Seelenschatten von Labrynna ================================================================================ Kapitel 12: Offenbarung ----------------------- Aerith war auch dann noch mit der Ausarbeitung ihres Plans beschäftigt, als sich schon lange tiefe Nacht über Gongaga herabgesenkt hatte. Sie saß am Dorfrand im ausgedorrten Gras, betrachtete mit Faszination und ängstlich krampfendem Herzen das beeindruckend funkelnde Sternenfirmament und überlegte, wie sie nun weiter vorgehen wollte. Ob sie jemanden einweihen sollte? Doch wen? Gerne hätte sie Cloud oder Tifa von ihrem Plan erzählt, doch das war momentan undenkbar. Abgesehen davon, dass der Blonde noch immer völlig weggetreten war, war ihm nicht zu trauen. Aerith war sich bewusst, dass er die schwarze Materia nicht aus freien Stücken an Sephiroth gegeben hatte. Doch wer konnte schon erahnen, wann Cloud erneut in den Bann dieses Wahnsinnigen gelangen würde? Auch wenn die Cetra nicht wusste, wie die Verbindung zwischen den beiden Männern aussah und wie Sephiroth sein Opfer nahezu perfekt manipulieren konnte, war sie sich sicher, dass Cloud nicht zufällig derjenige gewesen war, der die schwarze Materia weitergegeben hatte. Dem angeschlagenen Gruppenführer von ihren Plänen zu erzählen, wäre also viel zu riskant gewesen und Tifa hätte ihren Freund niemals zurückgelassen. Doch wem sollte sie sich dann anvertrauen? Red? Aerith war vollkommen von ihren Gedanken absorbiert, sodass sie die herannahenden Schritte erst bemerkte, als die Person neben ihr zum Stehen kam. Ein wenig erschrocken sah die Cetra zu ihrem Besuch auf und stellte erleichtert fest, dass s nur Tifa war, die sich neben sie in den Dreck setzte. Die junge Frau sah abgespannt und entkräftet aus, was Aerith sogleich dazu veranlasste, ihr einen Arm umzulegen. „Wie geht es ihm?“, erkundigte die besorgte Cetra sich nach Clouds Zustand. Tifa schüttelte traurig den Kopf und antwortete: „Noch immer nicht besser. Bisher hat er noch kein einziges Mal das Bewusstsein wiedererlangt. Er wirft sich nur von Albträumen geplagt auf dem Bett hin und her und wimmert Unzusammenhängendes wie ‚Was hast du nur getan, Sephiroth‘, ‚Lasst mich raus‘ oder ‚Zack, nein, lass mich nicht allein‘.“ Die Erwähnung dieses Namens wirkte auf Aerith wie ein Stromstoß und ihr Körper spannte sich augenblicklich an, was Tifa irritiert die Augenbrauen zusammenziehen ließ. Als sie den fragenden Blick ihrer Freundin sah, erklärte die Cetra mit schmerzendem Herzen: „Mein erster Freund Zack war ebenfalls ein Soldat ersten Ranges in Shinras Korps. Er ist jedoch vor inzwischen fünf Jahren spurlos verschwunden. Erinnerst du dich? Bei unserem letzten Besuch hier haben wir seine Eltern kennen gelernt.“ Erkenntnis erhellte Tifas Gesicht und sie stellte fest: „Deswegen bist du plötzlich davongelaufen!“ „Ja. Mich verwirrt allerdings sehr, dass Cloud Zacks Namen ruft… Er hat bisher doch immer behauptet, er kenne niemanden, der so heißt. Aber naja, vermutlich meint er einen anderen Zack und ich reagiere über.“ Eine Weile saßen die beiden Frauen schweigend nebeneinander und hingen ihren eigenen trüben Gedanken nach. Aerith, die mit ihren Erinnerungen kämpfte, glaubte, Tifa sei geistig mit ihrer Sorge um Cloud beschäftigt, doch als die Bardame schließlich die Stille durchbrach, kamen gänzlich andere Worte aus ihrem Mund: „Dein Zack war nicht zufällig ziemlich groß, hatte eine auffällige Narbe am Kinn, sowie langes, zurückgekämmtes, aber dennoch leicht strubbeliges, schwarzes Haar und hieß mit Nachnamen Fair?“ Wie vom Donner gerührt starrte Aerith ihre Freundin an, die mit einem gequälten Gesichtsausdruck auf ihre im Schoß gefalteten Hände sah. „Doch! Genau so sah er aus!“ Die völlig verblüffte Cetra war von der Situation so überwältigt, dass es sie dieses Mal gar nicht störte, dass ihre Stimme zitterte und sich gleich mehrfach überschlug. „Du kennst ihn?!“ Am liebsten hätte sie Tifa geschüttelt, damit diese endlich alles erzählte, was sie wusste. Die sensible Bardame knibbelte an einem Hautfetzen ihres rechten Daumens und holte tief Luft so als kämen ihr die folgenden Worte nur schwer über die Lippen: „Ja. Ich habe ihn vor ungefähr fünf Jahren kennen gelernt. Er – nicht Cloud – war es, der damals mit Sephiroth nach Nibelheim kam, um nach der Fehlfunktion im Reaktor zu sehen.“ Aerith ließ langsam den angehaltenen Atem aus ihren Lungen entweichen und nahm ihren Arm von Tifas Schultern. Obwohl sie gerade erfahren hatte, dass sie von Cloud und seiner Freundin belogen worden war, fiel ihr ein großer Stein vom Herzen: Zack hatte sie nicht hintergangen. Er war tatsächlich auf einer Mission in Nibelheim gewesen, so wie er es gesagt hatte! Vor Erleichterung, die durch ihren Geist schwappte, hätte sie beinah nicht mitbekommen wie Tifa schnell weitersprach: „Ich weiß nicht, warum Cloud behauptet, er sei damals dabei gewesen. Ich habe ihn in seiner aktiven Soldatenzeit nicht ein einziges Mal zu Gesicht bekommen.“ Mit einem entschuldigenden Seitenblick auf Aerith fügte sie an: „Es tut mir so leid, dass ich bislang nie gesagt habe, dass die Ereignisse damals in Nibelheim anders waren als Cloud sie erzählt. Ich wusste nicht, dass es dir viel bedeutet hätte, wenn ich mein Schweigen gebrochen hätte. Ich hab einfach immer gehofft, Cloud würde mir die Wahrheit irgendwann von sich aus sagen oder ich würde selbst hinter dieses Rätsel kommen – denn obwohl er nicht dabei war, kennt er Einzelheiten, die eigentlich nur Zeugen des Nibelheim-Feuers kennen können. Ich war neugierig und hatte Angst, Cloud könnte uns verlassen, wenn ich ihn bloßstelle.“ Sie ließ den Kopf hängen und wiederholte unter Tränen: „Es tut mir leid. So leid!“ Aerith strich ihr beruhigend übers Haar und murmelte: „Ist schon okay. Man macht eine Menge blödes Zeug, wenn man verliebt ist.“ Tifa sah überrascht wieder auf und bekam große Augen, als sie bemerkte, dass ihre Freundin trotz allem lächelte. „Aber du könntest mir einen Gefallen tun“, überlegte die Cetra laut, bevor die Bardame ihre Verwirrung formulieren konnte. „Was immer du willst.“ „Erzähl mir alles, was du weißt. Von Anfang an.“ Tifa nickte und begann ein wenig stockend zu erzählen: „Wir waren fast noch Kinder, als Cloud plötzlich beschloss, er wolle Nibelheim verlassen und nach Midgar gehen, um dort in Shinras Soldatenkorps einzutreten. Seit dem Tag seines Auszugs habe ich sämtliche Zeitungen durchforstet, immer in der Hoffnung etwas über ihn und seine Heldentaten zu lesen. Doch der Einzige, über den immerzu berichtet wurde, war Sephiroth. So gingen die Jahre ins Land, bis es schließlich hieß, Shinra schicke Soldaten zu uns, damit sie sich um den defekten Reaktor kümmern. Ich war so aufgeregt! Ich war mir sicher, dass Cloud sich diese Gelegenheit, seinen Kindheitsfreunden zu zeigen, was aus ihm geworden war, nicht entgehen lassen würde. Ich wartete den ganzen Tag an den Stadttoren, doch als der Transporter der Soldaten endlich ankam, war meine Enttäuschung groß, denn es stiegen nur zwei Infanteristen, sowie Sephiroth und Zack aus. Von Cloud war weit und breit nichts zu sehen. Doch so leicht gebe ich nicht auf – du kennst mich. Also bot ich mich den beiden Soldaten als ortskundige Führerin an und begleitete die kleine Gruppe hoch auf Mount Nibel zum Reaktor. Auf dem Weg dorthin fragte ich Zack, der im Gegensatz zu Sephiroth offen und herzlich wirkte, nach Cloud aus, womit ich ihn ziemlich zum Lachen brachte… Seine Antworten waren jedoch wenig befriedigend. Er sagte nur immer wieder, ich solle meinen Blick nicht zu sehr auf Shinras Soldaten beschränken. Ich weiß bis heute nicht, was er mir damit sagen wollte… Nach dem Besuch im Reaktor war Sephiroth auf einmal sehr verändert. Ich weiß nicht, was dort damals passiert ist, jedenfalls zog sich Sephiroth danach in die Shinra-Villa zurück und schottete sich gänzlich von der Außenwelt ab. Zack hat ihn in dieser Zeit sehr viel besucht, konnte jedoch auch nichts ausrichten. Ich erinnere mich daran, dass er einmal darüber gemurrt hat, dass sein Mobiltelefon in unserem Kaff kaum Empfang habe, weswegen er seine Freundin – damit warst dann wohl du gemeint – nicht anrufen und um Rat fragen könne.“ Aerith fiel ein weiterer Stein vom Herzen, als sie den Grund dafür erfuhr, weshalb Zack von Nibelheim aus nie angerufen hatte. Sie erinnerte sich gut daran, dass sie unzählige Versuche gebraucht hatte, bis die Leitung für ihr letztes Telefonat endlich gestanden hatte. Ungeduldig wie Zack gewesen war, hatte er vermutlich nie mit genügend Ausdauer versucht, zu ihr durchzukommen. „Doch dann kam der Tag, an dem Sephiroth völlig durchdrehte“, fuhr Tifa fort. „Er erschien plötzlich wie ein böser Geist in den Straßen, zündete die Häuser an und ermordete wahllos Passanten. Ich habe gesehen, wie er sogar einen Infanteristen, der Clouds Mutter aus ihrem brennenden Haus retten wollte, niedergeschlagen hat. Anschließend verschwand er in Richtung des Reaktors. Ich bin ihm hinterhergehetzt, da ich wusste, dass mein Vater noch im Reaktor bei der Arbeit war. Ich hatte gehofft, Papa noch rechtzeitig warnen zu können, aber ich kam selbstverständlich zu spät… In meiner bodenlosen Wut habe ich mich blindlings auf Sephiroth gestürzt, doch ich war natürlich Herausforderung für ihn.“ Die junge Frau zog den Ausschnitt ihres Shirts ein wenig herunter und präsentierte Aerith den Ansatz einer erschreckend langen Narbe, die sich über Tifas gesamten Brustkorb zog. „Mit nur einem Schwertstreich hatte er mich außer Gefecht gesetzt und wandte sich wieder seinem Ziel zu: die im Reaktor gelagerten Überreste Jenovas. Er hatte kaum die Tür passiert, da tauchte auch schon Zack auf, der mich schnell grob verarztete, bevor er Sephiroth gefolgt ist. Ich erinnere mich daran, dass ich die Beiden zunächst lautstark streiten und dann miteinander kämpfen gehört habe. Jedoch weiß ich nicht, wie diese Auseinandersetzung geendet ist, da ich irgendwann das Bewusstsein verloren habe. Als ich wieder zu mir kam, war ich weit weg von Nibelheim, da mein ehemaliger Kampfsportlehrer mich aus dem Reaktor gerettet und aus der Stadt gebracht hatte. Nur kurz darauf hörte ich das erste Mal von Avalanche und beschloss, nach Midgar zu gehen und mich den Rebellen anzuschließen. Nach dem, was Sephiroth in Nibelheim angerichtet hat, hasse ich Shinra und alles, was damit zu tun hat, abgrundtief! Von Zack habe ich jedoch seit der Nacht des großen Brands nie wieder etwas gehört oder gar gesehen. Ich weiß nicht, was aus ihm geworden ist. Deswegen hat es mich auch so getroffen, als ich erfahren habe, dass auch seine Eltern nichts mehr von ihm gehört haben. Aber ich wünsche mir noch immer, dass es ihm gut geht. Er ist ein anständiger, guter Mensch.“ „Du glaubst, dass er noch lebt?“ Die unterschiedlichsten Emotionen wirbelten durch Aeriths Geist und ließen ihre Stimmen matt klingen. Auf der einen Seite war sie unglaublich stolz auf Zack, weil er den Mut besessen hatte, sich dem Liebling der ShinraInc entgegenzustellen. Auf der anderen Seite hätte sie ihn für so viel Blödheit am liebsten geohrfeigt. Sephiroth war unglaublich mächtig und stark. Alleine gegen ihn zu kämpfen grenzte an Idiotie. Doch vor allem war Aerith froh und erleichtert, weil sie endlich zumindest eine Idee hatte, was ihrem Freund zugestoßen war. „Ich weiß es nicht“, räumte Tifa ein, „aber ich hoffe es sehr.“ Ob Zack sich wohl versteckt hielt, weil er Sephiroths und Shinras Rache fürchtete? Es war eine mögliche Erklärung, befand Aerith, doch sie konnte dennoch nicht von ganzem Herzen daran glauben. War es nicht wesentlich wahrscheinlicher, dass Sephiroth Zack erschlagen hatte? Aber warum hatte sie seinen Tod dann erst vor kurzem gespürt? Die Gedanken in Aeriths Kopf kreisten wie ein trudelndes Karussell. Um sich davon abzulenken, fragte sie: „Und wann hast du Cloud wiedergetroffen?“ „Das war erst vor wenigen Monaten“, erklärte Tifa. „Ich habe ihn zufällig am Bahnhof in Midgar getroffen, wo er im Regen saß und einen schrecklich verwirrten Eindruck gemacht hat. Er schien gar nicht mehr richtig er selbst zu sein. Ereignisse aus unserer Kindheit hatte er vergessen, dafür wusste er Einzelheiten über den Nibelheim-Vorfall, die mich überraschten. Ich habe anschließend Barrett angefleht, Cloud trotz seines Zustands bei Avanlanche aufzunehmen. Ich hatte Angst, ihn wieder aus den Augen zu lassen… Je mehr Zeit wir miteinander verbrachten, desto normaler wurde er wieder. Ich habe wirklich geglaubt, ich könnte ihn heilen… Ich bin so naiv und dumm!“ Tifa schniefte laut und schlug sich die Hände vors Gesicht. „Ich bin schuld daran, dass Sephiroth die schwarze Materia bekommen hat. Wenn ich doch nur früher etwas gesagt hätte…“ „Shht!“ Aerith zog ihre völlig aufgelöste Freundin wieder in ihren Arm und strich ihr beruhigend über den Rücken. „Wenn du es so sehen willst, trifft mich genauso viel Schuld. Ich habe schon vor einiger Zeit bemerkt, dass etwas mit Cloud nicht stimmt. Doch niemand konnte ahnen, dass so etwas passieren würde. Als gräm dich nicht.“ Überrascht hob Tifa den Kopf und sah ihre Freundin aus rotgeränderten Augen an. „Du bist mir überhaupt nicht böse?“ „Nein. Kein Stück.“ Aerith lächelte warm, um zu zeigen, dass sie jedes Wort von Herzen ernst meinte. Dann schwang sie sich auf die Füße, zog Tifa ebenfalls hoch und schubste sie sanft in Richtung Dorf. „Geh. Cloud braucht dich jetzt. Ich werde noch ein wenig hierbleiben und die Sterne genießen.“ Für einen Moment zögerte Tifa, doch dann nickte sie und verfiel in einen lockeren Lauf. Während Aerith ihrer Freundin hinterher sah, beschloss sie, dass sie noch in dieser Nacht alleine aufbrechen würde. Der Rest der Gruppe würde genug damit zu tun haben, sich neu zu sortieren und die Wahrheit über Cloud, die nun unweigerlich ans Licht kommen würde, zu verdauen. Außerdem konnte sowieso nur ein Angehöriger des alten Volks Sephiroth noch aufhalten! Mit langen, sicheren Schritten verließ Aerith im Schutz der Dunkelheit das Dorf, ohne sich von ihren Freunden zu verabschieden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)