New Horizon von dattelpalme94 ================================================================================ Kapitel 5: Neue Seiten ---------------------- Die Woche verging für Mimi wie im Flug. Die Mädchen aus ihrer Klasse konnten sie zwar wohl immer noch nicht leiden, doch es war schon nicht mehr so schlimm wie am Anfang. Vielleicht hatten sie nur immer so schlecht über Mimi gesprochen, weil sie die Neue war. Anschluss zu ihnen hatte sie immer noch nicht gefunden, aber vielleicht würde sich das mit der Zeit ändern. Sie hatten ja auch noch keine Gruppenprojekte oder ähnliche Partnerarbeiten erledigen müssen, bei denen es die Chance gegeben hätte, sich besser kennenzulernen. Sonderlich viel Zeit, sich darüber Gedanken zu machen, hatte die Brünette sowieso nicht. Auch wenn sie noch gar nicht so lange zurück in Japan war und die Schule erst angefangen hatte, hatte sich der Alltag bereits eingeschlichen: Nach der Schule ging sie viermal die Woche ins Training und erledigte abends ihre Hausaufgaben. Letztes Wochenende hatte sie mal mit Michael, einem Freund aus New York, geskypt, hatte aber auch trainieren müssen. Doch dieses Wochenende sollte anders werden, denn morgen früh würde sie mit den anderen Klassensprechern ihrer Schule auf ein Teambuilding-Seminar fahren, dass die Klassensprecher näher zusammenbringen sollte, ihnen aber auch zeigen sollte, wie sie am besten die Organisation des Schulfestes angingen. Ihren schwarzen Koffer hatte sie bereits auf den weißen Fußboden gelegt und er wartete nur darauf, gefüllt zu werden. Immer wieder schielte Mimi zu dem pinken Koffer, der in der Ecke stand. Eigentlich war das ihr Lieblingskoffer, der sie bisher auch immer treu auf allen Reisen begleitet hatte, doch für dieses Wochenende hatte sie sich für einen Koffer mit einer neutraleren Farbe entschieden. Warum eigentlich? So wirklich beantworten konnte sie sich diese Frage selbst nicht. Entschlossen warf sie den Deckel des schwarzen Koffers zu, den sie sogleich in die Ecke kickte und sich ihren pinken Koffer schnappte und öffnete. Mimi ging zum Schreibtisch und suchte in ihrem Schulordner nach der Packliste, die Herrn Yamakawi ihnen gegeben hatte. Schnellen Blickes überflog sie diese. Schuluniform, Wechseluniform, die Schulsportkleidung, Schlafanzug, Hygieneartikel, Handtücher, wetterfeste Schuhe. Wann war sie das letzte Mal mit so wenig Gepäck gereist? Ein bisschen schade fand sie, dass sie nur die Sachen der Schule anziehen durften. Viel lieber hätte sie ihre eigenen Klamotten getragen. Die Schuluniform war wohl die erste Maßnahme für das Teambuilding. Trotzdem. Mimi mochte es schon nicht sonderlich, unter der Woche ständig diese Uniform tragen zu müssen, jetzt musste sie es auch noch am Wochenende. Frustriert packte sie dennoch alles, was auf der Liste stand in ihren Koffer. Vorsichtig legte sie ihre Uniformen ganz oben drauf, in der Hoffnung, sie würden nicht zerknittern. Sie hatte keine Lust, diese in der Unterkunft noch bügeln zu müssen! Als sie fertig war, und nur noch ihre Schminksachen, sowie ihre Zahnbürste fehlten, blickte sie in ihren Koffer. Nachdenklich legte sie ihren Kopf zur Seite und tippte mit dem Zeigefinger gegen ihr Kinn. Der Koffer war erst zu einem Drittel gefüllt. Sollte sie vielleicht doch den schwarzen nehmen? Dieser war wesentlich kleiner. Dann würde Tai auch keine Witze machen können. Weder, dass sie einen viel zu großen Koffer mit dabei hatte, noch dass dieser ihr „Pink Princess“- Auftreten unterstreichen würde. Oh nein, meinte Mimi entschlossen zu sich selbst und holte wieder den schwarzen Koffer hervor. Diese Genugtuung würde sie Tai nicht gönnen! Einen Moment hielt sie in ihrer Bewegung inne und ärgerte sich über sich selbst. Warum bestimmte der Gedanke an Tai ihr Handeln? Das konnte doch nicht wahr sein! „Der Koffer ist einfach praktischer, weil er kleiner ist. Das hat nichts mit Tai zu tun“, murmelte sie vor sich hin und schob den Gedanken, dass Tai der eigentliche Grund war, weit weg. Schnell packte sie den kleinen Kleiderhaufen um. Immer noch genug Platz im Koffer. Sie ging an ihren Kleiderschrank und packte noch eine Jeans und ein T-Shirt, sowie ein dünnes Jäckchen ein. Man konnte ja nie wissen. Ebenso packte sie bereits ihre Schminktasche ein, da sie heute Nacht bei Izzy schlafen würde. Ihr Vater hatte noch ein Wellnesswochenende für sich und seine Frau gebucht, wohin sie bereits heute Abend fahren würden. Daher verbrachte sie die Nacht bei den Izumis. Zufrieden schaute sie sich ihr getanes Werk an als es an der Tür klopfte und diese sich einen Spalt öffnete. „Wir müssen dann los“, sagte ihr Vater, der seinen Kopf ein Stück weit in das Zimmer schob.   Der Abend bei den Izumis war wirklich witzig gewesen. Sie hatten einige Gesellschaftsspiele gespielt, Pizza bestellt und viel gelacht. Es war wirklich entspannend, einfach mal am Tisch sitzen zu können, lachen und entspannen zu können, ohne Gespräche über die Zukunft führen zu müssen. Grübelnd richtete Mimi ihren Blick zu Izzy, der neben ihr auf der Rückbank saß. Izzys Vater fuhr die beiden an die Schule, wo der gemeinsame Treffpunkt für die Abfahrt war. Sie wusste, dass die Izumis nicht die leiblichen Eltern ihres besten Freundes waren und dass ihm das nie etwas ausgemacht hatte. Aber seit sie gestern Abend einen Artikel auf seinem Schreibtisch gesehen hatte, fragte sie sich, ob das wirklich so war. Das Schriftstück war zwar unter anderen Unterlagen von Izzy versteckt, doch die Überschrift blitzte heraus und erhaschte Mimis Aufmerksamkeit. Auch wenn sie wusste, dass Izzy es wohl aus einem guten Grund versteckt hatte, konnte sie nicht anders. Sie musste es sich genauer anschauen. Es schrie förmlich „Schau mich an“ und so hatte Mimi die Zeit während Izzy sich im Bad fertig gemacht hatte, genutzt, um den Artikel zu lesen. „Wir sind da“, holte Izzys Mutter, die ebenfalls mitgefahren war, sie aus ihren Gedanken. Lächelnd hatte sie ihren Kopf zur Rückbank gedreht.   „Da seid ihr ja“, begrüßte Sora strahlend ihre Freunde. Izzy und Mimi verabschiedeten sich noch schnell von Izzys Eltern. „Dann sind wir ja fast komplett“, erklärte Herr Sato, der als Aufsichtsperson mitfahren würde. Während die Koffer aller verstaut wurden, konnten sich die Schüler bereits in den Bus setzen. Sie entschieden sich für einen Platz in der Mitte. Während Mimi sich neben Sora setzte, saß Izzy eine Reihe hinter ihnen und hielt einen Platz für Tai frei. „Hoffentlich kommt der bald“, meinte Izzy und schaute aus dem Fenster, ob der Braunhaarige schon in Sichtweite war. „Fahren wir halt ohne ihn“, kommentierte Mimi schulterzuckend. „Mimi“, tadelte Sora streng. „Keine Ahnung, was zwischen euch vorgefallen ist, aber reißt euch doch bitte über das Wochenende zusammen. Sonst werdet ihr noch Heim geschickt.“ „Ach, das Prinzeschen will heim?“, ertönte wie aus dem Nichts Tais Stimme. „Du hast dich ganz schön angeschlichen“, richtete sich Sora an ihn und verhinderte so, dass Mimi etwas kontern konnte. „Man muss keine Primaballerina sein, um auf leisen Sohlen laufen zu können“, sagte Tai achselzuckend und ließ sich auf den Platz neben Izzy fallen. „Du musst das aber ganz schön lange schon geübt haben. Normal sind Menschen, die nur hinter einem Ball herrennen doch so laut wie Trampeltiere.“ „Mimi!“, knurrte Tai. „Tai!“ „Mimi, Tai. Ruhe!“, schimpfte Sora und blickte böse von einem zum anderen. Doch dann konnte Mimi, die sich auf ihrem Sitz herumgedreht hatte, sodass sie zu Tai und Izzy gewandt saß, erkennen, wie sich Soras Blick plötzlich angestrengt wirkte und sie dann mit einem schweren Blick die Person anschaute, die gerade den Flur des Busses entlang lief. Ohne die kleine Gruppe eines Blickes zu würdigen lief Matt an ihnen vorbei und seine kalte Aura hinterließ einen Schauder. Mimi versuchte, ihn in diesem kurzen Augenblick gründlich zu mustern. Obwohl sie bereits einige Wochen an der Schule war, hatte sie Matt bisher nur aus der Ferne gesehen. Die Pausen verbrachte er lieber bei den anderen Mitgliedern seiner Band. Für Mimi schien es als hätte es Matt große Mühe gekostet, seine Freunde zu ignorieren. Seine Stirn wirkte angespannt und leicht kraus gezogen. Seine Augen fixierten unnatürlich starr das hintere Fenster im Bus. Was war nur mit ihm? Der Blonde war schon immer ernster gewesen als die anderen. Aber so wie sie ihn eben gesehen hatte, kannte sie ihn nicht. „So ein arroganter Idiot“, knurrte Tai. War es wirklich Arroganz, die Mimi eben gespürt hat? Bevor sie weiter darüber nachdenken konnte, weckte der Lehrer ihre Aufmerksamkeit. Er informierte sie, dass sie nun losfahren würden und gab ihnen noch einige Informationen, was sie erwarten würde und wie sie sich zu verhalten hätten. Doch dieser Ansprache lauschte Mimi nur halbwegs, denn sie verwickelte Sora in ein Gespräch.   Nach zwei Stunden kamen sie endlich an ihrem Ziel ein. Trotz entspannter Gespräche mit Sora waren Busfahrten wirklich mit das Langweiligste, das Mimi kannte. Daher war Mimi mehr als froh, als sie endlich aus dem Bus aussteigen, ihre Beine strecken und ihre Lungen mit frischer Luft füllen konnte. Der Vormittag verging wie im Flug. Die Zimmereinteilung dauerte nicht lange, da es lediglich einen Schlafsaal für die Mädchen und einen für die Jungs gab. Die Zimmer waren einfach eingerichtet. Es lagen genug Futons auf dem Boden, ansonsten gab es noch ein paar kleine Kommoden. Das Badezimmer befand sich in einem separaten Zimmer. Gemeinsam mit Sora richtete sie ihre kleine Schlafstätte zurecht. Erst als sie ihren Koffer in ein Eck stellte, fiel ihr auf, dass sie sich tatsächlich kein Kommentar von Tai anhören musste. Erleichterung machte sich in ihr breit. Vielleicht war das ein Schritt in Richtung normal miteinander umgehen. „Mimi, Sora hat erzählt, du kommst aus New York“, richtete Akira, ein Mädchen aus Soras Parallelklasse, interessiert an Mimi. „Ja, das stimmt“, erwiderte Mimi schüchtern. Sie wusste nicht genau, worauf das Mädchen hinauswollte. „Das ist ja mega cool. Das muss doch wahnsinnig schön dort gewesen sein. Ist Tokio dagegen nicht total langweilig?“, fing die Fragestunde an und Mimi beantwortete  alles und freute sich über das Interesse und die Freundlichkeit, die die anderen Mädchen ihr gegenüber zeigten. Sie fühlte sich so geborgen wie schon lange nicht mehr. Sie bereute es kein Stückchen, dass sie sich als Klassensprecherin gemeldet hatte.   Müde saß sie mit Sora am Tisch und stocherte in ihrem Abendessen herum. Die anderen Mädchen hatten bereits ihre Tabletts zurückgebracht und sich auf das Zimmer begeben. Auch die meisten der Jungs, die an einem anderen Tisch saßen, hatten sich schon auf den Weg zum Schlafen gemacht. „Was ist los?“, fragte Sora, die Mimi schon die ganze Zeit besorgt beobachtet hatte. „Hm? Ach nichts, schon okay“, meinte Mimi nur und stützte ihren Kopf wieder auf ihrer Hand ab. „Ist es wegen des Streits mit Tai vorhin?“ Mimi seufzte auf und verriet sich so selbst. Sie und Tai hatten sich vorhin bei der Gruppenaufgabe, was einen guten Teamleader ausmachen würde, aneinandergeraten. Mimi war der Meinung, dass Aufgabenbereiche aufgeteilt werden sollten, aber es dennoch eine Person geben sollte, die trotzdem über alle Planung Bescheid wusste. Tai dagegen war für eine Führungsperson, die alles einteilt. Tai warf ihr daraufhin vor, sie lebe in einer Traumwelt, in der alles gut gehen würde und Mimi erwiderte, er wäre so von seiner Rolle als Kapitän der Fußballmannschaft geprägt, dass er keine anderen Möglichkeiten zuließe. Obgleich Mimi dachte, sie würde einen Schritt in eine gute Richtung machen, hatten sie bei dieser Aufgabe drei Schritte zurückgemacht. „Ach Mimi, ihr seid eben beide starke Charaktere.“ „Das hat damit doch nichts zu tun. Er hat es einfach auf mich abgesehen, und ich weiß nicht, was ich ihm getan habe“, stöhnte Mimi frustriert auf. „Das kann ich dir leider auch nicht so genau sagen“, bekannte Sora ehrlich. „Ich weiß nur, dass er nach deiner Abreise vor einem Jahr nicht mehr gut auf dich zu sprechen war. Dabei hattet ihr euch doch so gut verstanden.“ „Hm“, murmelte Mimi und erinnerte sich an diesen Sommer. Sie war sechzehn, er siebzehn und wenn sie zurückdachte an die vielen schönen Momente, die die beiden in diesem Sommer miteinander teilten, dann musste sie sich eingestehen, dass er der schönste Sommer war, den sie bisher erlebt hatte. All die kleinen Momente, die dadurch magisch wurden, dass sie sie miteinander verbrachten. Sie war verliebt, er auch. Und doch war es wohl nicht mehr als eine Sommerromanze. „Ich habe damals nur darauf gewartet, dass ihr euch als Paar outet“, gestand Sora und löste dabei einen kleinen, aber stechenden Schmerz in Mimis Brust aus. Sie hatte damals auch gedacht, dass sie zusammenkommen würden. Doch nachdem Mimi wieder nach New York zurück musste, hatte Tai sich kein einziges Mal bei ihr gemeldet und jeden Kontaktversuch ihrerseits abgeblockt. „Oh Gott, das würde doch nie funktionieren“, witzelte Mimi und versuchte so das Thema zu wechseln und die Stimmung ein wenig aufzuheitern. „Ich glaube schon. Ihr würdet euch sicher voll oft streiten, aber euch genausooft miteinander gegen und verbünden und uns böse Kommentare entgegenfeuern“, entgegnete Sora und lachte auf. „Komm, lass uns auch schlafen gehen.“ „Da stimme ich dir zu.. ihr hättet es sicher nicht leicht, gegen uns anzukommen“, und schon griff die Brünette nach ihrem Tablett und folgte Sora zur Essensrückgabe. Das Thema wechselte sich schnell zu Spekulationen, wie der morgige Tag wohl noch werden würde. Als die beiden Mädchen gerade die Treppe nach oben zu den Schlafzimmern nehmen wollte, fiel Mimi ein großer, schwarzer Gegenstand, der im Foyer stand, auf. Er war ihr bisher noch nicht aufgefallen, aber jetzt wurde er durch ein leichtes Licht beleuchtet und zog Mimi in seinen Bann. Wie lange hatte sie nun nicht mehr gespielt? Sollte sie es mal wieder versuchen? Das schöne Piano rief förmlich nach Mimi. „Entschuldige, ich komme gleich nach“, verabschiedete sie sich von Sora, die ihr fragend hinterherschaute, als Mimi eine andere Richtung einschlug, dann aber nach oben ging.   Sachte fuhr sie mit ihren Fingern über den schwarzen Deckel bis sie schließlich bei den Tasten angekommen war. Sie haderte einen Moment mit sich. Es war lange her, dass sie die weißen und schwarzen Tasten zu einer harmonischen Melodie in Einklang gebracht hatte. Doch die Sehnsucht überkam sie wie eine große Meereswelle und so setzte sie sich an die Tasten. Ganz sanft, als könnte sie dem Piano durch ihre Berührungen Schmerzen zufügen, drückte sie einige Tasten. Es klang nicht so schief wie sie es sich vorgestellt hatte. Nach kurzer Zeit wurde sie immer mutiger und drückte die Tasten fester nach unten. Auch wenn sie es nicht beabsichtigte, spielte sie das letzte Lied, das sie damals im Klavierunterricht gelernt hatte. Es war damals im Radio rauf und runter gelaufen und Mimi hatte nicht nur die Melodie verinnerlicht, sondern auch den Text. Leise begann sie mitzusingen.               All this money can't buy me a time machine, no                 Can't replace you with a million rings, no          I should'a told you what you meant to me, whoa                   Cause now I pay the price           In another life, I would be your girl        We keep all our promises, be us against the world            In another life, I would make you stay      So I don't have to say you were the one that got away                         The one that got away  „Ich wusste zwar, dass du Klavier spielen kannst, aber dass du auch so gut singen kannst, das ist mir neu.“ Abrupt blieben ihre Finger auf der Stelle stehen und sie verstummte. Sie hatte gar nicht mitbekommen, dass jemand das Foyer betreten hatte. Und mit der Person, zu der die Stimme gehörte, hatte sie nun gar nicht gerechnet. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)