Crystal Eyes von Monstertier (reloaded) ================================================================================ Kapitel 1: ----------- Adam starrte entnervt auf die Buchstaben und Sätze auf dem Blatt Papier vor ihm, während er unruhig mit seinem Kugelschreiber darauf herumtippte. Eigentlich sollte er eine Interpretation zu irgendeiner öden Kurzgeschichte schreiben, aber... wirklich, das war einfach nicht sein Ding. Er konnte einfach nichts damit anfangen, so sehr er sich auch den Kopf zerbrach. Mit einem Seufzen legte er eben diesen in den Nacken und warf einen Blick auf die Uhr. Kurz nach Mitternacht. Und morgen war Abgabetermin. Und eigentlich sollte er ja auch noch ein bisschen schlafen. Durch das geöffnete Fenster fiel das Licht des Vollmondes ins Zimmer und tauchte alles in schummriges Silber. Er spürte die Wärme der Nacht, hier, an seinem Schreibtisch, in seinem kleinen, gemütlichen Zimmer. Ach, verdammt... mit einem leisen Fluch schmiss er den Kugelschreiber in eine Ecke und sprang auf. Wie hieß es so schön, erst das Vergnügen, dann die Arbeit. Leise machte er seine Zimmertür auf, schlich sich am Schlafzimmer seiner Eltern vorbei ins Erdgeschoss runter, zog seine Schuhe an und verließ das Haus. Mit einem erleichterten Lächeln registrierte er das Klick, als die Haustür ins Schloss fiel. Was gab es Besseres als ein Mitternachtsspaziergang? Es wehte ein leichter Wind, doch die Wärme des Tages war noch so stark, dass sie ihn sanft umhüllte. Das silbrige Mondlicht gab der Umgebung eine unwirkliche Färbung. Irgendwo miaute kläglich eine Katze. In der Ferne ertönte ein heiseres Frauenlachen, sinnlich, lasziv. Die Blätter der Bäume rauschen im Wind, während ein einsames Auto an ihm vorbeifuhr, vermutlich auf dem Weg zu einer berauschenden Party. Adam strich sich einige Strähnen seiner schwarzen, nackenlangen Haare aus dem Gesicht und wendete sich in Richtung des kleinen Baches. Er liebte diese Zeit, die Stimmung, die sie mit sich brachte. Irgendwo zwischen Schlafen und Wachen, zwischen Hier und Dort, Jetzt und Dann. Keine Menschen, die ihn nervten, aber doch nicht richtig allein. Unwillig verzog er das Gesicht, als er wieder an seine Hausaufgabe dachte. Und die Schule, die er morgen wieder besuchen musste. Und die Menschen dort, die ihn für einen hirnlosen Schönling hielten, Gedichte schreibend oder Samariter spielend. Er hatte ein schönes Gesicht, zarte Gesichtszüge, lange Wimpern, einen graziösen Körper. Die Mädchen liebten ihn und hielten ihn für einen sanften Engel, während die Jungs ihn am liebsten auf den Mond schießen würden. Nicht nur, weil sie in ihm scheinbar eine Konkurrenz in Liebesdingen sahen – meine Güte, er hatte im Leben nie was mit irgendeinem Mädel gehabt! –, sondern auch, weil sie ihn für eine Schwuchtel hielten. Und das war ja bekanntermaßen ansteckend, also durfte man auf gar keinen Fall was mit ihm zu tun haben! Allein der Gedanke an den ganzen Blödsinn, der in deren Köpfen vorging, verärgerte ihn. Auf die Mädels und ihre Schwärmereien hatte er keine Lust, auf die Jungs noch weniger, also machte er halt sein Ding. Allein kam er gut zurecht, er ließ die anderen in Ruhe, die anderen ließen ihn in Ruhe. Und in zwei Jahren war es eh vorbei, und er konnte nur hoffen, dass an der Uni mehr Leute mit Verstand waren. Im Gedanken versunken hatte er nicht gemerkt, dass er sein Ziel bereits erreicht hat. Eine kleine Holzbrücke, die sich über den schmalen Bach spannte. Mit einem Seufzen lehnte er sich mit verschränkten Armen auf das Geländer und legte seinen Kopf darauf ab. Im Wasser spiegelte sich dunkel seine Gestalt, die schmale Silhouette, verwirbelt durch den Wind. Einige seiner Haarsträhnen fielen ihm in die Augen. Ein weiterer Makel. Blaue, kristallklare Augen. Sehr durchdringend, wie einige Leute nicht müde wurden, ihm zu erzählen. Irgendwo zwischen beängstigend und betörend. Manchmal könnte er seine Eltern echt zur Hölle wünschen für die Gene, die sie an ihn vererbt hatten. Langsam entspannte er sich. Sein Atem wurde ruhiger, er ließ sich von den Wellen einlullen, von dem Rauschen des Wassers und dem Wispern der Baumkronen. Der warme Wind liebkoste seinen Nacken, überzog ihn mit Gänsehaut. Eine friedliche Nacht. „Bezaubernd.“ Eine dunkle Stimme, in der ein leises Lachen mitschwang. Direkt neben ihm. Erschrocken zuckte er zusammen und richtete sich auf. „Du solltest vorsichtig sein. Um die Zeit sind viele Leute mit unlauteren Motiven unterwegs.“ Der Mann lehnte neben ihm am Geländer und lächelte ihn mit seinen Augen, verzaubernden, rauchgrauen Augen, an, obwohl der Rest seines Gesichtes recht ernst wirkte. „Du sahst aus wie ein junger Gott. Wirklich goldwert!“ Adam biss sich leicht auf die Unterlippe, streckte dann aber die Hand aus. „Na, dann her damit... mit dem Gold!“, meinte er mit einem schiefen Grinsen, ein nervöses Zittern in der Stimme, während er den Fremden von oben bis unten musterte. Der Wind spielte mit seinen langen Haaren, die im Mondlicht gold-weiß schimmerten. Um seine vollen Lippen lag ein süffisantes Lächeln, unterstrichen durch markante Gesichtszüge und eine Mimik, die Arroganz wiederspiegelte. Trotz der Wärme trug er einen weißen Rollkragenpullover, eine schwarze, enge Hose, die seine Beine wunderbar zur Geltung brachten, und ebenfalls schwarze Stiefel. Über allem hatte er einen cremefarbenen langen Mantel an, der sich bei jeder seiner Gesten bewegte. Der Fremde war groß, gut einen halben Kopf größer als Adam, der selbst nicht gerade ein Zwerg war, hatte breite Schultern, die zum Anlehnen regelrecht einluden, und eine schmale Hüfte. Alles in allem war er der Typ Mann, bei dem Frauen jeden Alters dahinschmolzen. Aber zum Glück war Adam ja keine Frau. Er lachte kurz auf, ein volles angenehmes Lachen, und senkte leicht den Kopf. „Schachmatt! Leider habe ich kein Gold mit mir, sonst würde ich es dir natürlich geben.“ Adam schaute betont auf seine goldenen Ohrringe in Form von Kreuzen. „Und was ist damit?“, erwiderte er, immer noch mit einem Zittern. Er würde es gerne unterdrücken, es gab keinen Grund, so nervös zu sein. Gut, es war nicht sonderlich normal, mitten in der Nacht von einer absolut – vermutlich – nüchternen Person angesprochen zu werden, die nicht nach dem Weg oder der Uhrzeit fragen wollte. Die einfach mal was von unlauteren Motiven und jungen Göttern schwafelte. Kein Grund, nervös zu sein, und wenn er es schon war, würde er es gerne wenigstens verbergen! Der Mann lächelte und beugte sich etwas näher zu Adam. „Und was bekomme ich dafür?“, fragte er leise und mit etwas heiserer Stimme. Adam schreckte zurück, machte einen Schritt nach hinten und erwiderte das Lächeln verlegen. „Äh, ich glaube, das war ein Missverständnis. Sorry, war ja nett, mich mit Ihnen zu unterhalten, aber... aber ich glaube, ich sollte jetzt gehen.. schönen Abend noch!“ Sein Gegenüber brachte in schallens Lachen aus und sah ihn mit einem Grinsen an. „Nur keine Angst, Kleiner, ich tue dir nichts. Ich konnte mir aber so eine Vorlage doch nicht entgehen lassen. Lauf nicht gleich weg, ich wollte dich nicht erschrecken!“ Während er sich einige Strähnen aus dem Gesicht strich, steckte er sich eine Zigarette in den Mund und zündete sie mit einem elegangen, schwarzen Feuerzeug an. „Du brauchst mich auch nicht zu Siezen. Ich bin vermutlich nicht sehr viel älter als du.“ Er warf Adam einen verschmitzen Blick zu, der in seiner Fluchtposition quasi erstarrt war. „Ich bin Leon. Ich beiße nicht und werde dir auch sonst nichts tun. Und du bist...?“ „Adam. Ich heiße Adam.“, meinte dieser immer noch etwas verschreckt, lehnte sich aber wieder an das Geländer, wenige Zentimeter von Leon entfernt. Atmen. Entspannen. Das war einfach nur ein komischer Typ mit einem irrsinnig schlechten Humor. „Wo kommst du her? Ich mein, ich hab dich hier noch nie gesehen... du bist ja doch... auffällig.. von deiner Größe her und so.“, fügte er hastig hinzu, bevor Leon auf falsche Gedanken kommen konnte. Leon zuckte mit den Schultern. „Kein Wunder, ich bin erst vor kurzem hierher gezogen. Und heute bin ich auch das erste Mal überhaupt mal raus gegangen.“ „Und was machst du so? Schüler bist du ja keiner mehr, oder?“ Smalltalk war nicht grad Adams Stärke, aber man konnte es ja mal versuchen. „Ich bin... Künstler. Größtenteils mal ich auf Leinwand, Öl, Acryl, sowas in die Richtung. Aber auch die ein oder andere Graphic Novel. Sowas in die Richtung.“ „Oh, okay... krass. Mit einem richtigen Atelier?“ Leon nickte und lächelte Adam an. „Ja, natürlich. Willst du es sehen?“ „Ähm.“ Verdammt, der Typ hatte ihn wieder in eine Ecke manövriert. Sollte das wieder nur ein Witz sein? „Eher nicht... ich muss eigentlich auch los. Schlafen... und so. Was für die Schule machen. Sowas halt...“ Das Lächeln um Leons Lippen vertiefte sich. „Soll ich dich nach Hause begleiten? Es ist gefährlich um die Uhrzeit... so alleine unterwegs.“ „Nein, nein, nicht nötig.“ Er musste sich zusammenreißen, um nicht zu stottern. Der Typ war nicht ganz koscher. „Es ist nicht so weit... und ich bin recht wehrhaft. Passt schon, danke. Ähm, ja... gute Nacht!“ Adam machte eine winkende Bewegung mit der Hand, drehte auf dem Absatz um und entfernte sich im Stechschritt von dem Mann. Er spürte seinen musternden Blick im Nacken, und die Gänsehaut kam diesmal nicht vom Wind. Wer lud jemand Fremdes bitte mitten in der Nacht zu sich nach Hause ein? Wie ein Psychopath sah der Typ zwar nicht aus, aber wenn man es denen ansehen würde, wären sie ja nicht so ein Problem... die Psychopathen. Verwirrt strich er sich einige Strähnen aus der Stirn. Der Fremde war seltsam. Aber anziehend. Nicht auf erotische Weise – doch, wobei, auch das –, sondern eher auf.. er konnte es nicht in Worte fassen. Anziehend. Anziehend??? Was dachte er sich da eigentlich grad? So ein Schwachsinn. Er war nicht schwul, verdammt. Warum sollte so ein dahergelaufener Tunichtgut anziehend auf ihn wirken? Mit einem energischen Kopfschütteln versuche er, diesen Gedanken loszuwerden, und legte nochmal einen Zahn zu, um endlich nach Hause zu kommen. In die sicheren vier Wände, fernab von nächtlichen, verstörenden Begegnungen. Leise schloss er die Haustür auf und schlich sich wieder zurück in sein Zimmer. Seine Eltern hatten zum Glück seine Abwesenheit nicht mitbekommen.. wobei, sie hätten eh keine Probleme damit. Müde schmiss er sich auf's Bett. Die Arbeit für morgen konnte er jedenfalls vergessen. Er drehte sich auf den Rücken und starrte an die Decke. Diese vollen Lippen. Weich. Süß? Die rauchgrauen Augen. Verführerisch und verschmitzt. Die tiefe Stimme, erotisch, rau, und dann das volle, wohlklingende Lachen. Warum zum Teufel hatte er diese Gedanken? Warum zum Teufel flatterte es so nervös in seinem Brustkorb? Verdammt... Er sprang wieder vom Bett, nahm entschlossen einen Kugelschreiber in die Hand und atmete einmal tief durch. Interpretation. Kurzgeschichte. Jetzt! Und dann würden sich diese seltsamen Gedanken um irgendwelche ominösen Typen, die er eh nie wieder sehen würde, hoffentlich verflüchtigen! Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)