Herzblind von Schwarzfeder ================================================================================ Prolog: .prolog --------------- Das Herz ist ein Muskel, sagen Mediziner. Der Motor unseres Kreislaufs, der uns am Leben erhält. Es existieren unzählige Fachbücher und jedes Jahr spezialisieren sich weitere Ärzte und Gelehrte auf dieses Organ. Und doch gibt es immer noch Rätsel auf und wird weiterhin erforscht. Das Herz ist der Hort der Seele, behaupten wiederum andere. Der Platz, an dem der Mensch sich selbst zum Menschen definiert und am meisten spürt, dass er ein Mensch ist. Kummer, Freude, im Grunde jede Art der Emotion wird durch das Herz deutlich und spürbar. Sieht man einen geliebten Menschen weinen oder verliert ihn sogar, schmerzt es unsäglich, während Freude und die Erfüllung von Liebe ein flaumig weiches und doch so großes Gefühl hinterlässt, als ob man jeden Moment platzen könnte. Jeder hat diese Emotionen vielleicht schon einmal erlebt, erlebt sie grade oder kann sich noch erinnern wie es vor Jahren einmal gewesen ist. Doch niemand weiß ob es wirklich stimmt, dass das Herz der Hort der Seele ist. Viele machen sich kaum bis keine Gedanken darum, glauben vielleicht nicht einmal an die Existenz einer Seele oder wünschen sich keine Definition dafür. Doch das Herz...wird genutzt. Tagtäglich. Vom Körper, um ihn in Bewegung zu halten und jede Art Alltag zu bewältigen. Um unseren Körper mit Sauerstoff zu versorgen und so am Leben zu erhalten. Und als Symbol für die Liebe. Es wird in jeder Form und Farbe genutzt um Gefühle auszudrücken. Durch Bilder und Worte beschreiben Dichter, Künstler, Lyriker und Schriftsteller seit Jahrtausenden was das Herz für den Menschen tut und wozu das Herz in der Lage ist. Mein Herz sagt mir, dass... oder Ich sehe mit dem Herzen, nicht mit den Augen, sind gern genutzte Ausdrücke um deutlich zu machen, wie die eigene Gefühlswelt der Person aussieht, die sich dieser Formulierungen bedient. Und sie kennen noch tausende andere. Doch was ist, wenn das Herz nichts sagt? Was passiert, wenn es nicht sieht? Was muss man tun, wenn das Herz...blind ist. Kapitel 1: .eins ---------------- Es ist ein jämmerliches, klägliches Weinen, das mich aufsehen lässt. Für einen Moment kommt es mir vor wie eine Einbildung, weshalb ich weiter gehen will um meine Arbeit fort zu setzen. Doch dann ertönt es wieder. Kurz zögernd starre ich auf den für mich nun auszuführenden Auftrag für einen einfachen Ölwechsel. Dann übernimmt aber mein Gewissen. Ich lege das Klemmbrett zur Seite und versuche dem Klang zu folgen. Einer meiner Kollegen fragt, was ich treiben würde, doch ich wedele nur abwimmelnd mit der Hand um ihn zum Schweigen zu bringen. Es ist schon laut genug durch die anderen Werkstattgeräusche um mich herum. Mitten auf dem Hof stehend, sehe ich mich um, entdecke aber nur die Autos der heute noch anstehenden Reparaturen. Ansonsten ist nichts zu sehen. Ich will mich grade wieder umdrehen, als ich es wieder jammern höre und diesmal glaube ich sogar die Richtung zu erkennen. Dem Gefühl folgend, gehe ich auf den Nissan Micra mit Kupplungsschaden zu und zwischen diesem und dem Pick-Up, der Sommerreifen aufgezogen bekommen soll, steht ein Karton. Perplex bleibe ich stehen und runzele die Stirn, während mein Blick über das nur zu bekannte Amazon-Logo fliegt und an den leicht eingedellten Seiten hängen bleibt. Dann rappelt es und der Karton bewegt sich, mit einem weiteren, kläglichen Jammern. Während ich mich nähere wird das Jammern lauter und mir bewusst, dass irgendjemand ein Tier ausgesetzt haben muss. An unserer Werkstatt. Leise grummelnd gehe ich in die Knie und sehe, dass der Karton sogar zugeklebt ist, was meine Laune nicht wirklich hebt. Welcher Arsch war das denn? Ohne weiter darüber nach zu denken welche Art Tier da drin sein müsste, ziehe ich einen Kulli aus meinem Blaumann um das Klebeband auf zu reißen. »Unfassbar«, nuschele ich ungläubig und klappe die Box auf. Sonst freue ich mich über Pakete, aber jetzt wird mir fast schlecht vor Wut. Ich habe zwar keine eigenen Haustiere und auch nie welche besessen, bin aber durch meine Schwestern mit Tieren aufgewachsen und deshalb ohne jedes Verständnis für solche Aktionen. Es ist im Grunde keine Überraschung als mir ein kleines, schwarzes Kätzchen erschrocken entgegenblinzelt. Jämmerlich maunzend drückt sich das kleine Ding in die Ecke und ich werde von Mitleid fast überrannt. Wie kann man nur? »Hey«, murmle ich sanft und will in die Box greifen um das kleine Ding da raus zu holen, doch plötzlich macht es einen Buckel und faucht mich so bedrohlich an, dass ich die Hand lieber sofort zurück ziehe. Was jetzt? Für einen Moment bin ich wirklich überfragt, doch dann fällt mir meine Mitbewohnerin Marie ein. Eine angehende Tierärztin sollte doch sicherlich wissen, was jetzt zu tun ist, oder? Die Box umsichtig hochnehmend, gehe ich zurück und hoffe, dass Marie mir wirklich helfen kann. ~ Eine Stunde später bereue ich fast mir das aufgehalst zu haben. Ich sitze im übervollen Wartezimmer der Tierklinik und halte den Karton fest, indem das Kätzchen hockt und immer wieder leise jammernd maunzt. Zwar habe ich zwischendurch noch einmal versucht den kleinen Racker zu beruhigen, aber entweder er oder sie – keine Ahnung ob Kater oder Katze, das muss sich gleich raus stellen – mag mich nicht oder ist zu verängstigt um sich an fassen zu lassen. Nicht, dass ich es nicht verstehen könnte. Mein Handy vibriert in unregelmäßigen, aber nervigen Abständen und ich vermute stark, dass mein ach so hilfreicher Lehrling das Foto mit den anderen geteilt hat, dass er vorhin von mir und dem Karton gemacht hat, als ich mit Marie telefonierte. Ich überlege gerade wie ich ihn dafür am besten strafen kann, als Marie ihren Kopf ins Wartezimmer rein streckt und mich angrinst. »Der barmherzige Samariter!?«, trällert sie und ich verdrehe die Augen. Jeder hier kann sich an einer Hand ausrechnen wer gemeint ist, weil ich der einzige bin, der im Blaumann und Arbeitsschuhen hier wartet. Zwei Teenie-Mädchen beugen sich kichernd über ihr Kaninchen, während eine Hundebesitzerin in der Ecke wenig erfolgreich versucht ihr Lächeln zu kaschieren. Wieso muss ich eigentlich hier sitzen und warten? Kann man Findeltiere nicht einfach nur abgeben und gehen? Seufzend stehe ich auf und begnüge mich mit einem bösen Blick an Marie, die allerdings völlig unbeeindruckt auf eine Tür schräg gegenüber deutet. »Behandlungsraum drei«, sagt sie gut gelaunt und schiebt mich leicht an. Ich brumme nur und gehe auf die Tür zu, hinter der ich eigentlich einen leeren Raum erwarte, weil ich es von meinem Arzt gewöhnt bin noch einmal warten zu müssen. Doch ich werde sofort eines Besseren belehrt, als mein Blick auf den Tierarzt fällt, der noch dazu jünger aussieht als gedacht. Ich sollte meine Erwartungshaltung vielleicht bei Seite lassen, weil ich diesmal nicht meine kleine Schwester mit einem ihrer Meerschweinchen zum Tierarzt fahre. Der Tierarzt selbst steht da mit einer Akte und erklärt Momo – dem irgendwie-Freund meines anderen Mitbewohners Mathis und praktischer Weise auch direkt gegenüber wohnenden Nachbarn – etwas, der aufmerksam lauscht. Zumindest bis Marie hinter mir die beiden auf mich und mein Findelkind aufmerksam macht. »Da ist er«, flötet sie und schließt dann aber die Tür, ohne mit herein zu kommen. Ich bin ehrlich irritiert, weil ich eigentlich dachte, dass sie mit dabei bleibt, schließlich hab ich sie auch angerufen. Momo aber antwortet auf meine stumme Frage, als ob er meine Gedanken gelesen hat und kommt auf mich zu. »Sie assistiert gleich bei einer OP«, sagt er leise und blinzelt mich kurz an, bevor er zu dem Karton guckt, »Da ist das Kätzchen drin?« Ich übergebe den Karton nickend und atme einen Moment durch, bevor ich nun den Tierarzt wieder ansehe. Für einen Moment bin ich irgendwie sprachlos. Dann frage ich mich unwillkürlich ob das Wartezimmer deshalb so auffällig viele Frauen mit Haustier beherbergt, weil der Tierarzt aussieht wie einem Modemagazin entsprungen. Und dabei trägt er einen unkleidsamen Kittel. »Guten Tag. Sie sind Herr Lorentz, nehme ich an? Ich bin Dr. Schäfer«, erklärt er souverän und bietet mir seine Hand an, die ich rein aus Reflex annehme und kurz schüttle. Er hat einen kräftigen Händedruck und kurz schießt mir durch den Kopf, was mir mein Vater dazu beigebracht hat. Einen toten Fisch will niemand anfassen, sagt er immer. Doch dann schiebe ich auch das zur Seite und besinne mich auf den Grund meines Hierseins. »Gabriel Lorentz, ja«, murmle ich und trete unaufgefordert zu Momo an den Behandlungstisch. Wenn ich schon mal da bin und warten musste will ich auch wissen, ob es dem kleinen Angsthasen in der Kiste auch gut geht. »Frau Hoferland hat erwähnt, dass Sie die Katze gefunden haben?«, fragt der Arzt und legt die Akte zur Seite, bevor er ebenfalls dazu kommt. Ich nicke schlicht. »Ja, bei uns an der Werkstatt« »Werkstatt?« »Ich bin KFZ-Mechatroniker«, erkläre ich und beobachte fasziniert, wie Momo vorsichtig versucht das Vertrauen des kleinen Tieres zu gewinnen. Im Gegensatz zu mir trennt er vorsichtig eine Seite ab und lässt den Deckel geschlossen während er seine Hand tief über den Tisch haltend vorsichtig vorschiebt. Und erstaunlicher Weise hat er damit Erfolg. Denn während ich Dr. Schäfer Fragen beantworte wo genau das Paket stand, wie ich es gefunden habe und warum das Tierchen immer noch da drin sitzt, schafft Momo es das kleine, schwarze Etwas aus dem Karton zu befördern. Ohne Fauchen, ohne Kratzer. Schnurrend reibt es den kleinen Kopf an seiner Hand, während er leise beruhigende Worte murmelt und ich bin ehrlich baff. »Dann wollen wir mal«, sagt nun Dr. Schäfer und widmet sich dem Tierchen. Als ich damals meine jüngeren Schwestern immer wieder und am besten abwechselnd fahren musste, bin ich nie mit in den Behandlungsraum, weshalb ich jetzt auch kaum definieren kann, was der Arzt und Momo da eigentlich genau treiben, doch was ich merke ist, dass dem Kater – wie Dr. Schäfer zwischendurch feststellt – die Prozedur zwar nicht gefällt, doch keiner von beiden groß angefaucht oder sogar angegriffen wird. Undankbares Findelkind. Innerlich seufzend beobachte ich, wie Momo den Kleinen irgendwann hoch nimmt und kraulend an sich drückt, während Dr. Schäfer nun seinen Blick an mich wendet. »Der Kater ist um die 5 Monate alt, aber noch nicht gechipt, deshalb werden wir wohl auch keinen Besitzer ermitteln können. Ihm geht es soweit gut, kein äußerlicher Parasitenbefall oder vergleichbares«, erklärt er, wäscht sich kurz die Hände und setzt sich dann an seinen PC. Ich nicke nur brummend und überlege kurz, bevor ich den Arzt wieder ansehe. »Und jetzt?« »Also, als Finder haben Sie jetzt mehrere Möglichkeiten. Entweder Sie lassen den Kater hier, dann übergeben wir ihn nach der Routinebehandlung an das städtische Tierheim, oder Sie behalten ihn. Allerdings würde er erst nach einer Ablaufzeit von 6 Monaten vollständig in Ihren Besitz übergehen, wenn der Besitzer in der Zwischenzeit nicht auftaucht und ihn zurück verlangt.« »...der Kurze wurde ausgesetzt, ich bezweifle, dass sich da jemand meldet.« »Da das Aussetzen strafbar ist und wir verpflichtet sind eine Anzeige zu machen, bezweifle ich das ebenfalls. Vermutlich stammt er aus einem ungeplanten Wurf und ist über geblieben«, stimmt er mir zu und ich seufze vernehmlich. Über geblieben? Mein Blick rutscht wieder zu dem kleinen Kater, der sich nun gänzlich an Momo gekuschelt hat und ich überlege. Eigentlich ist meine Pflicht ja getan, aber ich weiß durch Maries Tiraden über unverantwortliche Halter nur zu gut, dass das Tierheim, wie quasi jedes andere auch, überlaufen ist. Und irgendwie sträubt sich alles in mir bei dem Gedanken nicht zu wissen, wo der Kleine landet. »Nimmst du ihn auf?«, fragt dann Momo hoffnungsvoll und schenkt mir einen seiner Welpenblicke, mit denen er sonst Mathis unfassbar weich kocht. »Das kann ich nicht einfach so entscheiden. Mathis, Nuri und Marie haben alle ein Mitspracherecht und ich hab keinen Schimmer, wie man einen Kater richtig hält«, erkläre ich ausweichend. Zwar wohne ich schon am längsten in dieser Wohnung und die drei behandeln mich bewusst oder unbewusst irgendwie wie den Bestimmer, der das letzte Wort hat, aber solche Sachen will ich nicht über den Kopf der drei hinweg bestimmen. Sie könnten es mir krumm nehmen. Egal wie süß er auch ist. Momo lächelt nachsichtig und irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass die Entscheidung schon längst gefällt ist. ~ »Und du wolltest mir nicht glauben, dass Moritz sehr wohl seinen eigenen Kopf hat«, erklärt Mathis gehässig, während ich brummig den Kater anstarre, der sich schnuppernd durch die Küche schiebt. »Jaja, du mich auch«, knurre ich und seufze erschlagen. Ich kann selbst nicht fassen, dass ich mich habe breit schlagen lassen. Einen Kater aufzunehmen, einfach so? Das dürfen meine Arbeitskollegen nun wirklich nicht erfahren. In der WhatsApp-Gruppe waren schon genug Machosprüche zu lesen. Eigentlich kümmert mich das nicht, aber bis jetzt habe ich auch dafür gesorgt nie so hervorragendes Futter zu liefern. Wenn die jetzt erfahren, dass ich mich von einem lose bekannten Nachbarsjungen mit so schlichten Argumenten wie, ‘Ich bin doch oft genug da und helf‘ dir dann‘ oder ‘Mathis hat bestimmt nichts dagegen und Marie arbeitet hier, die erst Recht nicht und Nuri sagt eh zu allem ja, wenn man es gut verkauft‘ habe überzeugen lassen... Der Spott würde niemals enden. Vor allem, weil der kleine Kater mich immer noch nicht an sich ran lässt. Als ich ihn aus der geliehenen Transportbox habe raus holen wollen, hat er mir drei wunderbar brennende Kratzer auf der Hand verpasst und mich wieder angefaucht wie sonst was. Entweder ich mache etwas gravierend falsch oder er kann mich nicht leiden. In Anbetracht unseres vermutlich länger andauernden Zusammenlebens wäre das fatal. »Du behältst den jetzt wirklich?« »Dein Freund würde mich vierteilen wenn nicht.« »...er ist nicht so ein Freund«, brummt Mathis verlegen und beschäftigt sich plötzlich hochkonzentriert mit dem Katzenfutter auf dem Küchentisch. Das hatte Momo mir vorsorglich mitgegeben, mit dem Versprechen nach seiner Arbeit mit der restlichen Ausstattung rüber zu kommen. Da er mit seiner Schwester nebenan wohnt und ich schlicht keinen Schimmer habe was so ein Katzentier alles braucht, hatte ich kein schlechtes Gewissen das auch an zu nehmen. Ich hab ihm nur Geld in die Hand gedrückt und mich dann auf den Weg nach Hause gemacht wo Mathis schon mit einem wissenden Grinsen wartete. Ich seufze schwer und verpasse Mathis einen Schlag auf den Hinterkopf. »Du solltest endlich mal über deinen Schatten springen, du Idiot. Selbst deine kleinen Geschwister haben mittlerweile geschnallt, dass du voll auf ihn abfährst«, brumme ich belehrend und schüttle den Kopf, bei dem Gedanken an Philipps Kommentar bei seinem letzten Besuch. Da Mathis nämlich mit seiner Masterarbeit beschäftigt ist, besuchen ihn seine beiden kleinen Geschwister seit neustem jeden Samstag hier in der WG und verbringen den Tag zusammen. Momo ist meist mit von der Partie, was keinen bis jetzt gestört hat. Viel eher hatte es letzten Samstag, als Momo unverhofft für einen Krankheitsausfall in der Tierklinik einspringen musste, dazu geführt, dass Philipp ganz neunmal klug gefragt hatte wo denn Mathis' bessere Hälfte bliebe und sie noch zu spät kämen, wenn er sich nicht beeilt. Während Mathis nun in Verlegenheit ausbrach, erklärte Philipps Zwillingsschwester Lea ihm, dass Momo und Mathis noch gar kein Paar wären. Ich wäre vor Lachen fast an meinem Kaffee erstickt. »Du stellst dir das so einfach vor«, entschuldigt sich Mathis lahm und ich gebe es auf. Im Moment habe ich andere Probleme als Mathis übertriebene Zurückhaltung. Der noch namenlose Kater schiebt sich unter die Sitzbank und wühlt durch das Altpapier, während ich mich nun davor hocke und ihn beobachte. Offensichtlich hat er die Prozedur mit dem nachträglichen chipen und den ersten Impfungen gut verkraftet, denn er sieht zumindest nicht mehr so ängstlich aus, wie heute Mittag als ich ihn gefunden habe. »Wie erklärst du das eigentlich deiner besseren Hälfte?«, fragt Mathis nun ablenkend und ich zucke mit den Schultern. »Ich sag’s ihr einfach. Was soll sie schon machen? Einer von uns wird ja eh immer hier sein, weshalb ich nicht von morgens bis abends hier bleiben muss und ich wüsste jetzt nicht, warum sie mir das verbieten dürfte«, erkläre ich langsam. »Ich könnte mir vorstellen, dass sie das anders sieht«, merkt Mathis an und ich seufze wieder. Er hat schon Recht, weil meine Freundin Sophie ein sehr einnehmendes Wesen hat und gern ihren Willen bekommt. Aber trotzdem lasse ich mir deshalb nicht alles vorschreiben, weshalb ich auch nichts weiter dazu sage. Von jemandem, der es seit fast fünf Monaten nicht gebacken bekommt sich zu überwinden endlich seine so offensichtlichen Gefühle zuzulassen, lasse ich mir sicherlich keine Beziehungstipps geben. Es klingelt an der Tür, weshalb mein Findelkind zurückschreckt und Mathis erstarrt. Ich lache ihn aus, raffe mich auf und gehe zur Tür um einen schwer bepackten Momo herein zu lassen. Er grinst mir mit Feuereifer entgegen und ich muss unwillkürlich dran denken, welche krasse Veränderung er seit dem Einzug seiner Schwester, in unsere Nachbarwohnung vor fast zwei Jahren, gemacht hat. Damals in dem Jahr verbrachten wir unverhofft Weihnachten zusammen, weil Mathis ihn eingeladen hatte und zu diesem Zeitpunkt konnte er mich kaum ansehen, geschweige denn einen ganzen Satz mit mir sprechen. Er ist zwar immer noch nicht der Gesprächigste, aber hat zumindest seine Scheu unserer WG gegenüber verloren. »Wo ist er?«, fragt Momo direkt und ich muss grinsen. »Wer? Dein Herzblatt oder mein Findelkind?«, frage ich stichelnd, weshalb Momo rot wird und sich offensichtlich nicht entscheiden kann, ob er jetzt etwas dazu sagen soll oder nicht. Mathis hingegen plärrt aus der Küche, dass ich ihn nicht so ärgern soll. »In der Küche unter der Bank. Mach was du machen musst, ich geh erst einmal duschen«, erkläre ich dann und lasse Momo im Flur stehen. Vielleicht hilft das ja um meine Gedanken zu sortieren und ich muss endlich aus meinen Arbeitssachen raus. ~ Als ich nach der langen, heißen Dusche wieder in die Küche komme, geht es mir deutlich besser und während Momo den kleinen Kater bekuschelt und Mathis Momo anschmachtet, sehe ich zu Nuri, die grinsend in ein Käsebrot beißt. Sie muss von der Arbeit gekommen sein, als ich noch im Bad war. »Du bist viel weichherziger, als du aussiehst, wirklich«, erklärt sie hoch amüsiert und ich brumme sie nur an, während ich mich an dem Kaffee bediene, den sie anscheinend gekocht hat. »Wo ist Marie?«, frage ich ablenkend mit einem Blick auf die Uhr. Eigentlich müsste sie auch längst wieder nach Hause gefunden haben. »Noch einkaufen, sie ist diese Woche dran«, murmelt Nuri in ihr Käsebrot und ich nicke schlicht, meinen Blick wieder auf dem Kater. »...und du willst ihn wirklich behalten?«, fragt Nuri dann, wie Mathis vorhin noch, doch ich nicke nur wieder. »Wieso? Stört es dich?«, frage ich nach einem Schluck Kaffee und setze mich vor Kopf an den großen Esstisch. Da unsere WG vier Leute unterbringt haben wir nur die Küche als Gemeinschaftsraum, doch da diese groß genug ist und so die Miete für jeden erschwinglicher, stört sich keiner daran. Ich am aller wenigsten. Denn während Nuri, Mathis und Marie alle erst in den letzten Jahren hier eingezogen sind, bewohne ich diese Wohnung schon seit ich damals in die Lehre ging und deshalb kenne ich es nicht mehr anders. Mathis ist es von zu Hause gewohnt, weil seine Mutter es ebenfalls so eingerichtet hat und sich dabei auf ihre schwedischen Wurzeln beruft, Nuri ist oft tagelang bei ihrer Familie zu Hause, wenn sie nicht grade wieder durch die Weltgeschichte tingelt oder jobbt und Marie bewohnt hier das größte Zimmer, wodurch auch die drei sich nicht einmal beschwert haben. »Nein, ich find den kleinen Racker süß. Ich hab dich nur nicht für einen Katzentyp gehalten«, erklärt sie freigiebig und lächelt, als der kleine Kater spielerisch nach Momos Finger angelt. Vielleicht sollte Momo den Kater selbst aufnehmen. Die beiden scheinen ja irgendwie füreinander bestimmt zu sein. »Bin ich auch eigentlich nicht«, murmle ich nachdenklich und beobachte, wie der Kater den Finger nun Finger sein lässt und auf den Tisch krabbelt. Süß ist das Tierchen ja wirklich. »Und wieso behältst du ihn nicht, Momo?«, will Nuri nun wissen, weshalb der schwer seufzt. »Nina hat eine Tierhaarallergie«, erklärt er niedergeschlagen, was mich meine kurzfristige Idee vergessen lässt. Als Momo Weihnachten mit Mathis und mir verbrachte, hatten sich die Eltern der beiden gerade erst getrennt. Ein paar Wochen nach Neujahrsbeginn dann entschieden den Haushalt aufzulösen und Momo war zu seiner kleinen Schwester geflüchtet um sich nicht zwischen Mutter und Vater entscheiden und seine Ausbildung aufgeben zu müssen. Demnach ist die Aufnahme des kleinen Katers jetzt wohl nicht umsetzbar. Nina ist zwar eigenwillig und eher eine Bekannte als eine Freundin, aber den Tod wünsche ich ihr definitiv nicht. Schon allein weil Momo dann am Boden zerstört wäre und Mathis mir deshalb die Ohren voll heulen würde. »Aber du lernst doch in einer Tierklinik!«, wirft Nuri ein und holt mich so aus meinen Gedanken. »Schon, aber ich hab' da Kittel und so was an und die nehme ich ja nicht mit nach Hause«, erklärt er und lächelt Nuri leicht an. Sie nickt verstehend. Mein Blick bleibt auf dem Kater liegen, der sich zwischen den Tassen durchschlängelt und dabei irritierend elegant und tapsig zugleich wirkt. Seltsames Tier, wirklich. »Naja, dann ist Gabriel wohl wirklich die beste Lösung«, sagt Nuri entschieden und ich sehe sie verwirrt an. »Was soll das denn wieder heißen?« »Na du treudoofe Socke würdest dir eher deine ganzen Möbel zerkratzen lassen, als den Kurzen jetzt noch vor die Tür zu setzen. Wirklich. Sei froh, dass wir dir den Rücken frei halten«, erklärt sie mit einem so vorwurfsvollen Ton, dass ich stumm bleibe. Ich weiß, dass ich Probleme versuche zu lösen anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen, aber ich hab das nie als negativ empfunden. »Es wäre aber wirklich schade, wenn der kleine Kater ins Tierheim gemusst hätte«, erklärt Momo und ich fühle mich ein bisschen von ihm verteidigt. »Auch wahr. Wer weiß wo er dann gelandet wäre«, gibt Nuri nach und setzt sich jetzt ebenfalls an den Tisch um das kleine Tier zu streicheln. Der lässt das geduldig über sich ergehen, was mich dazu veranlasst zu schnauben. »Was?« »Das ist doch unfair! Jeder darf ihn streicheln nur ich nicht?«, brumme ich missbilligend. Es ist jetzt wohl mein Kater – wenn sich in den nächsten Monaten niemand meldet – der sich aber von allen außer mir streicheln lässt? »Versuch es doch noch mal, vielleicht hat er sich ja jetzt akklimatisiert«, schlägt Mathis grinsend vor, weshalb ich brumme. »Du willst doch nur sehen, wie er mir wieder eine zimmert, du Sadist«, sage ich anklagend aber strecke doch testend und ähnlich wie Momo heute Mittag die Hand sehr nahe an der Tischplatte aus. Der Kater schaut skeptisch und ich warte nur drauf, dass er anfängt zu fauchen, doch es bleibt aus. Der kleine Kopf schiebt sich näher und er schnuppert an meiner Hand, bevor er sich nun schnurrend dagegen schiebt und ich ihn zum aller ersten Mal überhaupt streicheln kann. Sein Fell ist ganz weich und ich spüre, wie ein Lächeln sich auf meine Lippen schleicht. Verdammt, Nuri hatte Recht. Den gebe ich wirklich nicht mehr her. »Vielleicht mag er den Geruch von Öl und Autoschmiere nicht«, schlägt Momo vorsichtig vor und ich lache leise. »Dann werde ich wohl noch öfter duschen müssen«, murmle ich und wage es den kleinen Racker nun hoch zu heben. Er lässt es geschehen und reibt seinen Kopf an meiner Brust, bevor er sich in meinen Arm schmiegt. Und während Nuri einen unqualifizierten Kommentar über den Anteil meiner Wasserrechnung macht, wird mir klar, dass ich von nun an zu den Katzenbesitzern gehöre. Kapitel 2: .zwei ---------------- »Sophie, wo steckst du? Ich fange langsam an mir Sorgen zu machen«, brumme ich in mein Handy und sehe zur Uhr. Seit über einer Stunde warte ich auf meine Freundin. Es ist Samstag und eigentlich sind wir verabredet, weil sie Schuhe kaufen wollte. Ich stehe zwar nicht auf shoppen, aber sie ist meine Freundin und wenn ich nicht ab und zu mal mitkäme, würden wir noch weniger Zeit miteinander verbringen können als so schon. Denn während ich regulär arbeiten gehe, muss sie sich auf ihr Psychologiestudium konzentrieren und seit dem Sommersemesterbeginn vor einem Monat hat sie einen vollen Terminkalender. Die kurze Sprachnachricht abschickend, niese ich unterdrückt. Mir ist arschkalt, weil es trotz des kalendarisch angeblichen Wonnemonats wie aus Kübeln schüttet und ich auf dem Weg zum verabredeten Treffpunkt nass geworden bin. Meine Gedanken wandern ab zu meinem immer noch namenlosen Kater, der jetzt seit mehr als zwei Wochen durch die WG turnt. Mittlerweile hat er sich eingewöhnt und behandelt alle wie seine Angestellten. Momo ist gut zum Kraulen, während Mathis und Marie ihm sein Essen machen dürfen und Nuri zum Spielen genötigt wird wann immer der kleine Mistzwerg es möchte. Ich hingegen darf mich ihm erst nähern, wenn ich geduscht habe. Denn wenn ich von der Arbeit komme, nach Motoröl rieche und wage ihn begrüßen zu wollen, habe ich schneller einen sitzen als ich meine Hand zurück ziehen kann. Marie und Nuri lieben es mich deshalb auf zu ziehen und ich selbst finde das alles andere als lustig, aber da mein kleines Findelkind sich danach nur zu gern auf meinem Schoß breit macht und grade in meinem Bett am liebsten schläft, kann ich gar nicht lange nachtragend sein. Noch dazu durften wir feststellen, dass er schon weiß was ein Katzenklo ist, auch wenn er das grade beim Spielen manchmal zu vergessen scheint, dass er sowas im Bad stehen hat. Es könnte wahrlich schlimmer sein und durch Momos tatkräftige Unterstützung klappt es auch immer besser ihn vom überall und alles zerkratzen ab zu halten. Leise seufzend versuche ich nicht an eine heiße Dusche zu denken. Ich würde mich sogar lieber von Marie darüber belehren lassen, dass mein Kater endlich mal einen Namen braucht, als hier zu stehen und zu fürchten mir was weg zu holen. Wieso ist es denn auch bitte so kalt? Wieder sehe ich auf die Uhr und merke, dass grade mal fünf Minuten seit meinem letzten Blick vergangen sind. So ein Scheiß. Ich beobachte die vorbeieilenden Leute, die wesentlich wetterfester gekleidet sind, als ich. Eigentlich sollte ich mich schämen. In Hamburg geboren und aufgewachsen und trotzdem nicht in der Lage sich die richtige Jacke anzuziehen. Da hilft auch die Entschuldigung nicht, dass ich nicht geplant hatte eine Stunde im Regen stehend zu warten. Wieder muss ich niesen und ziehe mein Handy hervor. Eine Weile starre ich auf das geöffnete Chatfenster wo die letzte Onlinezeit meiner Freundin eingeblendet ist. Ich komme mir vor wie ein Stalker, dabei warte ich einfach nur auf sie. Und es ist auch nicht so, dass es das erste Mal wäre, das ich auf sie warten muss. Allerdings musste ich noch nie über eine Stunde warten. Ob ihr was passiert ist? Bei dem Wetter nicht unwahrscheinlich. Aquaplaning und eine rote Ampel und schon hat man den Salat. Mir wird leicht übel bei dem Gedanken. »Jetzt dreh hier nicht durch, Gabriel«, ermahne ich mich leise und bemerke, dass die Angestellten des kleinen Ladens, vor dem ich stehe um mich wenigstens vorm direkten Nass-werden zu schützen, mich schon wieder argwöhnisch beobachten. Ich würde mich wohl ebenfalls suspekt finden, wenn ich so eine Person über eine Stunde vor meinem Schaufenster stehen sehen würde. Vor allem vor einem Geschäft, dass nur Unterwäsche und Dessous verkauft. Ich versuche mich an einem entschuldigenden Lächeln, weshalb die beiden Damen sich schnell verziehen. Seufzend streiche ich mir durch die feuchten Haare und betrachte meine Schuhe. Die sind zwar im Gegensatz zu meinen Klamotten recht Wasserresistent, aber so viel wärmer sind sie auch nicht und ich kann nichts weniger leiden als kalte Füße. Kalte Füße sind der Feind. Gut, und Unordnung, aber im Moment hab ich nur kalte Füße und seit Wochen auch keinen Blick mehr in Mathis oder Nuris Zimmer geworfen. Zur Erhaltung meines Seelenfriedens. Wieder muss ich niesen und während ich glaube mir vielleicht wirklich eine Erkältung eingefangen zu haben, vibriert mein Handy. Hektisch ziehe ich es aus meiner Hosentasche und bemerke erleichtert, dass Sophie endlich geantwortet hat. Als ich die Nachricht aber lese, ist es mit der Erleichterung aber nicht mehr weit her. ~ »Im Ernst jetzt?«, fragt Mathis wieder ungläubig und ich brumme mies gelaunt, während ich dabei zusehe, wie Lea und Philipp mit Momo über den Küchenboden robben und mein Findelkind bespaßen. Die Zwillinge lieben den Kater und er findet sie anscheinend auch ganz passabel. Sonst würde er nicht auf die eher schlecht als recht ausgeführten Jagdspielversuche einsteigen. Mittlerweile bin ich wieder halbwegs aufgewärmt und trocken, aber meine Laune ist unterirdisch und bessert sich auch nicht, während Mathis mir mein Handy zurück gibt, auf dem ich noch einmal Sophies Nachricht lesen kann, bevor der Bildschirm dunkel wird. »Also das ist echt ein starkes Stück. Dich einfach so da stehen zu lassen und vergessen ab zu sagen?«, betont Mathis noch einmal und ich brumme schlicht. Ich will nicht über sie schimpfen und etwas sagen, was sich nicht gehört nur weil ich sauer bin. Natürlich finde ich es nicht witzig, dass Sophie vergessen hat abzusagen, weil sie mit ihren Freundinnen ihr Semesterprojekt bearbeiten wollte, aber deshalb schlecht über sie zu reden, will ich auch nicht. Vor allem nicht vor den Kindern. »...und du hast wirklich nur ok geschrieben?« »Was hätte ich den sonst schreiben sollen?« »Vielleicht sowas wie: Hätte dir das nicht früher einfallen können? Oder: Wenn ich krank werde musst du mir aber eine Suppe kochen«, schlägt Mathis vor und stellt mir dann Tee und Kekse auf den Tisch. In der Hoffnung, dass sie meine Laune heben greife ich zu einem der Haferkekse, die ihm seine schwedische Großmutter zugeschickt hat und beiße ein Stück ab. Sie schmecken echt wie diese Ikea-Kekse nur nicht ganz so süß und irgendwie heimeliger. Sie heben meine Laune wirklich ein Quäntchen an. »Bin ich nicht der Typ für«, sage ich dann aber doch noch und Mathis nickt. »Ich weiß, du bist eine treudoofe Socke. Nuri hat Recht. Nur weil Sophie nicht begeistert von deinem Kater ist musst du dir das echt nicht gefallen lassen. Generell solltest du dir sowas nicht gefallen lassen«, ermahnt Mathis mich, aber seufzt nachgiebig und setzt sich ebenfalls hin. Ich sage nichts weiter dazu und zum Glück gibt auch Mathis Ruhe. Sophie hat wirklich nicht sonderlich begeistert auf den spontanen Familienzuwachs reagiert und dann gemeint, dass es ja meine Sache wäre. Das hab ich nur bestätigt, weil es ja wirklich meine Sache ist. Nuri sagte zwar, dass das noch nicht durch wäre, doch bis jetzt kam nichts weiter dazu und weil es nun einmal wirklich meine Sache ist und sie den Kater höchstens sehen wird, wenn sie mich dann mal besucht, sehe ich auch keinerlei Problem. Sie lebt ja nicht mit dem Tier zusammen, sondern ich und meine Freunde. »Gabriel?« »Ja?« Als ich mich umwende um zu der Person zu sehen, die mich angesprochen hat, fällt mein Blick automatisch auf Philipp, der mich sehr entschieden ansieht. »Wieso hast du noch keinen Namen für deinen Kater? Er braucht doch einen Namen!« Momo lacht verhalten und Mathis‘ Grinsen muss ich nicht einmal sehen um zu wissen, dass es da ist. Ich spitze kurz die Lippen bevor ich nachgiebig seufze. »Ich kann mich nicht entscheiden«, erkläre ich dem Kurzen dann, weshalb seine Schwester nachdenklich den Kopf schief legt. Sie ist ähnlich ruhig wie Momo und überlässt das reden meist ihrem vorlauten Zwillingsbruder. »Welche Namen hast du denn jetzt?«, fragt Momo und hält mein Findelkind davon ab unter den Küchenschrank zu kriechen. Vermutlich sollten wir Verblendungen kaufen damit er nicht irgendwann da drunter stecken bleibt. »Pablo und Mowgli«, antworte ich und schiebe mir den letzten Rest Keks in den Mund. »Wieso willst du deine Katze Pablo nennen?«, fragt Mathis irritiert und ich zucke mit den Schultern. »Er ist schwarz, das hat was« »...wenn du meinst«, murmelt er und ich kann hören, dass er anderer Meinung ist. »Also ich finde Mowgli gut!«, verkündet Lea dann bedacht und sieht mich an. Im Gegensatz zu ihrem Bruder spricht sie wirklich auffallend wenig und dann sehr überlegt, aber sie ist definitiv nicht so schüchtern wie man im ersten Moment glauben würde. »Ach ja? Warum?«, will ich wissen und schiebe Philipp den Teller Kekse hin, den er seitdem er ihn entdeckt hat, hungrig betrachtet. Ich verkneife mir ein schmunzeln, als er mit erfreutem Lächeln zugreift und sich direkt drei Kekse nimmt. »Mowgli ist ein Findelkind und du nennst den Kater auch immer Findelkind oder –tier oder so«, erklärt sie mit einem Lächeln und beobachtet ihren Bruder auch kurz beim Kekse essen, bevor sie aufsteht und sich unaufgefordert ebenfalls etwas nimmt. Allerdings nur einen Keks. Überrascht über dieses Argument sehe ich wieder zu dem Kater. Lea hat Recht. Ich sage wirklich oft ‘mein Findelkind‘. Während Mathis seinen kleinen Bruder ermahnt, dass er nicht alle Kekse aufessen soll, stehe ich auf und hocke mich zu Momo, der dem kleinen Kater über den Kopf krault. Das vernehmliche schnurren lässt mich lächeln und ich nicke abwesend. »Doch... Mowgli ist passender«, sage ich leise und ignoriere Momos unterdrücktes Lachen, während ich ihm meinen Kater abnehme. »Dann heißt du jetzt Mowgli, mein kleiner Zwerg«, murmle ich sanft und kraule ihm nun selbst über das weiche Fell. Irgendwie geht es mir jetzt besser. Das ist wohl der berühmt-berüchtigte Einfluss von Haustieren. ~ Zwei Tage später geht es mir alles andere als gut. Es ist Montag und im Gegensatz zum Wochenende ist es jetzt sonnig und warm. Doch mir ist es zu warm und zu sonnig, denn das Licht brennt in den Augen und meine Halsschmerzen sorgen dafür, dass ich quasi gar nicht rede. Am liebsten wäre ich heute Morgen im Bett geblieben, aber mein Pflichtgefühl hat mich dazu gebracht zur Arbeit zu gehen. Dümmste Entscheidung seit langem. Selbst mein Lehrling schielt immer wieder besorgt zu mir rüber, doch ich versuche es zu ignorieren. »Gabriel, ist der Skoda schon durch die – wie siehst du denn aus?«, mein Chef bleibt stehen und mustert mich leicht angewidert. Wenn ich mich nicht so gerädert fühlen würde, wäre ich wohl sauer. Im Moment will ich aber weder wissen wie ich aussehe, noch auf diese Frage antworten. »Er hat Halsschmerzen, hat er vorhin gesagt«, petzt Mark vorlaut, weshalb mein Chef mich missbilligend ansieht. »Hast du denn einen an der Waffel? Krank zur Arbeit kommen und noch möglichst alle anstecken oder was? Gib deine Aufträge ab und Mark, du gehst rüber zu Schmidt, er ist eigentlich eh dein richtiger Ausbilder, er soll sich auch mal so benehmen«, knurrt Herr Fechter und deutet auf die Tür, die in Richtung Pausenraum und Umkleide führt, »Und dich will ich erst wieder sehen, wenn du attestiert gesund bist. Also ab zum Arzt, verstanden?« Ich nicke ergeben und auch wenn ich es eigentlich nicht möchte, muss ich meinem Chef Recht geben. Es war eine wirklich blöde Idee zur Arbeit zu kommen. Mark mit einem dennoch strafendem Blick für die Petzerei bedenkend, drücke ich ihm meine heutigen Aufträge in den Arm und schlurfe in Richtung Umkleide. Der Gedanke an Mowgli und mein warmes Bett wird mit jedem Schritt verlockender und während ich mich umziehe beschließe ich erst morgen zum Arzt zu gehen. Heute bin ich wirklich zu kaputt dafür. ~ »Bin wieder da~« Maries Stimme reißt mich aus dem Schlaf und ächzend halte ich mir die Schläfen. Mein Kopf explodiert gefühlt und in meinem Hals muss ein riesiger Klumpen Spitzhacken hängen. Ich kann mich nicht erinnern schon mal solche Halsschmerzen gehabt zu haben. »Keiner da? Komisch, egal, komm rein«, höre ich Marie dumpf sagen und irritiert runzle ich die Stirn. Wen hat sie denn da im Schlepptau? Mir ist echt nicht nach Besuch heute. Mich müde aufrichtend merke ich, dass ich nach meiner Dusche in der Küche eingeschlafen sein muss, was erklärt, warum mir mein Nacken so weh tut. Auf die Dusche wollte ich aber nicht verzichten, denn von Mowgli angegriffen zu werden wollte ich grade krank nicht riskieren. Er mag den Motorölgestank einfach nicht. »Was kann ich dir anbieten? Kaffee? Tee? Saft?« »Wasser erst mal, danke!«, höre ich eine dunkle Stimme antworten und bin irritiert. Seit wann empfängt Marie denn Männer hier? Hatte sie nicht letztens noch betont sich auf ihren Abschluss konzentrieren zu wollen bevor sie wieder an Männer und Beziehungen denken wollte? Bevor ich mich entscheiden kann, was ich jetzt machen will kommt Marie in die Küche und blinzelt mich verdattert an. »...du siehst scheiße aus«, stellt sie fest und mein Versuch ihr etwas dazu zu sagen endet in einem kläglichen Krächzen und einem Hustenanfall, der Mowgli davon jagt. »Warst du denn wenigstens schon beim Arzt?«, fragt Marie laut über meinen Hustenanfall hinweg und klopft mir leicht auf den Rücken. Ich schüttle den Kopf und als es endlich vorbei ist, sinke ich innerlich jammernd zurück auf den Küchentisch. »Also echt«, murrt sie und seufzt, als ob ich ein hoffnungsloser Fall wäre. Bin ich vielleicht wirklich. »Sorry, Elyas, setz dich ruhig schon einmal. Ich muss mich erst um diesen Dummkopf hier kümmern«, sagt sie dann und mir fällt wieder ein, dass sie ja grade schon mit jemandem gesprochen hat. Müde blinzele ich zur Tür und staune nicht schlecht, als ich Dr. Schäfer in der Tür stehen sehe. Allerdings wirkt er grade weniger wie der Tierarzt aus der Klinik. Ist er echt privat hier? Irgendwas muss ich verpasst haben. Besagter Elyas nickt schmunzelnd und lehnt sich lässig in den Türrahmen. Ich wünschte ich könnte das auch. Wenigstens halbwegs so lässig aufstehen um zu verschwinden. Allerdings muss ich mir von Marie hoch helfen lassen. »Du hast ja Fieber, wieso bist du nicht im Bett?« »Wollt‘ was trinken, nach der Dusche«, krächze ich wenig verteidigend und bekomme den bitterbösesten Blick, den Marie in Petto hat. »Duschen? Hast du denn einen Vogel? Du gehörst ins Bett und nirgendwo anders hin«, schimpft sie und hört auch nicht auf, als ich auf Mowgli deute, der sich gegen meine Zimmertür drückt. »Mowgli wird es auch einmal überleben, wenn du weiter nach Auto stinkst, los jetzt«, knurrt sie energisch und stopft mich dann fast lieblos ins Bett, bevor sie die Decke fest klopft und die Vorhänge vorzieht. Auch wenn sie grade schimpft, bin ich froh, dass sie mir hilft. Mir ist schwindlig und ich kann sehr gut verstehen, warum Männer allgemein gern so leidend jammern. Würde ich auch machen, weil ich echt das Gefühl habe irgendwann heute noch zu sterben. Mir tut einfach alles weh und am meisten der Hals. »Schlaf jetzt, du Trottel. Ich besorg dir Medikamente und alles und kümmere mich um Mowgli!«, sagt sie entschieden und ich sehe noch, wie sie meinen Kater vom Fußende pflückt, bevor ich mich meinem Schicksal ergebend die Augen schließe. Krank sein ist die schlimmste Erfindung die es gibt. Schlimmer noch als kalte Füße und Unordnung. ~ Ich werde davon wach, dass sich etwas Warmes in mein Gesicht legt. Müde und gerädert blinzelnd öffne ich die Augen und sehe erst nur schwarz. Dann geht meine Tür ganz auf und jemand hebt mir meinen Kater vom Gesicht. »Tut mir leid, er war schneller wieder weg, als ich nach ihm greifen konnte«, erklärt mir eine amüsierte Männerstimme und irritiert blinzele ich Dr. Schäfer an. Das ist so paradox. Er ist der Arzt meines Katers und steht grade in meinem Zimmer? Ich setze an etwas zu sagen, aber mein Hals fühlt sich immer noch an wie das schlimmste Reibeisen. Mein Versuch mich aufzusetzen scheitert auch kläglich, denn alles fängt an sich zu drehen. »Bleib liegen, der Arzt meinte, dass du Ruhe brauchst«, ermahnt Dr. Schäfer mich und ich blinzele irritiert. Welcher Arzt? Und wieso das unaufgeforderte Geduze? Irgendwas ist wieder an mir vorbei gegangen. Dabei erzählt Nuri mir doch sonst alles. Wo steckt sie eigentlich wieder? Bevor ich mich aber dazu überwinden kann doch zu fragen, platzt Marie in das Zimmer und guckt alles andere als begeistert. »Ich weiß warum ich die Schnepfe nicht leiden kann, echt. Deine Freundin ist scheiße, Gabriel! Such dir eine neue, wirklich«, faucht sie unleidlich und ich bin nun heillos verwirrt. »…was?«, krächze ich heiser und sehe aus den Augenwinkeln, wie Mowglis Arzt sich ganz dreist auf meinen Zockersessel sinken lässt und meinen Kater mit Streicheleinheiten besticht. »Die blöde Kuh will sich nicht um dich kümmern. Ihre scheiß Projektarbeit ist ihr wichtiger als du und sie will nicht riskieren sich bei dir anzustecken. Dabei ist sie erst daran schuld, dass du überhaupt krank geworden bist. Hier, nimm das!«, erklärt sie schnippisch und hält mir eine Wasserflasche und zwei Tabletten entgegen. Weil das sprechen noch so weh tut, verziehe ich möglichst fragend meine Augenbrauen. »Die sind gegen deine Halsschmerzen und das Fieber! Drei Mal täglich hat der Arzt gesagt und die Hustentropfen bei Bedarf.« »Arzt?«, frage ich nun doch und schiele zu Maries Arbeitgeber rüber, der lachend mit dem Kopf schüttelt als er meinen Blick bemerkt. »Ich behandle ausschließlich Tiere«, tut er amüsiert kund. Marie verdreht die Augen. »Als du geschlafen hast hab ich ‘nen Arzt angerufen und herbestellt. Du hattest so hohes Fieber, deshalb ist er direkt gekommen, hat dir ‘ne Spritze gegeben und dich untersucht. Kannst du dich echt nicht mehr erinnern? Ist grade mal eine Stunde oder so her.« Ich blinzele nur und setze mich nun doch umständlich auf. Mein Blick bleibt kurz auf meinem Wecker hängen, der mir anzeigt, dass es früher Abend ist. Dann greife ich die Tabletten und nehme sie, während ich überlege ob ich mich erinnern kann oder nicht. Aber da ist nichts. Deshalb schüttele ich etwas verspätet den Kopf. »Naja...du warst schon ganz schön im Delirium, so ist es nicht. Der Arzt vermutet sogar eine Grippe, hat es aber erst Mal als grippalen Infekt eingestuft«, überlegt sie laut und legt ihre Hand auf meine Stirn. Ich weiß aus Erfahrung, dass Marie eigentlich warme Hände hat, doch jetzt wirken sie kalt und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich hasse krank sein. »Ich hol mal eben ein Thermometer«, entscheidet Marie und wuselt wieder davon. Sie ist grade voll in ihrem Element. Manchmal wundert es mich, dass sie nichts mit Menschen machen wollte und Human-Medizin studiert hat oder so, weil sie sich leidenschaftlich gern um andere kümmert, egal in welchem Belang. Aber ich beschwere mich nicht. Sonst müsste ich das alles allein machen. Die Decke etwas höher ziehend und mich wieder leicht ins Kissen drückend, fällt mein Blick zurück auf Dr. Schäfer, der sich das alles schweigend angesehen hat. Irgendwie ist das peinlich. Vor allem, weil er jetzt so amüsiert grinst. »Momo hat schon mal erwähnt, dass Marie sehr mütterlich streng sein kann, aber so eine Vorstellung hatte ich nicht erwartet«, kommentiert er und ich merke, dass mir warm wird. Hoffentlich hab ich vom Fieber eine rote Birne, damit er die Verlegenheit nicht sieht. Ich kenne diesen Mann gar nicht. Wieso ist er überhaupt hier? Man kann Marie leise im Bad wühlen und über meine Freundin schimpfen hören. »Eigentlich sollte ich sie wegen Anatomie abfragen«, erklärt er dann und schaut sich in meinem Zimmer um. Muss ja spannend sein. Ich persönlich wäre ja spätestens nach 10 Minuten abgehauen, wenn ich in eine vergleichbare Situation gestolpert wäre, aber Dr. Schäfer scheint nicht so zu sein. Komischer Kauz. In der Praxis wirkte er noch so seriös. »Haben Sie keine Angst sich anzustecken?«, frage ich. Meine Stimme ist kaum ein Abklatsch von dem was sie sonst hergibt. Eigentlich kann ich froh sein, dass man mich überhaupt verstehen kann und was immer in der Spritze war hat zumindest geholfen, sodass die Halsschmerzen nicht mehr so heftig sind. Nicht weg, aber auch nicht mehr so heftig. »Nein, nicht wirklich. Ich hab ein ziemlich gutes Immunsystem, wenn ich das so sagen darf. Und du musst mich nicht siezen, wir sind hier nicht in der Praxis. Ich bin Elyas«, erklärt er, immer noch mit einem deutlichen Amüsement in der Stimme. Das macht mich grade etwas rappelig. Ich hab noch nie jemanden getroffen, der so...so...so ist. Mir fällt nicht mal ein passendes Wort dazu ein. »...Gabriel«, nuschele ich trotzdem und sehe zu Mowgli, der es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hat und zufrieden döst. »Er scheint sich gut eingelebt zu haben«, sagt Dr. Schäfer – ich kann mich noch nicht dazu überwinden ihn einfach so zu duzen – und krault dem kleinen, schwarzen Fellknäul über den Bauch. Mowgli quittiert das mit einem genüsslichen Schnurren. Er schnurrt generell viel. Ich weiß nicht ob das normal ist, weil ich nie eine Katze hatte und Momo mir abgeraten hat zu googeln, weil viel Müll verbreitet wird, der mich letztendlich nur verunsichern würde. Aber da er mir jede Frage, die ich zwischendurch schon einmal hatte, beantworten kann, halte ich mich da an den Knirps und ich mag Mowglis schnurren. Es sagt mir, dass er sich wohl fühlt und es ihm gut geht, deshalb ist es mir lieber so, als wenn er es nicht machen würde. Um auf die Äußerung zu antworten zucke ich mit den Schultern. Dr. Schäfer kann das sicherlich besser beurteilen als ich. »Er ist sehr pflegeleicht...sagt Momo«, brabbel ich heiser und unterdrücke einen Hustenanfall. Ich will Mowgli nicht schon wieder verscheuchen. »Du hattest vorher noch nie eine Katze?«, fragt Dr. Schäfer erstaunt und ich schüttele den Kopf. »Und dann nimmst du einfach so eine auf?« »...die Tierheime sind doch eh schon voll und er hat genug durchgemacht« sage ich leise und der Gedanke Mowgli einem unbestimmten Schicksal zu überlassen gefällt mir im nach hinein noch viel weniger als noch vor zwei ein halb Wochen. Oh verdammt, ich hänge jetzt schon extrem an dem Katzentier. Hoffentlich meldet sich wirklich keiner mehr. Weil Dr. Schäfer nichts sagt, hebe ich meinen Blick, als es mir auffällt und blinzele verwirrt. Diesmal grinst er nicht und betrachtet mich einfach nur, als ob ich etwas sehr spannendes wäre. Ich bin wirklich froh, als Marie zurück kommt und mir das Thermometer in den Mund schiebt, bevor sie Tee und Obst auf meinen Nachttisch abstellt. »Du musst Essen. Am besten Obst und Suppen und ich hab dir Ingwer in den Tee gemacht, das hilft zusätzlich gegen die Halsschmerzen«, erklärt sie und schnauft angestrengt. Sie hat sich ihren Tag sicherlich auch anders vorgestellt. Ich gucke sie entschuldigend an, weshalb sie mir sacht gegen die Stirn schnippst. Zum Glück sind meine Kopfschmerzen nur noch dumpf. »Guck nicht so, es ist ja nicht deine Schuld. Na gut, nicht völlig. Das nächste Mal gehst du aber nach 15 Minuten warten nach Hause, verstanden? Du darfst dir nicht immer alles von ihr gefallen lassen. Eine Beziehung ist ein Geben und Nehmen und nicht ein, ich kommandiere Gabriel rum, wie es mir grade passt«, erklärt sie entschieden. Ich verkneife mir ein schmunzeln. Es ist süß wenn sie sich so aufregt, weil einem ihrer Schützlinge Unrecht getan wurde. »Ich kenne diese Sophie nicht, aber ich muss Marie zustimmen«, wirft Dr. Schäfer ein und Marie deutet sehr nachdrücklich auf ihn. »Hörst du? Elyas sagt das gleiche!« Ich brumme nur undeutlich vor mich hin und ziehe die Decke bis zur Nasenspitze. Ich bin krank, da will ich mich nicht wegen meiner Freundin verteidigen müssen. Natürlich ist sie nicht perfekt, aber wenn sie es wäre, wäre sie sicherlich nicht mit mir zusammen, denn ich bin auch weit entfernt davon perfekt zu sein. Als das Thermometer piepst, seufzt Marie schwer und schüttelt den Kopf. »Bin ich froh, dass du nicht allein wohnst«, murmelt sie und starrt dann angestrengt auf die Digitalanzeige. »38.9°«, nuschelt sie und schaut mich kurz so vorwurfsvoll an, als ob ich mir keine Mühe geben würde gesund zu werden. Wer die Frau mal heiratet muss echt ein dickes Fell haben. »Soll ich nicht vielleicht doch gehen?«, fragt Dr. Schäfer unvermittelt und Marie schnaubt wieder. »Nein, ich brauche echt Hilfe und du hast gesagt, dass du mir hilfst. Wir verlagern das jetzt nur«, erklärt sie und mir wird klar, dass der unerwartete Besuch gar nicht derart aufdringlich ist. Nein, Marie hat ihn nur genötigt zu bleiben. Dr. Schäfer scheint zu wissen, dass Marie sich nicht so leicht von ihren Entschlüssen abbringen lässt, denn er seufzt nur nachgiebig und krault Mowgli weiter. Marie murmelt irgendwas vor sich hin und verschwindet direkt wieder aus meinem Zimmer nur um kurz darauf mit ihren ganzen Wälzern und Notizen zurück zu kommen und ihr Chaos auf meinen Teppich zu verteilen. Jetzt möchte ich doch gern wieder sterben. »Marie«, krächze ich empört, muss aber husten und habe deshalb nicht mehr wirklich etwas zu sagen, während sie mir über den Rücken reibt und Dr. Schäfer dem Kater hinterher geht. Krank sein ist wirklich super ätzend. »Du bist krank und ich kann dich ja schlecht einfach hier liegen lassen, wenn dein Fieber so hoch ist. Leg dich hin, ruh dich aus und stör dich nicht an Elyas, ja? Er ist wirklich nett«, erklärt sie nun in einem so beruhigenden Tonfall, dass ich erschöpft vom Husten einfach zurück ins Kissen sinke. Ich bin echt müde und gegen Marie komme ich schon im gesunden Zustand seltenst an. Wieso versuche ich es eigentlich? Nachgiebig brummend schließe ich die Augen und auch wenn es seltsam ist den Tierarzt meines Katers in meinem Zimmer zu beherbergen, während ich selbst versuche zu gesunden, gebe ich einfach nach. Marie meinte ja, dass er nett ist. Kapitel 3: .drei ---------------- »Komm schon~«, bettelt Marie und zuppelt an meinem Arm. Ich brumme genervt und verdrehe die Augen. »Warum denn bitte ich?« »Weil ich die einzige bin, die sonst niemanden mitbringt und Elyas meinte schon, dass er es okay findet. Deshalb bitte~«, bettelt sie wieder und versucht sich an einem ähnlichen Welpenblick wie Momo. Allerdings muss ich zugeben, dass sie es nicht einmal halb so gut hinbekommt. Wenn der Knirps das macht, dann fühlt man sich wie der schlechteste Mensch auf Erden auch nur zu denken, das, was auch immer er möchte, abzulehnen. Bei Marie bekomme ich das Gefühl nicht. Vielleicht weil sie wesentlich verschlagener und um Längen durchsetzungsfähiger ist als er. »Jetzt gib schon nach«, brummt Mathis und bekommt einen bösen Blick von Marie. »Was? Ich versuche dir grade zu helfen?« »Wenn du nicht mit Momo gehen würdest, müsste Gabriel gar nicht mit«, sagt sie vorwurfsvoll und ich werde hellhörig. »Du gehst mit Momo zu Dr. Schäfers Geburtstagfeier?«, frage ich nun lauernd, weshalb Mathis mich anstarrt und dann brummig wieder auf seine Nudeln sieht. Es ist Freitag und wir sitzen zu dritt in der Küche und essen verspätet Mittag. Ich, weil ich noch krankgeschrieben bin für heute, erst nach dem bevorstehenden Wochenende zurück zur Arbeit kann und deshalb lange geschlafen habe, Marie, weil sie bis vorhin arbeiten war und Mathis weil er nicht gern allein isst. Ich kann ihn verstehen. Marie und ich verdrehen gleichzeitig die Augen. Irgendwie kann ich einfach nicht nachvollziehen, dass Mathis nicht aus dem Quark kommt. Seit dieser Sache mit dem Mistelzweig ist ein halbes Jahr vergangen und sie schleichen immer noch umeinander rum wie Katzen um den heißen Brei. Von Marie weiß ich, dass Momo nur drauf wartet bis Mathis sich endlich überwindet, aber was Mathis Problem ist? Das weiß keiner. Und er sagt es auch keinem! Dabei war er es ja, der den Stein ins Rollen brachte. Lucas, der Freund von Nina und ich haben zwar auch einen Teil dazu beigetragen und Mathis provoziert, aber ihn dazu gezwungen Momo zu küssen um zu demonstrieren wie praktisch so ein Mistelzweig im Türrahmen doch ist, haben wir sicherlich nicht. Mich wieder auf Marie konzentrierend, die immer noch an meinem Arm wackelt, seufze ich tief und nicke dann. »Na gut, ich komme mit. Aber dann machen wir Mathis betrunken und sperren ihn mit Momo in den Besenschrank«, drohe ich gespielt genervt und lache, weil Marie mich erleichtert anstrahlt und zustimmend nickt. »Danke! Du bist ein Schatz und ja, das werden wir machen.« »Könnt ihr mal damit aufhören und weiteressen? Wir müssen in einer Stunde los«, belehrt Mathis grummelig, steht auf und stellt seinen leeren Teller in die Spüle. Mir geht durch den Kopf, dass Nuri schlecht ihren Spüldienst erfüllen kann, wenn sie bis Samstagnacht ihre Zeit in Paris verbringt und ich seufze. Bleibt wohl an mir hängen. »Also langsam wird das wirklich anstrengend. Mathis ist doch klar, dass Momo ihn mag, oder?«, fragt Marie, als Mathis sich in sein Zimmer verzogen hat und ich brumme zuckend mit den Schultern. »Wir sind zumindest nicht müde geworden ihm das zu sagen, aber hat Momo es ihm schon mal gesagt?«, gebe ich zu bedenken und schiebe mir ebenfalls meine letzten Nudeln zwischen die Zähne. Marie legt nachdenklich den Kopf schief. »Ehrlich gesagt...weiß ich das gar nicht«, sagt sie dann und ich spitze die Lippen. »Vielleicht sollten wir eher Momo betrunken machen, damit er es Mathis sagt«, schlage ich vor und schiele zu Mowgli, der auf der Fensterbank liegt und schlafend in der Nachmittagssonne badet. »Mal gucken. Musst du noch duschen? Sonst besetze ich jetzt das Bad«, nuschelt Marie mit Nudeln im Mund und stellt ihren Teller dann auf Mathis‘. Ich schüttle den Kopf. »War schon«, murmle ich abwesend und sehe ihr nach, als sie trällernd im Bad verschwindet. Dann bleibe ich bei Mowgli stehen und kraule ihm den Bauch. Ich war fast zwei Wochen krank, weil das Fieber so lang angehalten hat und die Halsschmerzen erst vor zwei Tagen endlich vollkommen verschwunden sind. Der Arzt hatte mich deshalb direkt bis heute krankgeschrieben und Herr Fechter hatte dann gesagt, dass ich erst Montag wieder antanzen sollte. Das ist an sich ja nett, aber mir hat die Arbeit gefehlt. Vor allem weil ich nichts zu tun hatte außer mit Mowgli zu kuscheln und mir eine Serie nach der anderen rein zu ziehen. Nachdem es mir soweit gut ging, dass ich wieder aufstehen konnte, habe ich zwar auch mit ihm gespielt, aber letztendlich bin ich einfach kein Typ fürs lange Herumsitzen. Vermutlich begleite ich Marie deshalb zu der Party. Weil sie sich in der Zeit am meisten um mich gekümmert hat. Zwar erinnere ich mich dunkel an einen Anruf meiner Mutter und Nachrichten von Ruth und Tabea, aber am präsentesten sind eigentlich Mowgli und Marie gewesen. Und Dr. Schäfer. Der war nämlich danach noch drei Mal hier um Marie beim Lernen zu helfen. Und jedes Mal saßen sie in meinem Zimmer anstatt in der Küche oder in Maries Zimmer. Und dabei wäre es zumindest beim letzten Mal wirklich nicht mehr nötig gewesen, weil das Fieber weg war und nur noch die Halsschmerzen für einen rauen Hals sorgten. Zwar hatte ich so die Möglichkeit Dr. Schäfer etwas näher kennen zu lernen und kann jetzt selbst beurteilen, dass er so nett ist wie Marie sagte, aber ich bringe es immer noch nicht über mich ihn mit Vornamen anzusprechen. Etwas, dass er sehr witzig findet. Mir ist es nur peinlich, ich will jemanden, den ich kaum kenne nicht einfach duzen und bei Leuten die dem Typ Respektsperson angehören erst Recht nicht. Mein damaliger Werkstattmeister hatte mir nach der Lehre auch plötzlich das Du angeboten, aber ihn plötzlich Dirk zu nennen war so komisch für mich, dass ich fast froh war, als Herr Fechter übernahm und drauf bestand von allen gesiezt zu werden. Mowgli sanft hoch nehmend gehe ich nun selbst in mein Zimmer und lasse mich auf mein Bett sinken. Er schmust sich schnurrend an mich und meine Lippen biegen sich zu einem Lächeln. Die zwei Wochen haben für unsere Bindung wirklich einiges getan. Zwar glaube ich, dass er den Werkstattgeruch trotzdem weiterhin nicht mögen wird, aber ich habe mich in den letzten zwei Wochen wirklich in diese Art Katzenbesitzer verwandelt, die alles filmen und fotografieren und so oft wie in den letzten Tagen hatte ich seit der Einführung der Funktion keine Statusmeldungen mehr. Meine Schwestern haben mir schon angedroht im Sommer vorbei zukommen um sich hier einzuquartieren und den Kater kennen zu lernen, aber ich bin mir noch nicht sicher ob sie es ernst meinen oder nicht. Zwar sind beide mehr oder minder aus der Pubertät raus, wegen der ich vor Jahren überhaupt nur ausgezogen bin – es gibt kaum etwas schlimmeres als zwei Pubertierende Teenies, wenn man es selbst schon hinter sich hat – aber sie sind immer noch sehr...anstrengend. Trotzdem würde ich sie nicht vor die Tür setzen. Mein Handy vibriert und ich greife danach. Sophie hat mir geschrieben und noch bevor ich die Nachricht geöffnet habe, ist mir irgendwie klar, dass sie für morgen absagt. Eigentlich sollte ich zum Familienbrunch mitkommen. Es ist nicht so, dass ich mich gefreut habe, aber es wäre nicht schlimm gewesen, weil ihre Eltern und ihr Bruder ganz in Ordnung sind. Im Gegensatz zu der landläufigen Meinung ist er nicht dieser typische große Bruder, der den Freund erst einmal einschüchtern muss und seine Freundin ist wirklich nett.Ich kenne sie kaum, aber sie ist sympathisch. »Schaffen es morgen nicht, sorry. Telefonieren wir Sonntag?« Ich seufze schwer und schiele zu Mowgli. »Ich kriege von dir wesentlich mehr Aufmerksamkeit als von meiner Freundin. Muss ich mir Sorgen machen?«, frage ich ihn, doch er rührt sich nicht und ich schicke schief grinsend eine Antwort. »Nicht schlimm, bis Sonntag« ~ »Es ist so voll!«, rufe ich über die laute Musik hinweg und frage mich grade warum ich doch mitgekommen bin. Es ist nicht so, dass ich nicht gern ausgehe, aber ich bin eher weniger die Partymaus und Momo wirkt ebenfalls so, als ob ihm das zu viele Menschen sind. Der arme Junge schaut sich immer wieder um und hält sich mittlerweile an Mathis‘ Arm fest um nicht von den anderen Menschen fortgedrängt zu werden. »Er schnappst ja auch«, ruft Marie zurück und ich blinzle irritiert. »Er tut was?« »Schnappsen! Elyas wird 33«, erklärt sie und winkt hier und da in die Menge. Ich vermute stark, dass nicht nur die ganze Belegschaft sondern auch die halbe Kundschaft der Praxis eingeladen ist, denn schon als wir in den unverschämt großen Garten kamen waren alle möglichen Altersstufen zu erkennen. Zwischen den Erwachsenen tummeln sich sogar eine Handvoll Kinder! Hoffentlich passt jemand auf, dass sie nicht an den Alkohol kommen. »Da vorne, da ist er, kommt!«, ruft Marie und zerrt mich unnachgiebig weiter. Ich beobachte, wie sich in der Menge zwei Mädchen küssen und frage mich unwillkürlich wer Dr. Schäfer eigentlich privat ist. Denn im Grunde weiß ich nur, dass er nett ist und Tierarzt. Und gut aussieht. Irgendwie. Den Gedanken abschüttelnd bleibe ich vor dem Geburtstagskind stehen und blinzle ihn an. Er unterhält sich grade mit einem Mann, der ihm entfernt ähnlich sieht, aber mindestens 20 Jahre älter zu sein scheint, als er uns bemerkt. »Ihr habt es wirklich geschafft, freut mich«, sagt er schmunzelnd und nickt dem Mann zu, der ebenfalls mit einem Nicken in Richtung Marie und Momo in der Menge abtaucht, »Das war mein Onkel«, erklärt er Mathis und mir und nimmt Maries Tüte entgegen, die sie seit sie fertig angezogen aus ihrem Zimmer kam nicht mehr los gelassen hat, »Er hat bis vor kurzem auch in der Klinik gearbeitet, macht jetzt aber die ganzen Besuche außerhalb.« Weil ich nicht weiß, was ich zu dieser Info sagen soll, nicke ich nur. Das erklärt zwar, warum Momo und Marie ihn kennen, aber mich geht da ja eigentlich nichts an. Ich bin nur hier, damit Marie nicht allein ist. Obwohl man eigentlich in dieser Menge an Leuten gar nicht allein sein kann. »Wieso ist es eigentlich so voll?«, fragt Marie und strahlt ihn an. Ich bin verwirrt, hat sie ihm schon gratuliert? Irgendwie ist die Gelegenheit das nach zu holen grade vorbei. »Meine Verwandtschaft ist länger geblieben als beabsichtigt, weshalb sie grade auf meine Freunde und Bekannten treffen. Ich hab die Zeiten wohl zu nahe zusammen gelegt«, erklärt er und ich nicke langsam. Das erklärt dieses Durcheinander. »Okay, da vorn ist meine Mutter. Sie ist extra aus Amerika gekommen, ihr entschuldigt mich? Nehmt euch einfach was zu essen und zu trinken!«, erklärt er und ist keine drei Sekunden später ebenfalls verschwunden. Soviel dazu. ~ Drei Stunden später ist es dunkel und um einiges weniger voll. Die Familie und Anverwandten sind nach und nach abgezogen und jetzt verteilen sich durch Garten und Wohnzimmer nur noch an die 30 Leute. Mittlerweile haben wir die Bowle und die Terrassenpolster für uns entdeckt und sind mit ein paar von Dr. Schäfers ehemaligen Kommilitonen ins Gespräch gekommen. Marie ist ganz begeistert, weil sie die Gelegenheit nutzt und zwei von ihnen wegen ihrer Staatsexamen löchert. Ich höre Mathis zu, der sich mit dem lesbischen Pärchen unterhält, dass ich bei unserer Ankunft gesehen habe. Sie kennen Dr. Schäfer schon seit der Schulzeit. Anna und Elisa heißen sie und sind sogar schon verlobt und Elisa hat ebenfalls schwedische Wurzeln, weshalb sie mittlerweile sogar auf Schwedisch plaudern. Anna hört ihrer Freundin mit einem ähnlich schmachtenden Blick zu wie sonst Momo Mathis. Da der Knirps aber kein schwedisch versteht sitzt er schweigend neben Mathis und löffelt die Beeren der Bowle aus seinem Becher. Seine Augen sind leicht glasig und seine Wangen rosa. Ich überlege grade ob ich ihm nicht etwas Brot vom Grill holen soll, den irgendjemand vor eine Weile angefeuert hat und seit dem fleißig vor sich hin grillt. Es duftet nach Kuchen und Früchten und ich bin ehrlich fasziniert davon was man abgesehen von Fleisch alles grillen kann. Dann hickst Momo und blinzelt verdutzt. Ich verkneife mir ein Lachen und stupse ihn an, »Alles okay, Kleiner?« Momo nickt leicht und lächelt mich dankbar an. Sein Blick sieht aber irgendwie nicht danach aus. Kurz zu Mathis schielend, der noch in sein Gespräch vertieft ist, seufze ich und helfe Momo hoch. Er sollte vielleicht etwas frischere Luft als die Alkoholausdünstungen der Getränke bekommen und wirklich ein Stück Brot essen. »Wo bring’su mich hin?«, lallt er leise und stolpert. Ich lege meinen Arm um seine Hüfte und seinen über meine Schultern während ich ihn zu einer stilleren Ecke ziehe. Praktischerweise steht da eine kleine Holzbank, die grade unbesetzt ist und ich lasse ihn darauf sinken. »Wirklich alles okay?«, frage ich noch einmal und hocke mich vor ihm hin. Momo weckt in mir manchmal die Art großer Bruder, den sich meine Schwestern immer von mir erträumt haben. Doch weil Ruth und Tabea sehr gut ihre eigenen Interessen vertreten können, hatte ich nie das Bedürfnis sie derart zu beschützen. Natürlich würde ich sie nie hängen lassen, aber sie sind einfach viel zu eigenständig und eigenwillig, als das ich den großen Bruder spielen müsste. »Mir’s ‘n bissch’n schwindlich«, nuschelt er und seufzt dann grottenschwer. Irgendwas liegt dem Jungen auf der Seele, das bilde ich mir doch nicht nur ein. »Gabriel?«, fragt er nach einem stillen Moment, indem ich überlege wie ich Momo helfen kann. »Ja?« »Mag Mathis mich wirklich?« ...oh scheiße. Kapitel 4: .vier ---------------- »Gabriel?« »Ja?« »Mag Mathis mich wirklich?« ...oh scheiße Ich bin ehrlich platt. Was soll ich darauf denn bitte erwidern? Ja, er liebt dich über alle Maßen, aber ist zu feige sich das einzugestehen? Auch wenn das wohl der Wahrheit entspricht würde ich das nicht sagen. Das wäre Mathis gegenüber wirklich unfair. Mich unwillkürlich nach Hilfe umsehend bemerke ich, dass Dr. Schäfer mit einer Handvoll Gäste unweit von uns steht und zu uns rüber sieht, aber ich bezweifle, dass Momos Chef eine gute Hilfe wäre in so einer privaten Angelegenheit. Mein Blick geht wieder zu Momo, der mich erwartungsvoll ansieht und ich schlucke. Für heute Abend hat er wieder mal seine Kontaktlinsen drin, weshalb sein Blick noch intensiver noch viel Babyhundmäßiger wirkt. Mowgli mal hundert so zu sagen. Verdammte... »Ehm...«, sage ich geistreich und er blinzelt. Dann schluckt er schwer und blinzelt noch heftiger. Er wird doch nicht... oh nein, bitte nicht. Momos Augen fangen an zu glitzern und nun schlucke ich schwer. Ich kann mit Tränen nicht umgehen. Beim besten Willen nicht. Ich gehöre nicht zu den Menschen die sagen, dass Männer nicht weinen dürfen, aber ich gehöre sehr wohl zu den Menschen die einfach fürchterlich im Trösten sind. So richtig fürchterlich. »Momo...hey, sieh mal. Mathis ist wirklich...vie-vielleicht sagst du ihm einfach mal, was du– « »Ist alles okay?« Ich könnte aufschreien vor Erleichterung als ausgerechnet Mathis ankommt und das fragt. Ich nehme ihm nicht mal übel, dass er mir mit der Frage quasi ins Wort gefallen ist. »Moritz?«, fragt Mathis zweifelsohne besorgt und hockt sich jetzt neben mich, weshalb ich die Beine ausstreckend aufstehe. Das dürfen die beiden schön allein klären. »Weinst du? Gabriel, was hast du gemacht?« Völlig verdattert bleibe ich stehen, als Mathis mich so anklagend anraunzt. »Was? Ich hab gar nichts...wie wäre es wenn du mal fragst, was du gemacht hast. Oder besser was du nicht machst!«, zischele ich anklagend zurück, weil die Geburtstagsparty des Vorgesetzten von Momo und Marie sicherlich nicht der geeignete Ort ist um einen Streit vom Zaun zu brechen. »Er hat gar nich’s gemacht, Mathis, echt«, nuschelt Momo und reibt sich tapfer über die Wangen bevor er schwankend aufsteht. Mathis blinzelt ihn an und ich könnte schwören, dass sein Blick kurz zu Momos Lippen huscht. Dieser...Vollarsch. »Er wollt‘ mich nur aufmuntern. Echt. Weil ich...also ich frag‘ mich langsam, ob ich...ob ich nicht alles falsch verstehe, weißt du? Ob’s überhaupt Sinn macht...zu warten, mein ich. Weil...also...eigentlich glaub‘ ich, dass du mich magst! Auf die, ich steh auf dich und will dich küssen und so Weise, aber...ich bin mir nicht mehr sicher ob das wirklich so ist. Und ich weiß auch nicht...ob ich das noch länger aushalte...weil ich mag dich echt wirklich sehr und mpf–« So lang habe ich Momo noch nie an einem Stück sprechen hören. Vor allem nicht über seine Gefühle. Sonst fungieren Nina oder Marie gern als Übersetzer, aber diesmal spricht er selbst und ich will mir grade vornehmen nichts mehr von dieser Bowle zu trinken, die anscheinend wirklich gut die Zunge löst, als Mathis sich förmlich auf ihn stürzt. Er greift nach Momos Handgelenk, zieht ihn zu sich in die Arme und küsst ihn so heftig, dass es sogar mir die Schamesröte ins Gesicht treibt. Halleluja, da wird ja jeder Schnulzenregisseur neidisch. Momo seufzt verzückt und schmilzt förmlich in die Umarmung, bevor er den Kuss erwidert und ich mich peinlich berührt weg drehe. Irgendwo links von mir quietscht es aufgeregt, aber bevor ich hin sehen kann, kollidiert etwas mit mir und ich kippe erschrocken keuchend ins Gras, Marie als kichernde Last auf mir drauf. »Uff«, keuche ich nur und starre in den Nachthimmel. »Endlich~ das muss gefeiert werden!«, ruft Marie begeistert und ich bin überzeugt, dass sie auch schon ein zwei Becher von der Bowle intus hat. Um uns herum grölen und klatschen die Gäste und ich würde am liebsten liegen bleiben, weil mir das ein bisschen peinlich ist, obwohl sicherlich Moritz und Mathis im Mittelpunkt stehen. Aber der Rasen ist doch ganz schön kalt. »Das können wir gerne tun, aber erst mal solltest du aufstehen. Gabriel ist grade erst wieder gesund geworden.«, ertönt Dr. Schäfers Stimme und sein belustigtes Schmunzeln schiebt sich kopfüber in mein Sichtfeld. Er hilft Marie mit Leichtigkeit hoch und hält mir dann ebenfalls eine Hand hin, die ich nach kurzem Zögern ergreife. Im Gegensatz zu Marie bin ich sicherlich schwerer und auch einfach größer aber mich zieht er auch mit solch einem Schwung hoch, dass ich mich an ihm festhalten muss um nicht direkt wieder im Gras zu landen. »Alles klar?«, fragt er leise und ich nicke schlicht. Irgendwas ist komisch, doch bevor ich drüber nachdenken kann, hab ich Marie wieder an meiner Seite hängen, die mich kichernd dazu auffordert ein Foto für Nina zu machen. Ich bin zwar nicht scharf drauf, aber mache es trotzdem. Nina sollte es wohl auch so schnell wie möglich erfahren, weil sie sicherlich noch viel mehr von Momos Zweifeln mitbekommen hat und sich damit ebenfalls freuen dürfte. Und während ich es auf Maries Geheiß hin auch noch Nuri schicke drückt sie mir ein Glas in die Hand zum anstoßen. ~ Das erste was ich denke ist hell. Murrig drehe ich meinen Kopf und atme erleichtert auf, weil mein Gesicht sich so im Kissen vergräbt und die blendende Helligkeit aussperrt. Dann aber steigt mir ein Duft in die Nase, der nicht meiner ist. Und es riecht auch nicht nach Mowgli. Mein Kopf dröhnt dumpf, was es mir nicht einfacher macht das alles zu verarbeiten. Was zum Geier... Entgegen dem Wunsch liegen zu bleiben rapple ich mich auf und sehe mich verwirrt um. Das hier ist nicht mein Zimmer. Es ist ein nettes Zimmer und angenehm ordentlich, aber nicht meins und ich liege auch nicht in meinem Bett. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl und ich schiele unter die Decke. Es ist zwar nicht meine schwarze Jeans, die ich gestern noch anhatte, aber ich habe eine Hose an und deshalb atme ich auf. Also keinen Mist gebaut. Das wäre es noch. Meine Beziehung mit Sophie ist eh schon nicht die einfachste, da will ich sie nicht auch noch völlig kaputt machen mit so einem Mist. Nicht, dass ich es drauf anlege, aber anscheinend hab ich gestern Abend doch noch einiges mehr getrunken, als ich vertrage und mit Alkohol intus machen Menschen ja manchmal die dämlichsten Dinge, hab ich mir sagen lassen. Mir müde übers Gesicht reibend sehe ich mich wieder um in der Hoffnung irgendeinen Anhaltspunkt zu finden, der mir verrät, wo ich überhaupt bin. Es sieht aus wie ein klassisches Schlafzimmer aus einer Ikea-Werbung und ich könnte schwören, dass ein Teil der Einrichtung sogar aus diesem Möbelhaus stammt. Dann entdecke ich eine Pinnwand an der Fotos hängen, über dem Schreibtisch, auf dem ein zugeklappter Laptop steht und schäle mich aus dem verlockend bequemen Bett. Es ist ein großes Bett. Ein sehr großes Bett, indem zwei Leute schlafen könnten. Ich will gar nicht wissen ob das auch auf vergangene Nacht zutrifft und sehe mir lieber die Fotos an. Die meisten Leute erkenne ich nicht, aber ich glaube wenigstens Anna und Elisa in jung zu sehen und ist das Dr. Schäfer? Die Tür geht auf und meine Augen werden groß, als besagter Dr. Schäfer offensichtlich frisch geduscht herein kommt und mich erst verdutzt und dann verschmitzt ansieht. »Du bist endlich wach. Wie geht’s dir?« Die Frage und eigentlich die ganze Situation ist zu viel für mich. Was bitte ist passiert, dass solch ein Ergebnis dabei heraus kommt? Es war nie geplant irgendwie zu übernachten, weshalb ich auch nicht mein Schlafzeug sondern offensichtlich geliehenes Schlafzeug anhabe und überhaupt. Kann er sich bitte etwas anziehen? So oben rum? Nur eine Jeans wirkt sehr missverständlich und ist definitiv unangebracht. Wir kennen uns kaum. Augenblicklich komme ich mir verschroben vor, weil ich mich verlegen weg drehe und gespielt interessiert aus dem Fenster sehe. Da ist der Garten in dem wir gestern gefeiert haben. Also habe ich das Haus offenkundig nie verlassen. »Wo sind Mathis und die anderen beiden?« »Nach Hause. Marie konnte noch halbwegs selbst gehen, aber Momo war zu betrunken und Mathis‘ konnte nur ihn tragen«, erklärt er leichthin und ich brumme ungnädig. Verräter. »Und mich füllen sie ab und lassen mich dann hier«, nuschle ich leicht beleidigt. Dr. Schäfer lacht. »Mich stört es nicht. Dann hab ich zu meinem Geburtstagsfrühstück einen Gast mehr«, erklärt er und zieht sich zum Glück einen Pulli über. »Huh?« »Na, meine Eltern, Anna, Elisa, Derek und dich«, zählt er auf und wirkt zufrieden. Ich werde partout nicht schlau aus diesem Mann. Wieso behandelt er mich so freundschaftlich? Für mich ist er eigentlich immer noch mein Tierarzt. Also nicht mein Tierarzt. Mowglis Tierarzt. »Ehm...«, mache ich geistreich und weiß im Grunde gar nicht was ich eigentlich sagen soll. Dr. Schäfer sieht mich an und zieht eine Augenbraue hoch. »Du hast einen Filmriss, kann das sein?«, fragt er dann amüsiert und ich befürchte es mittlerweile auch, weshalb ich nicke. Ich kann mich an keinen Derek erinnern und eigentlich an nichts mehr, nachdem Marie Elisa in allen Facetten geschildert hat was so besonders an Mathis‘ und Moritz Kuss war. »Schade eigentlich. Ich hab noch nie mit jemandem auf Brüderschaft getrunken«, sagt er bedauernd und mir fällt alles aus dem Gesicht. Ich habe was? »Dann müssen wir das wohl beizeiten wiederholen, komm, die warten schon«, sagt er und schiebt mich zur Tür. Bevor ich einwerfen kann, dass ich mich anziehen möchte stehe ich in dem großen Wohn-Essbereich, der mir gestern gar nicht so groß vorkam und werde von einem Schwung Leute angeguckt, die mehr oder weniger ausgeschlafen einen Morgengruß murmeln. Einzig allein Dr. Schäfers Mutter sieht gut gelaunt aus und lächelt mich an. »So…du bist Gabriel, richtig?«, fragt sie mit einem extrem amerikanischen Akzent. Mir fällt ein, dass ihr Sohn gestern sowas gesagt hat. Vielleicht sollte ich Marie fragen, was dahinter steckt. Nachdem ich ihr ihren Verrat hab büßen lassen. »Ja, Moin«, nuschel ich und sie strahlt mich an mit breitem Lächeln und weißen Zähnen. »Nice to meet you, ich bin Lucille und das ist Derek, meine Freund«, erklärt sie und schiebt mich direkt weiter, nachdem sie auf den dunkelhäutigen Mann am Kühlschrank gedeutet hat. Sie schiebt mich zu einem Stuhl der neben Anna steht. Die hängt wirklich arg in den Seilen. Liegt auf dem Tisch und lässt sich von ihrer Freundin durch die schwarzen Locken kraulen, die selbst noch halb zu schlafen scheint. Ihre kurzen, naturroten Haare stehen in alle Richtungen, aber sie lächelt mir zu. Und da die beiden auch noch Schlafsachen anhaben, die sogar um einiges kürzer sind als die rot-karierte Schlafhose und das graue T-Shirt, das ich anhabe, fühle ich mich nicht mehr ganz so merkwürdig. Kurz beobachte ich Dr. Schäfers Vater, der seinem Sohn etwas zu murmelt und dann mit einem Abschiedsgruß die Küche verlässt. Also eine Person weniger als erst angekündigt. »Nur zur Info, Gabriel hat einen Filmriss«, erklärt Dr. Schäfer und stellt mir einen Tee vor die Nase, bevor er sich neben seine Mutter sinken lässt. Ich bin offiziell immer noch überfordert mit der Situation. »Das ist fast schade. Es war noch so lustig«, sagt Elisa bedauernd und schmunzelt. Ich sehe sie argwöhnisch an. »Wieso?«, frage ich lauernd und kann mich nicht entscheiden ob ich das wirklich wissen will. Elisa grinst unheilverheißend und während ich jetzt von Lucielle aufgefordert werde zu essen, erzählt sie mir, was die anderen und ich gestern angeblich alles angestellt haben. Mir wird schlecht. Und ich will am liebsten vom Stuhl kippen und im Boden versinken und mich im Garten vergraben. Ich bin 27 Himmel Herr Gott noch mal, wie kann ich sowas nur tun? Auf dem Tisch tanzen? Dabei tanze ich nicht einmal. Ich kann tanzen nicht leiden, weil ich mir dann immer vor komme wie ein Besen auf LSD. Mir vergeht der Appetit – nicht das ich wirklich welchen gehabt hätte – und ich verfluche meine ach so treuen Freunde hundert Mal, als Dr. Schäfer ein Einsehen hat und lachend mit der Hand wedelt. »Ärger ihn nicht so. Gabriel, das habt ihr nicht gemacht. Ihr ward alle ganz tolle Gäste«, versichert er, aber ich kann ihm nicht wirklich glauben. Anscheinend sagt das auch mein Blick, denn er schmunzelt noch eine Spur verschmitzter. »Wirklich. Elisa will dich nur auf den Arm nehmen. Bis auf das Brüderschafts–Trinken, hast du nichts davon gemacht.« »Naja, Mathis und Momo haben schon ganz schön rum geknutscht«, wirft Elisa dann ein, weshalb Anna sie sacht an stupst. »Haben wir auch, als wir grade frisch zusammen waren«, erinnert sie leise, was Elisa zum Grinsen bringt. »Macht ihr selbst jetzt noch«, behauptet Dr. Schäfer und ich bin froh für einen Moment unter zu gehen. Während die drei ausdiskutieren ob sie das wirklich tun oder nicht, atme ich tief durch und nehme einen tiefen Schluck vom Tee. Er schmeckt fast so gut wie Maries, weshalb ich ihn überhaupt nur runter kriege. Ich bin eigentlich kein Teemensch. Aber Maries ist einfach gut und deshalb sage ich auch nicht mehr direkt nein, wenn mir eine Tasse angeboten wird. Ich frag aber für gewöhnlich erst einmal nach der Sorte. Diesmal wurde er mir zwar einfach vorgesetzt, doch ich bin eh zu beschäftigt mit verarbeiten, als das ich nach Kaffee fragen würde. Wir haben uns also gestern abgeschossen und Momo und Mathis haben rum geknutscht und ich hab mit Dr. Schäfer Bruderschaft getrunken. Und ich war letztendlich zu betrunken um wieder nach Hause zu kommen und wurde dann einfach hier gelassen und habe hier in einem Bett geschlafen, das noch dazu anscheinend Dr. Schäfer selbst gehört, denn er kam schließlich nach der Dusche rein um sich Klamotten aus dem Schrank zu holen. Innerlich seufze ich grottentief. Wirklich keine Sternstunde. Aber vielleicht sollte ich ihn jetzt doch Elyas nennen? Man trinkt schließlich nicht jeden Tag auf Bruderschaft. »Und du hast also einen Kater gerettet?« »Bitte?« Annas Frage holt mich aus meinem gedanklichen Resümee. Sie lächelt schlicht und wiederholt die Frage, weshalb ich dann erzähle, wie ich zu Mowgli gekommen bin. Mowgli ist ein sicheres Pflaster und über meinen kleinen Kater erzähle ich liebend gern etwas. ~ »Warum stellst du dich denn so an?« Ich funkle Marie sauer an und vergrabe dann mein Gesicht in Mowglis weichem Fell. Er lässt es geduldig über sich ergehen, wofür ich ihm mehr als dankbar bin. Denn nach diesem befremdlichen Frühstück, dass trotzdem irgendwie noch ganz lustig und eigentlich sogar schön wurde, hat es sich Elyas – nach dem mir ein Dr. Schäfer raus gerutscht war hat er mich so lang hypnotisch angestarrt, bis ich mir seinen Vornamen über die Lippen gequetscht habe – nicht nehmen lassen mich nach Hause zu fahren, weil er eh irgendwelche Erledigungen zu machen hat. Ich kam mir extrem seltsam dabei vor. Irgendwie macht er mich nervös mit seiner ganzen Art. »Du bist halt auf der Terrasse noch eingeschlafen und ich war selbst so blau und du bist schwer. Wir hätten dich niemals nach Hause bekommen«, verteidigt sie sich und setzt sich dann neben mich auf die Bettkante. Ich frage mich kurz wer mir dann die Schlafsachen angezogen hat, will es im Endeffekt lieber doch nicht wissen und schiebe den Gedanken weg. Mathis und Moritz schlafen noch oder wieder. Marie wusste es selbst nicht so genau. »Und die anderen sind doch wirklich super nett« »Sind sie ja auch« »Aber?« »...ich kenn sie halt nicht«, murmele ich schmollig und Marie verdreht genervt die Augen. »Du und deine Auftauphasen, echt. Du musst doch nicht immer gleich jeden wochenlang kennen lernen um ihn zu mögen oder so. Echt, du kannst manchmal so anstrengend sein. Klar, Elyas kann mit seiner amerikanischen Art etwas aufdringlich wirken, aber er meint es echt nicht böse«, verteidigt sie diesen komischen Tierarzt und ich brumme nur. Irgendwie klingt das aber doch interessant. Seine Mutter scheint ja in Amerika zu leben, aber mehr weiß ich nicht darüber. »Amerikanische Art?«, frage ich deshalb doch und drehe mich auf die Seite, Mowgli an mich drückend und über den Bauch streichelnd. Er liebt es am Bauch gekrault zu werden. »Ja, sein Vater hat seine Mutter damals während eines Auslandssemesters kennen gelernt. Die beiden haben geheiratet, aber es hat nicht geklappt und deshalb ist sein Vater zurück nach Deutschland. Elyas hat wohl als Teenager eine Menge Mist gemacht und weil seine Mutter Angst hatte, dass er abrutscht, hat sie ihn nach Deutschland zu seinem Vater geschickt. Der hatte hier mit seinem Bruder mittlerweile die Tierklinik aufgebaut und Elyas dazu genötigt nach der Schule aus zu helfen, damit er nicht hier auch Mist macht. Dazu hatte er gar kein Gelegenheit, weil er unter anderem Elisa kennen gelernt hat und sich halt ansonsten gern mit den Tieren beschäftigte. Deshalb hat er dann Veterinärmedizin studiert und arbeitet seitdem in der Klinik«, erzählt sie recht ruhig, aber ich kann hören, dass sie das irgendwo beeindruckt. »Du weißt ja ganz schön viel von deinem Chef«, nuschele ich dann und sie lacht. »Mein Chef ist sein Vater. Elyas ist zwar etwas älter als ich, aber eigentlich sind wir Freunde und wenn nicht grade ein Patient im Raum ist nenn ich ihn auch Elyas und er mich Marie. Es ist sonst verwirrend, wenn man bis zu drei Dr. Schäfer in der Praxis rum laufen hat. Und deshalb duzt er dich auch. Er sieht sich selbst nicht als Chef und bildet sich auch nichts drauf ein der Sohn bzw Neffe der Chefs zu sein und das macht ihn so sympathisch. Du solltest wirklich dieses unnötige Respekts Gedöns endlich mal ablegen. Respekt schön und gut, aber Elyas und du würdet sicherlich gute Freunde werden, wenn du nicht immer so auf Abstand gehen würdest bis du jemanden gut genug kennst.« »Hat er nicht genug Freunde?«, frage ich leise, bin gedanklich aber mit diesen ganzen, vielleicht auch überfälligen, Informationen beschäftigt. »Naja, Freunde...es sind schon auch Freunde, aber die meisten sind extra für seinen Geburtstag angereist. Außer Anna und Elisa hat er in der direkten Umgebung keinen und sein Haus steht ja auch nicht grade mitten in der Innenstadt.« »Das war sein Haus?« »Sein Onkel hat sich mit der Familie einen Hof gekauft und Elyas hat ihm dann das Haus abgekauft. Er wollte eine eine dauerhafte Bleibe und in Amerika ist es ja eher das Haus als eine Wohnung und er bezahlt es im Moment aber noch ab.« Ich brumme nur und beobachte Mowgli dabei, wie er herzhaft gähnt, sich streckt und dann vom Bett springt und im Flur verschwindet. »...du weißt wirklich viel über ihn«, murmele ich noch einmal. Marie zuckt mit ihren Schultern. »Er ist halt nett.« ~ Mittlerweile dämmert es schon wieder. Ich hab den Rest des Tages damit verbracht mir den Kopf darüber zu zerbrechen, was gestern und heute passiert ist und dann habe ich mir den Kopf darüber zerbrochen, warum ich mich überhaupt damit beschäftige. Das Ende vom Lied waren Kopfschmerzen, die ich versucht habe mit schlafen weg zu bekommen. Da Mowgli das aber nicht witzig fand und sich einfach mal wieder auf mein Gesicht gelegt hat um mich zu wecken, habe ich den Rest des Nachmittags damit verbracht mit ihm zu spielen und die Küche auf zu räumen, weil Nuri ja nicht da ist. Ich sollte bei Zeiten vielleicht mal eine Strichliste machen mit den Aufgaben, die ich für die anderen übernehme, weil sie mit irgendwas beschäftigt sind. Andererseits kümmern sie sich unaufgefordert um Mowgli und seine Diva haften Bedürfnisse. Während ich mir ein Glas Saft eingieße vibriert mein Handy und gedankenverloren grabe ich es aus meiner Jeans. Nachdem Marie sich wieder zurückgezogen hat, war ich im Grunde den ganzen Tag allein, was selten ist. Doch Mathis hat sich heute nicht einmal blicken lassen und dann mit Momo die Wohnung verlassen als ich geschlafen habe und da sie jetzt sicherlich in dem alles ist wunderbar und toll Modus sind und es noch dazu Samstag ist, gehe ich nicht davon aus, dass ich einen der beiden vor morgen früh noch sehe. Ich habe nämlich das Bedürfnis nach Schlaf und das sehr ausgeprägt. Allerdings verblasst dieses, als ich die SMS lese, die ich bekommen habe. Sie ist von Sophie und ich bin völlig verwirrt. » Freu mich auf gleich! Hab auch Wechselzeug eingepackt, weil ich ja nicht in deine Sachen passe ;* « Bitte!? Kapitel 5: .fünf ---------------- »Sie betrügt dich!« Müde reibe ich mir über die Augen und stöhne frustriert auf. »Nuri! Denk doch nicht gleich das schlechteste«, bitte ich sie und versuche das eklige Gefühl im Magen zu ignorieren. Nuri ist erst seit einer Stunde wieder aus Paris da, aber weil ich in der Küche saß und mein Handy angestarrt habe, hat sie sich zu mir gesetzt, anstatt ins Bett zu gehen. Es ist nämlich mitten in der Nacht. »Verdammt Gabriel, mach die Augen auf! Die erste SMS klingt schon seltsam. Ihr wart nicht verabredet, und dann kommt so eine Nachricht, aber dann die zweite. Die sagt doch alles! Das ist eiskalt gelogen! Eine Freundin hat sich ihr Handy geliehen und es aus Versehen an die falsche Nummer geschickt? Natürlich! Und wieso schreibst du nur ein: Achso, nicht schlimm! Ich möchte dich grade schlagen, du Idiot«, faucht sie leise um Marie nicht zu wecken. Mathis hat irgendwann nur kurz in unserer WG-Nachrichtengruppe geschrieben, dass er bei Momo schlafen würde, aber da er von mir aus auch auf dem Mond schlafen könnte, habe ich es nur zur Kenntnis genommen. »Was soll ich denn sonst schreiben?« »Wie wäre es mit, wie heißt er? Oder betrügst du mich? Mensch, ich weiß das ist scheiße, aber sie nutzt dich nur aus für...was auch immer. Du darfst dich nicht so verarschen lassen«, sagt sie eindringlich und nimmt mich dann aber in den Arm. Irgendwie ist mir schlecht. »Wir sind für dich da, okay? Aber die dumme Kuh hat dich echt nicht verdient und du solltest das klären. Lass das nicht auf sich beruhen, hörst du? Vielleicht – ich selbst glaube nicht dran, aber wer weiß – vielleicht ist es ja wirklich die Wahrheit, aber wenn du sie nicht drauf ansprichst, dann macht dich das verrückt. Also nimm es nicht einfach so hin, versprichst du mir das?« Ich blinzele sie an und seufze schwer. Dann ringe ich mich zu einem Nicken durch. Sie hat ja Recht. »Okay, dann los... schnapp dir deinen Kater und geh schlafen, ja? Jetzt kannst du es eh nicht mehr klären«, sagt sie anweisend und schiebt mich dann von der Bank. Ich bin so geschlaucht, dass ich einfach nur gehorche und im Flur dann wirklich Mowgli ein sammle und mich in mein Zimmer verziehe. Aber ich fürchte, dass ich heute Nacht doch kein Auge zu bekommen werde. ~ Mit der Einschätzung habe ich Recht. Ich liege bis in die Morgenstunden wach und bin mir nicht sicher, was ich tun soll. Irgendwann, als es schon dämmert, schlafe ich doch ein und die anderen lassen mich zum Glück weit in den Sonntag rein schlafen, weshalb mein Frühstück auch erst das Mittagessen wird, dass Momo und Marie für uns kochen. Mathis und Momo versuchen sich angesichts meines Problems – das Nuri einfach nicht für sich behalten wollte, damit sie mir auch ins Gewissen reden können – etwas zurück zu halten, aber trotzdem sehe ich die Blicke und die zuckenden Mundwinkel und obwohl es so lange überfällig war, möchte ich sie am liebsten erschlagen. Es hilft nämlich nicht eine Entscheidung zu finden, wenn man ein Pärchen vor der Nase hat, das so eindrucksvoll demonstriert, wie es eigentlich laufen sollte. Weil ich so schlechte Laune habe, verkrümele ich mich in mein Zimmer und lasse Nuri und Marie alleine weiter diskutieren was jetzt richtig wäre. Mathis und die beiden sind sich nämlich einig darüber, dass Sophie mich wirklich betrügt und ich gebe wenigstens vor mir selbst zu, dass ich das nicht wahr haben möchte. Kann aber auch nicht verleugnen, dass es mehr als seltsam wirkt, was sie da geschrieben hat. Einzig Momo kann verstehen, dass ich unschlüssig bin, wie ich reagieren geschweige denn sie darauf ansprechen soll, aber es tröstet nur wenig. Mowgli dabei beobachtend, wie er mit einer seiner Spielzeugmäuse fangen und töten spielt, wälze ich meine Gedanken vor und zurück und komme doch auf keinen grünen Zweig. Irgendwann fällt mir ein, dass wir uns für heute Abend zum Telefonieren verabredet haben und allein bei dem Gedanken dreht sich mir der Magen um. Ich weiß noch nicht wie ich reagieren soll, weshalb ich in einer Panikreaktion schreibe, dass sich was dazwischen geschoben hat und ich keine Zeit hätte. Sie schreibt nur ein kurzes »Ok« zurück und zum ersten Mal fällt mir auf, dass unser Chatverlauf in den letzten Wochen hauptsächlich aus abgesagten Treffen und Entschuldigungen für irgendwas besteht. Selbst wenn sie mich wirklich nicht betrügt, haben wir echt ein Problem, dass mich vor die Frage stellt: Dran festhalten oder...Schluss machen? ~ Die nächsten Tage finde ich genauso wenig eine Lösung wie an dem Sonntag. Ich bin froh, dass ich Montags wieder arbeiten gehen kann und nehme sogar direkt ein paar Überstunden mit, damit ich nicht zu viel Zeit mit fruchtlosem Grübeln verbringen kann. Die anderen merken zwar, dass ich neben der Kappe bin, aber lassen mich zum Glück größtenteils in Ruhe, wofür ich wirklich dankbar bin, denn auch wenn ich nicht ewig den Kopf in den Sand stecken kann, so wäre es alles andere als gut überstürzt irgendeine Entscheidung zu fällen. Sie versuchen mich sogar abzulenken mit Geschichten über die Probleme anderer, wie Marie, die erzählt, dass Elyas eine recht aufdringliche Kundin hat, die er wohl in einer Bar kennen gelernt hatte und seit sie raus gefunden hat, dass er Tierarzt ist ständig mit ihrem armen Hund in die Klinik kommt, obwohl es dem wohl gut geht. Wenn ich daran denke was für Stress das für manche Tiere auslöst zum Tierarzt zu müssen habe ich direkt Mitleid. Nuri erzählt mir, dass sie einen neuen Job annehmen wird, indem sie mehr Geld verdient um ihre Reisekasse wieder auf zu füllen, da Paris wohl ein größeres Loch reingerissen hat, als geplant und sie demonstriert mir jeden Highheel und auch jedes andere Kleidungsstück, das sie erbeutet hat. Mit Mowgli auf dem Bauch bekomme ich es sogar hin Begeisterung dafür zu heucheln, in dem Wissen, dass sie es durchschaut, aber nicht hinterfragt. Mathis fragt zwar einmal zwischendurch, ob er mir helfen kann, aber ich schüttele nur den Kopf und er lässt es auf sich beruhen. Es ist einfach rührend. Da ich diese Woche mit einkaufen dran bin, laufe ich Donnerstag nach der Arbeit los um wenigstens die leeren Sachen auf zu füllen, weil ich regulär erst samstags mit meinem Auto losfahre und einen Großeinkauf mache. Als ich auf den Parkplatz, der zum Supermarkt gehört, einbiege sehe ich aus den Augenwinkeln jemanden, der mir bekannt vor kommt und als ich den Kopf wende, bin ich ehrlich verdutzt Elyas zu erkennen. Allerdings steht er nicht allein da, sondern mit einer blonden Frau, die sehr begeistert aussieht und versucht mit ihm ins Gespräch zu kommen, während er immer wieder zum Eingang des Supermarktes sieht. Versucht sie zu flirten? Irgendwie wirkt er, als ob er am liebsten da weg möchte. Ob das diese Frau mit dem Hund ist, die Marie erwähnt hatte? Unschlüssig was ich tun soll, bleibe ich zwischen zwei geparkten Wagen stehen und beobachte das Ganze. Die Dame gehört anscheinend wirklich zu der aufdringlichen Sorte und Elyas scheint zu nett zu sein um klar zu machen, dass er diese Avancen nicht will. Wenn er mir nicht so leidtun würde, würde ich vielleicht sogar lachen. Als sie dann auch noch eine Hand auf seinen Unterarm legt wird es mir doch zu viel und von meinem Mitleid übermannt stiefele ich auf die beiden zu. Bevor ich mir überlegen kann, ob die Idee so super ist, warte ich nur bis Elyas mich bemerkt, hole aus und verpasse ihm eine Ohrfeige. Die Frau ist ebenso erschrocken wie Elyas, aber während ich mir über die kribbelnde Handfläche reibe, versuche ich ihn möglichst wütend an zu sehen, während er sich die Wange haltend mich verwirrt anblinzelt. »Du Arschloch! Wie kannst du es wagen«, fauche ich möglichst verletzt, als die Frau ansetzen will sich zu beschweren, »Was ist mit deinen ganzen Versprechungen? Ich tu es nie wieder, Gabriel, versprochen! Und jetzt stehst du hier und machst genau das? Du betrügst mich wieder? Was ist mit den Zwillingen? Hast du auch nur einen Moment an die beiden gedacht? Und ich bin dir anscheinend wirklich egal, oder? Du bist so...du glaubst doch gar nicht mehr an uns, gib es zu!« Ich bin ehrlich beeindruckt von mir selbst, vor allem, weil Elyas nach den ersten Sätzen merkt, was ich hier versuche und möglichst schuldbewusst drein blickt. Welche Showeinlage das für die ganzen Leute um uns herum ist, will ich gar nicht wissen. »Ga-Gabriel...ich...es ist nicht–« »Wenn du jetzt sagst, es ist nicht wonach es aussieht, dann kleb' ich dir noch eine!«, drohe ich fauchend und sehe dann die Frau an. »Und du! Wie kannst du es wagen dich an einem verheirateten Familienvater ran zu machen? Sieh zu das du Land gewinnst, sonst vergess‘ ich mich!« Die Frau sieht mich völlig schockiert an, bevor sie wie wild mit den Händen wedelt und den Kopf schüttelt. »E-Er hat wirklich nichts– ich hab nur– Es ist nichts passiert!«, beteuert sie und ich knurre nur, weshalb sie stolpernd zu ihrem Wagen läuft und eine Minute später davon fährt. Nun kann ich wirklich nicht mehr und fange an zu lachen. Eigentlich ist es ja gemein, aber dieser Blick... »Ich gehe davon aus, dass Marie dir von dieser Verehrerin erzählt hat?«, fragt Elyas amüsiert und seufzt dann schwer, sich immer noch die Wange haltend. Ich nicke leise lachend und sehe ihn dann entschuldigend an. »Tut mir leid, tut’s doll weh?«, frage ich ehrlich besorgt, und er grinst schief. »Du hast ganz schön kräftig zu geschlagen«, erklärt er und ich verziehe reuig das Gesicht. »Bist du schon fertig mit einkaufen? Sonst komm mit, die haben bestimmt TK–Gemüse, dass du dir drauf legen kannst. Ich bezahl’s auch«, biete ich an und er nickt schlicht. »Wäre besser, ich will morgen nicht erklären, warum mir jemand eine geklebt hat. Mein Vater könnte auf dumme Ideen kommen«, murmelt er leise und schiebt mich dann in Richtung Eingang. ~ Eine Stunde später sitze ich auf dem Beifahrersitz seines silbergrauen Opel Astra, den er noch aus Studienzeiten hat, weil er kein neues Auto kaufen will, bevor der nicht auseinanderfällt. Diese Einstellung ist ein Sympathiepunkt mehr, der mich an meiner Entscheidung festhalten lässt, Maries Aussage zu vertrauen und vielleicht eine Art Freundschaft mit ihm auf zu bauen, auch wenn er eigentlich Mowglis Tierarzt ist. Deshalb gebe ich ihm, während wir die Einkäufe verstauen, ein paar Tipps um die Langlebigkeit seines Wagens noch etwas zu steigern. Als Dank für die Ohrfeige und das Theater hat er mir angeboten mich wieder nach Hause zu fahren und weil ich so die Möglichkeit habe etwas mehr von der Liste zu kaufen, habe ich angenommen – das ist das erste Mal, dass sich jemand bei mir bedankt von mir geschlagen worden zu sein. Der eingefrorene Spinat, den ich direkt zu Anfang aus der Tiefkühlabteilung geholt habe, hat geholfen und jetzt ist die Seite, die meine Hand getroffen hat, nur noch leicht gerötet, was mein Gewissen doch sehr beruhigt. Während Elyas sich nun in den allgemeinen Feierabendverkehr einfädelt, erzählt er, dass er sich nicht ganz sicher ist, ob er diese Geschichte weiter erzählen wird oder nicht. Elisa und Anna würden ihn nämlich wochenlang noch deshalb aufziehen. Ich kann es mir prima vorstellen, weshalb ich lachen muss. Irgendwie sind mir die beiden trotz der Zergelei am Samstagmorgen ebenfalls sehr sympathisch. Zumindest im Rückblick, ich bin mir nicht ganz sicher was ich während des Frühstücks dachte. Marie muss mit ihrer Einschätzung wirklich Recht haben. Elyas und ich könnten wirklich gut Freunde werden. Auch wenn ich mich an den Fakt gewöhnen müsste, dass er weiterhin Mowglis Tierarzt wäre. »Warum könnte dein Vater eigentlich auf dumme Ideen kommen?«, hake ich nach, während wir vor einer roten Ampel stehen. Elyas sieht verdutzt zu mir rüber und ich deute auf meine Wange. »Achso, naja ich war ein etwas ungezügelter Student und Frischling. Ich hab eine Zeitlang gern auch mal mit Mitarbeitern geschlafen und als deshalb seine Lieblingssprechstundenhilfe gekündigt hat, hat er mir angedroht mich raus zu schmeißen, wenn ich noch mal eine Affäre mit irgendwem aus der Klinik anfange«, erklärt er leicht amüsiert, während ich sprachlos blinzel. Wow. Ich bin zwar auch kein Kind von Traurigkeit wenn man die Anzahl meiner bisherigen Beziehungen bedenkt, aber ich kann nicht einfach irgendwelche Affären haben. Deshalb gehe ich auch jedes Mal eine Beziehung ein. Das ist zwar auch der Grund warum ich schon eine Reihe von Beziehungen hinter mir habe, aber alles andere kommt für mich einfach nicht in Frage. »Jetzt hab ich dich verschreckt, oder?« »Was? Nein! Ich kann das nur nicht. Also, ich könnte das nicht«, antworte ich schnell und grinse dann schief und leicht verlegen. Warum werde ich grade nervös? Das ist doch Schwachsinn. »Kannst du nicht?« Um keine Möglichkeit der Frage zu Sophie zu geben, schüttele ich einfach nur mit dem Kopf und schaue aus dem Fenster. »Mittlerweile bin ich wohl auch etwas zu alt für diese richtig zügellosen Sachen, allerdings bin ich auch kein Beziehungstyp«, murmelt er dann und ich schiele doch wieder rüber. Dann fällt mir etwas ein. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, nachträglich«, murmele ich leise, weshalb er mich wirklich verwirrt ansieht. Ich spüre, wie meine Wangen heiß werden. »Ich wusste irgendwie nicht ob du Freitag oder Samstag Geburtstag hattest und irgendwie war ich auch abgelenkt von den ganzen anderen Sachen, deshalb...«, erkläre ich und betrachte interessiert meine Knie. Elyas lacht leise. »Es war Samstag und danke«, sagt er schlicht und ich lächele schief. »Sollte ich mir fürs nächste Jahr merken«, rutscht mir über die Lippen und es ist einen Moment still, weshalb mir zu spät klar wird, wie komisch das klingt. »Eh…also, weil...ehm«, sage ich hastig, heiser und wenig eloquent, aber Elyas lacht wieder und grinst mich an. »Dann weiß ich ja schon mal, wen ich nächstes Jahr wieder einladen kann«, scherzt er und konzentriert sich wieder nach vorn. Die Sache mit Sophie hängt mir anscheinend wirklich schwer an, ich benehme mich völlig bescheuert. Es ist eine Weile still im Auto, was ich erst merke, als Elyas mich wieder anspricht. »Hast du Lust auf ein Bier?« »Huh?« »Ein Feierabendbier, ich lad dich ein. Als Dank«, erklärt er und ich blinzele irritiert. »Du bringst mich doch schon nach Hause, mit den Einkäufen« »Das ist ja jetzt nicht so ein Akt, liegt eh auf dem Weg zu mir«, erklärt er und guckt kurz zu mir rüber. Ich bin ehrlich hin und her gerissen. Irgendwo würde ich schon gern. Und eigentlich ist das doch die Gelegenheit um ihn näher kennenzulernen. »Morgen?«, frage ich dann, weshalb er kurz blinzelt und dann seine Mundwinkel langsam nach oben zieht. »Klar, morgen Abend. Ist auch passender, sonst gehen die Einkäufe kaputt«, stimmt er zu und ich nicke nur, während er in unsere Straße einbiegt. Als er hält, schnalle ich mich ab und sehe zu ihm rüber. »Dann, danke und bis morgen?«, frage ich schief grinsend. Elyas nickt, aber greift nach seinem Handy. »Gib mir vorsichtshalber deine Nummer, nicht das mir ein Notfall dazwischen kommt und du ewig warten musst.« Es kommt mir vor wie ein Vorwand, aber ist eigentlich so einleuchtend, dass ich keinen Grund sehe ihm meine Handynummer nicht zu diktieren. Da ich seit Jahren die gleiche habe, kenne ich sie eh auswendig. Er speichert sie ab und verspricht mir, seine zu schicken, sobald er zu Hause ist. Ich nicke nur, steige aus und hole die Einkäufe hinten raus. Er verabschiedet sich mit einem verschmitzten Grinsen und fährt dann davon. Das Gefühl, dass irgendwas an mir vorbei gegangen ist, überfällt mich kurz, aber ich wüsste nicht was und weil das Eis sicherlich schon angetaut ist, friemle ich meinen Haustürschlüssel aus meiner Jeans und schließe die Haustür auf. Weil ich voll bepackt bin, spare ich es mir im Briefkasten nach Post zu gucken und steige die leicht ausgelatschten Stufen nach oben zur Wohnung. Weil ich so in Gedanken bin und höre ich sie erst, als ich sie sehe und bleibe irritiert stehen. »Nina?«, frage ich verwirrt, als ich sie vor ihrer Wohnung hocken sehe wie ein Häufchen Elend. Sie hebt den Kopf und ich fluche innerlich. Ihr sonst so perfekt und akkurat geschminktes Gesicht ist Tränen verschmiert und als sie mich sieht, schluchzt sie wieder leise. Verdammt…hab ich schon mal erwähnt, dass ich mit Tränen nicht umgehen kann? Kapitel 6: .sechs ----------------- »Zu fragen was du da machst wäre jetzt irgendwie blöd, oder?«, frage ich leicht heiser. Nina blinzelt und gibt ein komisches Geräusch von sich, dass wie lachen und schluchzen gleichzeitig klingt. Tief durchatmend nehme ich die letzten Stufen und stelle die Einkäufe vor der Tür ab, bevor ich mich zu ihr hocke. Nina und ich haben zwar kaum richtige Interaktionspunkte, aber ich kann sie auch nicht einfach so hier sitzen lassen. Auch wenn ich nicht verstehe, warum sie vor ihrer Wohnung sitzt und nicht drin. »Was ist passiert?«, frage ich dann vorsichtig und sie schnieft herzzerreißend. »Ich hab heute Morgen meinen Schlüssel vergessen, eine wichtige Klausur in der Uni versaut und mein Handyakku ist leer. Momo ist mit Mathis unterwegs und Lucas ist ein Arsch«, rattert sie runter, während ihr beim letzten Satz wieder Tränen in die Augen steigen. Ich fürchte, dass da noch jemand ein Beziehungsproblem hat. Eigentlich will ich nicht fragen, aber... »Warum ist er ein Arsch?«, frage ich leise und sie schluchzt mitleiderregend auf. »Ich hab ihn gesehen. Mit einer anderen«, krächzt sie verzweifelt und jetzt bricht anscheinend auch der letzte Damm. Etwas unbeholfen tätschele ich ihr den Kopf und überlege fieberhaft, was ich jetzt tun soll. Ich komme mir fast herzlos vor, weil mir das Eis einfällt, das in die Tiefkühltruhe muss, aber ich bin überfordert. »Willst du erst mal mit rüber kommen?«, frage ich dann leise vorschlagend und sie nickt. Froh darüber, dass sie reagiert, obwohl sie sich die sprichwörtlichen Augen ausheult, helfe ich ihr hoch und schließe die Wohnungstür auf. Sie findet selbst den Weg in die Küche, während ich die Einkäufe auf der Arbeitsfläche abstelle. Ihr ihre Jacke abnehmend krame ich nach meinem Handy und schicke Mathis eine Nachricht, dass er Momo so schnell wie möglich zurück bringen soll, weil Nina ein Problem hat, bevor ich mich zurück in die Küche wage. Stumm räume ich die Einkäufe ein, während Nina sich schluchzend auf den Tisch legt. Ich bin echt ein Arsch. Vielleicht sollte ich Marie anrufen und fragen, was ich machen soll? Das wäre aber auch arschig. Und ich weiß, dass Nuris Rat für Nina wäre, Lucas in die Wüste zu schicken, was wohl zu krass wäre im Moment. Bevor ich mich zu einer Entscheidung durchringen kann kommt Mowgli um die Ecke, springt auf die Bank und dann auf den Tisch. Fasziniert beobachte ich, wie er an Ninas Haar schnuppert und dann an ihrer Hand. Sie zuckt leicht zusammen und hebt irritiert den Kopf, weshalb sie und Mowgli sich einen Moment direkt in die Augen sehen. »Das ist Mowgli?«, fragt sie heiser schniefend und ich nicke. Sie betrachtet ihn einen Moment und streichelt ihn dann, was der sich nur zu gern gefallen lässt. Mein Kater ist so ein Aufmerksamkeitsfanatiker. Erst als sie ihn auf den Arm hebt und sich an ihn kuschelt, fällt mir ein, dass sie eigentlich eine Tierhaarallergie hat. »Ah, verdammt deine Allergie!«, ächze ich und will ihr den Kater schon abnehmen, als mir aufgeht, dass sie ihn an sich drückt. Normalerweise macht man sowas nicht, oder? Sie blinzelt verdutzt und grinst dann schief. »...du hast gar keine Allergie, oder?«, frage ich skeptisch, weshalb sie traurig lacht. »Doch, aber nicht gegen Tierhaare. Nur gegen das Heu, was man bei Kleintieren als Einstreu verwendet«, erklärt sie immer noch heiser. Ich brumme langsam und bezweifle ernsthaft, dass Momo das weiß. »Ich hab vor zwei Jahren oder so einen genauen Test machen lassen, aber Moritz nichts von dem Ergebnis gesagt. Er hätte sonst einen ganzen Kleintierzoo angehäuft«, erklärt sie schuldbewusst und ich lache leise. »Dann solltest du ihm das jetzt gleich beichten, damit er nicht böse wird«, schlage ich vor und versuche mich dann an einem warmen Kakao. Tee würde nur ungenießbar und für Kaffee ist es eindeutig zu spät. »Mal gucken...«, nuschelt sie und als ich kurz zu ihr sehe, hat sie ihr Gesicht in Mowglis Fell vergraben. Ich bin immer wieder erstaunt, was dieser Kater alles zulässt. Zum Glück hab ich heute nur den ganzen längst überfälligen Papierkram erledigt und dürfte deshalb nicht so nach Auto riechen wie sonst, denn das ist das einzige, das der Kurze immer noch nicht leiden kann. Während ich ihr den Kakao mache ist es bis auf das gelegentliche Schniefen von Nina still und als ich mich dann mit der Tasse zu ihr setze, nuschelt sie auch nur ein leises »Danke«, bevor wir weiterhin schweigen. Ich fühle mich irgendwie schlecht, weil ich sie nicht so trösten kann, wie sie es vielleicht braucht, aber sie beschwert sich auch nicht und das was ich nicht hinkriege, scheint Mowgli für mich mit Bravour zu meistern. »Bist du dir sicher, dass es das war, wonach es aussah?«, frage ich nach einer ganzen Weile des Schweigens, in der mir durch den Kopf ging, dass sich in den letzten Tagen ganz schön viel um betrügen gedreht hat. Sophie betrügt mich vielleicht, ich unterstelle es Elyas um ihm zu helfen und jetzt macht auch noch Lucas solchen Mist? Ganz schön viel für die paar Tage. »Wieso sonst, sollte er ein Mädchen, dass nicht seine Freundin ist umarmen und einen Kuss auf die Wange geben?«, fragt Nina immer noch hörbar geknickt. Ich presse die Lippen zusammen und seufze dann schwer. Mir fällt kein Grund ein. »...weißt du...er war in letzter Zeit irgendwie seltsam. Geheimniskrämerisch und... wenn es sich komisch anfühlt und komisch aussieht, dann...dann ist da auch immer was dran«, murmelt sie leise und betrachtet Mowgli so traurig, dass ich fürchte, sie weint gleich wieder. Ich kann sie aber verstehen. Sie hat Lucas wirklich geliebt und Nuri gegenüber wohl mal erwähnt, dass sie sich vorstellen könnte ihn zu heiraten, obwohl ihre Eltern ihr nicht grade ein Vorbild waren, was eine gute Ehe anbelangt. Ich seufze schwer und muss unweigerlich an Sophies SMS denken. Ob Nina Recht hat? Und Nuri damit auch? ~ Einen Tag später sitze ich in einer mir unbekannten Bar in der Innenstadt und starre abwesend auf den Bierdeckel vor mir, der noch von der Gruppe übrig ist, die grade ging, als Elyas und ich rein kamen. Er hat mich direkt zu dem kleinen Tisch geschoben um ihn für uns zu sichern, während er weiter zur Bar durch ist um uns Getränke zu besorgen. Ich konnte ihm grade noch hinterherrufen, dass ich nur eine Cola möchte. Gestern sind Mathis und Momo recht schnell dann doch noch aufgeschlagen und Momo hat das trösten seiner kleinen Schwester wesentlich besser übernommen als ich es vorher versucht habe. Er war so herzig und lieb zu ihr, dass sie wieder weinen musste und schlussendlich mit Mowgli im Arm an ihren Bruder gekuschelt eingeschlafen war. Und zum ersten Mal wirkte sie wirklich wie die kleine Schwester von Momo. Sonst sorgen ihr Temperament und ihr Dickkopf dafür, dass man sie für älter hält, auch weil die beiden grade mal ein Jahr auseinander sind. Mir über das Gesicht reibend verdränge ich den Gedanken an Mathis, der erst nachdem Nina eingeschlafen war, seine Mordlust hat durchscheinen lassen und schaue mich um. Überall sind gut gelaunte und das Wochenende feuchtfröhlich begrüßende Menschen und ich habe echt ein schlechtes Gewissen, weil ich mich am liebsten wieder in die WG wünsche um mit Mowgli zu kuscheln. Seit Ninas Äußerung, dass immer etwas dran ist, wenn es sich komisch anfühlt, kann ich mich kaum dagegen wehren dran zu glauben, dass da was im Busch ist und das zieht mich extrem runter. Denn ich mag es nicht schlecht von anderen zu denken ohne zu wissen, ob ich damit richtig liege. Und um zu wissen ob ich richtig liege werde ich sie drauf ansprechen müssen. Doch dieses drauf ansprechen müssen ist das, was mir am meisten Kopfzerbrechen bereitet. Wie und vor allem wo. Und was soll ich dann tun? Ein leises klopfen holt mich aus meinen trübsinnigen Gedankenwust und ich blinzele Elyas kurz an bevor ich merke, dass er mir eine Cola vor die Nase gestellt hat. Ich lächele schief und nicke dankend, bevor ich einen tiefen Schluck nehme. »Willst du drüber reden?«, fragt er überraschend und ich ziehe fragend die Stirn kraus. »Naja, du bist so abwesend und um ehrlich zu sein, hab ich gehört, wie Marie und Momo miteinander gesprochen haben und sie meinte, dass du dich endlich entscheiden musst. Ich weiß zwar nicht wobei, aber es klang schon ganz schön Ernst«, erklärt er und ich seufze grottenschwer. »Das ist aber ein ätzendes Thema und versaut sicherlich die Stimmung eines klassischen Feierabendbiers«, brumme ich und er grinst schief. »Erstens ist das kein Bier und zweitens drehen sich deine Gedanken doch sicherlich eh nur darum, also?«, meint er und wirkt wirklich so, als ob er es hören will. Für einen Moment zögere ich noch, aber erzähle ihm dann doch, was los ist, doch anstatt direkt den gleichen Ton wie Nuri anzuschlagen, brummt er nur nachdenklich und nippt an seinem Bier. Es ist kein astra, was wieder ein Sympathiepunkt für ihn ist, denn zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich astra nicht mag. Als gebürtiger Hamburger darf man das nicht laut aussprechen, wenn man nicht verbal gesteinigt werden will. »Ich muss zugeben, dass ich da nicht anders denke als deine Freunde«, sagt Elyas dann bedächtig und ich seufze leise. Habe ich wirklich etwas anderes erwartet? »Zum einen wart ihr ja anscheinend nicht verabredet aber dann diese Entschuldigung hinterher und dann auch noch so eine schlechte. Da drängt sich einem wirklich das Gefühl auf, dass sie lügt«, erklärt er das, was mir auch schon durch den Kopf ging. Ich starre meine Cola an, als ob sie Schuld an der ganzen Misere wäre und sage nichts. »Ich mein, deine Absichten nicht das schlimmste zu denken in allen Ehren, aber...du solltest dich nicht aus Gutmütigkeit ausnutzen lassen und wenn sie dich wirklich verarscht, dann solltest du das echt beenden. Du hast wirklich Besseres verdient als das.« Ich lache bitter und raufe mir dann aber die Haare. »Das ist so scheiße alles, ich hasse sowas«, fluche ich dann und stütze meinen Kopf zwischen meinen Händen auf. Elyas grinst schief und klopft mir auf den Rücken. »Nicht, dass ich das nicht verstehe, aber hattest du noch nie eine Freundin mit der du Schluss gemacht hast?« Ich schüttele brummend den Kopf. »Ehrlich gesagt, haben immer alle mit mir Schluss gemacht«, gebe ich leise zu, weshalb er mich ehrlich verdattert ansieht. »Im Ernst?« Ich nicke nur. »Da ich nichts davon halte alles hin zu werfen nur weil etwas nicht so klappt wie allgemein alle erwarten, ja im Ernst. Vielleicht arbeite ich deshalb in der Werkstatt. Weil ich glaube, dass man immer noch etwas reparieren kann oder wenigstens versuchen sollte zu reparieren, bevor man es einfach aufgibt und weg wirft« »Das ist sehr tiefsinnig, aber jedes Auto geht irgendwann einmal so kaputt, dass es nicht mehr repariert werden kann und dann ist es wirklich besser es zum Schrottplatz zu geben um etwas neuem und vielleicht auch besserem Platz zu machen, damit man das Auto finden kann, was wirklich zu einem gehört und bis zum Lebensende behält«, sagt er aufmunternd und ich seufze schwer. Irgendwie klingt das sehr weise und sehr wahr. Mist verdammter, ich muss wirklich mit Sophie reden. ~ Ich wache am nächsten Tag leicht verkatert auf, aber diesmal zum Glück in meinem eigenen Bett. Mit einem Blick auf meinen Wecker merke ich, dass es schon nach Mittag ist und ich den halben Tag verschlafen habe. So ein Mist. Samstagmittags einkaufen zu gehen ist die Hölle. Nach dem seltsam tiefsinnigen Gespräch mit Elyas hab ich hinterher doch zu Bier und Mischgetränken gegriffen und ich kann mich nicht mehr ganz dran erinnern wie ich nach Hause gekommen bin, aber weil ich einen wirklich widerlichen Geschmack im Mund habe ist mir das grade herzlich egal. Ächzend schäle ich mich aus meinen Laken und wanke aus meinem Zimmer in Richtung Küche. Ich brauch etwas zu trinken, schnellstmöglich. Gnädiger Weise begrüßt mich Nuri direkt mit einer Flasche Wasser und zwei Kopfschmerztabletten, die ich ohne einen Ton von mir zu geben auch nehme. Dann erst sehe ich zum Tisch und mir fallen fast die Augen aus dem Kopf, als ich Nina und Lucas auf der Bank sitzen sehe. Was macht der denn hier? »Guten Morgen«, meint Nina gut gelaunt und krault Mowgli, der sich auf ihrem Schoß eingerollt zu haben scheint. Ich brumme nur und stiere Lucas an, der unter meinem Blick etwas in sich zusammen sinkt. »Guck nicht so böse, Gabriel. Es war alles ein Missverständnis«, wirft Nina ein und ich runzle ungläubig die Nase. Aufgrund des unerwarteten Besuchs sollte ich vielleicht zurück in mein Zimmer um mir eine Hose anzuziehen, weil Shirt und Shorts wohl etwas wenig sind, aber ich will grade lieber eine Erklärung. »Eigentlich ist es sehr romantisch, für Lucas‘ Verhältnisse«, wirft Nuri ein und drückt mich auf einen Küchenstuhl. Ich nehme noch einen Schluck Wasser aus der Flasche und sehe Nina abwartend an. »Also, ich hab vor ein paar Wochen wieder meinen Plan überarbeitet, du weißt schon, den über den du dich so lustig gemacht hast«, setzt sie an und ich grübele für einen Moment. Dann fällt mir der Lebensplan ein, den sie am Kühlschrank hat und der 10 Jahre in die Zukunft geht. Da man die Zukunft nicht planen kann hab ich sie wirklich etwas damit aufgezogen. Ich brumme leise. Und dann erzählt sie mit strahlenden Sternchen Augen, dass Lucas sich von ihrem überarbeiteten Plan hat inspirieren lassen und etwas darauf beschleunigen wollte und dafür die Hilfe von einer Freundin aus der Schulzeit in Anspruch nehmen wollte, die Goldschmiedin ist und nicht nur lesbisch sondern noch dazu asexuell. Ich komme mit dem verarbeiten kaum hinterher und als ich glaube es langsam zu verstehen, hält mir Nina einen sehr ausgefallenen, aber wirklich schönen Ring unter die Nase, der sehr bedeutsam an ihrem Ringfinger steckt. Ich blinzele dumpf. »…der’s schön«, murmele ich die ersten Worte des Tages und kann meinen Kopf grade noch so weg ducken um Nuris Hinterkopf Schelle aus zu weichen. »Mehr hast du nicht zu sagen?« »Eh?« »Oh, Gabriel du Idiot, das ist ein Verlobungsring!«, fährt sie mich an und während Lucas rot wird und Nina noch mehr strahlt, fällt der Groschen endlich. »...oh...Oh! Oh wow, was? Das...krass...i-ich mein, Glückwunsch«, stammele ich und Nina lacht. Sie wirkt so glücklich, dass man kaum glauben will wie verzweifelt sie noch vor zwei Tagen war, aber irgendwie gönn ich es ihr. Wenigstens ihr Drama war kein richtiges Drama. ~ Einige Stunden später geht es mir zwar besser, aber ich fürchte um einen weiteren Kater am nächsten Morgen, denn um die Verlobung zu feiern, habe ich mich breit schlagen lassen mit den anderen weg zu gehen. Da Mathis und Momo mit den Zwillingen unterwegs waren und Marie schon verabredet ist, sind irgendwie nur Nuri, ich und eine Hand voll Freunde von Lucas und Nina mit in einen Club gekommen. Da ich damit beschäftigt war zu duschen und den nötigen Wocheneinkauf zu machen hatte ich grade mal Gelegenheit Elyas per SMS zu fragen wie ich nach Hause gekommen bin, was der wieder ausgesprochen witzig fand und sich einen Spaß draus gemacht hat mir per Sprachnachricht mit zu teilen, dass ich nach einem Tequila-Shot sehr eingebrochen bin und noch in der U-Bahn gegen ihn gelehnt eingeschlafen bin. Ich hätte mich am liebsten im Fell meines Katers erstickt. Warum trinke ich bitte Tequila, wenn ich das ganze harte Zeug gar nicht vertrage? Elyas hatte mich nach Hause und sogar ins Bett gebracht, bevor er sich selbst auf den Weg zu sich gemacht hatte und weil mir das so peinlich ist, habe ich ihn in einer Kurzschlussreaktion das Versprechen gegeben, dass ich beim nächsten Mal ihn einlade. Er hat es sofort angenommen. Nachdem ich das halbwegs verdaut hatte war Nuri bei mir eingefallen um mich zu nötigen ihr bei ihrer Kleiderauswahl zu helfen. Sie ließ mir keine andere Wahl. Deshalb schießt mir auch erst in dem vollen Club ein Gedanke an Sophie durch den Kopf, weil sie sich, im Gegensatz zu mir, gern in solchen Einrichtungen rum treibt. Da der Gedanke mich aber runter zieht, verdränge ich ihn und lasse mich von Nuri durch die Menge ziehen in Richtung Bar. Ich ernte zwar einen schiefen Blick vom Barkeeper weil ich mir nur wieder Mal eine Cola bestelle, aber das ist mir egal und während Nuri sich einen der ausgefallenen Saisoncocktails bestellt schaue ich mich um. »Du musst übrigens gleich mit mir tanzen, nur zu deiner Info«, droht sie mir gut gelaunt und ich sehe sie ungnädig an. Sie weiß nur zu genau wie ich zum Tanzen stehe. »Nur einen Song«, schiebt sie hinterher. Ich brumme nur und hoffe, dass sie jemand anspricht bevor sie mich dazu nötigen kann. Für den Moment hat sie erst einmal diesen bunten Cocktail und ich meine Cola. Zum Glück komme ich wirklich drum herum, denn während mich Ninas beste Freundin Luisa anspricht, die zum Zeitpunkt des Dramas selbst noch in einer Klausur saß, wird Nuri von Nina zum Tanzen aufgefordert und sie verschwinden in Richtung Tanzfläche. Lucas klinkt sich ein und lässt sich grade wieder einmal zusammenstauchen – der arme Kerl tut mir langsam echt leid, er hat es ja nicht böse gemeint und es war ein blödes Missverständnis – als mein Blick an einem Pärchen hängen bleibt, dass sich knutschend in einer Ecke rum drückt. Ich grinse erst schief, weil ich unwillkürlich an Anna und Elisa denken muss. Aber als sich die beiden Mädchen leicht drehen fällt mir alles aus dem Gesicht. »Sophie?« Kapitel 7: .sieben ------------------ Es dürfte eigentlich keine Überraschung mehr sein. Eigentlich hätte es mir klar sein müssen. Und eigentlich bin ich ja irgendwie auch selbst Schuld. Trotzdem stehe ich wie erschlagen da und starre zu ihr rüber. Wie sie sich an die Wand drücken lässt, wie sie sich küssen lässt. Das ist wirklich unmissverständlich. Das ist wirklich eindeutig und es ist Betrug. Ich werde sauer. »Gabriel?«, höre ich Lucas irritiert fragen, doch ich drücke ihm nur meine Cola in die Hand und stapfe auf die beiden Frauen zu. Ich kenne ihre Partnerin nicht, aber das ist mir im Grunde auch völlig egal. Ruppig ziehe ich die beiden auseinander und während ihre Partnerin sich empört beschwert, kriegt Sophie tellergroße Augen. Ich greife nach ihrem Arm und zerre sie unnachgiebig mit, bis nach draußen vor die Tür. Mir ist egal ob sie einen Stempel hat, der ihr den Wiedereinlass gewährt oder nicht. Mir ist auch egal, dass ich keinen habe. Ich starre sie an und versuche einen klaren Gedanken zu fassen. »Erklär mir das!«, fauche ich irgendwann und deute mit einer ausladenden Bewegung in Richtung Club. »Gabriel, das...ich...«, stammelt sie und das hilft mir nicht mich zu beruhigen. Ich hab schon einige Freundinnen gehabt und schon einige Trennungen und Beziehungsprobleme hinter mir, aber nicht eine einzige hat mich jemals betrogen. Das ist neu für mich und es gefällt mir ganz und gar nicht. »Erklär. mir. das.«, knurre ich zwischen zusammen gebissenen Zähnen, während die Tür aufgeht und jetzt nicht nur die Namenlose Mit-Fremdgängerin sondern auch Nuri, Nina und Lucas raus kommen. »Hey, lass sie in Ruhe«, knurrt mich Sophies Freundin an und ich schnaube abfällig. »Du hältst dich da schön raus, das geht dich grade nichts an«, sage ich abweisend, was ihr aber nicht gefällt. »Wenn du ein Problem mit meiner Freundin hast, dann geht es mich sehr wohl etwas an, klar?«, knurrt sie und wenn ich nicht so sauer wäre, wäre ich vermutlich beeindruckt, denn sie ist so groß wie ich und wirkt wesentlich trainierter, bedrohlicher. Doch grade sorgt es nur dafür, dass ich kaum noch Luft kriege vor Wut. »Deine...deine Freundin? Wie schön, dass ich das jetzt auch endlich mal erfahre!? Wann wolltest du mir das denn sagen, huh? Hast du vielleicht auch nur eine Sekunde drüber nach gedacht vielleicht vorher mit mir drüber zu reden, bevor du dir eine Freundin anlachst?«, fahre ich sie an und ich sehe, dass Sophie Tränen in die Augen steigen, aber zum ersten Mal in meinem Leben ist es mir egal Tränen zu sehen. »Okay, pass auf, du kannst dir deine homophoben Sprüche schön klemmen und abziehen, wenn–« Mir reißt der Geduldsfaden. »Jetzt halt verfluchte Scheiße noch mal deine Klappe, okay? Mir ist doch scheiß egal mit wem sie schläft! Und wenn sie sich an einem Baum reiben will, aber ich habe ein extremes Problem damit, dass sie mich Wochenlang hinhält, nichts sagt und so für dumm verkauft, weil sie nicht den Arsch in der Hose hat mit mir Schluss zu machen«, brülle ich nun und möchte am liebsten kotzen, weil ich so wütend bin. Anscheinend hat nun auch Sophies Bodyguard gemerkt, dass sie sich besser raus halten sollte, denn sie sagt gar nichts mehr und sieht nun selbst verwirrt zu Sophie runter, die mittlerweile leise in ihre Hände schluchzt. »I–Ich dachte, dass du schwul bist, okay?«, schnieft sie dann und ich falle fast vom Glauben ab. Was? »Du hast wochenlang nichts gemacht außer mich mal zu küssen und den Sex musste ich initiieren. Jedes Mal! U-Und ich kann an einer Hand abzählen wie oft und du hast immer so gewirkt, als ob du froh warst, wenn es vorbei war und überhaupt dachte ich einfach, dass du wegen deiner Familie auch eine Alibifreundin brauchst. Und...Und ich dachte...We–wenn meine Eltern raus finden würden, dass ich eigentlich... die würden mich umbringen!«, schluchzt sie. Ich selbst stehe einfach nur da und frage mich wirklich, ob sie mich grade verarschen will. Klar, ich bin religiös erzogen worden und aufgewachsen und die Kirche meiner Eltern ist eher konservativ aufgestellt was Familienbild und Ehe angeht, aber aufgrund des Gebotes, Liebe deinen Nächsten würde es weder meinen Eltern noch meinen Schwestern einfallen sich abfällig über irgendwen zu äußern, ihn belehren zu wollen oder gar zu verteufeln. Mir wurde von klein auf beigebracht jeden so zu nehmen wie er ist. Und auch wenn ich mit der Kirche nichts mehr am Hut habe wurde ich weder verstoßen noch werde ich gemieden und mir würde es im Traum nicht einfallen schlecht über meine Eltern oder deren Glauben zu reden. Das Sophie es jetzt aber unterstellt macht die ganze Situation nicht besser, denn ihre Familie ist erzkatholisch, meine nicht. Das ist ein Unterschied. Ein riesiger. »...u–und dann dachte ich, dass das perfekt ist. Du bist wirklich nett und sympathisch und, ich dachte, das du mein Freund sein kannst, damit meine Eltern mich in Ruhe lassen, während...« »Während du dich durch die halbe Uni vögelst?«, frage ich heiser und weiß wirklich nicht mehr was ich denken soll. Meine Wut ist irgendwie noch da und gleichzeitig doch verraucht und ich fühle mich vollkommen taub. Bevor ich irgendeine Entscheidung fällen kann, bleibt Nuri neben mir stehen, holt aus und knallt Sophie eine so heftige Ohrfeige mitten ins Gesicht, dass sogar ich zurück zucke. »Du bist so eine feige, hinterlistige Schlange. Zum einen, selbst wenn du den Verdacht hattest, hättest du mit Gabriel reden können und nicht seine Gutmütigkeit ausnutzen sollen. Zum anderen, informier' dich mal genauer über christliche Werte und Religionen und die Unterschiede und schmeiß' nicht alles in einen Topf und wehe du meldest dich noch ein einziges Mal bei ihm, dann nehme ich dich so auseinander, dass du wünscht uns niemals begegnet zu sein und ich rate dir dringend bei deinem Studium auf zu passen und noch mal zu lernen wie Beziehungen richtig funktionieren, denn sonst hoffe ich für deine Patienten, dass du niemals eine Zulassung zur Psychotherapeutin bekommst. Auf nimmer wieder sehen«, erklärt sie klar und deutlich, bevor sie mich weg schiebt. Ich stolpere einfach mit und übergebe mich an der nächsten Straßenecke. ~ Immer noch völlig betäubt starre ich an die Decke und kriege nichts richtig mit. Die Begründung die mir Sophie serviert hat ist so lächerlich, dass ich sie nicht glauben kann und trotzdem klebt sie auf jedem Gedanken der durch die Watte in meinem Kopf geistert. Es ist mitten in der Nacht, das weiß ich, aber die Wohnung und auch mein Zimmer sind hell erleuchtet. Ich weiß, dass Nina danach zurück in den Club ist um den anderen Bescheid zu sagen und das Nuri mir die ganze Zeit über den Rücken gerieben hat, während ich mir gefühlt die Seele aus dem Leib gekotzt habe. Ich kann mich dran erinnern, dass Lucas seinen Wagen geholt hat und wir zusammen zurück gefahren sind. Und ich bin der Meinung, dass die Freunde der beiden in dem anderen Auto nachgekommen sind und nach einem kurzen rein schauen nach drüben gegangen sind. Aber während all das passierte und vermutlich noch mehr, habe ich nur in meinem Bett gelegen und an die Decke gestarrt. Zwischendurch kam Marie rein und hat mir Mowgli auf die Brust gesetzt. Da hat er sich zusammengerollt und liegt immer noch da. Und obwohl ich das Bedürfnis habe ihn zu streicheln kann ich mich nicht überwinden auch nur einen Finger zu rühren. »Gabriel?« Die sanfte Stimme veranlasst mich dazu zur Seite zu schielen und ich sehe, wie Nuri sich neben mir auf die Bettkante setzt. »Kann ich dir irgendwas Gutes tun?« Wie automatisch schüttele ich den Kopf und starre wieder an die Decke. Ihre Hand legt sich auf meinen Kopf und ich spüre wie sie mir übers Haar streichelt. Das Atmen wird plötzlich unfassbar schwer und ich hab einen riesen Knoten im Hals. »...sie hat einen Schaden, okay? Vergiss, was sie da von sich gegeben hat. Das war nur um vor sich selbst ihr arschiges Verhalten zu rechtfertigen. Man kann auch als Lesbe ein Arsch sein«, flüstert sie mir sacht zu und ich blinzele heftiger als nötig. Meine Augen fangen an zu brennen. Mir schießt noch durch den Kopf, dass ich nicht wegen so etwas heulen will, weil ich es ja quasi wusste und selbst Schuld bin weil ich ihr durch meine seltene Präsenz überhaupt nur die Möglichkeit gegeben habe, als Nuri leise seufzt und sich neben mich legend mich an sich drückt. »Du bist einfach zu gutmütig, du treudoofe Socke«, flüstert sie so liebevoll, dass es weh tut. Ich klammere mich zitternd an sie und achte nicht einmal mehr drauf wo Mowgli hin rutscht. Während ich anfange zu heulen wie ein kleines Kind, geht mir durch den Kopf, dass ich nicht verstehe wieso nicht mit mir darüber gesprochen hat und wieso man jemanden, den man gern hat so hintergehen und anlügen kann für sowas wie Sex. ~ Die nächsten Tage ziehen irgendwie in einem Schleier an mir vorbei und bevor ich mich versehe sind sogar über zwei Wochen vergangen. Mittlerweile habe ich verdaut was da passiert ist. Zumindest halbwegs. Mir ist inzwischen auch klar, dass ich deshalb so am Boden war und vielleicht auch noch bin, weil der Vertrauensbruch für mich so heftig war, obwohl ich es im Grunde vorher wusste und einfach nur gehofft habe, dass es nicht so ist. Sophie selbst hat sich zum Glück nicht mehr gemeldet und mittlerweile habe ich alle Daten die ich von ihr hatte, inklusive Nummer, gelöscht. Mir ist auch völlig gleich ob und inwiefern ich durch dieses Intermezzo vor dem Club ihre Beziehung mit der anderen Frau gestört habe. Nuri findet das gut. Sie weiß aber nicht, dass mich eine Sache selbst jetzt noch beschäftigt. Sophies Annahme, ich sei schwul. Ich weiß nicht mal wieso, aber es lässt mich nicht los. Mir ist klar, dass sie insofern Recht hatte, das ich keinen Bedarf an sexuellem Kontakt hatte und nur auf ihren Wunsch hin mal nachgegeben habe, aber sie hat auch nie etwas deshalb gesagt. Und nur weil ich ein Kerl bin, sehe ich nicht die Notwendigkeit immer und überall an Sex zu denken. Aber davon dann abzuleiten, dass ich schwul bin? Der Gedanke ist mir und auch meinen Exfreundinnen nicht gekommen. Tief durchatmend reibe ich mir über das Gesicht und versuche zu verstehen, was ich jetzt eigentlich machen soll, aber obwohl ich den Auftrag bestimmt zum dritten Mal durchlese und Mark mittlerweile wirklich sehr irritiert neben mir steht und wartet, bleibt nicht ein Wort hängen. »Sag mal...ist wirklich alles okay? Bist du wieder krank?«, fragt er nun, aber ich schüttele nichtssagend den Kopf und gebe ihm den Auftrag in die Hand. Er ist der Lehrling und soll lernen, dann kann er das jetzt auch tun. »Mach du einfach ich brauch fünf Minuten Pause«, murmle ich leise und er nickt nach kurzem Zögern. Tief durchatmend lehne ich mich gegen meinen Werkzeugschrank und beobachte Mark dabei, wie er nun das Blatt studiert und dann die Motorhaube des Golfs öffnet. Er ist mittlerweile im 3. Jahr und kurz vor seiner Prüfung, da kann er einige Aufträge auch allein machen. Mein Handy klingelt und wie ferngesteuert greife ich danach, auch wenn wir eigentlich nicht privat telefonieren dürfen. »Ja?« »Mowgli ist weg!« Vor Schreck fällt mir fast das Handy aus der Hand. »Wie weg?« »Keine Ahnung, er ist nirgendwo! Ich glaube er ist vorhin durch die Tür geschlüpft, als Nuri und ich ihren neuen Schrank rein getragen haben«, erklärt mir Marie aufgeregt und mir wird schlecht. »Marie, verarsch mich nicht. Wo ist mein Kater!?«, krächze ich aufgebracht und schiele zur Uhr. Es ist grade zwei und ich muss eigentlich noch zwei Stunden arbeiten. »Ich verarsch dich nicht, wirklich. Ich hab ihm grade Futter hingestellt und eigentlich kommt er ja immer an, aber diesmal nicht und dann haben wir die Wohnung abgesucht aber nirgendwo gefunden und–« »Verfluchte Scheiße!«, fauche ich und sehe meinen Kater schon unter irgendeinem Auto. Mir rutscht das Herz in die Hose. »Gabriel? Geh, los. Ich deck dich«, kommt es plötzlich von der Seite und mein Blick trifft Mark, der mich schief anlächelt. Kurz denke ich drüber nach, ob ich das wirklich machen kann, aber dann ist mir egal ob ich Anschiss von Herrn Fechter kassiere. »Danke«, nuschel ich heiser und laufe in Richtung Umkleide. Er ruft mir noch nach, dass er schreibt, was er meinem Chef auftischen wird und dann fällt die Tür zu. ~ »Da haben wir schon–« »Dann guckt noch mal!«, fauche ich Nuri entgegen und mir ist egal, dass es vielleicht zu heftig ist. Ich kann kaum klar denken und mit jeder Minute, die Mowgli nicht wieder auftaucht, wird es schlimmer. Mittlerweile haben wir alles abgesucht, sogar die Kellerräume, obwohl Nuri Angst vor Spinnen hat und Marie in dunklen Räumen. Nirgendwo ist ein Kater zusehen und das Mowgli schwarz ist, hilft auch nicht. Mein Herz rast und meine Finger sind schwitzig, während ich noch einmal den Keller rechts von mir ausleuchte. Ein Fahrradreflektor blendet zurück, aber eine Katze sehe ich nicht. Angespannt beiße ich die Zähne zusammen und versuche nicht dran zu denken, dass einer der anderen Hausbewohner vielleicht die Haustür geöffnet haben könnte und Mowgli so ganz nach draußen entwischt ist, aber gleichzeitig lässt mich diese Befürchtung nicht los. »Vielleicht–« »Wag es ja nicht das auszusprechen!«, falle ich Marie knurrend ins Wort und stoße die Tür zum Treppenhaus auf. Mittlerweile dämmert es und ich würge leicht bei dem Gedanken, dass Mowgli da draußen ist. Ich hatte zwar zwischendurch überlegt ihn raus zu lassen, aber weil er noch nicht ganz mir gehört lieber in der Wohnung Klettermöglichkeiten an die Wand geschraubt und den Balkon mit einem Katzennetz versehen. »Vielleicht sollten wir Mathis und Momo anrufen, damit sie uns helfen«, sagt Marie nun doch kleinlaut und ich merke, dass ich sie zu Unrecht angefahren habe, aber ich fühle mich im Moment so hilflos, dass ich nicht weiß was ich tun soll. Tolle Wurst. 27 Jahre alt und überfordert mit dem Leben. Gabriel was hast du dir nur angetan? Ein leises Maunzen lässt mich aufhorchen und ich sehe ins Treppenhaus. War das... Bevor ich Nuri und Mari fragen kann, ob das eine Einbildung war, höre ich es wieder und ich wetze die Treppen hoch. Es wird lauter, aber auch als ich an unserer Etage vorbei bin ist es noch dumpf. Mit wummerndem Herzen bleibe ich im dritten Stock stehen und zische die Mädchen an leise zu sein, damit ich hören kann woher das maunzen kommt. Es ist still. »...Mowgli!?«, rufe ich lockend. Meine Stimme bricht fast weg. Ich hab so Angst, dass ihm etwas passiert ist. Er maunzt wieder und so kläglich, dass sich alles in mir zusammen zieht. Mein armer Kater! Die Treppen weiter hoch sprintend merke ich, dass ich immer näher komme. Dann fällt mir ein, dass wir ja noch einen Dachboden haben, den aber keiner außer die obersten Etagen nutzt. Eigentlich ist er zum Wäsche aufhängen gedacht, doch keiner der unteren Parteien hat Lust dafür immer hoch zu rennen. Oben angekommen drücke ich die Klinke runter, aber die Tür bleibt zu. Abgeschlossen? Was zum... Hastig friemle ich meinen Schlüssel aus der Hosentasche und ramme ihn dann in das Schloss. Es klickt zwei Mal, die Tür springt auf und ich habe das Bedürfnis vor Erleichterung zu heulen als ein leicht struppiger und staubiger Mowgli hinter der Tür zum Vorschein kommt. Ich nehme ihn sofort auf den Arm und drücke ihn an mich. Himmel Arsch und Zwirn, ich bin echt fertig mit der Welt. ~ »Ich sag es dir ja nicht gern, aber du hast ihm jetzt mehr Stress ausgesetzt durch das Herbringen, als durch die paar Minuten eingesperrt sein und es ist auch nichts gebrochen oder gestaucht oder so, er reagiert ganz normal«, erklärt Elyas ruhig und sieht mich dann an. Ich lasse mich ächzend auf einen der Stühle vor dem Schreibtisch sinken, weil meine Knie butterweich sind und nachgeben. Meine Finger zittern immer noch, während ich mir durch die Haare gehe und ich höre, wie Elyas meinen Kater wieder in die Transportbox steckt und Leckerli dazu legt. Dann schließt er das Gatter und kommt zu mir. »Ihm geht es wirklich gut, vermutlich besser als dir, wenn ich das so sagen darf. Ist das ein Kratzer von ihm?«, meint er dann und deutet auf meine Wange. Ich nicke müde. »Bin direkt von der Arbeit zurück und hatte wirklich anderes im Kopf als zu duschen. Deshalb hat er mir eine gewischt, als ich ihn hoch genommen habe«, erkläre ich schwach und muss sogar schief grinsen. Elyas lacht leise. »Das sollte dir fürs nächste Mal reichen, als Indiz, dass es ihm gut geht, wenn er so wie immer reagiert. Denk dran es bei Bedarf zu desinfizieren. Obwohl es nicht so tief aussieht«, erklärt er schmunzelnd und wäscht sich die Hände. Ich nicke nur. Nachdem ich Mowgli endlich gefunden hatte, war ich auch von Marie nicht mehr von der Idee abzubringen ihn zum Tierarzt zur Kontrolle zu bringen. Ich war so unter Storm, dass ich für kein logisches Argument mehr empfänglich war und hab Mowgli direkt in seine Box gesetzt und dann her gebracht. Mir kam dabei nicht mal in den Sinn, dass Marie sich ihn selbst hätte ansehen können und im Grunde hatte ich auch nur Glück, dass Elyas noch Papierkram zu erledigen hatte und deshalb noch da war. Ansonsten hätte ich vor verschlossenen Türen gestanden und zur nächsten Praxis gemusst, die Notdienst macht. »Ich hoffe, dass es kein nächstes Mal geben wird«, murmele ich und fühle mich grade so erschlagen, dass ich kaum an den Rückweg denken will. »...das ist doch nicht nur wegen Mowgli, oder?«, fragt Elyas dann und ich zucke nichtssagend mit den Schultern. Natürlich liegt mein Gemütszustand nicht nur an Mowglis kurzzeitigem Verschwinden, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Elyas schon wieder erzählen will was für dämliche Probleme ich mit meinem Liebesleben bzw. dem nicht mehr vorhandenen habe. Er seufzt leise und geht dann kurz an seinen Computer, bevor er seinen Kittel auszieht und über den Schreibtischstuhl hängt. »Komm, ich fahr dich nach Hause«, sagt er ruhig, aber ich schüttele mit dem Kopf und deute auf meinen Autoschlüssel, den ich vorhin auf den Behandlungstisch hab fallen lassen, während ich Elyas versucht habe zu erklären, was passiert ist ohne völlig die Nerven zu verlieren. »Bin selbst mit dem Wagen da«, murmele ich. Er greift die Schlüssel und legt sie in die Schreibtischschublade. »Mit dem du heute nicht mehr fahren wirst. Du bist immer noch so weiß wie die Wand neben dir und deine Hände zittern, so fährst du kein Auto«, sagt er streng. Ich blinzele ihn völlig verdattert an. Mir fällt keine Entgegnung darauf ein. »Jetzt komm, ich will abschließen, okay? Sonst kommt noch irgendjemand auf die Idee, dass wir heute Notdienst machen«, schiebt er hinterher und aufgrund des Seitenhiebs drehe ich verlegen brummelnd den Kopf zur Seite. Mich aufraffend versuche ich das zittern meiner Knie zu ignorieren und hebe Mowglis Transportbox umsichtig hoch. Elyas löscht das Licht und schiebt mich aus dem Behandlungsraum. Mir schießt kurz durch den Kopf, dass er mich gern durch die Gegend schiebt und ich wundere mich, warum ich das überhaupt zu lasse, werde aber dann von der Dame am Empfang abgelenkt, die nicht aussieht, als ob sie Feierabend machen will. Ich bin zwar verwirrt, nicke ihr aber freundlich zu als sie mir einen schönen Abend wünscht. Elyas tritt noch mal kurz zu ihr, erklärt ihr leise etwas, weshalb sie wieder nickt und kurz zu Mowgli und mir rüber sieht. Dann kommt er auf mich zu und dreht mich an den Schultern in Richtung Tür. Ich sehe dabei zu, wie er abschließt und folge ihm dann in Richtung Parkplatz, auf dem mein Wagen und seiner steht. Es fühlt sich komisch an mein Auto jetzt hier stehen zu lassen, aber weil ich immer noch zittrige Knie habe, muss ich ihm irgendwo Recht geben, dass es vermutlich sicherer ist, wenn er mich fährt. 9 Jahre Fahrpraxis hin oder her. »Wieso bleibt die Frau da?«, frage ich dann doch, während ich mich umständlich anschnalle, weil ich es nicht über mich bringe Mowgli auf die Rückbank zu stellen. Elyas schmunzelt kurz, bevor er mir hilft und dann den Wagen startet. »Wir haben im Moment zwei Hasen und drei Hunde zur Überwachung da und es wäre schlecht, wenn die jetzt abnippeln nur weil keiner da ist«, erklärt er und fährt vom Parkplatz. Ich nicke nur und möchte mir am liebsten die Stirn am Beifahrerfenster einschlagen. Ganz super, Gabriel, als ob dir das nicht hätte klar sein müssen. Ist ja schließlich eine Tierklinik! Ich brumme nur und beobachte Mowgli, der sich eingekugelt hat und schläft. Na toll, ich hatte wirklich wesentlich mehr Panik als er. Es ist eine Weile still im Auto und irgendwie beruhigt es mich. »...ihr hattet Recht«, murmle ich irgendwann dann und sehe zu ihm rüber. In diesem gelben Straßenlicht wirkt er ganz anders, als sonst. Viel ernster. »Womit?« »Sophie«, sage ich leise und brauche einen Moment, bevor ich ihm erzähle was passiert ist. Und irgendwie ist es diesmal einfach das zu erzählen. Es ist zwar noch aufwühlend und tut irgendwie auch weh, aber ich fühle mich nicht mehr ganz so überwältigt davon. Weil meine Erzählung länger dauert als der restliche Fahrtweg zu mir nach Hause, parkt Elyas einfach und hört mir weiter zu. Als ich geendet habe, atme ich wieder zittrig durch und schließe für einen Moment die Augen. Es ist wieder ruhig und man hört nur Mowgli leise atmen. »Und du machst dir jetzt Vorwürfe, weil du ihr so viel Freiraum und damit die Möglichkeit gegeben hast sowas zu tun?«, fragt er dann leise und ich brumme. »Ja...nein, eigentlich...ich weiß es nicht«, sage ich dann ehrlich, »Ich will gar nicht sagen, dass ich mich nicht falsch verhalten habe, wirklich und vielleicht war das auch mein Fehler, aber am meisten beschäftigt mich wirklich diese...Begründung«, gebe ich zu und schiele etwas nervös zu ihm rüber. Elyas lächelt schief. Ich bin irritiert. »Glaubst du wirklich, dass sie Recht hatte?« »Nein!...doch...keine-keine Ahnung. Ich verstehe es einfach nicht. Weil...ich bin doch nicht automatisch schwul nur weil ich kaum Sex wollte und ihr so viel Freiraum gelassen habe, oder? Vielleicht kann man das als Desinteresse interpretieren und vielleicht hätten für eine Monatelange Beziehung auch mehr Gefühle im Spiel sein müssen, aber...das macht mich doch nicht gleich schwul. Das hätte ich doch merken müssen. Ich bin 27. Sowas merkt man doch viel früher, oder nicht? Ich bin viel zu alt um jetzt noch zu überlegen ob ich Fisch oder Fleisch lieber mag«, rattere ich runter und werde irgendwie nervös. Elyas Blick macht mich nervös. Er sieht mich die ganze Zeit direkt an und hört mir zu und lächelt leicht. Wieso lächelt er, wenn ich so durcheinander bin? Und wieso fühle ich mich trotzdem nicht ausgelacht? Und wieso fällt mir jetzt auf, dass seine Augen braun sind, obwohl das Licht so schlecht ist. Elyas lacht leise, und lehnt sich vor. Ich spüre, dass meine Hände leicht schwitzig werden. »Zuerst einmal, man ist nie zu alt für irgendwelche Krisen und gerade Identitätskrisen können jederzeit zuschlagen«, erklärt er leise. Irgendwas passiert hier, aber ich kapiere nicht was und ich kann mich nicht entscheiden ob ich es wirklich wissen will. »Und ihr Rückschluss ist wirklich total dämlich. Nur weil du keinen Sex wolltest bist du nicht automatisch schwul. Es kann diese Bedeutung haben, aber auch bedeuten, dass du vielleicht einfach nur eine asexuelle Tendenz hast, denn du hast ja zumindest ein paar Mal mit ihr geschlafen und außerdem gibt es auch die Möglichkeit, dass du bi sein könntest. Nur um ein paar Möglichkeiten zu nennen. Es gibt noch ein einige andere, aber das würde für den Moment jetzt zu viel werden«, erklärt er und mich lässt das Gefühl nicht los, dass er noch näher kommt, »Aber bevor du dir jetzt ewig Gedanken darüber machst und wer oder was du bist oder sein möchtest, rate ich dir es einfach aus zu probieren«, murmelt er und ich könnte schwören, dass seine Stimme dunkler wird. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. »Au–Ausprobieren?«, sage ich und meine Stimme ist grade peinlich dünn und krächzig. Elyas schmunzelt wieder so verschmitzt wie er es gerne tut und mich beschleicht der Gedanke, dass er mir etwas verheimlicht. »Ja, ausprobieren«, flüstert er und plötzlich liegen seine Lippen auf meinen. Kapitel 8: .acht ---------------- »Au–Ausprobieren?« [...] »Ja, ausprobieren«, flüstert er und plötzlich liegen seine Lippen auf meinen. Heilige. Scheiße! Das ist ein Kuss! Ganz eindeutig. Elyas‘ Lippen liegen auf meinen, drücken sich sogar leicht dagegen. Das ist definitiv ein Kuss! Mein Puls schießt in die Höhe und mir wird heiß und kalt. Ich weiß nicht was ich tun soll, beim besten Willen nicht. Mein Körper spielt völlig verrückt und weil mein letzter Kuss mit Sophie so ewig lange zurück liegt und auch nur eine kurze Lippenberührung zum Abschied war, fühle ich mich irgendwie, als ob es mein erster Kuss ist. Und im Grunde stimmt das auch, denn es ist der erste Kuss mit einem anderen Mann. Mir wird heiß. So unglaublich heiß und schwindlig. Seine Lippen bewegen sich leicht und aus Reflex tun meine das gleiche und aus einem Kuss von Elyas wird ein Kuss zwischen uns. Meine Augen fallen zu und bevor ich mich bewusst entscheiden kann ob ich das will, erwidere ich vorsichtig. Himmel, Arsch und blaue Kröten, fühlt sich das gut an. Der Kuss dauert nicht lang. Es sind eigentlich nur ein paar Augenblicke und dann löst er sich wieder. Mit diesem verschmitzten Lächeln auf den Lippen und einem sanften Blick, der mir eine Gänsehaut verpasst. »...wenn dir das gefallen hat, dann solltest du vielleicht trotzdem drüber nachdenken, ob du nicht doch Fleisch anstatt Fisch möchtest«, murmelt er leise und amüsiert. Ich nicke bloß, immer noch völlig von der Rolle. »Na los, du solltest schlafen und Mowgli aus der Box lassen«, meint er dann und ich spüre wie er mich abschnallt. Völlig benebelt öffne ich die Tür und steige aus. Hebe nur grüßend die Hand und schaue dem silbergrauen Opel hinterher als Elyas davon fährt. ...Heilige...was. war. das? ~ Über eine Woche später habe ich immer noch keine Antwort darauf. Mittlerweile habe ich mehr oder weniger fünf Krisen durch. Vermutlich eher mehr. Aber an fünf kann ich mich noch erinnern. Eine war, als ich Momo und Mathis in der Küche erwischt habe beim so heftigen knutschen und fummeln, dass ich mich für zwei Stunden nicht mehr aus meinem Zimmer getraut habe. Aber nicht, weil ich abgestoßen war deshalb sondern, weil mir mein Kopf unfreiwillig die Idee eingepflanzt hat drüber nachzudenken wie es wohl wäre, wenn Elyas das mit mir machen würde und ob mir das gefiele. Ich wollte keine Antwort darauf wissen. Allein so einen Gedanken plötzlich zu haben, war Schock genug. Eine andere Krise bekam ich, als ich es gewagt habe mich an meinen Computer zu begeben und ausführlich darüber zu recherchieren, welche Arten von Zuneigung und Sexualitäten es gibt, weshalb ich auf einen so großen Informationsschwall an Identifikationsmöglichkeiten gestoßen bin, dass ich mir selbst hinterher wie der letzte Hinterweltlerarsch vorkam, weil mir grade mal eine Hand voll Begriffe davon etwas sagten. Danach verlor ich die Nerven, weil Mathis meinen Wagen nicht an der Klinik abholen wollte, weil ich ihm nicht erklären wollte, warum ich es nicht selbst mache – letztendlich hat Momo ihn netterweise hergefahren, um des lieben Friedens willen – und die nächste bekam ich als ich beim einkaufen zufällig Anna über den Weg lief. Sie grüßte mich eigentlich nur ganz freundlich, aber ich konnte ihr kaum eine Sekunde gerade in die Augen gucken und als sie besorgt fragte was denn los wäre, schlug ich ihre Hand weg. Danach fühlte ich mich so schlecht, dass ich mich tausend Mal entschuldigt habe, aber auch Rede und Antwort stehen musste und letztendlich nur noch überfordert war. Anna war jedoch unfassbar verständnisvoll und verzieh mir diesen Fehltritt sofort. Sie gab mir sogar ihre Handynummer mit der Aufforderung, dass ich sie jederzeit anrufen könne, wenn ich jemanden zum reden bräuchte, der den Mund hält. Sie versprach mir zur Krönung noch, dass sie Elisa nichts sagen würde, doch das wollte ich nicht. Ich habe schon genug Probleme und wollte keine weiteren verursachen. Das wiederum bescherte mir die nächste Krise, weil Elyas mir zwei Tage danach schrieb und frug, wieso ich ihn nicht nach Annas und Elisas Nummer gefragt hätte. Ich hatte kurz Panik, dass Elisa irgendetwas Unnötiges gesagt hatte. Mit einem Anruf bei Anna erfuhr ich, dass Elisa ihrem besten Freund nur auf die Nase hatte binden wollen, dass sie jetzt auch in Kontakt mit mir standen und sonst nicht ein bisschen weiter erzählt worden war, aber ich brauchte zwei Stunden um mich wieder so zu beruhigen, dass ich ihm antworten konnte um zu erklären, dass Elisa ihn nur ärgern wolle und sich das zufällig ergeben hätte. Nicht gelogen, zum Glück, aber überaus beispielhaft für mein momentan dünnes Nervenkostüm. Und die letzte... Die habe ich genau jetzt. In diesem Moment. Denn Nina und Nuri – die sich seit der Verlobungssache noch viel besser zu verstehen scheinen als so schon – haben sich in den Kopf gesetzt aus mir raus zu pressen, was mit mir los ist. Mit Erfolg. Leider. Vor fünf Minuten ist mir raus gerutscht, dass Elyas mich geküsst hat und ich seitdem nicht mehr weiß, was ich eigentlich will oder bevorzuge und die beiden sind erschreckend begeistert davon. Ich selbst würde am liebsten einfach nur nach Mowgli suchen, der vor den beiden Damen geflüchtet ist, und mich in meinem Bett verkriechen, wie der überforderte und launische Teenager zu dem ich anscheinend wieder geworden bin. Verdammt noch mal und ich hielt mich vor zwei Monaten noch für erwachsen. »Und? War es gut?«, fragt Nina wissbegierig und ich werde rot. Es hat mir gefallen, auch wenn ich es nicht wahr haben will. Oder nicht zu geben kann. Nina quietscht begeistert und funkelt Nuri an, die ganz aufgekratzt irgendwas in ihrem Handy sucht. »Könnt ihr nicht einfach wieder...gehen?«, frage ich leise und hoffnungsvoll, aber bekomme einen strengen Blick von Nuri, der Maries erzieherischen Blicken alle Ehre macht. Marie hat wirklich schlechten Einfluss auf sie. »Elyas hat gesagt, dass du dich ausprobieren solltest und das tust du jetzt auch. Dein im Zimmer vergraben und den Kopf in den Sand stecken bringt dir nichts und uns nichts und der Sommer steht vor der Tür, also werden wir drei uns jetzt schick machen und auf eine Party gehen und da kannst du versuchen ein paar Antworten zu finden, mein Lieber«, sagt sie und hält mir ihr Handydisplay unter die Nase. Mir dreht sich der Magen um. Ich kann nicht sagen, ob es das positive oder negative umdrehen ist. »Eine Queerparty? Wie cool, ich war ewig auf keiner mehr«, teilt Nina begeistert mit und mir fallen nun doch etwas die Augen aus dem Kopf. »Ich mag die Atmosphäre auf diesen Partys. Da kannst du sein wer du bist ohne gleich blöde von der Seite angemacht zu werden. Das ist genau das richtige für dich«, sagt sie entschieden und ich lasse mich leise jammernd aufs Bett zurück fallen. Nicht nur, dass ich im Moment gerade gar nicht mehr weiß wer ich bin, ich bezweifle wirklich, dass ich eine andere Wahl habe, wenn Nuri und Nina sich das jetzt in den Kopf gesetzt haben. Und da Samstag ist habe ich weder Rückendeckung noch eine wirkliche Ausrede. ~ Zwei Stunden später stehe ich wieder mal in einem Club. Es ist heiß und es ist voll und es ist bunt. So unfassbar bunt. Zu bunt für mich. Während Nina und Nuri sich ins Getümmel geworfen haben – Lucas ist fürs Wochenende bei seinen Eltern in Bremen, weil irgendwer Geburtstag hat und weil Nina noch was für die Uni machen musste, ist er allein gefahren – stehe ich am Rand und nuckel an meinem Strohhalm rum, der in einer fritz-kola Flasche steckt. In einer Anwandlung von Hoffnung hab ich Anna geschrieben und gefragt, wie man sich auf solchen Veranstaltungen verhält, weil ich Angst habe irgendwem auf den Schlips zu treten. Ihre Antwort war allerdings nur ein, »Sei so wie du bist und hab Spaß«. Ich vermute stark, dass Elisa das geschrieben hat, aber einen Beweis habe ich nicht. Zwar hilft es auf verdrehte Weise die beiden als Rückendeckung im Hinterkopf zu haben, aber so unsicher wie grade, hab ich mich selbst zu meiner Teenagerzeit nicht gefühlt. Wirklich nicht. Da hab ich mir nur Gedanken drüber gemacht ob der Glaube meiner Eltern auch mein Glaube ist, über mehr aber auch nicht. Ich habe immer gedacht, dass ich irgendwann ein Mädchen treffe mit dem ich mein Leben verbringen möchte und bin deshalb auch immer wieder Beziehungen eingegangen, aber obwohl es doch wirklich oft nicht funktioniert hat kam mir nicht ein einziges Mal der Gedanke, dass ich vielleicht nicht so hetero bin, wie ich immer gedacht habe. Natürlich hab ich grade hier in so einer großen Stadt mitbekommen, dass es mehr gibt als hetero und ich hab mich nie dran gestört, aber meine Erwartungen an mich selbst waren immer erschreckend konservativ und blind. Vermutlich bin ich deshalb auch so dauerhaft überfordert. Weil Sophie – aus welchem Grund auch immer – vielleicht Recht hatte und weil mir Elyas‘ Kuss die ganze Zeit durch den Kopf geistert und weil ich mir einfach nicht sicher bin. Was bedeutet das eigentlich, dass mir das durch den Kopf spukt und nicht los lässt? Und bin ich jetzt schwul, weil es mir gefallen hat? Oder hat es mir gefallen weil ich schwul bin? Oder weil ich Elyas mag ohne es gemerkt zu haben? Und wieso hat er mich überhaupt geküsst? Wollte er mir damit nur helfen? Oder hat er vielleicht irgendwie Interesse an mir? Aber ist er nicht eigentlich ein kein Beziehungsmensch? Letztendlich hat es mich eigentlich nur noch mehr ins Chaos gestürzt. Zittrig durchatmend trinke ich den letzten Schluck meiner Cola und schiebe mich dann durch bis zur Bar. Nina hatte schon Recht, was die Atmosphäre angeht. Es ist wirklich anders und irgendwie auch angenehmer, wenn ich es jetzt mit dem Club vergleiche in dem ich Sophie mit ihrer Freundin erwischt habe. Ich wurde noch nicht einmal schief angeguckt, weil ich mir kein alkoholisches Getränk bestellt habe und auch wenn ich merke, dass der ein oder andere mich genauer mustert, hat meine Fantasie und meine Unsicherheit es mir viel schrecklicher ausgemalt. Grade will ich noch eine Cola bestellen, als ich meinen Namen von der Seite höre und automatisch den Kopf drehe. Und ich bin wirklich froh, dass ich die Flache schon abgestellt habe. »Mark?«, frage ich erschrocken und will am liebsten im Boden versinken. Dem scheint es allerdings alles andere als etwas auszumachen, dass wir uns ausgerechnet hier treffen, denn fünf Minuten später stehen wir mit Getränken am Rand und er fragt ganz begeistert was ich hier mache und wie er das verstehen darf. »Ehm...«, sage ich wieder mal wenig eloquent und er lacht. Mein Blick huscht über seine Kleidung die diesmal gänzlich anders wirkt als sonst. Eigentlich fällt Mark kaum auf. Er trägt immer Jeans und Pulli, wahlweise T-Shirt wenn es warm ist, und hat seine Haare meist ungekämmt irgendwie auf seinem Kopf liegen. Jetzt sind sie aufwendig gestylt und er hat eine enge Lederhose und ein ebenso enges Hemd an, dass nur noch wenig der Fantasie überlässt. Mir war nie klar, dass er so viele Muskeln hat. Mir wird warm vor Verlegenheit und ich nehme hastig ein Schluck von dem Bier, das er mir ungefragt spendiert hat. Ganz ruhig Gabriel, du solltest jetzt nicht in deiner Verwirrung auch noch überlegen ob du deinen Lehrling attraktiv finden könntest. Du bist doch sonst nicht so. Sonst ist mir im Grunde auch egal wie andere aussehen. »Begleitest du nur deine Freunde?«, fragt er dann und grinst schief. Ich nicke, schüttele den Kopf und nicke wieder. Mark blinzelt verwirrt. »...also wie jetzt?«, fragt er und ich nehme einen noch viel tieferen Schluck Bier. Das kann ich nicht nüchtern. »...i–ich hab hab meine Freundin mit einer anderen erwischt, mit der sie etwas angefangen hat, weil sie dachte ich sei schwul und sie wäre nur meine Alibi-Freundin für meine Eltern, was sie nicht war, aber mich wollte sie als Alibifreund haben ohne mich darüber zu informieren. Und jetzt ist Schluss, aber ich bin verwirrt und versuche heraus zu finden was ich eigentlich will, weil mich ein Freund geküsst hat und ich es zu gut fand um es zu ignorieren«, rattere ich herunter und möchte am liebsten sterben. Sowas erzählt mein eigentlich nicht seinem Arbeitskollegen, dem man nicht aus dem Weg gehen kann. Mark allerdings blinzelt nur und pfeift dann leise durch seine Zähne. »Das ist ganz schön heftig. Erklärt aber auch warum du in letzter Zeit so neben der Kappe bist«, sagt er dann und lächelt. Ich habe Mark irgendwie immer für einen Besserwisser und eine kleine Petze gehalten, aber grade wirkt er so ganz anders. Wie ein anderer Mark, ein Mark den ich nicht kenne, aber vielleicht näher kennen lernen sollte. ~ Leicht fröstelnd ziehe ich meine Jacke enger um mich und nehme ein Schluck von meinem bestimmt dritten Bier. Ich weiß nicht ob er nett sein will oder Mitleid hat, aber Mark sorgt schon den ganzen Abend dafür, dass ich nicht ohne Getränk bleibe und weil die Musik auf der Tanzfläche so laut ist haben wir uns auf die Außenterrasse verzogen, die einen wunderbar kitschig – romantischen Blick auf die Elbe bietet. Das genießen zwar auch andere, aber durch meinen angeschwipsten Zustand und einen ungewöhnlich sympathischen Mark kann ich das wunderbar ignorieren. Mark hat mir erzählt, dass er schon seit er 15 ist weiß, dass er schwul ist und dieses ganze Identitätskrisenchaos in dem ich grade irgendwie drin stecke schon längst hinter sich hat. Es tröstet mich allerdings, dass er mich nicht lächerlich findet, weil ich das jetzt erst mit 27 habe. Er scheint wirklich begeistert davon zu sein, jemanden zu treffen, den er kennt, weil er durch das Verhalten unserer Kollegen immer gedacht hat, dass er zu seinem eigenen Wohl nicht sagt, dass er schwul ist solange er die Ausbildung nicht fertig hat. Trauriger Weise halte ich das für sehr schlau, weil mir direkt drei Gestalten einfallen, die wohl ein extremes Problem damit haben könnten, wenn sie das raus finden würden. Einer dieser Gestalten ist sein eigentlicher Ausbilder Schmidt, der mir Mark nach der Zwischenprüfung einfach aufs Auge gedrückt hat mit einem »Gabriel zeigt dir mal ein paar Wochen die Sachen, ich hab zu viel zu tun«, und danach nie wieder zurück gefordert hat. Er sagt mir auch, dass er eigentlich froh ist, dass ich ihm alles bei bringe und er seit dem keinen Bammel mehr hat seinen Abschluss zu schaffen, was mich irgendwie freut, denn anscheinend mache ich es dann ja wohl richtig. Grade guckt er sich ein paar Bilder von Mowgli an und lächelt. »Ich muss dir jetzt auch mal gestehen, dass ich es echt süß fand, als du den Kleinen selbst zum Tierarzt gebracht und dann sogar behalten hast. Du wirkst nicht wie ein Katzentyp, ehrlich gesagt«, gibt er dann zu und hält mir das Handy wieder entgegen. Ich stecke es verlegen in meine Jackentasche. »Bin ich auch eher nicht, aber Mowgli würde ich jetzt auch nicht mehr freiwillig hergeben«, brummele ich dann und Mark lacht. Wir haben uns noch nie so lange und ausführlich unterhalten. »Wie viele Monate noch, bis du ihn nicht mehr abgeben musst?« »Ich muss noch bis Mitte Oktober durchhalten und hoffen«, sage ich leise und seufze. Ich mag den Gedanken nicht, dass in der Zeit immer noch jemand kommen und Mowgli zurück verlangen könnte. »Das ist echt scheiße, oder?« »Es ist die Hölle«, sage ich und lache dann. »Wo war er eigentlich als er jetzt vor kurzem verschwunden ist?« »Auf dem Dachboden. Marie und Nuri haben einen Schrank rein getragen und nicht gemerkt, dass er dabei raus ist. Und er ist wohl nach oben gelaufen. Eine Nachbarin von oben wollte Wäsche aufhängen und hat ihn dann entdeckt, aber sie hat Angst vor Katzen, deshalb die Tür aufgeschlossen und abgewartet bis er rein ist und dann wieder zugemacht. Dann hat sie die Wohnungen abgeklappert, aber zu dem Zeitpunkt müssen wir den Keller abgesucht haben oder so. Jedenfalls hat bei uns keiner aufgemacht und als wir dann hoch sind war sie grade bei einer Nachbarin unter uns in der Wohnung weil sie sich verquatscht hatte. Ich war mit Mowgli schon längst beim Tierarzt, als sie noch mal geklopft und gefragt hat ob das unsere Katze wäre«, erkläre ich brummig, weil ich immer noch nicht glauben kann, dass sie Mowgli aus Angst da oben eingesperrt hat. Allerdings kann ich mir auch schwer vorstellen, dass man Angst vor Katzen haben kann und im Grunde muss ich wohl dankbar sein, dass sie nicht einfach einen Tierfänger oder so vom Tierheim gerufen hat. »...das nennt man wohl super scheiße gelaufen«, kommentiert Mark und klopft mir aufmunternd auf die Schulter. Ich brumme nur wieder und trinke den letzten Rest Bier aus meiner Flasche. »Noch eins?«, fragt er direkt und ich nicke, ohne drüber nach zu denken, dass ich vielleicht langsamer machen sollte. Auf die Elbe starrend warte ich einfach, während Mark wieder etwas zu trinken holt, aber weil es einen Moment dauert, schweift mein Blick doch durch die Gegend. Überall gibt es lauschige Ecken und Plätze zum sitzen und alles davon wird genutzt. Grade die lauschigen Ecken. Ich kriege heiße Ohren, als ich ein Pärchen fast ebenso innig knutschen sehe, wie Mathis und Momo am Dienstag in der Küche und senke schnell den Blick auf meine Schuhe. Das muss ich ja wirklich nicht weiter beobachten. »Alles okay?«, fragt Mark und hält mir eine Flasche entgegen, als ich aufsehe. Ich nicke nur und nehme direkt einen tiefen Schluck. »...sicher?«, hakt er nach und setzt sich wieder neben mich. Ich brumme etwas nichts sagend. Wie war das noch? Ich versuche Probleme zu lösen, anstatt ihnen aus dem Weg zu gehen? Irgendwie komme ich mir vor wie ein Lügner. »Wäre es so schlimm für dich, wenn du Männern nicht abgeneigt wärst?«, fragt er leise und mein Kopf ruckt zu ihm rum. Das hab ich doch nie gesagt, liegt mir auf der Zunge, doch nicht ein Wort verlässt meinen Mund, denn er hat sich leicht vorgelehnt und mein Gesicht hängt jetzt irgendwie etwas sehr nahe vor seinem. Mark blinzelt verdutzt und grinst dann schief. Er grinst so anders als Elyas. Um den Gedanken los zu werden, schüttele ich den Kopf, vergesse aber dabei, dass Mark noch auf eine Antwort wartet und mein Kopfschütteln deshalb jetzt missversteht. Er lächelt irgendwie erleichtert und in meinem duseligen Zustand von Alkohol und Verwirrung merke ich zwar noch, dass sein Blick zu meinem Mund huscht, aber bin definitiv nicht schnell genug um zu verarbeiten, was das hier grade wird. Und plötzlich liegen wieder Lippen auf meinen. Halleluja. Mark küsst mich. Eindeutig. Und ich bin wieder überfordert. Doch diesmal auch betrunken und so genervt von meiner Unsicherheit, dass ich noch merke, wie ich trotzig werde. Dann schaltet mein Gehirn ab und ich erwidere den Kuss. Und wie ich ihn erwidere. Meine Gedanken drehen sich völlig im Kreis, wirbeln so schnell hin und her, dass ich sie gar nicht verstehen will und mich einfach drauf konzentriere was hier passiert und es passiert ganz schön viel. Zumindest für meine Verhältnisse. Unsere Lippen bewegen sich immer fordernder gegeneinander und irgendwann ist da seine Zunge und seine Finger, die sich in meine Haare schieben und mir wird so unglaublich warm. Ich weiß nicht wie lange wir da so sitzen und knutschen, zwischendurch nimmt er mir das Bier ab und das ist auch gut so, aber obwohl es sich irgendwie echt gut anfühlt und Mark wirklich geschickt ist und meine ganze Unsicherheit grade endlich einmal Sendepause hat, fehlt was. Ich weiß nicht was es ist, aber Mark scheint es auch zu merken, denn als er sich löst sieht er mich forschend an und ich kann dem Blick kaum stand halten. »Da ist jemand anderer, oder?«, fragt er leise und völlig ohne Vorwurf. Er ist so lieb. Ich fass es nicht. Wieso ist mir das nie aufgefallen? Er wirkt grade so viel reifer als ich, und dabei ist er vier Jahre jünger. Er streicht mir sacht über den Kopf, obwohl ich nichts sage, weil ich vor mir selbst nicht zugeben kann, dass er Recht hat. Ich will nicht wahr haben, dass der Kuss zwar gar nicht schlecht war, aber trotzdem nicht gegen den ankommt, den Elyas mir gegeben hat. Und ich verstehe einfach nicht was mir das jetzt sagen sollte. Müsste mir nicht rein theoretisch beides gleich gut gefallen, wenn ich schwul bin? Bedeutet das, dass ich völlig in die falsche Richtung renne, gedanklich? Vielleicht habe ich auch einfach etwas falsch verstanden? Oder einen falschen Ansatz!? Ich spüre schon wieder einen Kloß im Hals und kneife die Augen zusammen. Dieses ganze Chaos wird langsam echt anstrengend. Mark zieht mich etwas näher, lehnt meine Stirn gegen seine Schulter und krault mir über den Nacken. Bis auf die ein oder andere Umarmung von Nuri oder einen Knuddler von Marie hab ich seit Wochen kaum Körperkontakt mit jemand anderem gehabt. Ich hab nur Mowgli und ich merke grade, dass mir das trotz aller Liebe nicht reicht. Mir kommen die Tränen und ich würde mich am liebsten in die Elbe schmeißen deshalb. »...ist vielleicht auch besser so. Wäre scheiße, wenn ich mich in dich verknalle und es nichts wird. Ich arbeite echt gern mit dir«, murmelt Mark leise und während mir klar wird, dass ich durcheinander, überfordert und in einer echt heftigen Identitätskrise stecke, hält Mark mich fest und sagt einfach nichts mehr. Das Leben kann manchmal echt ein Arschloch sein, aber ich bin froh, dass ich da wenigstens nicht allein durch muss. ~ »Ich werd‘ dir nie wieder einen Vorwurf machen, dass du so ewig gebraucht hast um über deinen Schatten zu springen«, nuschele ich leise und merke, dass Mathis mich völlig verdutzt von der Seite ansieht. Es ist Sonntag und ich sitze müde in der Küche und sollte eigentlich was essen, aber habe keinen Hunger. Nuri liegt noch schlafend in ihrem Bett, weil sie und Nina bis in die Morgenstunden getanzt haben und Marie ist heute Morgen aus dem Haus um sich mit einem von Elyas‘ ehemaligen Kommilitonen zu treffen, der ihr beim Lernen helfen will. Ihre Examensprüfung rückt nämlich immer näher, weshalb sie immer nervöser wird. »...ich komm nicht ganz mit. Wieso so plötzlich?«, fragt er und ich grinse schief. »Weil Gefühle einem echt eine scheiß Angst machen können, wenn sie in eine Richtung gehen, die man nie im Leben erwartet«, brumme ich und reibe mir über die Stirn. Mathis schweigt. Ich setze mich auf und sehe mich nach Mowgli um. Seit ich aus dem Bett gekrochen bin und ihn dabei aus Versehen ebenfalls raus befördert habe, versteckt er sich irgendwo und ich könnte wetten, dass er mit mir schmollt. »...hat Marie vergessen mir etwas zu erzählen?«, fragt Mathis dann und ich lache ungewollt. Seit wir vier hier wohnen herrscht ein reger Informationsaustausch untereinander, bei dem Nuri mich und Marie ihn auf dem Laufenden hält, wodurch es so gut wie nie vorkommt, dass Mathis oder ich mal nicht wissen, worüber der andere grade spricht. Ich schüttele mit dem Kopf. »Nein, Nuri und Marie wissen es selbst nicht«, gebe ich dann zu und lege mich wieder auf den Tisch. Wenn man auf der Bank sitzt ist das Sitz–Tischverhältnis quasi wie geschaffen dafür um sich auf den Tisch zu legen, was erklärt warum es quasi jeder macht, der müde oder niedergeschlagen ist. Und da der Tisch noch dazu aus Vollholz ist und einfach nur mit Öl behandelt wird, noch dazu sehr angenehm zum drauf liegen. Ich kann immer noch schwer glauben, dass Mathis’ Eltern den einfach über hatten. »Was wissen sie nicht?« »Ich hab gestern mit meinem Lehrling rumgeknutscht«, es klingt erschreckend nüchtern als ich das sage und ich bin selbst überrascht, dass ich nicht mal verlegen werde, während Mathis sich an seinem Wasser verschluckt und mich hustend ansieht. Ich muss grinsen. Irgendwie ist das schon witzig. »...hat...hat Sophie dir jetzt die Lust an Frauen verdorben oder wie darf ich das verstehen?«, fragt er dann heiser und räuspert sich. Ich zucke mit den Schultern. »Laut ihr hatte ich nie wirklich Lust auf Frauen, wie du so schön sagst, aber ich weiß es nicht«, gebe ich zu und seufze leise. »Marks Kuss war echt nicht schlecht, aber auch mit ihm würde ich keinen Sex wollen« Mathis sieht mich nur an und schweigt so lange, dass ich fast glaube, er antwortet gar nicht mehr. »Ein Grund, warum ich mich nicht überwinden konnte bei Moritz nach zu geben, war, weil ich mir nicht vorstellen konnte Sex mit einem Mann zu haben«, sagt er dann leise und starrt angestrengt auf die Tischplatte. Ich bin ehrlich überrascht, dass er sowas sagt, denn er hat zumindest mir nie erklärt, weshalb er sich so lange zurück gehalten hatte. »Allerdings ist mir dann aufgegangen, dass ich keinen Sex mit irgendeinem Mann haben muss, weil ich Moritz mag, sondern Sex mit Moritz haben könnte, wenn wir das wollen. Und die Vorstellung war um einiges möglicher. Vielleicht solltest du dir nicht überlegen ob du mit irgendwem, egal ob jetzt Mann oder Frau oder welches Geschlecht auch sonst, Sex haben kannst, sondern überlegen, mit wem du Sex haben möchtest. Vielleicht hilft dir das eine Antwort zu finden.« Ich blinzele Mathis an und denke darüber nach. Das klingt wirklich sehr logisch. Vor allem, weil die Antwort auch immer noch sein kann, dass ich so ganz generell gar keinen Sex will. Ich brumme leise und überlege wer mir da einfällt und bin fast dabei, zu glauben, dass es niemanden gibt, als mir jemand durch den Kopf schießt und dafür sorgt, dass mir heiß wird. Nicht so warm wie bei Mark gestern, sondern heiß. Ich schlucke schwer und spüre, wie mein Gesicht anfängt zu brennen. Mathis lacht leise. »Also gibt es jemanden?« Ich nicke nur und vergrabe mein Gesicht in meinen Armen. Verfluchter Krötendreck...wieso bitte kann ich mir vorstellen mit Elyas Sex zu haben? Kapitel 9: .neun ---------------- Elyas PoV »Du kannst manchmal echt ein Arsch sein, weißt du das?« »Und trotzdem liebst du mich«, entgegne ich frotzelnd, aber seufze leise und sehe rüber zu Anna, die auf der kleinen Holzbank am anderen Ende des Gartens sitzt und telefoniert. Mit Gabriel. Irgendwie kann ich den Gedanken immer noch nicht leiden, dass sie ihm anscheinend besser helfen kann als ich. Andererseits war eine meiner ersten Anekdoten ihm gegenüber mein damals ausschweifendes Liebesleben und wie locker ich auch jetzt noch damit umgehe. Dass er dann eher die so ruhige und liebe Anna um Hilfe bittet wundert mich nicht mal. Auch weil er sich seit dem Kuss nicht ein einziges Mal von sich aus gemeldet hat. Dabei steht noch das Versprechen eines Feierabendbiers aus. Ich hege nur die Befürchtung, dass er absagen könnte, wenn ich frage. Elisa brummt ungehalten und fährt sich durch ihre kurzen, karottenroten Haare. »Gabriel ist echt süß, du hättest nicht so gemein zu ihm sein dürfen. Er ist der Ich bin sensibel und weiß es nicht einmal Typ. Ihn zu küssen wenn er so verwirrt ist, ist einfach nur mies«, erklärt sie zum gefühlt tausendsten Mal. Einerseits bin ich ja froh, dass meine engsten Freundinnen Bescheid wissen und ich es so nicht für mich behalten musste um Gabriels Privatsphäre zu wahren, aber andererseits ist es irgendwie unfair, dass beide so klar Partei für ihn ergreifen und mich bei jeder sich bietenden Gelegenheit deshalb ausschimpfen und ihn in Schutz nehmen obwohl sie ihn erst seit meinem Geburtstag kennen. Ich komme mir vor wie der böse Wolf, der sich an Rotkäppchen vergreifen will. »Das Problem ist doch, dass er so süß ist. Als Marie erzählt hat, dass ihr Mitbewohner Autos repariert, hätte ich sicherlich nicht ihn erwartet«, brumme ich abwehrend, bekomme aber nur einen bösen Blick unter hochgezogener Augenbraue. »Wenn du weiter solchen Stuss laberst, dann erzähle ich rum, dass der Sex mit dir so schlecht ist, dass er mich lesbisch gemacht hat«, droht sie knurrend und ich seufze, wie so oft in letzter Zeit. »Hör doch auf zu lügen! Außerdem ist das Jahre her, das glaubt dir eh keiner mehr. Schon allein weil jeder weiß, dass du Anna auf den sprichwörtlichen Händen trägst.« »Dein Vater hat es geglaubt! Aber davon ab, nur weil Gabriel Mechaniker oder Mechatroniker oder wie die sich schimpfen, ist, darf er doch süß sein!? Du hast dir bestimmt so einen Klischeedeutschen mit Bierbauchansatz und Bauarbeiter Dekolleté vorgestellt, oder?« Ich hüstele leicht, weil meine Vorstellung zwar nicht so schlimm, aber in die Richtung ging. Deshalb war ich wirklich verdutzt als er in den Behandlungsraum kam. Und noch dazu mit einem ausgesetzten Kätzchen im Karton. Es hätte nur noch Regen gefehlt um das Klischee perfekt zu machen Elisa schlägt mir empört auf den Oberarm. Das kann sie leider sehr gut und schmerzhaft, denn als Sportlehrerin weiß sie einfach wo es weh tut. »Aua~«, jammere ich lachend und sie schnaubt abfällig. »Du bist manchmal so… so… ätzend! Warum sind wir noch mal befreundet?« Ich lache leise. Sie hat nicht ganz Unrecht, das weiß ich auch. Aber ich bin seit langem auf keine derart spannende Person mehr getroffen wie Gabriel eine ist. Durch die ganzen Erzählungen von Marie über ihre Mitbewohner habe ich einfach einiges im Vorfeld schon erfahren und mir unwillkürlich ein Bild gemacht, dass einfach nicht auf das passt, wie er wirklich ist. Und mit jeder Begegnung tauchen neue Facetten auf, die nicht aufhören wollen mich zu beschäftigen. »Bist du jetzt eigentlich irgendwie verknallt oder wie darf ich dein Interesse an ihm verstehen?«, fragt sie dann und ich wiege den Kopf hin und her. »Vielleicht ein bisschen. Es ist eher so, dass ich ihn spannend finde. Erst taucht er mit einem Kater auf, den er nur gefunden hat und den er dann aber aus lauter Gutmütigkeit sogar behält und jetzt hängt er so an ihm, dass er ihn zu mir bringt weil auch nur die Möglichkeit besteht, dass er etwas abbekommen hat. Ich kann mich gut mit ihm unterhalten, weil er irgendwie immer etwas interessantes zu erzählen hat und diese Aktion mit der Ohrfeige...« Elisa lacht lauthals. Jedes Mal, seit ich es den beiden erzählt habe, lacht sie immer wieder wenn es zur Sprache kommt. Da es nicht mehr weh tut, muss ich auch schmunzeln, aber Elisa hat beim ersten Hören sogar Tränen gelacht und sich die Seiten gehalten. »Das ist immer noch zu gut, wirklich. Und dann auch noch so wirkungsvoll. Diese Frau ist ja wirklich nicht einmal mehr in der Klinik aufgetaucht, richtig?« »Ist sie nicht. Ja«, bestätige ich und muss unwillkürlich dran denken wie er mich angesehen hat. Er sieht sogar niedlich aus, wenn er wütend ist. Oder spielt, wütend zu sein. Aber er hat es sehr gut gespielt und sehr überzeugend und sich dann sofort danach ganz besorgt und hinreißend um mich gekümmert. Wirklich schlimm. Und da spielt dann noch nicht rein wie viel Spaß wir auf meiner Geburtstagsparty hatten und die anderen Begegnungen danach. Als Anna zurück kommt, sehe ich automatisch zu ihr auf. »Was war?«, frage ich direkt, aber sie lächelt schief und setzt sich erst einmal schweigend neben ihre Verlobte. Ich bezweifle schon, dass sie überhaupt etwas mitteilen wird, als sie doch den Mund aufmacht. »Das werde ich euch nicht sagen, ich hab es versprochen. Diesmal werde ich es dir auch nicht sagen, Eli, tut mir leid«, erklärt sie dann ruhig und Elisa blinzelt ebenso verdutzt wie ich. Doch im Gegensatz zu mir, zuckt sie nur mit den Schultern. »Ist auch okay. Wie schon gesagt, Gabriel ist garantiert sensibler, als er sich selbst bewusst ist«, behauptet sie und nimmt sich wieder eine der klein geschnittenen Möhren. Wir haben geplant nachher mit ein paar anderen Freunden zu grillen, aber die beiden haben schon vor einer Weile zu mir gefunden und da alles vorbereitet ist, war es mir gleich. Gedanklich bin ich eh damit beschäftigt raus zu finden, was ich davon jetzt halten soll. »Hatte er denn gestern Spaß auf der Party?«, fragt Elisa dann und Anna lächelt leicht. »Er hat wohl jemanden getroffen, den er kennt und war sehr überrascht, aber hat sich gut mit ihm unterhalten«, erzählt sie und betrachtet etwas verträumt ihr Handy. »Ich mach mir ein bisschen Sorgen um ihn. Das alles nimmt ihn ganz schön mit und wenn du mit deinem Verdacht richtig liegst, Eli, dann sollten wir wirklich auf ihn aufpassen.« »Welchen Verdacht?«, frage ich irritiert und will grade nicht einmal wissen von welcher Art Party sie überhaupt sprechen. Die beiden sehen sich kurz an, bevor Elisa mich forschend mustert. »Wie viel hat er dir über diese Sophie erzählt?« »Im Grunde alles, was es zu wissen gibt.« »Auch, wie es mit der körperlichen Anziehung war?« Ich nicke stumm und hoffe, dass sie endlich mit der Sprache raus rücken. Anna nickt leicht und Elisa seufzt. »Von dem abgeleitet was ich jetzt gehört habe, glaube ich, dass Gabriel demisexuell sein könnte. Also, dass er eine emotionale Bindung braucht und möchte, bevor er sich überhaupt zu jemandem sexuell hingezogen fühlen kann. Da er aber mit seiner Freundin anscheinend wenigstens Sex haben konnte, wenn sie es wollte, ist es vielleicht nicht so stark ausgeprägt, dass es direkt auffällt. Das Spektrum ist ja sehr vielfältig. Vielleicht ist Sex ihm nicht unangenehm, aber er hat auch nicht die Art Freude daran, wie jetzt du oder Anna und ich. Abgeleitet von seiner Ausdrucksweise halte ich das für möglich. Er scheint nämlich nicht viel von Sex zu halten. Oder er hatte bis jetzt einfach noch nie genug Bindung in einer Beziehung um diese Anziehung zu entwickeln. Jedenfalls legt er einfach keinen Wert auf Sex und seine ganze Art ist so...harmlos. Er achtet nicht auf das was man trägt oder wie jemand aussieht und glotzt Anna auch nicht in den Ausschnitt wie gefühlt jeder andere Kerl. Er scheint für diese ganzen Reize von Äußerlichkeiten nicht empfänglich zu sein, wenn keine Emotionen dabei sind. Gleichzeitig ist er so feinfühlig, dass er für andere da sein möchte, wenn sie seine Hilfe brauchen. Allein sein Kater ist so ein Hinweis. Aber auch seine Freunde und wie er mit ihnen umgeht. Wenn er etwas falsches tut oder glaubt getan zu haben, wie er sich entschuldigt. Hinzu kommt auch wie schwer er sich getan hat damit, seiner Exfreundin zu unterstellen, dass sie ihn bescheißt. Wenn eine Vertrauensbasis für ihn da ist, dann versucht er Vertrauen auch umzusetzen. Er war an deinem Geburtstag zwar nett und freundlich, aber gleichzeitig hat er immer irgendwie eine Distanz gewahrt. Seitdem Anna ihn in der Stadt getroffen hat und sie ihm ihre Hilfe und Freundschaft angeboten hat, stehen die beiden in so regelmäßigem Kontakt, dass ich fast eifersüchtig geworden wäre. Allerdings ist er so aufrichtig und einfühlsam, dass er direkt Anna die Erlaubnis gegeben hat, dass sie mir von allem erzählt, damit wir auch ja keine Probleme kriegen. Das hat jetzt weniger mit Demi sein zu tun. Da ist auch viel von seinem Charakter drin. Aber da er so sensibel ist und auf andere reagiert, fällt dieses auf sexuelle Reize nicht reagieren zumindest mir mehr auf. Ich bin mir aber auch nicht sicher und ich werde ihm das auch nicht unter die Nase reiben, weil ich der Meinung bin, dass er selbst rausfinden muss, wie er sich identifiziert, aber es kommt mir sehr plausibel vor«, erklärt sie mir dann und ich bleibe erst einmal stumm. Durch Elisa und unsere langjährige Freundschaft weiß ich, was sie meint, aber was das bedeutet macht mich jetzt doch etwas sprachlos. »Deshalb sind Eli und ich der Meinung, dass du dir um seinet willen auch gut überlegen solltest, was du von Gabriel möchtest. Denn wenn Eli Recht hat, dann kannst du mit ihm nicht so umgehen wie mit deinen anderen Affären. Er hat nämlich trotz der wohl eher geringen Bindung zu seiner Exfreundin echt unter dem Betrug gelitten und tut es vielleicht selbst jetzt noch«, gibt Anna zu bedenken und bringt mich zum seufzen. »Also entweder du verliebst dich in ihn und lässt dich auf diese ganze Beziehungssache ein und reitest mit ihm in den Sonnenuntergang oder du lässt die Finger von ihm und ihr bleibt Freunde«, sagt Elisa entschieden und ich brumme lang gezogen. Na ganz klasse. Ich, der bis jetzt alle Beziehungen nach nur ein paar Wochen in den Sand gesetzt hat? Meine längste Beziehung hatte ich mit Elisa während meiner Schulzeit und das auch nur vier Monate, weil wir rechtzeitig die Notbremse gezogen haben und sie durch unsere Beziehung auch gemerkt hat, dass sie Männern einfach nichts abgewinnen kann. »Er ist zwar wirklich süß, aber dann sollten wir wohl echt nur Freunde bleiben«, gebe ich seufzend zu und obwohl ich mir sicher bin, dass es die richtige Entscheidung ist, schmeckt es mir nicht. ~ Gabriel PoV Die Erkenntnis, dass ich mir mit Elyas vorstellen könnte Intimitäten zu teilen, die mich sonst bei keinem zuvor interessiert haben, löst bei mir die nächste Krise aus, weshalb ich mich in mein Zimmer einschließe und leicht in Panik Anna anrufe. Nuri und Marie in allen Ehren, aber die beiden sind mir zu direkt und zu ehrlich um mit ihnen darüber zu reden. Bei den beiden kann ich mir nämlich nur allzu gut vorstellen, dass sie es in einem Anflug von, wir müssen Gabriel helfen Elyas erzählen und das will ich auf gar keinen Fall. Vielleicht tue ich ihnen damit auch Unrecht, aber ich bin ein viel zu großes Nervenbündel um es ausprobieren zu wollen. Dass Anna ausgerechnet bei ihm im Garten sitzt, weil sie und Elisa zum Grillen eingeladen sind sorgt allerdings nur dafür, dass aus meiner leichten Panik eine totale Panik wird und zum ersten Mal seit 5 Jahren muss ich wieder zu meinen Atemübungen greifen um nicht völlig durch zu drehen. Ich kann mich zwar nicht erinnern, dass Identitätskrisen Prüfungsangst auslösen können, aber wer bin ich schon, als das ich bestimmen kann was was auslöst? Ich hab ja anscheinend von nichts eine Ahnung. Anna bleibt die ganze Zeit am Handy und redet beruhigend auf mich ein. Es dauert eine Weile, aber dann kann ich loswerden weshalb ich angerufen habe und sie fragen was das zu bedeuten hat. Sie befindet es als süß, dass ich sowas denke, was mich verlegen macht, weil ich mit 27 definitiv nicht mehr süß bin. Mit sieben war ich es vielleicht aber jetzt? Anna ist zwar älter als ich, aber trotzdem... Sie verspricht mir es niemandem zu sagen und diesmal entgegne ich nichts, als sie Elisa damit einschließt. Ich muss ihr unbedingt einen Strauß Blumen schenken als Dankeschön. Oder eine Gratisinspektion für ihr Auto, wenn sie eines hat. Als sie zum Ende hin fragt, ob ich noch irgendwas wissen will, liegt mir zwar die Frage auf der Zunge wo Elyas sich eigentlich einordnet, aber ich verkneif es mir und weil ich mittlerweile wenigstens weiß, dass man andere nur auf deren Erlaubnis hin outen sollte, wenn überhaupt. Am besten lässt man es aber bleiben. Deshalb lege ich auf und versuche mich den Rest des Tages mit meinem Kater zu beschäftigen. Der ist irgendwann so genervt von meinen Animationsversuchen, dass er sich bei Mathis unterm Bett verkriecht und weil Mathis‘ Zimmer zu unordentlich ist, als das ich da rein will, gehe ich einfach früh schlafen. Erst am Montagmorgen geht mir auf, dass ich gar nicht weiß, wie ich auf Mark reagieren soll, weil ich vergessen habe zu fragen. Er hatte mich samstags nach Hause gebracht, weil ich nach meinem Tränenausbruch wirklich nicht mehr weiter feiern wollte und Nuri nur eine Nachricht aufs Handy geschickt hatte, dass ich schon mal gehen würde. Vor der Haustür hatte er mich zwar noch mal umarmt, aber wir haben wenn überhaupt nur über meinen Kater gesprochen. Deshalb bin ich auch irgendwie angespannt, als ich am Montag im Pausenraum sitze und warte, dass er auftaucht. Ich kann nicht verhindern leicht rot zu werden, als er mich angrinst, doch im Vorbeigehen flüstert er mir zu, dass alles okay wäre und ich nicht so angespannt sein müsste, was mich doch wieder beruhigt und schon beim ersten Auftrag für den Tag habe ich mich wieder eingekriegt. Zwar merke ich, dass ich mit Mark nicht mehr ganz so streng sein kann wie vorher, aber er verhält sich auch wesentlich kooperativer, was aber keinem außer mir auffällt. Erst ein paar Tage später, als er mir von einem Kunden erzählt, der ganz schön heftig mit ihm geflirtet haben soll, fragt er andeutungsweise wie es bei mir aussehen würde. Ich zucke nur mit den Schultern, weil ich zum einen nichts zu sagen habe und zum anderen auch keinen wirklichen Kontakt mehr zu Elyas hatte. Deshalb frage ich Elyas in einer Kurzschlussreaktion per SMS wann er denn gedenken würde mein überfälliges Feierabendbier-Versprechen einzulösen und bekomme eine Stunde später die Antwort mit einem »Am liebsten sofort, aber ich muss noch bis 5 arbeiten« Ich brauche 5 Anläufe um zurück zu schreiben, dass mich das nicht stören würde und plötzlich hab ich wieder eine Verabredung zum Feierabendbier. Ich bin ja so ein Held. Da Freitag ist und ich früher Schluss habe als Elyas fahre ich nach Hause und gehe erst einmal duschen. Um meine Nerven zu beruhigen kuschel ich dann für eine halbe Stunde mit meinem Kater, der sich dank Leckerli auch wunderbar dazu breitschlagen lässt. Erst als die Wohnungstür aufgeht und Nuri mit einem »Bin wieder da« mein Zeitgefühl zurück holt, ziehe ich mich an und mache mich dann zu Fuß auf den Weg in Richtung Bar. Ich will vermeiden, mein Auto noch einmal irgendwo abholen zu müssen oder jemanden anderen darum an zu betteln und weil ich mein Vorhaben definitiv nicht nüchtern durch ziehen kann, sollte ich wirklich besser mit der Bahn nach Hause fahren. Elyas ist schon da, als ich ankomme und unter Anstrengung kriege ich es hin nicht rot zu werden, als ich ihn entdecke. Zittrig durchatmend, reibe ich meine Handflächen an meiner Jeans ab, bevor ich mich durch die Menge schiebe zu dem kleinen Stehtisch. »Hey«, meine ich leise, aber er hört mich trotzdem und grinst wieder so verschmitzt wie sonst. Zum ersten Mal spüre ich, wie mein Herz einen Hüpfer deshalb macht. Ob das an meinen unangebrachten Gedankenzug von Sonntag liegt? Ich will gar nicht daran denken. Nicht dran denken, Gabriel. Das ist völlig unangebracht. »Hi, lang nicht mehr gesehen. Ich freu mich, dass du doch noch dran gedacht hast«, begrüßt er mich und deutet auf die Flasche Cola die einsam neben seinem Bierglas steht. »Ich hatte schon Durst und war so frei, ich hoffe Cola ist okay?« Verdammt, er hat sich gemerkt, was ich eigentlich immer zuerst trinke? Ich ringe mir ein lächelndes Nicken ab und verkneife mir zu sagen, dass ich vor hatte etwas Alkoholisches zu trinken. »Danke«, murmle ich und atme tief durch. Also wohl doch nüchtern. Die Flasche ansetzend nehme ich einen Schluck um mir hoffentlich Placebo-Effekt-mäßigen Mut anzutrinken und ich glaube fast, dass es klappt, als Elyas mich anspricht. »Übrigens, wegen dem Kuss...« Ich verschlucke mich heftig und während ich hustend nach Luft schnappe und doch nur noch mehr husten muss, klopft Elyas mir auf den Rücken und entschuldigt sich immer wieder. Irgendwann wedele ich mit der Hand, damit er aufhört und mir über die Augen reibend stelle ich meine Cola lieber wieder ab. »Schon gut«, krächze ich noch leicht heiser und räuspere mich, »Ich wollte das ehrlich gesagt auch ansprechen«, gebe ich zu und mustere sehr interessiert den feuchten Ring auf meiner Serviette, den meine kalte Flasche Cola dort hinterlassen hat. »Ach echt?« Elyas klingt wirklich verdutzt. Aber auch erfreut. Kann er nicht einfach mal aufhören mich zu verwirren? »Ja, weil...ich muss zugeben, dass ich deshalb nur geantwortet und eigentlich gar nicht geschrieben habe, weil ich nicht wusste...u–und auch jetzt immer noch nicht weiß, wie...ich den Kuss verstehen soll«, erkläre ich langsam und bin fast stolz auf mich, dass ich es in einem graden Satz geschafft habe. Elyas seufzt leise und als ich wage zu ihm rüber zu schielen, hat er ein sehr entschuldigenden Ausdruck im Gesicht. »Elisa und Anna haben mich deshalb ganz schön ausgeschimpft und ich muss mich auch noch mal dafür entschuldigen, aber ich dachte, dass ich dir so eine Hilfestellung geben könnte, weil es mir damals auch geholfen hat. Ich wollte dich damit nicht noch weiter überfordern«, erklärt er und ich bekomme große Augen. Bitte? Verstehe ich das grade richtig? »Ehm!?«, mache ich heiser, Elyas lacht. »Ich war 18 und hab bei einem Wahrheit oder Pflicht einen Azubi aus der Praxis meines Vaters küssen müssen. Und es war überraschend gut, deshalb hab ich mit ein paar anderen Jungs auch testweise geknutscht und danach war mir klar, dass ich bi bin. Allerdings hat mich das nicht überfordert oder so. Ich hab es einfach hingenommen und meinem Vater ein paar Tage später an den Kopf geknallt, damit er sich nicht wundert, falls er morgens mal einen Kerl in der Küche trifft«, erzählt er und ich bin fast neidisch, dass er davon berichtet wie von einem langweiligen Vortrag aus der Uni. Ich schlucke schwer. Irgendwie ist das peinlich. Wieso tue ich mich denn so schwer damit? Und warum höre ich das grade absolut nicht gerne, obwohl ich Anna am Sonntag sogar noch danach fragen wollte? Ich greife fahrig nach meiner Cola und nehme nun doch wieder einen tiefen Schluck, in der Hoffnung, dass ich danach weiß, wie ich darauf reagieren soll. »Gabriel?«, sagt Elyas dann aber sanft, als ich die Flasche doch wieder abstelle. Ich schiele zu ihm rüber und er lächelt ebenso sanft, wie seine Stimme grade klang. »Du musst dich nicht schlecht deshalb fühlen, okay? Jeder ist anders und jeder hat eine andere Geschichte und grade wenn man anders fühlt als die Gesellschaft es einem vorschreibt, kann es manchmal wirklich schwer sein raus zu finden was man braucht und möchte. Und nur weil es bei dir jetzt passiert und nicht schon passiert ist, musst du dich nicht schämen. Es gibt genug, die sich ein Leben lang vormachen alles haben zu wollen, was gesellschaftlich akzeptiert ist und eigentlich totunglücklich damit sind. Es ist wirklich mutig, dass du dich versuchst mit dir selbst auseinander zu setzen und das heraus zu finden, anstatt so zu tun, als ob nichts wäre, okay? Nimm dir einfach die Zeit die du brauchst und finde heraus was du möchtest und wenn du jemanden brauchst um mal davon Pause zu machen oder darüber zu reden, dann kannst du mich gerne anrufen oder anschreiben oder vorbei kommen. Und für Anna und Elisa gilt das auch. Mach dich nicht so fertig nur weil du ein bisschen durcheinander bist. Das ist wirklich jeder Mal.« Obwohl es um uns herum so laut ist und so viele Stimmen den Geräuschpegel sehr hoch halten, verstehe ich jedes Wort und es beruhigt mich extrem. Erleichterung durchflutet meinen ganzen Körper und meine Augenwinkel fangen so heftig an zu brennen, dass ich hastig blinzle und an die Decke starre. Elyas lacht leise und drückt mich seitlich kurz an sich, bevor er mir auf die Schulter klopft. »Du musst da wirklich nicht allein durch, echt. Dafür sind Freunde doch da«, schiebt er amüsiert nach und ich lache. Es ist ehrlich paradox. Ich finde einen ausgesetzten Kater und Wochen später stelle ich plötzlich meine Sexualität in Frage und trinke mit dem Tierarzt dieses Katers ein Feierabendbier, weil er mein Freund geworden ist. Kapitel 10: .zehn ----------------- »Ich werd‘ das nie schaffen«, höre ich Marie jammern, bevor ich in die Küche komme. Eigentlich wollte ich Bescheid sagen, dass ich für heute Abend nicht da sein werde, doch angesichts von Maries hörbarer Verzweiflung, bleibe ich im Türrahmen stehen und beobachte, wie Momo ihr aufmunternd den Rücken tätschelt. »Du schaffst das, da bin ich sicher«, sagt er sanft lächelnd, während Marie sich durch die Haare fährt und wieder aufsetzt. Der ganze Küchentisch ist voll von ihren Unterlagen und selbst auf zwei der Stühle liegen irgendwelche Skripte und Notizen. Genau das was ich hier sehe ist der Grund, weshalb ich damals nicht studieren gehen wollte. Nicht, dass meine Eltern es mir nicht angeboten haben, aber ich wollte nicht, auch wenn nicht wenige meinten, dass ich mit einer einfachen Lehre mein gutes Abi verschwenden würde. Ich atme tief durch, gehe an den Kühlschrank und krame zwei meiner mir eigentlich so kostbaren Joghurts heraus, die ich dann mit Löffel jeweils Momo und Marie vor die Nase halte. »Pause machen ist auch wichtig, hmm?«, meine ich und bekomme einen verdutzten Blick von Momo und einen skeptischen von Marie. Sie schielt den Joghurt an, bevor sie noch tiefer seufzt, aber annimmt. Zu Blaubeere sagt sie einfach nie nein. »Magst du Erdbeere?«, frage ich Momo dann, aber er nickt und bedankt sich leise, bevor auch er den Joghurt annimmt. »Wir müssen uns jetzt sehr geehrt fühlen, Momo, Gabriel ist sehr kniepig wenn es um seinen Joghurt geht«, erklärt Marie scherzend, aber streckt mir mit einem Lächeln die Zunge raus, nachdem ich ihr für den Kommentar einen Schnippser vor die Stirn verpasst habe. »Ich weiß, hat Mathis schon mal gesagt. Ich darf alles nehmen, außer den Joghurt und Nuris Eis«, erklärt er ruhig und reißt bedächtig den Deckel ab. Ich lache leise, bevor ich den letzten freien Stuhl nehme und mich kurz zu ihnen setze. »Nuri ist bei ihrem Eis aber schlimmer als ich mit meinem Joghurt oder Marie mit ihrer Schokolade«, erkläre ich, weshalb Momo Marie überrascht ansieht. »Aber...ich bekomme immer Schokolade von dir?« Ich lache, während Marie schwer seufzt. »Du bist ja auch süß und bei einem so holzköpfigen Freund wie Mathis brauchst du das mindestens genauso sehr wie ich«, sagt sie entschieden. Momo blinzelt leicht, bevor er verlegen den Blick senkt und den Deckel ableckt. »...so schlimm ist er gar nicht«, nuschelt er dann doch und ich muss lächeln. Es ist echt niedlich, dass Mathis ihm genug bedeutet, als dass er sich trotz Verlegenheit dazu durchringt ihn vor uns zu verteidigen. Marie seufzt schwer, bevor sie lacht und Momo sacht knuddelt. »Wie gut, dass der Holzkopf weiß, was er an dir hat«, murmelt sie mit Löffel im Mund. »Wo steckt dieser Holzkopf eigentlich?«, frage ich dann und schiele zur Uhr am Backofen. »Einkaufen, er ist dran. Ach ich soll dir ausrichten, dass er sich dein Auto ausgeliehen hat dafür, er will bei der Hitze nicht alles in der Bahn transportieren«, nuschelt Marie und ich kriege große Augen. »Bitte? Und das sagst du jetzt erst? Ich bin verabredet«, maule ich wenig begeistert und stehe direkt auf. »Sorry, das kann ich doch nicht riechen. Mit wem denn?« »Anna«, brumme ich nur und laufe in den Flur. An sich ist es kein Problem, dass Mathis und die anderen meinen Wagen benutzen, dafür habe ich extra die Versicherung angepasst, aber jetzt grade ist das wirklich sehr ungünstig. »...du weißt, dass Anna vergeben ist, oder?«, höre ich Marie aus der Küche rufen, weshalb ich ein wenig amüsiertes »Ha Ha«, raus quetsche, bevor ich in meine grauen Stoffschuhe steige, die ich extra für den Sommer gekauft habe. Seit Anfang August hat der Sommer Einzug gehalten, weshalb es sich in meinem sonstigen Schuhwerk kaum aushalten lässt. Allerdings kann ich Flipflops kann nicht leiden und Sandalen sind eher was für Männer im Alter meines Vaters, meiner Meinung nach. Der behauptet zwar etwas anderes, aber ich kann mich leider nicht so wie Mowgli einfach den ganzen Tag auf die kalten Badezimmerfliesen legen und den Sommer abwarten. »Im Ernst jetzt, du hast dich aber nicht in Anna verknallt, oder?« Marie ist aufgestanden und steht nun selbst im Türrahmen der Küche. Ich seufze schwer und schüttle den Kopf. »Nein, habe ich nicht. Sowas mache ich nicht«, brumme ich, weshalb sie mir einen ihrer Blicke schenkt. »Gefühle lassen sich nicht einfach so steuern«, erklärt sie bekräftigend, aber ich seufze noch einmal. »Ich weiß, aber da ist nichts, wirklich. Ich hab Elisa und Anna direkt als Paar kennen gelernt und für mich ist das eine Einheit in der andere nichts zu suchen haben«, erkläre ich und stopfe meinen Schlüssel und mein Handy in meine kurze Jeanshose. »Ich mein nur, du machst ganz schön viel mit ihnen, dafür, dass sie Elyas Freundinnen sind«, murmelt sie und ich stocke irritiert. »Ja und? Darf ich das nicht? Du hast mich doch auf seine Party geschleift und ich verstehe mich nun mal gut mit Anna. Ich hab Urlaub, Elisa und Anna auch und Elyas muss arbeiten. Ich sehe das Problem grade nicht.« Marie mustert mich einfach nur, aber schüttelt dann den Kopf. »Dann grüß sie von mir und bis dann«, meint sie abschließend und geht einfach wieder zurück in die Küche. Noch um einiges verwirrter lege ich meine Stirn in Falten und überlege kurz, ob ich da nachhaken sollte, aber aufgrund der Uhrzeit, die mir entgegen strahlt, als ich kurz auf mein Handy sehe, hake ich das doch ab und bin mit einem, »Bis heute Abend«, dann aus der Tür. ~ »...du hättest dich nicht so beeilen müssen? Ich sitze im Schatten«, scherzt Anna amüsiert, während ich tief durchatmend meine Hände in die Seiten drücke. Fast bin ich froh, dass ich Elisa weit und breit nicht entdecken kann, denn sie hätte nur zu gern den einen oder anderen Kommentar über fehlende Sportlichkeit parat. Da ich jetzt mit der U-Bahn zum Stadtpark Winterhude fahren musste, bin ich eigentlich zu spät und auch wenn ich Anna Bescheid gesagt habe und sie es als ein »Nicht schlimm« abgetan hat, mag ich sowas nicht. Selbst warten stört mich nicht, aber jemanden warten lassen... »Trotzdem...«, brumme ich leise, drücke mir noch einmal tief durchatmend in die Seiten und sehe mich wieder um. »Wo ist Elisa?«, frage ich dann, weil ich eigentlich sicher war, dass wir drei verabredet waren, aber Anna schmunzelt. »Sie musste wegen einer kurzfristig angesetzten Besprechung in die Schule. Sie will dazu stoßen, wenn sie sich loseisen konnte«, erklärt Anna und steht auf. »Lass uns da vorn ein Eis kaufen und ein bisschen laufen, ja?«, schlägt sie vor und ich nicke nur wieder. Anna hat eine viertel Stunde auf mich warten müssen, da würde ich wohl grade zu allem ja und amen sagen. Wir suchen uns jeder drei Kugeln aus und schlendern dann an der großen Liegewiese entlang, die bei diesem Wetter erwarteter Weise brechend voll ist. Weil ich die ganzen Sonnenanbeter beobachte, merke ich erst gar nicht, dass Anna und ich eine ganze Weile nicht miteinander sprechen. Erst als sie mich anspricht und ich sehe, dass sie ihr Eis schon zur Hälfte gelöffelt hat, wird es mir bewusst. »Und wie geht es dir? Wir haben ja jetzt auch nur zwischendurch geschrieben und auf Elyas Grillabend letzte Woche hatten wir keine ruhige Minute«, sagt sie schlicht. Ich brumme nichtssagend und zucke leise seufzend mit den Schultern. »Ich hab mich ganz schön in meinen Alltag vergraben, ehrlich gesagt. Und von Elyas und meinem Kater ablenken lassen«, gebe ich zu und halte einen Tropfen Haselnusseis auf, bevor er mir die Hand vollsauen kann. Sie lacht leise und sieht eine Weile nur auf den Weg. Da wir unter den baumgesäumten Wegen entlang spazieren lässt sich die Hitze ganz gut aushalten. Mir fällt auf, dass sich immer wieder Leute zu Anna umdrehen und als ich sie genauer mustere, bemerke ich, dass sie verhältnismäßig kurze Shorts, geschnürte Sandalen und ein Top mit luftiger Stoffjacke als Überwurf trägt. Mir sind Klamotten eigentlich egal, solange sie nicht unangemessen, dreckig oder kaputt sind, aber seit dem ich auf dieser Selbstfindungssuche bin - wenn auch mit tagelangen Pausen um mich nicht völlig verrückt zu machen - versuche ich manchmal schon drauf zu achten. Doch außer der Feststellung, dass Anna zum Beispiel ähnlich wie Nuri sehr modisch und farbig gekleidet ist, während Elisa einen Hang zum praktischen hat, ist mir diesbezüglich nichts weiter aufgefallen. Davon ab, dass ich auch nicht sagen kann, was Klamotten damit zu tun haben können jemanden attraktiv für mich zu machen. Als ich Mathis deshalb vorsichtig gefragt habe, hat er gegrinst und dann gemeint, dass er es sehr ansprechend findet, wenn Momo etwas von ihm trägt. Doch auch das konnte ich grade mal insofern nachvollziehen, dass Momos Welpenfaktor durch einen übergroßen Hoodie schlicht gesteigert wird und man ihn nur noch mehr beschützen möchte. Eine Erklärung für Mathis hungrigen Blick hat es mir aber nicht geliefert. Um mich nicht zum totalen Volldepp zu machen habe ich es auch unterlassen Mark deshalb zu fragen, der wegen seiner Prüfungsvorbereitung eh anderes im Kopf hat. Erst seit dem ich Urlaub habe, entkomme ich diesem großen Etwas im Hinterkopf doch nicht mehr. Ein Grund, weshalb ich Anna nach diesem Treffen gefragt habe. »Aber...«, fange ich deshalb an, atme tief durch und nehme wieder etwas von meinem Eis, wohlwissend, dass Anna mich abwartend ansieht, »Ich hab’ ja seit Anfang der Woche Urlaub und...mir jetzt doch ein paar der Links angeguckt, die du mir geschickt hast«, sage ich leise und atme tief durch. Ich weiß mittlerweile nur zu genau, dass ich mit Anna reden kann und auch wenn ich es nicht gern sage, offener als mit Nuri. Die ist nicht nur im Moment nicht da, weil sie Verwandtschaft in Afrika besucht, sondern trotz aller Freundschaft und Liebe, die sie mir so gern um die Ohren schmeißt nicht...die Richtige dafür. »Und?«, fragt Anna, nachdem ich nur weiter mein Eis esse, weil ich die Zähne nicht auseinanderbekomme. Ich seufze schwer, schiele zu ihr und zucke mit den Schultern bevor ich mit dem Kopf schüttle. Nicht kneifen, Gabriel! »Ich bin über etwas gestolpert, das sich irgendwie sehr nach mir anhört, aber gleichzeitig auch wieder nicht, weil ein paar Sachen dann doch nicht zutreffen. Ich bin mir einfach nicht sicher. Und es gibt so viel, dass ich einfach nicht das Gefühl bekomme einen Überblick zu kriegen«, gestehe ich dann und seufze schwer. Anna lächelt sanft, bevor sie sich umsieht und ihren leeren Eisbecher kurz wegwirft. »Eine Definition ist nicht immer das, was auch alles gleich einschließt. Grade in dem Bereich rund um Sexualität und Gender gibt es sehr viele Facetten, weshalb du da nicht in Schubladen denken solltest. Den Begriff den du gefunden hast kann deshalb zwar auf dich zutreffen, aber letztendlich ist es deine Entscheidung, ob du das Gefühl hast, ja, das bin ich oder nein, das bin ich nicht«, erklärt sie ruhig, während ich neben ihr herlaufend an meiner leicht aufgeweichten Eiswaffel knabbere. Erst als ich diese ganz verputzt habe und mir mit Hilfe eines Kindes mit Wasserpistole die Hände von den klebrigen Überresten befreit habe, gehe ich doch wieder auf das ein, was Anna gesagt hat. »Ich bin mir fast sicher, dass du es vielleicht kennst, aber hast du schon von...demisexuell gehört?«, frage ich vorsichtig. Anna blinzelt mich an und lächelt dann breit, bevor sie nickt. Ich weiß zwar nicht warum sie so lächelt, aber da ich mich grade endlich getraut habe es auszusprechen, will ich mich nicht davon ablenken lassen. »Also, auf diesen ganzen Wiki-Seiten und den Foren steht schon echt einiges und es ist einiges überall gleich und manchmal aber doch verschieden, weshalb ich mir nicht sicher bin, wie ich das verstehen soll. Diese Sache mit der starken emotionalen Bindung kommt mir sehr schlüssig vor, wirklich. Und wenn ich bedenke, dass ich nie verstanden habe, was meine Klassenkameraden an Jessica Alba so heiß fanden, spricht das auch dafür. Außerdem habe ich bei Sex wirklich nur mal ja gesagt um meiner jeweiligen Freundin einen Gefallen zu tun, aber...wenn ich dann berücksichtige, dass demisexuelle Menschen wohl anscheinend an sich trotzdem auch einen...das klingt jetzt blöd, aber Sexualtrieb haben bezogen auf Selbstbefriedigung und ähnliches, dann scheint es ja irgendwie doch nicht zu stimmen. Ich bin zwar nicht angewidert von Sex und so, aber wenn es nach mir ginge, muss das nicht sein. Und dann ist da noch das küssen. Ich bin jetzt nicht so ein Knutschmonster wie Mathis, aber bei Mark war ich schon irgendwie angetan. Und Elyas‘...«, ich schlucke schwer, als meine Gedanken wieder zu diesem Kuss huschen, den er mir eigentlich nur zur Hilfestellung gegeben hatte. Anna lacht leise, bevor sie nach meiner Hand greift und sie sanft drückt. Ich ziehe fragend eine Augenbraue hoch, bevor sie mich einfach umarmt und obwohl es so warm ist, tut das grade sehr gut. Es beruhigt mich. »Das meine ich mit Schubladen, Gabriel«, sagt sie leise, drückt mich noch einmal und löst die Umarmung dann wieder, bevor sie meine Hand haltend wieder weiter geht. Ich rümpfe die Nase. Blöde Schubladen. »Demisexuell ist zwar ein Begriff, der etwas bezeichnet mit dem man sich identifizieren kann, aber dahinter steckt ein ganzes Spektrum. Das heißt, nur weil jemand anderes sich als demi identifiziert weil er alles genau so empfindet, wie man es zum Beispiel in dem Wikipediaartikel lesen kann, heißt das nicht, dass das nicht trotzdem auch auf dich zu trifft. Wie gesagt, es gibt unglaublich viele Facetten. Eine davon kann sein, dass man kein Bedürfnis nach Sex verspürt und auch alles damit zusammen hängende damit nicht möchte aber trotzdem Vorstellungen hat, die einen ansprechen. Dann gibt es die Möglichkeit, dass einem Sex auch einfach egal ist und man es nur dem Partner zu Liebe trotzdem hat, weil die physische Reaktion ausreichend genug dafür ist. Und das ist ein Punkt der bei dir zutrifft, oder?« Eigentlich ist das Thema vielleicht etwas unpassend, wenn man bedenkt, dass wir grade durch einen öffentlichen Park spazieren und uns immer wieder Menschen entgegen kommen oder Kinder an uns vorbei rennen. Andererseits hoffe ich wirklich, dass sich das Chaos in meinem Kopf endlich einmal lichten könnte. Deshalb nicke ich langsam. »Der andere Punkt mit dem Küssen. Küssen bedingt nicht gleich sexuelle Anziehung. Du kannst es mögen jemanden zu küssen und ihm nahe zu sein, aber nicht gleich das Bedürfnis haben mit ihm zu schlafen. Auch, dass du dir vorstellen kannst mit Elyas zu schlafen, bedeutet nicht automatisch, dass du es jetzt auch wirklich willst. Oder hat sich da etwas geändert?« Ich schlucke schwer, weil mich das jetzt doch wieder verlegen macht. Anna kann nämlich ebenfalls sehr direkt sein, auch wenn es grade nur hilfreich ist. Meine Verlegenheit bekomme ich trotzdem nicht abgestellt, weshalb ich den Kopf schüttle. Sie hat Recht, das weiß ich selbst. Denn nachdem ich den Schock überwunden und es gewagt habe mir Gedanken darüber zu machen, durfte ich selbst feststellen, dass ich die Vorstellung möglich finde, aber es trotzdem zurzeit nicht umsetzen wollen würde. Ich könnte nicht. Denn auch wenn wir uns mittlerweile regelmäßig sehen und irgendwie auch beabsichtigt treffen, wie auf ein Feierabendbier, was manchmal auch von einem Essen begleitet wird oder gleich zu Elyas in den Garten für einen Grillabend mit Freunden verlegt wird, spüre ich in keiner Situation das Bedürfnis diese Vorstellung in die Tat um zu setzen. Einerseits war und ist es beruhigend, aber andererseits gleichermaßen irritierend. Denn gegen einen Kuss hätte ich wiederum nichts einzuwenden. Auch wenn ich nie gefragt habe. Ich fühle mich in seiner Gegenwart wohl, das ist letztendlich das einzige, dass ich wirklich weiß. Alles andere kann ich bis jetzt nicht richtig festmachen oder erklären, geschweige denn einordnen. »Außerdem solltest du unterscheiden zwischen Gefühlen und der sexuellen Anziehung. Du kannst dich verlieben und trotzdem nicht den Wunsch haben intim mit dieser Person zu werden. Wenn sich das untrennbar bedingen würde, könnten sich in der Theorie asexuelle Menschen nicht verlieben. Das können sie allerdings sehr wohl. Und das ist ein Grund, warum es die romantischbezogenen Begriffe gibt.« »Hab ich von gelesen. Biromantisch und so« »Genau. Heißt also, theoretisch kann jemand homosexuell, aber biromantisch sein. Oder asexuell und homoromantisch. Davon ab, könnten demisexuelle Menschen sich auch ohne romantische Gefühle sexuell zu einem Freund oder einer Freundin hingezogen fühlen, wenn für sie die emotionale Bindung nur stark und tief genug ist.« »Wie jetzt? Ich könnte mich plötzlich zu dir hingezogen fühlen nur weil wir so gute Freunde sind?« Anna lacht leise und amüsiert. »Rein theoretisch schon, aber zum einen muss das nicht zu treffen, es ist nur eine Möglichkeit und bei dir ganz speziell glaube ich das auch nicht, weil dein Moralempfinden viel zu hoch ist und so dann dich direkt blockieren würde. Und davon ab, selbst wenn es so wäre, bedeutet das ja nicht automatisch, dass du deshalb auch irgendetwas in der Richtung unternehmen wollen würdest. Es ist schließlich nicht verwerflich sich zu jemandem hingezogen zu fühlen. Das wird es erst, wenn man deshalb Dinge tut, die andere in irgendeiner Weise verletzen«, erklärt sie und ich seufze schwer. Das ist so viel und irgendwie kompliziert, aber trotz allem...ich glaube das Chaos lichtet sich. »Glaubst du denn, dass du demi bist?« Ich zucke mit den Schultern, bevor ich nichts fokussierend in die Ferne schaue. »Ja, jetzt ehrlich gesagt noch mehr, als heute Morgen noch«, sage ich leise und grinse schief, »mir ist bewusst, dass diese Tabuisierung von Sex vor der Ehe, mit der ich aufgewachsen bin mich irgendwie schon auch geblendet hat, aber selbst nach meinem Austritt war es kein Thema für mich und kein Bedarf dafür da und deshalb kann es nicht nur daran liegen. Und auch nicht an der Erziehung meiner Eltern. Ich mein...dass mein Vater mir beigebracht hat Respekt und all das in der Beziehung aufzubauen und auch zu wollen ist ja nicht falsch, aber ich hab sehr wohl meinen eigenen Kopf und ich wollte immer schon von mir aus eine Verbindung direkt zu der Freundin, mit der ich zusammen war. Ich wollte die Person kennen, mit der ich da zusammen war. Und sie kennen lernen und ich war überzeugt, dass dann auch alles andere irgendwann dazu kommen würde.« »Warst du mit jeder zusammen, die dich gefragt hat? Manchmal klingt das danach, wenn ich ehrlich bin.« Ich schüttle abwehrend den Kopf. »Nein, wirklich nicht. Ich hatte sechs, nein mit Sophie sieben Freundinnen insgesamt. Und nur mit dreien war ich überhaupt intim«, erkläre ich leise, weil eine junge Familie mit Kleinkind und Kinderwagen an uns vorbei geht. Anna nickt leicht, bevor nun sie tief durchatmet. »Aber du machst das doch nicht nur daran fest, oder?«, fragt Anna dann und ich überlege angestrengt, bevor ich den Kopf schüttele. »Nein, nicht nur daran. Ich bin mir auch noch nicht sicher, aber dieser Eindruck, dass es stimmen könnte, der geht nicht mehr weg. Deshalb wollte ich dich ja auch danach fragen. Ich weiß nicht wie diese...plötzliche Sympathie für Elyas da rein passt, aber...nachdem du mir das alles jetzt noch mal genauer erklärt hast, ist dieses...ich hab keine Ahnung wie ich das beschreiben soll. Ich bin besser beim Ölwechsel als mit Worten«, brumme ich seufzend und fahre mir durch die Haare. Anna lacht und stupst mich mit ihrer Schulter an. Sie ist zwar einen halben Kopf kleiner als ich, doch die wohl gewünschte Wirkung verfehlt das nicht. »Stell dein Licht nicht immer so unter den Scheffel. Du bist wunderbar genau so wie du bist. Und das mit Elyas...zum einen hat Marie dich quasi drum gebeten dich mit ihm anzufreunden und zum anderen hast du durch Mowgli eine Verbindung zu ihm und du kannst sagen was du willst, aber du liebst deinen Kater jetzt schon heiß und innig! Ich könnte mir vorstellen, dass es dich unbewusst beeinflusst hat«, erklärt sie und in ihrer Stimme schwingt dieser Tonfall mit, der mich das Gesicht verziehen lässt. »Du findest mich grade wieder süß, gib’s zu«, brumme ich ungnädig, weshalb sie lacht. Ich verdrehe die Augen, bevor ich doch schief lächeln muss. Keine Ahnung warum Anna das sagt, aber sie lässt in solch einer Regelmäßigkeit die Behauptung fallen, ich sei süß oder niedlich, dass ich es aufgegeben habe mich wirklich dagegen zu wehren. »Du bist einfach süß, da kommst du nicht gegen an, egal was du tust«, erklärt sie überzeugt und ich seufze nur schwer. »Also hast du ein Das bin ich - Gefühl?«, fragt sie dann aber wieder auf das Thema lenkend und ich schmunzle leicht, bevor ich nicke. Sie ist mit Worten wirklich um Längen besser, was vielleicht daran liegen könnte, dass sie Logopädin ist. »Ja, immer mehr. Aber ich bin mir nicht vollends sicher. Ist das schlimm?« »Nein, ist es nicht. Ich hab auch eine ganze Weile gebraucht um mir einzugestehen, dass ich Elisa mehr will als meinen damaligen Freund und noch einiges länger um auch so offen dazu stehen zu können, wie ich es heute tue. Aber dafür kann ich jetzt sehr viel selbstbewusster und unbeeinflusster dazu stehen, als wenn ich das damals erzwungen hätte. Also nimm‘ dir die Zeit, die du brauchst und dann wird sich das schon alles finden«, sagt sie überzeugt und ich muss lächeln. So ehrlich angenommen zu werden hilft einfach ungemein dabei sich einen Weg aus dem Chaos zu suchen. »Hast du noch irgendwelche Fragen oder Gedanken, die du mit mir teilen möchtest? Denn sonst nutze ich jetzt die Chance, dass Eli nicht da ist und erzähle ich dir von meinem Kleid«, sagt sie dann verschwörerisch und ich muss lachen. »Nein, im Moment habe ich alle Fragen gestellt, deshalb...erzähl mir von deinem ach so tollen Hochzeitskleid«, antworte ich amüsiert, weshalb Anna begeistert nickt und mir so detailliert wie möglich von dem Kleid für die anstehende Hochzeit Anfang nächsten Monats erzählt. Kapitel 11: .elf ---------------- »Geht er nicht dran?« Brummend schüttle ich den Kopf und lege auf, bevor ich Mathis sein Handy zurückgebe. Gestern Abend hat Elyas wieder einen Grillabend bei sich veranstaltet. Diesmal habe ich es zwar nüchtern nach Hause geschafft, weil ich Fahrdienst gemacht habe, aber blöderweise trotzdem mein Handy bei ihm vergessen. Da ich wusste, dass er heute Morgen noch mit Elisa verabredet war zur letzten Anprobe des Hochzeitsgewandes von Elisa – nur Elyas als ihr Trauzeuge weiß, ob es ein Kleid oder ein Anzug oder was auch immer es genau ist – habe ich ausgeschlafen und mich um Bad und Küche gekümmert. Doch jetzt ist später Nachmittag und weil es morgen weiter geht mit den Vorbereitungen – irgendwelche Sitzordnungen und Kärtchen die geschrieben werden müssen – ist jetzt die einzige Möglichkeit es mir abzuholen. Ich seufze schwer und reibe mir über die Augen. Die letzte Woche war anstrengend, denn Mark hat sich überlegt, dass er sich jetzt, wo er seine Prüfung bestanden und den Übernahmevertrag unterzeichnet hat, so ganz nebenbei outen könnte. Diesen so offensiv flirtenden Kunden gibt es nämlich wirklich. Er heißt Alex und arbeitet in einem Krankenhaus und steht mehr auf Mark als gut für dessen Ego ist. Als Alex also die Woche vorbeikam um bei Mark etwas abzuholen, hat der ihn zum Abschied fast demonstrativ geküsst und während Alex leicht benebelt und mit roten Wangen aus der Halle stolperte, durfte ich mir anhören was ein Teil unserer Kollegen davon hielt. Diplomatisch gesagt: Gar nichts. Dass sie Mark nicht gleich verprügelt haben war gefühlt auch alles positive, was man daraus ziehen konnte und während Herr Fechter sich deshalb einschalten musste und Mark umgehend in sein Büro zitierte, wetterten die anderen vor sich hin. Ich fühlte mich extrem unwohl. Auch, weil ich mir ebenfalls ein paar Sprüche anhören durfte als ich es wagte mich für Mark aussprechen zu wollen. Ich bin zwar mit meiner Meinung nicht alleine, wie ich nach Feierabend von zwei anderen Kollegen gesagt bekam, aber sie halten sich dezent aus der ganzen Sache raus und deshalb ist es zurzeit ein nicht ganz so angenehmes Arbeiten. Herr Fechters Meinung zu dem Ganzen kenne ich nicht, aber Mark hat mir auch noch nicht erzählt was er und unser Chef in dessen Büro besprochen haben. Ich kann nur abwarten und mich für den Moment darum kümmern mein Handy zurück zu bekommen, denn in der nächsten Woche werde ich es definitiv brauchen. Nuri kommt zurück und ich habe ihr zugesagt sie vom Flughafen abzuholen. Und nächstes Wochenende ist dann die Hochzeit von Elisa und Anna zu der wir netter Weise alle eingeladen sind. »Momo hat nicht zufällig Annas Handynummer, oder?«, frage ich dann und beobachte Mowgli dabei, wie er eine Fliege durch den Flur jagt. Es ist nur eine Frage der Zeit bis er sie erwischt oder doch die Lust verliert. »Nicht das ich wüsste, im Moment ist er aber auch mit den Zwillingen im Kino«, erklärt Mathis und ich blinzele verdutzt. Ich weiß zwar, dass Momo und die Zwillinge letzte Woche Geburtstag hatten und weil die Tage nur zwei oder drei auseinander liegen, die beiden Kleinen unbedingt mit ihrem so heißgeliebten Lieblingsfreund zusammen feiern wollten, aber ich hätte sicher nicht erwartet, dass sie dafür Mathis zu Hause lassen. »Ohne dich?« Mathis räuspert sich und weicht meinem Blick schuldbewusst aus. »Was hast du angestellt?« »...meine Masterarbeit etwas zu sehr schleifen lassen. Ich hinke hinterher«, gibt er zu und seufzt schwer. Ich brumme ungnädig und schüttle den Kopf. »Selbst Schuld. Okay, ich versuche jetzt einfach mein Glück«, murmle ich dann, greife doch wieder zu Mathis Handy und schreibe Momo eine Nachricht. Es dauert eine Weile, die Mathis und ich in der Küche verbringen und schweigen. Vermutlich will er nicht riskieren, dass ich noch einen Kommentar zu seinem Aufschieben abgebe. Dann aber kommt eine Nachricht zurück, die mir sagt, dass Momo nicht nur wirklich Annas Handynummer hat sondern auch die Antwort bekommen hat, dass Elyas zu Hause sein müsste. Ich bedanke mich und gebe Mathis sein Handy endgültig zurück. »Was hast du jetzt vor?« »Zu Elyas fahren und mein Handy holen. Wenn er nicht da ist, hab ich halt Pech gehabt«, brumme ich dann und stehe auf. Im Flur fange ich meinen Kater ein, den ich Mathis in den Arm drücke, als der mir folgt. »Weiß nicht, wann ich wieder da bin, aber wartet nicht mit dem Essen auf mich, okay? Wer ist eigentlich dran?« »Marie, aber ich hab keine Ahnung wo die sich wieder rum treibt, deshalb werde ich mir entweder eine Pizza bestellen oder hoffen, dass Momo mir was mitbringt.« Ich schnaube belustigt, bevor ich meinen Autoschlüssel greife und in meine Schuhe schlüpfe. »Verdient hast du es ja nicht. Gib ein bisschen Kniegas, sonst müssen wir dich unter Momo-Entzug setzen.« Mathis brummt nur, weshalb ich Mowgli mit einem Grinsen kraule und dann durch die Tür nach draußen verschwinde. Hoffentlich ist Elyas wirklich da. ~ Leicht fröstelnd reibe ich mir über die Oberarme, während ich darauf warte, dass mir jemand aufmacht, aber im Haus ist es nicht nur unheilverkündend dunkel sondern auch still. Allerdings steht Elyas silbergrauer Opel auf seinem Stellplatz neben dem Haus und ich bin mir sicher, dass er mal erwähnt hat nur in der Stadt selbst mit der Bahn zu fahren, aber nicht in die Stadt rein. Das müsste doch eigentlich bedeuten, dass er da ist, oder? Leise seufzend schiele ich zu meinem Wagen, der hinter Elyas steht und ich überlege angestrengt. Es ist unglaublich nervig so abhängig von einem kleinen, dummen Stück Technik zu sein. Ich drücke wieder auf die Klingel, doch es passiert nichts. Erst. Dann glaube ich ein leises Rumpeln zu hören. Die Augenbrauen zusammenziehend lehne ich mich näher an die Tür, aber es ist wieder still. »Elyas? Ich bin es Gabriel, bist du zu Hause?«, rufe ich laut und klopfe gegen das eingelassene Glas der Haustür. Für einen Moment ist es wieder still, dann höre ich Schritte. Die Tür geht auf und Elyas blinzelt mich an. Ich verziehe die Nase, als mir eine unverleugbare Fahne entgegenweht. »Bist du betrunken?« »Jus’ tipsy«, nuschelt er und ich brauche einen Moment um zu verstehen was er jetzt eigentlich gesagt hat. »So beduselt, dass du Englisch sprichst, ja?«, frage ich seufzend. So habe ich ihn wirklich noch nicht erlebt. Er trinkt zwar auch so ein zwei Bier oder anderweitigen Alkohol, aber wirklich betrunken habe ich ihn noch nie gesehen. Er hat sich immer unter Kontrolle. »Has’ mich doch verstand’n. Was machsu hier?« »...ich habe mein Handy gestern hier vergessen«, erkläre ich langsam. Mich beschleicht ein mehr als ungutes Gefühl. Irgendwas muss zwischen gestern Abend und jetzt passiert sein, denn Elyas ist nicht nur betrunken sondern auch merklich abweisend. Sein Gesichtsausdruck kommt mir fast fremd vor. Er brummt nur, wankt aus dem Weg und wedelt in Richtung Hausinneres. »Take it ‘n hit the road«, nuschelt er und stolpert wieder ins Haus. Ich habe das unbändige Bedürfnis Elisa anzurufen, aber allein dafür brauche ich mein Handy, doch so weit komme ich gar nicht, weil Elyas strauchelt und droht zu stürzen. Schon aus Reflex laufe ich zu ihm und kann ihn grade so abfangen. Er flucht leise auf Englisch, bevor er sich von mir auf die Treppe drücken lässt, die nach oben führt. »...ich mach dir einen Kaffee, okay?« »I don’t need coffee, jus’ go«, brummt er und reibt sich irgendwie erschöpft über das Gesicht. Ich seufze leise. Ich bin mir sicher, dass da irgendwas ist, dass ihn dazu getrieben hat sich Samstagnachmittags zu betrinken, aber ich bin mir nicht sicher wie ich nachfragen soll. Ich bin nicht Elisa. Aber Elisa ist auch nicht hier und bis sie kommen würde... Ich brumme leise, bevor ich der vielleicht dummen Idee nachgehe. Seinen Arm greifend helfe ich Elyas wieder hoch und bugsiere ihn, nicht auf seine Flüche achtend, in Richtung Wohnzimmer. Hier ist es auch diesig, fast dunkel, weil ein Teil der Rollläden runtergelassen ist. Ihn zur Couch lenkend, sehe ich das noch leicht gefüllte Glas und die dafür zu zwei Dritteln geleerte Whiskeyflasche. Ich schüttele leicht den Kopf, lasse Elyas auf die Couch sinken und drücke ihn auf die Sitzfläche, damit er sich hinlegt, bevor ich das Glas und die Flasche nehme und in Richtung Küche davon gehe. Zwar brabbelt er unwillig vor sich hin, aber ich schenke dem keine größere Beachtung und mache mich daran Kaffee zu kochen. Starken Kaffee. Der hoffentlich hilft. ~ Es ist dunkel draußen und regnet. Der Kaffee hat nicht ganz die erwünschte Wirkung gehabt, weil Elyas nach einer Tasse eingeschlafen ist und mir so nicht erklären konnte was los ist, aber da er wenigstens nicht weiter trinken konnte, habe ich ihn schlafen lassen und nur eine Wolldecke geholt, damit er nicht auskühlt. Weil ich ihn partout nicht allein lassen konnte, sitze ich seit bestimmt zwei Stunden im Wohnzimmer auf dem Sessel und mache im Grunde nichts. Eine Weile habe ich mich mit diesen Zeittotschlägern von Match-3-Handyspielen beschäftigt, nachdem ich mein Handy in der Küche neben dem Kühlschrank gefunden habe und dann noch hier und da ein paar Forenbeiträge auf den Seiten gelesen, die Anna mir empfohlen hatte. Auch aufgrund des Gespräches mit ihr, bin ich mir mittlerweile sicher, dass ich raus gefunden habe wie ich ticke und was ich brauche, aber laut ausgesprochen habe ich es im Grunde noch nicht. Wenn man dieses Gespräch vor zwei Wochen zählen kann, dann nur vor Anna. Meinen Gedanken nachhängend beobachte ich die Regentropfen, die gegen die Fensterscheiben trommeln. »Du bist ja noch da«, nuschelt eine raue Stimme von der Seite und leicht erschrocken zucke ich zusammen. Mein Blick bleibt auf Elyas hängen, der sich müde über sein leicht zerknautschtes Gesicht reibt. »Es sieht dir nicht ähnlich dich zu betrinken und deine Freunde los werden zu wollen. Ich konnte mich nicht dazu überwinden dich allein zu lassen«, sage ich leise und er seufzt, bevor er lacht. »Du bist wirklich zu gut für den ganzen Scheiß«, brummelt er und rappelt sich auf. Etwas unstet. Ich verlasse meine Position im Sessel, gieße ihm etwas Wasser ein und reiche es ihm, während ich mich jetzt neben ihn setze. »Welchen Scheiß?«, frage ich, nachdem Elyas das Glas geleert hat. Er brummt nur, mustert mich und sieht tief durchatmend raus in den Regen. Ich weiß nicht was los ist, aber diese extrem miese Stimmung in der er grade zu sein scheint, macht mir echt Sorgen. An Elisa oder Anna kann es nicht liegen, denn von Elisa habe ich vor einer halben Stunde ein Foto bekommen von Anna, die über dem Schreiben irgendwelcher Karten eingeschlafen ist. Ich hab nur einen amüsiert lachenden Smiley zurück geschickt, damit Elisa nicht merkt, dass etwas nicht stimmt. Plötzlich kramt Elyas sein Handy aus der Hosentasche, tippt kurz drauf rum und hält es mir dann einfach entgegen. Es ist eine SMS seiner Mutter. Für einen Moment bin ich versucht zu sagen, dass ich sowas nicht lesen sollte, aber eines der englischen Wörter springt mir ins Auge wie eine Leuchtreklame. Ich schlucke schwer und lese die ganze Nachricht. Mein Englisch ist wirklich etwas eingerostet, aber es reicht um den Sinn und das wichtigste zu verstehen. »...wer...wer ist Summer?«, frage ich leise, bevor ich ihm das Handy wieder zurück gebe. Elyas seufzt schwer, während er die ganze Zeit raus in den Regen sieht. »Streng genommen der Grund, warum ich überzeugt bin, dass ich nicht fähig bin eine gute Beziehung zu führen«, murmelt er ruhig. Fast zu ruhig. »Ich weiß nicht, ob Marie oder die Mädels es dir schon mal erzählt haben, aber dass ich hier nach Hamburg gekommen bin war nicht wirklich freiwillig«, murmelt er dann. Ich muss daran denken, was Marie mir kurz nach Elyas' und meinem Kennenlernen von ihm erzählt hat. Seine Mutter hatte ihn hier her zu seinem Vater geschickt, weil Elyas Schwierigkeiten hatte und sie nicht wollte, dass er abrutscht. »Jedenfalls...wäre ich lieber bei meiner Mutter geblieben als hier her zu kommen in ein Land, dass mir nichts bedeutet und dessen Sprache ich kaum sprechen kann, aber eine wirkliche Wahl hatte ich auch nicht«, murmelt er und wirkt, als ob er mit seinen Gedanken ganz tief in alten Erinnerungen steckt. Erinnerungen, die alles andere als schön sind. »Was ist passiert?«, frage ich leise. Elyas lacht. Freudlos. Ich mag dieses Lachen nicht. Er soll nicht so lachen. »Es hat eigentlich ganz unschuldig angefangen. Diese typisch romantisierte Story von Nachbarskindern, die sich ineinander verlieben. Ich war der Nachbarsjunge und Summer...das Mädchen. Allerdings hatte ihre Mutter extrem etwas dagegen, dass wir uns anfreundeten, weil sie erst 14 war und ich schon 15. Es ist nur ein Jahr Unterschied, aber Summers Mutter war einfach...für sie war ich der Feind. Ich wollte ihr unschuldiges Mädchen verführen und sie ihr weg nehmen. Meine Ma hielt das für völlig übertrieben, aber weil sie nicht wollte, dass mir die Mutter Dinge unterstellt, hat sie mich gebeten um Sumer einen Bogen zu machen und Summers Mutter hat wirklich alles dafür getan, dass Summer auch nicht in meine Nähe kam. Ich war fürchterlich in sie verschossen und hab ihr das ganze Jahr nachgehechelt und ihr ganzes Verhalten für mich so gedeutet, dass es ihr auch so ging. Deshalb war ich zwar überrascht, als sie es geschafft hat kurz nach meinem 16. Geburtstag sich an einem Abend plötzlich in mein Zimmer zu schleichen, aber hatte alles andere als etwas dagegen und ich muss gestehen, dass ich in der Nacht auch direkt mit ihr geschlafen habe«, murmelt er und fährt sich unruhig durch die Haare, »aber ich war so unfassbar verknallt, dass ich nichts hinterfragt habe und einfach alles angenommen habe, was sie mir geben wollte. Nur dummerweise fand meine Mutter es kurze Zeit später raus und weil sie Angst hatte, das Summers Mutter mir eine Klage wegen Vergewaltigung anhängt hat sie verlangt, dass wir uns nicht mehr sehen. Im Gegenzug versprach sie Summer, dass sie ihrer Mutter nichts sagen würde. Mir ist klar, dass Ma mich einfach nur schützen wollte, aber mit 16 und so vielen Hormonen im Kopf, dass man nicht klar denken kann, war das einfach absolut das schlimmste, was meine Mutter mir hätte antun können. Und um sie zu bestrafen, schwänzte ich die Schule und machte Mist wo es nur ging. Ich bin wirklich nicht stolz drauf so dämlich gewesen zu sein.« Er schweigt eine Weile. Es ist dieses angespannte Schweigen, dass einen kaum wagen lässt Luft zu holen, aber gibt mir die Zeit um zumindest das, was ich schon gehört habe etwas zu verdauen. »Jedenfalls kam ich dadurch ganz schön rum und durfte dann einen Tag plötzlich beobachten, wie das Mädchen, in das ich so hoffnungslos verschossen war sich mit einigen zwielichtigen Jungs, die noch eine Ecke älter waren als ich, traf und sich nicht nur ungeniert Drogen einwarf sondern dann mit einem der Kerle auch noch ins Auto stieg und weg fuhr und so wie er sie angefasst hatte, war mir klar, was sie vor hatten. Ich war völlig durch. Und erst Recht, als ich sie darauf ansprach und sie mir sagte, dass sie sicherlich einen Besseren als so ein ängstliches Muttersöhnchen wie mich verdient hätte. Mich so in ihr geirrt zu haben war echt ein Schock und um das zu verdauen hab’ ich es meiner Mutter erzählt. Zum Glück, denn ein paar Wochen später kam Summer plötzlich wieder an und verlangte von mir Hilfe, weil sie schwanger war und Geld für eine Abtreibung haben wollte. Als ich sagte, dass sie ein Kind nicht einfach abtreiben könne nur weil sie Angst hat es ihrer Mutter oder ihrem Freund zu erzählen, hat sie damit gedroht zu behaupten das Kind sei von mir und überhaupt sei es auch nur meine Schuld, dass sie schwanger geworden wäre, weil ich kein Kondom benutzen wollte. Ich habe mich erst trotzdem geweigert, aber deshalb drohte sie mir dann, dass sie ihrer Mutter alles erzählen würde, was ihr einfiele, damit diese mich anzeigt. Ich hatte so Angst vor den Konsequenzen, die eigentlich nicht einmal wirklich meine Verantwortung waren, dass ich meiner Mutter das Geld klauen wollte, aber dabei hat sie mich erwischt und alles aus mir raus gequetscht. Nicht einmal einen Tag später saß ich in einem Flugzeug nach Europa. Ma versprach mir das alles zu regeln, aber sie wollte mich aus der Schusslinie raus haben. Und die Entscheidung war sogar besser, als meine Eltern und ich gedacht hätten, denn während ich in Hamburg plötzlich in eine fremde Schule mit fremder Sprache und in eine fremde Familie geworfen wurde und versuchte mich zurecht zu finden für die Zeit, die ich hier absitzen müsste, versuchte Summer in einem Drogenrausch das Kind selbst abzutreiben. Dabei ist sie fast gestorben, weshalb dann auch ihre Mutter alles raus fand. Summer behauptete wirklich, dass ich der Vater gewesen wäre, weshalb ihre Mutter auch so wie befürchtet eine Anzeige machte und meine Auslieferung in die Staaten verlangte, aber weil meine Mutter sich quasi darauf vorbereitet hatte, konnte mit Blutproben und einem DNA-Test nachgewiesen werden, dass ich nicht der Vater bin, wodurch ihr ganzes Lügenkonstrukt aufflog. Weil das alles aber über Anwälte und ein Gericht lief, dauerte es fast ein halbes Jahr indem ich jeden Tag irgendwie befürchtet habe, dass die deutsche Polizei plötzlich vor der Tür steht und mich mitnimmt. Es war die Hölle. Ich glaube, wenn ich die Tiere in der Klinik und Elisa nicht gehabt hätte, wäre ich letztendlich richtig durch geknallt. Nachdem das Urteil dann endlich gefällt wurde und rechtskräftig war, war ich aber schon längst 17 und hatte mich hier so eingelebt, dass ich erst einmal hier bleiben und meine Schule machen wollte. Aber aus dem nur mein Abi machen wurde dann auch ein das Studium hier vollenden und letztendlich bin ich ganz hier geblieben und wenn überhaupt nur für einen Besuch mal rüber geflogen. Aber Summer habe ich seit damals nicht mehr gesehen oder gesprochen. Ich wollte einfach keinerlei Kontakt mehr zu ihr. Es kam auch nie eine Nachricht oder Entschuldigung oder irgendetwas...bis...bis jetzt...«, murmelt er heiser und reibt sich über die Augen. Ich seufze schwer und atme tief durch. Als Marie meinte, dass Elyas in Schwierigkeiten gesteckt hatte, hätte ich sicherlich niemals einen derartigen Brocken erwartet. »...und jetzt...nimmt dich was daran am meisten mit?« Elyas schnaubt kurz, was wie ein missglücktes Lachen klingt. »Ein normaler Mensch würde jetzt wohl sagen, dass sie sich ‘ne Kugel in den Kopf gejagt hat. Aber...ich weiß es nicht. Vielleicht, dass sie auf so eine feige Weise versucht sich zu entschuldigen. Oder das alles jetzt, nach so vielen Jahren wieder hoch zerrt. Ich mein, ich hatte damit abgeschlossen und jetzt bringt sie sich um, weil sie mit ihrem Leben nicht mehr klar kommt und hinterlässt nur eine Nachricht mit, I’m sorry Mom, I’m sorry, Elyas? Als ob diese ganze Story nicht schon genug schlechte Krimielemente in sich vereint, nein, jetzt holt sie alles wieder hoch und ich hab das Gefühl ich darf nicht mal sauer auf sie sein, denn anscheinend war sie psychisch so krank, dass sie nur diesen Ausweg gesehen hat. Das ist so...so...gosh darn it. I’m really furious right now, but it’s inappropriate to–« »Elyas! Hey, Elyas, sieh mich an, okay?«, sage ich ruhiger, als ich mich fühle. Er schluckt schwer und blinzelt mich an. Ich lächle ihn sacht an, bevor ich einfach das mache, was mir als erstes einfällt. Das, was Anna auch bei mir macht, wenn sie mich beruhigen möchte. Ich schlinge meine Arme um ihn und drücke ihn sanft an mich. Es muss wirklich seltsam wirken, weil Elyas merklich größer ist als ich, aber es scheint ihn zumindest etwas zu beruhigen, denn er lehnt sich in die Umarmung und drückt sein Gesicht auf meine Schulter. »Es ist okay...wirklich. Ich bin der Meinung, dass man sehr wohl sauer auf eine Tote sein darf. Und wenn man einen so guten Grund hat, erst Recht. Plötzlich nur Gutes über sie zu sagen, wenn sie dir solche Dinge angetan hat, wäre unaufrichtig und ich weiß, dass das nicht deine Art ist«, sage ich leise. »Aber–« »Kein Aber. Es ist okay, sauer zu sein, wirklich. Es wäre auch okay, wenn du gar nichts fühlst oder so. Der Punkt ist, dass du irgendwann auch wieder loslassen solltest. Es für dich abschließt. Sonst trägst du es für immer mit dir rum und irgendwann macht es dich vielleicht kaputt und das will keiner deiner Freunde, mich eingeschlossen, okay?« Elyas sieht mich einfach nur an. Ich kann seinen Blick nicht komplett deuten, aber er sieht mich so aufgewühlt an, dass ich einfach weiter verharre. Irgendwann schnauft er angestrengt und lässt sich wieder und diesmal ganz gegen mich fallen, weshalb ich leicht zurück kippe. Mir entwischt ein leises Keuchen, aber ich lasse ihn nicht los, auch wenn ich mir nicht sicher bin ob ich grade überhaupt hilfreich bin oder alles nur schlimmer mache. Wieder ist es eine Weile ruhig. Ich höre nur den Regen gegen die Scheiben klatschen und Elyas ruhigen Atem. Grade, als ich vermute, dass er vielleicht wieder eingeschlafen sein könnte, atmet er tief durch und setzt sich wieder auf um sich neben mir gegen die Rückenlehne zu lehnen. »...du hast Recht«, sagt er entschieden und sieht zu seinem Handy. Er greift danach und tippt eine Antwort ein und schickt sie ab, bevor er es mir wieder hin hält. »So angemessen?« »Thank you for telling me, mom, but I think we shouldn’t concern ourselves anymore with that. It’s the past and I want to let bygones be bygones, don’t you think?« Diesmal brauche ich etwas länger um die Nachricht für mich zu übersetzen. Das Elyas mich abwartend ansieht macht es nicht viel einfacher, vor allem als er leise gluckst. »Vielleicht sollte ich ab jetzt nur noch in Englisch mit dir kommunizieren, was? Dabei dachte ich, dass du Englisch als LK im Abi hattest«, sagt er zergelnd. Ich gebe ihm einen Stoß in die Seite und brumme ihn verlegen an. »Das ist 8 Jahre her, okay?«, versuche ich mich zu verteidigen und er lacht. Diesmal nicht so freudlos wie vorhin noch. Diesmal wieder so wie er sonst auch ist. Ich bin so erleichtert, dass mir irgendwie schwindlig wird. »Da steht im Grunde, dass wir uns nicht mehr damit beschäftigen sollten und ich die Vergangenheit Vergangenheit sein lassen will. Es ist vielleicht herzlos, aber ich glaube ich schulde weder Summer noch ihrer Mutter noch irgendetwas«, erklärt er überraschend ruhig. Ich nicke langsam, bevor ich ihn wieder direkt ansehe. »Verzeihst du ihr?« »Huh?« »Ob du ihr verzeihst, irgendwann. Sie hat in ihrer Abschiedsnotiz doch geschrieben, dass es ihr leid tut.« Elyas blinzelt mich irritiert an. »Was hat das hinter mir lassen mit Verzeihen zu tun?« Ich lache leise, bevor ich tief durchatme und nun selbst wieder raus in den Regen sehe. »Wenn ihr Tod dich genug erschüttert, dass du sauer wirst und dich betrinkst, dann denke ich schon, dass es dir helfen würde«, sage ich leise. »...ehrlich gesagt hab ich getrunken, weil ich sauer war und angefressen, dass sie sich so feige davon gemacht hat mit dieser Notiz. Es hat sich angefühlt, als ob ich jetzt gar keine andere Wahl habe, als nicht mehr sauer auf sie sein zu dürfen. Und sie ist tot. Da gibt es nichts mehr dran zu rütteln oder zu ändern oder zu verzeihen. Und du hast doch noch gesagt, dass ich sauer sein darf.« »Darfst du ja auch. Aber wenn du jemand anderem wirklich verzeihst, dann befreist du dich selbst auch davon. Wenn du ihr irgendwann verzeihst, was sie getan hat, dann ist es wirklich nur noch ein Teil deiner Vergangenheit.« Elyas‘ Blick ist wieder sehr nachdenklich, als ich zur Seite sehe. Dann seufzt er leise. »...hast du Sophie verziehen?«, fragt er dann. Ich blinzle verdutzt, bevor ich langsam nicke. »Sie hat mich nicht drum gebeten, aber ich für mich habe entschieden, dass ich ihr das verzeihen will. Es würde mich nur mehr belasten, wenn ich es nicht getan hätte. Und letztendlich tut es mir nur noch leid, dass es so geendet ist. Denn eigentlich könnte sie in ihrer Situation vielleicht ein zwei gute Freunde gebrauchen, wenn man bedenkt, dass sie mit mir zusammen war, damit ihre Eltern nicht raus kriegen, dass sie lesbisch ist«, erkläre ich langsam und merke dabei selbst, dass ich es wirklich abgehakt habe. Unter dumm gelaufen und hoffentlich draus gelernt. »Manchmal kann ich kaum glauben, dass es dich wirklich gibt. Bist du wirklich echt, oder hat das was mit deinem Namen zu tun?«, fragt Elyas und lacht, weil ich in nun wirklich verwirrt ansehe. »Was? Wieso?« »Na wenn ich mich richtig erinnere, dann kommt der Name doch von einem Engel, oder nicht? Und sind Engel nicht übermenschliche Wesen?« Ich werde verlegen und wende den Blick ab, während meine Ohren heiß werden. »M–Meine Eltern haben sich die Namen meiner Schwestern und mir aus der Bibel ausgesucht und Gabriel ist ein Engel, ja, aber deshalb bin ich noch lange keiner und ich bin definitiv nicht übermenschlich, okay?« Elyas piekst mir leise lachend in meine Wange, bevor er sich vorlehnt und meinen Blick sucht. »Das muss dir nicht peinlich sein, mein Name ist auch aus der Bibel abgeleitet und ich find deinen Namen gut. Es ist nur einfach so, dass du mich immer wieder überraschst und manchmal weiß ich echt nicht was da in deinem hübschen Köpfchen vor sich geht«, erklärt er und ich schnappe erschrocken nach Luft. »Du bist ja noch betrunken! Was redest du da?«, krächze ich und er lacht wieder. »Im Wein liegt die Wahrheit«, scherzt er und streckt sich. »...das war Jack Daniels.« »Wein, Whiskey, beides Alkohol. Ich würde vorschlagen, weil es spät ist und draußen regnet, bestellen wir uns eine Pizza und du bleibst heute hier und leistest mir Gesellschaft, na?« Ich schnaube und sehe zur Uhr, bevor ich brummig zustimme, weil er Recht hat, aber trotzdem bin eigentlich ich der Verwirrte. Vorhin war er noch so niedergeschlagen, gefühlt am Boden und jetzt? Das ging so schnell. Und da sagt er, dass er nicht weiß, was in meinem Kopf vor sich geht? Er ist doch das viel größere Rätsel. »Ich sag nur eben Mathis und den anderen Bescheid«, sage ich betont ruhig und greife nach meinem Handy. Elyas nickt nur, gibt mir einen Klaps auf die Schulter und läuft in Richtung Küche. »Dann trinke ich noch einen Kaffee und suche schon mal das Prospekt«, erklärt er und hantiert dann schon an der Maschine herum. Ich beobachte ihn einen Moment, bevor ich davon abgelenkt werde, weil Mathis antwortet. Ich schicke nur einen Smiley zurück und sperre dann den Bildschirm. »...Gabriel?« »Ja?« »Danke« Kapitel 12: .zwölf ------------------ Mein Blick geht raus in den Regen, während ich Mowgli an mich drücke und Gedankenverloren aus dem Fenster sehe. Mittlerweile ist es Ende September und der Sommer wirklich merklich vorbei. Anna und Elisa hatten mit dem Wochenende ihrer Hochzeit wirklich Glück, denn es war das letzte wirklich warme und durchgehend sonnige Wochenende, was wir aber auch mit einer rauschenden Party gefeiert haben. Zumindest nach der tränenreichen Zeremonie davor. Die halbe Gästeschar hatte Bedarf an Taschentüchern und ich musste ebenfalls mehr blinzeln als eigentlich notwendig. Und auch wenn er es geleugnet hat, ich könnte schwören, dass Elyas auch eine Träne verdrückt hat, aber er hat es sehr überzeugend geleugnet, weshalb ich ihn nicht mehr weiter drauf festnageln wollte. Und eigentlich auch konnte, denn Elisa hat sich sehr Mühe gegeben den Alkohol an alle zu verteilen und deshalb sind meine Erinnerungen leider nicht mehr so klar, wie ich es mir wünschen würde. Doch zum Glück gibt es Fotos. Und Videos. Allerdings habe ich diese noch nicht gesehen und bin mir deshalb nicht so ganz sicher ob ich wirklich froh darüber bin. Die beiden sind jetzt aber im Moment in den Flitterwochen und haben die Hoheitsgewalt über das ganze Material, weshalb ich frühestens damit rechnen kann die Sachen zu sehen, wenn sie wieder da sind. Mein Handy piepst leise und ich setze Mowgli auf meinen schändlich vernachlässigten Zockersessel. Durch die Freundschaft zu Elyas und seinen beiden Lieblingsdamen, wie er sie gerne mal bezeichnet, habe ich den Sommer über nämlich erschreckend viel außerhalb unternommen, auch weil Anna und Elisa es nie müde geworden sind mich zu irgendwelchen Dingen einzuladen. Nicht zuletzt zu den ständig stattfindenden Grillpartys in Elyas‘ Garten. Mittlerweile habe ich mich an diese Freundschaft auch gewöhnt. Jetzt ist er ein Freund, der deshalb auch meine Wahl als Tierarzt wäre, aber da Mowgli nur einmal noch zu einer Kontrolle musste, überwiegt da doch der Freundschaftsfaktor maßgeblich. Auch, weil er mir diese ganze Sache mit Summer anvertraut hat. Nach diesem Samstag haben wir nicht noch einmal über sie oder ihren Selbstmord gesprochen. Den Abend haben wir mit guter Pizza und schlechten Filmen verbracht, die durch ihre Lächerlichkeit für jede Menge böser Kommentare und noch viel mehr Gelächter gesorgt haben. Letztendlich bin ich über Nacht geblieben, weil ich auf der Couch irgendwann eingeschlafen bin. Am nächsten Morgen wurde ich von einem Frühstück und zwei elend gut gelaunten Bräuten in spe geweckt, die mit ihren Sitzplatzkärtchen und Sitzordnungsplänen in Elyas‘ Haus einfielen. Dadurch und den einnehmenden Alltag danach, gab es auch nicht mehr wirklich die Gelegenheit, aber von Elisa weiß ich, dass es Elyas anscheinend wirklich geholfen hat, dass ich für ihn da war. Er hatte ihr wohl irgendwann davon erzählt und gleichzeitig erlaubt, dass Elisa und ich uns darüber austauschen dürften, wenn Bedarf bestehen würde. Ich hege zwar den Verdacht, dass er nicht mehr darüber reden will und es verdrängt, aber andererseits scheint es ihm wirklich gut zu gehen. Neben Elyas‘ bester Freundin und seinen Eltern bin ich aber auch der einzige, der davon weiß. Selbst Anna weiß nicht alles und Marie im Grunde nur, dass Elyas Ärger hatte und seine Mutter deshalb wollte, dass er nach Hamburg geht. Seine ganzen anderen Freunde und Bekannten ahnen es nicht einmal und ich bin sicherlich der letzte, der darüber ein Wort verlieren würde. Denn so von ihm ins Vertrauen gezogen worden zu sein hat dieser ganzen Freundschaftskiste einen Wert gegeben, den ich definitiv nicht erwartet hätte. Er ist mir so wichtig geworden, dass ich Marie manchmal am liebsten dafür drücken könnte, dass sie diese ganze Sache überhaupt erst angeleiert hat. Allerdings sehen wir uns in letzter Zeit gefühlt gar nicht. Sie hat die Prüfungen inzwischen zwar endlich hinter sich bringen können, aber trotzdem so viel zu tun, dass wir uns immer nur einmal kurz hier und da sehen, aber Zeit zum Reden bleibt da nicht und der meiste Austausch findet eigentlich übers Handy statt. Aber ich kann ihr leider nicht dabei helfen, bei was auch immer und da ich selbst jede Menge zu tun habe und hatte – wie zum Beispiel die eher unfreiwillige Beteiligung an den letzten Hochzeitsvorbereitungen, bei denen ich mich immer mal wieder gefragt habe, wieso man sich diesen ganzen Stress eigentlich antut – versuche ich mein zwischendurch schlechtes Gewissen damit zu beschwichtigen, dass ich ab und zu Sachen übernehme wie die Spülmaschine oder gleich die ganze Küche. Denn im Gegensatz zu ihr, die nur einmal zu einem dieser so regelmäßig gewordenen Verabredungen zu einem Feierabendbier mitkommen konnte, schaffen es die anderen öfter uns zu begleiten. Immer mal wieder ist jemand anderes dabei, sei es Momo oder Mathis oder Elyas‘ Lieblingsdamen. Einmal war sein Vater mit, was an sich ganz witzig war, weil er Geschichten aus Elyas Kindheit erzählt hat, aber vermutlich auch deshalb nicht mehr danach. Zwei Mal hat auch Nuri sich dazu durchgerungen es in ihren engen Terminplan zu stopfen, denn seit sie aus Afrika zurück ist, arbeitet sie wie verrückt in drei oder vier Jobs um ihre Finanzen wieder auszugleichen, wie sie es gern nennt. Manchmal frage ich mich wirklich ob sie irgendwann auch mal vorhat einen geregelten Job anzunehmen, aber sie fühlt sich so wohl und liebt ihre Freiheiten, die sie sich ermöglicht. Ich bin mir zwar nicht sicher wie genau sie das alles schafft, aber sie schafft es. Muss mit ihrer Friss oder Stirb Mentalität zusammen hängen. Mir wäre das zu stressig und zu wenig Freizeit. Auch weil ich so auf die Verabredungen mit Elyas verzichten müsste und auf die will ich bestimmt nicht verzichten, denn auch wenn wir die anderen Male allein waren, bin ich gerne mit ihm unterwegs. So hatte er auch die Gelegenheit sein Versprechen wahr zu machen und für mich da zu sein um mich abzulenken, wenn ich es brauchte. Mittlerweile brauche ich es nicht mehr in der Art, denn das Chaos in meinem Kopf ist gelichtet, aber trotzdem lasse ich mich nur zu gern irgendwohin mit schleppen. Zumindest, wenn er nicht irgendeine Gelegenheit nutzend mit jemandem vor meiner Nase flirtet. Denn das bringt mich selbst jetzt noch irgendwie aus dem Konzept. Ich kann es im Grunde einfach nicht leiden, auch wenn ich sicherlich kein Recht habe ihm das zu verbieten. Bis auf diese Sache mit Summer habe ich es nämlich vermieden ihn auf irgendwelche Partner oder Eroberungen oder so etwas anzusprechen und dankenswerter Weise hat er auch nicht einen Ton darüber verloren oder es sonst wie erwähnt. Denn bis auf diese kleine Sache kann ich über alles mit ihm reden. Er hat zu allem, was mich beschäftigt oder grade passiert eine Meinung und witziger Weise ist die genauso oft die gleiche, wie sie sich von meiner unterscheidet. Auf meine Erkenntnis, dass ich mir sicher bin demisexuell zu sein, hat er nur grinsend das Glas gehoben und mit mir angestoßen, während er bezogen auf das immer noch eher negative Verhalten meiner Arbeitskollegen auf ihren neuerdings geouteten Kollegen, gedroht hat ihnen Elisa vor zu stellen. Ich musste sehr lachen, bevor ich ihm erklären konnte, dass es fast schon etwas Amüsantes hat dabei zu zusehen, wie ein Teil der Vollpfosten sich damit quält, während Mark schamlos offen damit umgeht. Und unseren Kollegen wurde von unserem Chef nur zu deutlich gemacht, wie sie darauf zu reagieren haben und mit ihrer aufgezwungenen Toleranz machen sie sich doch ganz schön zum Affen. Denn Mark hat das Glück, dass ausgerechnet Herr Fechter die Hand über ihn hält und notfalls auch Ermahnungen ausspricht, wenn Beleidigungen in Marks Richtung fallen, egal ob der es hört oder nicht. Es gab auch schon ein paar Abmahnungen, auch wenn ich nicht weiß an wen genau und wie viele. Im Grunde ist es mir auch egal, aber mein Respekt für meinen Chef ist seitdem gefühlt unerschütterlich. Tief durchatmend öffne ich die Mitteilung, die ich bekommen habe und verziehe irritiert die Augenbrauen. Tabea hat mir ein Bild von sich und Ruth geschickt, aber ich kann kaum erkennen was das im Hintergrund sein soll und wieso ist es mit Überraschung untertitelt? Als wäre das eine Antwort klingelt es an der Tür und mir rutscht das Herz in die Hose. Die beiden sind doch nicht etwa... Es klingelt wieder und diesmal Sturm. »Komm’ ja schon, komm’ ja schon«, höre ich Mathis fauchen. Weil er den Sommer über seine Beziehung zu Momo ausgelebt und vertieft hat, hinkt er mittlerweile mit seiner Masterarbeit so hinterher, dass wir ihn und auch er sich selbst unter Momo–Entzug gestellt hat. Der Kurze sitzt seitdem gern bei mir im Zimmer rum, bis Mathis ihn zu sich lässt, und beschäftigt sich mit meinem Kater. Mowgli kann deshalb mittlerweile ganz schön viele Tricks, auch weil ich ebenfalls mit ihm trainiere. Es quietscht und rumpelt und ich höre Mathis ächzen und dann Tabea. »Du bist ja gar nicht Gabriel«, stellt sie verdutzt fest und ich raufe mir die Haare. Diese beiden... Meine Schritte führen mich in den Flur, indem Mathis liegt und auf ihm drauf Ruth, die wegen Tabea nicht hoch kommt. »Da ist Gabriel«, stellt sie begeistert fest und in der nächsten Sekunde hängt sie um meinen Hals. »Was macht ihr hier?«, frage ich angefressen und schiele zur immer noch weit offenen Haustür. Mowgli ist seit dem einen Mal nicht wieder abgehauen, aber auch nur weil ich jedem empfindliche Strafen angedroht habe, wenn sie das noch einmal verursachen. »Dich besuchen, natürlich. Im Sommer hat es ja irgendwie nicht geklappt mit dem herkommen«, erklärt meine kleine Schwester mir, während sich mich knuddelt und ich nur zusehen kann, wie Mathis nun Ruth aufhilft, die ihn dankbar anlächelt. »Mach mal einer bitte die Tür zu?«, knurre ich dann und zum Glück reagiert Ruth und setzt es um. Nicht ohne vorher noch eine riesige Reisetasche in den Flur zu ziehen. Mir schwant Übles. »Wir müssen doch deinen Kater endlich auch einmal kennen lernen und Ruth hatte Angst, dass wir dich nicht wieder erkennen, wenn wir dich nicht einmal im Jahr sehen«, tönt sie und kassiert deshalb direkt einen empörten Schlag von Ruth, bevor sie mit ihren Händen sehr deutlich macht, was die Wahrheit ist. Ich seufze schwer und reibe mir übers Gesicht. »Setzt euch in die Küche, aber zieht vorher um Himmelswillen die nassen Sachen aus und dann erklärt ihr mir bitte, was ihr wirklich hier wollt«, knurre ich und schubse sie beide zumindest in die Richtung. So viel zu meinem ruhigen Wochenende. ~ »Das ist ja wirklich super spannend. Und du bist dann echt für 18 Monate in Schweden? Was ist mit deinem Studium in der Zeit?« Ich verdrehe genervt die Augen. Mathis hat nach nur ein paar Minuten entschieden, dass er lieber meine Schwestern kennen lernen will, anstatt seine Arbeit weiter zu schreiben. Ich überlege ernsthaft ob ich das Momo petzen soll. Da ich sonst immer nach Hause gefahren bin, wenn meine Familie nach mir verlangte, kennen meine Mitbewohner die beiden nur von Fotos und aus meinen Erzählungen. Ich will gar nicht wissen, wie Nuri und Marie auf die beiden reagieren, wenn sie denn mal nach Hause kommen, irgendwann heute Abend. Während ich mich an etwas essbarem versuche, streichelt Ruth mit Begeisterung meinen Kater und Tabea erzählt von ihrer geplanten Mission. Seit drei Wochen weiß sie, dass sie nach Schweden gehen wird, was Mathis natürlich hat hellhörig werden lassen und sich jetzt alles von dieser freiwilligen Verpflichtung erklären lässt. Im Gegensatz zu mir sind Ruth und Tabea beide sehr aktiv in der Religion unserer Familie und praktizieren den Glauben daran mit großer Leidenschaft. Dass es für mich nichts ist, finden sie zwar schade, aber haben nicht ein einziges Mal daran gedacht mich irgendwie belehren oder noch besser bekehren zu wollen. Ebenso wie meine Eltern und dafür bin ich ebenso dankbar, denn ich weiß, dass es, wie bei anderen Religionen auch, Familien gibt, die da anders drauf reagieren. »Naja, erst mal komme ich in eine Art Training. Ich muss ja die Sprache lernen, was ich jetzt aber schon mache und je nachdem wie schnell und gut ich das mache, komme ich dann nach Schweden und für die Zeit nehme ich einfach ein paar Urlaubssemester, das ist auch schon alles mit der Uni geregelt«, höre ich sie grade sagen, als die Eieruhr klingelt, weil die Nudeln fertig sind. Ich kann keine Nudeln kochen ohne die Zeitangabe der Packung zu beachten. Entweder sie sind noch zu hart oder so weich gekocht, dass man schon gar nicht mehr rein beißen möchte. Als ich die Nudeln abgieße, sehe ich aus den Augenwinkeln, dass Ruth ihre große Schwester auf sich aufmerksam macht und dann zeigt, was sie sagen will. Ich bin wirklich nicht stolz drauf, aber im Gegensatz zu Tabea bin ich nicht so gut, was die Gebärdensprache betrifft. Und da Ruth noch hören kann war nie die Notwendigkeit da mehr zu lernen als das verstehen. Das liegt aber auch daran, dass ich einfach früh ausgezogen bin und Ruth ihre Stimme mit 9 bei einem Fahrradunfall verlor. Da war ich 17 und zwei Jahre später zog ich aus. Im darauffolgenden Jahr wiederum zogen meine Eltern nach Flensburg. Es ist nicht aus der Welt, aber auch nicht mehr um die Ecke. »Ach ja, stimmt. Gut, dass du es sagst. Gabriel?« »Hmm?« »Morgen ist ein Ausverkauf zu dem Ruth und ich wollen, deshalb nimm dir nichts vor, okay?« Ich schnaube unüberhörbar und sehe die beiden strafend an. »Nur deshalb seid ihr überhaupt hier, gebt‘s zu! Von wegen Mowgli kennen lernen«, knurre ich und Ruth lächelt schuldbewusst, während Tabea unbeeindruckt aussieht. »Jetzt stell dich mal nicht so an, okay? Du warst das letzte Mal zu Ostern zu Hause, selbst an deinem Geburtstag bist du hier geblieben.« »Du klingst wie Mama.« »Dann ist das gut so, die ist nämlich auch nicht begeistert davon, dass du nie zu Hause bist. Arbeit gut und schön, aber du müsstest eigentlich mindestens 30 Urlaubstage im Jahr haben und dann sind da noch die Feiertage und Wochenenden und du schaffst es nicht die paar Kilometer bis nach Flensburg?« »Bevor du dich in Rage redest, Essen ist fertig«, murre ich nun selbst etwas schuldbewusst und stelle Nudeln und Soße auf den Tisch. »Ich will es nur noch mal gesagt haben, okay?«, sagt Tabea schnippisch, aber greift wirklich zu. Sie war zum Glück schon immer eine begeisterte Esserin. ~ »Willst du es ihnen eigentlich sagen?« Verdutzt aufsehend fällt mein Blick auf Momo, der ein paar der übrig gebliebenen Nudeln verspeist. Es ist spät und weil sie müde waren, sind Ruth und Tabea schon schlafen gegangen. Dankenswerter Weise hat Momo ihnen sein Zimmer drüben überlassen, weil das größer ist als meins und so nur eine zusätzliche Matratze rein passen muss. Da er eh meist hier schläft, waren es auch nur ein paar Handgriffe und ich habe dadurch zumindest jetzt meine Ruhe um wieder etwas runter zu kommen. Ich freue mich zwar irgendwie die beiden zu sehen, aber grade Tabea ist immer wieder eine Herausforderung. Auch da sie meist für Ruth übersetzend spricht und dadurch quasi für zwei und selbst aber für sich auch leidenschaftlich gern irgendwelche Dinge erzählt und sich dadurch wiederum auf andere Gedankenblitze bringt, die sie ebenfalls mitteilen muss. Ich bin immer wieder beeindruckt davon, dass Ruth so viel Geduld hat das auszuhalten. Vielleicht weil sie einen größeren Sturkopf hat als Tabea und sie so in die Schranken weisen kann? Ich weiß es nicht. »Was sagen?« »...Moritz meint deine neuste Erkenntnis über dich selbst«, erklärt Mathis leicht abwesend, weil er grade noch abgelenkt ist durch irgendein Schriftstück, dass er lesen muss und es für Momo in dessen Gesellschaft liest. »Das wissen sie schon«, erkläre ich und gähne unterdrückt. Vielleicht sollte ich auch schlafen gehen, wenn ich morgen zum Shoppen mitgehen muss? Mathis hebt verdutzt den Kopf. »Echt?« Ich nicke und grinse schief. »Sie konnten zwar nichts damit anfangen, aber nach etwas Recherche meinte meine Mutter, dass eigentlich alle so empfinden sollten, dann würde nicht so viel Mist mit Sex und so gemacht werden. Ich weiß nicht ob andere das beleidigend finden oder so, aber ich hab mich irgendwie gefreut. Allerdings weiß ich nicht, ob ihnen klar ist, dass das zumindest in meinem Fall auch auf einen Mann zutreffen könnte. Da haben wir gar nicht drüber gesprochen«, erzähle ich leise und beobachte Mowgli dabei, wie er seinen Schmalen Weg unter der Decke entlang geht um zu seiner Hängematte neben dem Fenster zu kommen. Mittlerweile sieht jeder direkt nach Betreten der Wohnung, dass hier eine Katze wohnt. »Willst du das nicht klar stellen?«, hakt Mathis nach und ich zucke mit den Schultern. »Bei Bedarf vielleicht. Im Moment bin ich nur froh, dass ich das meiste hinter mir habe und wieder mit mir klar komme«, antworte ich ruhig und sehe dann zu Momo, der jetzt wieder nur geschwiegen hat. »Darf ich fragen, was deine kleine Schwester hat? Weil, hören kann sie ja anscheinend, oder?«, fragt er dann, als er meinen Blick merkt. Ich lächle schief. »Als sie neun war, hatte sie einen Fahrradunfall. Wir wissen nicht ob sie mit dem Kehlkopf auf die Lenkerstange geknallt ist oder woanders gegen, Ruth konnte sich nicht erinnern und es hatte auch keiner gesehen. Passanten haben sie kurz danach erst gefunden und den Krankenwagen gerufen, aber der Hals war auf alle Fälle irgendwie gequetscht und bei dem Versuch sie zu retten wurden ihre Stimmbänder irreparabel beschädigt. Ich hab den ganzen medizinischen Kram damals nicht richtig mitbekommen, weil ich so Angst hatte, dass sie stirbt. Jedenfalls hätte es die Möglichkeit gegeben ihr dieses künstliche Stimmending zu geben, aber das wollte sie nicht und deshalb hat sie keine Stimme mehr«, erkläre ich und seufze tief. Rückblickend betrachtet war das vielleicht einer der Gründe, warum ich mit dem ganzen Kirchenzeug nichts mehr zu tun haben wollte. »Ganz schön heftig«, murmelt Mathis und ich kann sehen, dass er an seine kleinen Geschwister denkt, die in etwa demselben Alter sind wie Ruth damals. »Schon, aber weil Ruth sich dafür entschieden hatte auf ihre Stimme zu verzichten, kam sie wesentlich besser damit klar als alle anderen. Einige lagen ihr Monate lang in den Ohren damit, dass sie doch lieber diese künstliche Stimme wählen sollte, weil es besser ist als gar keine. Aber nur weil sie keine Stimme hat heißt es ja nicht, dass sie sich kein Gehör verschaffen kann«, sage ich leise und muss schmunzeln, weil ich weiß, dass sie das kann. Sie hat ihr Abi als Beste im Jahrgang auf einem ganz normalen, staatlichen Gymnasium bestanden und auch in ihrem angestrebten Kunststudium wird das kein Problem. Sie wird es zumindest nicht zu einem Problem werden lassen. Es hat sie schließlich auch nicht davon abgehalten sich mit Tabea zu streiten. Grade in der Pubertät nicht. Dafür sind die beiden jetzt ein Herz und eine Seele. Ich frage mich wirklich wie das wird, wenn Tabea so lange weg ist. Vielleicht sollte ich doch öfter nach Hause fahren? »Ich glaube, ich geh‘ besser schlafen. Ausverkauf klingt anstrengender als Schlussverkauf«, sage ich dann und sehe kurz zu Mowgli rauf, der aber in seiner Hängematte döst. Dann sollte ich besser die Tür auflassen, damit er nachher reinschlüpfen kann. Mathis und Momo wünschen mir eine gute Nacht und nach einem kurzen Besuch im Bad verziehe ich mich in mein Zimmer, lasse aber meine Tür wirklich einen Spalt breit geöffnet. Mich unter meine Decke kuschelnd muss ich grinsen, als ich höre, dass Mathis aufgebend seine Sachen weg schiebt. Es ist so still in der Wohnung, dass ich sie gut hören kann. Marie ist mit irgendwem ausgegangen und Nuri noch am Arbeiten. »Ich hab’ keine Lust mehr...« »Du weißt, dass du so nie fertig wirst, oder? Du hast schon eine Verlängerung beantragt« »...ich werde morgen wieder fleißig sein, versprochen. Aber heute hab’ ich echt genug. Erzähl mir lieber wie es auf der Arbeit war. Gibt es etwas Neues?« Eigentlich gehört es sich wohl nicht dem Pärchengeplänkel der beiden zu lauschen, wenn sie es nicht merken, aber jetzt noch auf zu stehen um die Tür doch zu schließen, will ich auch nicht. Vor allem, weil Mowgli dann heute Nacht nicht mehr zu mir kommen würde. Er kann Türklinken zwar öffnen, aber da er überall seine Plätze zum Schlafen hat, muss er es nicht und tut es deshalb nicht. Er neigt zu Faulheit wenn man ihn nicht lockt. Allerdings schlafe ich besser, wenn er bei mir liegt. Ich mache wirklich drei Kreuze und eine Riesenfete, wenn die 6 Monate endlich vorbei sind. »...Dr. Schäfer hat glaube ich eine Freundin«, höre ich Momo sagen und etwas in mir zieht sich zusammen. Bitte? »Ach echt?« »Ich glaube schon. Er ist immer wieder mit seinem Handy zu Gange und hat auffallend gute Laune. Sonst ist er immer gereizt, wenn ihm ein Fall von Vernachlässigung anvertraut wird, aber letztens, als wir die ganzen Hasen und Meerschweinchen behandeln mussten, hat er nur kurz mit irgendwem geschrieben und war danach wieder ganz normal« »Das klingt wirklich verdächtig. Ne Ahnung wer es ist?« »Nein, irgendwie nicht. Normalerweise würde ich Marie fragen, aber solange die Ergebnisse vom Examen nicht da sind, hat sie ja quasi Urlaub. Es muss ja ein neuer Vertrag abgeschlossen werden und alles.« »Mhmm~ mal gucken. Vielleicht findest du das ja raus, sonst frag ich Gabriel, dass er seine neuen besten Freundinnen mal aushorcht.« »Interessiert dich das echt?« »...eifersüchtig?« Momos peinlich berührtes Gestammel ausblendend ziehe ich mir die Decke über den Kopf. Elyas hat eine Freundin? Sonst betont er doch immer, dass er kein Beziehungstyp ist. Mir ist vollauf bewusst, dass ich eigentlich keinen Wert drauf gelegt habe zu wissen, wie es in Elyas’ Liebesleben aussieht, aber jetzt tut es trotzdem weh, dass ich es nicht gewusst habe. ~ »Oh man, du bist so lahm, jetzt mach doch echt mal schneller«, murrt Tabea genervt und schiebt mich weiter. Weil ich gestern Abend noch länger wach war, als mir lieb ist, hab ich heute Morgen den unsanften Weckdienst von Tabea abgekriegt. Sie hat sich auf mich drauf geschmissen. Und fand das genauso lustig wie Nuri und Ruth, die sich das schadenfroh angesehen haben. Während des Frühstücks haben Nuri und meine Schwestern sich kennen lernen können, während Marie immer noch verschütt war, doch da wir laut Tabea spät dran waren, konnte ich mich nur anziehen und dann von den beiden mitschleifen lassen. Wir schmissen Nuri bei der Gelegenheit in der Nähe eines Starbucks raus, indem sie anscheinend im Moment auch arbeitet, und fuhren dann weiter. Wer schon einmal in Hamburg war weiß, dass die Stadt sehr beliebt bei Touristen ist und kann sich demnach vorstellen, wie voll sie samstagmittags ist. Und dabei spielt es kaum eine Rolle zu welcher Jahreszeit. Die Innenstadt von Hamburg ist immer überlaufen. Das das Geschäft, das den eigentlichen Ausverkauf macht in einer Seitenstraße liegt hilft wenig und das ich dumm genug war mich dazu überreden zu lassen mein Auto zu nehmen, noch viel weniger. Deshalb bin ich grade extremst genervt und will am liebsten wieder nach Hause, während Tabea noch viel drängelnder schiebt. Da ich keine andere Wahl habe, lasse ich mich schieben und bin froh, als der Laden in Sicht kommt und die beiden sich schon am Eingang absetzen und mich stehen lassen. Weil es erwarteter Weise völlig überlaufen ist, gehe ich wieder raus und stelle mich mit einem schiefen Grinsen zu ein paar anderen potenziellen Taschenschleppern, die ebenfalls schon hier stehen und warten. Da es in diesem Klamottenladen wirklich alles gibt, was die Herzen meiner Schwestern zum hüpfen bringt, erwarte ich nicht sie in der nächsten Stunde wieder zu sehen, weshalb ich mich umsehe und im nächstgelegenen Café dann einen Macchiato zum Mitnehmen bestelle. Während ich warte, beobachte ich die Leute um mich rum und auch die, die draußen vorbei laufen. Grade als ich den Becher entgegen gehalten bekomme, entdecke ich Elyas, der draußen vorbei geht. Für einen Augenblick spüre ich überraschte Freude, dann rutscht mein Blick runter auf die Person neben ihm, die sich bei ihm eingehakt hat und mit einem Blick ansieht, den ich so nur von Momo kenne und ich wünsche mir augenblicklich das nie gesehen zu haben. Elyas und Marie. Kapitel 13: .dreizehn --------------------- »Bist du mit ihm zusammen?« Maries Kopf ruckt hoch und sie blinzelt mich irgendwie erschrocken an. Es ist Sonntagvormittag und meine Schwestern sind vor einer Stunde aufgebrochen um zum Gottesdienst zu gehen, weil es hier in Hamburg auch eine Gemeinde gibt und sie ein paar Leute eh noch von früher kennen. Ich hab ihnen sogar mein Auto dafür überlassen, weil beide einen Führerschein haben und demnach damit umgehen können sollten. Nach meiner Entdeckung gestern habe ich mich einfach wieder wartend vor das Geschäft gestellt und mir den Kopf zerbrochen ob das was ich gesehen habe nicht zu viel interpretiert war. Andererseits habe ich Freitagabend noch gehört, wie Momo Mathis von Elyas‘ geheimer Freundin erzählt hat und letztendlich kam ich auf keinen grünen Zweig. Da gestern Nachmittag die Zwillinge zu Besuch da waren und Mathis an seiner Arbeit schreiben musste habe ich mich nur zu gern von meinen Schwestern und den beiden in Beschlag nehmen und ablenken lassen. Momo sorgte nur dafür, dass Mathis auch in seinem Zimmer blieb und Tabea und Philipp es nicht zu sehr übertrieben. Abends brachte Momo die Zwillinge nach Haus und weil meine Schwestern heute wieder früh raus mussten, gingen sie auch recht früh wieder schlafen, was mich allein mit meinen Gedanken ließ. Irgendwann bekam ich Kopfschmerzen und entschied dann, dass alles grübeln nichts bringen würde und ich Marie direkt darauf ansprechen müsste. Was ich jetzt tue. Marie blinzelt einfach nur und ich will grade ansetzen meine Frage genauer zu stellen, als sie mit dem Kopf schüttelt und dann den Blick senkt. »...nein. Er fängt nichts mit Arbeitskollegen an«, sagt sie leise und klingt beklemmend bedrückt. Ich beiße mir auf die Unterlippe und ringe mich dann aber doch dazu durch mich neben sie auf die Bank zu setzen. Über den Sommer bin ich nicht besser darin geworden jemanden der weint zu trösten, aber zumindest für den Moment weint Marie nicht. Noch nicht. Und hoffentlich nicht. »Also...«, frage ich leicht heiser und räuspere mich, um den Rest der Frage auch noch zu stellen, aber sie nickt schon. »...schon eine ganze Weile, ehrlich gesagt. Deshalb wollte ich ja, dass ihr euch auch kennen lernt. Mowgli hat mir nur die perfekte Gelegenheit dazu gegeben«, erklärt sie und lächelt mich so traurig an, dass ich noch nicht mal böse werden könnte, wenn ich wollte. »Ich wollte, dass meine Freunde sich gut mit ihm verstehen, weil ich dachte, dass meine Familie ihn dann auch mögen wird. Aber...er mag mich nicht auf diese Weise. Für ihn bin ich wie eine kleine Schwester, hat er gesagt« Ihre Stimme wackelt verdächtig und bricht am Ende. Ich würde mich gern verfluchen, aber ich bin nicht nur selbst Schuld dran, sondern will sie jetzt auch nicht allein lassen. Trotzdem ist die Hand, die ich ihr auf den Rücken lege um ihn sanft zu tätscheln reichlich steif und unbeholfen. Marie lacht heiser und wischt sich mit den Ärmeln ihres Pullis über die Augen. »Du bist echt zu lieb, weißt du das?«, fragt sie heiser, weshalb ich sie verdattert an blinzele und dann den Kopf schüttel. Wie kommt sie denn jetzt darauf? »Dir ist nicht aufgefallen, dass ich dich die letzten Wochen gemieden habe?« »...wir haben uns wenig gesehen, ja, aber ich dachte du hast noch zu tun nach dem ganzen Prüfungsstress«, erkläre ich leise. »Das hatte ich davor. Nach den Prüfungen hatte ich im Grunde nichts zu tun. Aber ich wollte dir nicht über den Weg laufen« Ich sollte wohl verletzt oder sauer sein, aber ich bin nur irritiert. »Was...was hab ich denn gemacht, dass du mich nicht sehen wolltest?«, frage ich deshalb vorsichtig und Marie schnieft und lacht gleichzeitig. »Ich hatte das Gefühl, dass du ihn mir weg nimmst.« »We–Weg nehmen?«, frage ich heiser und sie nickt. »Durch die Regel von Dr. Schäfer, dass Elyas nichts mit Mitarbeitern anfangen soll, ist es gar nicht so einfach ihn zu irgendwelchen Unternehmungen zu überreden. Ich musste mir ganz schön was einfallen lassen. Aber mit dir geht er ständig weg und lädt dich zu Sachen ein und du verstehst dich dann auch noch so gut mit Elisa und Anna und...ihr...ihr schreibt euch ständig. Irgendwann wurde ich so eifersüchtig, dass ich anfing gereizt zu reagieren, wenn er mich was wegen dir gefragt hat oder etwas erzählt hat – es lag auch am Prüfungsstress, aber nicht nur und...vorletzte Woche hat er mich drauf angesprochen. Da hab ich ihm alles gebeichtet.« Ich schlucke schwer und kaue angestrengt auf meiner Unterlippe rum, weil ich nicht weiß was ich sagen soll. Nichts davon habe ich mitbekommen und fühle mich deshalb so schlecht. »Was...was ha–hat er dazu gesagt?«, frage ich leise, weil Marie schniefend an ihren Fingern knibbelt und gar nichts mehr sagt. Allerdings ist das wohl die falsche Frage, denn Marie schluchzt leise auf. »Er hat gesagt...er hat gesagt, dass er sich geehrt fühlt, aber sich eine Beziehung nicht vor-vorstellen kann, weil ich für ihn einfach... u–und dann hat er mich gebeten, dass ich dich nicht so behandeln sollte, weil du weder etwas weißt noch mein Verhalten verdient hättest und du mir eigentlich doch auch wichtig wärst. Ich hätte ihm am liebsten den Hals umgedreht«, krächzt sie, lacht kurz und schluchzt wieder. »E–Er hat ja Recht. Du bis‘ mir wirklich wichtig. Aber’s ist echt... dass er dich erwähnt, wenn er mich abweist? Es tut mir echt leid, dass ich dich so behandelt habe, aber ich hab es irgendwie nicht fertig gebracht mit dir zu reden«, gibt sie zu und ich fühle mich noch schlechter. Wieso hab ich nicht ein bisschen davon gemerkt? »Ha–Hast du mit irgendwem anderes drüber geredet?« »Nuri war nicht da und Mathis und Momo scheint die Sonne aus dem Arsch, seit sie zusammen sind, mit denen wollte ich nicht über Liebeskummer reden«, erklärt sie heiser und schnieft wieder. Mein schlechtes Gewissen bringt mich gleich um. Wie kann man nur so blind sein? »Marie, ich–« »Wehe du sags‘ jetzt es tut dir leid, dann dreh ich dir auch den Hals um«, droht sie und atmet tief durch. Ich blinzele nur Schuldbewusst und fahre mir durch die Haare. »Kann ich dir irgendwie helfen?«, frage ich leise, aber sie schüttelt mit dem Kopf. »Nein, kannst du nicht. Da muss ich selbst drüber weg kommen. Ich hatte gestern ein Date mit ihm als Abschied und das muss reichen« »Abschied?« Sie nickt nur leicht. »Wieso Abschied?« »Ich hab gekündigt in der Klinik bzw. werde halt das Angebot nicht annehmen.« »Was?« »Ich werde sicherlich nicht über ihn hinwegkommen können, wenn ich ihn die ganze Zeit vor der Nase habe und...ich habe ein anderes Angebot. Wenn meine Abschlussnote stimmt, dann werde ich das annehmen.« »Aber...du bleibst doch in Hamburg, oder?«, frage nun ich heiser und bekomme Angst. Angst, die sich sofort als berechtigt erweist, denn Marie schüttelt mit dem Kopf. »Nein, wenn alles klappt dann ziehe ich aus und gehe nach Berlin.« ~ »Im Ernst?« Ich nicke nur leicht und beiße wie ferngesteuert in mein Käsebrot. Marie hat mir gestern nach unserem Gespräch das Versprechen abgenommen, alles für mich zu behalten, damit ihr das keiner ausreden kann, weil sie noch in der Planungsphase ist. Eigentlich ist das unfair, weil ich mir sicher bin, dass es Mathis und Nuri ebenso überfahren wird wie mich, aber ich hatte immer noch so ein schlechtes Gewissen, nichts von ihrem Kummer mitbekommen zu haben, dass ich es versprochen habe. Irgendwie habe ich es geschafft gute Miene zum bösen Spiel zu machen, als meine Schwestern zurück kamen und dann als Dank für die zweitägige Obhut ein Essen für alle gekocht haben. Abends brachte ich sie zum Bahnhof und verschwand zu Hause direkt in mein Zimmer. Allerdings hatte Mark heute Morgen direkt befürchtet, dass ich wieder in ein Stimmungstief abrutschen würde, weshalb er es mir jetzt in der Frühstückspause aus der Nase gezogen hat. Da er die anderen aber nicht direkt kennt, sehe ich mein Versprechen auch nicht direkt als gebrochen an. Oder versuche es. Maries Ergebnisse kommen am Mittwoch und bis dahin sollte ich mit ein paar Überstunden meine Klappe halten können. Hoffentlich. »Ja, im Ernst«, murmle ich verspätet und Mark brummt leise, bevor er in sein Salamibrötchen beißt. Während wir beide kauen herrscht eine einvernehmliche Stille, die erst von Mark wieder gebrochen wird. »Ich mein, klar, sie scheint ja krass verliebt in diesen Tierarzt zu sein, aber deshalb gleich die Stadt zu verlassen?« »Wenn sie sich vorgestellt hat, ihn ihren Eltern vor zu stellen, dann sind das schon wirklich viele Gefühle. Sie sagte, dass sie sonst nicht abschließen kann oder so. Aber was wir jetzt machen sollen, weiß ich nicht. Ob ich sie ziehen lassen oder aufhalten soll, auch nicht. Ich mein, es wäre doch egoistisch sie aufhalten zu wollen, weil unsere WG im Grunde im Moment einfach wunderbar funktioniert und so harmonisch ist und wir alle vier Freunde sind. Wenn sie hier nicht mehr glücklich ist und nach Berlin will, hab ich doch kein Recht sie aufzuhalten, oder?«, frage ich und sehe Mark zweifelnd an. »Keine Ahnung, wenn du es so ausdrückst, dann hast du irgendwie schon Recht. Aber wegen einer unerfüllten Liebe gleich die Stadt zu verlassen kommt mir auch dramatisch vor. Allerdings bin ich sicherlich nicht der Experte, der das bewerten könnte«, gibt er zu und schiebt sich den letzten Rest Brötchen zwischen die Zähne. Ich brumme nur und gucke mein Käsebrot an. Mir ist der Appetit vergangen, weshalb ich es einfach zurück lege und mich seufzend zurück lehne. »Aber nur mal so, wenn sie es wirklich durchzieht, dann ist der Zeitpunkt zumindest für euch als WG fast optimal. Nächste Woche ist ja Oktober und dann kommen die ganzen Erstis, die noch ein Zimmer suchen«, murmelt er zwischen Salami und Brötchen. Ich haue ihm mit der flachen Hand auf den Hinterkopf. »Als ob mich das grade interessiert.« »Ich mein ja nur. Okay, bis später. Muss telefonieren«, murmelt er hastig und greift zu seinem Handy. Jetzt muss ich grinsen. »Sag bloß mit deinem Alex?«, frage ich stichelnd und Mark verzieht das Gesicht. »Er ist nicht mein Alex, okay?« »Noch nicht!« Mark wird rot und zeigt mir den Mittelfinger bevor er den Pausenraum verlässt. Zum Glück haben wir es bei der einen Knutscherei belassen, sonst könnte ich ihn jetzt wohl eher nicht damit aufziehen. »Gabriel?« Ich drehe automatisch meinen Kopf, als Herr Fechter rein kommt und mich anspricht. »Ja?« »Da ist ein Elyas Schäfer und fragt nach dir«, erklärt er und hält mir eines der Klemmbretter entgegen. »Okay?«, murmele ich und gucke auf das Klemmbrett, während ich aufstehe. »Bist du schon fertig mit deiner Pause?« »Eigentlich nicht, aber er hat meinen Kater auch schon mal nach Feierabend behandelt, ich kann das machen«, erkläre ich und sehe meinen Chef an, der leise brummt. »Na gut, dann häng die Minuten nachher an deine Mittagspause«, sagt er nachgiebig und ich nicke gehorsam. Was Arbeitszeiten und die Einhaltung der Vorschriften angeht ist er wirklich sehr genau. Meine Schritte führen mich auf den Hof, wo Elyas wirklich neben seinem Wagen steht und sich interessiert umguckt. Mir wird ganz komisch, aber als er mich ansieht und lächelt, ziehen sich meine Mundwinkel automatisch ebenfalls in die Höhe. »Du musst nicht extra deine Bremsen kaputt machen um mich zu besuchen«, scherze ich und er lacht. »Tut mir leid, aber das würde ich nicht mal für dich tun. Allerdings vertraue ich deinen Künsten und bin deshalb her gekommen. Kannst du dir das genauer ansehen?«, fragt er und deutet auf den Wagen der ein paar Schritte weiter auf einem der Kundenparkplätze steht. Ich nicke nur und folge ihm. ~ »Also in drei Tagen?« »Ja, bis dahin ist er fertig, dafür sorg ich schon«, sage ich versprechend und lasse die Autoschlüssel in die Plastikhülle gleiten, die an jedem Klemmbrett für diesen Zweck dran sind. Elyas seufzt leise, aber nickt. »Na gut, dann...muss ich mir was einfallen lassen oder in der Zeit in der Praxis schlafen«, sagt er scherzend und ich lächele entschuldigend. Für eine Sekunde will ich ihm anbieten einfach bei uns zu übernachten, aber dann fällt mir Marie ein und ich lasse es. Das wäre extrem taktlos. »Hast du heute oder morgen eigentlich schon was vor?« »Außer deine Bremsen zu reparieren?«, frage ich scherzend und er lacht, bevor er nickt. »Ich weiß nicht, warum?« »Durch den Besuch deiner Schwestern ist der Samstag ja jetzt flach gefallen, deshalb schuldest du mir noch ein Bier!« »Sagt der, der wegen Notdienstvertretung vorher schon abgesagt hat, ja?« »Erwischt, also? Ja oder nein?« »Ehrlich gesagt, weiß ich es nicht. Kann sein, dass ich die Woche Überstunden schieben muss. Die ersten kommen wegen Winterreifenwechsel und so. Ich schreib dir, okay?« Elyas sieht mich an und nickt schlicht. Ich kann seine Miene nicht lesen. Das passiert in letzter Zeit öfter mal. Dadurch, dass er sonst immer einen verschmitzten Ausdruck im Gesicht hat und eher der fröhliche Typ Mensch ist, weiß ich nicht was ihm durch den Kopf geht, wenn er so ernst guckt. »...das liegt aber nicht an Marie, oder?«, fragt er leise. Ich bin kurz irritiert bevor ich abwehrend die Hände kreuze und den Kopf schüttel. »Nein, ehrlich. Das liegt nicht an Marie«, sage ich entschieden und er nickt langsam, bevor er tief durchatmet. »Sie hat also endlich mit dir geredet?« Mich kurz umsehend, nicke ich und seufze dann. »Gestern. Ich hab euch Samstag in der Stadt gesehen und sie deshalb drauf angesprochen. Da hat sie mir alles erzählt...und das Versprechen abgenommen, dass ich bis Mittwoch niemandem davon auch nur ein Wort sage. Streng genommen verstoße ich also grade dagegen«, erkläre ich und kriege prompt ein noch schlechteres Gewissen. Ich bin wirklich ein schlechter Freund. »Sie hat mir das gleiche Versprechen abgenommen. Ich hab nicht mal mit Elisa drüber geredet. Allerdings würde sie mir vermutlich eh die Ohren dafür langziehen, dass ich mit Marie wirklich auf dieses Irgendwie–Date gegangen bin«, sagt er leise und weil ich es mir ebenfalls vorstellen kann, muss ich lachen. Elisa ist wirklich streng mit ihrem besten Freund. Manches Mal so streng, dass ich mich gezwungen sehe für Elyas um Gnade zu bitten. Und da zeigt sich einer der Vorteile, wenn man für süß gehalten wird. Meistens hat sie nur schwer geseufzt und irgendwas in Richtung, sei froh, dass du ihn hast oder dein Glück, dass ich deinem süßen Fürsprecher nichts abschlagen kann gesagt. »Meinst du man sollte sie aufhalten?«, frage ich dann und hebe wieder den Blick. Er seufzt schwer und streicht sich durch die Haare. »Ich weiß es nicht. Aber ich habe das Gefühl, dass sie einen endgültigen Schlussstrich braucht und ich wäre nun wirklich der letzte, der ihr den verwehren dürfte, denkst du nicht auch?« Ich kann nur nicken. Mit ihm darüber zu reden ist sehr seltsam, vor allem, weil mich etwas an dem ganzen aufwühlt, dass nicht mit Maries drohendem Auszug zu tun hat. Aber ich kann nicht sagen was und habe irgendwie Angst mich daran zu tasten. Als ich mich das letzte Mal an etwas ran getastet habe, hab ich eine wochenlange Chaosphase in mir ausgelöst, die ich jetzt grade mal so eben verdaut bekommen habe. Da brauche ich nicht direkt das nächste, vor allem, wenn Marie jetzt meine Unterstützung braucht. Irgendwie zumindest. »...okay, dann...dann schreib mir einfach und wir gucken dann weiter, ja? Ansonsten sehen wir uns in drei Tagen, wenn ich meinen Wagen abhole«, sagt Elyas dann, lächelt mich wieder an und geht dann vom Hof. Ich sehe ihm einfach nur nach und seufze dann schwer. »Wer war das denn?« Marks unerwartete Frage von hinten lässt mich zusammenzucken und ich drehe mich um. Sein Gesicht hat sich zu einem Grinsen verzogen und der Ausdruck in seinen Augen gefällt mir ganz und gar nicht. »Das war Mowglis Tierarzt und jetzt schwing deinen Arsch in die Halle, wir haben zu tun.« »Dieser McSexy ist der Tierarzt? Mein lieber Schwan, Gabriel, bei dem wäre ich schon vor Monaten schwach geworden«, teilt Mark mit und ich schlage ihn mit dem Klemmbrett. Sowas will ich nicht hören. Nicht von Mark und vor allem nicht über Elyas. Kapitel 14: .vierzehn --------------------- »Das ist der letzte Karton«, murmelt Mathis und stellt ihn auf die Ladefläche des Sprinters, der vor unserer Haustür steht. Marie lächelt tapfer, aber irgendwie geht es uns allen dreckig. Ich hielt zwar bis zu dem Mittwoch durch, aber der hatte für Marie gute und für Nuri, Mathis, mich und die anderen dafür schlechte Nachrichten. Marie hat mit Bravur bestanden und noch am gleichen Tag per PDF und E-Mail den endgültigen Vertrag unterschrieben und dann ging alles verdammt schnell. Schon am Abend verkündete sie ihren Auszug, was Nuri und Mathis wirklich hart traf und ebenso aus dem Blauen wie mich an dem Sonntag zuvor. Nuri und sie stritten sich deshalb sogar und schwiegen dann für zwei Tage, in denen Marie alles zusammen packte, was ihr gehörte. Dann fuhr sie für drei Tage nach Berlin und kam mit ihrer neuen Adresse zurück, sodass mir plötzlich die Aufgabe bevorstand einen neuen Mitbewohner zu suchen. Ich schrieb zwar Inserate, aber nicht eines davon habe ich irgendwo veröffentlicht. Selbst jetzt nicht. Die Vorstellung Maries Zimmer an irgendwen anders zu vergeben, dreht mir den Magen um und da bin ich nicht der einzige. Seitdem Momo weiß, dass Marie nicht mehr mit ihm zusammen arbeiten wird, ist er fast so still wie bei unserem kennen lernen. Mathis läuft seit Tagen rum, wie ein getretener Hund und Elyas fühlt sich irgendwo schuldig, genauso wie ich. Es ist furchtbar. »Dann...passt auf euch auf, okay? Und sucht einen netten Nachmieter«, murmelt Marie gezwungen fröhlich. Ich nicke nur. Neben mir schnieft Nuri und umarmt Marie dann. »Ich hasse dich immer noch dafür, dass du gehst, aber ich liebe dich, okay? Und du rockst das und wir schreiben und ich geh jetzt hoch, weil ich sonst nicht aufhören kann zu heulen«, rasselt sie krächzend herunter. Marie nickt hektisch und verkneift sich ein Schniefen, bis Nuri im Haus verschwunden ist. So viele Tränen. Ich dreh durch. »Dann...bin ich jetzt dran«, murmelt Mathis, drückt sie und wirbelt sie einmal um sich herum. »Ich wünsch dir alles Gute, okay? Und wehe du schreibst nicht, dann komm ich rüber und trete dir in den Hintern«, droht er schief grinsend. Marie lacht schniefend und nickt, bevor sie zu Momo sieht. Der blinzelt heftig und hält ihr dann mit zittrigen Fingern etwas entgegen. »Pa–Packs’ erst in Berlin aus, ja?«, nuschelt er leise und ächzt, als Marie ihn einfach umarmt. »Pass auf meine Chaoten auf, ok?«, fragt sie heiser und Momo nickt, bevor er sich auf die Unterlippe beißt und dann über die Augen reibt. Himmel, Arsch und Krötendreck. Mathis zieht Momo sacht von ihr weg und dann an sich, aber jetzt steh ich hier und will am liebsten selbst heulen. Wie war das noch mal? Aufhalten wäre egoistisch? »Du brauchs‘ nur ein Wort sagen und es ist weiterhin dein Zimmer«, nuschle ich leise, Marie lacht und schnieft wieder, bevor sie jetzt mich umarmt. Fest. Meine Augen brennen so fürchterlich, ich krieg kaum Luft. »Pass auf dich auf, du treudoofe Socke, ja? Und streichel Mowgli einmal pro Tag für mich und such dir jemanden, der dich nicht ausnutzen will«, flüstert sie mir zu und drückt mir einen Kuss auf die Wange. Ich kann mich nicht erinnern ob sie das schon einmal getan hat, aber es fühlt sich grade sehr endgültig an alles. Ich kann nur nicken und sehe einfach nur zu, wie Marie in den Sprinter steigt, den ihr Bruder für sie fahren wird. Ein Teil ihrer so großen Familie ist schon in Berlin und wird ihr beim hoch schleppen helfen. Ich schlucke noch einmal, aber der Kloß will nicht verschwinden. Das ist doch scheiße. Alles. Hilflose Wut steigt in mir hoch und während der Sprinter die Straße verlässt, stehe ich allein da auf dem Bürgersteig und kann nur zusehen, wie Mathis Momo tröstend an sich drückt und selbst versucht damit klar zu kommen, dass seine beste Freundin ausgezogen ist. Eine Weile stehe ich immer noch nur so da, bevor ich merke, dass es echt kalt geworden ist und weil ich keine Jacke habe, drehe ich mich in Richtung Eingangstür. Das wird so ätzend. ~ Man sollte meinen in der Zeit, in der mich Marie gemieden hat, hätte ich mich dran gewöhnt nicht viel von ihr mit zu kriegen, vor allem, weil mir nicht mal so direkt aufgefallen ist, dass sie mich mied. Doch weit gefehlt. Seit ihrem Auszug sind grade mal drei Tage vergangen und die Wohnung wirkt aber so leer, dass es die ganze Zeit still ist. Mathis vergräbt sich in seiner Arbeit, weshalb Momo nicht mehr rüber kommt und Nuri hat sich noch einen Nebenjob gesucht, weshalb ich quasi mit Mowgli allein bin. Zwar können wir drei die Miete für ein zwei Monate auch allein stemmen, aber eigentlich müsste ich mich um einen Nachfolger kümmern und will es aber nicht. Es ist ein riesen Loch entstanden, wie noch nie zuvor bei einem Auszug. Ich kann mich an manche Bewohner der anderen Zimmer nicht einmal erinnern, weil sie nur so kurz da waren. Ich weiß noch, dass ich damals die Anzeige für das Zimmer gefunden und quasi zu einer WG-Gründung hier einzog. In das andere Zimmer zog ein Mädchen und ein halbes Jahr später zog sie schwanger wieder aus. Dann zog ein anderer ein, der aber noch kürzer blieb und weil der damalige Hauptverantwortliche der Wohnung finanzielle Probleme bekam machten wir aus dem Wohnzimmer auch noch einen Raum zur Vermietung. Die finanziellen Probleme blieben irgendwie trotzdem, weshalb er auszog und ich den Mietvertrag übernehmen musste. Dann zog Mathis ein. Ein Semester später Marie, die einen Dauerkiffer ablöste und Nuri kam als letzte. Und sie waren diejenigen die auch endlich blieben und dem Strom an Leuten, der sich in der Wohnung die Klinke in die Hand gab und mich anfing am Konzept WG zweifeln zu lassen, ein Ende bereitete. Es klingelt und für eine Sekunde hoffe ich irrsinniger Weise, dass es Marie ist. Allerdings bezweifle ich das selbst sofort und als ich die Wohnungstür öffne, werde ich darin bestätigt. Nina und Momo stehen davor. »Hier, ich kann sein Trauergesicht nicht mehr sehen. Lass ihn mit Mowgli schmusen, bitte«, brummt Nina, wartet aber nicht auf meine Antwort sondern schiebt ihren Bruder einfach rein. »Wenn du ihm erlauben würdest sich endlich auch ein Tier anzuschaffen, dann hättest du das Problem nicht«, sage ich leise, muss aber selbst schief grinsen, als Mowgli mit einem maunzen zu Momo kommt und sich auffordernd schnurrend um seine Beine drückt. Momo sieht mich erlaubnisheischend an, aber ich wedele nur mit der Hand, damit er ihn endlich streichelt. Momo geht direkt auf die Knie und knuddelt den mittlerweile wohl ausgewachsenen Kater an sich. Mein Blick geht auf Nina, die schief lächelt und ein lautloses Danke mit ihren Lippen formt. Also macht sie sich auch nur Sorgen. Ich nicke schlicht. »Kommt mit in die Küche«, murmle ich und gehe vor. Draußen ist es schon fast dunkel. Kein Wunder im Herbst. Ich mache uns einen Kakao und setze mich den beiden gegenüber, die sich auf der Bank niedergelassen haben. Mowgli hat sich auf Momos Schoß gefläzt und bietet seinen Bauch dar, den dieser auch brav krault. Er sieht wirklich niedergeschlagen aus. »Soll ich fragen, was dir die Laune verhagelt hat?« Momo zuckt nur leicht mit den Schultern. Ein bisschen kann ich verstehen, dass Nuri immer aufstöhnt, wenn ich das mache. »Sie haben heute die ersten Vorstellungsgespräche gehabt für den Marie-Ersatz«, sagt Nina dann und beäugt den Kakao kritisch. »Ich kann nur keinen Tee kochen, also guck nicht so. Davon ab, meine ich mich zu erinnern, dass ich dir schon einmal einen gemacht habe«, ermahne ich sie, aber Nina nickt nur, ohne einen Schluck aus ihrer Tasse zu nehmen. Ich ignoriere es und gucke Momo wieder an. »Sind die Kandidaten bis jetzt so ätzend?«, frage ich ihn und Momo nickt ohne zu zögern. Es wirkt irgendwie, als wäre mit Marie auch Momos Selbstsicherheit zu sprechen verzogen. Dabei ist er seit August jetzt 22. Das weiß ich so genau, weil er nur zwei Tage nach den Zwillingen Geburtstag hat und sie dieses Jahr unbedingt mit Momo feiern wollten. Mathis hat echt Glück, dass seine Eltern und Geschwister Momo so vergöttern. »Da war eine, die wohl jeden–« Nina unterbricht sich selbst, als es wieder an der Tür klingelt. Verdutzt gehen unsere Blicke in Richtung Tür. Mathis hockt in seinem Zimmer, das weiß ich. Nuri muss noch bis neun arbeiten und sonst erwarte ich niemanden. »Lucas?«, frage ich Nina, während ich mich aufrapple, aber sie schüttelt den Kopf. »Nein, der ist einkaufen und erst los, als wir rüber gekommen sind«, erklärt sie, weshalb ich den Summer drücke und die Tür öffne. Der Hausflur bleibt dunkel, aber ich höre wie jemand rein kommt und mit schnellen Schritten die Treppen nach oben läuft. »Ah, Gabriel pass auf, Mowgli kommt!«, höre ich Nina rufen und reagiere grade schnell genug um zu verhindern, dass er mir durch die Beine schlüpft. Ihn umständlich festhaltend, greife ich um seinen Bauch um ihn hoch zu heben. »Kann man irgendwie helfen?« »E–Elyas!«, krächze ich überrascht und muss zwei Mal nachgreifen um Mowgli fest zu halten, der natürlich nicht stillhalten will um es mir leichter zu machen. Elyas lacht leise und amüsiert, bevor er seine Mitbringsel hochhält. Pizza und ein Six–Pack...fritz-kola? Irgendwie ist das süß. »Ich habe Redebedarf und da Anna und Elisa in den Flitterwochen sind...«, erklärt er andeutend. Ich blinzele und nicke dann, die Tür frei machend. Da die beiden Anfang des Monats geheiratet haben und wegen Elisas Arbeit auf Ferien warten mussten, sind sie jetzt erst in den Urlaub geflogen. Ich kann mich immer noch nur sehr wenig erinnern was alles passiert ist. Ich bin nur wieder am nächsten Vormittag in Elyas‘ Bett aufgewacht und das zum Glück allein, denn etwas anderes hätte ich nicht überlebt. »Oh...du hast ja schon Besuch. Hallo, Momo«, bemerkt Elyas und lächelt dann Nina an, die einfach nur starrt. Irgendwie glaube ich grade, dass sie und Elyas sich zum ersten Mal treffen. »Mowgli hat Besuch«, sage ich und setze Momo meinen Kater wieder auf den Schoß, bevor ich auf Nina deute, »Nina übrigens, Momos kleine Schwester.« »Aha, freut mich. Wollt ihr auch Pizza?« Momo schüttelt den Kopf, Nina nickt. Das kann ja jetzt nur schief gehen. ~ »Ich hätte wirklich besser anrufen sollen, oder?« Ich schüttele brummig den Kopf und lasse mich rücklings auf mein Bett fallen. »Wieso? Du kannst ja nicht ahnen, dass ich vergessen habe mein Handy zu laden«, nuschele ich und gähne. Elyas‘ hatte mir nämlich eine Nachricht geschrieben um zu fragen, aber weil ich nicht geantwortet habe, sein Glück versucht. So wie ich bei ihm, als ich es bei ihm habe liegen lasssen. Dieses Glück führte dazu, dass wir die beiden Pizzen, die er mitgebracht hatte mit Nina und Momo teilen mussten und sogar Mathis noch ein Stück abstauben konnte, als er für eine Pause aus seinem Zimmer gestolpert kam. Daraufhin nahm er Momo nach einer Stärkung mit zurück in seine Höhle und Nina ging rüber, als Lucas vom Einkaufen zurückkam. Ich blieb allein zurück mit Mowgli und Elyas. Nicht dass ich noch nie mit ihm allein gewesen wäre, aber bis auf die Woche, als ich so krank war, war er nicht mehr hier in der Wohnung. Vielleicht mal unten an der Haustür, wenn er mich abgeholt hat, aber sonst nicht. Und als ich krank war, hab ich kaum was mitbekommen. Jetzt bin ich seltsam nervös. »Hat Momo vorhin schon von heute erzählt?« »Seit Marie weg ist redet er wieder kaum. Ich glaube für den Moment kriegen nur Nina und Mathis was aus ihm raus«, brumme ich leise und sehe zur Seite, als meine Matratze sich merklich senkt. Nicht, dass ich etwas dagegen habe, dass er sich setzt, aber irgendwie ist es eigenartig. Vielleicht weil mein Bett nur halb so groß ist wie seines? Was mache ich mir eigentlich für Gedanken? Das ist doch bescheuert. Alle anderen dürfen sich auch auf mein Bett setzen und mich kümmert es nicht. »...ich hoffe das reguliert sich wieder. Mir ist klar, dass wir keine zweite Marie finden werden, aber die Kandidaten heute sind trotzdem keine Alternative«, erklärt er und ich brumme leise. Durch Nina hat Elyas seinen ursprünglichen Redebedarf noch gar nicht stillen können. »Also waren sie wirklich so schlimm!?« »Einer hat Momo angeraunzt, dass er doch bitte die Zähne auseinander bekommen soll, weil es unhöflich wäre nicht wenigstens guten Tag zu sagen. Momo ist nur an ihm vorbei gegangen und war in das Gespräch gar nicht involviert. Aber damit ist er beim Rest der Belegschaft direkt unten durch gewesen. Klar muss Momo in unserem Beruf auch sprechen, aber als mein Vater ihm den Ausbildungsplatz gegeben hat war allen klar, dass er nicht der Gesprächigste sein wird und das war für jeden okay so. Auch für die Patienten. Die Besitzer wissen alle, dass Momo mehr mit den Tieren spricht als mit ihnen und nicht einer hat sich deshalb bei uns beschwert und er kam ja auch immer mehr aus sich raus. Deshalb nimmt ihn jetzt, wo er Maries Weggang erst verdauen muss, auch jeder in Schutz. Mein Vater auch. Er hat ihn nach den Standardfragen direkt wieder weggeschickt«, erzählt er und lehnt sich nach hinten an die Wand. »So wie du mit Momo umgehst, hättest du ihn doch sicherlich auch nicht haben wollen, oder?« »Natürlich nicht, er wirkte irgendwie spießig. Der wäre vernutlich allein mit Momo und mir nicht klar gekommen und Megan hätte dem dann sicherlich die Krone aufgesetzt mit Lucy und Nadine. Bin ich sicher. Die nächste war eigentlich ganz vielversprechend, hat aber vor meinem Vater im Gespräch mit mir geflirtet und deshalb will mein Vater nicht. Denn, auch wenn ich die Finger von den Angestellten lasse will er nicht in einem halben Jahr wieder suchen, weil aufgrund unerwiderter Gefühle noch einmal jemand kündigt. Die nächste war ähnlich gestrickt, wenn auch nicht so offensiv und die letzte hatte sich völlig falsch beworben. Wollte ein Vorstellungsgespräch für eine Ausbildung und hat es sich so versucht zu erschleichen. Fand ich nicht witzig, echt nicht.« Mir das Gehörte einen Moment durch den Kopf gehen lassend, betrachte ich meine Zimmerdecke. Dann geht mein Blick wieder zu ihm. »Dein Vater weiß, warum Marie gekündigt hat?« Elyas seufzt schwer, bevor er nickt. »Sie hat es ihm ganz offen gesagt. Deshalb hat er über die ganzen Absprachen, die vorher getroffen wurden hinweg gesehen und mich gebeten endlich irgendwen dauerhaft an mich zu binden.« Er klingt so resigniert, dass ich leise lachen muss. Und er soll sich binden? Dann hat er doch noch keine Freundin, oder? Ich mein, Marie war es nicht, aber die Nachrichten wurden geschrieben. »Wird wohl nichts mit dem Vorhaben ewiger Junggeselle zu bleiben, was?« »Sag das nicht so gehässig.« Ich muss wieder lachen, weshalb Elyas mich schlecht gelaunt anstiert. Aber die Vorstellung ist einfach witzig. Da Elyas‘ Cousin schon drei Kinder hat, die alle drei in ihrem kindlichen Gemüt schon zugesichert haben auch Tierarzt werden zu wollen, sind Elyas‘ Onkel und sein Vater sehr entspannt, was die Übernahme innerhalb der Familie betrifft. Aber das beseitigt ja nicht das Problem, dass Elyas für die breite Masse attraktiv wirkt. Selbst ich sehe das. Ich hab es ja sogar gesehen, als ich noch mit Sophie zusammen war. »...bist du dir eigentlich sicher, dass du Beziehungsunfähig bist?«, frage ich dann, nachdem ich mich wieder beruhigt habe. Es ist eine ganze Weile still. »Nicht mehr«, sagt er und ich setze mich überrascht auf. »Echt jetzt?«, frage ich und wende mich ihm richtig zu. Er schmunzelt leicht, aber es fehlt der verschmitzte Ausdruck. »Manchmal habe ich auch Tage, an denen ich doch denke es wäre schön jemanden zu haben. Nicht oft, aber grade nach Elisas und Annas Hochzeit irgendwie häufiger. Dabei bin ich mir eigentlich sicher, dass ich in der Beziehung wohl immer noch kalt und desinteressiert wirken würde.« »Wer hat das denn gesagt?« »Im Grunde alle, mit denen ich es versucht habe, seit ich in Deutschland bin. Sogar Elisa«, murmelt er und lässt sich etwas weiter runter rutschen. Ich brumme lang gezogen und lege die Stirn in Falten. »Dabei bist du doch sonst nicht so.« »Elisa meinte mal, dass ich als Freund wesentlich mehr tauge, aufmerksamer und...auf Englisch würde man sagen attentive«, er sieht mich fragend an und ich muss wirklich kramen, weil ich selten englisch spreche. Eigentlich überhaupt erst wieder regelmäßiger, seit Elyas und ich befreundet sind, weil er öfter mal nach Worten sucht. Nach kurzem Grübeln dann fällt es mir aber ein, »Fürsorglich« »Ja, fürsorglich, genau. Jedenfalls gebe ich mir wohl angeblich als Freund mehr Mühe in der Freundschaft, als wenn ich mit jemandem eine Beziehung führe und das ist jedem mit dem ich zusammen war auf den Keks gegangen oder hat zu Eifersucht geführt, weshalb ich dann auch recht schnell hingeworfen habe, wenn es nicht grade der oder die andere gemacht hat. Ich scheine wirklich nicht geeignet dafür zu sein. Und bis jetzt habe ich noch Keinen getroffen, der mir das Gegenteil beweisen konnte.« Also wirklich keine Freundin. Dann hat Momo irgendwas falsch interpretiert. »...hat das mit Summer zu tun?«, frage ich vorsichtig. Elyas blinzelt mich an bevor er schweigt. Ich warte eine Weile, in der Hoffnung, dass er sich dazu äußert, doch es kommt nichts. Bevor ich allerdings ablenken kann, kommt doch eine Reaktion. Er zuckt mit den Schultern. »Zwischendurch war das auch mein Gedanke. Dass ich vielleicht dadurch zu blockiert bin um mich wieder so auf eine Beziehung ein zu lassen. Oder zu ängstlich. Aber ehrlicher Weise muss ich zugeben, dass ich mich seit Summer nicht wieder so heftig in jemanden verliebt habe. So traurig das auch sein mag. Vielleicht habe ich wegen Summer immer irgendwie Abstand gehalten, damit ich nicht noch einmal verletzt werde, das vermutet zumindest Elisa, aber ich kam die ganze Zeit zu gut ohne klar, sodass ich nicht einmal den Wunsch hatte wieder so...tiefe Gefühle für jemanden zu entwickeln. Das löst also nicht wirklich das Problem.« Ich bin wirklich erleichtert, dass diese Sache mit Summer nichts damit zu tun hat. Auch wenn ich ebenfalls vermute, dass sie ihn unbewusst vielleicht etwas hemmt sich wieder richtig zu verlieben. Aber ich bin sicherlich der letzte, der da irgendwelche Reden schwingen sollte, denn diese riesengroßen Gefühle von Verliebtheit hatte ich ja leider auch noch nicht. »Und wenn du dir versuchst den Partner zum Freund zu machen? Dann müsstest du dich doch rein theoretisch selbst irgendwie...überlisten können, oder nicht?« Elyas sieht mich an und wirkt alles andere als überzeugt. Dann seufzt er schwer und lässt sich ganz auf mein Bett rutschen. Es scheint ihn wirklich zu beschäftigen und mir fällt auf, dass wir das erste Mal so Ernst über sein Liebesleben sprechen. Wenn überhaupt war ich ab und zu Gesprächsthema aber meistens haben wir über andere Dinge geredet oder er hat mir Anekdoten aus seinem Arbeitsalltag erzählt, während ich über unmögliche Kunden gelästert habe. »Ich kann mir das nicht so ganz vorstellen. Elisa, Anna und du seid die einzigen mit denen ich lange Zeit verbringen kann ohne mich eingesperrt zu fühlen oder kontrolliert oder bewertet«, murmelt er und reibt sich müde übers Gesicht. Mir wird warm. Dass er sich anscheinend wohl in meiner Gegenwart fühlt freut mich echt. Fast mehr als es vielleicht angebracht wäre. »...du erinnerst mich ein bisschen an Nuri, die liebt ihre Freiheiten auch«, sage ich leise, auch um mich abzulenken. Elyas lacht leise. Aber müde. Er klingt wirklich müde. Irgendwie erschöpft. »Wenn es eine selbst ausgesuchte Verpflichtung ist, dann ist das was anderes, finde ich, als wenn du jemanden hast, der von dir fordert« »...aber wenn du eine Beziehung eingehst, dann ist das doch auch eine selbst ausgesuchte Verpflichtung, oder nicht?« »Nein, wieso sollte es?« »Na dich zwingt doch keiner die Beziehung mit wem auch immer einzugehen. Es steht ja keiner mit einer Knarre vor dir und sagt, du musst jetzt mit mir zusammen sein und machen was ich sage«, überlege ich laut und lächle ihn schief an. Ich will ihm jetzt nicht schmackhaft machen sich in eine Beziehung zu stürzen, aber das Bedürfnis ihm zu helfen kann ich auch nicht unterdrücken. Er wirkt einfach so erschöpft. Als ob er sich seit Tagen vielleicht sogar Wochen schon Gedanken darüber gemacht hat und, ähnlich wie ich vor ein paar Monaten noch, doch zu keiner Antwort kommt. Und wenn ich ihm zu einer Antwort verhelfen kann, dann will ich es wenigstens versuchen. »Nein, das weiß ich auch. Aber ich will selbst bestimmen, was ich gebe und nicht geben, weil jemand anderes es fordert« »Dann brauchst du jemanden, der nicht fordert sondern auch lieber gibt«, sage ich leise und lache kurz, weil ich weiß, dass es nicht ganz so einfach ist so eine Person zu finden. Elyas stockt, nimmt seinen Arm von seinen Augen und sieht mich an. Sein Blick ist so unnachgiebig, dass ich ganz kribblig werde. Habe ich vielleicht etwas Falsches gesagt? »Guck nicht so panisch wie ein Kaninchen, ich tu dir nichts«, sagt er leise und atmet tief durch. »Manchmal bin ich mir aber nicht so sicher«, gebe ich leise zu und betrachte dabei ausgiebig das Muster meiner Bettdecke. »Ach echt?« »Du guckst manchmal so seltsam, dass ich nicht weiß, was dir grade im Kopf rum geht. Du bist eh sehr schwer ein zu schätzen«, gebe ich zu. Elyas lacht leicht und stupst mir in die Seite. »Ich würde dir nie was tun, okay? Also mach dir keine Gedanken darüber«, sagt er nun und diesmal ist da wieder der Schalk, der sonst auch immer mitschwingt. Ich muss grinsen. »Und mach ich mich gut als Elisa–Anna–Ersatz?«, frage ich dann, weshalb er verdutzt blinzelt, bevor er schnaubt. »Du bist kein Ersatz.« »Du hast vorhin noch was anderes gesagt.« »Das meinte ich gar nicht so. Ich wäre auch zu dir gekommen, wenn sie da gewesen wären. Du versuchst mich nicht jedes Mal zu erziehen oder ziehst mir die Ohren lang, wegen irgendwas.« »Ich bin 6 Jahre jünger als du, als ob ich sowas tun würde«, gebe ich zu bedenken, weshalb er wieder lacht und einen Arm um mich legt, zu sich runter zieht und dann rabiat durch die Haare geht. Obwohl es weh tut und ich mich beschwere, lacht er nur und irgendwie werde ich noch viel kribbeliger dadurch. »Vergiss doch mal diese blöden Sachen. Man wird 21 und danach sind es nur noch Zahlen. Wirklich. Ich hab gar keine Lust mich die ganze Zeit wie ein erwachsener Dr. Schäfer zu verhalten. Dr. Schäfer ist mein Vater oder mein Onkel«, meint er leise. Ich brumme nur. Das ist nicht das erste Mal, dass er so etwas sagt. Aber ich fürchte, dass er es noch ein paar Mal wiederholen muss, bis ich wirklich gar nicht mehr daran denke. Jetzt allerdings denke ich hauptsächlich daran, dass er mich noch nicht losgelassen hat und ich deshalb zwangsläufig neben ihm liege. In seinem Arm. Und, dass sich das gut anfühlt. Anders als bei Nuri, aber gut. »Ich will nicht ständig erwachsen sein und mich nur vernünftig verhalten. Das ist langweilig«, erklärt er und hört sich irgendwie schläfrig an. »Elyas?« »Ja?« »Bist du müde?« »Hört man das?« »Total.« »Dann halt mich wach, sonst schlaf ich gleich ein. Der Tag war echt anstrengend. Ich hab das Gefühl alle hassen mich, weil Marie wegen mir weg ist«, murmelt er und klingt dabei verletzt. Ob er deshalb hier ist? Weil ihn Maries Weggang auch runter zieht? Für ihn waren sie Freunde und konnte deshalb ihre Gefühle nicht in dem Maße erwidern, wie sie es sich gewünscht hätte. Mir leicht auf die Unterlippe beißend, hebe ich einen Arm und streiche ihm über den Rücken. Ich bin grade der Einzige, der ihm ein bisschen Beistand geben kann. »Sie hassen dich nicht, wirklich.« »Sicher?« »Ja, dich kann man nicht hassen. Dafür bist du viel zu sympathisch.« »Ich bin sympathisch?«, fragt er belustigt. Ich brumme verlegen und boxe ihm gegen die Brust. So nahe, wie wir grade beieinander liegen, könnte man das fast als kuscheln missverstehen, oder? Ich bin mir nicht sicher. »Ja, bist du. Du kannst gemein sein, aber du bist sympathisch, selbst wenn du als ungebetener Gast auf dem Sessel eines Fremden sitzt und ihm zusiehst, wie er von seiner Mitbewohnerin wieder gesund gepflegt wird«, brumme ich verlegen. Elyas lacht leise. »Marie ist wirklich sehr...überzeugend. Sie wollte mich einfach nicht gehen lassen«, murmelt er. Ich habe das Gefühl, dass er gleich einschläft. »Sie wollte, dass ich dich auch mag, weil sie dachte, dass dann ihre Familie dich auch mögen wird. Deshalb hat sie mich auch nur zu deiner Party mitgezerrt und dann sogar da gelassen. Weil sie weiß, dass ich...Auftauphasen brauche.« Elyas lacht wieder. Streicht er mir grade durchs Haar? Das ist seine Hand in meinen Haaren. Da bin ich mir jetzt aber sicher. »Die brauchst du wirklich. Wie lange hättest du mich noch Dr. Schäfer genannt, wenn ich dich nicht gezwungen hätte Elyas zu sagen?« »...für dich sicherlich zu lange« »Die Mädels haben Recht. Du bist mit deinen ganzen Eigenheiten einfach echt niedlich.« Mir wird heiß und mein Herz klopft wie wild gegen meine Rippen. Bitte? »...Gabriel? Du musst schon mit mir reden, wenn du mich wach halten...möchtest«, murmelt er leise und so schläfrig, dass mir klar ist, dass ich den Mund aufmachen muss. Aber ich bekomme die Zähne grade partout nicht auseinander und so bleibt es still, bis man nur noch Elyas‘ ruhigen und gleichmäßigen Atem hört und ich meinen rasenden Herzschlag. Kapitel 15: .fünfzehn --------------------- »...dir ist klar, dass du verknallt bist, oder?« »Mark! Halt die Klappe! Wir sind hier bei der Arbeit«, zische ich sauer und aufgeregt und immer noch durch den Wind. Mark fängt nämlich an eine Art Antenne dafür zu entwickeln, wenn ich so durch bin und bohrt nach, bis ich sage was Sache ist. Vielleicht sollte ich Nuri mal irgendwie zukommen lassen, dass immer mehr sich ihre selbst zugesprochenen Jobs angeln. Erst gibt Anna mir seelischen Beistand und jetzt versucht Mark mir ins Gewissen zu reden. »Bitte, Gabriel, komm mir nicht so. Weit und breit ist keiner zu sehen, die sind alle noch in Pause«, erwidert er schnippisch und grinst mich dann über seinen Auftrag hinweg an. Zwischendurch bearbeitet er eigene, aber da wir uns im Moment noch einen Stellplatz in der Halle teilen müssen, arbeiten wir trotzdem die meiste Zeit irgendwie zusammen. Leider auch, weil es sonst kaum ein anderer will. Intolerantes Pack. »Also, du hast mit Mr. McSexy geschlafen, ja?« »Er heißt Elyas und nein, nicht mit ihm, bei ihm – also nein, er bei mir. Im Bett. Mit Klamotten an und so«, sage ich leise und versuche meine Verlegenheit davon abzuhalten mein Gesicht gar zu kochen. »...wie unschuldig«, sagt Mark trocken und ich schenke ihm einen bösen Blick. »Entschuldige, so meinte ich das nicht.« »Doch meintest du!« »Ja, doch stimmt. Es tut mir leid. Aber jetzt mal ehrlich. Du bist wirklich verknallt, das siehst du, oder? Nicht, dass ich es nicht verstehen kann, aber...« Ich schlucke schwer und atme tief durch, bevor ich in die Knie gehe und heiser aufstöhne. »Ja, ich hab es gemerkt. Nachdem er gesagt hat ich sei niedlich und alles in mir gefühlt durchgedreht ist, blieb gar kein anderer Rückschluss übrig«, gebe ich heiser zu und starre den Boden der Halle an. Irgendjemand hat hier mal einen Ölfleck nicht weg gemacht, weshalb der noch leicht schimmernde Reste zurück gelassen hat. Mark hockt sich neben mich. »Gabriel? Hey, mach dich nicht fertig deshalb, ja? Ich mein, das müsste doch gut für dich sein, oder? Jetzt sollte es für dich doch möglich sein...du weißt schon.« Ich möchte Mark irgendwie gern eine runter hauen. »Erstens, nur weil ich mir vorstellen kann mit Elyas zu schlafen, heißt es nicht, dass ich es jetzt auch will und zweitens ist es echt scheiße, dass ich ihn so mag, weil er sicherlich jemand besseren als mich finden kann und vermutlich auch braucht. Er ist ein echt körperlicher Mensch, wie soll das denn bitte zwischen uns funktionieren, wenn ich ihn am langen Arm verhungern lasse, weil ich nicht kann oder will, aber er schon, huh?« Mark sieht mich nachdenklich an, bevor er wirklich schwer seufzt. »Okay, das ist wirklich kompliziert. Aber...es ist auch nicht unmöglich, verstehst du? Ich mein...geht probieren nicht über studieren?« »Für probieren ist mir Elyas zu wichtig. Ich will mit ihm nicht rum experimentieren.« »Aber du hast doch erzählt, dass er und diese...wie hieß sie noch...« »Elisa?« »...im Ernst? Elisa und Elyas?« »Mark!« »Sorry, wo war ich? Jedenfalls, dass Elisa und Elyas auch Freunde sind und mal zusammen waren.« »Da waren sie Teenager und Elisa hat festgestellt, dass sie lesbisch ist, das kannst du nicht mit jetzt vergleichen. Nur weil es einmal geklappt hat muss es nicht wieder klappen!« »Aber...es kann auch heißen, dass es wieder klappen kann. Und wer sagt denn, dass du nicht vielleicht doch genau das bist, was Elyas braucht?« ~ Elyas PoV »Ich kann mich nicht entscheiden ob ich stolz auf dich bin oder dich schütteln möchte« Mir entwischt ein leicht verzweifeltes Lachen. »Eli, sei nicht so streng, er ist doch brav gewesen«, höre ich Anna aus der Küche sagen und ich seufze wieder. »Das ist nicht so hilfreich, wie ich gehofft hatte, das wisst ihr schon, oder?« Weil die beiden gestern aus ihren Flitterwochen wieder gekommen sind, ist ihre Wohnung noch leicht chaotisch von Urlaubswäsche, die gewaschen wurde oder noch gewaschen werden muss und Mitbringsel, die sie an Familie und Freunde verteilen möchten. Meines steht auf dem kleinen Wohnzimmertisch. Es ist ein Kaffeebecher mit comichaften, toten Tieren drauf und meinem Namen. Elisas schwarzer Humor in Reinform. »Was erwartest du denn? Sollen wir dich jetzt dazu nötigen Gabriel zu lieben und alles?«, fragt Elisa dann und gähnt. Ihr macht der Zeitunterschied noch etwas zu schaffen, da sie in Amerika waren. Anna wollte schon immer einmal dahin und meine Mutter hat ihnen nun die Möglichkeit dazu mit einem Teil ihrer Familien zur Hochzeit geschenkt. »Nein...ja, nein, nicht direkt.« »Jetzt fehlt nur noch ein vielleicht und wir haben alle Möglichkeiten durch« »Elyas, wir können dir nicht sagen, wie du fühlen sollst. Du musst das selbst herausfinden. Alles was ich dazu zu sagen habe ist, dass du dir nur klar darüber sein musst, dass Gabriel ein anderes Tempo hat als du«, sagt Anna ruhig und hält uns beiden eine Tasse Kaffee entgegen. Draußen ist ein ekliges Wetter, passend zum Herbst mit Regen und Sturmböen. Ich bin froh, dass ich heute frei habe, noch bis zum Wochenende. Im Moment könnte ich mich eh nicht vollkommen auf die Arbeit konzentrieren und das liegt nicht an Marie oder der Suche nach Ersatz. Es liegt wirklich an Gabriel. Dass er mich bei sich hat schlafen lassen war wirklich mehr als zuvorkommend. Nur das ich am nächsten Morgen mit ihm im Arm wach geworden bin, war alles andere als hilfreich für mich. Und dabei war es nicht das erste Mal. Ich bin mir nicht sicher, ob ihm das klar ist oder nicht, aber die anderen Male, als er bei mir geschlafen hat, habe ich nicht extra woanders geschlafen. Ich bin nur jedesmal eher wach geworden als er. Zu meinem Geburtstag und nach der Hochzeitsfeier sogar in meinem Bett. Und Gabriel ist zumindest im Schlaf ebenso anschmiegsam wie sein verflixt niedlicher Kater. Schwer seufzend fahre ich mir wieder übers Gesicht. Denn während ich an meinem Geburtstag diese Art aufzuwachen einfach nur amüsant fand und ihm sogar auf die Nase gebunden hätte, wenn er keinen Filmriss gehabt hätte, war es nach der Hochzeit schon ein, eigentlich ist das ja wirklich angenehm und letzte Woche dann war da ein, das würde ich gern öfter haben. Und genau das habe ich grade gebeichtet. Zusammen mit dem Gedanken, den ich hatte, als Gabriel meinte ich solle mir jemanden suchen, der lieber gibt anstatt zu fordern. Denn dank Maries Gabriel soll Elyas mögen Aktion, weiß ich nur zu gut, dass das auf ihn zu trifft. Nur bin ich mir irgendwie auch sicher, dass er bei diesem Satz sicher nicht an sich selbst gedacht hat. Elisa hat gegrinst und Anna verdutzt geblinzelt. Ich bin seit dem unruhig. Und unschlüssig. Was soll ich tun? Oder besser was will ich tun? »...du überlegst ob du das überhaupt willst, oder? Also eine Beziehung mit Gabriel«, hakt Elisa nach und ich nicke langsam. »Ich will nichts mit ihm ausprobieren, was vielleicht nicht klappen kann«, sage ich leise und kassiere eine Nackenschelle. »Au!« »Das war notwendig. Meine Güte, Gabriel ist vielleicht sensibel und so, aber man kann wunderbar mit ihm reden, hast du selbst noch gesagt. Deshalb rede mit ihm, okay? Alles kann irgendwie in die Hose gehen und alles kann irgendwie doch nicht klappen. Anna und ich haben auch keine Garantie dafür, dass unsere Ehe halten wird nur weil wir uns lieben und ihr seid noch nicht einmal bei dieser Stufe. Aber es gar nicht zu versuchen und sich dann ewig zu fragen was wäre wenn bringt es auch nicht. Echt nicht. Du bist aber für eine ganz normale Freundschaft schon zu weit und ich glaube ehrlich gesagt wirklich, dass ihr beide echt gut zusammen passt.« »Davon ab, du wirst immer zu unserer Familie gehören, Elyas, auch weil du uns zusammen gebracht hast, aber Eli und ich werden irgendwann in naher Zukunft auch Kinder haben und wir können dir trotz offener Arme nicht versprechen, dass du dich nicht irgendwann auch mal allein gelassen oder einsam fühlst. Und du wirst nicht immer so aussehen wie jetzt«, fügt Anna ruhig hinzu, aber lächelt mich sanft an. Ich weiß, dass sie es nicht böse meint, aber es ist wie mit jeder unbequemen Wahrheit. Sie tut irgendwie immer weh. Auch mir. Wieder tief durchatmend nicke ich nur und sehe in meinen Kaffee. Ich hab immer noch keine Milch rein getan, aber im Moment bin ich auch zu beschäftigt damit meine Gedanken zu wälzen. Ich merke, dass Elisa aufsteht, weil die Waschmaschine in der Küche piepst und Anna folgt ihr um sie daran zu erinnern welche Wäsche sie jetzt machen möchte. Ihr Gespräch ist so einfach und häuslich. Ich muss daran denken, dass ich solche Gespräche nicht führen kann, weil ich allein wohne. Allein in diesem riesigen Haus, dass ich nur deshalb immer wieder mit Freunden und Gästen fülle, damit es nicht ständig so leer ist. Mir die Haare raufend stelle ich die Tasse ab und lehne mich zurück, den Kopf in den Nacken fallen lassend. Warum war mir das nie so bewusst? Und warum wird es mir jetzt bewusst? Nur weil ich Gabriel kennen gelernt habe? Jahrelang davor hat es mich nicht gestört, aber jetzt? Ich kann noch nicht einmal sicher behaupten irgendwie verliebt in ihn zu sein. Da ist Zuneigung, ja, das ist mir klar, und das auch nicht wenig. Aber sicherlich nicht so übermäßig, dass man sagen könnte ich sei schwer verliebt. Ich hab es ja auch die ganze Zeit eher für Zuneigung einem Freund gegenüber gehalten, ähnlich wie die Zuneigung für Anna und Elisa. Mir die Haare raufend stehe ich auf. »Danke für den Kaffee, aber ich sollte langsam los. Ich muss noch einkaufen und für heute Nachmittag wurde eine Sturmwarnung raus gegeben«, sage ich und lehne mich in den Türrahmen der Küche. Anna blinzelt mich an und gibt mir eine obligatorische Umarmung zum Abschied. Elisa grinst. »Grüß Gabriel von uns und sag ihm, dass wir auch was für ihn haben«, sagt Elisa feixend. Ich strecke ihr die Zunge raus und gehe dann einfach, Annas »Fahr vorsichtig«, nur mit einem Brummen quittierend. Es ist wirklich nicht einfach, wenn die beste Freundin einen so gut kennt. Weil ich mit meinen Gedanken so beschäftigt bin, merke ich nicht einmal, dass ich mein Mitbringsel auf dem Wohnzimmertisch hab stehen lassen. ~ Gabriel PoV »Woah, Gabriel, ich schwör es dir. Noch ein Seufzen und ich ruf’ ihn selbst an!«, knurrt Mark und ich sehe ihn erschrocken an, bevor ich mein Handy automatisch tiefer in die Hosentasche schiebe. »Du gehst mir wirklich auf den Sack, ehrlich. Ich kann ja verstehen, dass du nicht weißt was du davon halten sollst, aber dann. Ruf. Ihn. An!«, knurrt er und wirft seine Arme in die Luft, als ob er noch nie etwas so unmögliches vor sich hatte wie mich. Ich könnte es mir sogar vorstellen. Ich murmele nur leise etwas in meinen nicht vorhandenen Bart und drehe mich weg. Weil draußen so schlechtes Wetter ist, haben wir im Moment grade nichts zu tun. Allerdings rechnet der Chef in den nächsten Stunden mit Unfallwagen, da die Witterung förmlich darum bettelt. Mir ist es egal, weil ich damit beschäftigt bin, dass Elyas sich kaum meldet. Seit einer Woche. Im Grunde seit er bei mir geschlafen hat und ich weiß nicht warum. Aber ich traue mich auch nicht nach zu haken. Ich habe zwar einmal nach einem Feierabendbier gefragt, aber er schrieb zurück, dass er viel zu tun habe. Hab ich ihm auch geglaubt, aber gestern Abend hat Momo erwähnt, dass Elyas jetzt Urlaub habe bis Sonntag und deshalb eine Pause gemacht werden würde vom Ersatz suchen. Marie und er schreiben sich wohl täglich und seitdem spricht der arme Kerl auch wieder öfter. Mir schreibt sie nicht. Als ob sie ahnen würde, dass zwischen mir und Elyas irgendetwas ist, dass sie nicht erträgt. Und dabei weiß ich nicht mal, was da ist. Ich weiß nur, dass wir es anscheinend beide bemerkt haben, denn sonst würde er mich ja nicht so offenkundig meiden. Und weil ich mir nicht mehr sicher bin, ob Anna und Elisa gestern oder heute oder morgen zurückkommen, kann ich da auch nicht nachhaken. Wenn ich mich nämlich richtig erinnere, dann sind sie grade in der Luft und wenn nicht, schlafen sie. Und in beiden Fällen könnten sie mir nicht antworten. »Mark! Gabriel, wo seid ihr?«, Herr Fechters Stimme dröhnt in die Halle und ich lasse mein Handy, dass ich grade doch wieder aus meiner Hosentasche ziehen wollte, los und drehe mich um. »Gleich kommt der erste Schwung. Ein Totalschaden, der nur für den Gutachter untergebracht werden soll und ein Frontscheibenbruch mit Dellen in der Motorhaube«, erklärt er. Mark und ich nicken. »Gabriel nimmt den Totalschaden«, sagt Mark allerdings sofort und ich seufze leise. Ich weiß warum er das macht, denn man weiß nie ob diese Autos noch wirklich beweglich sind und deshalb kann es passieren, dass man ganz schön ackern muss, bis alles ordnungsgemäß hingestellt ist. Herr Fechter sieht mich einen Moment fragend an, aber ich nicke nachgiebig. Mark hat wirklich was gut bei mir, also werde ich mich darum kümmern. »Gut, dann macht schon mal die Hallen Tore auf, damit die direkt hier rein liefern können und sagt den faulen Säcken im Pausenraum Bescheid, dass sie euch helfen sollen«, brummt er und entfernt sich geschäftig, weil sein Telefon im Büro wieder klingelt. Das dürfte dann wohl unser Sturmbeginn werden. Mark und ich ziehen uns Regenjacken über und öffnen die Hallen Tore, als schon der erste Abschleppwagen anrollt. Weil es Marks Auftrag ist, rufe ich ihm über den Lärm zu, dass ich den anderen eben Bescheid sage und laufe zum Pausenraum, wo eine Handvoll Kollegen sich für mich unverständliche Geschichten erzählen und alles andere als begeistert sind, dass ich ihre verlängerte Pause störe. Allerdings stehen sie nur murrend und schimpfend auf um nun selbst an die Arbeit zu gehen. Kurz zögernd ziehe ich mein Handy raus und überlege, ob ich Elyas nicht doch noch schreibe, aber höre dann jemanden nach mir rufen, weshalb ich das Handy wieder zurück stecke und die Tür wieder aufziehe. »...– da drin gesessen hat, als der LKW drauf ist. Ist das Blut?« Ich atme tief durch, weil ich eigentlich keine Lust habe einen derartigen Unfallwagen betreuen zu müssen, aber eine andere Wahl habe ich auch nicht, weshalb ich mich zu dem silbernen Wrack vor schiebe, dass wirklich heftig zusammengeschoben wurde. Die Front ist völlig zerstört und die Scheibe hat wirklich etwas Blut abbekommen, aber ich hab auch schon schlimmere LKW-Schäden gesehen. Bei dem hier wird der Fahrer sicherlich verletzt sein, aber ich hoffe einfach für alle Beteiligten, dass er nicht tot ist. Da der Wagen aber hier her gebracht wurde und nicht zur Spurensicherung, gehe ich jetzt lieber davon aus. »Geht ihr jetzt mal da weg, ihr sollt eigentlich Mark helfen«, brumme ich, und will mir grade einen Überblick verschaffen, als mir von einem meiner Kollegen das Nummernschild, das abgefallen sein muss, in die Hand gedrückt wird. Ich blinzele irritiert und starre den Wagen wieder an. Ich würge erschrocken und laufe nach hinten zum Heck, das ebenfalls zerstört ist. Doch das Nummernschild ist da noch dran, genauso wie der Sticker, der das Logo und die Adresse der Tierklinik zeigt. Mein Puls rast. »Gabriel?« In meinen Ohren rauscht es und ich starre auf das Blut an der zerstörten Frontscheibe. Und nicht nur da, es ist auch im Fahrgastraum, auf dem Lenkrad. Überall. Das sehe ich jetzt erst. Mir bleibt die Luft weg. »Gabriel! Hey, was ist?« Ich weiß nicht wer es ist, der da meine Aufmerksamkeit versucht zu bekommen und mich dabei sogar schüttelt. Mein Blick ist wie festgeklebt auf dem zerstörten Wagen. Elyas‘ Wagen. Kapitel 16: .sechzehn --------------------- Ich zucke zusammen, als sich eine Hand auf meine Schulter legt und als ich hoch sehe, bin ich völlig irritiert. »Mathis?«, frage ich heiser und bin irgendwie überrascht darüber. Mathis lächelt leicht. »Mark hat angerufen und gesagt, dass du hyperventiliert hättest oder sowas«, erklärt er ruhig und setzt sich in einigem Abstand neben mich. Ich nicke nur und langsam merke ich, dass mir wirklich alles weh tut. An die letzten Minuten kann ich mich nicht einmal mehr erinnern. Mein Blick fliegt zur Uhr und sie zeigt eine Zeit an, die eine Stunde nach meinem Zeitgefühl liegt. Was ist passiert? »Du hast nach Luft geschnappt und bist dann zusammen geklappt. Du hast die anderen ganz schön erschreckt und mich ehrlich gesagt auch. Ich wusste nicht, dass du dazu neigst«, sagt Mark leise und ich bemerke ihn jetzt erst. Er sieht mich ernst an und ich nicke wieder nur. »Und ich dachte, dass du nur bei Prüfungsangst Panik kriegst, was war denn?« Ich sehe Mathis an und plötzlich fällt es mir wieder ein. Meine Augen werden groß und ich schnappe nach Luft. »–as‘ Wagen«, presse ich atemlos hervor. Mathis greift nach meinen Schultern und drückt sie leicht nach hinten. »Ganz ruhig, nicht so schnell atmen. Tief ein und aus und langsam«, sagt er bestimmt und versuche das umzusetzen. Meine Gedanken drehen sich. Elyas hatte einen Unfall. Wo ist er? »Was war denn los, als das passiert ist?« »Er hat den Unfallwagen von einem Totalschaden übernehmen sollen. Da war Blut dran, kannst du kein Blut sehen?« Ich schüttle den Kopf. »...–lyas!«, keuche ich und werde wütend, weil ich immer noch keine Kontrolle über meinen Körper habe. So heftig hatte ich noch nie auch nur irgendetwas in Richtung Panik. »Lyas?« »Elyas!«, krächze ich aufgebracht und schlucke schwer. Aber endlich scheint zumindest Mark zu verstehen. »Das ist Dr. Schäfers Wagen?« Ich nicke nur und mir fällt mein Handy ein. Ich ziehe es aus meiner Hose, aber meine Finger zittern so sehr, dass es runter fällt. »Hey, Gabriel, ganz ruhig, das muss nichts heißen, okay?« Ich möchte Mathis am liebsten den Hals umdrehen, aber hab kaum die Kraft mein Handy wieder auf zu heben. »Kümmer‘ dich um ihn, ich komme gleich wieder. Ich hab eine Idee!«, höre ich Mark ernst sagen und dann ist er aus der Umkleide verschwunden. Ich bin dankbar, dass ich anscheinend allein hier sitze, auch wenn ich nicht weiß wie ich hier gelandet bin und der Gedanke, dass meine ganzen Kollegen es gesehen haben...meine Augenwinkel fangen an zu brennen. Elyas... »Gabriel? Versuch dich zu beruhigen, okay? Ich kann Moritz anrufen, der kann Elyas‘ Vater fragen und dann finden wir raus wo er ist, in Ordnung?«, meint Mathis nun und ich nicke, aber versuche jetzt selbst zu wählen um erst mal Elyas selbst anzurufen. Es wird nichts, weil ich kaum ordentlich wählen kann. Dann geht die Tür wieder auf und Mark kommt zurück. »Er ist in der zentralen Notaufnahme am Marienhospital. Ich hab Alex angerufen, er arbeitet da. Ich weiß nicht wie es ihm geht, das durfte er mir nicht sagen, aber Elyas ist da, okay? Deshalb zieh’ dich jetzt um und dann fährt Mathis dich dahin und dann fragst du nach Alexander Rudiks, er bringt dich zu ihm«, erklärt Mark mir langsam und deutlich. Ich nicke nur. Das ist einfach zu viel. ~ Elyas PoV »Autsch!«, fluche ich leise und bekomme einen Blick von der Ärztin, der mich die Augen verdrehen lässt. Wie auch immer sie die Betäubung gesetzt hat, sie wirkt nicht richtig und deshalb tun die Stiche, die sie setzt um mir die Wunde an der Stirn zu vernähen, echt weh. Ich lasse besser nicht raushängen, dass ich Tierarzt bin, weil wir von Humanmedizinern nicht Ernst genommen werden. Es ist nicht so, dass ich behaupten würde einen Menschen behandeln zu können, aber eine Betäubung richtig setzen und vernähen kann ich auch und Humanärzte üben nicht umsonst erst an Schweinefüßen oder vergleichbaren Tierhautelementen. Ich weiß nicht wieviel Zeit vergangen ist, seit ich eingeliefert wurde, weil mein Handy in meinem nun wohl schrottreifen Auto lag, als ich ausgestiegen bin, und jetzt wohl sicherlich ebenso schrottreif ist. Aber mittlerweile ist klar, dass ich nur eine leichte Gehirnerschütterung und eine Platzwunde an der Stirn habe, von den leichten Prellungen abgesehen. Beim Abbiegen wurde ich nämlich geschnitten und nachdem ich ausstieg um mir den Schaden anzusehen — ebenso wie der, der mich geschnitten hatte und nun anbrüllte, weil er sich im Recht sah — kam plötzlich ein LKW an, der aufgrund der nassen Fahrbahn nicht rechtzeitig zum Stehen kam und meinen treuen Wagen platt fuhr. Im Grunde bin ich froh, dass ich zu diesem Zeitpunkt nicht mehr drin saß. Der LKW-Fahrer auch. Der stand unter Schock, ich angeblich auch und deshalb wurde ich von einem Polizisten dazu genötigt mit einem der angerückten RTWs in ein Krankenhaus zu fahren. Die Platzwunde am Kopf war wohl auch ausschlaggebend. Und hier bin ich seit...gefühlt 10 Stunden. »So, damit...sind sie fertig. Und sie wollen wirklich nach Hause?«, fragt die Ärztin noch einmal und ich nicke. »Ich hab nicht mal wirklich Kopfschmerzen und ich kann Krankenhäuser nicht leiden. Ich hab Familie die sich um mich kümmert«, erkläre ich frei weg und beobachte wie die Dame ein Pflaster auspackt und es auf die genähte Wunde klebt. Sie ist effizient, aber nicht sehr vorsichtig. Ich verkneife mir lieber jeden Kommentar dazu. »Gut, dann beachten Sie bitte, dass sie die nächsten Tage strenge Ruhe halten sollen und wenn noch irgendwelche Schmerzen auftreten, dann kommen sie zurück. Und für die nächsten Tage auch kein Autofahren, keine Arbeit am PC oder generelle Bedienung schwerer Maschinen. Sie kriegen ein paar Schmerztabletten mit und einen Brief für den Hausarzt«, rattert sie gelangweilt runter und krakelt auf meinem Patientenblatt rum. Ich bin nur froh, dass noch keiner weiß, was passiert ist. Mich ganz aufsetzend ziehe ich etwas steif meinen Pulli wieder an, der leider Blut abbekommen hat. Was müssen Kopfwunden auch so bluten? Hoffentlich kriege ich das raus. Vielleicht weiß ja Anna was. »Dann...gute Besserung. Auf Wiedersehen« Ich blinzele sie an und merke zum ersten Mal, wie seltsam es für andere sein muss das von ihrem Arzt oder dem Arzt ihres Tieres zu hören, wenn sie eigentlich hoffen, dass es kein baldiges Wiedersehen gibt. Trotzdem nehme ich die Hand an, schüttele sie und verabschiede mich. Sie geht und lässt mich damit zurück in diesem sterilen, weiß-grauen Raum. Ich hasse Krankenhäuser wirklich. Vielleicht ist unsere Tierklinik deshalb auch so bunt gestaltet? Die Schwester, die noch die letzten Reste der Behandlung weg räumt, sagt mir wo ich die Entlassungspapiere abholen kann und nachdem auch sie gegangen ist, ziehe ich mir langsam die Jacke an. Auch hier drauf ist ein Blutfleck zu sehen und ich will gar nicht wissen wo ich morgen überall blaue Flecken haben werde, aber eigentlich ist das fast das geringste Problem. Denn ohne Handy muss ich jetzt eine Möglichkeit finden zu telefonieren, damit mich jemand abholt und am besten jemand, der nicht in Ohnmacht fällt, weil ich einen Unfall hatte. Und an den ganzen Organisationsquatsch mit den Versicherungen und der Polizei und allem will ich nicht mal denken. Verdammter BMW–Fahrer, ich hatte eindeutig Vorfahrt. Rechts vor links bedeutet auch rechts vor links wenn es regnet. Vielleicht sollte ich mir einen Anwalt nehmen und den alles machen lassen? »...Elyas!?«, die Stimme ist so heiser, dass ich sie erst zuordnen kann, als ich in die Richtung sehe und jetzt selbst erschrocken blinzle. Gabriel steht da. Nass, zerzaust, bleich und zittert wie Espenlaub. Mathis taucht hinter ihm auf und ich will grade fragen, wie die beiden hier her kommen, als Gabriel in die Knie geht. Rein aus Reflex laufe ich zu ihm und knie mich hin. Er weint. Wieso weint er? »Gabriel, hey...was ist?«, frage ich völlig verwirrt, aber er schluchzt leise und schüttelt nur den Kopf, sein Gesicht mit den Händen versteckend. Mein Hals wird eng. Ich hab ihn noch nie weinen sehen. Und ich hätte ihn auch nie weinen sehen wollen. Nicht so. »Dein Wagen wurde zu ihnen in die Werkstatt gebracht, wegen der Gutachterbewertung und so. Er ist völlig zusammengeschoben und kaputt«, erklärt Mathis leise. Oh scheiße. Natürlich. Ich war auf dem Weg in die Werkstatt, weil ich vor dem Einkauf noch mit Gabriel reden wollte. Ich war in der Nähe als mich der Idiot erwischt hat. Die Wahrscheinlichkeit, dass mein Wagen dann da landet um die Straße wieder frei zu machen, war gar nicht so klein. Und mein Handy war im Wagen. »Mir geht’s gut, Gabriel, wirklich. Ich saß gar nicht mehr drin, als der LKW da drauf gekracht ist. Nur ein paar blaue Flecken und Schrammen, echt«, murmle ich leise, bevor ich nicht anders kann und ihn einfach in den Arm nehme und an mich drücke. Er schluchzt wieder leise auf, bevor seine Hände sich bewegen und im nächsten Moment klammert er sich an mich. Elisa hat Recht. Ich kann wirklich ein Arsch sein. Denn ausgerechnet jetzt wird mir klar, dass ich mich wirklich schon längst in Gabriel verliebt habe. Wann ist das passiert? ~ »Schläft er immer noch?« Ich nicke leicht und atme tief durch. Weil der Sturm draußen jetzt wirklich stark geworden ist, habe ich mich überreden lassen mit in die WG zu kommen, auch damit Mathis nicht so weit raus und wieder zurück fahren muss. Gabriels heftige Reaktion auf meinen Unfall hat sich mittlerweile zwar beruhigt, aber trotzdem kann ich sie kaum einordnen. Mein nach Erwiderung lechzendes Herz flüstert, dass es genau daran liegt, während mein Verstand, immer noch im Einzelgänger Modus, mir klar machen will, dass ich froh sein sollte, wenn nicht auch noch er Gefühle für mich entwickelt hat. Anna kommt ganz ins Zimmer, zieht die Decke etwas höher und Gabriel drückt seine Nase noch näher gegen meine Brust. Mathis hatte sie und Elisa angerufen, nachdem wir hier ankamen und auch wenn beide ebenfalls erschrocken und besorgt waren, waren sie um einiges ruhiger in ihrer Reaktion. Zwar konnte Mathis sie nicht davon abbringen vorbei zu kommen, aber selbst dann kümmerten sie sich nur um etwas zu Essen und Elisa bat Mathis sogar zwischendurch an sich seine Arbeit anzusehen. Sie versicherten sich nur, dass es mir gut geht und Elisa scherzte dann sogar, dass ich froh sein könnte die Tasse vergessen zu haben, weil die den LKW sicherlich ebenso wenig überlebt hätte wie mein Auto. Irgendwie war ich froh, dass Gabriel da schon schlief und es gar nicht mehr mitbekommen hat. Ich bin mir eh nicht ganz sicher, was er überhaupt mitbekommen hat vom Rückweg. Erst hier oben hat er gemurmelt, dass ich mich ausruhen müsste und mir sein Bett fast aufgedrängt. Ich hab nachgegeben, damit er sich auch ausruht. »Momo ist grade von der Arbeit gekommen. Er hat deinem Vater Bescheid gesagt und der lässt ausrichten, dass du dich auskurieren sollst und wir dich notfalls ans Bett fesseln sollen, wenn du nicht liegen bleiben willst. Er ruft morgen im Laufe des Tages mal an, hat er gesagt. Und auf einigen Straßen liegen wohl Äste und so, deshalb schlafen wir heute Nacht auch hier. In dem leeren Zimmer, nebenan. Ist ja groß genug«, erklärt sie leise und ich nicke wieder nur. »Dir geht es gut?«, fragt sie dann und ich sehe auf, wieder nickend. »Mir ja, aber Gabriel...« Anna nickt nur und steckt die Decke leicht an seinem Rücken fest. Für einen Moment kommt die Erinnerung wieder hoch wie Marie das bei ihm gemacht hatte, als er krank war. »Mathis hat erzählt, dass er von Gabriels Arbeitskollegen angerufen wurde. Als er gemerkt hat, dass das dein Wagen ist, hat er hyperventiliert und ist zusammen geklappt. Er wusste nicht, dass du nicht mehr drin gesessen hast. Er wusste nur, dass es dein Wagen ist und ein LKW den so zugerichtet hat. Sein Arbeitskollege, Mark, hat dann über die Unfallstelle die nächstgelegene Notaufnahme raus gefunden und Glück gehabt, weil ein Freund da wohl arbeitet. Der durfte natürlich nicht sagen was du hast, aber hat bestätigt, dass du da bist und dann ist Mathis mit Gabriel ins Krankenhaus, wo sie nur die Zimmernummer bekommen haben. Er wusste die ganze Zeit nicht, wie es dir geht und an dein Handy geht direkt die Mailbox«, erklärt sie leise und so vorsichtig, als sei sie sich nicht sicher ob sie es überhaupt erzählen darf. Ich schlucke schwer. Seine Reaktion ist wirklich um einiges nachvollziehbarer, aber auch als er gesehen hat, dass es mir gut geht, hat er nicht losgelassen. Nicht einen Zentimeter mehr als notwendig. »Anna? Wie darf ich das verstehen? Wie wichtig bin ich ihm, wenn er so reagiert? Du kennst ihn doch mit am besten«, frage ich dann heiser. Anna lächelt leicht und streicht Gabriel über den Kopf, bevor sie wieder aufsteht. »Das solltest du ihn besser selbst fragen, aber eigentlich weißt du doch schon, wie du das verstehen möchtest, nicht wahr?« Anna ist fast so schlimm wie Elisa. Ich brumme leise bevor ich schwer seufze. Ich weiß wie ich das verstehen will. Ich weiß nur nicht ob ich das auch so verstehen kann. »Schlaf auch etwas. Du sollst dich eh ausruhen und wir sind ja da, falls was ist«, sagt sie leise, löscht das Licht und schließt die Tür bis auf einen kleinen Spalt. Es ist eigenartig die leisen Geräusche der anderen zu hören, während ich jetzt versuche einzuschlafen, weil es bei mir immer still ist. Ich kann hören, wie Elisa fragt wie es aussieht und was Anna antwortet, worauf Momo seine Erleichterung zum Ausdruck bringt. Mathis erwähnt, dass er Nuri schon Bescheid gegeben hätte und sie aber nicht von der Arbeit weg kann, weil die Feuerwehr die Straße gesperrt habe. Draußen weht der Wind wirklich lautstark ums Haus und man kann das Rauschen und Trommeln des Regens hören, der an die Scheiben klopft. Sonst war ich immer genervt von den Stürmen in Hamburg, die manchmal sogar die halbe Stadt lahm legten. Doch jetzt grade verstehe ich zum ersten Mal, was Elisa meinte, als sie versucht hat mir die positive Seite eines Sturms zu erklären. Wenn man einen Sturm mit den richtigen Leuten verbringt, dann fühlt man sich zu Hause. Und oh mein Gott bin ich froh, dass grade keiner wach oder hier im Zimmer ist um zu merken wie kitschig meine Gedanken eigentlich sind. ~ Gabriel PoV Ich werde davon wach, dass jemand leise keucht, doch bevor ich mich orientieren kann habe ich meinen Kater auf meinem Gesicht stehen. Ich bin so müde, dass ich grade keine Geduld für Mowglis Launen habe, wirklich nicht. Aber plötzlich ist sein Gewicht weg. Es gibt ein leises, dumpfes Geräusch neben dem Bett, ein empörtes Maunzen und dann quietscht meine Tür kurz. »Er hat echt eine Vorliebe für dein Gesicht, oder?«, höre ich Elyas verschlafen fragen, bevor er mich wieder an sich zieht und tief durchatmet. Für eine Sekunde bin ich verwirrt. Dann fällt mir alles wieder ein und mir wird schlecht. »D-Der Unfall!« »Mir geht es gut, Gabriel. Nur ein paar kleine Prellungen, eine Kopfwunde und eine leichte Gehirnerschütterung«, murmelt er müde. Ich atme tief durch. Mir kommt es so vor, als ob ich das schon einmal gehört habe. Aufgrund der Uhrzeit, die mir entgegen leuchtet, als ich den Kopf zu meinem Wecker drehe, halte ich das für durchaus möglich. Es ist nämlich mitten in der Nacht. Als Alex Mathis und mir nur eine Zimmernummer genannt hat, weil er nur das darf, habe ich Elyas schon an Kabeln, Schläuchen und Geräten im Koma liegen sehen. Als er dann da auf dem Flur stand und einfach genervt auf einen Blutfleck auf seiner Jacke gestarrt hat...die gleiche Erleichterung durchflutet mich jetzt auch wieder und meine Augenwinkel fangen an zu brennen. »Mir geht es wirklich gut, okay? Tut nur hier und da was weh, aber das geht wieder weg. Glaubst du mir das?« Weil ich einen so großen Kloß im Hals habe, nicke ich nur und drücke meine Nase gegen seine Schulter. Mir ist grade völlig egal, wieso wir in meinem Bett liegen und warum er hier ist. Meine Erinnerungen sind unglaublich schwammig und durcheinander. Ich bin einfach nur froh, dass er hier ist. »...gibt es einen Grund, warum du so Panik bekommen hast?«, fragt er leise und ich nicke wieder. Ich könnte mir jetzt was aus den Fingern saugen und Ruth ins Spiel bringen und vielleicht spielt diese Schockerfahrung von damals auch rein, weil wir tagelang fürchten mussten, dass Ruth ihren Unfall vielleicht nicht überlebt, aber eigentlich hatte ich nur Angst, dass Elyas stirbt oder sogar schon tot ist. Ich habe nicht eine Sekunde an Ruth oder irgendjemand anderen gedacht. In meinem Kopf war nur Elyas. »Sagst du es mir?«, fragt er leise und ich spüre, dass er mir über den Kopf streicht. Noch sanfter als letzte Woche. Oh verdammt, das ist jetzt echt der unpassendste Zeitpunkt um eine Gänsehaut zu bekommen, wirklich. Wie kann man so schnell von völlig durch den Wind und eigentlich auch verzweifelt zu, bitte lass mich nicht mehr los, damit ich weiter in diesem Strom an Wohlgefühl und Glück vor mich hin treiben kann , verkommen? Ich bin doch bescheuert. Ein fieses Stimmchen, das eine erschreckende Ähnlichkeit zu Nuris Stimmfarbe hat, flüstert mir zu, dass ich einfach nur total verliebt bin und sowas dann normal ist. Irgendwie ist das sehr peinlich. »...du musst nicht, wenn du nicht willst. Ich will es nur...verstehen«, höre ich Elyas leise neben meinem Ohr murmeln und mir wird heiß. Sind das diese ganzen Gefühle, die in einem hoch kommen sollten, wenn man eine Beziehung führt? Dieses Kribbeln und diese Nervosität? Bis jetzt hatte ich immer nur eine mehr oder weniger starke Art von Zuneigung, mit der Hoffnung auf mehr. Eine angenehme Wärme, wenn ich mich wohl gefühlt habe, aber nicht dieses überwältigende Bedürfnis unbedingt weiter diese Nähe zu spüren. Oh, wieso ist das so aufregend? »Gabriel? Schläfst du wieder?« Um endlich mal zu reagieren, schüttele ich den Kopf und höre, dass Elyas aufatmet. Ich sollte mich später mit meinen Gedanken beschäftigen und nicht grade wenn jemand mit mir reden möchte. Ich räuspere mich leicht und atme tief durch. »Ich...kann das schlecht erklären«, sage ich dann leise. Wie soll ich das auch erklären? Es gibt eine Erklärung und die ist sogar recht einfach dafür, dass sie alles kompliziert machen wird. Elyas brummt leise, atmet tief durch, stockt dann und zieht leise zischend Luft durch seine Zähne. Ich taste erschrocken nach dem Knopf meiner Nachttischlampe. »Nicht, schon gut«, nuschelt er etwas angestrengt, aber hält meine Hand fest. Dieses auf und ab bekommt mir wirklich nicht gut. Ich schlucke schwer und suche in der Dunkelheit seinen Blick. Ich glaube zu sehen, dass er lächelt. »Der Gurt hat nur einen guten Job gemacht. Ich darf nicht zu tief durchatmen«, erklärt er leise und ich gebe nach, lasse meine Hand runter auf die Decke ziehen und nicke leicht. »Du hättest vielleicht da bleiben sollen«, sage ich leise. Es wäre vernünftig gewesen, egal wie gut es grade tut, dass er hier direkt neben mir liegt. »Ich kann Krankenhäuser nicht leiden und ich bin lieber hier als da«, erklärt er ruhig. Nun klingt er sehr überzeugt. Ich muss schmunzeln. »Ach echt?« »Ja, echt. Du bist doch hier« Mein Herz hüpft. Ich schlucke schwer. Mir wird heiß. »Elyas? Ich muss dir was sagen...«, krächze ich heiser und während irgendwas in mir drängt, es aus zusprechen halte, ich es gleichzeitig für absolut dämlich. »Was?«, fragt er leise. Ich hebe den Blick, beiße mir auf die Unterlippe und setze an es wirklich zu sagen, aber mein Mut verpufft mit einem Wimpernschlag. Wie können Menschen bitte gern verliebt sein, wenn es so anstrengend ist? »Ehm...«, kommt mir über die Lippen und Elyas lacht. Mir läuft ein Schauer über den Rücken. Krötendreck. Ich bin 27, da müsste ich doch in der Lage sein zu sagen, was ich möchte. »Gabriel?« »...J-Ja?« »Ich muss dir auch noch was sagen.« Ich setze zu einem »Was« an, aber dieses Wort verkümmert zu einem undeutbaren Geräusch, weil sich etwas gegen meinen Mund drückt. Weil er seinen Mund gegen meinen drückt. Weil Elyas mich küsst. Kapitel 17: .siebzehn --------------------- »Gabriel?« »...J-Ja?« »Ich muss dir auch noch was sagen.« Ich setze zu einem »Was« an, aber dieses Wort verkümmert zu einem undeutbaren Geräusch, weil sich etwas gegen meinen Mund drückt. Weil er seinen Mund gegen meinen drückt. Weil Elyas mich küsst. Elyas PoV Eigentlich kann ich nicht wissen, was er mir sagen möchte, aber ich möchte glauben, dass er mir von Gefühlen erzählen will, die ich auch habe. Aber solche Gespräche habe ich, wie ich zu meiner Schande gestehen muss, noch nie geführt. Nicht so vorsichtig. Ich kann nicht sagen, woher die Nervosität kommt, aber sie ist da und sorgt dafür, dass ich alles auf eine Karte setze. Diesmal kann ich mich nicht raus reden. Diesmal ist der Kontext ein ganz anderer. Und diesmal erwidert Gabriel. Zögerlich, tastend und dann voller Hingabe. For Gods Sake, ist das gut. So verdammt gut. Ich löse meine Hand von seiner, schiebe sie über seinen Rücken und drücke ihn noch mehr zu mir. Dunkel merke ich, dass die ein oder andere Prellung protestiert, aber es ist mir so sensationell egal. Gabriel seufzt in den Kuss, schmiegt sich an mich und ich muss grinsen, unpassender Weise. Wie kann man nur so niedlich sein? So verflucht und entzückend niedlich? Ich merke, dass er leicht irritiert ist und sich zurückziehen will, weshalb ich ihm sacht über die Wange streiche. »Alles gut«, flüstere ich heiser in den Kuss, spüre wie er erschauert und bin mir sicher, ich kann das nicht alles falsch verstehen. Da ist wirklich etwas zwischen uns. Etwas Großes. Etwas, dass ich seit Summer nicht mehr haben wollte, mir zu groß war und vielleicht auch Angst gemacht hat, aber mit Gabriel sieht es ganz anders aus. Mit Gabriel will ich diese große Sache. Diesen ganzen...Kitsch. Ich muss lachen. Diese Situation ist so seltsam für mich, dass ich nicht anders kann und Gabriel sich völlig irritiert jetzt doch löst. »Wa-Was? Ha-Hab ich was falsch gemacht?«, fragt er und klingt panisch. Ich schüttele immer noch leise lachend den Kopf und drücke ihm noch einen Kuss auf die Lippen. »Nein, du bist toll«, flüstere ich leise und drücke ihn an mich. Ich bin zu Romantik wirklich nicht fähig. »Sicher?«, brummelt es gegen meine Schulter und ich nicke, ihm sanft über den Kopf streichend. Seine Haare sind fast so weich wie Mowglis Fell. »Meine Gedanken spucken nur Dinge aus, die ich von mir nicht kenne und ich halte mich grade selbst für leicht bekloppt«, erkläre ich und senke dann den Blick um ihn anzusehen. Das Licht von der Straße reicht um Schemen und Farbrichtungen zu erkennen und deshalb kann ich sehen, dass er rot geworden ist. Er schielt ganz verlegen zu mir und ich muss ihn noch einmal küssen. Er ächzt überrascht, ich muss wieder schmunzeln. Ob er sich dazu durchringt zu fragen? Vermutlich muss ich es von selbst ausformulieren. »Also...ich weiß nicht was du mir sagen willst oder wolltest, aber ich möchte dir sagen, dass du mir ganz schön den Kopf verdreht hast.« Er starrt mich an. Einfach nur das, blinzelt nicht einmal. Ich brauche kein Licht um zu sehen, dass seine Augen groß geworden sind und sein Mund offen steht. Abwartend lecke ich mir über die Lippen und überlege, was ich machen soll, als er hörbar schluckt und sich so plötzlich an mich klammert, dass ich erschrocken keuche. Ein bisschen tut es weh, aber er lässt etwas lockerer, auch wenn er sein Gesicht gegen meine Schulter drückt. Ich muss schon wieder lächeln. Meine Arme wieder um ihn legend lehne ich mein Kinn gegen seine Schläfe und streiche sacht mit den Fingern über seinen Rücken. Und schon wieder kommt mir der unerträglich kitschige Gedanke, dass das einfach perfekt ist. Dass es so sein muss. Ich bin wirklich nicht mehr zu retten. ~ Ich höre Stimmen. Sie werden immer präsenter und ich dadurch wach. Mir entwischt ein stöhnen, weil mir alles weh tut, als ich mich bewege. Dann höre ich ein Lachen und es ist so gehässig, dass es nur Elisa gehören kann. Ich bin überzeugtes Einzelkind, aber wenn ich ein Geschwisterkind haben würde, wäre es sicherlich so wie Elisa. So wie sie mit mir umgeht und ich mit ihr...vermutlich gehen wir deshalb so miteinander um, weil wir in unserem Freundeskreis die einzigen Einzelkinder sind. »Alles okay?«, fragt Gabriel besorgt und ich verkneife mir ein Grinsen um ihn nicht zu verwirren. Mit einem Nicken reibe ich mir über die Augen und öffne sie dann noch mal. Es ist das erste Mal, dass ich nach Gabriel wach werde, aber so zerzaust und verschlafen, wie er mich ansieht, kann er noch nicht lang wach sein. »Mhmm«, brumme ich nur und drehe mich trotz protestierender Muskeln auf die Seite. Meine Arme wandern ganz von allein um Gabriels Hüfte, der sich aus irgendeinem Grund aufgesetzt hat, und ich drücke mein Gesicht ins Kissen. So gerädert wie ich mich fühle, will ich wirklich nicht aufstehen. Ich merke, dass er sich etwas versteift und würde schwören, dass er verlegen rot anläuft, aber trotzdem will ich nicht loslassen. »So, hier hab ich einen Kaffee und du willst wirklich nichts essen? Du hast gestern schon nichts gegessen«, höre ich Anna sagen und rieche den Kaffee, den sie wohl anscheinend für Gabriel geholt hat. »D-Danke, nein«, krächzt er und ich muss doch grinsen. Irgendwann gestern müssen wir beide eingeschlafen sein. Er hat nach meiner Beichte nichts mehr gesagt, sich einfach nur weiter an mich geklammert, aber das ist nicht schlimm. Ich bin mir sicher jetzt alles zu wissen, was ich wissen muss. »Und was haben wir jetzt spannendes verpasst?«, höre ich Elisa fragen. Ich knurre ungehalten und drehe den Kopf um sie anzusehen. Sie hat ein T-Shirt an, dass ganz klar nicht ihres ist – vermutlich von Mathis, so groß wie das ist – sitzt in Gabriels Sessel und zieht Anna gerade auf ihren Schoß, die neben einem Shirt wenigstens noch Shorts anhat. »Nichts, dass du nicht früh genug noch erfährst. Was macht ihr eigentlich noch hier?«, frage ich ungehalten und unter leichter Anstrengung setze ich mich auch langsam auf. Ich habe das Bedürfnis nach einer heißen Dusche. »Entschuldige, mein bester Freund hatte gestern einen Autounfall. Ich habe mir Sorgen gemacht«, brummt Elisa und sieht mich strafend an. Ich gucke stur zurück. »Ihr seid doch in euren Flitterwochen, also flittert, aber bitte nicht hier. Ich brauche nämlich Ruhe.« Elisa lacht wieder, diesmal nicht ernst gemeint. Ich will grade etwas sagen, als Gabriel sich zu Wort meldet. »K–Könntet ihr vielleicht Mowgli was zu fressen geben, ich glaube er hatte noch nichts und eh...also...i–ich müsste da noch...«, murmelt er heiser und starrt hoch interessiert in seine Kaffeetasse, als ob dort all die Geheimnisse offenbart würden, die er schon immer wissen wollte. Ich kenne ihn zumindest schon gut genug um zu wissen, dass er das macht, wenn er etwas will und sich nicht sicher ist, ob er es haben darf. Ich möchte ihn grade ganz dringend küssen. »Eli? Komm, dann können wir Mittagessen kochen, okay? Momo sagte, dass er heute nur kurz arbeiten muss«, klinkt Anna sich vermittelnd ein, schenkt mir ein Lächeln und zieht ihre Frau mit aus dem Zimmer, schließt sogar die Tür. Ich grinse leicht, lehne mich vorsichtig gegen Gabriel und fahre ihm durch die verstrubbelten Haare. Seine Wangen werden rot und ich sehe, dass er schluckt. »Soll ich fragen, was du sagen möchtest oder warten?«, frage ich leise. Er schielt zu mir rüber, atmet tief durch und...hält mir seine Tasse Kaffee entgegen. »Ich bin mir sicher, dass du das nicht primär wolltest, aber ich warte jetzt einfach«, sage ich schlicht, aber lächle sanft, bevor ich das Angebot annehme. Der Kaffee ist interessanterweise mit Milch und auch wenn es keine heiße Dusche ist, ist es ein Anfang. Mich vorsichtig gegen das Kopfende lehnend, atme ich so tief wie möglich durch und nehme einen vorsichtigen Schluck. Im Kaffee ist Zucker. Normalerweise trinke ich ihn ohne, aber es wird mich nicht umbringen und ich werde nicht ausgerechnet jetzt den Fehler machen Anna nach einem Neuen zu fragen, wenn sie Elisa grade aus dem Zimmer bekommen hat. Mein Blick wandert vom Kaffee durchs Zimmer. Auf der Uhr an der Wand sehe ich die Uhrzeit, die verrät, dass es wirklich schon nach Mittag ist und Gabriel anscheinend die Arbeit schwänzt. Nicht das ich mich beschweren würde, aber ein kleines bisschen bin ich doch überrascht, weil er sonst eher zu gewissenhaft und pflichtbewusst ist, um so etwas zu machen. Und ich bin mir fast sicher, dass ich gestern nicht der einzige mit einem Unfall war. »...gestern...a-also auf der Arbeit, als ich deinen Wagen erkannt hab, da...ehm...hab ich sowas wie...eine Panikattacke bekommen, weil ich dachte, dass du...« Weil Gabriel halbwegs aufrecht da sitzt und ich zurück gelehnt bin, kann ich nicht sehen was für einen Gesichtsausdruck er hat, aber er knibbelt angestrengt an dem Bezug seiner Decke und seine Schultern sind leicht hoch gezogen. Am liebsten würde ich ihm das ja erleichtern, sagen, dass ich das schon weiß, aber ich bin mir nicht sicher, ob er nicht noch etwas erklären will, dass ich nicht weiß.Deshalb lasse ich es und warte schweigend. »Und im Krankenhaus war ich extrem erleichtert. Die haben mir alle nicht gesagt, was passiert ist, auch weil sie es selbst nicht wussten und ans Handy ging nur die Mailbox, nachdem ich endlich mal geschafft habe die Nummer zu wählen. Ich hab die ganze Zeit gedacht, dass du nicht mehr da wärst und...«, er hebt den Kopf und sieht mich an. Seine Unterlippe wird ganz schön von seinen Zähnen malträtiert und er guckt wieder so aufgewühlt wie kurz nach der Trennung mit dieser Sophie, die ihn so verwirrt und durcheinander gebracht hatte. Ich atme tief durch, stelle die Kaffeetasse zur Seite und lehne mich zu ihm vor. »Ich bin aber noch da, genau hier«, flüstere ich ihm leise zu und gebe ihm einen sachten Kuss auf die Lippen, bevor ich meine Stirn an seine lehne, »Und wenn es für dich okay ist, dann werde ich auch nicht so schnell gehen.« Er lacht leise, heiser und lächelt, bevor er nickt, tief durchatmet und mich dann küsst. Ich bin begeistert. Bis jetzt hat er eher auf mich reagiert, aber selbst reagieren zu müssen hat etwas sehr reizvolles. Und den Reiz koste ich erst einmal eine Weile aus. Zumindest so lang, bis sich meine Rippenprellung vom Gurt wieder meldet. Den Kuss ungewollt trennend, halte ich für einen Moment die Luft an, bevor ich sie gepresst entlasse und mir dabei gegen die Rippen drücke um dem Schmerzimpuls entgegen zu wirken. »Wirklich alles in Ordnung?« Ich nicke leicht, Gabriel seufzt. »Leg dich hin, ja? Du brauchst wirklich Erholung«, sagt er nun wesentlich entschiedener, aber ich gebe nach und lasse mich zurück sinken. Er sieht mich recht zufrieden an, bevor er sich neben mich legt, was mich zufriedenstellt. Einigermaßen. »Achso, und...wegen gestern Nacht«, murmelt er dann aber und ich blinzle verdutzt. Er war noch gar nicht fertig? Es ist eine Weile still, was nun doch ganz schön an meiner Geduld zerrt, aber dann sieht er mich an. »Ich bin auch ganz schön verliebt in dich, also...nur das du es weißt!« Ich muss ihn wieder küssen. ~ Es klingelt an der Tür, weshalb ich Mowgli festhalte, da er grade auf meinem Schoß hockt. Gabriel hat schon erwähnt, dass er anfängt Besucher begrüßen zu wollen um dabei abzuhauen. Der Kater findet das zwar nicht so witzig, aber ein bisschen kraulen und streicheln lenkt ihn zumindest lang genug ab, bis die Wohnungstür wieder zu ist. Da ich endlich aus dem Bett gelassen wurde um etwas zu essen, sitze ich mit Anna und Momo in der Küche. Elisa ist unterwegs um ein paar Sachen für mich zu besorgen und ich vermute stark, dass die beiden ebenso wie ich auch noch einmal die Nacht hier verbringen werden. Zwar müssen sie morgen wieder arbeiten, aber angeblich ist die Distanz zum Arbeitsplatz von hier aus die gleiche wie von ihrer Wohnung. Wer’s glaubt... Gabriel kommt zurück in die Küche in Begleitung eines jungen Mannes, den ich noch nicht kenne. Da ich zwischendurch wirklich noch einmal eine Weile geschlafen habe, wusste ich nicht, dass sie Besuch erwarten, allerdings bin ich streng genommen auch nur zu Gast. »Leute, das ist Mark, mein Arbeitskollege. Mark, das sind Anna und Momo und Elyas kennst du ja vom Sehen«, murmelt Gabriel und wird aus irgendeinem Grund verlegen, während dieser Mark breit grinst. Irgendetwas stört mich an ihm. »Na ja, sehen...er hat mich wohl noch nicht gesehen, aber freut mich Sie endlich einmal richtig kennen zu lernen und gut, dass Ihnen nichts Ernstes passiert ist«, erklärt er und hält mir etwas entgegen. Erst glaube ich, dass er mir die Hand schütteln will, worauf ich grade akut wenig Lust habe. Dann erkenne ich mein Handy und blinzele verdutzt. »Gabriel hat geschrieben, dass es noch im Auto liegt. Keine Ahnung ob es funktioniert, aber zumindest das Display ist hin«, erklärt er. Ich brumme nur und nehme es an. Sieht wirklich sehr zerstört aus, aber so habe ich wenigstens mit etwas Glück meine SIM und die SD Karte um die Daten zu retten. »Das ist ja wirklich nett. Freut mich dich auch endlich einmal kennen zu lernen. Gabriel hat viel von dir erzählt. Setz dich doch, möchtest du etwas essen? Wir haben noch etwas vom Mittagessen übrig«, meint Anna gut gelaunt und jetzt fühle ich mich noch mehr gestört. Mark blinzelt verdutzt und grinst dann wieder, irgendwie unverschämt. Ich kann beim besten Willen nicht sagen was, aber da ist etwas, dass bei mir für Antipathie sorgt. Und es ist nicht das objektiv betrachtet gute Aussehen dieses Kerls. Gabriel ist dafür nahezu unempfänglich, dass weiß ich mittlerweile selbst. Denn während andere bei einem tiefen Ausschnitt oder engen Hosen gerne Mal Stielaugen bekommen, entgeht ihm das völlig. Er wird nur mal verlegen, wenn jemand der Situation unangemessen gekleidet ist, wie eine Art entzückendes fremdschämen. »Also ich komme direkt von der Arbeit, deshalb sage ich sicherlich nicht nein, aber viel erzählt? Etwa auch von...du weißt schon!?«, fragt er dann und guckt Gabriel an, der rote Ohren bekommen hat und hoch interessiert aus dem Fenster starrt. Anna lacht. »Ja, davon auch«, teilt sie mit und tut ihm eine großzügige Portion Gemüsesuppe auf. Mein Blick geht wieder zu Gabriel, der immer noch wie angewurzelt mitten in der Küche steht. Allein wegen seines Verhaltens ist mir klar, dass ich etwas nicht weiß, dass mir nicht schmecken würde und deshalb stört mich dieser Arbeitskollege noch mehr. Das ist das erste Mal, dass ich so schnell anfange eine Abneigung gegen jemanden zu entwickeln, den ich eigentlich nicht kenne und der kein Tier schlecht behandelt hat. »Gabriel, setz dich«, sage ich brummig und winke ihn zu mir, er blinzelt und setzt sich dann stumm neben mich. Ich bin mir nicht einig darüber, ob ich wissen will warum er so extrem angespannt ist. »Und das ist der Kater? Ganz schön groß geworden«, kommentiert Mark und hält seine Hand in die Richtung des Katers. Allerdings scheint er nicht geduscht zu haben nach der Arbeit, denn Mowgli holt aus und wischt ihm eine. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. »Ah, Mark, entschuldige, er mag den Öl Geruch nicht, alles okay?«, fragt Gabriel besorgt und mir vergeht das Grinsen wieder. »Ja, passt schon«, brummelt er und ich atme beherrscht durch. Anna stellt den erwärmten Teller Suppe vor Mark hin und greift nach der Hand, »Ich hol eben etwas Desinfektionsmittel, okay?« »Das ist nicht nötig, wirklich. Es ist nur ein Kratzer.« »Kratzer von Katzen können sich leicht entzünden. Es ist nicht so schlimm wie ein Biss aber trotzdem, Anna warte, ich gehe«, wirft Gabriel ein und ist aus der Küche, bevor Anna auch nur Einspruch einlegen kann. Ich schnaufe angestrengt. Mark grinst und lehnt sich dann zu mir. »Ich kann den eifersüchtigen Blick verstehen, aber mehr als den einen Abend habe ich von Gabriel nie bekommen, nur so zur Info«, murmelt er amüsiert und greift nach dem Löffel, den Anna ihm mit dem Teller auf den Tisch gelegt hatte. Oh, und wie ich diesen Jungen nicht leiden kann und dafür muss ich nicht einmal wissen, von welcher Art Abend er spricht. Anna kichert leise und sehr amüsiert, was mich in meiner Antipathie nur noch mehr bestärkt. Hoffentlich geht er bald wieder und am besten bevor Elisa wieder kommt, denn sonst kann ich meine Laune im Keller suchen gehen. ~ Gabriel PoV Innerlich tief seufzend schließe ich die Wohnungstür und koste für einen Moment die Ruhe aus. Ich weiß nicht, was Mark in meiner Abwesenheit zu Elyas gesagt hat, aber als ich mit Desinfektionsmittel und einem Pflaster zurück kam, sah er aus, als ob er in eine Zitrone gebissen hätte, während Anna vor sich hin grinste und Momo zwischen Verlegenheit und Erstaunen hin und her schwankte. Ich wollte gar nicht wissen, was los war, aber diese Anspannung aus zu halten war so anstrengend, dass ich jetzt schon wieder erschöpft bin und dabei ist es noch gar nicht so spät. Da Elisa zwischendurch zurück kam wurde es noch turbulenter und auch wenn Mark ein angenehmer Arbeitskollege ist, der noch dazu für heute meine Aufträge übernommen hat und es auch morgen übernehmen will, damit ich zu Hause bleiben kann, bin ich froh, dass er jetzt wieder weg ist. Unseren Arbeitskollegen hat er erzählt, dass der Wagen einem nahen Familienmitglied gehört, weshalb ich offiziell vorübergehend befreit bin und noch dazu erklärt es zumindest etwas, warum ich so überreagiert habe. Mit einem kurzen Blick in die Küche, wo Mathis sitzt und noch Abendbrot isst, während Elisa seine Arbeit liest – für ihn ist es sehr praktisch, dass sie neben Sport auch Englisch studiert hat – und Momo und Anna irgendein Kartenspiel spielen, schleiche ich in mein Zimmer. Elyas liegt auf dem Bett, mit Mowgli auf dem Bauch und starrt abwesend an die Decke. Er hat sich offensichtlich umgezogen. Irgendwie ist es trotz allem noch etwas befremdlich, dass er in meinem Bett liegt. Vielleicht, weil ich so Herzklopfen bekomme dadurch? »Ich fürchte, ich mag ihn nicht«, sagt Elyas unvermittelt und ich blinzele völlig verdutzt. Mit so etwas habe ich sicherlich nicht gerechnet. Sonst mag Elyas quasi jeden, wenn er nicht grade unverantwortlich einem Tier gegenüber ist. »Ehm...okay?«, murmle ich dann und setze mich vorsichtig auf die Bettkante. Eine Weile herrscht Stille, die nur durch Mowglis Schnurren durchzogen ist. Irgendwie wird mir warm. Das Mowgli Elyas anscheinend so mag und sich so von ihm bekuscheln lässt bringt mein Herz noch mehr zum Hüpfen. Oh verdammt, das ist doch bescheuert, oder? Elyas seufzt leise. »War da irgendwas zwischen euch? Eigentlich will ich es nicht wissen, aber ich glaube Anna und Elisa wissen es und ich glaube dann will ich es auch lieber wissen, damit sie mich nicht mit etwas aufziehen können, dass ich nicht weiß«, erklärt er murrend. Ich bin etwas verwirrt und verlegen. Mir ist erst vorhin in der Küche eingefallen, dass Anna ja von der Knutscherei weiß. Und Mathis. Aber Mathis war in seinem Zimmer – angeblich ist er endlich kurz vorm Ende – und Anna eigentlich nicht der Typ, der sowas petzt, aber Mark ist bei so etwas unverfroren. Sonst hätte er es nicht so andeutend in die Runde geworfen. Ich bin sicher, dass er sich irgendetwas dabei gedacht hat und jetzt grade vermute ich, sogar geschafft hat. »Also...ich weiß nicht, was genau du meinst mit dem zwischen uns war, aber ich hab ihn zufällig auf einer Queer–Party getroffen, auf die Nuri und Nina mich geschleppt haben. Wir haben uns unterhalten und...«, ich schlucke schwer. Elyas Blick klebt an meiner Seite und macht mich wieder total nervös. »Und?« »...wir haben uns geküsst. Zumindest, bis ich nicht mehr wollte.«, erkläre ich kleinlaut und schiele zu ihm rüber. Er blinzelt verdutzt. »Du wolltest nicht mehr? War es so scheiße?« »Nein, das nicht, aber irgendwie war es auch nicht richtig. Da fehlte was«, versuche ich zu erklären. Elyas Hand greift nach meinem Handgelenk und er zieht mich zu sich runter. Mein Herzschlag schießt noch weiter in die Höhe und als er mich so gut es geht an sich drückt um Mowgli nicht zu vertreiben, wird mir heiß. »Fehlt dir was bei uns?« Ich schlucke schwer und schüttle den Kopf, bevor ich mein Gesicht gegen seine Schulter drücke. Elyas hat uns gesagt, ich könnte platzen vor Freude. Und heulen. »...alles okay?« Ich nicke wieder. »Wieso zitterst du dann?«, fragt er sacht und krault jetzt mir durchs Haar. Ich muss leise lachen und schiele zu ihm hoch. »Du hast uns gesagt«, murmle ich leise, weshalb er völlig irritiert blinzelt. »Ja? Sind wir denn kein uns ?« Ich lache leise, schüttle den Kopf und drücke ihm einen Kuss auf die Lippen. Mein Nacken kribbelt und ich bin grade sehr glücklich. »Wir sind ein tolles uns, finde ich«, murmelt er rau und ich lache wieder. Da hat er vollkommen Recht. Kapitel 18: .achtzehn --------------------- »Hasst er mich immer noch?« Mark klingt so amüsiert, dass ich ihm am liebsten einen meiner Schraubenschlüssel überziehen will, aber ich brumme nur und sehe ihn böse an. »Bist ja auch selbst Schuld«, gebe ich zurück und schließe meinen Werkzeugschrank ab. Seit dem Unfall sind jetzt über zwei Wochen vergangen in denen ich feststellen durfte, dass es ganz schön verunsichernd sein kann plötzlich in einer Beziehung zu sein mit jemandem, der einem so wichtig ist wie Elyas mir. Mittlerweile bin ich wirklich überzeugt, dass ich nicht nur andere Ansprüche an Beziehungen und allem habe, sondern dazu auch noch nie richtig verliebt war. Mir bleibt im Grunde nur vermuten, aber ich persönlich finde diese Vermutung sehr naheliegend. Ich hatte nie einen erhöhten Puls und Schweißausbrüche wenn mich eine meiner Exfreundinnen angelächelt hat oder gleich einen ganzen Sack an Zweifel, wegen einem blöden Missverständnis. Denn das Elyas sonst immer betont hat Beziehungsunfähig zu sein und ich das Gefühl habe ihm nicht sofort das geben zu können, was er vielleicht möchte, gibt wunderbaren Nährboden für Angst etwas falsch zu machen. Und die hab ich sonst nicht gehabt. Ich hatte vorher keine Angst etwas falsch zu machen. Sonst habe ich einfach gemacht worum ich gebeten wurde oder wonach mir der Kopf stand oder was ich als übliches Verhalten von meinem Vater beigebracht bekommen habe. Im Nachhinein tut es mir irgendwie auch leid, weil mein Verhalten in der Art vermutlich gemeint war, wenn ich abserviert wurde. Aber wirklich verstanden, was sie gemeint haben, habe ich erst jetzt. Mich beschäftigte meist nur, dass ich abserviert wurde bevor wir genug Zeit zusammen hatten um uns richtig kennen zu lernen. Und bei Sophie...nun, das ist auch nur noch Geschichte. Aber zumindest Elyas scheint, trotz seiner Behauptung kein Beziehungsmensch zu sein, nicht derart verunsichert wie ich. Oder er lässt es nicht durchscheinen. Ich fühle mich auch nicht vernachlässigt oder so. Aber nach zwei Wochen kann man wohl noch wenig beurteilen. Ich weiß nur, dass ich trotz allem sehr erfreut von der ganzen Sache bin, auch weil dieser eine Gedanke, der nie verschwunden ist, jetzt noch immer gilt. Ich kann mir immer noch vorstellen Sex mit Elyas zu haben, auch wenn noch nicht jetzt direkt. Aber dieses Kribbeln und all die anderen Emotionen, die da hoch kriechen, wenn er mich nur anlächelt, beweisen nicht gerade das Gegenteil. Mark lacht dreckig und holt mich wieder aus meinen Gedanken. »Du hast ganz rote Ohren, an was hast du gedacht, huh?« Ich blinzele ertappt und drehe mich dann weg. Seit er Elyas sein Handy gebracht hat, ist er hoch interessiert an ihm und mir. An diesem uns. Also fragt er mich lieber aus, anstatt von Alex zu erzählen. »Jetzt renn doch nicht weg, also echt«, beschwert er sich und legt ungefragt einen Arm um meine Schultern, während wir in den Umkleideraum gehen. »Ich wollte dir eigentlich nur helfen, weil ich dachte Eifersucht müsste bei ihm funktionieren. Ich konnte ja nicht ahnen, dass ihr schon längst weiter wart« »Hör auf mich so unverschämt anzulügen, du wolltest ihn nur ärgern. Du ärgerst andere gern. Alex tut mir leid, echt«, murre ich, aber Mark lacht nur. »Na gut, ein bisschen vielleicht. Aber witzig finde ich es immer noch«, meint er gut gelaunt und öffnet seinen Spind. Da wir heute zwei Stunden dran hängen mussten, sind wir allein in der Kabine und das ist auch gut so. Im Moment habe ich wirklich noch nicht die Nerven mich vor meinen anderen Arbeitskollegen zu outen. Das hebe ich mir für später auf. Irgendwann. »Also hasst er mich immer noch.« Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage, aber ich sehe mich trotzdem dazu gezwungen etwas dazu zu sagen. »Hassen ist zu viel gesagt, er mag dich nicht, aber es ist ja auch nicht so, dass ihr euch oft sehen würdet, also können wir sicherlich alle damit leben«, erkläre ich und werfe meine Arbeitsschuhe in den Spind, bevor ich ihn für heute abschließe. Mark grinst wieder, aber ich will gar nicht wissen, was sein Kopf wieder für Ideen ausbrütet. Ich ziehe meine Jacke über und greife nach meiner Tasche. »Also, hast du noch irgendeinen Kommentar, den du nicht für dich behalten kannst? Sonst gehe ich jetzt und sage bis Montag« »Nein, ich habe genug gesagt. Schönes Wochenende und liebe Grüße an deinen Tierarzt«, flötet Mark gut gelaunt, bevor er sein Handy herauszieht. »Er ist nicht mein Tierarzt, er ist Mowglis Tierarzt und– ach halt die Klappe«, knurre ich, mache eine wegwerfende Handbewegung und verlasse die Kabine, begleitet von Marks Gelächter. Ich weiß wirklich nicht warum er so gute Laune hat, ich will es auch nicht wissen. Vermutlich ist Alex Schuld daran und dann will ich es wirklich nicht wissen. Tief durchatmend laufe ich über den verlassenen Hof und während nun ich nach meinem Handy krame um zu gucken ob Elyas mir geschrieben hat, schlage ich die Richtung zur Haltestelle ein. »Die Jugend von heute, immer die Handys in der Hand.« Verdattert bleibe ich stehen und drehe den Kopf. Elyas steht an der Wand lehnend neben dem Tor und grinst mich verschmitzt an. Er sieht so lässig aus, dass mir heiß wird. Ich schlucke schwer. Ich hab es keinem verraten, aber Elyas hat mich echt wieder zum Teenager gemacht. Dieses Gefühls auf und ab auf der heftig schwankenden Emotionsachterbahn kenne ich nur aus dieser Zeit. »Elyas«, sage ich leicht heiser und er lacht. Ich kriege eine Gänsehaut. »Überraschung«, meint er schlicht und kommt näher. Mein Herzschlag verdreifacht sich gefühlt und ich bekomme schwitzige Hände. An seiner Stirn sieht man noch die Narbe vom Unfall, die nur bedingt durch die Haare verdeckt wird und vermutlich nie ganz verschwinden wird im Gegensatz zu den ganzen blauen Flecken, von denen er mehr hatte, als ich ertragen konnte. Denn während er schon nach dem Wochenende wieder arbeiten gehen wollte, hätte ich ihn am liebsten noch im Bett gewusst bis auch die letzte Prellung abgeheilt ist. Zum Glück sahen sein Hausarzt und sein Vater es wenigstens ähnlich, weshalb er erst vor zwei Tagen wieder zur Arbeit durfte. Die Zeit zur Genesung hat er dann bei mir oder Anna und Elisa verbracht. »D–Das ist wirklich eine Überraschung«, murmle ich und versuche ruhig durchzuatmen. Elyas schmunzelt und lehnt sich zu mir. »Darf ich dich küssen?«, fragt er leise und ich komme kaum dazu darüber nach zu denken, bevor ich einem Impuls folgend nicke. Er lächelt, das kann ich noch sehen, dann legen sich seine Lippen auf meine und ich bekomme weiche Knie. Das muss irgendwo verboten sein, bin ich mir sicher. Aber selbst wenn, dann würde ich trotzdem nicht damit aufhören. Als Elyas sich wieder löst, grinst er zufrieden, greift nach meiner Hand und zieht mich mit. Da sein Auto einen Totalschaden hat und das hin und her der Versicherungen noch nicht geklärt ist, habe ich ihm einfach meinen Wagen geliehen, weil ich eh nicht jeden Tag damit zur Arbeit fahre. So hat Elyas ein Auto, während die Anwälte sich miteinander rumprügeln und ich Elyas, weil er schneller von A nach B kommt. Dass er mich jetzt abholt war nicht geplant, aber ich freue mich um so mehr. »Übrigens haben wir noch eine Überraschung für dich«, verkündet Elyas dann aber, als ich auf den Beifahrersitz rutsche. Ich vergesse fast das anschnallen, weil ich ihn völlig irritiert ansehe. »Wir?« »Siehst du gleich«, sagt er nur grinsend und startet den Motor. Ich habe keine Ahnung wen Elyas damit meinen könnte, weshalb ich grübelnd aus dem Fenster sehe, während er zur WG fährt und Elyas macht auch keine Anstalten sich zu erklären. Er ist zwar kein richtiger Geheimniskrämer, aber er bindet auch nicht jedem alles auf die Nase, weshalb ich manchmal doch hartnäckig sein muss, wenn ich etwas wissen will. Und weil er hinter seiner verschmitzten Art so viel so gut verstecken kann, ist mir eigentlich schon seit Beginn an klar, dass ich noch einiges an ihm kennen lernen kann und sollte. Wieder einmal lasse ich die Post Post sein, auch wenn ein Teil schon oben raus guckt und laufe direkt die Treppen hoch. Mir geht kurz durch den Kopf, dass ich gleich noch duschen muss, während ich die Haustürschlüssel aus der Jacke krame und versuche Elyas lachen hinter mir aus zu blenden. Wenn es um Überraschungen geht, fehlt mir meine sonstige Geduld. Vor allem bei angekündigten Überraschungen. Als ich den Schlüssel im Schloss drehe, höre ich schnelle Schritte und Gezischel hinter der Tür, weshalb ich Elyas skeptisch anschiele, der mittlerweile aufgeholt hat und noch sehr viel breiter grinst. »Mach auf wenn du dich traust«, flüstert er mir zu und ich schlucke schwer. Jetzt doch etwas zögernd, mache ich die Tür auf und schiele in den Flur. Mein Bein in den Spalt schiebend, damit Mowgli nicht flüchten kann, drücke ich die Tür weiter auf, doch der Flur ist verwaist. Dafür ist die Garderobe ganz schön voll und die ganzen Schuhe darunter deuten auf Besuch hin. »Bin wieder da?«, rufe ich fragend und öffne die Tür noch weiter. Aber immer noch kein Mowgli. Mich beschleicht ein ungutes Gefühl. »Wo ist mein Kater?«, frage ich unruhig, aber Elyas schiebt mich einfach weiter rein und schließt die Haustür hinter uns. Ich lasse meine Sachen an der Garderobe fallen und gehe dann in die Küche, die... voll ist. Nuri steht direkt im Türrahmen und hält mir einen Vertrag entgegen. Mein Blick fliegt zu Mathis, der danebensteht, gegen die Küchenzeile gelehnt, und grinst. Momo sitzt auf einem der Stühle, hat hochrote Wangen und meinen Kater auf dem Schoß, was mich wenigstens ein bisschen beruhigt. Allerdings verstehe ich nicht ganz was Nina und Lucas hier machen, die die übrigen beiden Stühle besetzen, während Anna und Elisa sich auf der Bank breit machen. Elisas Grinsen macht mir Angst und mit meiner anfänglichen Ruhe ist es sofort wieder Essig. »...was ist das?«, frage ich heiser und traue mich kaum nach dem Schriftstück zu greifen. »Der Vertrag für den Nachmieter von Maries Zimmer«, erklärt sie. »Was? Aber ich hab doch noch gar nicht–« »Das haben wir gemerkt und das brauchst du auch nicht«, brummt Mathis und deutet auf eine bestimmte Zeile. Ich greife doch danach und kriege große Augen. »Wohnraumvertrag zur Untermiete zwischen den Parteien Gabriel Lorentz und... Moritz Weiß?«, völlig verdutzt sehe ich zu Momo, der aussieht, als ob er gleich vom Stuhl fallen will. Mathis lächelt schief, während Nuri zufrieden grinst. »Marie hat auch schon zugestimmt, also bist du quasi überstimmt und uns allen ist Momo lieber als irgendjemand, der noch erzogen werden muss«, erklärt sie und ich sehe zu Nina. »Und du lässt ihn echt gehen?« »Er ist doch eh meistens hier und ich muss ja nur über den Flur. Außerdem kann er dann hier Tiere haben und Lucas und ich wollen jetzt richtig zusammen ziehen. So ist es doch echt am Besten für alle!«, meint sie schmunzelnd und ich brumme, bevor ich Momo ansehe. »Tiere, ja?« Er schluckt schwer und schielt mich von unten her an. Eigentlich ist das die perfekte Lösung und ich weiß es, aber das ist das erste Mal, dass ich bei so einer großen Entscheidung nicht gefragt wurde. Da halte ich es für angebracht den Zweifler zu spielen. »Vielleicht... einen Hamster? Oder zwei?«, fragt er dann leise und ich lache, während Nina einwirft, dass es wohl eher zehn werden. »Du müsstest nur noch unterschreiben«, wirft Nuri ein und hält mir einen Kuli entgegen, bevor sie den Mietvertrag aufblättert und auf eine leere Zeile über Momos Unterschrift deutet. Ich muss grinsen und unterschreibe einfach. »Und dafür das ganze Aufgebot?«, frage ich dann und sehe zu Elyas, der hinter mir steht. Er schmunzelt, aber schüttelt den Kopf. »Weißt du was heute für ein Tag ist?«, fragt er dann und ich runzle die Stirn. »Der 13. Oktober, oder nicht?« Er nickt leicht und zieht nun selbst etwas hinter seinem Rücken hervor. »Das ist das Behandlungsprotokoll von Mowgli. Seine erste Behandlung war am 13. April«, sagt er. Ich komme nicht ganz mit. »Ich... steh’ auf dem Schlauch«, murmle ich leise. Elisa lacht und murmelt etwas das nach »Ich wusste es« klingt, aber das geht mir grade sonst wo vorbei. »April bis Oktober, wieviel Monate sind das?«, fragt er schlicht und ich blinzele kurz verdutzt, bevor ich große Augen bekomme. »A–Aber... Die Anzeige ist doch erst am 15. April bearbeitet worden und... u–und...« Elyas schüttelt lächelnd den Kopf. »In Rücksprache mit ein paar anderen Ärzten habe ich erfahren, dass man auch den Tag des Fundes geltend machen kann und das hab ich für dich gemacht. Mowgli ist ab heute dein Kater. Ohne Wenn und Aber.« Mir schnürt sich der Hals zu. Elyas zieht hinter dem Protokoll ein anderes Formular hervor auf dem jede Menge Fachchinesisch steht, aber eine Zeile in grün markiert wurde. »Eigentümer: Gabriel Lorentz«, flüstere ich heiser und sehe zu Mowgli, der das ganze Trara verschläft. Mir wird heiß und kalt und ich beiße mir unwillkürlich auf die Unterlippe. »...scheiße, ich hab noch nicht geduscht«, krächze ich, entscheide dann aber, dass es mir das wert ist und hebe Mowgli einfach von Momos Schoß und drücke ihn an mich. Mein Kater, jetzt wirklich. ~ »Tut’s noch weh?«, ich muss bei dem unterschwelligen Amüsement selbst grinsen und schüttle den Kopf. Der schlafende Mowgli fand mein Knuddeln nicht so witzig und hat das sehr deutlich gemacht, aber auch wenn es gebrannt hat und mir die Lacher der anderen eingebracht hat, war es mir egal. Besser kann ein Tag mit Überstunden einfach nicht enden. Mittlerweile ist es spät. Diese ganze Überraschung war wirklich gut durchgeplant. Denn während ich nämlich duschen war, auch um Mowgli nicht völlig zu traumatisieren und Nuri dann meine Kratzer versorgt hat, zauberten die anderen aus irgendwelchen Ecken jede Menge Leckereien hervor. Es wurde zu einer kleinen Alles in einem–Party und auch wenn es trotzdem schade ist, dass Marie nicht dabei war, ist da plötzlich dieses Alles ist einfach wunderbar und kann kaum besser werden Gefühl. Über diesen Gedanken schmunzelnd, kraule ich Mowgli über den Kopf, der es sich auf meiner Brust bequem gemacht hat. Ich zucke leicht zusammen, als Elyas mir über die Wange streicht und so gegen die Kratzer kommt. »Mowgli ist wirklich der Einzige, der dich neben mir kratzen darf, nur das du es weißt«, murmelt er und legt sich neben mich. Ich blinzle völlig verwirrt. »Wer sollte mich denn sonst kratzen und wieso?«, frage ich dann, aber Elyas blinzelt nur, bevor er lacht und mich küsst. Eigentlich will ich nachhaken, was er meint und wieso er mich überhaupt kratzen will, aber das vergesse ich bei dem ganzen wohligen Blubbern im Inneren. Mowgli vorsichtig festhaltend rutsche ich näher, als er sich wieder löst. Die Augen schließend muss ich wieder lächeln. »Manchmal weiß ich wirklich nicht, was dir immer durch den Kopf geht. Warum lächelst du?«, fragt er dann und jetzt muss ich lachen. »Das sagst ausgerechnet du?«, frage ich lachend, während Mowgli aufsteht und über mich laufend sich ans Kopfende legt. Vermutlich mache ich zu viele Bewegungen um eine würdige Schlafunterlage zu sein. »Vielleicht sollten wir uns drauf einigen, dass wir noch einiges haben, was wir aneinander kennen lernen können«, sage ich deshalb und bekomme dafür ein lächelndes Nicken und einen Kuss. Einen sehr schönen und tiefen Kuss. Und während sich meine Arme über seine Schultern schieben um ihn angemessen zu erwidern, schießt mir durch den Kopf, wie sehr das ganze Leben auf den Kopf gestellt werden kann, nur weil man einen kleinen, schwarzen Kater findet. Epilog: .epilog --------------- Blindheit ist die ausgeprägteste Form einer Sehbehinderung. Sie ist in großen Teilen, wenn nicht sogar eine vollständige Beeinträchtigung des visuellen Wahrnehmungsvermögens. Wenn man nichts mehr sehen kann, dann muss man sich auf andere Dinge stützen. Auf Gehör, Geruch, Tastsinn und Erfahrung. Menschen, die an ihre Blindheit gewöhnt sind haben einen ausgesprochen großen Erfindungsreichtum um sich zu orientieren und sehen auf eine Weise, die für andere schwer nachvollziehbar ist. Manchmal gibt es die Möglichkeit auf Heilung und durch moderne Medizin und die Anwendung physikalischer Gesetze können Blinde wieder sehend gemacht werden. Wunder der modernen Medizin, sagt man oft dazu. Doch die moderne Medizin kann nicht alles. Sie kann nicht bei allem Wunder vollbringen, denn sie kann nur das, was Menschen erforscht haben und als Fakten und Gegebenheiten niedergeschrieben haben. Dann braucht es Menschen die findig oder auch mutig genug sind um wilde Spekulationen anzustellen und eigene Behandlungsmethoden zu entwickeln. So entstehen neue Fakten und Gegebenheiten. Um diesen Prozess jedoch überhaupt erst in Gang zu bringen, braucht es die Erkenntnis, dass etwas nicht stimmt. Das etwas anders ist oder nicht so funktioniert, wie man es kennt, aber eigentlich braucht. Egal, ob es um eine Erkältung oder einen Knochenbruch geht. Ob es seltene Erkrankungen der Organe betrifft oder sogar Gendefekte. Oder...ein blindes Herz. Doch das blinde Herz kann nicht von der modernen Medizin geheilt werden. Wenn das Herz blind ist, sieht es nicht das, was direkt vor ihm ist. Erkennt nicht, was es braucht, egal ob es die Fähigkeit zu sehen dauerhaft verloren hat oder nur geblendet wurde. Wenn das Herz blind ist, dann braucht es etwas oder jemandem, dass ihm helfen kann zu sehen. Ihm das sehen beibringt. Es braucht Gefühle in allen Formen und Farben um zu lernen und sich zu entwickeln. Es muss umdenken und sich auf Hilfe stützen. Vertrauen. Und mit etwas Glück und der Hilfe eines kleinen schwarzen Katers lernt es wieder was es bedeutet zu sehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)