanden brauchte, an den er sich wenden konnte... es kostete ihn ja nichts. Und vielleicht war er ja auch ganz sympathisch. „Na ja, ich muss langsam mal los. Hab heute Nachmittag noch was vor.“ Er ging zu seinem Schrank und holte seine Klamotten raus. „Wir sehen uns ja vielleicht morgen, ne?“ „Ja.“ Muse stand auf und strich sich mit einer Hand über den Oberarm, ein wenig unsicher. „Bis morgen.“ Er verschwand zögernd im Duschraum, so als ob er Adam noch nicht gehen lassen wollte. So als ob er Angst hätte, würde er jetzt gehen, würde er ihn nicht mehr wiedersehen oder mit ihm reden können. Adam drehte sich nochmal zu ihm um. Irgendwie hatte er ein schlechtes Gefühl bei ihm. Einen schalen Nachgeschmack auf der Zunge, sozusagen. Es war keine gute Idee, sich mit ihm anzufreunden. Es war auch keine gute Idee, irgendetwas mit ihm zu tun zu haben. Trotzdem. Jetzt war es zu spät, und Adam wollte es auch nicht anders. Wenn er Fragen hatte, konnte er sich an ihn wenden, immerhin war er darin schon etwas erfahrener. Und es gab jemanden, bei dem er sich wegen Leon auskotzen konnte. Auch wenn seine Mutter immer ein offenes, verständnisvolles Ohr für ihn hatte, sie war weder männlich noch schwul. Das war ein entscheidender Unterschied. Mit einem Seufzer zog er sich an und ging in die kühle Mittagsluft hinaus. Der Wind wehte durch seine nassen Haare und ließ ihn frösteln. Mit einem unzufriedenen Knurren stülpte er sich seine Mütze über den Kopf, kuschelte sich noch mehr in seinen Halbmantel und machte sich auf dem Heimweg. Zum Glück war Sport die letzte Stunde, so dass er sich nicht noch irgendein langweiliges Fach antun musste. Jedoch war seine Freude darüber sehr getrübt, da er immer noch Leon vor sich hatte. Er konnte sich besseres für diesen Nachmittag vorstellen... Der Wind blies immer noch heftig, als er einige Zeit später in Leons Einfahrt einbog. Kein Wunder, es war Oktober. Das Wetter wurde immer miserabler. Und der liebe Herr Künstler konnte ihn natürlich nicht abholen, nein, er musste bei dieser Kälte durch die halbe Stadt latschen, sich eventuell die Grippe holen und... Gut, auch egal. Adam seufzte. Er wollte ja gar nicht, dass Leon ihn abholte. Es war schon hart genug, mit ihm zwei, drei Stunden alleine im Atelier zu verbringen, da musste er sich nicht noch eine einsame Autofahrt antun. Vor allem nicht nach dem letzten Mal. Nein, wirklich nicht. Zögernd trat er vor die Tür und starrte sie an, als ob sie eine giftige Schlange wär. Es würde doch bestimmt keinem auffallen, wenn er sich jetzt umdrehen und gehen würde. Oder? Adam ließ langsam seine Luft aus seinen Lungen weichen. Es half alles nichts. Was sein musste, musste sein. Würde schon schief gehen. Und das seine Hände zitterten, und das sein Herz wie wild klopfte, das würde er einfach ignorieren. Nebensächlichkeiten. Absolute Nebensächlichkeiten. Leon würde das sicher nicht bemerken. Ganz bestimmt. Er hatte ja schließlich keine Adleraugen, denen jede noch so unwichtige Kleinigkeit auffiel. Ne, hatte er nicht. Mit einem Gefühl, als ob er zum Galgen gehen würde, drückte er zögernd auf die Klingel und vergrub dann beide Hände tief in seinen Hosentaschen. Gespielt gelangweilt schaute er die Auffahrt entlang, während er innerlich tausend Tode starb. Wie zum Teufel sollte er ihn begrüßen? Es vergingen einige Augenblicke, dann hörte er Schritte, die sich näherten. Er schluckte einmal, um seine trockene Kehle zu befeuchten, und wendete seine Augen langsam der Tür zu, die sich öffnete. Schlimmer hätte es kaum kommen können. Für einen Moment blieb wieder einmal die Zeit stehen. Auf Leons vollen Lippen lag der Hauch eines Lächelns. Einige Strähnen seines nassen Haares fielen ihm in die Stirn. Ein Wassertropfen glitt seinen Hals entlang nach unten, über sein Schlüsselbein und verschwand irgendwo unter seinem halboffenem Hemd. Die goldene Kreole an seinem Ohr blitzte kurz auf, als er seinen Kopf leicht drehte und Adam für wenige Sekunden schweigend musterte. „Hi!“ Seine Stimme klang ruhig, vermittelte unangenehme Schauer. Unangenehm für Adam. „Du holst dir den Tod, wenn du bei diesem Wetter in so einem Aufzug rumläufst.“ Adams Fingernägel gruben sich in sein Fleisch. Wieso musste er nur mal wieder so verdammt gut aussehen? Langsam hatte er ernsthaft das Gefühl, dass Leon das absichtlich machte. Die Vorstellung, ihm den Hals umzudrehen, schien doch angenehmer als erwartet. Es hatte doch bestimmt niemand was dagegen, oder? Leon lachte kurz auf. „Danke, dass du so um meine Gesundheit besorgt bist, aber ich denke, ich kann ganz gut auf mich selber aufpassen.“ „Das bezweifle ich irgendwie.“ Während sein Gastgeber zur Seite wich, glitt Adam an ihm vorbei ins Haus. „Willst du eine heiße Schokolade?“ Leon schloss die Tür und ging in Richtung Küche. „Ich hab dir welche gemacht. Ist schließlich kalt draußen.“ „Ja, danke.“ Adam zog seine Jacke und Schuhe aus, legte die Mütze und den Schal auf die Korridorkommode und folgte ihm. An der Tür blieb er kurz stehen und fixierte seinen Rücken, so lang er sich mit den Getränken auseinander setzte. Nichts. Kein Wort. Nicht mal eine Andeutung. Würde das noch kommen? Oder hatte Leon es unter „nie passiert“ abgelegt? Unwichtige Sache? Nicht weiter erwähnenswert? So ein Kuss hatte keine Bedeutung? Wäre Adam davor noch froh gewesen, wenn Leon nichts über den Kuss gesagt hätte, machte ihn jetzt das Schweigen wütend. Konnte man so was einfach vergessen? Einfach tot schweigen? Oder als nichtig abstempeln? Verärgert biss er sich auf die Zunge. Würde er sich darüber aufregen, würde Leon es nur missverstehen. Würde vielleicht denken, ihm würde der Kuss was bedeuten oder er hätte ihm gefallen. Oder sonst etwas in die Richtung. Und das wollte er auf jeden Fall verhindern. Leon war jetzt schon so von sich selber überzeugt, er musste dem nicht noch absichtlich Nahrung geben. Einmal tief durchatmend ließ er sich auf einen Stuhl nieder und legte seine Hände um die Tasse, die ihm Leon kurz darauf hinstellte. „Der Winter sollte verboten werden.“ Er starrte seine Tasse an, als ob sie für alles verantwortlich wäre. „Du bist eine Frostbeule.“ Leon strich ihm im Vorbeigehen durch die Haare und holte aus einem Schrank ein paar Kekse raus. „Es ist noch nicht mal Winter. Der Herbst hat ja noch nicht mal richtig angefangen.“ „Na und, kalt ist es trotzdem. Wieso kann es nicht immer Sommer sein?“ Adam setzte einen Schmollmund auf. Wieso mussten sie sich über solche Nichtigkeiten unterhalten? „Zieh in den Süden. In Afrika wirst du nicht frieren.“ Leon lehnte sich gegen den Tisch und musterte Adam über seine Teetasse hinweg. „Da wär ich mir nicht so sicher. Ich bin empfindlich.“ „Stimmt, ein kleines Sensibelchen.“ „Hey!“ Adam warf ihm einen verärgerten Blick zu. „Ich bin nicht sensibel. Nur empfindlich. Das ist ein Unterschied!“ „Schon gut, schon gut, Kleiner.“ Leon lachte kurz auf. „Komm, lass uns nach oben gehen. Dort ist es auch ein wenig wärmer.“ Kleiner? Adam hatte nicht mal die Zeit, eine Antwort zu geben, so schnell verließ Leon die Küche, doch so war es wohl auch besser. Die Antwort hätte nur zu Unannehmlichkeiten geführt. Also verbiss er sie sich und folgte seinem Meisterkünstler ins Atelier, in einer Hand die Tasse, in der anderen den Teller mit den Keksen. Wenn sie schon mal da waren, konnte man sie schließlich auch mitnehmen. Tatsächlich, oben war es um einiges wärmer. Leicht verwundert stellte Adam seine Mitbringsel auf einem kleinen Tischchen ab, während Leon ein paar Sachen zusammen suchte. Wärmer als normal. Er wollte gerade danach fragen, doch Leon war schneller. „Zieh dich aus.“ Komplett überrumpelt verschluckte er sich an einigen Kekskrümeln und starrte Leon fassungslos an. “Was?“ “Du sollst dich ausziehen.“ Leon lächelte ihn an, also ob diese Aufforderung das Normalste auf der Welt war. „Denk nichts Falsches. Ich hab schon genug Skizzen von dir, bei denen du angezogen bist. Wenn ich jedoch irgendwas Vernünftiges zeichnen will, brauch ich auch einige von deinem nackten Körper. Na ja, einige viele.“ Adam rührte sich nicht. Diese Antwort sickerte nur langsam in sein Bewusstsein. Natürlich, dass war eine logische Erklärung. Völlig logisch. Aber trotzdem... „Du musst dich auch nicht ganz ausziehen.“ Leon verdrehte leicht die Augen. „Oberkörper reicht mir vorerst. Also, hopp, hopp.“ Ohne ein weiteres Wort kramte er nach einem Haargummi und flocht sich einen lockeren Zopf, verschränkte dann die Arme und blickte Adam abwartend an. Dieser drehte sich langsam um, so dass er Leon im Rücken hatte und nicht anschauen musste. Vorerst der Oberkörper? Vorerst??? Sollte ihm diese Einschränkung gefallen? Mit gemächlichen Bewegungen zog er sich seinen Pullover über den Kopf. Es war peinlich. Es war unheimlich peinlich, obwohl es nur der Oberkörper war. Obwohl er im Sommer regelmäßig vor allen möglichen Menschen so rumlief. Am liebsten hätte er das Haus sofort verlassen. Oder zumindest das Zimmer. Oder seinen Körper. Nur nicht mehr Leons Augen auf sich fühlen. Als ob er alle Zeit der Welt hätte, knöpfte er das Hemd, das er unter dem Pullover trug, auf und ließ es nach unten gleiten. Er zitterte. Ganz leicht, kaum merklich, aber er zitterte. Nicht wegen der Kälte, sondern wegen der Wärme. Der Wärme der Person, die zu ihm getreten war und jetzt mit einem Finger sein Rückgrat entlang strich. „Du treibst viel Sport, kann das sein?“ Er spürte Leons Atem am Hinterkopf. „Du bist sehr durchtrainiert.“ Seine Fingerspitzen wanderten über sein Schulterblatt weiter nach unten und blieben kurz über dem Hosenbund stehen. Langsam legte Leon seine Hand auf die Hüfte. „Sehr schön.“ Adam konnte sein zufriedenes Lächeln hören. „Wirklich sehr schön.“ „Ein faszinierendes Modell. Für dich als Künstler. Nicht wahr?“ Aus Adams Stimme triefte der Sarkasmus. „Ja, allerdings.“ Die Fingerspitzen glitten wieder nach oben, über die Schulter nach vorne zu Adams Kinn und hoben es leicht an. „Sehr erotisch. Für mich als Künstler.“ Langsam drehte er sein Gesicht zu sich. „Für mich als Mann“, er legte die andere Hand auf Adams Hüfte und schob den Daumen unter den Hosenbund, während er lächelnd die wütend funkelnden Augen seines Modells betrachtete, „unwiderstehlich.“ Gemächlich zog er ihn an sich und küsste ihn. Sanft. Genüsslich. Absolut von sich selbst überzeugt. Adam erstarrte. Langsam schloss er die Augen, während ihm sein Herz bis zum Hals hochschlug. Seine Hände, die nutzlos an seinen Seiten herunter hingen, verkrampften sich, ballten sich zu Fäusten. In ihm breitete sich unerträgliche Hitze aus. Das Zittern wurde stärker. Mit einem Ruck drehte er sich um und stieß sich von Leon weg. „Lass das!“ Es war nicht viel mehr als nur ein Keuchen. Aber Leon hatte verstanden. Er trat einen Schritt zurück und musterte Adam ruhig, schweigend, während dieser alle Mühe hatte, sich wieder zu fassen. „Lass das!“, wiederholte er und blitzte Leon wütend an. „Ich bin nicht dein Spielzeug. Ich steh dir Modell, mehr nicht. Absolut nicht mehr. Also hör, Gott verdammt noch mal, auf mit mir zu spielen. Du magst einen anderen Eindruck von mir haben, aber ich bin kein Püppchen, mit dem du machen kannst, was du willst. Verstanden? Hast du verstanden???“ Er zitterte immer noch wie verrückt. Wieso machte ihn dieser Mann nur so wahnsinnig? Wieso konnte er ihm nur so schwer wiederstehen? Würde es so weiter gehen, würde er ihm komplett verfallen, noch mehr als jetzt. Würde es so weiter gehen, würde er ihn wie eine kleine Porzellanfigur zerbrechen. Leon trat zu ihm und zog ihn an sich, mit einer Hand über sein Haar streichelnd. Adam versteifte sich leicht. „Ganz ruhig, ich hab verstanden.“ Er drückte in sanft von sich weg, ließ seine Hände jedoch auf seinen Schultern liegen. „Ich werde dich nicht mehr anfassen. Nicht mehr so.“ Leon lächelte, ein selbstsicheres Lächeln. „Aber glaube nicht, dass die Sache damit abgehakt ist. Du bist unwiderstehlich, in deiner ganzen Art. Und so leicht werde ich nicht aufgeben, was dich angeht.“ Er beugte sich vor und drückte ihm zärtlich seine Lippen auf die Stirn. „Früher oder später wirst du mir gehören. Vergiss das nicht.“ Einige Schritte zurück tretend strich er sich ein paar Strähnen aus dem Gesicht. „Ich geh nach unten. Sobald du dich beruhigt hast, machen wir weiter.“ Ohne ein weiteres Wort drehte er sich um und verließ den Raum. Adam schaute ihm nach, ohne ihn wirklich zu sehen. Verdammt. Verdammt. Verdammt!!! Er ließ sich auf den Boden fallen und verkrallte seine Hände in seinen Haaren. Verdammt noch mal. Ein bisschen mehr, und er wär eine hilflose, willenlose Puppe in seinen Händen gewesen. Er hätte alles mit sich machen lassen. War das Liebe? Oder Verlangen? Verdammt. Mit einem Seufzer legte er sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Nur noch ein bisschen mehr... Wie hätte das geendet? Hätte Leon es bei dem Kuss belassen? Oder wär er weiter gegangen? Hätte er es komplett durchgezogen? Und danach? Wären sie Lover geworden? Oder nur ein One-Night-Stand? Oder doch ein Paar? Nein, niemals. Nur ein Püppchen, nur ein Spielzeug. Eine Herausforderung, die es zu meistern galt. Und danach? Nur einer unter vielen. Mehr nicht. Die Zähne zusammen gebissen schlug er mit der Faust kurz auf den Boden. Das war es nicht, was er wollte. Er wollte was anderes. Und er würde es kriegen. Entweder das... oder gar nichts. Mit einem selbstironischen Lächeln sprang Adam auf und atmete einmal tief durch. Seine Finger strichen kurz über seine nackte Brust. Er würde Leon in den Wahnsinn treiben. Und als Sieger aus diesem Kampf hervorgehen. Seine Miene wurde entschlossen. Schließlich war er ein Kampftiger. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)