something von AtriaClara ================================================================================ Kapitel 1: Friday Night Fever ----------------------------- Laute Musik dröhnt durch den Club, der Boden bebt und die Wände erzittern unter der Kraft der wummernden Bässe. Blitzende Scheinwerfer rotieren an der Decke und schicken ihr farbenfrohes Licht über die tanzende Meute. Die Luft ist heiß, stickig und riecht nach Schweiß mit einem Hauch von Deodorant. Ich stehe an meinem angestammten Platz an der Bar, den Rücken gegen den Marmortresen gelehnt, nippe an der eisgekühlten Flasche Bier in meiner Hand und beobachte dabei das bunte Treiben um mich herum. Das "Marley's" ist brechend voll, so wie jede Freitagnacht. Ein unaufhörlicher Strom aus Farben, Duftwolken, Informationen und Gesprächsfetzen zieht an mir vorbei, der äußerste Teil des Menschenstrudels, der sich um die Tanzfläche dreht. Alle haben sie gehört, dass sie heute hier ist, wollen nun einen schnellen Blick auf sie erhaschen und folgen dabei ihrem unentrinnbaren Sog. Trixie. Das ist ihr Name, oder zumindest nennt sie sich so. Man könnte sie als eine Art lokale Berühmtheit bezeichnen, aber das wäre nicht ganz zutreffend, denn sie ist noch so viel mehr. Sie ist das Zentrum, um das sich hier alles dreht. Sie ist der Fixpunkt unseres 2500-Quadratmeter-Universums und früher oder später führen alle Wege zu ihr. Sobald sie die Tanzfläche betritt, bildet sich sofort ein Pulk aus Frauen um sie herum, die alle mehr oder weniger subtil versuchen, so nah wie möglich an sie heranzukommen. Manchmal gibt es sogar echte Prügeleien um die begehrten Plätze in der ersten Reihe- unter den Stammgästen ein immer wieder gerne gesehenes Ereignis, das lautstark angefeuert und begeistert beklatscht und bejohlt wird, am lautesten von Trixie selbst. Warum all die Aufregung? Wozu der ganze Aufwand? Das habe ich mich immer wieder kopfschüttelnd gefragt, als Trixies außergewöhnliche Beliebtheit ihren Anfang nahm. Ich verstand es einfach nicht. Trotz ihres zugegebenermaßen tollen Körpers ist sie nicht hübsch, zumindest nicht im stereotypischen Sinne. Ihre Klamotten wirken immer wie zufällig zusammengewürfelt und ihre Haarfarbe ändert sie alle paar Tage. Sie kann nicht singen, sie kann nicht tanzen, sie lacht über die miesesten Witze und hat einen wirklich schlimmen Asi-Slang. Sie ist hysterisch, aufgedreht und unglaublich nervig. Und doch hat sie etwas an sich, was sie zum Mittelpunkt jeder Clubnacht macht. Irgendetwas, das sie dazu befähigt, alleine auf eine Party zu gehen und sie mit zwei Frauen in jedem Arm wieder zu verlassen. In Nächten wie dieser habe ich viel darüber nachgedacht, was dieses Etwas sein könnte, manchmal freiwillig, meistens eher während philosophischer Anfälle von Melancholie nach zuviel Alkohol. Eine Antwort habe ich in all der Zeit nicht gefunden, zumindest aber habe ich es geschafft, ein paar Theorien aufzustellen. Nehmen wir zum Beispiel die attraktive Schwarzhaarige in dem dunkelroten Kleid dort drüben, direkt in der so umkämpften ersten Reihe. Neben Trixie wirkt sie etwas unsicher, sie tanzt zwar gut und hat sichtlich Spaß bei der Sache, scheint sich jedoch noch nicht wirklich an sie heranzutrauen und zeigt auch keine Anzeichen von Anziehung oder Erregung. Offensichtlich ist es das erste und vermutlich auch letzte Mal, dass sie einer Frau so nah ist. Eindeutig Vollzeit-Hetero, denke ich. Sie steht gar nicht auf Frauen, sie ist nur wegen Trixie hier. Sie ist kein Einzelfall. Frauen wie sie sind hier mittlerweile nichts Ungewöhnliches mehr, ganz im Gegenteil. Seit sich herumgesprochen hat, dass Trixie unglaublich gut im Bett sein soll, kommen von überall her weibliche Gäste, die einen Kurztrip zum anderen Ufer machen wollen: Frustrierte, vom Leben enttäuschte Mittdreißiger, die nur für eine Nacht aus ihrer Routine ausbrechen und etwas Verrücktes wagen möchten oder experimentierfreudige College-Studentinnen auf der Suche nach sich selbst. Aber natürlich lockt die Aussicht auf eine unkomplizierte heiße Nacht nicht nur Hetero-Frauen an, ich habe auch schon einige der weiblichen Stammgäste von Trixie schwärmen hören. Und ich kann es ihnen nicht einmal verübeln, denn dafür ist sie ideal. Ein One-Night-Stand mit ihr ist herrlich einfach und erfordert keinerlei Vorkenntnisse. Du hast noch nie mit einer Frau geschlafen? Kein Problem, denn du brauchst nichts weiter zu tun, als dich in deinem Bett zurückzulehnen und zu genießen. Sie wird die dominante Rolle übernehmen, sich um alles kümmern und dich verwöhnen. Du hast schon Erfahrung? Umso besser! Sobald du morgens aufwachst, ist Trixie schon verschwunden. Keine Verpflichtungen, keine Anrufe, keine verletzten Gefühle. Es ist, als hätte es sie nie gegeben und sie wird auch nicht wiederkommen. Nicht, weil es ihr nicht gefallen hätte: Sie ist allergisch gegen jegliche Art von Routine und braucht ständig Abwechslung, um sich nicht zu langweilen. Zum Beispiel mit der Hotpants tragenden Brünetten, die sich leicht schwankend von der anderen Seite an sie heranmacht. Offensichtlich musste sie sich vorher etwas Mut antrinken, aber jetzt geht sie aufs Ganze: Die beiden tanzen so eng aneinander, dass sie eigentlich nur noch ein leidenschaftlicher Zungenkuss vom wilden Rummachen trennt. Der hungrige Blick der Brünetten klebt förmlich an Trixies Körper fest, während sich mit der Zunge die Lippen befeuchtet. Es ist nicht schwer zu erkennen, was sie damit gerade lieber machen würde, denn ihre vor Verlangen brennenden Augen schreien es geradezu hinaus: Schluss mit dem Vorspiel. Ich will dich unter mir, genau jetzt. Keinen Blümchensex, dafür hätte sie sich nicht betrinken müssen... Nein, sie ist eine der Kink-Ladys, jede Wette. Was mich zu meinem nächsten Punkt bringt. Du wolltest immer schonmal völlig hemmungslos deine sexuellen Fantasien ausleben, konntest dich aber nie dazu überwinden oder findest keinen Partner dafür? Trixie ist deine Rettung. Ihr ist nichts zu gestört, nichts zu abgedreht, nichts zu krank, um es nicht zumindest auszuprobieren. Aber auch hier gilt die Goldene Regel: Nur eine Nacht. Es ist völlig egal, wie sehr du davon überzeugt bist, dass sie auf dich steht, sie wird dich für eine andere sitzenlassen, das ist Fakt. Man braucht kein studierter Doktor zu sein, um mitzubekommen, dass Trixie mental nicht besonders stabil ist, die Nachricht vom eher zweifelhaften Zustand ihrer Psyche hat schnell die Runde gemacht. Zwar posaunt sie es nicht überall hinaus, aber sie macht auch keinen Hehl daraus, dass sie schon mehrere Aufenthalte in Gefängnissen und Nervenheilanstalten hinter sich hat- es ging sogar einmal das Gerücht herum, dass sie eine gesuchte Serienmörderin ist. In jeder anderen Lebenslage würde man sich von einem solchen Menschen so weit wie möglich fernhalten. Die Gesprächslautstärke auf ein Minimum reduzieren, sobald er den Raum betritt und ihn hinter vorgehaltener Hand als Freak bezeichnen. Aber für ein paar Stunden Spaß mit Trixie ist jede ihrer Anbeterinnen bereit, alle normal geltenden Regeln und Prinzipien über Bord zu werden. Und dann gibt es noch die, die genau das an ihr reizt... Mein Blick wandert zu der kurzhaarigen Blondine mit Lederjacke und Springerstiefeln, die hinter ihr tanzt. Die Faszination, die das unerklärliche Mysterium Trixie in ihr auslöst, ist nicht zu übersehen. Ihr Antrieb ist der Reiz des Gefährlichen. Die Abenteuerlust. Die Psychopathen, die du im Fernsehen noch so tiefgründig und interessant fandest, kommen nun endlich auch zu dir nach Hause. Ob man die fiktiven und daher harmlosen Charaktere vom Bildschirm mit einer realen Gefahrenquelle vergleichen kann, ist zumindest fragwürdig, aber wenigstens wissen sie aus ihren TV-Shows schon ungefähr, worauf sie sich einlassen, auch wenn es sie nicht kümmert. Wenn ich mir dagegen die kleine Rothaarige in dem viel zu kurzen und praktisch nach Aufmerksamkeit bettelnden Kleidchen ansehe... Wie eine Klette hängt sie an Trixies Schulter und schaut völlig hingerissen zu ihr auf. Es ist fast schon aufdringlich, wie sehr sie sich an sie heranschmeißt, trotzdem habe ich ihren Blick nicht einmal an Trixie hinunterwandern sehen. Sie will nicht etwa ihren Körper... sie will ihr Herz. Das sind die Schlimmsten, denke ich und meine Lippen verziehen sich zu einem bitteren Lächeln. Frauen wie sie schlafen nicht mit Trixie, weil sie ihre eigenen Bedürfnisse befriedigen wollen, nein, sie tun es, um ihr zu helfen. Sie haben in der Regel ein paar Wikipedia-Artikel gelesen und halten sich deshalb für eine Diplom-Psychologin. Dann lassen sie sich mit Trixie ein in dem arroganten Glauben, dass ausgerechnet sie die Besondere, die Auserwählte sind, die ihr Herz gewinnen und sie wieder auf die richtige Bahn führen, sie zur Vernunft bringen, sie heilen und ihre verdrehte Psyche reparieren kann. Dabei sind sie im Grunde nur dumme, kleine, romantisch verklärte Mädchen, die trotz aller Gegenbeweise immer noch fest daran glauben, dass sich jedes Problem der Welt lösen lässt, wenn man es nur mit genug Liebe überschüttet. Fast bemitleide ich sie. Morgen wird sie alleine und verlassen in den Scherben ihres naiven Weltbildes aufwachen und sich vermutlich noch für ein paar Tage die Augen aus dem Kopf heulen. Ich weiß, was Trixie mit Herzen macht, ich habe es oft genug gesehen. Sie sucht keine Frau fürs Leben, sie will nur ihren Spaß. Und den bekommt sie, egal, wieviele Herzen sie dafür brechen muss. Vielleicht ahnt sie noch nicht einmal, was für einen Schaden sie damit anrichtet. Vielleicht weiß sie es und es ist ihr egal. Vielleicht genießt sie es sogar. Frustriert wende ich mich wieder ab und nehme ein großen Schluck Alkohol. Am Ende gibt es keine Moral der Geschichte. Trixie ist der Grund, warum ich an einen Gott glaube und ihn gleichzeitig verachte, denn er scheint sich einen Scheißdreck darum zu kümmern, ob man nach seinen bescheuerten Regeln lebt, wenn jemand wie sie für ihr Verhalten nicht die geringste Bestrafung erfährt, ja, sogar noch belohnt wird. Und jetzt ist wegen ihr auch noch mein Bier warm geworden. Missbilligend verziehe ich das Gesicht und stelle die Flasche auf dem Tresen ab. Hervorragend. Gerade will ich den Mund öffnen, um mir bei der Barkeeperin ein neues zu bestellen, da höre ich, wie jemand meinen Namen ruft. Aus reinem Reflex hebe ich den Kopf und drehe mich um, bevor mir beim suchenden Umherblicken dämmert, wie vertraut die Stimme klang. Dieser hohe, leicht angetrunkene Singsang... Die langgezogene letzte Silbe... Das war doch nicht etwa- Unwillkürlich macht mein Herz einen Hüpfer, als ich Trixie in der Menschenmenge entdecke. Ich habe keine Ahnung, wie sie es von der Tanzfläche heruntergeschafft hat, aber irgendwie hat sie sich wohl einen Weg durch ihre eigene Fangemeinde gebahnt und tänzelt nun direkt auf mich zu. Ohne dass ich irgendetwas dagegen tun kann, fängt mein Herz wie verrückt an zu pochen und mein Magen dreht sich vor Aufregung einmal um sich selbst. Sitzt meine Frisur? Ich weiß selbst nicht, wieso ich das denke, trotzdem fahre ich mir instinktiv mit der Hand durch die Haare, bevor ich ihren Blick erwidere. Sie tritt neben mich und legt einen Arm um meine Hüfte. Liebevoll? Zärtlich? Besitzergreifend? Denkt sie sich überhaupt etwas dabei oder will sie mich nur ins Bett kriegen? Bedeute ich ihr etwas? Bedeutet irgendjemand ihr etwas? Ich kenne sie nun schon seit Jahren und doch habe ich das Gefühl, nichts über sie zu wissen. Der Geruch von Alkohol und Schweiß umweht mich, als sie mir einen Kuss auf die Wange haucht und mich aus funkelnden Augen ansieht. Ihre seit Kurzem rosa Haare sind zerzaust und stehen in alle Richtungen ab. "Hiii, Marley. Hier is' es langweilig. Gehn wir?" Und ich weiß, ich sollte sie abweisen. Einfach "nein" sagen. Alles in meinem Kopf schreit mir zu, ich solle ihren Arm wegschlagen, ihr den Mittelfinger zeigen und einfach gehen. Ihr irgendeine Art von Grenze aufzeigen, dafür, dass sie unentwegt mit meinen Gefühlen -und denen von so vielen anderen- spielt und damit einfach davonkommt. Stattdessen... bin ich glücklich. Ich platze fast vor Euphorie. In ihrer Gegenwart schüttet mein Gehirn so viele Glückshormone aus, dass ich mich fühle wie auf Drogen. Am liebsten würde ich aufspringen, triumphierend die Fäuste hochreißen und meinen Sieg in die Welt hinausschreien. Sie hat mich gewählt. Eine weitere fantastische Nacht lang kann ich so tun, als gehöre sie nur mir. Natürlich wird sie mich wieder wegwerfen wie ein benutztes Kondom. Morgen werde ich aufwachen, mich einsam und beschissen fühlen und mich fragen, wie dumm ich sein konnte, noch einmal auf sie hereinzufallen... aber etwas an ihr lässt mich alles davon vergessen. Bis die Sonne aufgeht, ist noch viel Zeit, um Spaß zu haben. Ich erwidere ihr Grinsen. Lasse zu, dass sie ihre Hand unter mein Shirt schiebt und mich langsam, aber bestimmt Richtung Ausgang zieht. "Klar", höre ich mich sagen. "Zu dir oder zu mir?" Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)