Abschied von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: Abschied ------------------- Er riss die Augen auf. Er wollte nach Luft schnappen, aber er konnte nicht. Es war auch nicht notwendig. Wie ein ungeborenes Kind brauchte er nicht atmen, allerdings gab es einen feinen Unterschied: Er war tot. Oder fast. Er kniff die Augen zusammen, denn seine Umgebung war gleißend hell oder besser gesagt fast weiß. Er brauchte ein paar Momente, bis seine Augen Umrisse ausmachen konnte, die ihm dabei halfen, ein Ding von dem anderen zu unterscheiden. Farbnuancen geschweige denn Schatten gab es merklich wenig. Er ging ein Stück, sah sich mit einer nie dagewesenen Neutralität um. Es machte ihm kein Unbehagen, in dieser unbekannten Welt zu sein. Er spürte nichts. Bis ihm schlagartig klar wurde, wo er war. Das hier, hier, wo er umherwandelte, schien ein Abbild seiner Heimat zu sein. Dort, wo er als Kind aufwuchs und Lily kennen und schließlich lieben lernte. Mit einem Kribbeln fanden seine Gefühle zu ihm zurück. Er spürte Bitterkeit. Liebe. Neid. Hass. Und Trauer. Er ging weiter und entschied sich dafür, dies hier als letzte schöne Erinnerung zu erleben. Plötzlich erhaschte etwas Farbiges seine Aufmerksamkeit. Es war ein Rot. Umso weiter er lief, umso mehr nahm das Rot die Gestalt einer Person an. Konnte es sein? Seine Schritte wurden schneller, ungeduldiger. Ihm stockte das Herz. Das konnte nicht sein! Zögerlich, ja, fast ein wenig ängstlich näherte er sich der Person. Sie saß auf einer Bank, mit dem Rücken zu ihm. Der Wind umspielte ihr flammend rotes Haar und trieb einige Strähnen in die Höhe, die im Licht golden schimmerten. Er näherte sich ihr noch ein Stück und bekam Gewissheit: Lily. Die Gefühle überschlugen sich ihn ihm. Sein Körper verkrampfte. Warum? Warum hier? Warum jetzt? Mit geballten Fäusten starrte er sie an. Ihre sanfte Stimme riss ihn aus seiner Lähmung: „Severus, komm‘ zu mir.“ Ohne sich umzudrehen, klopfte Lily sachte auf den freien Platz neben ihr. Er keuchte. Er wusste nicht, wie ihm geschah. Jäh sackte er auf die Knie. Seine Augen zitterten. Tränen liefen stumm über seine Wangen. Fast unhörbar flüsterte er kraftlos: „L-Lily, ich...“ Er schrie und beugte sich nach vorn, als wollte er um Verzeihung flehen. Er weinte hemmungslos. Wie ein Kind, das sich völlig in seinen Emotionen verlor. Lily ergriff erneut das Wort. Ihre Stimme war unverändert sanft. „Severus, ich bin hier, um dir zu danken.“ Wie automatisch löste er sich aus seinem Krampf und blickte vorsichtig, fast ehrfürchtig auf. Was sagte sie da? Lily stand vor ihm und bot ihm ihre Hand. „Komm‘, steh‘, auf.“ Dabei lächelte sie ihn an. So lieblich wie in vergangenen Tagen. Er nahm ihre Hand. Und spürte Wärme. Bis hierhin war ihm nicht aufgefallen, dass dieser Ort keine Temperatur hatte. Sie schien durch seine Glieder zu fahren und eine Art Heiterkeit in ihm zu streuen. Ehe er sich versah, stand er Lily gegenüber. Er schaffte es kaum, seine Stimme zu fassen, aber bevor er ein Wort sagen konnte, beantwortete Lily seine ungestellte Frage. „Ich will dir dafür danken, dass du dein Leben für meinen Sohn gegeben hast.“ Ein weiterer Stich traf sein Herz. „Allerdings scheinen mir Worte als Dank unangemessen. Daher habe ich mich dafür entschieden, dich zu begleiten.“ Sie ergriff wieder seine Hand und zog ihn mit sich mit. Für Severus fühlte es sich fast wie einer dieser Tage aus seiner Kindheit an, als er und Lily diese wunderbaren Tage miteinander verbrachten. Nur dass sie jetzt keine Kinder mehr waren. „Erinnerst du dich an diesen Platz?“, fragte Lily und spielte mit einem herabhängenden Weidenzweig. „Früher waren wir so oft hier.“ Er hörte in ihrer Stimme keinen Vorwurf. Sie schien sich einfach an ihren gemeinsamen Erinnerungen zu erfreuen. Plötzlich musterte sie ihn. „Ja, es ist wirklich wie früher. Du so schweigsam, ich… nicht so schweigsam.“ Sie kicherte leise. Es fühlte sich so an, als würde er sich nochmal in sie verlieben. Sein Herz schlug schnell und schien ihn ganz leichtfüßig zu machen. Er folgte jedem ihrer Bewegungen, jedem ihrer Blicke und sog all das hier in sich auf. Auf einmal senkte sie den Blick. „Es ist wirklich schön, wieder hier mit dir hier zu sein, aber...“, Lily lächelte etwas angestrengt und fuhr fort, „es ist Zeit, dass du weitergehst. Es ist nicht gut, zu lang in der Vergangenheit zu schwelgen.“ Severus‘ Mundwinkel verzogen sich unglücklich. „Können wir nicht- .“ „Es tut mir leid“, unterbrach Lily ihn niedergeschlagen. „Aber wir können noch zusammen gehen.“ Ganz plötzlich, aber ganz sanft umschloss Severus Lilys Gesicht und suchte ihren Blick. Traurig sah sie zur Seite und ergriff seine Hände. Er schlang seine Arme um sie und presste sie fest an sich. Er wollte sie nicht gehen lassen. Er drückte seine Wange in ihr weiches Haar. „Severus, es ist Zeit.“ Vorsichtig löste sie sich aus ihrer Umarmung, nahm ihn wieder an der Hand und führte ihn zu seinem alten Elternhaus. Vor der Haustür blieben sie stehen. Lily öffnete die Tür des Hauses. Sie schwang einen Spalt auf. Severus wusste, dass er nichts daran ändern konnte, aber sein Füße schienen wie mit der Erde verwurzelt. Sie legte ihre Hand auf seinen Brustkorb, nicht unweit dem Herzen, und sagte: „Es ist kein Abschied für immer.“ Er legte voller Sehnsucht seine Hand auf ihre. Ein letztes Mal. Dann drehte er sich zur Tür, sah noch einmal zu ihr, bevor er hindurchging und sprach: „Ich liebe dich, Lily.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)