Seelenschatten von Labrynna ================================================================================ Kapitel 1: Träume und Erinnerungen ---------------------------------- „Du musst aufstehen, meine Schöne.“ Die geflüsterten Worte drangen wie aus weiter Ferne an Aeriths traumumnebelten Geist und zauberten ihr ein seliges Lächeln auf die Lippen. Die sanfte Stimme klang trotz der gedämpften Lautstärke voll und hatte einen liebevollen Unterton, bei dem Aerith ganz warm ums Herz wurde. Wohlig knurrend schmiegte sie sich noch näher an den jungen Mann, der sie in seinen Armen hielt, und schüttelte ein wenig mit dem Kopf. Oh, wie sie den würzigen Geruch liebte, den seine straffe, über seine feindefinierten Brustmuskeln gespannte Haut verströmte! Während Aerith allmählich richtig wach wurde, ließ sie ihre Hand unter die dünne Leinendecke gleiten, wo sie ihrem Freund über seinen flachen, trainierten Bauch streichen wollte. Doch alles, was ihre Finger fanden, war das zerwühlte Laken über der etwas zu harten Matratze. Wie vom Blitz getroffen schreckte die junge Frau aus dem Schlaf hoch und sah sich mit schockgeweiteten Augen verwirrt im dunklen Raum um. Heiße Tränen stiegen ihr in die Augen und ein dicker Kloß schnürte ihr die Kehle zu, als ihr bewusst wurde, dass sie wieder einmal nur geträumt hatte. Zack war nicht hier… Aerith holte vibrierend Luft und bemühte sich verzweifelt, die aufkommende Trauer hinunterzuschlucken, bevor sie übermächtig werden konnte. Jetzt war es schon über fünf Jahre her, dass der junge Soldat von der ShinraInc auf eine Mission nach Nibelheim geschickt worden war. Seitdem hatte sie bis auf ein kurzes Telefonat, bei dem ihr Freund angespannt und ablehnend geklungen hatte, nichts mehr von Zack gehört. Obwohl sämtliche Briefe, die sie ihrem Freund hinterhergeschickt hatte, unbeantwortet geblieben waren, hatte sie sich lange Zeit stur an die Hoffnung geklammert, ihn bald wieder in die Arme schließen zu können. Doch je mehr Wochen ins Land gegangen waren, desto sicherer war sie sich geworden, dass ihre erste große Liebe sie wortlos verlassen hatte. Zack, gutaussehend und charmant, war bei den Frauen schon immer beliebt gewesen und hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass er dies stets sehr genossen hatte. Dennoch hatte Aerith sich nie dazu durchringen können, mit ihrem Herzen an das zu glauben, was ihr Kopf ihr sagte. Es musste eine andere Erklärung für Zacks Verschwinden geben! Und dann war dieser Tag vor einigen Monaten gekommen, der alles durcheinander gewirbelt hatte. Als Angehörige der Cetra hatte Aerith schon immer eine besondere Verbindung zum Planeten und dem alles durchdringenden Lebensstrom gehabt, die ihr besondere Gaben verlieh – so wie damals, als der Mann ihrer Adoptivmutter gestorben war. Obwohl er für sie immer ein Fremder geblieben war, hatte Aerith seinen Tod sofort gespürt. Da Aerith sich jedoch kaum etwas mehr wünschte als normal zu sein, bemühte sie sich stets ihre Cetra-Fähigkeiten zu ignorieren, was ihr auch meistens hervorragend gelang. Doch an jenem Tag, an den die junge Frau nun wieder denken musste, hatten alle Verdrängungsmethoden, die sie sich im Laufe der Jahre angeeignet hatte, kläglich versagt. Es war ein schöner Spätherbsttag in Midgar gewesen und die Sonne, die sich nach einem heftigen Regenfall wieder durch die Wolken gekämpft hatte, hatte ihre goldenen Strahlen in breiten Bahnen durch das löchrige Dach von Aeriths liebstem Rückzugsort, der baufälligen Kirche in Sektor 5 geschickt. Aerith war gerade dabei gewesen, nach ihren geliebten Blumen, die merkwürdigerweise nur dort wild zu wachsen schienen, zu sehen, als sich ihre Cetra-Sinne plötzlich mit einer bislang unbekannten Heftigkeit zu Wort gemeldet hatten. Ein unbeschreiblicher, stechender Schmerz war Aerith mitten ins Herz gefahren und sie hätte schwören können, dass sie in diesem Augenblick Zack schreien gehört hatte. Der Gedanke an diesen unendlich gequält klingenden Schrei ließ Aerith noch immer erschaudern, genauso wie die Erinnerung an die gespenstische Stille und das bedrückende Gefühl von Leere, die sich anschließend in ihr ausgebreitet hatten. Obwohl die Zeichen von jenem Tag um ein Vielfaches deutlicher gewesen waren als damals beim Tod ihres unbekannten Adoptivvaters, wollte Aerith einfach nicht glauben, dass Zack womöglich tot war. Das konnte nicht sein. Es durfte nicht sein! Seufzend strich Aerith sich mit der flachen Hand eine lange Strähne ihres braunen, leicht welligen Haares aus der Stirn. Allmählich verflüchtigten sich die Traumbilder und damit auch die bewusste Erinnerung an den Klang von Zacks Stimme und an seinen Geruch. Manchmal hatte Aerith Angst, auch ihr Unterbewusstsein könnte all diese kleinen Dinge vergessen, an denen ihr Herz so hing. Wie so oft, wenn sie von Zack geträumt hatte, beschlich sie eine innere Unruhe, die wie kleine Stromstöße durch ihre Adern pulsierte, bis Aerith nicht mehr stillsitzen konnte. Zunächst wippte sie nur mit dem Fuß und kaute gedankenversunken auf ihren Fingernägeln, doch schließlich sprang sie auf und schlich sich auf Zehenspitzen aus dem Zimmer. Obwohl sie sich große Mühe gab, keinerlei Geräusche zu machen, warf sich Tifa knurrend auf dem anderen Bett herum. Mit wild schlagendem Herzen lauschte Aerith in die Dunkelheit, bis sie sich sicher war, dass ihre Zimmergenossin ruhig weiterschlief. Erst dann schloss sie vorsichtig die Tür und eilte ans andere Ende des Korridors, wo sie ohne zu zögern in den am weitesten hinten gelegenen Raum schlüpfte. Leises Schnarchen ertönte aus dem einzelnen Bett und die bunten Lichter des GoldSaucers blitzten zwischen den schlampig zugezogenen Vorhängen hindurch. Beinah ehrfürchtig trat Aerith ans Fußende des Bettes heran und betrachtete nachdenklich den darin schlafenden Mann, während widersprüchliche Gefühle in ihrem Inneren miteinander stritten. Mit seinem blonden Haar, der beinah ungesund blassen Haut und seiner stets ernsten Miene sah Cloud vollkommen anders aus als der größere, immerzu gutgelaunte Zack, der sein schwarzes Haar zuletzt ein gutes Stück länger und nach hinten gekämmt getragen hatte, und dennoch hatte er Aerith sofort an ihren verschollenen Freund erinnert. Es lag daran wie er den Kopf hocherhoben trug, wie er kämpfte, wie er aufrecht stand, wie er sich artikulierte, an seinem Tonfall – kurz: Es war seine ganze Art sich zu bewegen und zu sprechen, mit der Cloud Zack so sehr ähnelte, dass es Aerith fast das Herz zerriss. Doch als wäre das nicht schon genug, waren da auch noch diese anderen Gemeinsamkeiten, die Aerith verwirrten und alte Wunden wiederaufbrachen. Mit einem wehmütigen Lächeln dachte die junge Frau an ihre erste Begegnung mit Zack. Damals war sie gerade einmal fünfzehn Jahre alt gewesen und hatte sich wie so oft in der alten Slum-Kirche aufgehalten, als es plötzlich ohrenbetäubend laut gekracht hatte und ein etwa gleichaltriger Junge durchs Dach gebrochen war. Mit einem dumpfen Aufprall war sein Körper auf den wilden Blumen gelandet und Aerith hatte zitternd die Hände, die sie sich reflexartig schützend vors Gesicht geschlagen hatte, wieder heruntergenommen. Auf weichen, wackeligen Beinen war sie zu dem Jungen herüber geeilt und hatte erleichtert aufgeatmet, als sie gesehen hatte, dass ihn sein Sturz nicht umgebracht hatte. Zwar hatte er bei jeder Bewegung leise gestöhnt und gewimmert, doch er hatte schon bald das Bewusstsein wiedererlangt. Aerith hatte sich leicht über ihn gebeugt und immer wieder „Hallo?“ gerufen, bis der Junge allmählich zu sich gekommen war. Seine Augenlider hatten geflattert und er hatte in einem schmerzverzerrten Ton nach seiner Mutter gefragt, bevor er die Augen aufgeschlagen hatte. Zunächst war Zacks verwirrter Blick ein wenig umher geirrt, nur um dann an Aeriths Gesicht hängen zu bleiben. „Bin ich im Himmel?“, hatte er mit leicht rauer Stimme gefragt, während er langsam wieder richtig zu sich gefunden hatte. „Nicht ganz. Du bist in einer Kirche in Sektor 5“, hatte Aerith ihm geantwortet, doch Zack hatte vage mit dem Kopf geschüttelt als wollte er ihr nicht glauben. „Aber du bist doch ein Engel!“, hatte er lächelnd insistiert und Aerith damit zum Lachen gebracht. Kurz darauf waren sie zum ersten Mal miteinander ausgegangen und von diesem Tag an hatten sie sich regelmäßig gesehen, bis Zack etwa zwei Jahre später auf seine ominöse Mission nach Nibelheim geschickt worden war. Wie selbstständig wanderten Aeriths Hände zu der rosafarbenen Schleife, die sie im Haar trug. Zack hatte bei ihrem ersten Treffen darauf bestanden, ihr dieses Band zu schenken – als Dank dafür, dass sie ihn nach seinem Sturz wieder aufgeweckt hatte. Noch immer schmerzten die Erinnerungen an ihre glückliche Zeit mit Zack sehr, doch Aerith musste sich dennoch ein wenig zwingen, ihre Gedanken auf das erste Aufeinandertreffen mit Cloud zu richten. Das erste Mal hatte sie ihn gesehen, als sich ganz Midgar in Aufruhr befunden hatte. Avalanche, eine Rebellengruppe, die sich dem Schutz des Planeten und dem Kampf gegen den allmächtigen Energiekonzern ShinraInc verschrieben hatte, hatte einen der acht Mako-Reaktoren Midgars in die Luft gesprengt, was zu einer regelrechten Massenpanik geführt hatte. Aerith hatte sich zu diesem Zeitpunkt in Sektor 8 befunden, wo sie Blumen hatte verkaufen wollen – eine Geschäftsidee, die einst Zack gehabt hatte. Dank Shinras skrupelloser, umweltverschmutzender Energiepolitik gab es kaum noch Pflanzen in Midgar, weshalb die Menschen bereit waren, einiges für einen Strauß schöner Blüten zu zahlen. Als plötzlich der gewaltige Explosionsknall die geschäftige Metropole erschüttert hatte und die Panik ausgebrochen war, hatte Aerith sich sogleich auf den Heimweg gemacht, denn die Angst, die wie eine Dunstglocke über der Stadt gehangen hatte, hatte sich auch des geschäftigen Blumenmädchens bemächtigt. Doch der Schreck war Aerith erst richtig in die Glieder gefahren, als sie plötzlich eine Gestalt entdeckt hatte, die sich langsam auf sie zu bewegt hatte. Wegen des staubigen Drecks, der von der Explosionswelle aufgewirbelt worden war und nun in der Luft gehangen hatte, war die näherkommende Person zunächst nur verschwommen zu erkennen gewesen und Aerith hatte lediglich gesehen, dass es sich um einen Mann gehandelt hatte, der die schwarze Uniform eines Soldaten ersten Ranges getragen und ein gewaltiges Breitschwert geschultert hatte. Die Art wie die Schattengestalt sich bewegt hatte, hatte Aerith so sehr an ihren verschollenen Freund erinnert, dass ihr Herz wie wild zu schlagen begonnen hatte. Doch als sich allmählich immer mehr Details aus dem Schmutzschleier herausgeschält hatten, hatte Aerith erkennen müssen, dass es sich bei dem Fremden nicht um Zack gehandelt hatte. Dennoch hatte so etwas wie Erkennen in den Augen des blonden Soldaten aufgeblitzt, als Aerith ihn angesprochen hatte, um zu erfahren, was vorgefallen war. Anstatt ihr eine Erklärung zu geben, hatte er ihr jedoch lediglich geraten, möglichst schnell nach Hause zu gehen. Dass der Fremde zu der für das Chaos verantwortlichen Rebellengruppe gehörte, hatte Aerith erst viel später erfahren. Sie hatte sich damals auch nicht darüber gewundert, dass Cloud anscheinend genau gewusst hatte, was passiert gewesen war und dass Shinras Kampftruppen bereits auf dem Weg nach Sektor 8 gewesen waren. An diesem Abend hatte Aerith an nichts anderes denken können als an Zack und die bohrende Angst, die ihre Vision von seinem Tod bei ihr hinterlassen hatte. Normalerweise schaffte sie es erstaunlich gut, jeden Gedanken an ihren ersten Freund zu verdrängen, doch die Begegnung mit Cloud, der Zack so unerträglich ähnlich war, obwohl sie so unterschiedlich aussahen wie nur irgend möglich, hatte die sorgsam verschlossenen Wunden wiederaufgerissen. Nur einen Tag später waren Aerith und Cloud erneut aufeinander getroffen, was die Verwirrung der jungen Blumenfrau perfekt gemacht hatte. Es war weniger die Tatsache, dass sie Cloud zweimal in so wenig Zeit begegnet war, als vielmehr die Art und Weise gewesen, die Aerith so irritiert hatte. Sie hatte gerade Blumen für ihre nächste Verkaufstour gesammelt, als der blonde Soldat vom vorangegangenen Abend durchs Dach der Kirche gestürzt und im Beet gelandet war. Für einen Moment war Aerith so erschreckt gewesen, dass ihr die frappierende Ähnlichkeit zu ihrer ersten Begegnung mit Zack gar nicht aufgefallen war, doch dann hatte die Erinnerung umso brutaler zugeschlagen. Um sich selbst von den schmerzhaften Bildern in ihrem Kopf abzulenken, war Aerith zu Cloud herüber geeilt und hatte sich über ihn gebeugt, um ihn notfalls mit ein paar Ohrfeigen aus seiner Ohnmacht aufzuwecken. Doch ihr Schatten war kaum auf sein Gesicht gefallen, da hatten auch schon Clouds Lider gezuckt. Blinzelnd hatte der junge Mann zu der über ihm Knieenden aufgeblickt und geflüstert: „Mutter?“ Seit jenem Nachmittag war so viel passiert, dass Aerith kaum Zeit geblieben war, darüber nachzudenken, dass die beiden Begegnungen mit Zack und Cloud in der Slum-Kirche nicht nur ähnlich, sondern nahezu identisch gewesen waren. Doch sie hatte gleich gespürt, dass es nicht bloß Zufall gewesen war, dass Cloud auf beinah dieselbe Art in ihrer Kirche gelandet war. Sie konnte nur noch nicht einschätzen, was ihr Schicksal ihr mit dieser Fügung sagen wollte. Sollte sie mit Cloud die Chance bekommen, die sie mit Zack nie gehabt hatte? Oder würde er ihr lediglich dabei behilflich sein, endlich Gewissheit über den Verbleib ihres Freundes zu bekommen? Gedankenversunken ging Aerith um das Bett herum und strich sachte über das Heft von Clouds Schwert, das er achtlos gegen die Wand gelehnt hatte. Wie sehr sie sich doch wünschte, das mächtige Breitschwert könnte reden! Als sie nach seinem Sturz in die Kirche Clouds gewaltige Waffe erkannt hatte, hatte sie der Schlag getroffen. Denn es bestand keinerlei Zweifel daran, dass Zack früher dieses Schwert geführt hatte. Aerith konnte sich noch gut an die Situation erinnern, in der sie es das erste Mal in seinen Händen gesehen hatte: An jenem Tag war Zack entgegen seines ansonsten so sonnigen Gemüts mit niedergeschlagener Miene und hängenden Schultern in der Slum-Kirche aufgetaucht. Obwohl er ein überaus kräftiger Mann gewesen war und das gewaltige Panzerschwert mit einer Hand hatte führen können, hatte es den Anschein gehabt, dass das Gewicht seiner neuen Waffe ihn fast erdrückt hatte. Als Aerith eine Bemerkung dazu gemacht hatte, hatte sich der traurige Ausdruck in Zacks blauen Augen noch verstärkt und seine Freundin hatte lieber schnell das Thema gewechselt. Während sie über ihre Pläne für einen Blumenwagen, den Zack für sie hatte bauen wollen, geplaudert hatte, hatte er sich mit dem Rücken zu ihr auf den Boden gesetzt und ins Leere gestarrt. Zunächst hatte Aerith das sonderbare Verhalten ihres Freundes ignorieren wollen, um ihm die Möglichkeit zu geben, von selbst zu ihr zu kommen und mit ihr über seine Sorgen zu sprechen, doch als sein herzzerreißendes Schluchzen an ihre Ohren gedrungen war, hatte sie sich ohne darüber nachzudenken an seinen breiten Rücken geschmiegt und ihn tröstend in die Arme genommen. Nachdem er sich ein wenig beruhigt hatte, hatte Zack ihr erzählt, dass sein Mentor Angeal, Produkt und Opfer von Shinras skrupellosen Menschenversuchen, an jenem Tag ums Leben gekommen war und sein Panzerschwert als Zeichen seiner fortlebenden Träume und Ehre an Zack vererbt hatte. Wie nur war dieses Schwert in Clouds Besitz gelangt?! Aerith erinnerte sich daran, dass Zack ihr früher des Öfteren von einem etwa gleichaltrigen Infanteristen namens Cloud erzählt hatte. Zacks Berichten zufolge hatten die beiden jungen Männer einige Missionen gemeinsam durchgestanden und waren schon seit ihrer ersten Begegnung durch eine innige Freundschaft miteinander verbunden gewesen. Doch konnte es sich bei dem schlafenden Mann vor ihr tatsächlich um diesen Freund handeln? Der Cloud, mit dem sie sich nun auf Reisen befand, schwor Stein und Bein darauf, vor seinem Söldnerdasein Mitglied von Shinras Elitesoldatentruppe gewesen zu sein und sogar den äußerst seltenen ersten Rang bekleidet zu haben – genau wie Zack vor seinem Verschwinden. Außerdem schien Cloud Zack überhaupt nicht zu kennen, was Aerith angesichts der geringen Anzahl an Soldaten ersten Ranges ziemlich merkwürdig fand. Bislang hatte sie immer geglaubt, diese kleine elitäre Gruppe würde sich untereinander besser kennen als so manche Familie. Doch als sie Cloud von Zack erzählt hatte, hatte er keinerlei Reaktion gezeigt und kopfschüttelnd erklärt, er hätte noch nie von einem Soldaten mit diesem Namen gehört. Hätte Cloud nicht das Erkennungszeichen der mit einer besonderen Prozedur behandelten Soldaten Shinras gehabt – hellblau funkelnde, Mako durchtränkte Augen – hätte Aerith ihm kein einziges Wort geglaubt. Es fiel ihr so schon sehr schwer, ihre Zweifel an Clouds Geschichte zu verdrängen. Irgendetwas an diesem Mann war merkwürdig. Er war von einer sonderbaren Aura umgeben, hinter die sein eigentliches Selbst wie ein Schatten zurückzutreten schien. Wenn Aerith die Augen zusammenkniff, konnte sie das Cloud umgebende Kraftfeld beinah sehen und manchmal hatte sie das Gefühl, es nähme Zacks Statur und Züge an. Doch sobald sie genauer hinsah, löste sich der Schemen augenblicklich auf und Aerith war sich sicher, sich alles nur eingebildet zu haben. Mit einem leisen Seufzen holte die junge Frau Luft und warf einen letzten Blick auf den schlafenden Blonden. Eines Tages würde sie sein Geheimnis schon noch enträtseln und herausfinden, in welcher Beziehung er zu ihrem schmerzlich vermissten Zack stand. Doch nun war es allerhöchste Zeit, wieder ins Bett zu gehen. Bei Sonnenaufgang wollte die siebenköpfige Gruppe endlich nach Gongaga aufbrechen, nachdem sie fast einen Tag verloren hatte, da alle Mitglieder nach einem Missverständnis mit der Leitung des GoldSaucers in Corels Wüstengefängnis inhaftiert worden waren. Erst Clouds beherzter Einsatz und sein Sieg beim heutigen Chocobo-Rennen hatten die Truppe aus ihrer Misere retten können. Aerith fröstelte bei dem Gedanken an ihr nächstes Reiseziel. Zack war in Gongaga geboren worden und soweit Aerith wusste, lebte seine Familie noch immer dort. Vielleicht würde sie schon am nächsten Tag endlich erfahren, was aus ihrer großen Liebe geworden war. Möglicherweise war Zack ja nach seiner Nibelheim-Mission nach Hause zurückgekehrt und sie würde sogar die Möglichkeit haben, ihn zu sehen… Während sie auf leisen Sohlen zurück zu ihrem eigenen Bett schlich, musste sie sich jedoch eingestehen, dass ihr diese Möglichkeit fast genauso große Angst machte wie der Gedanke daran, womöglich aus sicherer Quelle von seinem Tod berichtet zu bekommen. So sehr sie sich auch bemühte, sie vermochte nicht zu sagen, was ihr mehr wehtun würde: Gewissheit zu haben, dass ihre Liebe tot war oder zu erfahren, dass er irgendwo glücklich vor sich hin lebte und sie längst vergessen hatte. Mit brennenden Augen presste Aerith die Kiefer aufeinander und starrte auf dem Rücken liegend an die dunkel gestrichene Decke. Morgen, das wusste sie genau, würde einer der wohl schwersten Tage in ihrem Leben werden. Doch vielleicht würde sie es endlich schaffen, einen Abschluss zu finden. Kapitel 2: Reise nach Gongaga ----------------------------- Obwohl Aerith nach ihrem Besuch an Clouds Bett sofort wieder ins Bett gegangen war, hatte sie keinen Schlaf mehr gefunden. Zu viele Gedanken und Erinnerungen waren unablässig durch ihren Geist gewandert, bis die aufgehende Morgensonne schließlich das erste Tageslicht durch die Ritzen zwischen den Vorhängen hindurchgeschickt hatte. Dennoch verspürte Aerith keinerlei Müdigkeit, als sie nun mit ihren Reisebegleitern den knallroten Buggy bestieg. Das Gefährt war eine Leihgabe des GoldSaucer-Betreibers, der so versuchte, den ungerechtfertigten Gefängnisaufenthalt der Gruppe wieder gutzumachen. Tatsächlich hatte die Aussicht darauf, lange Fußmärsche zukünftig vermeiden zu können, laute Jubelstürme bei Cloud und seinen Gefährten ausgelöst. Erfreulich war zudem, dass die Reise im Buggy nicht nur ungleich bequemer war, sondern sich zusätzlich auch noch mehr Weg in kürzerer Zeit zurücklegen ließ. Schon bald hatte die Gruppe die heiße Wüste, in deren Mitte der riesige, wie ein Lichterbaum gestaltete Vergnügungspark „GoldSaucer“ errichtet worden war, hinter sich gelassen. Zunächst durchquerten die bunt zusammengewürfelten Abenteurer weite Ebenen voller saftig aussehendem, dunkelgrünem Gras, klaren Bachläufen und kleineren Baumgruppen, doch je näher sie ihrem Reiseziel Gongaga kamen, desto karger wurde die Landschaft. Der riesige Mako-Reaktor, der hier bis vor ein paar Jahren gestanden hatte, hatte der Natur den Großteil ihrer Energie entzogen und die Pflanzen reihenweise sterben lassen. Aerith, die eingekeilt zwischen Tifa und Yuffie auf der Rückbank des Buggys saß, wrang nervös die Hände und versuchte, sich von der immer stärker werdenden Unruhe in ihrem Inneren abzulenken, indem sie die mit ihr reisenden Personen genauer unter die Lupe nahm. Cloud saß am Steuer und trug eine verschlossene Miene zur Schau. Nichts deutete darauf hin, dass er womöglich irgendetwas mit Gongaga verband, doch Aerith hätte dennoch einiges dafür gegeben, einen Blick hinter seine hohe Stirn werfen zu können. Warum hatte er sich überhaupt zu dieser Reise entschlossen? Während Tifa und Barrett, Anführer der Rebellengruppe Avalanche, den Planeten retten und die Mako-Ausbeutung durch Shinra stoppen wollten, beteuerte Cloud, dass ihm dies völlig egal war. Er begründete seine Motivation mit einer persönlichen Rechnung, die er mit dem plötzlich wieder aufgetauchten, für tot gehaltenen Sephiroth noch offen hatte. Doch Aerith hatte manchmal das Gefühl, dass Cloud die Gruppe nur deswegen begleitete, weil Tifa ihn darum gebeten hatte und er sie beschützen wollte. Neben Cloud saß Barrett und starrte missmutig auf die vorbeiziehende Landschaft. Über ihn musste Aerith jedes Mal wieder grinsen. Obwohl er nachaußenhin stets nur seine raue, kämpferische Seite zeigte, konnte er dennoch nicht verbergen, dass er in Wirklichkeit ein lieber Kerl war, der sich um seine Freunde sorgte. Hinter ihm hockte Red XIII auf der gepolsterten Sitzbank und leckte sich genüsslich über die linke Vorderpfote. Aerith hatte den überraschend intelligenten und sprechenden, roten Tiger in Hojos Labor kennen gelernt, als der Chefwissenschaftler der ShinraInc seine wahnsinnigen Experimente an ihnen Beiden hatte durchführen wollen. Warum Red, der ebenso wie Aerith der vermutlich letzte Überlebende seiner Art war, sich nach ihrer Rettung durch Cloud, Barrett und Tifa der Gruppe angeschlossen hatte, war Aerith nicht ganz klar, doch sie freute sich über diese Entscheidung. Sie schätzte den scharfen Verstand des Tigers und liebte es, über sein plüschiges Fell zu streicheln. Direkt neben Red stand eine mit weißem Pelz bezogene Maschine, die aussah wie eine merkwürdige Mischung aus Kaninchen, Ball und Marshmallow. Sie gehörte zu Cait Sith, einer ferngesteuerten Katzenpuppe, die sich im GoldSaucer Clouds Truppe angeschlossen hatte und ihre sonderbare Maschine nicht nur als Reittier sondern auch für allerhand Schabernack benutzte. Da Aerith bisher nur wenig Kontakt zu Cait Sith, der mit dem Rücken gegen seine Maschine gelehnt auf dem Sitz lümmelte, gehabt hatte, fiel es ihr noch schwer ihn einzuschätzen – zumal unbekannt war, wer die Puppe eigentlich lenkte. Bislang wusste Aerith nur, dass es sie amüsierte, wenn Cait Sith versuchte, die Zukunft vorauszusagen und dass es sie irritierte, dass er die Gruppe angeblich nur deswegen begleitete, um mit eigenen Augen zu sehen, ob seine Weissagungen zutreffen würden. Hinter der Katzenpuppe saß Yuffie, eine junge Ninja aus Wutai, und polierte ihren ohnehin schon glänzenden, übergroßen Shuriken. Obwohl Aerith artig zurücklächelte, als Yuffie aufsah und sie angrinste, konnte sie nicht behaupten, dass sie das Mädchen sehr mochte. Es war ihr eine Spur zu keck und aufgedreht und außerdem misstraute Aerith Yuffie schon von Beginn an. Als Tochter Wutais verabscheute Yuffie die ShinraInc, da diese vor Jahren mit Hilfe brutaler Waffengewalt den Bau eines Mako-Reaktors durchgesetzt hatte. Durch den plötzlichen Überschuss an Mako-Energie war das einst unbeugsame Kriegervolk faul geworden und Wutai selbst zu einem beliebten Kur- und Urlaubsort avanciert. Yuffie, die sich als stolze Kämpferin sah, stieß dies ziemlich sauer auf. Dennoch wurde Aerith das Gefühl nicht los, dass das clevere, bisweilen listige Mädchen viel mehr an den Wertgegenständen und der mächtigen Materia der Gruppe interessiert war als an der Zerschlagung Shinras. Zu Aeriths Rechten saß Tifa und betrachtete neugierig die sich verändernde Vegetation. Die junge Frau war das vermutlich sensibelste Mitglied der Truppe und stets um Harmonie bemüht. Um den Frieden in der Gruppe zu wahren, schluckte Tifa sogar ihren Unmut hinunter, wenn Aerith mal wieder spielerisch mit Cloud flirtete. Dabei war Tifas brennende Eifersucht kaum zu übersehen… Stumm in sich herein lachend dachte Aerith daran, wie komisch Cloud und Tifa sich unfreiwillig benahmen. Es war offensichtlich, dass sie etwas für einander empfanden, doch keiner von Beiden brachte es zustande, über den eigenen Schatten zu springen und den ersten Schritt zu wagen. Vielleicht, so sagte sich Aerith, konnte sie den beiden Turteltäubchen einen Schubs in die richtige Richtung geben, wenn sie weiterhin Tifas Eifersucht schürte. Auch wenn sie selbst durchaus etwas für Cloud übrig hatte, hätte es Aerith gefreut, wenn er und Tifa zueinander gefunden hätten. Denn ihr war schmerzlich bewusst, dass ihr Interesse an dem wortkargen, eher gefühlskalt erscheinenden Blonden allein in seiner irritierenden Ähnlichkeit zu Zack begründet war und sie nichts anderes wollte als diesen zurückzuhaben. Zack… Gerade als Aerith bei dem Gedanken an ihren verschollenen Freund aufseufzte, nahm Cloud plötzlich eine Hand vom Steuer und deutete auf den Horizont. „Das dort hinten müsste Gongaga sein. Wir sind fast da.“ Augenblicklich rutschte Aerith ihr Herz in die Hose und ihre Hände wurden schlagartig eiskalt. Würde sie in Zacks Heimatdorf endlich all jene Antworten finden, nach denen sie sich so sehr sehnte? Und wenn ja: Wie würde sie damit umgehen? Wäre sie wirklich stark genug es zu ertragen, wenn sie erfahren sollte, dass Zack nichts mehr von ihr wissen wollte? Oder wenn er tot war? Als Cloud den Buggy auf den sandigen, unbefestigten Weg lenkte, der ins Dorf führte, gestand Aerith sich endlich ein, dass sie auch nach all den Jahren noch immer darauf hoffte, dass Zack irgendwann doch noch zu ihr zurückfand – so albern sie sich selbst dabei auch vorkam. Mit einem energischen Kopfschütteln, das Tifa irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ, schob Aerith diesen Gedanken jedoch bestimmt von sich. Wenn sie tatsächlich Zacks Eltern gegenübertreten wollte, war es besser, ihre Gefühle zu verdrängen. Niemand sollte wissen, dass sie hinter ihrer fröhlichen Fassade ein gebrochenes Herz verbarg. Also setzte sie ein strahlendes Lächeln auf, als Cloud den Wagen stoppte, kletterte schnell aus dem Buggy und stolzierte zielstrebig und scheinbar unternehmungslustig auf die ersten Häuser zu. Was den Anderen wie Feuereifer erschien, war in Wirklichkeit jedoch nur der Wunsch den Aufenthalt in Gongaga so schnell wie möglich über die Bühne zu bringen. Am liebsten wäre Aerith davongelaufen oder hätte im Wagen auf die Anderen gewartet, doch ihr war klar: Wenn sie je mit Zack abschließen wollte, brauchte sie Antworten! Kapitel 3: Verzweiflung ----------------------- Zack war erst dreizehn Jahre alt gewesen, als er Gongaga verlassen hatte, um Shinras Soldatenelite beizutreten und seinem Traum gemäß ein Held zu werden wie der berühmte und von allen bewunderte Sephiroth. Dennoch war seine starke Bindung an seine Familie und sein Heimatdorf stets zu spüren gewesen. Vor allem mit seiner Mutter hatte das ansonsten eher schreibfaule Einzelkind in regem Briefkontakt gestanden. Aerith erinnerte sich gut daran, dass Zack ihr einmal lachend erzählt hatte, seine Mutter lebe in der ständigen Sorge, ihr einziger Sohn würde auf Grund seines gefährlichen und arbeitsintensiven Berufs für immer unverheiratet bleiben. Laut Zack hatte seine Mutter schon mehrfach versucht, ihn mit einem der Mädchen aus Gongaga zu verloben, doch er habe seinen Hals immer wieder aus der Schlinge ziehen können. Mit einem schmerzhaften Ziehen im Herzen sah Aerith wieder den Blick vor sich, den Zack ihr bei diesen Worten zugeworfen hatte. Sie war sich nie sicher gewesen, ob er derlei wirklich gedacht hatte, doch in seinen Augen hatte sie die stumme Versicherung gelesen, dass er stets nur auf sie, ein unbedeutendes Blumenmädchen aus den Slums, gewartet hatte und er mit ihr bis ans Ende der Welt ginge. Nun war er fort – womöglich tatsächlich am anderen Ende der Welt – doch ohne sie… Die Häuser Gongagas schienen alle von demselben Baumeister entworfen zu sein und muteten erschreckend ärmlich an. Die Fassaden waren zum Großteil nur grob verputzt und die bläulich getünchten Reetdächer wirkten fast überall ausgefranst und alt. Seit der Mako-Reaktor, der die Region einst wohlhabend gemacht hatte, explodiert war, wurde das kleine Dorf von der ShinraInc ignoriert und mit seinen Problemen alleingelassen. Dabei hätte Gongaga Hilfe von außen gut gebrauchen können… Da die Mako-Ausbeutung den Boden größtenteils unfruchtbar gemacht hatte und viele der jungen, arbeitsfähigen Männer bei der Reaktorexplosion ums Leben gekommen waren, warf die Landwirtschaft kaum genug ab, um die verbliebenen Dorfbewohner zu ernähren. Umso wütender machte es Aerith, dass Shinra nicht einmal für die Entsorgung des eigenen Schrottes gesorgt und Gongaga in diesem abgewrackt aussehenden Zustand zurückgelassen hatte. Die herumliegenden, verbogenen Stahlträger und Eisenteile, die vermutlich von dem einstigen Reaktor stammten, zeigten die Firmenphilosophie der ShinraInc nur zu deutlich: Woraus sich kein Profit mehr schlagen ließ, wurde gnadenlos abgestoßen und augenblicklich vergessen. Bei dem Gedanken daran, was ihr Freund wohl empfunden haben mochte, wenn er an den desolaten Zustand seiner Heimat und Shinras Ignoranz gedacht hatte, kam Aerith die Galle hoch. Wie nur hatte Zack je ein Teil von Shinras dunklen Machenschaften werden können?! Sie hatte es nie begreifen können, dass es für ihn tatsächlich die Erfüllung eines Kindheitstraumes gewesen war, einer von Shinras Soldaten erster Klasse zu werden. Für Aerith waren Krieger immer gleichbedeutend gewesen mit Schmerzen, Leid und Tod – was vermutlich niemand für erstrebenswert hielt. Mit einem leisen Seufzen gestand Aerith sich ein, dass ihr Freund leider in vielen Dingen ziemlich naiv gewesen war. Bei seinem Eintritt in Shinras Soldatenkorps hatte er vermutlich wirklich an das Märchen von Soldatenehre, Ruhm und Heldentum geglaubt, das die drei Großen unter Shinras Soldaten – Sephiroth, Genesis und Angeal – zu vermitteln suchten. Während sie ihren Begleitern vorwegmarschierte, fragte Aerith sich, ob Zack je Zweifel an seiner Entscheidung gekommen waren oder ob er es womöglich nie bereut hatte, einer von Shinras Handlangern zu sein. Obwohl er vor allem nach Angeals Tod sehr niedergeschlagen gewesen war, hatte er nie viel über seine Arbeit gesprochen. Ob dies allerdings in Zacks Scham über sein Tun oder in seinem Wissen ob Aeriths Ablehnung seinem Soldatendasein gegenüber begründet gewesen war, vermochte die junge Frau nicht zu sagen. „Hey, sind das nicht die Turks?“ Yuffies helle Stimme durchschnitt plötzlich die ansonsten vollkommene Stille, platzte in Aeriths Gedanken und zog sofort sämtliche Aufmerksamkeit der Gruppe auf die junge Ninja. „Schaut doch! Da vorne an der Weggabelung“, präzisierte Yuffie, wobei sie wie wild mit dem Arm fuchtelte. „Tatsächlich. Ich erkenne Rude“, murmelte Cloud und griff instinktiv nach seinem Schwertheft. „Natürlich! Einem scharfen Ninja-Auge wie dem meinen entgeht nichts!“ Während Yuffie sich selbst beweihräucherte, machte der Rest der Truppe sich kampfbereit. Aerith jedoch vermied die Konfrontation und schlug lieber einen anderen Weg ins Dorfzentrum ein. Sie hatte keine große Lust, sich mit den kampferprobten Mitgliedern von Shinras Geheimdienst zu prügeln – erstrecht nicht, da sie befürchtete Tseng könnte unter ihnen sein. Der Direktor der Turks war immerhin so etwas wie ihr ältester Freund. Auf Grund ihrer Cetra-Wurzeln hatte Shinra seit jeher großes Interesse an Aerith, da der Firmenchef hoffte, sie würde der Legende gemäß den Weg ins geheiligte Land kennen, in dem es Mako im Überfluss geben sollte. Deswegen ließ die Leitung des übermächtigen, gewieften Energiekonzerns Aerith schon seit ihrer Kindheit permanent überwachen. Da der etwa gleichalte Tseng schon seit Jahren für diese Aufgabe verantwortlich war, war zwischen ihm und Aerith allmählich so etwas wie Freundschaft oder zumindest eine tiefe Vertrautheit entstanden. Umso übler nahm die junge Frau es Tseng, dass er sie in Hojos Auftrag entführt und geschlagen hatte, als sie versucht hatte, Mitglieder von Avalanche – namentlich Barrett, Tifa und Cloud – zu unterstützen. Sie fürchtete, wenn sie ihm nun in ihrem eh schon aufgewühlten Zustand begegnen würde, könnte sie womöglich Dinge tun und sagen, die sie hinterher bereuen würde – zumal sie noch aus einem anderen Grund tiefen Groll auf Tseng mit sich herumtrug. Warum nur hatte er ihr auf ihre Fragen nach Zacks Verbleib nie geantwortet und die Überwachung ihrer Person an den großmäuligen Reno abgegeben, als sie keine Ruhe gelassen und hartnäckig immer wieder nach ihrem Freund gefragt hatte?! Sie wusste genau, dass Tseng und Zack sich kannten, schließlich hatte sie die Beiden kurz vor Zacks Abreise nach Nibelheim zusammen gesehen! Wieso schwieg er sie so beharrlich an? Was an Zacks Verschwinden war so brisant, dass Tseng glaubte, es ihr verheimlichen zu müssen? Aerith war noch immer in ihre mürrischen Gedanken vertieft, als sie die Dorfmitte erreichte. Gongagas Zentrum bestand aus einem winzigen, gepflasterten Platz, der nur deshalb als Ortsmittelpunk zu erkennen war, weil hier sämtliche Wege zusammenliefen. Sich um die eigene Achse drehend schätzte Aerith, dass er kaum größer war als der Kirchenvorhof in Midgars Sektor 5. Mit neugierigen Blicken sah die junge Frau sich um und bemühte sich verzweifelt, die Vorstellung eines kindlichen Zacks, der lachend zwischen den Häusern umhertollte, zu verdrängen. Sie hatte keine Zeit, sich mit solchen Sentimentalitäten aufzuhalten. Sie musste sein Elternhaus finden und zwar am besten noch bevor der Rest der Gruppe zu ihr aufschließen und nervige Fragen stellen konnte. Welches dieser Häuser mochte wohl Zacks Eltern gehören? Suchend besah Aerith sich jede der Behausungen, doch bei keinem Gebäude hatte sie das Gefühl des Wiedererkennens. Hatte Zack ihr sein Elternhaus überhaupt je beschrieben? So sehr sie sich auch das Hirn zermarterte, es wollte ihr partout nicht einfallen. Verzweifelt und ärgerlich schaute Aerith hinauf in den Himmel, was sie augenblicklich bereute. Dies war jedoch nicht nur der Tatsache geschuldet, dass ihr sofort ein wenig schwindelig wurde und sie sich ob der Weite des Horizonts so fühlte als könnte sie jeden Moment von dem leuchtenden Blau verschluckt werden. Schuld an ihrem Bereuen war vor allem der stechende Schmerz in ihrem Herzen, als sie erkannte, dass Zack die Wahrheit gesagt hatte: seine Augen hatten tatsächlich in derselben Farbe gestrahlt wie der Himmel über Gongaga! Als Aerith ihm nach seinem Sturz durchs Kirchendach auf dem Weg zu seinem Sektor begleitet hatte, hatte Zack mit einem undefinierbaren, nach oben gerichteten Blick gemeint, dass er das Leben in Midgars Slums beklemmend fände, da man den Himmel von dort aus kaum zu sehen bekam. Seit Midgar nach Inbetriebnahme von Shinras acht Mako-Reaktoren so sehr expandiert war, dass der Platz knapp geworden war, gab es so etwas wie eine Ober- und eine Unterstadt. Um dem Platzmangel zu entgehen, hatten findige Techniker eine von massiven Säulen getragene Platte über der eigentlichen Stadt errichtet. Während das alte Midgar unter der Platte immer mehr zu Slums verkam, blühten die oberen, nur mit dem Zug erreichbaren Sektoren auf. Zack, der wie alle Soldaten sein Quartier im Hauptgebäude der ShinraInc gehabt hatte, hatte also im neuen Teil Midgars gelebt und war es gewohnt gewesen, den Himmel über sich zu haben. Aerith jedoch, die den Großteil ihres Lebens in den Slums verbracht hatte, fürchtete sich vor den ihr unnatürlich erscheinenden Weiten des Himmels und empfand die auf Zack so erdrückend wirkende Platte als seltsam tröstlich. Als sie ihm dies als Entgegnung auf seine Beschwerde gestanden hatte, hatte sie zunächst befürchtet, er würde sie auslachen. Doch stattdessen hatte Zack nur den Kopf geneigt und versprochen, ihr eines Tages einen Himmel zu zeigen, der sie nicht ängstigen würde. Später jedoch hatte er es sich nicht verkneifen können, sie wegen ihrer sonderbaren Angst ein wenig aufzuziehen. Während eines Spaziergangs über einen nahegelegenen Kinderspielplatz war Aerith zum ersten Mal aufgefallen, dass Zack eine wunderschöne Augenfarbe gehabt hatte. Als sie ihre Bewunderung kundgetan hatte, hatte er sie aufgefordert, einen genaueren Blick zu wagen, und grinsend hinzugefügt: „Die Farbe des Himmels, nicht wahr?“ „Da bist du ja, Aerith!“ Von hinten ertönte Tifas erleichterte Stimme und Aerith blinzelte schnell die Tränen weg, die ihr bei dem Gedanken an die Begebenheit auf dem Spielplatz in die moosgrünen Augen getreten waren. Als sie sich anschließend umwandte, erkannte sie, dass auch der Rest der Gruppe nicht mehr weit entfernt war. Tifas langes, schwarzes Haar flatterte im Wind, während sie auf die vermisste Einzelgängerin zu rannte. „Alles in Ordnung mit dir? Ich hab mir Sorgen gemacht“, murmelte sie leise, als sie Aerith erreicht hatte, und legte ihr eine Hand auf den Oberarm. Trotz ihrer kleineren Rivalität um Clouds Gunst waren die beiden Frauen inzwischen gute Freundinnen geworden. „Ja, es ist alles gut“, nickte Aerith und lächelte Tifa warm an, als Red zu ihnen stieß. „Ich hab dir gleich gesagt, dass ich sie in der Nähe rieche.“ Der rote Tiger mit der wie brennend aussehenden Schwanzspitze ließ sich ein wenig ungalant auf den Hintern fallen, wobei er eine kleine Staubwolke aufwirbelte. Yuffie, die das Dorfzentrum inzwischen auch erreicht hatte, stemmte die Hände in die Hüften und beugte sich kämpferisch vor, als sie Aerith angriff: „Es war übrigens außerordentlich nett und hilfsbereit von dir, uns mit den Turks allein zu lassen…“ Tifa warf dem Mädchen sogleich einen strafenden Blick zu, doch ihr Einwand, dass es Aerith womöglich nicht gut gegangen sei und sie sich deswegen zurückgezogen habe, ging in der spitzen Antwort der Blumenfrau unter: „Worüber beschwerst du dich, Yuffie? Wie ich sehe, seid ihr auch ohne mich hervorragend zurechtgekommen!“ Barrett, der etwas entfernt unter einem knorrigen, fast blattlosen Baum stand, nickte, fügte dann jedoch ein wenig nachdenklich hinzu: „Das stimmt schon, aber es war schon komisch, dass du ohne ein Wort gegangen bist, anstatt uns zur Seite zu stehen. Was war los?“ Aerith biss sich verlegen auf die Unterlippe, doch glücklicherweise nahte ihre Rettung schon in Form eines Dorfbewohners. Der dunkelhaarige Mann mittleren Alters hielt zielstrebig auf Cloud zu und fragte den mürrisch guckenden Blonden geradeheraus: „Du gehörst zu Shinras Soldaten, oder?“ Mit missbilligend hochgezogenen Augenbrauen drehte sich der Angesprochene, der noch immer die schwarze Uniform von Shinras Soldaten ersten Ranges trug, um und antwortete in abweisendem Ton: „Nicht mehr.“ Während der Dorfbewohner den Exsoldaten auf Grund dessen Wortkargheit irritiert anstarrte, hatte Aerith Gelegenheit, ihn ihrerseits zu mustern. Er war ziemlich groß, trug das glänzende, schwarze Haar kurzgeschnitten und seine sanftmütig wirkenden Augen schimmerten in einem dunklen Blau. Obwohl sie ihn noch nie zuvor in ihrem Leben gesehen hatte, kam er Aerith vage vertraut vor. Gerade als Tifa dem Fremden erklärte, dass Cloud vor nicht allzu langer Zeit erst das Korps der ShinraInc verlassen hatte und sich nun als Söldner verdingte, stieß eine weitere Person zu der Gruppe. Es war eine schlanke, zierliche Frau mit einem hübschen Gesicht und strahlenden, grünen Augen. Sie legte dem Mann, der sie ein wenig traurig anlächelte, in einer vertrauten Geste einen Arm um die Hüfte und sah mit einem hilflos wirkenden Ausdruck zu ihm auf. „Vielleicht kannst du uns trotzdem helfen“, nahm der Dorfbewohner den Faden wieder auf, wobei er die Frau in seinen Armen noch ein wenig mehr an sich zog. Die Beiden wirkten wie Ertrinkende auf hoher See, die sich mit letzter Kraft verzweifelt an ein Stück Treibgut klammerten. „Keine Zeit. Wir sind nur auf der Durchreise.“ Cloud wollte sich bereits wieder abwenden, doch Tifa fasste ihn an den Handgelenken und starrte ihm so lange eindringlich in die Augen, bis er ein knurrendes Geräusch des Unwillens von sich gab und grollend fragte: „Also gut! Um was geht’s?“ Noch bevor die Fremden antworten konnten, fiel es Aerith plötzlich wie Schuppen von den Augen, warum der Mann ihr so bekannt vorkam: Sie stand Zacks Eltern gegenüber! Am liebsten hätte sie sich geohrfeigt, dass sie die Beiden nicht gleich erkannt hatte. Man musste nicht einmal sehr genau hinsehen, um die Ähnlichkeit zu ihrem Sohn zu entdecken. Seinen Körperbau, das markante Kinn, sowie das sonnige Leuchten in den Augen hatte Zack eindeutig vom Vater, während seine Mutter ihm die delikaten Gesichtszüge und den sanften Schwung der weichen Lippen vererbt hatte. Doch obwohl Aerith nun keinerlei Zweifel mehr an ihrer Identität hatte, wartete sie angespannt bis in die Haarspitzen auf die Antwort der Beiden, nur um dann festzustellen, dass jede einzelne Silbe ein Dolchstoß in ihr Herz war. „Unser Sohn Zack“, hob der hoffnungslos wirkende Vater an, „ist ebenfalls ein Soldat Shinras, aber wir haben schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört. Wir dachten, du als ehemaliges Korpsmitglied könntest vielleicht etwas über ihn wissen.“ Bei der Erwähnung von Zacks Namen blinzelte Cloud kurz, doch dann schüttelte er nur verneinend den Kopf. Die Trauer, die sich daraufhin auf den Gesichtern der überaus besorgten Eltern breit machte, war kaum mitanzusehen. Doch Aerith nahm sie gar nicht wahr. Genauso wenig bemerkte sie, dass Tifa bei der Frage des verzweifelten Vaters merklich erbleicht war und nun betreten in die Ferne starrte. Die junge Frau war viel zu sehr damit beschäftigt, die eigene Fassung zu wahren, während in ihr eine Welt zerbrach. Als sie es nicht mehr aushielt und zusammenzubrechen drohte, stieß sie atemlos hervor: „Entschuldigt mich mal eben.“ Dann rannte sie tränenblind in irgendeine Richtung davon, ohne eine eventuelle Antwort abzuwarten. Ihr Magen krampfte sich zu so einer kleinen Knotenkugel zusammen, dass es schmerzte und ihr Herz schien ein einziger Scherbenhaufen zu sein, der bei jedem Schlag nur noch mehr zersplitterte und tiefe Wunden in ihre Brust schnitt. Selbst seine Eltern hatten schon ewig nichts mehr von Zack gehört… Was war nur mit ihm geschehen?! Es war als wäre er urplötzlich vom Erdboden verschluckt worden! Als Aerith Schritte in der Nähe hörte, wirbelte sie erschrocken herum, doch Tifa war anscheinend nicht auf der Suche nach ihr. Wie es aussah, suchte die sensible Bardame ebenfalls nach einem Plätzchen, an dem sie für eine Weile allein sein konnte. „Du musst ruhig bleiben. Geh alles noch einmal Schritt für Schritt durch.“ Aerith sprach sich selbst gut zu, doch auch nach mehrfachem Überdenken konnte sie die verschiedenen Puzzleteile, die sie im Laufe der Zeit gesammelt hatte, nicht zu einem sinnvollen Ganzen zusammensetzen. Wenn Zack während eines Einsatzes gestorben wäre, hätte die ShinraInc doch sicherlich seine Eltern über seinen Tod informiert – vor allem, wenn er ruhmreich im Kampf gefallen wäre. Doch wenn er noch lebte, warum hatte Zack dann den Kontakt zu seinen Eltern so plötzlich und unerwartet abgebrochen? Egal, wie sehr Aerith sich auch bemühte, sie verstand die Situation nicht. Glücklicherweise war es nicht mehr weit bis Nibelheim, Zacks letztem bekanntem Aufenthaltsort. Während sie sich die nur langsam versiegenden Tränen von den Wangen wischte, nahm Aerith sich vor, notfalls die Gruppe zu verlassen, um dorthin zu reisen. Sie schwor sich, nicht eher aufzugeben, bis sie auf der Suche nach einer Spur jeden noch so kleinen Stein in dem verschlafenen Städtchen umgedreht hatte. Kapitel 4: Anomalie ------------------- Gerade als Aerith sich auf den Weg zurück zur Gruppe machen wollte, sah sie Cloud auf sich zu kommen. Er hatte sein mächtiges Breitschwert locker geschultert und machte ein missgelauntes Gesicht. Stumm in sich herein kichernd dachte Aerith, dass Cloud stets ein wenig so guckte als hätte er Verstopfung. „Ist Tifa gar nicht bei dir?“ Der blonde Gruppenanführer blickte sich suchend um und seufzte dann auf. „Wenn das jetzt zur Gewohnheit wird, dass ich ständig eines von euch Mädchen suchen muss, zieh ich lieber alleine weiter.“ Aerith schürzte missbilligend die Lippen und schlug ihm leicht gegen den muskulösen Oberarm. „Jetzt hab dich nicht so!“ „Ja, ja, schon gut.“ Cloud, der den Schlag gar nicht gemerkt zu haben schien, ließ erneut seinen Blick schweifen, während er weitersprach: „Ich frag mich trotzdem, was plötzlich in euch gefahren ist. Erst lässt du uns gegen die Turks im Stich, dann rennst du plötzlich davon und jetzt ist auch noch Tifa weg!“ Der Hauch eines schlechten Gewissens strich über Aerith hinweg und ließ sie zerknirscht aus der Wäsche gucken. Auf die restlichen Gruppenmitglieder musste ihr Verhalten wirklich reichlich sonderbar wirken. Mit einem letzten Blick in Clouds Mako-getränkte, unnatürlich schimmernden Augen gab sie sich schließlich einen Ruck und erklärte: „Tut mir leid, dass ich davongelaufen bin, aber die Situation wurde mir zu viel.“ Während Cloud sie irritiert anstarrte, atmete Aerith tief durch und fuhr fort: „Ich hab dir doch schon mal erzählt, dass mein erster Freund ebenfalls Mitglied in Shinras Soldatenkorps gewesen ist.“ Auf dem blassen Gesicht ihres Gegenübers machte sich aufkeimende Erkenntnis breit, doch Cloud unterbrach sie nicht. „Wie du dich vielleicht erinnerst“, sprach Aerith weiter, „war sein Name Zack und er kam“, sie breitete die Arme aus so als wollte sie den gesamten Ort einschließen, „hierher, aus Gongaga. Die Leute vorhin waren wohl seine Eltern.“ „Zack aus Gongaga…“ Cloud machte ein nachdenkliches Gesicht und plötzlich schien seine Aura zu flackern und zu zucken so wie Aerith es schon in leichterer Form ein paar Mal bei ihm gesehen hatte. Die den jungen Mann umgebenden Energieströme, die nur für Aerith als Angehörige der Cetra sichtbar waren, schienen sich zu verschieben und zu verformen als würden sie ein Eigenleben führen. Während Aerith mit geweiteten Augen auf Clouds wabernde Aura starrte, fasste der Blonde sich mit der flachen Hand an die Stirn und stöhnte leise auf. Die zuckenden Energieströme schienen sich neben dem jungen Mann zu sammeln und die Form eines menschlichen Wesens anzunehmen. Doch bevor sich erkennbare Details ausformten, sprang die in einem sanften Grün leuchtende Aura in ihre Ausgangsposition zurück und Clouds Augen, die sich ein wenig getrübt hatten, klarten wieder auf. Auch der plötzliche Kopfschmerz, der zusammen mit der sonderbaren Aurenanomalie aufgetreten war, schien wieder verflogen zu sein. Für einen Moment sah Aerith noch immer sprachlos zu Cloud herüber, der von dem seltsamen Ereignis nichts bemerkt zu haben schien. Dann fragte sie den Vorfall ignorierend: „Kennst du einen Zack aus Gongaga?“ Es ärgerte sie selbst, dass sie dabei ein wenig atemlos und angespannt klang. „Nein, nie von ihm gehört.“ Obwohl Cloud für einen Moment so ausgesehen hatte als hätte der Name an einer verschütteten Erinnerung gekratzt, klang seine Stimme so sicher, dass Aerith keinerlei Zweifel an ihren Worten hatte. „Machst du dir Sorgen um deinen ehemaligen Freund?“ Cloud suchte erneut mit den Augen die Gegend ab und schien nicht wirklich an einer Antwort interessiert zu sein. Dennoch log Aerith: „Nein. Es ist nur so, dass ich bislang immer geglaubt habe, Zack sei schlicht und ergreifend mit einer anderen Frau durchgebrannt. Er war immer ein ziemlicher Frauenheld… Aber dass seine Eltern ebenfalls nicht wissen, wo er sich aufhält, und schon seit Ewigkeiten nichts mehr von ihm gehört haben, passt nicht so recht ins Bild. Es hat mich ein wenig geschockt, das ist alles.“ Geistesabwesend nickte Cloud und schirmte mit der flachen Hand die Augen von der Sonne ab, um besser sehen zu können. Obwohl sie sich nicht sicher war, ob ihr Gegenüber ihr zuhörte, fuhr Aerith fort: „Ich frage mich, warum Zack wohl den Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen hat. Er hat sie immer sehr geliebt. Aber wenn er gestorben wäre, hätte Shinra doch seine Eltern benachrichtigt. Oder nicht?“ „Vielleicht ist er zu einem Verräter oder Deserteur geworden.“ Cloud sprach leise und eine Spur gelangweilt, doch seine Worte stachen wie Nadelspitzen in Aeriths Ohren. Schockiert starrte sie den noch immer den Horizont absuchenden Mann neben ihr an. „Wie bitte?!“ Mit einem tiefen Seufzen erklärte dieser: „Sollte dein Freund aus irgendwelchen Gründen Schwierigkeiten mit Shinra bekommen haben, wäre es nur klug von ihm, für einige Zeit von der Bildfläche zu verschwinden. Bekanntermaßen ist Shinra im Umgang mit Feinden und Gegnern nicht gerade zartbesaitet.“ „Aber gerade dann hätte er doch die Unterstützung seiner Familie gebraucht!“ Aus Gründen, die Aerith selbst nicht ganz klar waren, wollte sie nicht an diese Erklärung glauben. Vielleicht lag es daran, dass Verrat nicht zu dem ihr bekannten, überaus loyalen und grundehrlichen Zack gepasst hätte. Aber vielleicht weigerte sie sich auch nur deswegen, diese Möglichkeit in Betracht zu ziehen, weil ihr klar war, dass sie dann vermutlich niemals eine Spur von Zack finden und nie erfahren würde, was passiert war. Doch Cloud fuhr unbarmherzig mit monotoner Stimme fort: „Sei nicht albern. Was glaubst du, wo die Shinra einen Verräter zuerst suchen? Richtig, bei Menschen, die ihm nahestehen. Sollte dein Zack wirklich mit Shinra aneinandergeraten sein, hat er seine Eltern und dich vermutlich deswegen über seinen Verbleib im Dunkeln gelassen, weil Unwissenheit in einer solchen Situation am besten schützt.“ In Aerith machte sich das unbändige Verlangen breit, Cloud für seine Emotionslosigkeit zu schlagen. Wie konnte er es nur wagen, völlig ruhig und unbewegt zu klingen, während seine Worte ihr so sehr wehtaten?! Doch noch bevor Aerith gegen seine Theorie aufbegehren konnte, leuchteten seine Augen auf und ein erleichtertes Lächeln erhellte sein Gesicht. Für einen Moment war Aerith davon verwirrt, doch dann hob Cloud den Arm und rief: „Tifa! Wir sind hier drüben!“ Die junge Bardame wirkte noch immer angeschlagen und war ungewöhnlich blass, doch als Cloud nach dem Grund fragte, winkte sie nur ab und erklärte, es ginge ihr gut. Von dieser Antwort unbefriedigt, verfiel der besorgte Blonde in mürrisches Schweigen, während die Drei zum Rest der Gruppe zurückgingen. Unterdessen rätselte Aerith, was Tifa wohl bedrücken mochte. Doch so sehr sie sich auch bemühte, sie konnte keinen klaren Gedanken fassen. Immer wieder hallten die Worte „Verräter“ und „Deserteur“ durch ihren Geist. Es mochte ihr nicht gefallen, doch sie musste sich eingestehen, dass Clouds Theorie logisch und schlüssig war. Dennoch konnte Aerith nicht daran glauben. Zack hatte viel zu viel Stolz und Ehre besessen, um feige davonzulaufen. Aerith war klar: Sie musste dringend nach Nibelheim, um von dort aus vielleicht Zacks Schritte nachzeichnen zu können. Überraschenderweise kam ihr hier das Schicksal zur Hilfe. Als die Gruppe wieder vollzählig war, erklärte Cloud: „Die Dorfbewohner sagen, Sephiroth sei gesehen worden wie er Cosmo Canyon durchgequert habe. Wie es aussieht, will er Mount Nibel besteigen, um von dort aus weiter nach Norden zu marschieren. Damit ist unser nächstes Ziel klar: Wir ziehen nach Nibelheim. Sind alle startklar?“ Mit wild schlagendem Herzen machte Aerith sich auf den Weg zurück zum Buggy. Bald schon würde sie in der Stadt sein, in der Zack verschollen war. Sie konnte es kaum erwarten! Kapitel 5: Überraschung in Nibelheim ------------------------------------ Tatsächlich dauerte die Reise nach Nibelheim jedoch länger als gedacht, da der Buggy eine Panne hatte. Also war die Gruppe gezwungen gewesen, einen außerplanmäßigen Zwischenstopp einzulegen. Aerith war noch immer völlig verblüfft von dem beeindruckenden Zufall, dass ihr Wagen ausgerechnet in nächster Nähe zu Reds Heimatdorf stehengeblieben war. Während die Truppe darauf gewartet hatte, dass die überaus freundlichen und hilfsbereiten Dorfbewohner die Reparatur des Buggys abschlossen, hatte sie nicht nur erfahren, dass Reds richtiger Name Nanaki lautete, sondern auch dessen Großvater kennen gelernt. Bugenhagen, der nicht blutsverwandt war mit seinem vierbeinigen Enkel, erforschte schon seit geraumer Zeit den Planeten und den in dessen Tiefe fließenden, alles umspannenden Lebensstrom. Die Erkenntnis, die der greise Wissenschaftler dabei erlangt hatte, war erschreckend und Wasser auf den Mühlen der Shinra-Gegner. Die Mako-Reaktoren, die der Konzern überall errichtet hatte, schöpften Energie aus dem Lebensstrom ab und hungerten den Planeten damit langsam von innen heraus aus. Wenn sich nicht schnell etwas an dieser Situation änderte, so Bugenhagens Prognose, würde der Planet schon bald sterben. Aerith dachte noch immer über diese düstere Zukunftsvision nach, als in der Ferne Nibelheim als grauer Schemen am Horizont sichtbar wurde. Sie glaubte nicht daran, dass jemand die Leitung der ShinraInc zum Umdenken bringen konnte. Dafür erschien ihr Rufus, der junge Präsident des Konzerns, zu machthungrig. Für ihn war die Firma, die sein Vater aus dem Nichts aufgebaut hatte, nichts anderes als ein willkommenes Mittel, um nach der Weltherrschaft zu greifen. Dennoch musste der Planet irgendwie zu retten sein! Aerith wollte sich einmal vorstellen, was geschehen würde, würde Bugenhagens Prognose grausame Realität. Deswegen zermarterte sie sich angestrengt das Hirn und suchte nach einem Lösungsansatz, während die Gruppe Nibelheim immer näher kam. Ob es wohl das makoreiche, geheiligte Land aus den alten Legenden wirklich gab? Vielleicht könnte der Planet vor dem sicheren Verfall gerettet werden, wenn Aerith diesen Ort finden konnte. Hart schluckend gestand die junge Frau sich jedoch ein, dass sie die Stimme des Planeten, die sie laut der Legenden zum geheiligten Land führen sollte, nur noch schwach hören konnte. Ob dies an dem schwachen Zustand des Planeten oder ihrer jahrelangen Ignoranz ihrer Cetra-Fähigkeiten lag, vermochte sie nicht zu sagen. Ein schlechtes Gewissen ließ ihre Magenwände brennen und Aerith legte sich schützend die Arme um den Oberkörper. Sollte sie womöglich am Sterben des Planeten mitschuldsein, weil sie egoistisch gewesen war und ihre Wurzeln verleugnet hatte, um ein einigermaßen normales Leben führen zu können? Jetzt erst wurde ihr klar, dass sie als Letzte der Cetra dem Planeten gegenüber eine besondere Verantwortung hatte. Mit einem traurigen Ausdruck in den Augen, kramte Aerith eine blassgrüne Kugel hervor, deren gläsern wirkende Oberfläche im Licht der Vormittagssonne blitzte. Es handelte sich hierbei um die sogenannte „weiße Materia“, eine Art Zauberkugel, die jedoch keinerlei Wirkung zu haben schien. Vielleicht war die uralte Materia im Laufe der Jahre beschädigt worden und inzwischen völlig unbrauchbar, doch das kümmerte Aerith nicht. Für sie stellte die wie poliert wirkende, etwa faustgroße Kugel eine letzte Verbindung zu ihrer leiblichen Mutter dar, die ihr die Materia vererbt hatte. Obwohl Aerith ihre Adoptivmutter von ganzem Herzen liebte und sie beim Tod ihrer biologischen Mutter zu jung gewesen war, um sich noch deutlich an sie erinnern zu können, wünschte sie sich in diesem Moment nichts sehnlicher als dass ihre Mutter noch am Leben wäre. Der Druck, die letzte Cetra zu sein, lastete schwer auf den schmalen Schultern der jungen Frau und sie fühlte sich so einsam wie noch nie zuvor. Als die Gruppe schließlich Nibelheim erreichte, vergaß Aerith jedoch augenblicklich ihre Grübelei. Doch anders als erwartet, richteten sich ihre Gedanken nicht auf Zack und die Frage, was wohl mit ihm geschehen sein mochte. Stattdessen nahmen Tifa und Cloud ihre gesamte Aufmerksamkeit in Anspruch. Die Beiden erbleichten beim Anblick der Stadt plötzlich und während Cloud den Buggy noch schlingernd zum Stehen brachte, sprang Tifa bereits aus dem Wagen und rannte in Richtung Zentrum. „Was ist denn los?“ Cait Sith blickte sich irritiert in den friedlich vor ihnen liegenden Straßen um und kratzte sich nachdenklich hinter dem rechten Ohr. Doch anstatt zu antworten, hastete auch Cloud scheinbar mit demselben Ziel davon. Der Rest der Gruppe sah sich verwirrt an und folgte den Ausreißern dann mit einigem Abstand. Als die Anderen zu ihnen aufschlossen, stand Cloud mit versteinerter Miene unter einer etwas baufällig aussehenden Windmühle, die auf dem zentralen Platz errichtet worden war, und starrte düster auf das ihm gegenüber gelegene Haus. Tifas haselnussbraune Augen schwammen in Tränen und sie schüttelte unablässig mit dem Kopf, wobei sie immer wieder murmelte: „Das kann nicht sein… Das kann einfach nicht sein!“ Während Aerith ihre aufgelöste Freundin in den Arm nahm, wiederholte Barrett Cait Siths Frage von zuvor: „Was zur Hölle ist hier eigentlich los?!“ Mit einem letzten, schmerzerfüllten Blick auf das schmale, zweistöckige Haus vor ihm wandte Cloud sich seinen Begleitern zu. „Wie ihr vermutlich wisst“, hob er zu einer Erklärung an, „stammen Tifa und ich gebürtig aus dieser Stadt.“ Allgemeines Kopfnicken machte die Runde, nur Cait Sith zuckte mit den Schultern. Nicht darauf achtend fuhr Cloud fort: „Wir haben unsere Kindheit hier gemeinsam verbracht, doch seit einem Vorfall vor ungefähr fünf Jahren waren wir nicht mehr hier. Damals hat Sephiroth nahezu die ganze Stadt abgebrannt.“ „Und jetzt steht alles wieder!“ Tifa zog schniefend die Nase hoch und lehnte sich schutzsuchend gegen Aerith. „Na und? Hattet ihr etwa erwartet, dass sie die Stadt verwüstet lassen würden, anstatt sie wieder aufzubauen?“ Yuffie machte ein Gesicht, das irgendwo zwischen Amüsement und Missbilligung lag. Cloud warf ihr einen erzürnten Blick zu und grollte: „Es hat nicht nur ein Wiederaufbau stattgefunden! Jedes einzelne Haus sieht hundertprozentig genauso aus wie vor dem Feuer! Man könnte fast meinen es sei nie etwas gewesen.“ „Das ist so gruselig…“ Tifa schüttelte erneut den Kopf, wobei ihr eine lange, seidige Haarsträhne in die Stirn fiel und die geweiteten Augen in dem blassen Gesicht sie ungewöhnlich jung aussehen ließen. Aerith drückte ihre Freundin sacht und versuchte, sich den Schock vorzustellen, wenn man in seine Heimatstadt zurückkehrte und sie gänzlich unversehrt vorfand so als hätte man sich die Verwüstung lediglich eingebildet. Gleichzeitig ärgerte sie sich darüber, dass sie an das Nibelheim-Desaster, von dem Cloud und Tifa bereits früher berichtet hatten, überhaupt nicht mehr gedacht hatte. Sollte Zack hier tatsächlich Spuren hinterlassen haben, waren diese vermutlich der Feuersbrunst oder spätestens dem Wiederaufbau zum Opfer gefallen. Doch plötzlich fiel Aerith auf, was Cloud noch gesagt hatte. Nibelheim war vor fünf Jahren verwüstet worden?! Bislang hatte Cloud kein Wort über den Zeitpunkt der Katastrophe verloren und Aerith selbst hatte nie danach gefragt. Doch nun wurde ihr klar, dass Nibelheim genau zu der Zeit abgebrannt sein musste, als Zack dort gewesen war. Was jedoch noch wichtiger war: Cloud und Tifa hatten sich damals ebenfalls in ihrer Heimatstadt aufgehalten. Womöglich hatte einer von Beiden Zack gesehen und waren sich dessen nur nicht bewusst, da sie keinen Namen zu dem Gesicht hatten. Aerith nahm sich vor, in einem günstigen Moment genauer nachzufragen, als Cloud seinen Blick entschlossen auf die Tür des einzigen Nibelheimer Ladens richtete und verkündete: „Die Sache stinkt doch zum Himmel! Ich geh jetzt da rein und frage, warum sie diese bizarre Kopie erschaffen haben!“ Während Cloud mit langen Schritten auf den Laden zu marschierte, gab Red, der neben ihm lief, zu bedenken: „Vielleicht wollten die Bewohner nur so tun als wäre nie etwas gewesen, um nicht permanent an das Geschehene erinnert zu werden.“ Der ansonsten eher unterkühlte Blonde stieß schnaubend Luft aus und knurrte aufgebracht: „Tifa hat an jenem Abend ihren Vater durch Sephiroths Hand verloren und meine Mutter ist wie unzählige andere Menschen im Feuer umgekommen. Glaubst du wirklich, dass man so etwas vergisst, bloß indem man so tut als wäre nichts gewesen?“ Red machte ob des harschen, erregten Tons ein konsterniertes Gesicht, doch Cloud achtete gar nicht darauf. Stattdessen drückte er die Klinke herunter und riss schwungvoll die Tür auf. Der Verkäufer hinter dem Tresen blickte erschrocken hoch, fand seine geschäftige Miene jedoch schnell und fragte: „Was kann ich für Sie tun?“ Sein einschmeichelnder Ton wäre nur durch einen Bückling zu überbieten gewesen. Davon gänzlich unbeeindruckt stützte Cloud die Hände auf den Verkaufstresen, lehnte sich leicht vor und musterte den dadurch verunsichert wirkenden Mann dahinter eingehend. Aerith, die sich von brennender Neugierde getrieben ebenfalls in den Laden begeben hatte, sondierte unterdessen geistesabwesend die feilgebotenen Waren. „Ich habe eine Frage, die vielleicht etwas merkwürdig klingt“, begann Cloud, wobei seine hellen, wachen Augen jede kleinste Regung im Gesicht seines Gegenübers registrierten. „Wenn ich Ihnen damit helfen kann, werde ich sie Ihnen selbstredend beantworten – sofern es mir möglich ist.“ Der Blick des Verkäufers zuckte kurz zu der neben einem überfüllten Regal stehenden Aerith herüber, was ihm ein latent panisches Aussehen verlieh. „Wie lange arbeiten Sie hier schon?“ Der Mann hinter dem Tresen blinzelte irritiert, antwortete jedoch zügig: „Schon mein halbes Leben lang. Der Laden gehört schon seit Generationen meiner Familie.“ Obwohl Aerith Clouds Gesicht nicht sehen konnte, bemerkte sie sein Stutzen. Mit zusammengezogenen Augenbrauen besah sich der verwirrte Blonde erneut eingehend das Gesicht seines Gegenübers. Cloud hatte schon als Kind die Fähigkeit besessen, sich körperliche Merkmale seiner Mitmenschen unauslöschlich einzuprägen. Er war sich absolut sicher, dass er den anderen Mann, der keinerlei Ähnlichkeit mit dem Ladenbetreiber von früher hatte, noch nie zuvor gesehen hatte. Dennoch fragte er weiter: „Also waren Sie auch zur Zeit des großen Feuers hier?“ Nun war es an dem Verkäufer zu stutzen. Kopfschüttelnd antwortete er: „Feuer? Ich verstehe Sie nicht. Hier hat es noch nie gebrannt.“ Aerith sog überrascht Luft ein und stellte eine Potion, die sie zuvor in den Händen gehalten hatte, zurück ins Regal. Zu ihrem Erstaunen insistierte Cloud jedoch nicht, sondern nickte nur und stürmte wortlos mit düsterem Gesichtsausdruck aus dem Laden. Langsam und ein wenig verwirrt folgte Aerith ihm hinaus. Der Rest der Gruppe wartete an der einsturzgefährdet aussehenden Windmühle. Tifa stand in der Mitte und machte einen aufgeregten Eindruck. Als sie Cloud erblickte, hastete sie auf ihn zu und raunte leise mit einer Stimme, der man ihre Erregung deutlich anhören konnte: „Alle sind weg! Absolut jeder, der früher hier gelebt hat, ist verschwunden!“ Dann nahmen ihre leuchtenden Augen einen wütenden Ausdruck an, als sie erbost zischte: „Aber weißt du, was das Schlimmste ist? Die neuen Bewohner meines Elternhauses behaupten, sie hätten schon immer dort gelebt!“ Cloud nickte und rieb ihr tröstend über den nackten Oberarm, bevor er murmelte: „Nicht nur sie…“ Dann wandte er sich der gesamten Truppe zu und verkündete: „Ich bin mir sicher, dies alles hier ist das Werk Shinras. Es soll vertuscht werden, dass Sephiroth – dieses leuchtende Bild eines Vorzeigehelden – durchgedreht ist und ihm Wahn Nibelheim zerstört hat!“ Tifa verlor das letzte bisschen Farbe im Gesicht, als ihr bei diesen Worten ein Gedanke kam. „Aber Sephiroth hat damals nicht alle Bürger Nibelheims getötet. So lange es Zeugen für seine Taten gibt, wäre ein Vertuschungsversuch von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Du glaubst doch nicht, das…“ Sie brach ab und biss sich auf die Unterlippe. Mit einem traurigen Gesicht nickte Cloud und sagte: „Ich weiß, der Gedanke, dass womöglich Menschen sterben mussten, nur damit die ShinraInc ihr Gesicht wahren kann, ist ungeheuerlich. Doch diese Teufel sind zu allem fähig…“ Dann deutete er auf ein riesiges Haus, das am Stadtrand auf einem Hügel errichtet worden war. „Lasst uns in der alten Shinra-Villa nachsehen, ob wir Aufzeichnungen darüber finden, was mit den Überlebenden von damals geschehen ist.“ Kapitel 6: Ein Vampir erwacht ----------------------------- Die Shinra-Villa war ein stattliches Herrenhaus, das bereits vor Ewigkeiten errichtet worden war. Spätestens seit die Shinra-Sippe mit sämtlichen Mitgliedern nach Midgar gezogen war und ihr einstiger Sitz nun die meiste Zeit unbewohnt war, nagte der Zahn der Zeit an dem alten Gebäude. Die kunstvoll verzierten Fensterläden vermoderten allmählich und brachen schon bei der schwächsten Windböe aus ihren verrosteten Angeln. Der Marmor, der in der beeindruckenden Eingangshalle ausgelegt war, zeigte vielerorts tiefe Risse und hatte stellenweise helle Wasserflecken, da es durch das undichte Dach regnete. Auch die einstmals farbenprächtigen, weichen Teppiche waren von dem allgegenwärtigen Verfall nicht verschont worden. Genau wie die stockfleckigen Vorhänge vor dem riesigen Bleikristallfenster am Ende der Halle waren sie im Laufe der Zeit verblasst und durch eine dicke Staubschicht ergraut. Aerith betrachtete gerade eine gesprungene Porzellanfigur, welche die Göttin Minerva darstellen sollte, als sie bemerkte, dass Cloud das Gesicht verzog und sich an die Stirn fasste als würde er von stechenden Kopfschmerzen geplagt. Nur kurz darauf begann seine Aura in schon bekannter Manier zu flackern und zu zucken. Dieses Mal formten die unsteten Energieströme jedoch nicht die Silhouette eines großen, breitschultrigen Mannes, sondern zeigten deutlich das etwas deformiert wirkende Gesicht einer hämisch grinsenden Frau. Ein Schrei des Erschreckens drückte sich Aerith die Kehle hinauf und sie wich instinktiv vor der beängstigend aussehenden Erscheinung zurück. Doch noch bevor ein Laut die Lippen der Blumenfrau hatte verlassen können, löste sich das Bild auf und Cloud schien wieder topfit zu sein. Er schüttelte nur kurz den Kopf und blinzelte dann wie jemand, der aus einem tiefen Schlaf erwacht. Da in diesem Moment jedoch ein Sonnenstrahl durch das hohe Bleikristallfenster fiel und genau auf Clouds Gesicht traf, war Aerith sich nicht sicher, ob sein Blinzeln womöglich nicht nur daher rührte, dass er geblendet worden war. Vielleicht hatte sie sich auch die erschreckende Veränderung seiner Aura bloß eingebildet. Schaudernd dachte Aerith, dass es jedenfalls keine große Überraschung wäre, wenn jemandem in dieser wie ein Geisterhaus wirkenden Villa die Nerven durchgingen. „Ich glaube“, begann der gegen das Sonnenlicht blinzelnde Gruppenanführer, „angesichts der Größe des Gebäudes und der Vielzahl der Räume wäre es das Beste, wenn wir uns aufteilen würden. Am besten bilden wir zwei Zweierteams und eine Dreiergruppe.“ „Ich geh mit Cloud!“ Aerith griff mit einem strahlenden Lächeln seinen Arm und ignorierte den giftigen Blick, den Tifa ihr entgegenschleuderte. Schnell waren auch die anderen Teams gebildet und so nahmen sich Barrett und Tifa den Westflügel vor, während Red, Yuffie, sowie Cait Sith durch die rechte Tür verschwanden und Cloud zusammen mit Aerith das obere Stockwerk absuchen wollte. So lange sie die bedrohlich knarzende Holztreppe mit der sich teilenden, fein geschwungenen Stiege erklommen, starrte Aerith auf Clouds Rücken und überlegte, wie sie die Frage, die ihr unter den Nägeln brannte, am geschicktesten formulierte, ohne mit der Tür ins Haus zu fallen. Doch auf der Galerie angekommen, hielt die junge Frau es nicht mehr aus und platzte ohne Umschweife mit ihrem Anliegen heraus: „Damals bei dem großen Nibelheim-Feuer warst du beruflich hier, oder?“ Der ein wenig klein geratene Mann vor ihr warf ihr einen undefinierbaren Blick über die Schulter hinweg zu und murmelte verstimmt klingend: „Ja. Ich hab doch schon mal erzählt, dass Sephiroth und ich hier waren, um eine Fehlfunktion im Reaktor zu überprüfen.“ Aerith nickte, als ihr wieder einfiel, dass Cloud der Gruppe den Grund für seinen damaligen Nibelheim-Aufenthalt bereits früher berichtet hatte. Ein Ventil im Reaktorinneren hatte sich gelöst gehabt und das austretende Mako hatte Tiere, die immer mal wieder von außen herein gedrungen waren, zu aggressiven Monstern mutieren lassen. Also hatten die Reaktorarbeiter bei Shinra Soldaten angefordert, damit diese sich um das Problem kümmerten. „Waren damals noch andere Leute von Shinra hier?“, arbeitete Aerith ihren Fragenkatalog weiter ab, um vielleicht endlich zu erfahren, was mit Zack geschehen war. Womöglich war Cloud ihm doch begegnet und kannte nur seinen Namen nicht, weswegen er es bislang nicht erwähnt hatte. Von ihrer Frage irritiert blieb der blonde Exsoldat stehen und betrachtete seine Begleiterin verwirrt. Doch als sie ihn nur stumm aus großen, neugierigen Augen abwartend ansah, antwortete er: „Sephiroth und ich hatten noch zwei Infanteristen dabei. Außerdem waren die Reaktorarbeiter natürlich hier und zusätzlich hielten sich ein paar Wissenschaftler hier auf, die für Professor Hojo irgendwelche Versuchsreihen durchführen sollten.“ Bittere Enttäuschung machte sich bei diesen Worten in Aerith breit. Sie hatte so sehr darauf gehofft, endlich zumindest einen brauchbaren Ansatzpunkt gefunden zu haben, dass dieser erneute Fehlschlag sie noch härter traf als die vorangegangenen. Trotzdem kratzte sie ihr letztes bisschen Hoffnung zusammen und fragte: „Du bist dir sicher, dass Shinra sonst niemanden her geschickt hatte? Es war wirklich kein weiterer Soldat hier?“ Cloud schob die Augenbrauen zusammen und machte ein düsteres Gesicht so als ob es ihm sauer aufstoßen würde, dass Aerith leise Zweifel an seiner Aussage zu haben schien. Doch als er den Mund auftat, klang seine Stimme lediglich verwirrt statt ärgerlich: „Ich bin mir absolut sicher. Warum fragst du?“ Mit einem tiefen, traurig und resigniert klingenden Seufzen, über das Aerith sich sogleich ärgerte, gestand sie: „Als ich Zack damals das letzte Mal gesprochen habe, sagte er mir, er sei hier in Nibelheim auf einer Mission. Das ist inzwischen fünf Jahre her. Eigentlich hättet ihr euch über den Weg laufen müssen…“ Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen, dann zuckte Cloud mit den Schultern und murmelte: „Klingt so als hätte er dich übel verarscht.“ „Ja…“ Aerith nickte wie benommen, bevor sie den Rücken durchdrückte und bemüht fröhlich verkündete: „Wie gut, dass das alles schon so lange her ist!“ Dann wandte sie sich ab und schlenderte mit beschwingten Schritten auf das erste Zimmer zu. Doch obwohl sie es schaffte, nach außen einen überzeugend vergnügten Eindruck zu machen, sah es in ihrem Inneren ganz anders aus. Am liebsten hätte sie sich in diesem Moment in die Arme ihrer Adoptivmutter geflüchtet und geweint, geweint, geweint – wie sie es seit Zacks Verschwinden schon oft getan hatte. Sie fühlte sich seltsam hohl und wund so als hätte jemand alles, was sie ausmachte, aus ihr heraus gepult, bis nur noch eine leere Hülle zurückgeblieben war. „Klingt so als hätte er dich übel verarscht.“ Clouds Worte setzten sich in den geschundenen Überresten von Aeriths Herz fest und pulsierten der jungen Frau mit jedem Schlag erneut durch den Kopf. Auch wenn Aerith es nicht wahrhaben wollte, konnte sie nicht abstreiten, dass es tatsächlich so aussah als hätte Zack sie belogen und hintergangen. Womöglich war er vor zwei Tagen doch in Gongaga gewesen, hatte sie erkannt und seinen Eltern aufgetragen, ihr vorzugaukeln, ebenfalls schon seit Jahren nichts mehr von ihm gehört zu haben, um zu verhindern, dass Aerith weiter in seinem Heimatdorf herumschnüffelte. Vielleicht hatten die Kuppelversuche seiner Mutter nach Jahren endlich gefruchtet und Zack hatte Midgar damals verlassen, um zu heiraten. Die Nibelheim-Mission hatte er wahrscheinlich nur erfunden, weil er zu feige gewesen war, seiner Freundin die Wahrheit zu sagen. In Aerith loderte höllische Wut auf, bis sie wieder an die Verzweiflung und die nur halbherzig verborgenen Tränen in den Augen von Zacks Eltern denken musste. Konnte man so etwas überhaupt dermaßen überzeugend spielen, wenn man den Sohn wohlauf wusste? Aerith hatte bei dem Treffen das Gefühl gehabt, die trostlose Hoffnungslosigkeit der Beiden beinahe greifen zu können, und hätte ihr Leben darauf verwettet, dass die schier bodenlose Trauer echt gewesen war. Außerdem war Zack immer ein aufrechter und mutiger Mann mit ausgeprägtem Ehrgefühl und Idealen gewesen. So wie Aerith ihn kannte, hätte eine solche skrupellose und von langer Hand geplante Lüge gegen sämtliche seiner Prinzipien verstoßen. Aerith konnte und wollte sich nicht vorstellen, dass sie sich womöglich dermaßen in ihm getäuscht haben sollte. Mit einem genervten Zähneknirschen gestand sich die inzwischen ziemlich frustrierte, junge Frau ein, dass sie noch immer am Anfang stand. Sämtliche Informationen, die sie bisher gesammelt hatte, hatten ihr nur wehgetan, sie aber kein Stück vorangebracht. Trotz ihrer Bemühungen hatte sie nur ein paar löchrige Theorien, die jedoch alle nicht überzeugend waren, wenn man sie genauer betrachtete. Wenn Aerith wissen wollte, was mit Zack passiert war, musste sie weiterforschen. Doch wo sollte sie ansetzen, wenn er offenbar nie in Nibelheim angekommen war? Und warum bloß hatte er sie diesbezüglich belogen?! Während sie sich, um sich von diesen quälenden Fragen abzulenken, in die gemeinsame Suche mit Cloud nach Hinweisen auf die Überlebenden der Nibelheim-Katastrophe stürzte, fiel Aerith auf, dass die meisten Räume des Obergeschosses offenbar Schlafzimmer waren. Sie hatte bereits sieben Betten gezählt, als sie Überraschung darüber kundtat. Cloud zuckte jedoch nur mit den Schultern und erklärte, während er ein paar lose Zettel sichtete, die er auf dem neben ihm stehenden Schreibtisch gefunden hatte: „Irgendwo müssen die Wissenschaftler, die Shinra immer mal wieder herschickt, ja schlafen. Da das Labor im Keller dieser Villa ist und viele Experimente rund um die Uhr überwacht werden müssen, ist es nur sinnvoll, wenn die Forscher ihr Quartier hier beziehen können.“ Verblüfft aufschauend schob Aerith einen dicken Folianten, den sie aus dem vollgestopften, verstaubten Bücherregal gezogen hatte, wieder an seinen Platz. „Es gibt hier ein Labor der ShinraInc? Ich dachte immer, deren Forschungsabteilung sei in Midgar stationiert.“ Ein trauriges Lächeln huschte über Clouds Gesicht, als er mit bissiger Stimme entgegnete: „Manche Versuche führt man besser weit entfernt von neugierigen Reporteraugen und -ohren durch…“ Noch bevor Aerith nachfragen konnte, was genau ihr Gegenüber damit meinte, betrat der Rest der Gruppe den Raum. Tifa blickte zunächst argwöhnisch, schien dann aber aufzuatmen, als sie sah, dass Aerith und Cloud einige Meter entfernt voneinander standen, anstatt ihre traute Zweisamkeit zu genießen. Barrett lehnte sich lässig gegen den Türrahmen und verkündete: „Unten war nichts Spannendes zu finden. Wie sieht’s hier aus?“ Aerith wollte gerade zu einem resignierten „Fehlanzeige“ ansetzen, als Yuffie sich empörte: „So stimmt das ja mal nicht! Ich habe schließlich das hier gefunden!“ Triumphierend hielt sie einen kleinen, etwas klobig aussehenden Gegenstand aus verrostetem Metall in die Höhe. Clouds Augen leuchteten auf und seine Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen, als sein Blick auf den stolz präsentierten Fund fiel und er feststellte: „Du hast den Kellerschlüssel gefunden. Gut gemacht, Yuffie.“ Nur Augenblicke später fand die Gruppe sich in dem gewölbeartig wirkenden Untergeschoss der Villa wieder. Aerith folgte den Anderen mit geringem Abstand und fragte sich ein wenig irritiert, ob sie die Einzige war, die sich darüber wunderte, dass Cloud den Schlüssel auf Anhieb erkannt hatte. Alle anderen schienen sein überraschendes Wissen ohne Vorbehalte akzeptiert zu haben und machten einen unbekümmerten Eindruck. Warum sie Anstoß an Clouds Kenntnis bezüglich des Aussehens des Kellerschlüssels nahm, wusste Aerith jedoch selbst nicht. Er hatte zu Shinras Soldatenkorps gehört und war mindestens einmal auf einer offiziellen Mission in seiner Heimatstadt gewesen. Es war also nicht unwahrscheinlich, dass er den Schlüssel im Zuge seiner Pflichterfüllung mal gesehen oder sogar ausgehändigt bekommen hatte. Dennoch hatte sich dieses hartnäckige Gefühl in Aeriths Magengrube eingenistet, das ihr unablässig einflüsterte, dass hier etwas nicht stimmte. Als die Gruppe schließlich das Ende des langen Gangs erreichte, standen zwei nahezu identisch aussehende Türen zur Auswahl. Also hielten die sieben Abenteurer für einen Moment inne, um sich zu entscheiden, welches Zimmer sie zuerst erkunden wollten. Nachdem während des Marsches hierher jeder Schritt von den hohen Wänden mit den großen, etwas feucht aussehenden Steinen widergehallt war, empfand Aerith die sie nun umgebende Stille als beklemmend. Gerade als Cloud die Hand auf die Klinke der hinteren Tür gelegt hatte, ertönten aus dem anderen Raum schauriges Stöhnen. Einen Herzschlag lang sahen sich die einzelnen Gruppenmitglieder aus schockgeweiteten Augen entsetzt an, doch dann strafften sie alle wie auf ein geheimes Signal hin die Schultern und machten sich bereit, dem Ursprung der Geräusche entschlossen auf den Grund zu gehen. Was sie in dem Zimmer zu ihrer Linken zu sehen bekamen, ließ ihnen jedoch das Blut in den Adern gefrieren. Auf dem Boden standen drei einfache, absolut parallel zueinander aufgebaute Särge, deren poliertes Holz im Schein der schwachen Beleuchtung matt schimmerte. Red, der von allen das beste Gehör hatte, bedeutete den Anderen mit einer Kopfbewegung, dass die herzzerreißenden, gespenstischen Klagelaute, die den ganzen Raum erfüllten, aus der mittleren Kiste kamen. Cloud schluckte hart, dann nickte er Barrett zu, um den großen, dunkelhäutigen Mann stumm um Hilfe beim Öffnen des Sargdeckels zu bitten. „Seid vorsichtig!“ Tifa, die von allen Anwesenden wohl am zartesten besaitet war, legte Cloud eine Hand auf die Schulter und sah ihn mit blassem Gesicht eindringlich an. Die Freude über ihre offensichtliche Sorge erhellte kurz das Gesicht des Blonden, bevor er sich wieder dem Sarg zuwandte. Dank Baretts Hilfe war der Deckel schnell beiseite geschafft, doch was darunter zum Vorschein kam, war eine echte Überraschung. Anders als erwartet befand sich im Inneren des Sargs kein gequälter, lebendig Begrabener. Stattdessen lag dort ein junger Mann, dessen lange, schwarze Haare ihm wirr in die Stirn fielen, auf ein dickes Kopfkissen gebettet und schien von Albträumen geplagt zu sein. Sämtliche Gruppenmitglieder hielten gespannt den Atem an, als die Lider des Mannes zu flattern begannen. Nur Sekunden später schlug er seine Augen auf und Aerith konnte nur mit Mühe einen erstickten Aufschrei verhindern, als sie das glühende Rot ihrer Retina erblickte. „Wer wagt es, mich zu wecken?!“ Die Stimme des Sargschläfers war tief und hatte einen bedrohlich wirkenden, knurrenden Beiklang. „Mein Name ist Cloud Strife“, setzte der Gruppenführer an, doch er kam nicht dazu, seinen Satz zu beenden. „Du gehörst zu Shinra!“, fiel der Schläfer ihm ins Wort, wobei er es schaffte, so viel Abscheu und Kälte in den Firmennamen zu legen, dass es Aerith fröstelte. „Einem Schoßhund Shinras habe ich nichts zu sagen.“, fügte der erschreckend bleiche Mann an und blickte sich suchend nach dem Sargdeckel um, was Aerith verwirrte. Fühlte er sich in seinem Sarg womöglich wohl?! „Du siehst das ganz falsch“, mischte sich Yuffie ein, wofür sie einen vernichtenden Blick des Fremden erntete. „Unser Cloud hier gehört nicht mehr zu Shinra. Er hat das Korps schon vor einiger Zeit verlassen.“ „Interessiert mich nicht“, brummte der Schläfer und schloss wieder die Augen. Dann bat er mit ironisch klingender Stimme: „Wenn ihr dann die Güte hättet, mich wieder allein zu lassen…“ Von plötzlicher Neugierde getrieben ging Aerith langsam auf den Sarg zu und kniete sich an dessen Kopfende nieder, was Tifa besorgt die Luft anhalten ließ. „Wenn du willst, bist du frei“, verkündete Aerith, wobei sie darauf achtete, ihre Stimme sanft und eben zu halten. Der Fremde blinzelte sie unter halbgeöffneten Lidern hinweg an und entgegnete wehmütig: „Ich wünschte, du hättest Recht, aber meine Freiheit kann mir niemand zurückgeben.“ „Was hält dich hier fest?“ Die tiefe Traurigkeit, die sich in die Züge des Schläfers gemeißelt zu haben schien, rührte Aeriths Herz und sie hätte ihm am liebsten tröstend über den Kopf gestrichen. Anstatt zu antworten, seufzte der Fremde auf und schien dann wieder einschlafen zu wollen. Ein wenig beleidigt und latent frustriert warf Aerith die Stirn in Falten, als Cloud ihr zurief: „Lass ihn! Wenn er hier bleiben will, bitteschön. Wir haben keine Zeit, uns mit ihm aufzuhalten. Wir müssen so schnell wie möglich Sephiroth hinterher.“ Als hätte Cloud eine Zauberformel gesprochen, riss der Sargschläfer die Augen wieder auf und kam wie an Marionettenfäden in die Höhe gezogen auf die Füße. „Sagtest du Sephiroth?!“ Vor Anspannung sprang die bisher ruhige Bassstimme des Fremden eine Oktave höher und wurde ein wenig schrill. Von der unerwarteten Reaktion überrascht, wandten sämtliche Gruppenmitglieder ihm wieder zu, während Cloud bedächtig nickte und erklärte: „Ja. Ich habe noch eine Rechnung mit Sephiroth offen, deshalb reisen wir ihm hinterher. Wir hoffen, dass wir herausfinden, was er vorhat, und ihn aufhalten können, bevor er allzu großes Unheil anrichtet.“ Für einen Moment schien der Fremde in weite Ferne zu starren und seine Lippen bewegten sich stumm. Aerith war nie besonders gut im Lippenlesen gewesen, doch sie war sich fast sicher, dass er sich die Frage gestellt hatte: „Oh, Lucretia, warum nur habe ich es zugelassen?“ Dann richtete der sonderbare Mann seine gespenstischen Augen wieder auf Cloud und verkündete: „Verzeiht, dass ich mich bislang nicht vorgestellt habe. Mein Name lautet Vincent Valentine. Wenn niemand Einwände dagegen erhebt, würde ich euch gerne begleiten. Es gibt da etwas, das ich bereinigen muss…“ Barrett betrachtete geringschätzig die eher schmale Statur Vincents, was diesen dazu veranlasste die Lippen zu einem ironischen Lächeln zu verziehen. „Ich müsst keine Angst haben, dass ich euch zur Last fallen werde“, erklärte er mit einem Anflug von Amüsement. „Als ehemaliges Mitglied der Turks weiß ich mich zu verteidigen.“ Cloud zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe und neigte dann abschätzend den Kopf. Einen Turk im Team zu haben, konnte nur von Vorteil sein. Doch war ihm zu trauen? „Warum hast du die Turks verlassen?“, fragte Cloud, wobei er das Gesicht seines Gegenübers genau musterte und auf verräterische Anzeichen einer Lüge achtete. Vincent überraschte jedoch mit einem Geständnis: „Das habe ich nie. Es kam zu Diskrepanzen zwischen Professor Hojo und mir, deswegen wurde ich… vom Dienst suspendiert.“ Die Art, wie er kurz zögerte und die letzten Worte betonte, legte nahe, dass mehr hinter dieser Geschichte steckte, doch niemand traute sich, genauer nachzufragen. Also fuhr Vincent fort: „Aber ich habe genug Gründe, um die ShinraInc und all ihre Auswüchse abgrundtief zu hassen, wenn es das ist, was du wissen willst.“ Ein wenig verlegen darüber, durchschaut worden zu sein, zuckte Cloud mit den Schultern und murmelte: „Also mir soll’s recht sein. Meinetwegen kannst du uns begleiten.“ Als auch kein anderes Mitglied Einwände bekundete, nickte Vincent selbstzufrieden und warf sich ein langes, blutrotes Cape um, das bislang noch im Sarg gelegen hatte. Dann folgte er seinen neuen Begleitern aus dem Raum. Kapitel 7: Labor der Abscheulichkeiten -------------------------------------- Das neue Gruppenmitglied war bereits auf dem Weg Richtung Treppe, als Cloud Vincent zurückhielt: „Warte, wir haben hier noch etwas zu erledigen.“ Der irgendwie gespenstisch wirkende Ex-Turk stutzte für einen Moment, doch dann zuckte er mit den Schultern und machte kehrt. Das Labor war durch zahlreiche Lampen hell beleuchtet und die unzähligen Glasbehälter und Reagenzgläser glitzerten im Schein des künstlichen Lichts. Während Clouds undefinierbarer Blick wie gebannt an zwei mannhohen Tanks im hinteren Teil des Raums hing und seine Aura erneut zu flackern begann, verteilte sich der Rest der Gruppe zwischen den umherstehenden Tischen und Regalen. „Wo führt dieser Gang denn hin?“ Tifa deutete hinter sich und fixierte Cloud, doch dieser schenkte ihrer Frage keinerlei Beachtung. Dank Vincent erhielt die junge Frau allerdings trotzdem eine Antwort: „Dort hinten befindet sich das Studierzimmer, wo unter anderem die Berichte über sämtliche hier durchgeführten Versuche aufbewahrt werden.“ Mit einem letzten Blick auf Cloud, der geistesabwesend über die zerbrochene Frontscheibe des rechten Tanks strich, murmelte Tifa: „Klingt vielversprechend.“ Während jene den Gang hinunterhastete, amüsierte Yuffie sich zusammen mit Cait Sith über das Aussehen verschiedener Instrumente. Barrett unterhielt sich leise mit Red, der voller Interesse die unterschiedlichen Bände in dem beeindruckend großen Bücherregal an einer der Wände begutachtete, und Vincent lehnte gelangweilt am Türpfosten. Unterdessen beobachtete Aerith aus den Augenwinkeln das sonderbare Verhalten ihres Anführers, wobei sie so tat als inspizierte sie ein paar Fläschchen voller wundersam aussehender, eingelegter Wurzeln und Knollen. Einen solchen Gesichtsausdruck hatte Aerith noch nie bei Cloud gesehen und der bunte Strauß unterschiedlichster Gefühle, der sich in seinem Minenspiel widerspiegelte, irritierte sie zutiefst. Zunächst wirkte der offenbar sehr bewegte Blonde lediglich tieftraurig, doch dann schien sich brennender Zorn, gefolgt von ernsthafter Verwirrung darunter zu mischen. Aerith fragte sich, was wohl in seinem Kopf vorgehen mochte, während er geradezu liebevoll über das Glas des Tanks strich. Was mochte er wohl mit einem solchen Behälter verbinden, das ihn so sehr aufzuwühlen schien? Die ganze Zeit über flackerten die Energieströme, die seinen Körper umgaben, bedrohlich, doch anders als von Aerith befürchtet, erschien das beängstigende Frauengesicht von vorher nicht noch einmal. Stattdessen nahmen sie dieses Mal scheinbar Zacks Statur an, was Aerith jedoch ihrer eigenen Phantasie und Sehnsucht zuschrieb. „Hey, Cloud! Was zur Hölle treibst du da eigentlich?!“ Barrett, der inzwischen neben Vincent an der Wand lehnte und den offenbar völlig neben sich stehenden Exsoldaten schon längere Zeit mit missbilligender Miene beobachtet hatte, hielt mit seiner Verwunderung nicht länger hinterm Berg. Doch noch bevor Cloud antworten konnte, kam Tifa aus dem Studierzimmer zurück. Ihre Miene war zu einer starren Maske des Entsetzens versteinert und in den Händen hielt sie einen dünnen Stapel Papier. „Das ist einfach widerlich!“, platzte sie heraus, kaum dass sie wieder über die Laborschwelle getreten war. „Wenn ich Shinra nicht schon vorher für absolut verachtenswert gehalten hätte, dann wäre es jetzt soweit!“ Tifa war vor Zorn und Abscheu so außer sich, dass ihr ansonsten elfenbeinfarbenes Gesicht mit roten Wutflecken überzogen war. Bei dem aufgebrachten Klang ihrer Stimme sah sogar Cloud erschrocken auf und fragte besorgt: „Was ist los?“ „Das hier!“, blaffte Tifa ihn zur Überraschung aller barsch an und wedelte mit den Zetteln in ihrer Hand. Dann holte sie tief Luft und begann zitternd vorzulesen: „Experiment zur Herstellung eines Sephiroth-Klons, Versuchsreihe 1. Versuchsobjekt A: männlich, achtzehn Jahre alt, ehemaliger Soldat. Besondere Merkmale: bekleidete den ersten Rang. Gesundheitliche Verfassung zu Beginn des Experiments: hervorragend.“ Aerith wurde plötzlich eiskalt, als ihr bewusst wurde, dass diese Beschreibung bis ins Detail auf Zack zutraf. Hatte die Leitung von Shinras Forschungsabteilung ihn als Grundlage für einen möglichen Sephiroth-Klon benutzt? War das der Grund dafür, dass der begabte Soldat so plötzlich verschwunden war? Aerith war von dieser Möglichkeit so entsetzt, dass sie kaum mitbekam wie Tifa weiterlas. „Versuchsobjekt B: männlich, 17 Jahre alt, Infanterist. Besondere Merkmale: keine. Gesundheitliche Verfassung zu Beginn des Experiments: sehr gut. Versuchsaufbau: Beide Objekte werden dauerhaft flüssigem, mit Jenova-Zellen durchsetztem Mako ausgesetzt. Die Aufnahme der Zellen erfolgt über Haut und Atemwege.“ Die folgende, akribische Beschreibung der Versuchsbeobachtungen übersprang Tifa, bis sie zu der Stelle kam, die sie so sehr geschockt hatte. Der Eintrag war auf einen Tag etwa vier Jahre nach Beginn des Experiments datiert und beschrieb die erzielten Erfolge: „Kompletter Fehlschlag der Versuchsreihe 1. Versuchsobjekt A zeigt noch immer keinerlei Reaktion auf die Behandlungen. Mögliche Erklärung hierfür könnten die durch die beim Eintritt ins Soldatenkorps erfolgte Mako-Injektion gesteigerten Abwehrkräfte sein. Versuchsobjekt B leidet an einer Mako-Vergiftung, reagiert jedoch ebenfalls nicht auf die Jenova-Zellen. Weiteres Vorgehen: Nach Absprache mit Professor Hojo wird das Experiment in sechs Monaten abgebrochen. Sollte bis dahin nicht der natürliche Tod eingetreten sein, erfolgt der Befehl zur Liquidierung der Versuchsobjekte.“ Tifa ließ die Zettel mit einem knisternden Geräusch sinken und blickte in die blassen, erschütterten Gesichter der Anderen. Lediglich Vincent schien in keiner Weise überrascht oder gar geschockt zu sein. Möglicherweise hatte er als ehemaliges Mitglied der Turks im Laufe seiner Karriere schon Schlimmeres im Namen Shinras geschehen sehen, sodass er wusste, mit welcher skrupellosen Rücksichtslosigkeit die Forschungsabteilung des Konzerns menschliche Versuchsobjekte behandelte. Um das Entsetzen ihrer Begleiter perfekt zu machen, fügte Tifa mit trauriger Stimme an: „Hier ist noch ein Vermerk, dass kurz nach Beginn dieses Experiments eine zweite Versuchsreihe mit leicht Veränderten Bedingungen gestartet wurde. Als Versuchsobjekte dienten in diesem Fall zwölf Zivilisten.“ Für einen Moment senkte sie ihren gequält wirkenden Blick, dann seufzte sie mit in Tränen schwimmenden Augen: „Ich glaube, damit wissen wir, was mit den Überlebenden von damals geschehen ist.“ Während sie sprach ruhte ihr Blick unablässig auf Cloud, von dem sie sich eine Geste des Trosts erhoffte. Doch dieser schien ihr schon seit geraumer Zeit gar nicht mehr zuzuhören und starrte stattdessen wieder auf die Glastanks an der Wand gegenüber, wobei er ein melancholisches und nachdenkliches Gesicht machte. Aerith lehnte sich gegen einen vollgestellten Schreibtisch und kämpfte mit dem Wirbelsturm der Emotionen, der in ihrem Inneren wütete. Hatte sie tatsächlich endlich den Schlüssel zu dem Geheimnis hinter Zacks Verschwinden gefunden? Sie hatte gleich beim Betreten des Raums das Gefühl gehabt, die Anwesenheit ihres Freundes zu spüren… Obwohl sie immer wieder tief durchatmete, fühlte es sich noch immer so an als müsste sie ersticken. Vincent, der ihr am nächsten stand und die glitzernden Schweißperlen auf ihrer Stirn bemerkte, maß sie mit einem sorgenvollen Blick, den Aerith jedoch geflissentlich ignorierte. Die Vorstellung, dass Zack womöglich Jahre lang von herzlosen, überehrgeizigen Forschern für den Fortschritt ihrer Karriere gequält und nach Fehlschlag des Experiments einfach hingerichtet worden war so als wäre er nicht mehr wert gewesen als ein ordinärer Verbrauchsgegenstand, war zu viel für die junge Frau. Sie hätte sich irgendwie damit abfinden können, wäre er während eines Kampfeinsatzes gefallen, da sie wusste, dass zumindest ihr Freund in einem ruhmreichen, heldenhaften Tod einen Sinn gesehen hätte. Aber so wie die Dinge nun zu liegen schienen, wusste Aerith nicht, wie sie die Situation ertragen sollte. Doch weshalb hätte Zack sich für ein solches Experiment überhaupt zur Verfügung stellen sollen? Zwar hatte er sich nach Angeals Tod mit dem von ihm bewunderten Sephiroth angefreundet, hatte ihn jedoch nie so sehr vergöttert, dass Aerith sich vorstellen konnte, dass er Freude an dem Gedanken gehabt hätte, zu einem Klon des Anderen zu werden. Hatte Shinra Zack zu seiner Teilnahme am Experiment gezwungen? Wenn ja: Warum und womit? Wieso hatte die ShinraInc überhaupt Interesse an einem Sephiroth-Klon gehabt? Der Silberhaarige hatte nie den Eindruck erweckt, jemanden neben sich zu dulden. Die Gedanken wirbelten in Aeriths Kopf herum wie trockenes Herbstlaub im Wind und sie rief sich stumm zur Raison: „Reiß dich zusammen! Es gibt keinen Grund zur Hysterie. Du weißt doch noch nicht einmal mit Gewissheit, ob es sich bei dem beschriebenen Soldaten tatsächlich um Zack handelte.“ Um zumindest den Versuch zur Entkräftung ihrer Ängste zu unternehmen, fragte sie Tifa mit leiser, bemüht ruhiger Stimme: „Wann war eigentlich der Start dieser Versuchsreihe?“ Die Angesprochene warf einen flüchtigen Blick auf die gefundenen Papiere und antwortete: „Etwa einen Monat nach dem großen Brand und Sephiroths vermeintlichem Tod. Wieso fragst du?“ „Nur so.“ Aerith wandte sich mit einem matten, etwas verkniffenen Lächeln auf den zartrosa Lippen um und stellte sich neben die großen Tanks, die noch immer Clouds Aufmerksamkeit fesselten. Die Antwort hatte sie ein wenig beruhigt und das Gedankenkarussell in ihrem Kopf zumindest vorrübergehend verlangsamt. Zu Beginn des Experiments war Zack schon eine ganze Weile verschollen und unerreichbar gewesen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass die ShinraInc sich die Mühe gemacht hätte, ihr unfreiwilliges Versuchsobjekt vorher über Wochen hinweg von der Außenwelt abzuschirmen, um eventuelle Nachfragen Angehöriger zu vermeiden. Es war eher Shinra-Stil allzu Neugierige mit Geld oder durch Gewalt zum Schweigen zu bringen. Trotzdem war Aerith noch immer so als könnte sie die Präsenz ihres Freundes in diesem Labor spüren. Wie Cloud zuvor strich sie gedankenversunken über die glatte Oberfläche der Tanks und schauderte, als sie die Kerben entdeckte, die jemand von innen ins Glas geritzt hatte. Wer immer in diesem Behälter gefangen gewesen sein mochte, er musste sehr verzweifelt gewesen sein, wenn er so lange mit den Fingernägeln über die Außenwand gekratzt hatte, dass sichtbare Spuren zurückgeblieben waren. „Ich glaube, wir sollten diesen grauenvollen Ort allmählich verlassen.“ Red hatte sich vor Vincent auf den Boden gehockt und ließ seinen forschenden Blick zwischen Cloud und Aerith hin und her wandern. Offenbar gefiel ihm die morbide Faszination, welche die Tanks auf diese beiden Gruppenmitglieder auszuüben schienen, ganz und gar nicht. Tifa nickte heftig und fasste dann Cloud an den Schultern, um ihn bestimmt aus dem Raum zu dirigieren. Während der Rest der Gruppe dem Duo folgte, fuhr Aerith langsam mit der Fingerkuppe über die Bruchkante in der Scheibe des rechten Tanks, wobei sie eine tiefe Traurigkeit befiel. Sie hoffte sehr, dass ihr Gefühl trog und Zack niemals an diesem elenden Ort gewesen war. „Aerith, wo bleibst du denn?!“ Tifa stand wieder in der Tür und machte einen schlechtgelaunten Eindruck. Offenbar hatte sie die Obhut über den verwirrt wirkenden Cloud den Anderen überlassen, um höchstpersönlich nach der ebenfalls angegriffen erscheinenden Nachzüglerin zu sehen. Mit einem entschuldigenden Lächeln kam diese wandte diese sich um und schickte sich an, den Raum zu verlassen, ohne ein Wort über Tifas harschen Ton zu verlieren. Sie konnte angesichts dessen, was sie an diesem Tag erfahren hatten, nur zu gut verstehen, dass die andere Frau gereizt war und nichts anderes mehr wollte als die Villa so schnell wie möglich zu verlassen. Als Aerith aus dem Labor trat, war ihr als würde ihr ein großes Gewicht von den Schultern genommen. Sie atmete erleichtert auf und schwor sich: Egal, was ihr Leben noch bringen mochte, diesen Ort, der so voller sonderbarer Energien und nicht greifbaren, geisterhaften Erinnerungen zu sein schien, wollte sie niemals wieder betreten. Kapitel 8: Puppenspieler ------------------------ Nach ihrem Abstecher in das schaurige Shinra-Labor nahm die Gruppe die Verfolgung Sephiroths wieder auf. Ihr Weg führte sie zunächst über das gewaltige Felsmassiv Mount Nibel, an dessen Fuß Clouds und Tifas einstige Heimatstadt lag, und anschließend weiter nach Rocket Town. Dort schloss sich ihnen Cid Highwind an, der legendäre Pilot, der bis zu einem vermasselten Raketenstart vor ein paar Jahren eine unvergleichliche Karriere innerhalb der ShinraInc hingelegt hatte. Trotz seiner Verbindung zu Shinra war Cid, der den großen Wunsch hegte, der erste Mensch im All zu sein, in der Bevölkerung stets beliebt gewesen. Grund dafür war nicht zuletzt sein ungehobeltes Mundwerk, das ihm immer wieder bildgewaltig fluchen ließ, aber auch jeden Zweifel an Cids Aufrichtigkeit im Keim erstickte. Nach seiner Meinung gefragt, sagte Cid grundsätzlich genau das, was ihm gerade durch den Kopf ging. Durch diese direkte, ungezwungene Art und sein Privileg mit Flugschiffen den Himmel befahren zu können symbolisierte er für viele Menschen Freiheit. Was den Aufenthalt in Rocket Town für die Gruppe jedoch noch wesentlich wertvoller machte als Cids Beitritt, war die Tatsache, dass sie dort durch ein zufällig belauschtes Gespräch zwischen Rufus Shinra und einem seiner Direktoren erfahren hatten, dass Sephiroth offenbar zu dem Tempel des alten Volks unterwegs war. Der Konzernpräsident und sein selbstgefälliger Speichellecker waren in der Stadt gewesen, weil sie von Cid dessen Propellermaschine „Tiny Bronco“ hatten einfordern wollen, um damit zu dem auf einer Insel südwestlich von Gongaga gelegenen Tempel zu fliegen. Dass Cid sich nicht nur geweigert hatte, das Flugzeug dem Vorsitzenden der ShinraInc zu überlassen, sondern es lieber ihrer kleinen Gruppe zur Verfügung gestellt hatte, amüsierte Aerith sehr. Zwar war es bei einer Auseinandersetzung mit Shinras Artillerie beschädigt worden und hatte seine Flugfähigkeit eingebüßt, doch als Boot taugte es allemal, was für die momentanen Bedürfnisse der Truppe glücklicherweise vollkommen ausreichend war. Bei einem ersten Besuch am Tempel hatte die Gruppe herausgefunden, dass leider ein bestimmter Schlüsselstein von Nöten war, wenn man das Innere betreten wollte. Also hatten die neun Abenteurer sich in den nächstgelegenen Dörfern ein wenig umgehört und so erfahren, dass der Stein im Besitz des GoldSaucer-Betreibers war. Dieser war ein ausgesprochen reicher und gelangweilter Mann und hatte zum Glück als Gegenleistung für den Verleih seines wertvollen Sammlerobjekts lediglich gefordert, dass Cloud an einem Arenakampf teilnahm, um so für ein wenig Amüsement zu sorgen. Da es im Verlauf des Kampfs ziemlich spät geworden war und die Reparatur der ausgefallenen Seilbahn, die der einzige Weg aus dem GoldSaucer heraus war, noch einige Stunden in Anspruch nehmen sollte, hatte die Gruppe sich entschlossen, eine weitere Nacht in dem als Hotel fungierenden Geisterhaus des Vergnügungsparks zu verbringen. Cloud hatte die erzwungene Ruhepause genutzt, um die neuen Gruppenmitglieder über die bisherigen Ereignisse ins Bild zu setzen, bevor er sein Reisegepäck und den ausgeliehenen Schlüsselstein auf sein Zimmer gebracht hatte. Dies war nun über eine Stunde her und Aerith saß gelangweilt am Kaminfeuer und kauerte sich in das dicke Polster eines Sessels. Mit einem Blick über die Schulter stellte sie fest, dass sich der Großteil der restlichen Gruppenmitglieder ebenfalls im Hotelfoyer aufhielt. Vincent saß nur einen halben Meter von ihr entfernt auf einem wuchtigen Sofa und schien mit geschlossenen Augen seinen eigenen Gedanken nachzuhängen, während Cid neben der nach oben führenden Treppe auf und ab ging und leise mit seiner Frau Shera telefonierte. Auf der gegenüberliegenden Raumseite saßen Yuffie und Red an einem kleinen Tisch und spielten Schach miteinander, wobei der rote Tiger sich offenbar königlich über das verzweifelte Gesicht der jungen Ninja amüsierte und dem neben ihm stehenden Barrett Anweisungen zuraunte, damit dieser die Figuren für den handlosen Spieler über das Brett zog. Cait Sith hingegen hatte sich schon vor einiger Zeit auf sein Zimmer zurückgezogen und schlief vermutlich schon. Etwa zeitgleich hatten Cloud und Tifa das Hotel verlassen, um den Abend in trauter Zweisamkeit zu verbringen und gemeinsam die Attraktionen des Parks auszuprobieren. Bei dem Gedanken daran krallte Aerith die Finger in die Armlehnen und presste die Kiefer fest aufeinander. Sie wusste nicht einmal genau, warum sie so eifersüchtig war. Seit sie die Beiden kannte, war ihr immer klar gewesen, dass Cloud und Tifa ineinander verliebt waren und zu einem Paar werden würden, sobald einer von Beiden den Mut fände, den ersten Schritt zu machen. Aerith war bewusst, dass sie sich eigentlich für ihre Freundin hätte freuen müssen, weil diese endlich über ihren Schatten gesprungen und auf Cloud zugegangen war. Dennoch rumorte es in ihrem Inneren und sie hätte am liebsten irgendetwas Zerbrechliches laut schreiend an die Wand geworfen. Während sie beobachtete wie ein Holzscheit knackend und unter Funkenflug in sich zusammenbrach, gestand Aerith sich ein, dass sie nicht deshalb eifersüchtig auf Tifa war, weil diese mit Cloud ausging, sondern weil die Bardame noch einen Freund hatte, mit dem sie viele, romantische Stunden verbringen und ihr frisch verliebt Sein genießen konnte. Das Glück ihrer Freundin führte Aerith den eigenen Verlust dermaßen brutal vor Augen, dass ihre Trauer und ihr unerfüllbarer Wunsch, wenigstens noch einen Tag mit Zack verbringen und ihm all die Dinge, die ihr auf der Seele brannten, sagen zu können, so übermächtig wurden, dass sie in ohnmächtige Wut umschlugen. Warum nur hatte sie Zack so früh verlieren müssen? Es gab doch noch so viel, das sie noch nicht miteinander erlebt hatten! Gerade als Aerith mit dem Gedanken spielte, ins Bett zu gehen, um den eigenen Gedanken und Erinnerungen zu entkommen, trat Cait Sith wieder ins Foyer und verkündete, er wolle einen Spaziergang machen. Zunächst dachte sich niemand etwas bei seinem spontanen Sinneswandel, doch als kurz darauf undefinierbarer Lärm vor dem Hotel ertönte, stürzten die restlichen Gruppenmitglieder ihm hinterher ins Freie. Zu der großen Überraschung aller kreiste ein Shinra-Hubschrauber über dem GoldSaucer und Cait Sith hielt genau darauf zu. Auch Tifa und Cloud, die gerade von ihrem Ausflug zurückkehrten, zogen irritierte Gesichter. Die Katzenpuppe warf ihnen einen gehetzt wirkenden Blick zu, schien dann etwas in ihren Händen fester zu fassen und beschleunigte ihre Schritte. Plötzlich erbleichte Cloud und stürzte hinter Cait Sith her, wobei er lauthals brüllte: „Bleib stehen, du Dieb!“ Aerith blinzelte überrascht und kniff die Augen zusammen, um besser erkennen zu können, was am anderen Ende des Hotelvorhofes vor sich ging. Was sie dabei erblickte, raubte ihr regelrecht den Atem: Cait Sith hielt den Schlüssel zum Tempel des alten Volks in den Händen und rannte wie von der Tarantel gestochen auf Tseng zu, der sich aus dem offenen Helikopter lehnte. Obwohl Cloud so schnell über den Platz hetzte wie er konnte, schaffte er es nicht mehr, die Übergabe des Schlüsselsteins zu verhindern. Der Gruppe blieb nichts anderes übrig als voller Entsetzen mitanzusehen wie der Turk mit dem wertvollen Objekt davonflog. „Bist du vollkommen von Sinnen?!“ Cloud schubste Cait Sith so heftig, dass dieser lang auf den Boden aufschlug. „Was zur Hölle sollte das?!“ Die Augen des erbosten Exsoldaten funkelten vor Wut so sehr, dass sie Funken zu sprühen schienen und Aerith befürchtete, Cloud könnte seinem Zorn womöglich durch Gewaltanwendung Luft machen. Tifa legte ihrem Freund jedoch noch rechtzeitig beschwichtigend die Hand auf die Schulter und sah ihm eindringlich in die Augen, was den Blonden sofort ein wenig ruhiger werden ließ. „Ich… ich kann das erklären.“ Cait Sith klang ehrlich zerknirscht und ließ den Kopf hängen, während der Rest der Gruppe mit versteinerten Mienen auf ihn hinuntersah. „Das hoffe ich für dich“, knurrte Cloud, der trotz Tifas Eingreifen noch immer außer sich war, und riss den resigniert wirkenden Verräter wieder auf die Beine, um ihn zurück zum Hotel zu schubsen. Als sie zurück im Foyer waren, umringten die einzelnen Gruppenmitglieder die niedergeschlagen aussehende Katzenpuppe, um sie an einer möglichen Flucht zu hindern und sie zur Rede zu stellen. Obwohl Aerith selbst gesehen hatte, wie Cait Sith die Truppe hintergangen und Shinra in die Hände gespielt hatte, tat er ihr in dieser erniedrigenden Situation dennoch leid. „Also“, ergriff Cloud mit grollender Stimme das Wort, „wer bist du wirklich?“ Cait Sith holte tief Luft und gab dann zu: „Mein Name ist Reeve Tuesti. Ich leite Shinras Abteilung für Stadtentwicklung.“ „Kein Wunder, dass uns die Turks immer einen Schritt voraus waren!“ Barrett stand kurz vor der Explosion und ballte die Hände immer wieder zu Fäusten. Nur mit Mühe konnte er sich von dem sinnlosen Unterfangen abhalten, der schwarzweißen Katzenpuppe an die Gurgel zu gehen. Cloud schüttelte unterdessen seufzend mit dem Kopf, wobei er erschreckend müde und ausgelaugt wirkte. Dann ließ er seinen Blick über die Gesichter der Anderen gleiten und fragte: „Was machen wir nun mit dem Verräter?“ Bevor einer der Angesprochenen antworten konnte, rief Cait Sith plötzlich wieder voller Leben: „Wartet! Es ist nicht so wie ihr denkt.“ Als er die verächtlichen und ungläubigen Mienen sah, mit denen die Gruppe auf seine Worte reagierte, nickte er reumütig. „Ich gebe zu, ich habe mich euch angeschlossen, um für Shinra zu spionieren. Aber ich bitte euch, mir zu glauben, dass dies nie aus freien Stücken geschah. Man hatte mir angedroht, meine Abteilung zu schließen, wenn ich nicht tat, was man von mir verlangte.“ Yuffie machte ein abfälliges Geräusch und giftete von Barrett durch ein Kopfnicken unterstützt: „Ach so, na dann! Jetzt haben wir natürlich alle Verständnis für dich. Das arme Miezekätzchen hätte seinen Arbeitsplatz verloren, wenn es nicht zum Spion geworden wäre!“ „Darum ging es mir doch gar nicht! Heidegger und Scarlett sind vollkommen übergeschnappt und Rufus lässt ihnen freie Hand, so lange sie nur seine Macht vermehren. Wenn meine Abteilung geschlossen würde, gäbe es niemanden mehr, der mäßigend auf die Beiden einwirken könnte. Ich wollte Midgar schützen!“ „Sicher… Du bist ein richtiger Gutmensch. Warum haben wir das nicht gleich gesehen?“ Bei diesen Worten erschrak der ansonsten so ruhige und sachliche Red ein wenig vor sich selbst. So gehässig und kalt kannte der Tiger sich gar nicht. Cait Sith ignorierte den Zwischenruf jedoch und sprach unbeirrt weiter: „Mir war schon lange klar, dass die Leitung der ShinraInc gestoppt werden muss. Doch erst durch eure Geschichten und die Erlebnisse mit euch habe ich erkannt, wie grausam dieser Konzern wirklich vorgeht und wie viel Leid und Unrecht bereits in Shinras Namen geschehen ist. Nur dank euch ist mir nun klar geworden, dass es nicht ausreicht, wenn ich nur mit Worten und Apellen versuche, etwas zu ändern. Wir brauchen eine Revolte von außen, um die Verantwortlichen aufzuhalten in ihrem Größenwahn.“ Barrett stieß mit einem schnaufenden, verächtlich klingenden Geräusch Luft aus der Nase aus. „Das sagt dieser miese Verräter doch jetzt nur, um uns wieder um den Finger zu wickeln!“ Wild mit dem Kopf schüttelnd, wehrte Cait Sith sich vehement: „Das ist nicht wahr! Ich glaube wirklich, dass ihr das Richtige tut, und will euch unterstützen. Lasst es mich beweisen! Zukünftig werde ich euch über alles informieren, was ich über die Pläne der ShinraInc erfahre!“ „Das hättest du auch früher schon tun können, wenn du es gewollt hättest. Dieses Angebot ist doch nur eine Finte, damit wir dich nicht aus der Gruppe ausschließen.“ Tifa klang als bedauerte sie zutiefst, dass nicht einfach so tun konnte als wäre nie etwas geschehen und so hart gegen Cait Sith sein musste. Dieser legte den Kopf schief und fragte: „Hätte ich das wirklich gekonnt? Wenn ich euch gesagt hätte, dass ich als Abteilungsleiter bei Shinra arbeite, hättet ihr mich doch sofort verstoßen. Aber ich wollte bei euch bleiben, um euch so gut zu unterstützen wie ich konnte. Das ist der einzige Grund, warum ich geschwiegen habe.“ Cloud, der mit verschränkten Armen vor der Marionette stand, verzog die Lippen zu einem traurigen Lächeln und fragte leise: „Weißt du, was das Problem mit Lügnern ist? Man kann ihnen nicht glauben, selbst dann nicht, wenn sie die Wahrheit sagen.“ Aerith, die bislang ziemlich unbeteiligt gewirkt hatte, kniete sich plötzlich vor die enttäuscht zu Boden blickende Katzenpuppe und begann breit zu grinsen, als sie für alle gut hörbar verkündete: „Ich glaube ihm und finde, wir sollten ihm noch eine Chance geben.“ Der Rest der Gruppe heftete seine völlig überraschten und perplexen Blicke auf die junge Frau, die jedoch nur mit einem Schulterzucken reagierte. Ihr war selbst nicht klar, warum sie Cait Siths Worten Glauben schenkte. Sie wusste lediglich, dass sie sich auf ihr Bauchgefühl verlassen konnte. Wenn es darum ging, die Gesinnung und Aufrichtigkeit einer Person zu erspüren, lag Aerith stets richtig. Cloud, der – auch wenn es vor allem Barrett nicht wahrhaben wollte – in solchen Situationen das letzte Wort hatte und für die Gruppe entschied, machte ein nachdenkliches Gesicht und kaute grübelnd auf der Unterlippe, während er abzuwägen versuchte, was nun das Richtige war. Dann holte er schließlich tief Luft und nickte dem gespannt wartenden Cait Sith zu, wobei er erklärte: „Also gut, du darfst bleiben. Ich vertraue Aerith und ihrem Urteil. Wenn sie der Meinung ist, dass es sich lohnt, dir noch eine Chance zu geben, dann machen wir das.“ Aus dem im Katzenmaul eingebauten Lautsprecher kam ein langgezogenes Seufzen der Erleichterung, das Aerith rührte. Doch bevor Cait Sith sich für die geschenkte Möglichkeit, seine Integrität zu beweisen, bedanken konnte, fügte Cloud mit einem kalten Glänzen in den harten Augen an: „Aber ich werde dich ab jetzt permanent überwachen. Ich werde dir zukünftig über die Schulter schauen, egal ob du isst, schläfst oder das Bad aufsuchst. Und sollte ich je mitbekommen, dass du den Funkkontakt zu uns abbrichst oder den Versuch startest, ohne unser Wissen zu jemandem bei Shinra Kontakt aufzunehmen, werde ich zunächst eigenhändig diese Puppe demontieren und dir anschließend gemeinsam mit Barrett daheim in Midgar einen Besuch abstatten. Ich hoffe, ich habe mich deutlich genug ausgedrückt!“ Mit diesen Worten schnappte Cloud sich seinen neuen Bettnachbarn und verschwand mit ihm auf dem Zimmer. Auch der Rest der Gruppe zog sich kurz darauf zurück, nur Aerith verweilte noch ein wenig im Foyer. Ins Kaminfeuer starrend wurde ihr bewusst, dass sie nun so eine Art Bürge für Cait Sith war und der Zorn der Anderen unweigerlich auch sie treffen würde, sollte ein weiterer Verrat stattfinden. Doch an diese unangenehme Vorstellung verschwendete die junge Frau nur wenige Gedanken. Stattdessen bestimmt die Frage, ob sie unter diesen Umständen jemals das Innere des Cetra-Tempels zu sehen bekommen würde, den Großteil von Aeriths Geist. Schon im Eingangsbereich des uralten Gebäudes hatte sie sich seltsam wohl und willkommen geheißen gefühlt. Ihr war gewesen als hätte dieser Ort schon seit Jahren auf sie gewartet. Seufzend warf sie einen letzten Blick auf die züngelnden Flammen vor ihr, dann ging auch sie zu Bett. Es hatte keinen Sinn, sich den Kopf darüber zu zerbrechen, was alles hätte sein können, wenn manche Dinge anders gelaufen wären. Das galt für diese Situation genauso wie für die vielen Erlebnisse mit Zack, die das Schicksal ihr wohl immer schuldig bleiben würde. Aerith wollte also lieber den nächsten Morgen und die Entscheidung darüber, wie die Gruppe nun weiter vorgehen wollte, abwarten und dann das Beste daraus machen. Kapitel 9: Eine überfällige Entschuldigung ------------------------------------------ Zu Aeriths großer Freude sprach sich die Mehrheit der Gruppe beim Frühstück dafür aus, sich trotz des Schlüsseldiebstahls zum Tempel des alten Volks zu begeben. Vielleicht, so war die zu Grunde liegende Überlegung, hatten die neun Abenteurer ja Glück und die Turks würden die Tür offenstehen lassen. Also hatte die Truppe bereits im Morgengrauen „Tiny Bronco“ bestiegen und sich auf den Weg gemacht. Als die golden schimmernde Spitze des pyramidenförmigen Gebäudes endlich in Sichtweite kam und sich kontrastreich von dem zartblauen Morgenhimmel abhob, atmete etwas in Aerith auf. Es war als übte dieser Ort einen geradezu magischen Sog auf die letzte Cetra aus, die sich nur allzu bereitwillig diesem Bann unterwarf. Je näher die Gruppe dem Tempel kam, desto stärker wurde in Aerith das wohlig warme Gefühl des Heimkommens. All ihre lang unterdrückten Cetra-Sinne schienen aufzublühen wie Wüstenblumen nach der ersehnten Regenperiode. Sämtliche Farben schienen in der Nähe des Tempels mehr zu leuchten als üblich und Aerith stellte fasziniert fest, dass sie mit ihrer in dieser Gegend geschärften Wahrnehmung sogar die Energieströme von Pflanzen sehen konnte. Normalerweise nahm sie nur die Auren von Menschen wahr. Ihr wurde in diesem Moment zum ersten Mal wirklich bewusst, dass alles Sein ein ewiger Kreislauf war. Jede Lebensform bezog seine Energie aus dem allgegenwärtigen Lebensstrom, in den nach dem Tod eines Wesens – sei es Mensch, Tier oder Pflanze – alle Energie auch wieder zurückfloss. Der Lebensstrom war so etwas wie die Seele des Planeten, in ihm war alles Wissen, das je gesammelt worden war, vorhanden und für alle Zeit konserviert. Die Cetra waren, das verstand Aerith nun ebenfalls, die Wächter des Lebensstroms gewesen und waren deshalb von ihm mit besonderen Fähigkeiten ausgestattet worden. Als die letzte Überlebende des alten Volks einen Fuß auf die zum Eingang führende Treppe setzte, zuckte sie wie schon beim letzten Mal ein wenig zusammen. Die Atmosphäre rund um den Tempel war von dem leisen Flüstern zahlreicher Stimmen erfüllt. Doch wann immer Aerith zu lauschen versuchte, musste sie enttäuscht feststellen, dass sie kaum etwas verstand, weil sich die einzelnen Worte überlappten und die durcheinander redenden Stimmen ineinanderflossen. Immerhin hatte sie sich schon bei ihrem ersten Besuch zusammenreimen können, dass es sich bei den Stimmen um die körperlosen Geister der einstigen Tempelwächter handelte. Cloud trat mit einem entschlossenen Gesichtsausdruck neben Aerith, die noch immer versuchte, dem Flüstern um sie herum zu lauschen. Gerne hätte sie einen ihrer Freunde um die Hilfe eines zweiten Paars Ohren gebeten, doch es war offensichtlich, dass die Anderen die Stimmen nicht hören konnten. Mit einem prüfenden Seitenblick auf die wie entrückt wirkende Cetra fragte Cloud: „Wollen wir nachschauen, ob wir dieses Mal ins Tempelinnere kommen?“ Die Gruppe ließ sich nicht lange bitten und stieg rasch die letzten Stufen hinauf, doch schon in der kleinen Eingangshalle erlebte sie eine schockierende Überraschung. Tseng lang mit aschfahlem Gesicht in einer beängstigend großen Blutlache und presste sich die inzwischen vollkommen rot gefärbten Hände auf den Bauch. Sein langes, schwarzes Haar hing ihm in wirren Strähnen ins Gesicht und selbst die blendendweißen Zähne, die zwischen den blassen, vor Schmerz verzerrten Lippen hervorblitzten, waren blutbefleckt. „Tseng!“ Aerith stieß einen schrillen Schreckensschrei aus und stürzte zu dem schwerverletzten Turk, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, was die Anderen wohl angesichts ihrer offensichtlichen Sorge denken mochten. Sie vergaß sogar, dass sie schrecklich zornig auf Tseng war und sich von ihm hintergangen, im Stich gelassen und für dumm verkauft fühlte. In diesem Moment zählte für sie nur, dass er starkblutend am Boden lag und zumindest früher einmal ihr Freund gewesen war. Die Lider des womöglich tödlich Verwundeten flatterten und er richtete den umnebelt wirkenden Blick seiner trüben Augen auf Aerith, wobei er leise ihren Namen flüsterte. Obwohl er kaum hörbar gesprochen hatte, hatte er es trotzdem irgendwie bewerkstelligt, seiner Stimme einen erfreuten, glückseligen Klang zu verleihen. Dicke Tränen der Hilflosigkeit und Verzweiflung rannen Aerith über die Wangen, während sie Tsengs Kopf vorsichtig auf ihren Schoß bettete. Dass sie sich dabei ihr Kleid vollkommen ruinierte, war ihr völlig egal. Der Rest der Gruppe beobachtete mit Mienen, die zwischen Überraschung, Mitleid und Widerwillen schwankten, wie ihre Freundin dem Turk beinah zärtlich das Haar aus der Stirn strich und schluchzte: „Tseng, oh, Tseng… Wer hat dir das nur angetan?“ Ein dünnes Rinnsal Blut sickerte aus dem Mundwinkel des Verletzten, als er rasselnd hustete und antwortete: „Sephiroth…“ Bei der Erwähnung seines Widersachers spannte sich Clouds gesamter Körper und der Blonde kniete sich mit aufmerksam gespitzten Ohren neben den Verwundeten, der stockend fortfuhr: „Gerade als ich den Schlüsselstein auf den Altar legen wollte, ist er wie aus dem Nichts aufgetaucht und…“ Tseng brach hustend ab und niemand verlangte, dass er den Satz beendete. Jeder Einzelne konnte sich auch so schon gut vorstellen, was passiert war. Aerith hatte große Mühe, einen erneuten Schluchzer zu unterdrücken, als sie plötzlich das Bild vor Augen hatte wie Sephiroth dem arglosen Tseng sein überlanges Katana, welches das Markenzeichen des silberhaarigen Soldaten war, von hinten in den Unterleib gerammt hatte. Yuffie hingegen machte einen langen Hals und linste auf den Altar mit der Vertiefung für den Schlüsselstein und machte ein enttäuschtes Gesicht. „Wo ist denn der Stein?“ Sofort machte sich in der Gruppe die Sorge breit, Sephiroth könnte den Schlüssel auf Nimmerwiedersehen mitgenommen und seinen Verfolgern so für alle Zeit den Zutritt zum Tempelinneren verbaut haben. Doch Tseng verzog seine blutleeren Lippen zu einem listigen Grinsen und öffnete die Hände. Zum allgemeinen Erstaunen kam dabei der Schlüsselstein zum Vorschein. „Meine Kräfte haben mich leider zu schnell verlassen, sonst hätte ich ihn vielleicht aufhalten können.“ Obwohl Tseng so laut wie möglich sprach, gingen seine Worte beinah in dem Jubel der Gruppenmitglieder unter. Endlich konnten sie ins Innere des Tempels vordringen! Nur Aerith drückte dankbar seine Schulter, küsste ihn sachte auf die Stirn und murmelte: „Du hast es zumindest versucht und dein Bestes gegeben. Das ist alles, was zählt.“ Unterdessen nahm Cloud den blutbesudelten Schlüsselstein an sich und legte ihn in die passende Vertiefung. Sofort ertönte ein quietschendes Schleifen wie von rostigen Scharnieren, die nach langer Zeit zum ersten Mal wieder bewegt wurden. Nur kurz darauf öffnete sich wie von Geisterhand eine Tür und helles, blendendes Licht strömte in die Halle. Die Gruppenmitglieder versammelten sich im Lichtkegel und blickten zu Aerith herüber, die noch immer bei Tseng hockte und ihm beruhigend über die schweißbenetzte Stirn streichelte. „Möchtest du lieber hierbleiben?“ Tifa, die von der Freundschaft zwischen der Cetra und dem Turk wusste, lächelte der am Boden Knieenden sanft zu. Aerith biss sich auf die Unterlippe und seufzte auf. Sie war hin und her gerissen zwischen dem Wunsch, bei dem Verletzen zu bleiben, um ihm so gut wie möglich zu helfen, und der Sehnsucht, tiefer in das Cetra-Heiligtum vorzudringen. Die um sie herum unablässig wispernden Stimmen flüsterten ihr Verlockendes zu, doch ihr Gewissen hielt stur dagegen. „Geh ruhig.“ Tseng versuchte ein Lächeln, das ihm wegen der vor Schmerz ganz verspannten Lippen gründlich misslang. „Bist du dir sicher?“ Aerith strich ihm zärtlich über die Wange und machte ein zweifelndes Gesicht, bis er ihr versicherte: „Mach dir um mich keine Sorgen, ich bin zäh. Außerdem sind Reno und Rude längst informiert und auf dem Weg hierher. Ihr solltet euch also allmählich beeilen.“ Erleichtert und dankbar über die Warnung wollte Aerith aufstehen und sich ihren wartenden Freunden anschließen, doch Tseng hielt sie trotz der gebotenen Eile noch einmal zurück: „Es tut mir leid, dass ich dich geschlagen habe und auch dass ich dich mit deiner Sorge um Zack allein gelassen habe.“ Eine Schmerzwelle ließ das Gesicht des Turks krampfen, doch er zwang sich, fortzufahren: „Dabei hast du ein Recht zu erfahren, was damals passiert ist.“ Aeriths Herzschlag beschleunigte sich rasant und sie hielt gespannt den Atem an. Doch dann ließ sie auf einmal traurig den Kopf hängen und legte Tseng mit Tränen in den Augen einen ihrer langen, fragilen Zeigefinger auf die Lippen. Die Gesundheit ihres alten Freundes hatte Vorrang – egal, wie sehr Aerith sich danach sehnen mochte, endlich die Wahrheit zu erfahren – und es war wichtig, dass Tseng seine letzten Kraftreserven nicht durch Sprechen vergeudete. Also murmelte Aerith mit schwerem, schmerzendem Herzen: „Shht. Du überanstrengst dich nur. Die Geschehnisse von damals können warten.“ Dann hievte sie sich auf ihre auf einmal seltsam wackeligen Beine und stakste den Anderen hinterher ins Tempelinnere. Kapitel 10: Im Tempel des alten Volks ------------------------------------- Im Inneren des Tempels waren die flüsternden Stimmen um einiges lauter als noch in der Vorhalle. Aerith war jedoch von dem sich ihr bietenden Anblick viel zu fasziniert, um auf die gewisperten Worte zu achten. Mehrere Treppen führten von dem Podest, auf dem die Gruppe stand, herab und hinauf, wobei die Perspektive völlig verzehrt und verdreht wirkte. Der unebene Boden des Raums bestand aus unterschiedlich hohen Würfeln, die teilweise ineinander geschoben und miteinander verschachtelt waren. Während die Truppe ein wenig desorientiert durch die verwinkelten Gänge irrte, sah Aerith sich mit glänzenden Augen um. Alles hier wirkte auf sie merkwürdig vertraut so als hätte sie diesen Ort vor langer Zeit bereits einmal besucht. Vielleicht, überlegte sie, erinnerte die Umgebung sie aber auch nur an einen Traum, den sie mal gehabt hatte. „Jetzt rennen wir schon seit Stunden im Kreis!“ Barrett stampfte wütend auf und stieß ein genervtes Knurren aus. Cloud presste ebenfalls missbilligend die Lippen aufeinander und machte ein schlecht gelauntes Gesicht. Generell wirkten die einzelnen Gruppenmitglieder nach dem langen, fruchtlosen Marsch ausgelaugt und ermattet. Yuffie ließ sich an der Wand entlang auf den Boden rutschen und jammerte: „Meine Füße tun weh! Wo müssen wir denn überhaupt hin?!“ Aerith hingegen war völlig verzückt und hätte am liebsten jeden einzelnen der sich ihr bietenden Eindrücke aufgesaugt. Doch aus Mitleid mit ihren Freunden verzichtete sie darauf, sich an weiteren Kleinigkeiten zu erfreuen, und nickte in Richtung eines abzweigenden Gangs, wobei sie verkündete: „Ich glaube, es geht hier lang.“ Für einen Moment blickten die Anderen verwirrt drein, folgten der Cetra jedoch ohne zu zögern. Ihnen war längst klar, dass ihre Begleiterin Fähigkeiten hatte, die nur schwer verständlich waren. Nach mehreren Minuten schaffte Aerith es tatsächlich die Gruppe aus der großen, unübersichtlichen Halle in einen angrenzenden Raum zu führen, der sich wie ein schmaler Schlauch in die Länge zog. Auf den ersten Blick ließ sich nichts Besonderes erkennen, was die Überraschung der neun Abenteurer nur noch größer machte, als sie die sonderbare Quelle entdeckten, die in einer kleinen Nische versteckt sprudelte. Das plätschernde Wasser hatte eine mintgrüne Färbung und glitzerte wie ein Sternenmeer im Schein der Fackeln. Tifa kniete sich an den Rand und hauchte: „Wow, was immer das ist, es ist wunderschön.“ Mit großen Augen und einem ungläubigen Gesichtsausdruck hockte Aerith sich neben ihre Freundin und flüsterte verblüfft: „Der Lebensstrom!“ Überraschtes Schweigen machte sich innerhalb der Gruppe breit, während die Cetra wie hypnotisiert die Hand nach der niedrigen Fontäne ausstreckte. Kaum dass ihre Haut das erstaunlich warme Wasser berührt hatte, durchzuckte eine Vision ihr Bewusstsein. Wäre sie nicht vor Schreck wie paralysiert gewesen, wäre sie vermutlich mit einem spitzen Aufschrei zurückgeschreckt und auf den Hintern gefallen. So hielt sie jedoch still und nahm mit wild schlagendem Herzen die vor ihrem geistigen Auge vorbeiziehenden Bilder in sich auf. Sie sah Sephiroth wie er durch einen gewölbeartigen, länglichen Raum mit bedrohlich wirkender Wandmalerei schritt und vor sich hin murmelte. Aerith hörte keines seiner Worte, doch die flüsternden Stimmen der einstigen Tempelwächter sprachen direkt zu ihrem Herzen. Panisch nach Luft schnappend griff Aerith nach Tifas Hand und schluckte hart. Die andere Frau legte ihr den Arm die Schultern und fragte besorgt: „Was hast du?!“ Auch der Rest der Gruppe lehnte sich vor und blickte die aufgelöst wirkende Cetra abwartend an. Als diese schließlich antwortete, klang ihre Stimme bedrohlich dünn: „Ich weiß, was Sephiroth vorhat!“ Die Augen sämtlicher Gruppenmitglieder wirkten in den gespenstisch blassen Gesichtern unnatürlich groß und dunkel. Mühsam beherrscht atmete Cloud tief durch und stellte dann die Frage, die auch allen anderen auf der Seele brannte: „Was?“ Aerith war sich einen Moment lang nicht sicher, ob der Blonde nach Sephiroths Plänen gefragt oder um eine Wiederholung ihrer Worte gebeten hatte, doch dann antwortete sie schnell, wobei sich ihre Stimme gleich mehrfach überschlug: „Sephiroth sucht nach einem Weg zu absoluter Macht und will sich den Lebensstrom dienstbar machen, um Zugriff auf das dort gespeicherte Wissen zu haben.“ Red kräuselte ungläubig die Schnauze und wunderte sich: „Wie soll das denn möglich sein?“ „Wenn der Planet verletzt wird“, erklärte Aerith, wobei sie auf die Worte zurückgriff, die ihr zugeflüstert wurden, „schützt er sich, indem er an dieser Stelle den Lebensstrom an die Oberfläche treten lässt und die Verletzung so einschließt. Sephiroth hat vor, sich die schwarze Materia, die hier im Keller gelagert wird, anzueignen und mit diesem mächtigen Zauber einen Meteor zu beschwören, der den Planeten an einer Stelle so stark beschädigen soll, dass sich dort der gesamte Lebensstrom konzentriert.“ „Aber das könnte das Ende des Planeten sein!“ Tifa schluckte hart und krallte die Finger um den Saum ihres kurzen Rocks. Traurig nickend sah Aerith in ihre haselnussbraunen Augen und ließ die Schultern hängen. Die Furcht, die sie in der Iris ihrer Freundin las, hatte sich auch in ihrem eigenen Herzen eingenistet und drückte auf ihre Lungen. „Was machen wir jetzt?“ Nachdem für einige Augenblicke betretenes Schweigen geherrscht hatte, war es Vincent, der die Stille wieder durchbrach. „Am besten versuchen wir, die schwarze Materia in unseren Besitz zu bringen, bevor Sephiroth sie an sich reißen kann.“ Cloud machte einen überraschend entschlossenen Eindruck, versicherte sich jedoch noch einmal bei Aerith: „Oder ist sie ihm bereits in die Hände gefallen?“ Die junge Cetra, die noch immer einen Finger in den Lebensstrom hielt und über den auf sie einstürzenden, scheinbar wahllosen Wissenswirbelsturm staunte, schüttelte den Kopf und schickte sich an, zusammen mit den Anderen einen Weg hinab in den Keller zu suchen. Warum sie ihren Freunden verschwieg, dass die Stimmen der Tempelwächter ihr einen weiteren Weg, Sephiroth aufzuhalten, genannt hatten, wusste sie selbst nicht. Der Keller war von unzähligen Fackeln in ein goldenes Licht getaucht, das der allgegenwärtigen Wandmalerei ein leicht vergilbtes Aussehen verlieh. Die vermutlich von Cetra-Hand gestalteten Bilder erzählten die Geschichte eines über zweitausend Jahre zurückliegenden Meteorabsturzes. Damals war ein riesiger Gesteinsbrocken im heutigen Nebelkrater aufgeschlagen und hatte den Planeten schwer getroffen. Was langfristig gesehen jedoch wesentlich schlimmer war, war die Tatsache, dass zusammen mit dem Meteor auch Jenova aufgetaucht war. Nur so hatten Shinras Wissenschaftler den versteinerten Alienfrauenkörper, dessen Bewusstsein noch immer am Leben war, finden, ihn fälschlicherweise für die Überreste einer Cetra halten und Sephiroth erschaffen können. Dieser war, seit ihm seine Abstammung offenbart worden war, vollkommen übergeschnappt und sah sich dazu berufen, über den Planeten zu herrschen. Während die Gruppe langsam durch die Katakomben des Tempels schritt, beobachtete Aerith angespannt wie Cloud wieder einmal von der merkwürdigen Anomalie seiner Aura heimgesucht wurde. Dieses Mal erschien ihr das Zucken um einiges stärker zu sein als üblich und die Energieströme formten immer wieder das hämisch grinsende Frauengesicht, das Aerith bereits in der Shinra-Villa gesehen hatte. Cloud selbst wirkte vollkommen weggetreten und folgte dem Rest der Truppe wie an Fäden geführt. Die Cetra war von diesem Schauspiel so sehr abgelenkt, dass sie das seltsame, aus glänzendem, schwarzem Stein bestehende Gebilde erst entdeckte, als Barrett sich lautstark darüber wunderte. Das merkwürdige Ding schien zu schweben und seine Oberfläche schimmerte sanft im Fackelschein. Unter dem Sockel war eine Plakette angebracht, doch die Schriftzeichen darauf sahen fremd und unbekannt aus. Entsprechend groß war die Überraschung, als Aerith mit ehrfürchtiger Stimme vorlas: „Schlüssel zur schwarzen Materia.“ Etwa einen Herzschlag lang sahen alle voller Erstaunen zu Aerith herüber, die mal wieder mit ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten verblüfft hatte. Doch dann streckte Cloud mit einem schmalen Siegerlächeln auf den Lippen eine Hand nach dem Schlüssel aus, was er augenblicklich bereute. Sobald er die Oberfläche das pyramidenförmigen Dings, das aussah wie eine Miniatur des Tempels, berührt hatte, schüttelte ein heftiges Beben die Gruppe durch. Zunächst glaubten alle an einen sonderbaren Zufall, doch als dieses Phänomen auch bei den nächsten Versuchen auftrat, sahen sich die neun Abenteurer irritiert um. Es war Yuffie, die eine weitere Schriftplatte entdeckte, die Aerith sogleich durchlas und für die Gruppe zusammenfasste: „Die schwarze Materia ist erstaunlich gut gesichert. Um an sie heran zu kommen, muss man die kleinen Rätsel in den Räumen dieser Miniatur lösen. Dadurch schrumpft der Tempel jedoch immer weiter zusammen, da er in Wirklichkeit die schwarze Materia ist.“ Verwirrt schüttelte Red den Kopf und fragte: „Also muss man hier drinnen die Rätsel des Modells lösen, wird dann aber von dem sich komprimierenden Tempel zerquetscht?“ Aerith nickte und biss sich auf die Unterlippe. Warum nur weigerte sich etwas in ihr von der Alternativlösung zu erzählen? „Aber das ist doch prima!“, rief Barrett. „Wenn das so ist, kommt Sephiroth doch auch niemals an die schwarze Materia.“ Cloud jedoch machte ein knurrendes Geräusch und murmelte pessimistisch: „Du kennst Sephiroth nicht. Er ist unglaublich listig und wenn er etwas will, dann bekommt er es auch. Glaub mir.“ Erneut senkte sich Schweigen über die Gruppe, während die einzelnen Mitglieder betreten auf die Tempelminiatur blickten. Sie steckten in einem echten Dilemma. Niemand kam an die schwarze Materia heran, ohne von dem Tempel erdrückt zu werden. Das mächtige Relikt auf gut Glück zurückzulassen und zu hoffen, dass Sephiroth ebenfalls keine Lösung einfiel, war jedoch viel zu riskant. Was sollten sie nur tun?! Kapitel 11: Opfer und Marionette -------------------------------- Gerade als Aerith den Kampf gegen sich selbst gewonnen und sich dazu entschlossen hatte, den Anderen von der zweiten Möglichkeit, Sephiroth aufzuhalten, zu erzählen, ertönte hinter ihr eine etwas zaghafte Stimme: „Ich könnte helfen.“ Aus den Augenwinkeln sah die Cetra, dass der Rest der Gruppe ebenso heftig zusammenzuckte wie sie selbst – dabei war ihnen der Stimmenbesitzer wohlbekannt. Doch da Cait Sith seit seiner Enttarnung nicht mehr von sich aus das Wort ergriffen hatte, war die Truppe nun mehr als überrascht, etwas von der Katzenpuppe zu hören. Cloud verschränkte die Arme und sah Cait Sith eindringlich an: „Und wie willst du das machen?“ Die Marionette blickte auf den Boden und Aerith hätte schwören können, dass in ihren Glasaugen ein trauriger Ausdruck gestanden hatte. Physikalisch war dies natürlich unmöglich, doch alles an der Puppe wirkte durch die Art und Weise wie sie sprach plötzlich resigniert und melancholisch. „Denk doch mal nach“, hob Cait Sith nach einem kurzen Moment an, Clouds Frage zu beantworten, „ich bin nichts anderes als eine Puppe. Mein richtiger Körper befindet sich wohlbehalten in Midgar. Es macht mir also nichts aus, wenn diese Marionette vom Tempel zerquetscht wird. Geht ihr alle ruhig nach draußen, wo es sicher ist, und lasst mich meine Schuld euch gegenüber gutmachen, indem ich für euch das Rätsel der schwarzen Materia löse.“ Entsetzen und Fassungslosigkeit machte sich in Aerith breit, während sie ihrem plüschigen Begleiter lauschte, und sie stieß entschlossen aus: „Nein! Das lasse ich nicht zu!“ Trotz seines Verrats hatte sie Cait Sith im Verlauf der Reise lieb gewonnen und glaubte fest an sein gutes Herz. Dass er sich für die Gruppe opfern und sie für immer verlassen sollte, war für sie vollkommen undenkbar. Doch die Katzenpuppe hielt ebenso entschlossen dagegen: „Ich möchte es aber tun. Bitte, lasst mir diese Chance, euch meine Aufrichtigkeit zu beweisen.“ Als er Aeriths erschütterte und zutiefst betroffene Miene sah, fügte er jedoch mit warmer Stimme noch hinzu: „Ich weiß, dass ich dir nichts beweisen muss und du auch so immer an mich geglaubt hast. Dafür bin ich dir auch unendlich dankbar, meine liebe Aerith, aber ich möchte euch dieses eine Mal eine Hilfe sein. Vertrau mir, mir wird nichts geschehen. Diese alte Puppe hier“, er klopfte sich selbst mit der Faust gegen die Brust, „habe ich schneller ersetzt als du dir vorstellen kannst und dann bin ich wieder bei dir.“ Aerith nickte dumpf, obwohl sie noch immer nicht überzeugt war, und wandte ihre Aufmerksamkeit Cloud zu, der grübelnd mit den Kiefern mahlte und Cait Sith mit einem erschreckend leeren Blick fixierte. Als er endlich sein Urteil fällte, hielt die junge Cetra vor Spannung den Atem an. „Also gut“, begann der der Anführer mit unbewegter Stimme, „wenn es dein Wunsch ist, überlassen wir die Rätsel dir. Ich persönlich traue dir noch immer nicht über den Weg, aber Aerith glaubt an dich und sie hat intuitive Fähigkeiten, die ich nicht mal ansatzweise verstehe. Deswegen richte ich mich in diesem Fall nach ihrer Beurteilung.“ Nachdem das weitere Vorgehen nun beschlossen worden war, machte sich die Gruppe bereit, den Tempel wieder zu verlassen. Mit Tränen der Rührung in den Augen bemerkte Aerith, dass Red und Tifa offenbar ebenfalls Schwierigkeiten damit hatten, Cait Sith zurückzulassen. Der rote Tiger stupste die Katzenpuppe sachte mit der Schnauze an und machte ein zerknirschtes, trauriges Gesicht, bevor er langsam, ja direkt widerwillig aus dem Raum trottete. Tifa ihrerseits umarmte die Marionette lange und schniefte leise, als sie sich schließlich wieder aufrichtete. Der Abschied der männlichen Gruppenmitglieder hingegen fiel ungleich kälter aus. Cid knuffte Cait Sith mit der Faust leicht gegen die Schulter, Barrett reichte der Puppe kurz die Hand und Vincent bedachte sie mit einem intensiven Blick, bevor er ihr als Zeichen der Anerkennung zunickte. Nur Cloud schien gar nicht Lebewohl sagen zu wollen und stellte sich stattdessen wie unbeteiligt neben Tifa, die an der Tür auf Aerith wartete. Diese umarmte Cait Sith ebenfalls und flüsterte: „Du wirst mir fehlen.“ „Ich bin doch bald wieder da, glaub mir“, versicherte dieser. Doch die Cetra insistierte: „Ich weiß. Ich werde dich trotzdem vermissen – auch wenn’s nur für kurze Zeit ist.“ Durch Aeriths offen gezeigten Gefühle in Verlegenheit gebracht versuchte die Katzenpuppe die Stimmung ein wenig aufzulockern, indem sie anbot: „Hey, wie wär’s, wenn ich dir ein letztes Mal die Zukunft voraussage?“ Die junge Frau nickte sogleich begeistert und der Schalk blitzte in ihren Augen auf, als sie mit einem verschmitzten Seitenblick auf Tifa antwortete: „Au ja! Sag mir, wie die Sterne für Cloud und mich stehen!“ Der unterkühlte Exsoldat blinzelte bei diesen Worten irritiert, während seine Freundin tief einatmete und sichtlich Mühe hatte, sich nicht provozieren zu lassen. Cait Sith betätigte unterdessen seine ulkig aussehende Maschine und zog einen langen, beschriebenen Papierstreifen aus ihrem Maul. Gespannt beugte Aerith sich vor und versuchte, der Katzenpuppe über die Schulter zu schauen. Doch diese zerknüllte das Papier geradezu panisch und wirkte auf einmal fahrig und nervös. Als Cait Sith sich wieder zu der jungen Frau hinter ihm umdrehte, bemühte er sich merklich um einen heiter klingenden Ton und verkündete: „Ganz wunderbar! Es sieht aus als wärt ihr das perfekte Traumpaar. Ihr werdet lange, glückliche Jahre miteinander verbringen!“ Tifa rauschte bei diesen Worten wütend aus dem Raum, doch Aerith spürte deutlich, dass Cait Sith log. Was auch immer in Wahrheit auf dem Zettel gestanden haben mochte, es hatte die Katzenpuppe geschockt und verängstigt. Dennoch klatschte die Cetra begeistert in die Hände und warf Cloud einen koketten Blick zu, den dieser jedoch gar nicht beachtete. Dann hauchte Aerith der Marionette einen Kuss auf die Nase und beeilte sich, mit Cloud schrittzuhalten, der eilig Tifa hinterher hastete. Den ganzen Weg nach draußen bemühte Cloud sich, seine aufgebrachte Freundin zu beruhigen, doch sie ließ ihn jedes Mal wieder auflaufen, indem sie verkündete, sie interessiere sich nicht für irgendwelche Weissagungen, da das alles ehr nur ein billiger Taschenspielertrick sei, bei dem der Kunde nur das zu hören bekomme, was er hören wolle. Doch trotz all ihrer Beteuerungen wirkte Tifa auch dann noch verärgert, als die Gruppe auf einem kleinen Hügel in der Nähe des Tempels Stellung bezog. Cloud, der sichtlich genervt und frustriert war, gab Cait Sith per Mobiltelefon das vereinbarte Zeichen und nur kurze Zeit später begann die Erde erneut zu beben und der Tempel zog sich immer mehr in sich zusammen. Aerith, die an den armen Cait Sith im Inneren denken musste, biss sich auf die Unterlippe und wandte sich ab. Das laute Knirschen und Knacken zu hören war schlimm genug, sie musste nicht auch noch sehen wie das riesige Gebäude sich zu einer etwa faustgroßen, schwarzen Kugel komprimierte und dabei die Katzenpuppe in seinem Keller langsam aber sicher zerquetschte. „Du kannst wieder hinsehen. Er hat es geschafft.“ Es war Vincents ruhige, wohlklingende Stimme, die sich in Aeriths Bewusstsein stahl, obwohl die junge Frau sich die Hände auf die Ohren gepresst hatte, um möglichst wenig von den schauerlichen Geräuschen des zusammenschrumpfenden Tempels zu hören. Als die aufgelöste Cetra in das leichenblasse Gesicht des sonderbaren Mannes blickte, huschte ein kleines Lächeln über seine Lippen und sie nickte ihm dankbar zu. Obwohl Vincent oftmals so wirkte als empfände er selbst absolut gar nichts, schien er dennoch Verständnis für die Emotionen anderer zu haben. Sich langsam um die eigene Achse drehend wandte Aerith sich wieder um und staunte nicht schlecht. Dort, wo noch vor wenigen Minuten der Tempel des alten Volks gestanden hatte, klaffte nun ein riesiges, perfekt viereckiges Loch im Boden. Der Rest der Gruppe hatte sich bereits an dessen Rand versammelt und blickte in die Tiefe. Als Aerith zu ihnen aufschloss, begann Cloud gerade seinen Abstieg zum Grund des Kraters. Mit einem stechenden Schmerz im Herzen betrachtete die junge Frau die kleine, matt schimmernde Kugel, die in der Mitte des Lochs lag und Cait Sith in sich erdrückt hatte. Obwohl Aertih wusste, dass Reeve Tuesti, der ja in Wirklichkeit hinter der Katzenpuppe steckte, wohlauf war, fühlte sich das Wissen über das Innere der Materia seltsam an. Cloud hielt mit langen Schritten auf das wertvolle Relikt zu und reckte dann die Faust mit der aufgehobenen Kugel triumphierend in die Höhe, was seine Begleiter in begeisterten Beifall verfallen ließ. Doch nur Sekunden später blieben die Jubelrufe allen im Halse stecken, als Sephiroth sich wie aus dem Nichts hinter Cloud materialisierte. Tifa schnappte erschrocken nach Luft und Cid fluchte so bildgewaltig wie nie zuvor, während Aerith mit wachsender Sorge beobachtete wie die Aura des Blonden erneut heftig zu zucken begann und wieder das entstellte Frauengesicht zeigte. Red rannte knurrend am Rand des Lochs auf und ab und suchte eine Stelle, an der er unverletzt in die Tiefe springen konnte, während der Rest der Gruppe paralysiert zu sein schien. Unterdessen winkte Sephiroth Cloud zu sich heran und befahl: „Gib mir die schwarze Materia.“ Obwohl der silberhaarige Mann nicht laut gesprochen hatte, hallte seine ruhige Stimme bis zu den Anderen hinauf. Cloud schüttelte vehement den Kopf und schien nach seinem Schwert greifen zu wollen, doch dann leuchtete plötzlich seine Aura auf, wobei das Frauengesicht seine Lippen zu einem hinterlistigen Grinsen verzog, und er machte einen Schritt auf den überlegen lächelnden Sephiroth zu. Aerith hielt gespannt den Atem an und dachte, dass die Bewegungen des Blonden steif und ungelenk waren so wie bei einer schlecht bedienten Marionette. Zum Entsetzen aller stolperte Cloud weiter auf Sephiroth zu, der bereits mit einem triumphierenden Leuchten in den Augen eine Hand ausstreckte. „Cloud, nein!“ Vincent erwachte endlich aus seiner Schockstarre und sprang ohne weiter zu zögern in die Tiefe, wobei er aussah als könne er fliegen. Obwohl der ehemalige Turk sich mit einer beeindruckenden, schier übermenschlichen Schnelligkeit bewegte, kam er zu spät. Cloud, der noch immer vollkommen weggetreten zu sein schien und sich wie an Fäden bewegte, hatte Sephiroth bereits erreicht und dem vollkommen wahnsinnigen Mann die schwarze Materia überreicht. Dieser lachte laut auf und bedankte sich höhnisch: „Das hast du gut gemacht. Du bist eine brave Marionette.“ Dann schnipste er einmal mit den Fingern der linken Hand und Cloud brach besinnungslos in sich zusammen als wäre er tatsächlich nur eine Holzpuppe, deren Fäden durchtrennt worden waren. Sephiroth, der den herbeieilenden Vincent mit einem amüsierten Blick bedachte, machte plötzlich einen Satz nach hinten und sprang aus dem Stand aus dem tiefen Loch heraus, was Aerith überrascht blinzeln und ihr einen eiskalten Schauer über den Rücken laufen ließ. Der Silberhaarige war um einiges mächtiger und seine Fähigkeiten beeindruckender als sie es sich vorgestellt hatte. In der Luft schwebend wandte der bedrohliche Mann sich zu der Gruppe um und ließ die schwarze Materia von einer Hand in die andere rollen so als wolle er seine Gegner provozieren und demütigen. Dann lachte er erneut auf und verschwand genauso plötzlich wie er erschienen war. Vincent, der inzwischen neben dem bewusstlosen Cloud stand, stampfte wütend mit dem Fuß auf und bedachte den am Boden Liegenden mit einem zornigen Blick, bevor er ihn sich mit einer erstaunlich mühelos wirkenden Bewegung über die Schulter warf und sich anschickte wieder aus dem Loch zu klettern. Da in diesem Moment jedoch eine neue Cait-Sith-Puppe mit einem Hubschrauber eingeflogen wurde, blieb Vincent diese Kraftprobe glücklicherweise erspart, da die beiden Männer per Helikopter geborgen werden konnten. Während Cloud, Tifa, Vincent und Cait Sith mit dem Hubschrauber nach Gongaga, das als Treffpunkt und Lager ausgemacht worden war, flogen, machte sich der Rest der Gruppe mit „Tiny Bronco“ auf den Rückweg. Die ganze Rückreise lang sprach niemand ein einziges Wort – der Schock über das Geschehene saß einfach zu tief. Ausgerechnet durch Cloud war Sephiroth in Besitz der schwarzen Materia gelangt! Dabei hatte die Gruppe doch so hart darum gekämpft, dass genau das niemals passierte! War jetzt alles aus? Während die Anderen missmutige und hoffnungslose Gesichter machten, arbeitete Aerith stumm und allein für sich an einem Plan, Sephiroth doch noch aufzuhalten. Sie wusste, dass sie die Einzige war, die jetzt noch etwas tun konnte… Kapitel 12: Offenbarung ----------------------- Aerith war auch dann noch mit der Ausarbeitung ihres Plans beschäftigt, als sich schon lange tiefe Nacht über Gongaga herabgesenkt hatte. Sie saß am Dorfrand im ausgedorrten Gras, betrachtete mit Faszination und ängstlich krampfendem Herzen das beeindruckend funkelnde Sternenfirmament und überlegte, wie sie nun weiter vorgehen wollte. Ob sie jemanden einweihen sollte? Doch wen? Gerne hätte sie Cloud oder Tifa von ihrem Plan erzählt, doch das war momentan undenkbar. Abgesehen davon, dass der Blonde noch immer völlig weggetreten war, war ihm nicht zu trauen. Aerith war sich bewusst, dass er die schwarze Materia nicht aus freien Stücken an Sephiroth gegeben hatte. Doch wer konnte schon erahnen, wann Cloud erneut in den Bann dieses Wahnsinnigen gelangen würde? Auch wenn die Cetra nicht wusste, wie die Verbindung zwischen den beiden Männern aussah und wie Sephiroth sein Opfer nahezu perfekt manipulieren konnte, war sie sich sicher, dass Cloud nicht zufällig derjenige gewesen war, der die schwarze Materia weitergegeben hatte. Dem angeschlagenen Gruppenführer von ihren Plänen zu erzählen, wäre also viel zu riskant gewesen und Tifa hätte ihren Freund niemals zurückgelassen. Doch wem sollte sie sich dann anvertrauen? Red? Aerith war vollkommen von ihren Gedanken absorbiert, sodass sie die herannahenden Schritte erst bemerkte, als die Person neben ihr zum Stehen kam. Ein wenig erschrocken sah die Cetra zu ihrem Besuch auf und stellte erleichtert fest, dass s nur Tifa war, die sich neben sie in den Dreck setzte. Die junge Frau sah abgespannt und entkräftet aus, was Aerith sogleich dazu veranlasste, ihr einen Arm umzulegen. „Wie geht es ihm?“, erkundigte die besorgte Cetra sich nach Clouds Zustand. Tifa schüttelte traurig den Kopf und antwortete: „Noch immer nicht besser. Bisher hat er noch kein einziges Mal das Bewusstsein wiedererlangt. Er wirft sich nur von Albträumen geplagt auf dem Bett hin und her und wimmert Unzusammenhängendes wie ‚Was hast du nur getan, Sephiroth‘, ‚Lasst mich raus‘ oder ‚Zack, nein, lass mich nicht allein‘.“ Die Erwähnung dieses Namens wirkte auf Aerith wie ein Stromstoß und ihr Körper spannte sich augenblicklich an, was Tifa irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ. Als sie den fragenden Blick ihrer Freundin sah, erklärte die Cetra mit schmerzendem Herzen: „Mein erster Freund Zack war ebenfalls ein Soldat ersten Ranges in Shinras Korps. Er ist jedoch vor inzwischen fünf Jahren spurlos verschwunden. Erinnerst du dich? Bei unserem letzten Besuch hier haben wir seine Eltern kennen gelernt.“ Erkenntnis erhellte Tifas Gesicht und sie stellte fest: „Deswegen bist du plötzlich davongelaufen!“ „Ja. Mich verwirrt allerdings sehr, dass Cloud Zacks Namen ruft… Er hat bisher doch immer behauptet, er kenne niemanden, der so heißt. Aber naja, vermutlich meint er einen anderen Zack und ich reagiere über.“ Eine Weile saßen die beiden Frauen schweigend nebeneinander und hingen ihren eigenen trüben Gedanken nach. Aerith, die mit ihren Erinnerungen kämpfte, glaubte, Tifa sei geistig mit ihrer Sorge um Cloud beschäftigt, doch als die Bardame schließlich die Stille durchbrach, kamen gänzlich andere Worte aus ihrem Mund: „Dein Zack war nicht zufällig ziemlich groß, hatte eine auffällige Narbe am Kinn, sowie langes, zurückgekämmtes, aber dennoch leicht strubbeliges, schwarzes Haar und hieß mit Nachnamen Fair?“ Wie vom Donner gerührt starrte Aerith ihre Freundin an, die mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf ihre im Schoß gefalteten Hände sah. „Doch! Genau so sah er aus!“ Die völlig verblüffte Cetra war von der Situation so überwältigt, dass es sie dieses Mal gar nicht störte, dass ihre Stimme zitterte und sich gleich mehrfach überschlug. „Du kennst ihn?!“ Am liebsten hätte sie Tifa geschüttelt, damit diese endlich alles erzählte, was sie wusste. Die sensible Bardame knibbelte an einem Hautfetzen ihres rechten Daumens und holte tief Luft so als kämen ihr die folgenden Worte nur schwer über die Lippen: „Ja. Ich habe ihn vor ungefähr fünf Jahren kennen gelernt. Er – nicht Cloud – war es, der damals mit Sephiroth nach Nibelheim kam, um nach der Fehlfunktion im Reaktor zu sehen.“ Aerith ließ langsam den angehaltenen Atem aus ihren Lungen entweichen und nahm ihren Arm von Tifas Schultern. Obwohl sie gerade erfahren hatte, dass sie von Cloud und seiner Freundin belogen worden war, fiel ihr ein großer Stein vom Herzen: Zack hatte sie nicht hintergangen. Er war tatsächlich auf einer Mission in Nibelheim gewesen, so wie er es gesagt hatte! Vor Erleichterung, die durch ihren Geist schwappte, hätte sie beinah nicht mitbekommen wie Tifa schnell weitersprach: „Ich weiß nicht, warum Cloud behauptet, er sei damals dabei gewesen. Ich habe ihn in seiner aktiven Soldatenzeit nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen.“ Mit einem entschuldigenden Seitenblick auf Aerith fügte sie an: „Es tut mir so leid, dass ich bislang nie gesagt habe, dass die Ereignisse damals in Nibelheim anders waren als Cloud sie erzählt. Ich wusste nicht, dass es dir viel bedeutet hätte, wenn ich mein Schweigen gebrochen hätte. Ich hab einfach immer gehofft, Cloud würde mir die Wahrheit irgendwann von sich aus sagen oder ich würde selbst hinter dieses Rätsel kommen – denn obwohl er nicht dabei war, kennt er Einzelheiten, die eigentlich nur Zeugen des Nibelheim-Feuers kennen können. Ich war neugierig und hatte Angst, Cloud könnte uns verlassen, wenn ich ihn bloßstelle.“ Sie ließ den Kopf hängen und wiederholte unter Tränen: „Es tut mir leid. So leid!“ Aerith strich ihr beruhigend übers Haar und murmelte: „Ist schon okay. Man macht eine Menge blödes Zeug, wenn man verliebt ist.“ Tifa sah überrascht wieder auf und bekam große Augen, als sie bemerkte, dass ihre Freundin trotz allem lächelte. „Aber du könntest mir einen Gefallen tun“, überlegte die Cetra laut, bevor die Bardame ihre Verwirrung formulieren konnte. „Was immer du willst.“ „Erzähl mir alles, was du weißt. Von Anfang an.“ Tifa nickte und begann ein wenig stockend zu erzählen: „Wir waren fast noch Kinder, als Cloud plötzlich beschloss, er wolle Nibelheim verlassen und nach Midgar gehen, um dort in Shinras Soldatenkorps einzutreten. Seit dem Tag seines Auszugs habe ich sämtliche Zeitungen durchforstet, immer in der Hoffnung etwas über ihn und seine Heldentaten zu lesen. Doch der Einzige, über den immerzu berichtet wurde, war Sephiroth. So gingen die Jahre ins Land, bis es schließlich hieß, Shinra schicke Soldaten zu uns, damit sie sich um den defekten Reaktor kümmern. Ich war so aufgeregt! Ich war mir sicher, dass Cloud sich diese Gelegenheit, seinen Kindheitsfreunden zu zeigen, was aus ihm geworden war, nicht entgehen lassen würde. Ich wartete den ganzen Tag an den Stadttoren, doch als der Transporter der Soldaten endlich ankam, war meine Enttäuschung groß, denn es stiegen nur zwei Infanteristen, sowie Sephiroth und Zack aus. Von Cloud war weit und breit nichts zu sehen. Doch so leicht gebe ich nicht auf – du kennst mich. Also bot ich mich den beiden Soldaten als ortskundige Führerin an und begleitete die kleine Gruppe hoch auf Mount Nibel zum Reaktor. Auf dem Weg dorthin fragte ich Zack, der im Gegensatz zu Sephiroth offen und herzlich wirkte, nach Cloud aus, womit ich ihn ziemlich zum Lachen brachte… Seine Antworten waren jedoch wenig befriedigend. Er sagte nur immer wieder, ich solle meinen Blick nicht zu sehr auf Shinras Soldaten beschränken. Ich weiß bis heute nicht, was er mir damit sagen wollte… Nach dem Besuch im Reaktor war Sephiroth auf einmal sehr verändert. Ich weiß nicht, was dort damals passiert ist, jedenfalls zog sich Sephiroth danach in die Shinra-Villa zurück und schottete sich gänzlich von der Außenwelt ab. Zack hat ihn in dieser Zeit sehr viel besucht, konnte jedoch auch nichts ausrichten. Ich erinnere mich daran, dass er einmal darüber gemurrt hat, dass sein Mobiltelefon in unserem Kaff kaum Empfang habe, weswegen er seine Freundin – damit warst dann wohl du gemeint – nicht anrufen und um Rat fragen könne.“ Aerith fiel ein weiterer Stein vom Herzen, als sie den Grund dafür erfuhr, weshalb Zack von Nibelheim aus nie angerufen hatte. Sie erinnerte sich gut daran, dass sie unzählige Versuche gebraucht hatte, bis die Leitung für ihr letztes Telefonat endlich gestanden hatte. Ungeduldig wie Zack gewesen war, hatte er vermutlich nie mit genügend Ausdauer versucht, zu ihr durchzukommen. „Doch dann kam der Tag, an dem Sephiroth völlig durchdrehte“, fuhr Tifa fort. „Er erschien plötzlich wie ein böser Geist in den Straßen, zündete die Häuser an und ermordete wahllos Passanten. Ich habe gesehen, wie er sogar einen Infanteristen, der Clouds Mutter aus ihrem brennenden Haus retten wollte, niedergeschlagen hat. Anschließend verschwand er in Richtung des Reaktors. Ich bin ihm hinterhergehetzt, da ich wusste, dass mein Vater noch im Reaktor bei der Arbeit war. Ich hatte gehofft, Papa noch rechtzeitig warnen zu können, aber ich kam selbstverständlich zu spät… In meiner bodenlosen Wut habe ich mich blindlings auf Sephiroth gestürzt, doch ich war natürlich Herausforderung für ihn.“ Die junge Frau zog den Ausschnitt ihres Shirts ein wenig herunter und präsentierte Aerith den Ansatz einer erschreckend langen Narbe, die sich über Tifas gesamten Brustkorb zog. „Mit nur einem Schwertstreich hatte er mich außer Gefecht gesetzt und wandte sich wieder seinem Ziel zu: die im Reaktor gelagerten Überreste Jenovas. Er hatte kaum die Tür passiert, da tauchte auch schon Zack auf, der mich schnell grob verarztete, bevor er Sephiroth gefolgt ist. Ich erinnere mich daran, dass ich die Beiden zunächst lautstark streiten und dann miteinander kämpfen gehört habe. Jedoch weiß ich nicht, wie diese Auseinandersetzung geendet ist, da ich irgendwann das Bewusstsein verloren habe. Als ich wieder zu mir kam, war ich weit weg von Nibelheim, da mein ehemaliger Kampfsportlehrer mich aus dem Reaktor gerettet und aus der Stadt gebracht hatte. Nur kurz darauf hörte ich das erste Mal von Avalanche und beschloss, nach Midgar zu gehen und mich den Rebellen anzuschließen. Nach dem, was Sephiroth in Nibelheim angerichtet hat, hasse ich Shinra und alles, was damit zu tun hat, abgrundtief! Von Zack habe ich jedoch seit der Nacht des großen Brands nie wieder etwas gehört oder gar gesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Deswegen hat es mich auch so getroffen, als ich erfahren habe, dass auch seine Eltern nichts mehr von ihm gehört haben. Aber ich wünsche mir noch immer, dass es ihm gut geht. Er ist ein anständiger, guter Mensch.“ „Du glaubst, dass er noch lebt?“ Die unterschiedlichsten Emotionen wirbelten durch Aeriths Geist und ließen ihre Stimmen matt klingen. Auf der einen Seite war sie unglaublich stolz auf Zack, weil er den Mut besessen hatte, sich dem Liebling der ShinraInc entgegenzustellen. Auf der anderen Seite hätte sie ihn für so viel Blödheit am liebsten geohrfeigt. Sephiroth war unglaublich mächtig und stark. Alleine gegen ihn zu kämpfen grenzte an Idiotie. Doch vor allem war Aerith froh und erleichtert, weil sie endlich zumindest eine Idee hatte, was ihrem Freund zugestoßen war. „Ich weiß es nicht“, räumte Tifa ein, „aber ich hoffe es sehr.“ Ob Zack sich wohl versteckt hielt, weil er Sephiroths und Shinras Rache fürchtete? Es war eine mögliche Erklärung, befand Aerith, doch sie konnte dennoch nicht von ganzem Herzen daran glauben. War es nicht wesentlich wahrscheinlicher, dass Sephiroth Zack erschlagen hatte? Aber warum hatte sie seinen Tod dann erst vor kurzem gespürt? Die Gedanken in Aeriths Kopf kreisten wie ein trudelndes Karussell. Um sich davon abzulenken, fragte sie: „Und wann hast du Cloud wiedergetroffen?“ „Das war erst vor wenigen Monaten“, erklärte Tifa. „Ich habe ihn zufällig am Bahnhof in Midgar getroffen, wo er im Regen saß und einen schrecklich verwirrten Eindruck gemacht hat. Er schien gar nicht mehr richtig er selbst zu sein. Ereignisse aus unserer Kindheit hatte er vergessen, dafür wusste er Einzelheiten über den Nibelheim-Vorfall, die mich überraschten. Ich habe anschließend Barrett angefleht, Cloud trotz seines Zustands bei Avanlanche aufzunehmen. Ich hatte Angst, ihn wieder aus den Augen zu lassen… Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto normaler wurde er wieder. Ich habe wirklich geglaubt, ich könnte ihn heilen… Ich bin so naiv und dumm!“ Tifa schniefte laut und schlug sich die Hände vors Gesicht. „Ich bin schuld daran, dass Sephiroth die schwarze Materia bekommen hat. Wenn ich doch nur früher etwas gesagt hätte…“ „Shht!“ Aerith zog ihre völlig aufgelöste Freundin wieder in ihren Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Wenn du es so sehen willst, trifft mich genauso viel Schuld. Ich habe schon vor einiger Zeit bemerkt, dass etwas mit Cloud nicht stimmt. Doch niemand konnte ahnen, dass so etwas passieren würde. Als gräm dich nicht.“ Überrascht hob Tifa den Kopf und sah ihre Freundin aus rotgeränderten Augen an. „Du bist mir überhaupt nicht böse?“ „Nein. Kein Stück.“ Aerith lächelte warm, um zu zeigen, dass sie jedes Wort von Herzen ernst meinte. Dann schwang sie sich auf die Füße, zog Tifa ebenfalls hoch und schubste sie sanft in Richtung Dorf. „Geh. Cloud braucht dich jetzt. Ich werde noch ein wenig hierbleiben und die Sterne genießen.“ Für einen Moment zögerte Tifa, doch dann nickte sie und verfiel in einen lockeren Lauf. Während Aerith ihrer Freundin hinterher sah, beschloss sie, dass sie noch in dieser Nacht alleine aufbrechen würde. Der Rest der Gruppe würde genug damit zu tun haben, sich neu zu sortieren und die Wahrheit über Cloud, die nun unweigerlich ans Licht kommen würde, zu verdauen. Außerdem konnte sowieso nur ein Angehöriger des alten Volks Sephiroth noch aufhalten! Mit langen, sicheren Schritten verließ Aerith im Schutz der Dunkelheit das Dorf, ohne sich von ihren Freunden zu verabschieden. Kapitel 13: Heilig ------------------ Aerith hatte großes Glück, dass sie bereits nach kurzem Marsch auf einen reisenden Händler traf, der sie in seinem Wagen mit nach Costa del Sol nahm. Dort konnte sie glücklicherweise nach einigem Suchen ein Schiff finden, auf dem sie zum nördlichsten Kontinent mitreisen konnte. Vermutlich, so dachte sie, war es Schicksal, dass eine Gruppe Archäologen ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt mit ihren Grabungen in der Nähe des „schlafenden Waldes“ beginnen wollte. Während sie auf die gegen die Schiffswände schlagenden Wellen blickte und die salzige Gischt auf ihren Lippen schmeckte, gestand Aerith sich ein, dass sie eigentlich ziemlich verrückt handelte. Rational betrachtet war es gerade in diesen unruhigen Zeiten purer Wahnsinn als junge Frau völlig allein zu reisen. Zudem war sie sich nicht einmal sicher, ob sie wirklich das richtige Ziel ansteuerte. Was, wenn sie sich die flüsternden Stimmen im Tempel des alten Volks lediglich eingebildet oder sie falsch verstanden hatte? Doch trotz ihrer leisen Zweifel spürte Aerith, tief in ihrem Herzen, dass sie auf dem richtigen Weg war. Etwa eine halbe Woche später kam das Schiff endlich an seinem Bestimmungsort an und Aerith ging zusammen mit den Archäologen von Bord. Man konnte die Nähe zum Nordpol deutlich zu spüren, denn der steife Wind, der über das bewaldete Land strich, war eisig und ließ die junge Cetra in ihrem dünnen Sommerkleid frösteln. Dennoch zögerte sie nicht und setzte ihre Wanderung sogleich fort. Ihr war als stünde ihr ganzer Körper unter Strom und sie spürte deutlich, dass sie nicht mehr weit von ihrem Ziel entfernt war. Ihr Weg führte sie tief in den „schlafenden Wald“ hinein, der seinen Namen aus einer Legende hatte. Angeblich verlief sich jeder, der nicht in Besitz der Mondharfe war, in dem düsteren, undurchdringlich wirkenden Gehölz. Aerith jedoch ließ sich von ihrem Herzen und ihren Cetra-Fähigkeiten leiten, was offenbar genauso gut funktionierte wie das legendäre Relikt. Dennoch atmete die junge Frau erleichtert auf, als nach mehreren Stunden Fußmarsch endlich die ersten Schemen ihres Ziels durch die Baumreihen blitzten. Je näher sie kam, desto mehr Details schälten aus dem feuchtklammen, allgegenwärtigen Nebel und Aerith konnte kleine, hornmuschelartige Häuser erkennen, deren gedrehte Dächer sich in den trüben, stahlblauen Himmel schraubten. Während das Blumenmädchen langsam über die weißgepflasterten Wege mit den gesprungenen Steinen wandelte, traten ihm Tränen in die Augen und ihm wurde unbeschreiblich leicht ums Herz. Aerith war selbst überrascht darüber, dass sie sich an diesem ausgestorbenen Ort vollkommen zuhause und irgendwie vollständiger fühlte so als hätte sie nach langer Zeit einen verschollen geglaubten Teil ihrer Persönlichkeit wiedergefunden. Sie legte eine Hand auf die sich kalkig anfühlende Fassade des am nächsten stehenden Hauses und atmete tief durch. Endlich war sie an ihrem Ziel angekommen: die vergessene Stadt, die letzte noch stehende Cetra-Siedlung. Fest auf die Stimmen in ihrem Herzen vertrauend betrat Aerith das größte Gebäude der Stadt, das ein wenig nach hinten versetzt stand und nur über eine Holzbrücke, die über den hier fließenden, klaren Bachlauf führte, zu erreichen war. Das Innere des Hauses war komplett mit Perlmutt ausgekleidet und raubte der Cetra durch seine unnatürlich wirkende Schönheit den Atem. Nur zu gerne hätte Aerith sich genauer umgesehen, doch sie wusste, dass die Zeit drängte. Sephiroth konnte jeden Moment den Zauber der schwarzen Materia aktivieren und wäre dann womöglich wirklich nicht mehr aufzuhalten. Also eilte die Cetra mit flinken Schritten in den Keller. Wenn alles gut ging, hatte sie später immer noch genug Zeit, um sich ausgiebig in der vergessenen Stadt umzusehen. Über eine Treppe aus gläsern wirkenden Stufen gelangte die junge Frau in eine Höhle, die vor Urzeiten findige Cetra-Hände unter dem breiten Bach geschaffen hatten. Das darüber errichtete Haus diente lediglich als Eingang und Schutz. Während Aerith in das Gewölbe herabstieg, hatte sie das Gefühl in eine andere Welt einzutauchen. Künstliche Lichtquellen, von denen das Blumenmädchen nicht sagen konnte, wie sie auch nach so langer Zeit noch so tadellos funktionieren konnten, hüllten alles in ein weiches, buntschillerndes Licht, während Bachwasser durch die Decke sickerte und die Wände, an denen es herablief, glitzern ließ als bestünden sie aus kostbaren Edelsteinen. Der Boden der Höhle war meterhoch von einer klaren, im Lampenschein funkelnden Flüssigkeit bedeckt, die Aerith wegen ihrer zartgrünen Färbung für den Lebensstrom hielt. Vielleicht bestand auch der über ihr fließende Bach nicht aus gewöhnlichem Wasser, da war sie sich nicht sicher. Außerdem war ihr Geist sowieso viel mehr mit der Ausführung ihres Plans beschäftigt. Der einzige Pfad, der über der Flüssigkeit hinweg durch die Höhle führte, war schmal und sah aus als wären an den Seiten bereits große Teile abgebrochen. Mit heftig schlagendem Herzen setzte Aerith vorsichtig einen Fuß vor den anderen und arbeitete sich langsam zu dem Plateau vor, das ein wenig erhöht in der Mitte des Gewölbes lag. Auf ihm stand ein massiver Altar aus marmoriertem, dunklem Stein, der mit allerlei kunstvollen Verzierungen versehen war. An den Seiten des Gebetstisches waren mehrere Lampen aufgebaut, sodass das Plateau strahlte wie ein buntfunkelnder Stern. Auf der Steinplatte konnte man deutliche Gebrauchs- und Abnutzungsspuren erkennen, doch ansonsten befand sich dort rein gar nichts. Dennoch war Aerith endlich dort angekommen, wohin ihr Instinkt und die Weisungen der einstigen Tempelwächter sie geführt hatten. Ein letztes Mal tief durchatmend griff sie in ihre Tasche und holte die Materia heraus, die sie von ihrer leiblichen Mutter geerbt hatte. Dann kniete sie sich vor den Altar, stützte ihre die Kugel umschließenden Hände auf die kühle Steinplatte und begann zu beten. Es war das allererste Mal in ihrem Leben und Aerith war sich nicht einmal sicher, ob sie das erforderliche Gebet richtig aufsagte, doch sie vertraute vollkommen auf ihr Herz, das seit ihrem Besuch im Tempel des alten Volks mit den Seelen der verstorbenen Cetra in Verbindung zu stehen schien. Mit geschlossenen Augen umklammerte sie die von innen heraus aufleuchtende Materia und formte mit den Lippen die geflüsterten Worte, die auf einmal in ihrem Geist auftauchten wie schwere Korkschiffchen aus Wasser. Während sie betete, konzentrierte sich die Cetra auf ihre Hoffnung, dass sie die einstigen Tempelwächter richtig verstanden hatte und schon bald wieder alles gut werden würde. Im Geist ging sie noch einmal durch, was sie im Tempel erfahren hatte: Die schwarze Materia war ein so gewaltiger und vernichtender Zauber, dass die Cetra vor langer Zeit ein Gegenstück dazu erschaffen hatten – die weiße Materia. Diese bewirkte den ebenso mächtigen Zauberspruch „Heilig“, der die Wirkung der schwarzen Materia neutralisieren konnte. Der einzige Haken an der Sache war, dass er früh genug gesprochen werden musste und nur von einem Cetra an einem Altar des alten Volks eingesetzt werden konnte. Aerith war ziemlich verblüfft gewesen, als sie erfahren hatte, dass ihr Erinnerungsstück an ihre Mutter, das sie bislang für kaputt und unbrauchbar gehalten hatte, die vermutlich einzige Möglichkeit war, den Planeten noch zu retten. Doch nun verstand sie endlich, warum ihre Mutter ihr schon als kleines Kind eingebläut hatte, immer gut auf die sanft schimmernde Kugel zu achten und sie niemals aus der Hand zu geben. Als letzte Cetra hatte sie wirklich eine enorm große Verantwortung… Eine Stunde nach der anderen verging und Aerith hockte noch immer betend am Altar. Zwischenzeitig hatten ihre Knie sehr geschmerzt, doch die junge Frau hatte tapfer die Zähne zusammengebissen, bis sich erlösende Taubheit in ihren Beinen breit gemacht hatte. Die Materia-Kugel in ihren Händen strahlte inzwischen hell und verströmte eine angenehme Wärme. Bald schon, da war Aerith sich sicher, würde „Heilig“ seine volle Wirkung entfalten. Doch plötzlich drangen aufgeregte Stimmen an die Ohren der Cetra und sie lauschte angespannt. Als sie schließlich erkannte, wer sich näherte, wurde ihr vor Rührung ganz warm ums Herz. Obwohl sie ohne ein Wort abgehauen war, hatten ihre Freunde sich die Mühe gemacht, sie zu finden! Sie hörte das helle Trippeln von Reds Krallen auf dem steinernen Boden, Tifas besorgte Rufe und die stampfenden Schritte Clouds, der den Anderen voraus zu eilen schien. Als die Gruppe die vor dem Altar kniende Frau entdeckte, riefen alle Mitglieder erleichtert wie aus einem Mund: „Aerith!“ Während die Cetra sich beeilte, ihr Gebet endlich zu beenden, und Cloud mit schnellen Schritten über den schmalen Steg balancierte, zeterte Tifa: „Wie konntest du uns das antun und dich wortlos aus dem Staub machen?! Wir haben uns riesige Sorgen gemacht! Wenn Cloud nicht die Idee mit der vergessenen Stadt gehabt hätte, würden wir dich immer noch suchen. Schäm dich!“ Überraschung durchzuckte Aerith und sie wunderte sich, woher der Exsoldat jene Eingebung wohl gehabt hatte. Doch anstatt sich intensiv mit dieser Frage auseinanderzusetzen, konzentrierte sich die Cetra lieber auf ihr Gebet. Sie spürte deutlich, dass „Heilig“ kurz vor der Entfaltung seiner vollen Kräfte stand. Nur noch ein kleines bisschen… Inzwischen hatte Cloud das Plateau erreicht und wollte zu einer Begrüßung ansetzen, doch stattdessen kamen nur abgehackte, gurgelnde Laute aus seinem Mund. Aerith öffnete erschrocken die Augen und späte vorsichtig über ihre Schulter. Als sie sah, dass Clouds Aura wieder zu flackern begonnen hatte und sein Körper von heftigen Krämpfen geschüttelt wurde, gefror ihr das Blut in den Adern. „Du musst dagegen ankämpfen!“ Vincent brüllte aus vollen Lungen, doch er war sich dennoch nicht sicher, ob er zu dem besessen wirkenden Cloud durchdringen konnte. Dieser fiel stöhnend auf die Knie, während seine Hände scheinbar gegen seinen Willen mit einer abgehackten Bewegung nach seinem Schwertheft griffen. Aeriths Herz begann wie wild zu hämmern und sie kniff ängstlich die Augen zusammen, um sich mit neuer Intensität auf ihr Gebet zu konzentrieren. „Reiß dich zusammen, Cloud!“ Barrett klang als hätte er den Blonden in diesem Moment am liebsten erwürgt. Auch Tifa versuchte mit Flehen und Bitten zu ihrem Freund durchzudringen: „Cloud, sieh mich an. Ich bitte dich, sieh mich an!“ Doch trotz ihrer Bemühungen zog der Blonde sein mächtiges Schwert und hob es über den Kopf, wobei ihm sein schwerer, innerer Kampf deutlich ins Gesicht geschrieben stand. „Hör auf mit dem Scheiß!“ Red rannte über den langen Steg, konnte das Plateau jedoch nicht erreichen, bevor Cloud plötzlich den Schwertgriff losließ so als hätte er sich verbrannt. Er schüttelte heftig mit dem Kopf, um wieder zu sich zu kommen, und stammelte: „Nein… Nein! Ich… Ich will das nicht!“ Gerade als Aerith erleichtert aufatmen wollte, ertönte auf einmal Sephiroths schauriges Lachen und nur einen Herzschlag später schoss ein heißer, stechender Schmerz durch den Brustkorb der Cetra. Überrascht sah sie an sich herunter und entdeckte die lange, schmale Katanaschwertspitze, die aus ihrer linken Brust herausragte. Für einen Moment wunderte Aerith sich darüber, doch dann fühlte sie wie alle Kraft ihren Körper verließ und sie langsam in sich zusammenbrach. Sie spürte wie die weiße Materia aus ihren Händen rollte und hörte wie Cloud und Tifa entsetzt schrien: „Nein! Aerith, nein!“ Dann wurde alles um sie herum schwarz. Kapitel 14: Ein langersehntes Wiedersehen ----------------------------------------- Das Nächste, was Aerith wieder spürte, war ein Gefühl als würde sie auf dem Rücken liegend auf wohlig warmem Wasser treiben, was Verwunderung durch ihren Geist schwappen ließ. War sie nicht tot? Sie war sich sicher, dass Sephiroth sie erstochen hatte, als sie vor dem Altar gekniet hatte. Sie hatte schließlich gesehen, dass sein Schwert in ihrer Brust gesteckt und ihr Blut über den Stahl der scharfen Klinge geronnen war! Vorsichtig versuchte sie die Augen zu öffnen, doch ihre Lider waren wie zugenäht. Panische Angst beschlich die junge Frau, als sie bemerkte, dass ihr Körper allmählich versank. Was geschah nur mit ihr?! Strähnen ihres langen Haares lösten sich aus dem geflochtenen Zopf und umschwirrten ihr Gesicht, während sie immer weiter herabsackte. Gerade als sie sich fragte, ob sie womöglich doch noch am Leben war, weil Cloud und die Anderen es geschafft hatten, sie zu retten, und sie sich nun in einer Art medizinischem Tank mit einer Heilflüssigkeit befand, wurde sie von zwei starken Armen aufgefangen und an eine breite Brust gezogen. Erschrocken schlug Aerith wild um sich, doch die sie festhaltende Person geriet weder ins Wanken noch lockerte sie ihren Griff. Stattdessen lachte sie unbekümmert auf und die verängstigte Cetra stellte mit heftig schlagendem Herzen an Hand der Stimme fest, dass sie sich in den Armen eines jungen Mannes befand. Noch einmal versuchte sie ihre Augen zu öffnen, was ihr dieses Mal auch endlich gelang und sie überrascht nach Luft schnappen ließ. Zunächst sah sie nichts bis auf das blendend helle Licht, das sie und den Mann einhüllte, doch allmählich traten immer mehr Details des Fremden hervor. Er hatte ein markantes Kinn mit einer langen Narbe, leicht gebräunte Haut, langes, strubbeliges Haar und sommerhimmelblaue Augen. Das Wichtigste jedoch war: Aerith kannte ihn, sehr gut sogar! Ein undurchdringlicher Tränenschleier legte sich vor ihren Blick und sie warf sich mit dem vollen Gewicht ihres Oberkörpers um den Hals des Mannes, als sie atemlos hauchte: „Zack! Endlich! Ich hab dich so sehr vermisst…“ Während Aerith in seinen Armen hemmungslos weinte und all die Emotionen raus ließ, die sich über die Jahre hinweg in ihr angestaut hatten, strich ihr lang verschollener Freund ihr stumm über den Rücken und wiegte sie tröstend in seinen Armen. Die Tränen versiegten nach und nach und Aerith lächelte selig. Sie war überglücklich! Endlich, endlich hatte sie ihren Zack wieder! Doch wie konnte das so plötzlich sein? Bildete sie ihn sich womöglich nur ein? War seine Gegenwart vielleicht nur ein Produkt ihres sterbenden Geistes, der sich noch einmal an Zacks Lächeln und dem Strahlen seiner Augen erfreuen wollte? Langsam ließ Aerith ihren Oberkörper ein Stück zurückfallen und betrachtete forschend Zacks Gesicht, während dieser sie fragend ansah. Mit wild schlagendem Herzen bemerkte die junge Frau, dass dieser Mann, der sie nun in seinen Armen hielt, älter war als der Zack, an den sie sich von ihrem letzten Treffen erinnerte. Rund um seine Augen zeigten sich die ersten Anzeichen leichter Lachfältchen, seine Wangenknochen stachen ein wenig deutlicher hervor und seine Gesichtszüge wirkten insgesamt markanter. Dies war definitiv nicht das Gesicht eines Achtzehnjährigen. Zack war also gealtert und konnte damit nicht ihrer eigenen Erinnerung entsprungen sein. Er war echt! „Keine Angst, die Verwirrung vergeht mit der Zeit“, versuchte Zack, der ihr Mienenspiel missdeutete, seine Freundin zu trösten. Bei dem schmerzlich vermissten Klang seiner Stimme ging Aerith das Herz auf, doch anstatt ihm dies zu zeigen, wandte sie den Oberkörper, um sich ein wenig umzusehen. Als sie jedoch wegen des sie umgebenden Lichts nichts erkennen konnte, fragte sie: „Wo sind wir hier?“ „Im Lebensstrom“, war Zacks völlig unbekümmert klingende Antwort. „Willkommen im Leben nach dem Tod!“ Mit geweiteten Augen wandte Aerith sich ihrem Freund wieder zu und stieß mit dünner Stimme hervor: „Tod? Du… Wir sind also wirklich tot?“ „Yep!“ Zack nickte lächelnd und fügte vergnügt an: „Aber das ist gar nicht so übel, wenn man sich erst mal dran gewöhnt hat. Du wirst schon sehen.“ Eine Weile schwiegen die Beiden und genossen die lang vermisste Nähe des jeweils anderen, doch dann durchbrach Aerith die Stille: „Was ist mit dir geschehen?“ Sie strich Zack zärtlich über die Wange und sah ihm besorgt in die Augen. Warum ihr der Gedanke, ihm könne etwas Schreckliches zugestoßen sein, auch jetzt noch, wo sie definitiv wusste, dass er tot war, aufs Herz drückte, wusste sie selbst nicht. Mit einem amüsierten Zug um die schönen Lippen verkündete der Gefragte: „Ich zeig’s dir!“ Als Zack Aerith absetzte, knickte sie mit einem spitzen Aufschrei ein und griff reflexartig nach dem Bein ihres Freundes, um sich am Stoff seiner weiten Hose festzuhalten, was diesem ein schadenfrohes Lachen entlockte. Grinsend half er ihr wieder auf die Füße und tröstete sie: „Das ist mir anfangs auch ständig passiert. Aber mit der Zeit gewöhnt man sich an das Gefühl keinen Boden unter den Füßen zu haben.“ Ein letztes Mal zwinkerte er seiner wackelig stehenden Freundin noch zu, dann wurde er wieder ernst und zog seinen schwarzen Strickpullover hoch. Aerith war noch damit beschäftigt, sicheren Stand zu finden, doch als ihr Blick auf Zacks Brust fiel, vergaß sie sogleich, dass sie das Gefühl auf Wasser zu stehen hasste. Über den gesamten Brustkorb des jungen Mannes waren merkwürdige, kreisrunde Narben verteilt, die der Cetra einen eiskalten Schauer über den Rücken jagten. Mit blassem Gesicht sah sie zu ihrem Freund auf, der seinen Pullover wieder sinken ließ. „Was ist das?!“ Zack zuckte wie unbeteiligt mit den Schultern und erklärte: „Einschusslöcher. Ich bin vor ein paar Monaten im Kampf gegen Shinras Armee erschossen worden, als ich auf dem Weg zurück zu dir war.“ Seine Versicherung, dass er zu ihr zurückgewollt hatte, legte sich wie eine warme Kuscheldecke um Aeriths Herz, aber anstatt sein herzliches Lächeln zu erwidern, fragte sie mit ängstlichem Ton: „Warum?“ „In deinem letzten Brief stand, dass du mir nicht mehr schreiben würdest. Also dachte ich, es sei allmählich an der Zeit nach Hause zu kommen.“ Für einen Moment starrte Aerith ihn irritiert an, doch dann wurde ihr klar, dass Zack spaßte. Genervt tuend schubste sie ihn zurück, was ihn an ihre erste Verabredung erinnerte und wie damals lachen ließ. Schief grinsend sah die Cetra zu ihrem Freund auf und nahm seine Hand in ihre, ließ jedoch nicht locker: „Das war nicht, was ich gemeint hatte. Und das weißt du!“ Plötzlich wurde Zacks ansonsten so unbekümmertes Gesicht verschlossen und er presste die Lippen zu einer schmalen Linie zusammen. Dann zog er Aerith mit einem sanften Ruck wieder in seine Arme und fragte leise und müde klingend: „Bist du dir sicher, dass du es hören willst?“ Endlich würde sie erfahren, was geschehen war! Aerith war so gespannt, dass sie nur stumm nicken konnte. Zack seufzte auf und murmelte: „Aber es spielt doch gar keine Rolle mehr… Ich bin und bleibe tot. Können wir es nicht einfach dabei belassen?“ Mit einem langen, intensiven Blick sah Aerith ihm tief in die Augen und hauchte flehentlich: „Bitte!“ Für einen Moment starrte Zack mit einem leidend wirkenden Gesichtsausdruck ins Leere, doch dann begann er zu erzählen. Kapitel 15: Geschichte eines Helden ----------------------------------- „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll… Am besten erzähle ich dir alles von Anfang an. Wie du vielleicht weißt, haben Wissenschaftler der ShinraInc vor einigen Jahren den versteinerten Körper Jenovas gefunden, der vor zweitausend Jahren zusammen mit einem Meteoriten in den heutigen Nebelkrater gestürzt ist. Anfangs hat man ihn fälschlicherweise für die Überreste eines Cetra gehalten, was große Euphorie unter den Forschern ausgelöst hat. Sie glaubten, sie wären endlich in der Lage, Cetra-Klone zu erschaffen und so vielleicht das geheiligte Land zu finden… Vor allem Professor Hojo war Feuer und Flamme für diese Idee und schreckte nicht einmal davor zurück, Versuche an Säuglingen und Embryonen durchzuführen. Genauer gesagt wurden ungeborenen Babys Jenova-Zellen injiziert, was die zwei Überlebenden, die daraus hervorgingen, übermenschlich stark und geschickt machte. Jetzt rate mal, von welchen Männern ich rede… Von Angeal und seinem besten Freund Genesis! Die Beiden ahnten allerdings nichts von ihrer Absonderlichkeit, bis ihre Körper irgendwann merkwürdige Veränderungen aufwiesen. So begannen sie schneller zu altern und… ähm, naja, ihnen wuchsen Flügel. Während Angeal an seinem Schicksal verzweifelte und sich schließlich gezwungen sah, sich selbst zu richten, weil er glaubte, sich allmählich in ein Monster zu verwandeln, war Genesis von der Suche nach einem Gegenmittel besessen. Dabei hat er alles zerschlagen, was ihm im Weg war: Shinra, Zivilisten, sogar seine Eltern. Eine meiner Aufgaben als Soldat war es, Genesis aufzuhalten und ihn zu liquidieren, doch leider ist mir dies nie gelungen. Immer wenn ich dachte, ich hätte ihn, hat er irgendetwas Unvorhergesehenes gemacht und ist mir wieder entwischt. Doch an dem Tag, an dem Angeal starb, kam es in einem stillgelegten Reaktor zum Kampf zwischen Genesis und mir. Auf Grund der vorzeitigen Alterung seines Körpers hatte ich relativ leichtes Spiel, dennoch schaffte ich es nicht, ihn eigenhändig zu töten. Stattdessen stürzte er sich über das Geländer in die Tiefe und wurde anschließend vom Präsidenten der ShinraInc für tot erklärt. Danach gingen die Jahre vergleichsweise ruhig ins Land, bis ich schließlich zusammen mit Sephiroth nach Nibelheim geschickt wurde. Zunächst habe ich die Mission für ziemlich öde gehalten. Ein defektes Ventil im Reaktor auszutauschen und dabei ein paar Monster zu erschlagen klang nicht gerade nach einem Auftrag, der mir zu Heldenruhm verhelfen sollte… Dennoch war es ziemlich amüsant, denn schließlich hatten wir Cloud dabei. Ja, genau den Cloud, den du kennst. Er war Mitglied der Infanterie. Warum er heute so überzeugt davon ist, ein Soldat ersten Ranges gewesen zu sein, kann ich dir nicht sagen. Ich habe nur eine Vermutung, aber darauf komme ich später noch zu sprechen. Naja, jedenfalls habe ich mir die Zeit damit vertrieben mit Cloud abzuhängen und mich darüber zu amüsieren, dass er offenbar Angst hatte, sich ohne Helm in seiner Heimatstadt zu zeigen. Ich glaube, er hatte vor seinem Umzug nach Midgar damit geprahlt, Soldat zu werden und schämte sich nun vor allem vor Tifa in Grund und Boden, weil er die Aufnahmeprüfung ins Korps nie bestanden hat und nur einfacher Infanterist geworden ist. Nachdem wir uns von der langen Reise nach Nibelheim ein wenig erholt hatten, machten wir uns am nächsten Morgen auf zum Reaktor. Tifa war dabei eine wirklich wertvolle Hilfe und eine amüsante Reiseführerin, auch wenn es etwas anstrengend war, dass sie permanent nach Cloud gefragt hat – mal mehr, mal weniger direkt – und ich ihr nicht sagen durfte, was ich wusste. Das fehlerhafte Ventil war schnell ausgetauscht und auch die sich in der Nähe herumtreibenden Monster in Windeseile besiegt. Eigentlich hätten wir danach in aller Ruhe wieder nach Midgar aufbrechen können. Ich hatte mich schon so sehr gefreut, bald wieder in deiner Nähe zu sein. Doch es kam anders… Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Genesis wieder auf. Er sah inzwischen aus wie ein alter, gebrechlicher Greis, doch er schien euphorischer Stimmung zu sein. Als er behauptete, endlich ein Mittel gefunden zu haben, seinem körperlichen Verfall entgegen zu wirken, war mir auch klar, woher die gute Laune rührte. Genesis war überzeugt davon, dass Sephiroths Zellen ihm Gesundheit bringen würden und dass sein alter Kriegskamerad und Freund ihm diese ihm auch ohne zu zögern zur Verfügung stellen würde. Ich war zunächst ziemlich verwirrt, wie Genesis auf diese Idee gekommen sein mochte, doch dann erklärte er, dass Sephiroth ebenfalls Produkt von Hojos Experimenten sei. Angeblich hatte die Injektion der Jenova-Zellen bei Sephiroth in einem sehr viel früheren Schwangerschaftsstadium stattgefunden als bei Angeal und ihm selbst, weshalb sein Körper die Zellen wesentlich besser adaptiert und sogar modifiziert habe. Deswegen, so Genesis, verfüge Sephiroth über seine enormen Fähigkeiten, ohne unter denselben Nebenwirkungen zu leiden wie die anderen Beiden. Doch anstatt Genesis‘ Bitten nachzukommen, jagte Sephiroth ihn wütend zum Teufel. Der Groll darüber, dass jener desertiert und Shinra in den Rücken gefallen war, saß bei Sephiroth wohl zu tief, um seinem alten Freund zu verzeihen und ihm zu helfen. Auf dem Rückweg zum Hotel war Sephiroth noch schweigsamer als sonst. Ich nahm an, er kämpfte mit seinem schlechten Gewissen, einen ehemaligen Freund im Stich gelassen zu haben. Erst später habe ich verstanden, dass Sephiroths trübe Stimmung einen ganz anderen Grund hatte: Genesis Worte hatten eine alte Wunde wieder aufgebrochen und Fragen hervorgebracht, denen Sephiroth bislang ausgewichen war. Warum kannte er seine Eltern nicht? Woher kam dieses bohrende Gefühl anders zu sein, das ihn schon seit seiner Kindheit begleitete? Um endlich Licht in seine eigene Vergangenheit zu bringen und Genesis‘ Behauptungen zu entkräften, zog Sephiroth sich Tage lang in die Bibliothek und das Studierzimmer in der Shinra-Villa zurück. Er war wie besessen und las sich durch sämtliche Berichte, die er finden konnte – bei Tag und bei Nacht. Fatalerweise fand er bei seiner Suche jedoch tatsächlich Aufzeichnungen, die Genesis‘ Worte bestätigten. Sephiroth konnte mit diesem Wissen allerdings nicht umgehen und verlor vollkommen den Verstand. Anfangs habe ich ihn oft besucht, doch als ich merkte, dass ich schon lange nicht mehr zu ihm durchdringen konnte, habe ich es aufgegeben. Seit unserem Aufeinandertreffen mit Genesis war über eine Woche vergangen, als ich eines Nachts von lauten Schreien aus dem Schlaf gerissen wurde. Schon von meinem Hotelzimmerfenster aus hatte ich beim hastigen Ankleiden gesehen, dass es brannte, aber die Größe des Feuers überraschte mich trotzdem sehr. Zuerst dachte ich, eines der Kinder habe beim spielerischen Zündeln vielleicht versehentlich dieses Desaster ausgelöst oder so, doch dann entdeckte ich Sephiroth, der inmitten der Flammen stand und gerade sein Schwert aus dem leblosen Körper eines Zivilisten zog. Als ich ihn ansprach, warf er mir einen amüsierten Blick zu und verschwand in Richtung Reaktor. Natürlich wollte ich ihm sofort hinterher, doch bevor ich losstürzen konnte, bemerkte ich Cloud, der bewusstlos vor seinem Elternhaus lag. Also habe ich zunächst nach ihm gesehen und mich versichert, dass er wohlauf war. Danach habe ich versucht, Sephiroth einzuholen, erreichte den Reaktor jedoch erst, nachdem auch noch Tifa niedergestochen worden war. Glücklicherweise konnte ich sie auf die Schnelle grob verarzten. Es hat mich wirklich sehr gefreut zu sehen, dass es ihr wieder gut geht! Naja, anschließend habe ich endlich Sephiroth zur Rede gestellt, aber er faselte leider nur merkwürdiges Zeug, dass seine Mutter Jenova und er dazu bestimmt seien über den Planeten zu herrschen und dass Menschen wie ich Abschaum wären, der getilgt werden muss. Blabla. Du weißt, ich habe Sephiroth immer sehr bewundert, aber mir war klar, dass ich mit allen Mitteln versuchen musste, diesen Wahnsinnigen aufzuhalten. Also habe ich ihn schweren Herzens angegriffen, aber zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich keine Chance gegen ihn hatte. Ich habe es lediglich geschafft, ihn zu schwächen, während er mich beinah erschlagen hätte. Zum Glück tauchte jedoch Cloud mit einer mörderischen Wut im Bauch auf. Also habe ich ihm mein Schwert anvertraut und er hat sich auf den bereits angeschlagenen Sephiroth gestürzt. Zunächst sah es schwer danach aus, dass Cloud verlieren würde, doch dann hat er es zu meiner großen Überraschung irgendwie bewerkstelligt, Sephiroth das Schwert in den Magen zu rammen und von der Plattform in die Tiefe zu stoßen. Allerdings war der Kleine während des Kampfes auch so schwer verwundet worden, dass ich große Angst hatte, er würde mir wegsterben. Wie lange wir auf der Reaktortreppe lagen und mit dem Tod rangen, weiß ich nicht, da ich zwischendurch immer wieder das Bewusstsein verloren habe. Doch ich bin mir ziemlich sicher, dass bereits ein paar Stunden vergangen waren, als uns endlich jemand fand. Du kannst dir nicht vorstellen, wie erleichtert ich war, als ich erkannte, dass es sich bei den Personen, die uns auf Tragebahren hoben und forttrugen, um Wissenschaftler der ShinraInc handelte. Ich glaubte, dass sie uns wieder nach Midgar bringen und dort gesund pflegen würden. Letzteres haben sie auch tatsächlich getan, doch leider aus anderen Gründen als denen, die mir vorgeschwebt hatten. Nibelheim haben wir auch nicht verlassen… Stattdessen wurden Cloud und ich in dem Labor im Keller der Shinra-Villa nur deswegen wieder aufgepäppelt, damit wir möglichst gute Versuchsobjekte abgaben. Was genau man mit uns gemacht hat, kann ich dir nicht sagen. Ich weiß nur, dass die Zeit für mich erfüllt war von wirren Träumen, grausamen Schmerzen und dumpfem Dahinvegetieren. Ich glaubte schon nicht mehr daran, irgendwann aus dieser Hölle zu entkommen, doch eines Tages gelang es mir endlich, die Frontscheibe meines Gefängnisses zu zerschlagen. Anschließend holte ich Cloud aus seinem Tank, wechselte seine makoverseuchten Kleider, suchte mein Schwert und flüchtete gemeinsam mit dem Kleinen. Alles, was ich wollte, war zu dir zurückzukehren. Da Cloud jedoch unter einer heftigen Makovergiftung litt und nicht bei sich war, gestaltete sich unsere Flucht verdammt schwierig. Wesentlich schlimmer war jedoch, dass wir für Shinra keine Menschen mehr waren, sondern lediglich entlaufene Versuchsobjekte, weswegen uns die Turks permanent auf den Fersen waren. Wäre Cissnei nicht gewesen, wären Cloud und ich wohl nicht sehr weit gekommen. Erinnerst du dich daran, dass ich dir mal von Cissnei erzählt habe? Sie ist die einzige Turk, mit der ich je befreundet war. Nun ja, dank ihrer Hilfe habe ich es mit Cloud bis nach Gongaga geschafft, wo Genesis wieder auftauchte und behauptete, Cloud habe Sephiroth-Zellen in sich und sei damit Träger des Gegenmittels, das Genesis so dringend benötigte. Es gelang mir, ihn zurückzuschlagen, bevor er Cloud etwas tun konnte, doch er entkam mir wieder mal. So sehr ich mich auch danach sehnte, wieder bei dir zu sein, mir war bewusst, dass ich Genesis endlich aufhalten musste, bevor er in seinem Wahn noch mehr Leid verursachen konnte. Dank eines Tipps fand ich Genesis schließlich in seinem Heimatdorf Banora, wo ich es nach all der Zeit endlich schaffte, ihm Einhalt zu gebieten. Als ich mich nach meinem Kampf mit Genesis wieder auf den Weg nach Midgar machen wollte, erreichte mich ein Flugtier mit einem Brief von dir. Erst durch deine Zeilen habe ich erfahren, dass Cloud und ich über vier Jahre in Gefangenschaft verbracht hatten. Ich hatte jegliches Zeitgefühl verloren, während ich in diesem Tank gesteckt hatte… Den Rest des Weges nach Midgar legten wir per Anhalter zurück, doch auf den Anhöhen vor der Stadt rannten wir leider der Armee direkt in die Arme. Nachdem die Turks keine Ergebnisse geliefert und uns nicht wieder eingefangen hatten, hatte die Leitung der ShinraInc den Befehl erlassen, uns zu töten. Diese Aufgabe übernahm natürlich die schlagkräftige Infanterie. Da Cloud noch immer vollkommen außer Gefecht war, habe ich mich alleine zum Kampf gestellt. Ich wollte für unsere Freiheit und ein selbstbestimmtes Leben kämpfen. Ich hatte das Weglaufen und Verstecken so satt! Das war kein Leben, das ich mit dir hätte führen können. Doch mir war bis dahin nie klar gewesen, dass der Preis für Freiheit so hoch ist… Ich hatte noch nie zuvor eine so große Anzahl Krieger im Einsatz gesehen. Du weißt, ich bin stark, aber ich bin nicht allmächtig… Irgendwann ging mir die Puste aus und ich bin gestolpert, was das Ende bedeutet hat. Sofort eröffneten einige Kämpfer einen regelrechten Kugelhagel und schossen mich skrupellos über den Haufen. Nachdem sie sich vergewissert hatten, dass ich ganz sicher sterben würde, haben sie sich zurückgezogen. Cloud haben sie wegen seiner Besinnungslosigkeit zum Glück für bereits tot gehalten. Bis der Tod schließlich eintrat, lag ich ein paar Stunden auf der Midgar-Anhöhe und starrte in den wolkenverhangenen Himmel, während es auf mich herabregnete und ich an dich dachte. Irgendwann kroch Cloud zu mir herüber und schien bei erstaunlich klarem Verstand zu sein. Ich habe ihm noch mein Schwert – und damit meine Ehre und meine Träume – vermachen können, bevor mich meine Kräfte verließen. Warum Cloud glaubt, er sei Soldat ersten Ranges gewesen, kann ich nur vermuten. Ich nehme an, dass es mit seiner aus der Makovergiftung und den Experimenten resultierenden Verwirrung zu tun hat. Für mich sieht es aus als hätte sein Geist ein paar Erinnerungen in die falschen Schubladen gepackt, sodass Cloud nun der Meinung ist, ihm seien diese Dinge passiert, obwohl ich eigentlich derjenige war, der sie erlebt und anschließend davon erzählt hat, sofern Cloud nicht selbst dabei gewesen ist. Nun ja, das ist so ziemlich alles. Seit meinem Tod friste ich mein Dasein im Lebensstrom, beobachte dich und warte auf unser Wiedersehen.“ Kapitel 16: Erlösung -------------------- Während Aerith Zacks Erzählung lauschte, überkamen sie die unterschiedlichsten Gefühle: Stolz auf seine unerschütterliche Tapferkeit, Dankbarkeit und Liebe, weil er sie nie hatte verlassen wollen, Ekel und Sorge, als sie von den Experimenten hörte und nicht zuletzt brennender Hass auf Shinra und Sephiroth. „Wenn ich nicht tot wäre“, zeterte sie, „würde ich allen in diesem Scheißverein höchstpersönlich in den Hintern treten!“ Zack grinste über ihre erboste Miene und drückte sie zärtlich. „Überlass das lieber Cloud. Er mag verwirrt sein, aber er ist einer der besten Kämpfer, die ich kenne. Vielleicht sogar der Beste.“ Aerith lehnte die Stirn gegen das Schlüsselbein ihres Freundes, während sie sich darüber wunderte, wie körperlich das Leben nach dem Tod war, und murmelte: „Apropos Cloud: Du hast mich die ganze Zeit über beobachtet?!“ Als sie daran dachte, was Zack wohl über ihre belanglosen Flirtversuche gedacht haben mochte, wäre sie am liebsten im Boden versunken. Doch der junge Mann nickte lediglich mit einem amüsierten Funkeln in den Augen. „Es hat eine Weile gedauert, bis ich den Bogen raus hatte, aber danach habe ich dich nicht mehr aus den Augen gelassen.“ Als hätte er ihre Gedanken von zuvor erraten fügte er an: „Es tat sehr weh, zu sehen wie unglücklich du warst. Ich habe mich ehrlich gefreut, als Cloud dir dein Lachen zurückgegeben hat. Natürlich war es seltsam, dich mit einem anderen Mann zusammen zu sehen… Doch ich wollte immer nur, dass du glücklich bist. Und Cloud gehört definitiv zu den Guten. Wen hätte ich dir mehr wünschen können als meinen besten Freund?“ Die Wange fest an Zacks Brust gepresst flüsterte Aerith: „Soll ich dir etwas verraten? Ich habe mich nur deswegen für Cloud interessiert, weil er mich an dich erinnert hat.“ Nach diesem Geständnis schwiegen die Beiden eine Weile und Aerith machte von Zacks starkem Arm geführt ihre ersten, etwas wackeligen Schritte in der neuen Umgebung, bis sie an das vorangegangene Gespräch anknüpfte: „Wie funktioniert das eigentlich?“ Ohne seinen wachsamen Blick von ihren ungeübten Füßen zu nehmen, fragte Zack zurück: „Was meinst du?“ „Das Beobachten von Lebenden. Wie geht das? Ich muss wissen, was aus den Anderen geworden ist!“ Nickend machte Zack Halt und stützte seine schwankende Freundin, während er erklärte: „Das kann ich gut verstehen. Also hör zu: Schließe die Augen und konzentriere dich auf die Person, die du sehen willst. Den Rest übernimmt der Lebensstrom für dich.“ Aerith tat wie ihr geheißen und staunte nicht schlecht. Sobald sie an ihre besten Freundin Tifa dachte, erhoben sich wispernde Stimmen, die direkt zu ihrem Herzen sprachen. Doch kaum, dass die Cetra die Ähnlichkeit zu der Situation im Tempel des alten Volks bemerkt hatte, hörte der Zauber auch schon wieder auf. Irritiert sah sie zu Zack auf, der sie nachsichtig anlächelte und tröstete: „Ich hatte anfangs auch große Schwierigkeiten damit, an nichts anderes zu denken. Versuch, deinen Geist so leer wie möglich zu halten.“ Trotz Zacks geduldigem Zuspruch glaubte Aerith nach weiteren Fehlschlägen schon daran, dass sie es wohl nie schaffen würde, zu sehen, was ihre Freunde machten. Umso größer war die Überraschung, als sie auf einmal Tifas gequält wirkendes Gesicht vor Augen hatte. Aeriths Herz schlug ihr bis zum Hals, während sie ihre Freundin beobachtete. Alles wirkte so verändert… Der Himmel war blutrot und am Horizont stand ein von Feuer umgebener Meteorit, der aussah als würde er in nicht allzu ferner Zeit genau auf Midgar stürzen. Tifa stand zusammen mit ihren Gefährten im Cockpit eines Flugschiffs und krampfte nervös die Hände ineinander. Als Aerith bemerkte, dass außer ihr noch jemand aus der Gruppe fehlte, lief es ihr eiskalt den Rücken herunter. Wo war Cloud?! Die Augen weit aufreißend wandte die Cetra ihre Aufmerksamkeit wieder ihrem Freund zu und stieß atemlos hervor: „Was ist nur passiert?!“ Zack, der ihre Frage missdeutete, zuckte lediglich mit den Schultern und erklärte: „Wunder dich nicht, wenn deine Freunde plötzlich an ganz anderen Orten oder sogar gealtert sind. Die Zeit vergeht für uns anders als für die Lebenden, weil sie für uns Tote keine Bedeutung mehr hat. Ich weiß nur deswegen ungefähr, wie viele Tage seit meinem Tod vergangen sind, weil ich dich permanent beobachtet und mitgezählt habe.“ „Das meinte ich überhaupt nicht! Schau am besten selbst hin…“ Doch bevor Zack die Augen schließen und sich selbst ein Bild von der Situation machen konnte, kam plötzlich eine Frau mittleren Alters, die Aerith wie aus dem Gesicht geschnitten war, auf das Paar zu und verkündete: „Sephiroth hat die schwarze Materia aktiviert. Das ist passiert.“ Ob der Ähnlichkeit der beiden Frauen blinzelte Zack irritiert, während seine vollkommen perplexe Freundin nach seiner Hand griff und nach Luft schnappend keuchte: „Mutter?!“ Die Frau lächelte herzlich und nickte. „Ich hatte schon befürchtet, du könntest dich nicht an mich erinnern. Du warst so jung, so schrecklich jung…“ Dann gab die Fremde dem sie noch immer verwirrt anstarrenden Mann die Hand und stellte sich vor: „Ich bin Ifalna, Aeriths leibliche Mutter. Und du bist Zack Fair. Ich nehme an, es wundert dich nicht, dass ich meine Tochter im Blick behalten habe und dich deswegen kenne.“ Aerith, die sich inzwischen ein wenig von ihrem Schock erholt hatte, blickte ihre Mutter aus großen Augen an und fragte aufgeregt: „Aber wie konnte das passieren? Ich habe doch ‚Heilig‘ eingesetzt! Oder habe ich dabei etwa einen Fehler gemacht?!“ Ifalna strich ihrer Tochter beruhigend über die Außenseiten der Oberarme und versicherte: „Du hast überhaupt nichts falsch gemacht, Kind. ‚Heilig‘ konnte seine Wirkung nicht entfalten, weil Sephiroths Wille den Zauber blockiert.“ Bei diesen Worten verlor Aerith schlagartig sämtliche Gesichtsfarbe und flüsterte resigniert: „Das bedeutet, es ist alles aus…“ Zack jedoch presste grimmig die Lippen aufeinander und brummte: „Gib die Hoffnung nicht zu früh auf. Noch ist der Meteor nicht aufgeschlagen. Vielleicht schaffen Cloud und die Anderen es noch rechtzeitig, Sephiroth zu besiegen.“ Traurig zu Boden blickend biss Aerith sich auf die Unterlippe. Ob sie Zack sagen sollte, dass sein bester Freund anscheinend die Gruppe verlassen hatte? Doch noch bevor sie einen Entschluss fassen konnte, nickte ihre Mutter und fügte lächelnd an: „Dein Freund hat Recht, Liebes. Noch ist nicht alles verloren. Also halte dich bereit: Sobald jemand Sephiroths Siegel bricht, werden alle Cetra gebraucht!“ „Ich werde noch wahnsinnig!“ Aerith stampfte mit dem Fuß auf und sah Zack hilfesuchend an, obwohl ihr klar war, dass dieser ihr nicht helfen konnte. Er musste genau wie sie geduldig abwarten und darauf hoffen, dass Sephiroths Bann noch rechtzeitig gebrochen werden konnte. Doch auch wenn die Cetra sich darüber bewusst war, machte sie die eigene Hilflosigkeit dennoch verrückt. Wie gerne hätte sie ihren Freunden unter die Arme gegriffen, anstatt im Jenseits Däumchen zu drehen! Um sich ein wenig abzulenken, fragte sie: „Gibt’s etwas Neues von Cloud?“ Inzwischen hatten sie herausgefunden, dass der Blonde bei einem Zwischenfall im Nebelkrater in den Lebensstrom gefallen war und nun zum zweiten Mal in seinem Leben an einer heftigen Makovergiftung litt. Tifa, die ihn endlich wiedergefunden hatte, wachte Tag und Nacht bei ihm, während der Rest der Gruppe sich einen Wettlauf mit der ShinraInc lieferte. Die Leitung des Energiekonzerns wollte eine mit riesiger Materia bestückte Rakete in den Meteor lenken, um ihn so zu sprengen. Die Truppe befürchtete jedoch, dass ein zersplitterter Meteor nur noch mehr Schaden anrichten würde. Zack schüttelte traurig den Kopf und ließ sich lang auf den Rücken fallen, während er knurrte: „Ich hoffe, er kommt bald wieder zu sich. Du kannst dir nicht vorstellen, wie gerne ich ihn jetzt schütteln würde…“ Sich neben ihren Freund setzend grinste Aerith: „Oh doch. Ich würde nämlich liebend gern dasselbe tun.“ Die innere Unruhe der beiden Toten wurde immer größer, während sie beobachteten, wie Cloud wieder zu sich selbst fand, sich erneut der Gruppe anschloss und sich mit Scarlett und Heidegger, zwei vollkommen größenwahnsinnige Abteilungsleiter der ShinraInc, sowie mit Professor Hojo herumplagte. Unterdessen hatte der Präsident Shinras mit Hilfe einer gewaltigen Kanone dafür gesorgt, dass die Barriere, die Sephiroth um sein Versteck herum errichtet hatte, in sich zusammengebrochen war. Aerith kribbelte es fürchterlich in den Händen, sobald sie sah wie ihre Freunde den Nebelkrater hinabstiegen, um sich der finalen Auseinandersetzung zu stellen. Zunächst krallte sie ihre Finger in Zacks Pullover, doch als die Gruppe Sephiroth erreichte und der Kampf begann, sprang der junge Mann auf die Füße und feuerte seinen besten Freund mit fliegenden Fäusten an: „Los, Cloud! Das schaffst du! Mach diesen Verrückten platt!“ Während Zack mit seinem Schatten boxte so als wäre er selbst bei der Auseinandersetzung dabei, kaute Aerith nervös auf ihren Nägeln. Sephiroth war noch wesentlich mächtiger als sie bisher geglaubt hatte, doch seine acht Gegner kämpften mit der Kraft der Verzweiflung und schafften es tatsächlich nach einem langen, aufregenden Kampf, Sephiroth zu vernichten! Vor Glückseligkeit fiel Aerith ihrem Freund um den Hals und stieß mit ihm gemeinsam einen lauten Jubelschrei aus, als Ifalna wieder auftauchte und mit ihrer ruhigen, sanften Stimme verkündete: „Es ist Zeit, mein Kind.“ Ein wenig ängstlich sah die junge Cetra zu Zack auf, der ratlos mit den Schultern zuckte, dann ergriff sie die dargebotene Hand ihrer Mutter. Sofort hatte sie das Gefühl, die Präsenz unzähliger Geister und Personen zu spüren. Als könnte sie die Gedanken ihrer Tochter lesen erklärte Ifalna: „Wir Cetra stehen hier im Lebensstrom in ständiger Verbindung miteinander. Du wirst auch noch lernen wie das funktioniert. Aber jetzt höre mir gut zu: die Angehörigen des alten Volks sind in der Lage den Lebensstrom zu kontrollieren. Konzentriere dich und hilf uns, den Lebensstrom als Waffe gegen den Meteor einzusetzen. Dies ist die Wirkung von ‚Heilig‘!“ Aerith holte tief Luft und warf Zack, der ihr in einer aufmunternden Geste eine Hand auf die Schulter legte, einen dankbaren Blick zu. Dann schloss sie die Augen und konzentrierte sich auf das Gefühl, das sie überkommen hatte, während sie vor dem Altar gebetet hatte. Nach nur kurzer Zeit spürte sie deutlich wie sie von einer unbeschreiblichen Macht ergriffen und eingehüllt wurde. Ihr war in diesem Moment als hätte sie mit nur einem Fingerschnippen den gesamten Planeten vernichten können. Doch stattdessen riss sie den Arm hoch und befahl dem Lebensstrom an die Oberfläche zu treten und mit aller Kraft gegen den herabstürzenden Meteor zu drücken. Dem Gewicht des riesigen Gesteinsbrockens standzuhalten, war eine schwierige, kraftraubende Arbeit, aber irgendwann fühlte Aerith, dass der Meteor von der Gewalt des Lebensstroms auseinandergerissen und aufgerieben wurde. Nur kurz darauf war von der einstigen Bedrohung nicht mehr übrig als ein wenig Steinstaub und glitzernde Pfützen, die der Lebensstrom hinterlassen hatte. Zack schloss seine Freundin fest in die Arme und flüsterte: „Du hast es geschafft! Ich bin so stolz auf dich!“ Aerith lächelte breit zu ihm herauf und dankte ihrem Schicksal, bevor sie Zack einen Kuss auf die Lippen hauchte. Nach all der Zeit des sehnsüchtigen Wartens und der Turbulenzen hatte sie nicht nur ein ewiges Leben mit Zack bekommen, sondern auch ihre leibliche Mutter kennen gelernt, sowie ihre Freunde und den Planeten retten können. Tot zu sein war für sie gar nicht mal so übel… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)