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Herzblind

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Ich erlag einer Art Schreibwahn, weshalb schon einige Kapitel fertig sind. Die Geschichte ist jetzt um einiges länger als geplant. x"D

Jedenfalls danke für diese vielen Favoriten und die Kommentare, das freut mich sehr!

Viel Spaß mit dem nächsten Kapitel! Komplett anzeigen

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»Sophie, wo steckst du? Ich fange langsam an mir Sorgen zu machen«, brumme ich in mein Handy und sehe zur Uhr. Seit über einer Stunde warte ich auf meine Freundin. Es ist Samstag und eigentlich sind wir verabredet, weil sie Schuhe kaufen wollte. Ich stehe zwar nicht auf shoppen, aber sie ist meine Freundin und wenn ich nicht ab und zu mal mitkäme, würden wir noch weniger Zeit miteinander verbringen können als so schon. Denn während ich regulär arbeiten gehe, muss sie sich auf ihr Psychologiestudium konzentrieren und seit dem Sommersemesterbeginn vor einem Monat hat sie einen vollen Terminkalender. Die kurze Sprachnachricht abschickend, niese ich unterdrückt. Mir ist arschkalt, weil es trotz des kalendarisch angeblichen Wonnemonats wie aus Kübeln schüttet und ich auf dem Weg zum verabredeten Treffpunkt nass geworden bin. Meine Gedanken wandern ab zu meinem immer noch namenlosen Kater, der jetzt seit mehr als zwei Wochen durch die WG turnt. Mittlerweile hat er sich eingewöhnt und behandelt alle wie seine Angestellten. Momo ist gut zum Kraulen, während Mathis und Marie ihm sein Essen machen dürfen und Nuri zum Spielen genötigt wird wann immer der kleine Mistzwerg es möchte. Ich hingegen darf mich ihm erst nähern, wenn ich geduscht habe. Denn wenn ich von der Arbeit komme, nach Motoröl rieche und wage ihn begrüßen zu wollen, habe ich schneller einen sitzen als ich meine Hand zurück ziehen kann. Marie und Nuri lieben es mich deshalb auf zu ziehen und ich selbst finde das alles andere als lustig, aber da mein kleines Findelkind sich danach nur zu gern auf meinem Schoß breit macht und grade in meinem Bett am liebsten schläft, kann ich gar nicht lange nachtragend sein. Noch dazu durften wir feststellen, dass er schon weiß was ein Katzenklo ist, auch wenn er das grade beim Spielen manchmal zu vergessen scheint, dass er sowas im Bad stehen hat. Es könnte wahrlich schlimmer sein und durch Momos tatkräftige Unterstützung klappt es auch immer besser ihn vom überall und alles zerkratzen ab zu halten.

Leise seufzend versuche ich nicht an eine heiße Dusche zu denken. Ich würde mich sogar lieber von Marie darüber belehren lassen, dass mein Kater endlich mal einen Namen braucht, als hier zu stehen und zu fürchten mir was weg zu holen. Wieso ist es denn auch bitte so kalt?

Wieder sehe ich auf die Uhr und merke, dass grade mal fünf Minuten seit meinem letzten Blick vergangen sind.

So ein Scheiß.

Ich beobachte die vorbeieilenden Leute, die wesentlich wetterfester gekleidet sind, als ich. Eigentlich sollte ich mich schämen. In Hamburg geboren und aufgewachsen und trotzdem nicht in der Lage sich die richtige Jacke anzuziehen. Da hilft auch die Entschuldigung nicht, dass ich nicht geplant hatte eine Stunde im Regen stehend zu warten.

Wieder muss ich niesen und ziehe mein Handy hervor. Eine Weile starre ich auf das geöffnete Chatfenster wo die letzte Onlinezeit meiner Freundin eingeblendet ist. Ich komme mir vor wie ein Stalker, dabei warte ich einfach nur auf sie. Und es ist auch nicht so, dass es das erste Mal wäre, das ich auf sie warten muss. Allerdings musste ich noch nie über eine Stunde warten.

Ob ihr was passiert ist? Bei dem Wetter nicht unwahrscheinlich. Aquaplaning und eine rote Ampel und schon hat man den Salat. Mir wird leicht übel bei dem Gedanken.

»Jetzt dreh hier nicht durch, Gabriel«, ermahne ich mich leise und bemerke, dass die Angestellten des kleinen Ladens, vor dem ich stehe um mich wenigstens vorm direkten Nass-werden zu schützen, mich schon wieder argwöhnisch beobachten. Ich würde mich wohl ebenfalls suspekt finden, wenn ich so eine Person über eine Stunde vor meinem Schaufenster stehen sehen würde. Vor allem vor einem Geschäft, dass nur Unterwäsche und Dessous verkauft.

Ich versuche mich an einem entschuldigenden Lächeln, weshalb die beiden Damen sich schnell verziehen. Seufzend streiche ich mir durch die feuchten Haare und betrachte meine Schuhe. Die sind zwar im Gegensatz zu meinen Klamotten recht Wasserresistent, aber so viel wärmer sind sie auch nicht und ich kann nichts weniger leiden als kalte Füße.

Kalte Füße sind der Feind.

Gut, und Unordnung, aber im Moment hab ich nur kalte Füße und seit Wochen auch keinen Blick mehr in Mathis oder Nuris Zimmer geworfen. Zur Erhaltung meines Seelenfriedens.

Wieder muss ich niesen und während ich glaube mir vielleicht wirklich eine Erkältung eingefangen zu haben, vibriert mein Handy. Hektisch ziehe ich es aus meiner Hosentasche und bemerke erleichtert, dass Sophie endlich geantwortet hat.

Als ich die Nachricht aber lese, ist es mit der Erleichterung aber nicht mehr weit her.
 

~
 

»Im Ernst jetzt?«, fragt Mathis wieder ungläubig und ich brumme mies gelaunt, während ich dabei zusehe, wie Lea und Philipp mit Momo über den Küchenboden robben und mein Findelkind bespaßen. Die Zwillinge lieben den Kater und er findet sie anscheinend auch ganz passabel. Sonst würde er nicht auf die eher schlecht als recht ausgeführten Jagdspielversuche einsteigen.

Mittlerweile bin ich wieder halbwegs aufgewärmt und trocken, aber meine Laune ist unterirdisch und bessert sich auch nicht, während Mathis mir mein Handy zurück gibt, auf dem ich noch einmal Sophies Nachricht lesen kann, bevor der Bildschirm dunkel wird.

»Also das ist echt ein starkes Stück. Dich einfach so da stehen zu lassen und vergessen ab zu sagen?«, betont Mathis noch einmal und ich brumme schlicht. Ich will nicht über sie schimpfen und etwas sagen, was sich nicht gehört nur weil ich sauer bin. Natürlich finde ich es nicht witzig, dass Sophie vergessen hat abzusagen, weil sie mit ihren Freundinnen ihr Semesterprojekt bearbeiten wollte, aber deshalb schlecht über sie zu reden, will ich auch nicht. Vor allem nicht vor den Kindern.

»...und du hast wirklich nur ok geschrieben?«

»Was hätte ich den sonst schreiben sollen?«

»Vielleicht sowas wie: Hätte dir das nicht früher einfallen können? Oder: Wenn ich krank werde musst du mir aber eine Suppe kochen«, schlägt Mathis vor und stellt mir dann Tee und Kekse auf den Tisch. In der Hoffnung, dass sie meine Laune heben greife ich zu einem der Haferkekse, die ihm seine schwedische Großmutter zugeschickt hat und beiße ein Stück ab. Sie schmecken echt wie diese Ikea-Kekse nur nicht ganz so süß und irgendwie heimeliger. Sie heben meine Laune wirklich ein Quäntchen an.

»Bin ich nicht der Typ für«, sage ich dann aber doch noch und Mathis nickt.

»Ich weiß, du bist eine treudoofe Socke. Nuri hat Recht. Nur weil Sophie nicht begeistert von deinem Kater ist musst du dir das echt nicht gefallen lassen. Generell solltest du dir sowas nicht gefallen lassen«, ermahnt Mathis mich, aber seufzt nachgiebig und setzt sich ebenfalls hin. Ich sage nichts weiter dazu und zum Glück gibt auch Mathis Ruhe.

Sophie hat wirklich nicht sonderlich begeistert auf den spontanen Familienzuwachs reagiert und dann gemeint, dass es ja meine Sache wäre. Das hab ich nur bestätigt, weil es ja wirklich meine Sache ist. Nuri sagte zwar, dass das noch nicht durch wäre, doch bis jetzt kam nichts weiter dazu und weil es nun einmal wirklich meine Sache ist und sie den Kater höchstens sehen wird, wenn sie mich dann mal besucht, sehe ich auch keinerlei Problem. Sie lebt ja nicht mit dem Tier zusammen, sondern ich und meine Freunde.

»Gabriel?«

»Ja?«

Als ich mich umwende um zu der Person zu sehen, die mich angesprochen hat, fällt mein Blick automatisch auf Philipp, der mich sehr entschieden ansieht.

»Wieso hast du noch keinen Namen für deinen Kater? Er braucht doch einen Namen!«

Momo lacht verhalten und Mathis‘ Grinsen muss ich nicht einmal sehen um zu wissen, dass es da ist. Ich spitze kurz die Lippen bevor ich nachgiebig seufze.

»Ich kann mich nicht entscheiden«, erkläre ich dem Kurzen dann, weshalb seine Schwester nachdenklich den Kopf schief legt. Sie ist ähnlich ruhig wie Momo und überlässt das reden meist ihrem vorlauten Zwillingsbruder.

»Welche Namen hast du denn jetzt?«, fragt Momo und hält mein Findelkind davon ab unter den Küchenschrank zu kriechen. Vermutlich sollten wir Verblendungen kaufen damit er nicht irgendwann da drunter stecken bleibt.

»Pablo und Mowgli«, antworte ich und schiebe mir den letzten Rest Keks in den Mund.

»Wieso willst du deine Katze Pablo nennen?«, fragt Mathis irritiert und ich zucke mit den Schultern.

»Er ist schwarz, das hat was«

»...wenn du meinst«, murmelt er und ich kann hören, dass er anderer Meinung ist.

»Also ich finde Mowgli gut!«, verkündet Lea dann bedacht und sieht mich an. Im Gegensatz zu ihrem Bruder spricht sie wirklich auffallend wenig und dann sehr überlegt, aber sie ist definitiv nicht so schüchtern wie man im ersten Moment glauben würde.

»Ach ja? Warum?«, will ich wissen und schiebe Philipp den Teller Kekse hin, den er seitdem er ihn entdeckt hat, hungrig betrachtet. Ich verkneife mir ein schmunzeln, als er mit erfreutem Lächeln zugreift und sich direkt drei Kekse nimmt.

»Mowgli ist ein Findelkind und du nennst den Kater auch immer Findelkind oder –tier oder so«, erklärt sie mit einem Lächeln und beobachtet ihren Bruder auch kurz beim Kekse essen, bevor sie aufsteht und sich unaufgefordert ebenfalls etwas nimmt. Allerdings nur einen Keks.

Überrascht über dieses Argument sehe ich wieder zu dem Kater. Lea hat Recht. Ich sage wirklich oft ‘mein Findelkind‘.

Während Mathis seinen kleinen Bruder ermahnt, dass er nicht alle Kekse aufessen soll, stehe ich auf und hocke mich zu Momo, der dem kleinen Kater über den Kopf krault. Das vernehmliche schnurren lässt mich lächeln und ich nicke abwesend.

»Doch... Mowgli ist passender«, sage ich leise und ignoriere Momos unterdrücktes Lachen, während ich ihm meinen Kater abnehme.

»Dann heißt du jetzt Mowgli, mein kleiner Zwerg«, murmle ich sanft und kraule ihm nun selbst über das weiche Fell. Irgendwie geht es mir jetzt besser. Das ist wohl der berühmt-berüchtigte Einfluss von Haustieren.
 

~
 

Zwei Tage später geht es mir alles andere als gut. Es ist Montag und im Gegensatz zum Wochenende ist es jetzt sonnig und warm. Doch mir ist es zu warm und zu sonnig, denn das Licht brennt in den Augen und meine Halsschmerzen sorgen dafür, dass ich quasi gar nicht rede. Am liebsten wäre ich heute Morgen im Bett geblieben, aber mein Pflichtgefühl hat mich dazu gebracht zur Arbeit zu gehen. Dümmste Entscheidung seit langem.

Selbst mein Lehrling schielt immer wieder besorgt zu mir rüber, doch ich versuche es zu ignorieren.

»Gabriel, ist der Skoda schon durch die – wie siehst du denn aus?«, mein Chef bleibt stehen und mustert mich leicht angewidert. Wenn ich mich nicht so gerädert fühlen würde, wäre ich wohl sauer. Im Moment will ich aber weder wissen wie ich aussehe, noch auf diese Frage antworten.

»Er hat Halsschmerzen, hat er vorhin gesagt«, petzt Mark vorlaut, weshalb mein Chef mich missbilligend ansieht.

»Hast du denn einen an der Waffel? Krank zur Arbeit kommen und noch möglichst alle anstecken oder was? Gib deine Aufträge ab und Mark, du gehst rüber zu Schmidt, er ist eigentlich eh dein richtiger Ausbilder, er soll sich auch mal so benehmen«, knurrt Herr Fechter und deutet auf die Tür, die in Richtung Pausenraum und Umkleide führt, »Und dich will ich erst wieder sehen, wenn du attestiert gesund bist. Also ab zum Arzt, verstanden?«

Ich nicke ergeben und auch wenn ich es eigentlich nicht möchte, muss ich meinem Chef Recht geben. Es war eine wirklich blöde Idee zur Arbeit zu kommen. Mark mit einem dennoch strafendem Blick für die Petzerei bedenkend, drücke ich ihm meine heutigen Aufträge in den Arm und schlurfe in Richtung Umkleide. Der Gedanke an Mowgli und mein warmes Bett wird mit jedem Schritt verlockender und während ich mich umziehe beschließe ich erst morgen zum Arzt zu gehen. Heute bin ich wirklich zu kaputt dafür.
 

~
 

»Bin wieder da~«

Maries Stimme reißt mich aus dem Schlaf und ächzend halte ich mir die Schläfen. Mein Kopf explodiert gefühlt und in meinem Hals muss ein riesiger Klumpen Spitzhacken hängen. Ich kann mich nicht erinnern schon mal solche Halsschmerzen gehabt zu haben.

»Keiner da? Komisch, egal, komm rein«, höre ich Marie dumpf sagen und irritiert runzle ich die Stirn. Wen hat sie denn da im Schlepptau? Mir ist echt nicht nach Besuch heute.

Mich müde aufrichtend merke ich, dass ich nach meiner Dusche in der Küche eingeschlafen sein muss, was erklärt, warum mir mein Nacken so weh tut. Auf die Dusche wollte ich aber nicht verzichten, denn von Mowgli angegriffen zu werden wollte ich grade krank nicht riskieren. Er mag den Motorölgestank einfach nicht.

»Was kann ich dir anbieten? Kaffee? Tee? Saft?«

»Wasser erst mal, danke!«, höre ich eine dunkle Stimme antworten und bin irritiert. Seit wann empfängt Marie denn Männer hier? Hatte sie nicht letztens noch betont sich auf ihren Abschluss konzentrieren zu wollen bevor sie wieder an Männer und Beziehungen denken wollte?

Bevor ich mich entscheiden kann, was ich jetzt machen will kommt Marie in die Küche und blinzelt mich verdattert an.

»...du siehst scheiße aus«, stellt sie fest und mein Versuch ihr etwas dazu zu sagen endet in einem kläglichen Krächzen und einem Hustenanfall, der Mowgli davon jagt.

»Warst du denn wenigstens schon beim Arzt?«, fragt Marie laut über meinen Hustenanfall hinweg und klopft mir leicht auf den Rücken. Ich schüttle den Kopf und als es endlich vorbei ist, sinke ich innerlich jammernd zurück auf den Küchentisch.

»Also echt«, murrt sie und seufzt, als ob ich ein hoffnungsloser Fall wäre. Bin ich vielleicht wirklich.

»Sorry, Elyas, setz dich ruhig schon einmal. Ich muss mich erst um diesen Dummkopf hier kümmern«, sagt sie dann und mir fällt wieder ein, dass sie ja grade schon mit jemandem gesprochen hat. Müde blinzele ich zur Tür und staune nicht schlecht, als ich Dr. Schäfer in der Tür stehen sehe. Allerdings wirkt er grade weniger wie der Tierarzt aus der Klinik. Ist er echt privat hier? Irgendwas muss ich verpasst haben.

Besagter Elyas nickt schmunzelnd und lehnt sich lässig in den Türrahmen. Ich wünschte ich könnte das auch. Wenigstens halbwegs so lässig aufstehen um zu verschwinden. Allerdings muss ich mir von Marie hoch helfen lassen.

»Du hast ja Fieber, wieso bist du nicht im Bett?«

»Wollt‘ was trinken, nach der Dusche«, krächze ich wenig verteidigend und bekomme den bitterbösesten Blick, den Marie in Petto hat.

»Duschen? Hast du denn einen Vogel? Du gehörst ins Bett und nirgendwo anders hin«, schimpft sie und hört auch nicht auf, als ich auf Mowgli deute, der sich gegen meine Zimmertür drückt.

»Mowgli wird es auch einmal überleben, wenn du weiter nach Auto stinkst, los jetzt«, knurrt sie energisch und stopft mich dann fast lieblos ins Bett, bevor sie die Decke fest klopft und die Vorhänge vorzieht. Auch wenn sie grade schimpft, bin ich froh, dass sie mir hilft. Mir ist schwindlig und ich kann sehr gut verstehen, warum Männer allgemein gern so leidend jammern. Würde ich auch machen, weil ich echt das Gefühl habe irgendwann heute noch zu sterben. Mir tut einfach alles weh und am meisten der Hals.

»Schlaf jetzt, du Trottel. Ich besorg dir Medikamente und alles und kümmere mich um Mowgli!«, sagt sie entschieden und ich sehe noch, wie sie meinen Kater vom Fußende pflückt, bevor ich mich meinem Schicksal ergebend die Augen schließe.

Krank sein ist die schlimmste Erfindung die es gibt. Schlimmer noch als kalte Füße und Unordnung.
 

~
 

Ich werde davon wach, dass sich etwas Warmes in mein Gesicht legt. Müde und gerädert blinzelnd öffne ich die Augen und sehe erst nur schwarz. Dann geht meine Tür ganz auf und jemand hebt mir meinen Kater vom Gesicht.

»Tut mir leid, er war schneller wieder weg, als ich nach ihm greifen konnte«, erklärt mir eine amüsierte Männerstimme und irritiert blinzele ich Dr. Schäfer an. Das ist so paradox. Er ist der Arzt meines Katers und steht grade in meinem Zimmer?

Ich setze an etwas zu sagen, aber mein Hals fühlt sich immer noch an wie das schlimmste Reibeisen. Mein Versuch mich aufzusetzen scheitert auch kläglich, denn alles fängt an sich zu drehen.

»Bleib liegen, der Arzt meinte, dass du Ruhe brauchst«, ermahnt Dr. Schäfer mich und ich blinzele irritiert. Welcher Arzt? Und wieso das unaufgeforderte Geduze? Irgendwas ist wieder an mir vorbei gegangen. Dabei erzählt Nuri mir doch sonst alles. Wo steckt sie eigentlich wieder?

Bevor ich mich aber dazu überwinden kann doch zu fragen, platzt Marie in das Zimmer und guckt alles andere als begeistert.

»Ich weiß warum ich die Schnepfe nicht leiden kann, echt. Deine Freundin ist scheiße, Gabriel! Such dir eine neue, wirklich«, faucht sie unleidlich und ich bin nun heillos verwirrt.

»…was?«, krächze ich heiser und sehe aus den Augenwinkeln, wie Mowglis Arzt sich ganz dreist auf meinen Zockersessel sinken lässt und meinen Kater mit Streicheleinheiten besticht.

»Die blöde Kuh will sich nicht um dich kümmern. Ihre scheiß Projektarbeit ist ihr wichtiger als du und sie will nicht riskieren sich bei dir anzustecken. Dabei ist sie erst daran schuld, dass du überhaupt krank geworden bist. Hier, nimm das!«, erklärt sie schnippisch und hält mir eine Wasserflasche und zwei Tabletten entgegen.

Weil das sprechen noch so weh tut, verziehe ich möglichst fragend meine Augenbrauen.

»Die sind gegen deine Halsschmerzen und das Fieber! Drei Mal täglich hat der Arzt gesagt und die Hustentropfen bei Bedarf.«

»Arzt?«, frage ich nun doch und schiele zu Maries Arbeitgeber rüber, der lachend mit dem Kopf schüttelt als er meinen Blick bemerkt.

»Ich behandle ausschließlich Tiere«, tut er amüsiert kund. Marie verdreht die Augen.

»Als du geschlafen hast hab ich ‘nen Arzt angerufen und herbestellt. Du hattest so hohes Fieber, deshalb ist er direkt gekommen, hat dir ‘ne Spritze gegeben und dich untersucht. Kannst du dich echt nicht mehr erinnern? Ist grade mal eine Stunde oder so her.«

Ich blinzele nur und setze mich nun doch umständlich auf. Mein Blick bleibt kurz auf meinem Wecker hängen, der mir anzeigt, dass es früher Abend ist. Dann greife ich die Tabletten und nehme sie, während ich überlege ob ich mich erinnern kann oder nicht. Aber da ist nichts. Deshalb schüttele ich etwas verspätet den Kopf.

»Naja...du warst schon ganz schön im Delirium, so ist es nicht. Der Arzt vermutet sogar eine Grippe, hat es aber erst Mal als grippalen Infekt eingestuft«, überlegt sie laut und legt ihre Hand auf meine Stirn. Ich weiß aus Erfahrung, dass Marie eigentlich warme Hände hat, doch jetzt wirken sie kalt und mir läuft ein Schauer über den Rücken. Ich hasse krank sein.

»Ich hol mal eben ein Thermometer«, entscheidet Marie und wuselt wieder davon. Sie ist grade voll in ihrem Element. Manchmal wundert es mich, dass sie nichts mit Menschen machen wollte und Human-Medizin studiert hat oder so, weil sie sich leidenschaftlich gern um andere kümmert, egal in welchem Belang. Aber ich beschwere mich nicht. Sonst müsste ich das alles allein machen.

Die Decke etwas höher ziehend und mich wieder leicht ins Kissen drückend, fällt mein Blick zurück auf Dr. Schäfer, der sich das alles schweigend angesehen hat. Irgendwie ist das peinlich. Vor allem, weil er jetzt so amüsiert grinst.

»Momo hat schon mal erwähnt, dass Marie sehr mütterlich streng sein kann, aber so eine Vorstellung hatte ich nicht erwartet«, kommentiert er und ich merke, dass mir warm wird. Hoffentlich hab ich vom Fieber eine rote Birne, damit er die Verlegenheit nicht sieht.

Ich kenne diesen Mann gar nicht. Wieso ist er überhaupt hier?

Man kann Marie leise im Bad wühlen und über meine Freundin schimpfen hören.

»Eigentlich sollte ich sie wegen Anatomie abfragen«, erklärt er dann und schaut sich in meinem Zimmer um. Muss ja spannend sein.

Ich persönlich wäre ja spätestens nach 10 Minuten abgehauen, wenn ich in eine vergleichbare Situation gestolpert wäre, aber Dr. Schäfer scheint nicht so zu sein. Komischer Kauz. In der Praxis wirkte er noch so seriös.

»Haben Sie keine Angst sich anzustecken?«, frage ich. Meine Stimme ist kaum ein Abklatsch von dem was sie sonst hergibt. Eigentlich kann ich froh sein, dass man mich überhaupt verstehen kann und was immer in der Spritze war hat zumindest geholfen, sodass die Halsschmerzen nicht mehr so heftig sind. Nicht weg, aber auch nicht mehr so heftig.

»Nein, nicht wirklich. Ich hab ein ziemlich gutes Immunsystem, wenn ich das so sagen darf. Und du musst mich nicht siezen, wir sind hier nicht in der Praxis. Ich bin Elyas«, erklärt er, immer noch mit einem deutlichen Amüsement in der Stimme. Das macht mich grade etwas rappelig. Ich hab noch nie jemanden getroffen, der so...so...so ist. Mir fällt nicht mal ein passendes Wort dazu ein.

»...Gabriel«, nuschele ich trotzdem und sehe zu Mowgli, der es sich auf seinem Schoß bequem gemacht hat und zufrieden döst.

»Er scheint sich gut eingelebt zu haben«, sagt Dr. Schäfer – ich kann mich noch nicht dazu überwinden ihn einfach so zu duzen – und krault dem kleinen, schwarzen Fellknäul über den Bauch. Mowgli quittiert das mit einem genüsslichen Schnurren. Er schnurrt generell viel. Ich weiß nicht ob das normal ist, weil ich nie eine Katze hatte und Momo mir abgeraten hat zu googeln, weil viel Müll verbreitet wird, der mich letztendlich nur verunsichern würde. Aber da er mir jede Frage, die ich zwischendurch schon einmal hatte, beantworten kann, halte ich mich da an den Knirps und ich mag Mowglis schnurren. Es sagt mir, dass er sich wohl fühlt und es ihm gut geht, deshalb ist es mir lieber so, als wenn er es nicht machen würde.

Um auf die Äußerung zu antworten zucke ich mit den Schultern. Dr. Schäfer kann das sicherlich besser beurteilen als ich.

»Er ist sehr pflegeleicht...sagt Momo«, brabbel ich heiser und unterdrücke einen Hustenanfall. Ich will Mowgli nicht schon wieder verscheuchen.

»Du hattest vorher noch nie eine Katze?«, fragt Dr. Schäfer erstaunt und ich schüttele den Kopf.

»Und dann nimmst du einfach so eine auf?«

»...die Tierheime sind doch eh schon voll und er hat genug durchgemacht« sage ich leise und der Gedanke Mowgli einem unbestimmten Schicksal zu überlassen gefällt mir im nach hinein noch viel weniger als noch vor zwei ein halb Wochen. Oh verdammt, ich hänge jetzt schon extrem an dem Katzentier. Hoffentlich meldet sich wirklich keiner mehr.

Weil Dr. Schäfer nichts sagt, hebe ich meinen Blick, als es mir auffällt und blinzele verwirrt. Diesmal grinst er nicht und betrachtet mich einfach nur, als ob ich etwas sehr spannendes wäre. Ich bin wirklich froh, als Marie zurück kommt und mir das Thermometer in den Mund schiebt, bevor sie Tee und Obst auf meinen Nachttisch abstellt.

»Du musst Essen. Am besten Obst und Suppen und ich hab dir Ingwer in den Tee gemacht, das hilft zusätzlich gegen die Halsschmerzen«, erklärt sie und schnauft angestrengt. Sie hat sich ihren Tag sicherlich auch anders vorgestellt. Ich gucke sie entschuldigend an, weshalb sie mir sacht gegen die Stirn schnippst. Zum Glück sind meine Kopfschmerzen nur noch dumpf.

»Guck nicht so, es ist ja nicht deine Schuld. Na gut, nicht völlig. Das nächste Mal gehst du aber nach 15 Minuten warten nach Hause, verstanden? Du darfst dir nicht immer alles von ihr gefallen lassen. Eine Beziehung ist ein Geben und Nehmen und nicht ein, ich kommandiere Gabriel rum, wie es mir grade passt«, erklärt sie entschieden.

Ich verkneife mir ein schmunzeln. Es ist süß wenn sie sich so aufregt, weil einem ihrer Schützlinge Unrecht getan wurde.

»Ich kenne diese Sophie nicht, aber ich muss Marie zustimmen«, wirft Dr. Schäfer ein und Marie deutet sehr nachdrücklich auf ihn.

»Hörst du? Elyas sagt das gleiche!«

Ich brumme nur undeutlich vor mich hin und ziehe die Decke bis zur Nasenspitze. Ich bin krank, da will ich mich nicht wegen meiner Freundin verteidigen müssen. Natürlich ist sie nicht perfekt, aber wenn sie es wäre, wäre sie sicherlich nicht mit mir zusammen, denn ich bin auch weit entfernt davon perfekt zu sein.

Als das Thermometer piepst, seufzt Marie schwer und schüttelt den Kopf.

»Bin ich froh, dass du nicht allein wohnst«, murmelt sie und starrt dann angestrengt auf die Digitalanzeige.

»38.9°«, nuschelt sie und schaut mich kurz so vorwurfsvoll an, als ob ich mir keine Mühe geben würde gesund zu werden. Wer die Frau mal heiratet muss echt ein dickes Fell haben.

»Soll ich nicht vielleicht doch gehen?«, fragt Dr. Schäfer unvermittelt und Marie schnaubt wieder.

»Nein, ich brauche echt Hilfe und du hast gesagt, dass du mir hilfst. Wir verlagern das jetzt nur«, erklärt sie und mir wird klar, dass der unerwartete Besuch gar nicht derart aufdringlich ist. Nein, Marie hat ihn nur genötigt zu bleiben. Dr. Schäfer scheint zu wissen, dass Marie sich nicht so leicht von ihren Entschlüssen abbringen lässt, denn er seufzt nur nachgiebig und krault Mowgli weiter. Marie murmelt irgendwas vor sich hin und verschwindet direkt wieder aus meinem Zimmer nur um kurz darauf mit ihren ganzen Wälzern und Notizen zurück zu kommen und ihr Chaos auf meinen Teppich zu verteilen.

Jetzt möchte ich doch gern wieder sterben.

»Marie«, krächze ich empört, muss aber husten und habe deshalb nicht mehr wirklich etwas zu sagen, während sie mir über den Rücken reibt und Dr. Schäfer dem Kater hinterher geht.

Krank sein ist wirklich super ätzend.

»Du bist krank und ich kann dich ja schlecht einfach hier liegen lassen, wenn dein Fieber so hoch ist. Leg dich hin, ruh dich aus und stör dich nicht an Elyas, ja? Er ist wirklich nett«, erklärt sie nun in einem so beruhigenden Tonfall, dass ich erschöpft vom Husten einfach zurück ins Kissen sinke. Ich bin echt müde und gegen Marie komme ich schon im gesunden Zustand seltenst an. Wieso versuche ich es eigentlich?

Nachgiebig brummend schließe ich die Augen und auch wenn es seltsam ist den Tierarzt meines Katers in meinem Zimmer zu beherbergen, während ich selbst versuche zu gesunden, gebe ich einfach nach. Marie meinte ja, dass er nett ist.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Ingwertee für alle!
Okay, nun hat das Katerchen also einen Namen und ich hoffe er gefällt euch. Ich hab mich für die englische Schreibweise entschieden, weil sie mir auch von der Aussprache ein bisschen besser gefällt.
Das nächste Kapitel kommt schon Mitte der Woche, weil ich selbst nicht so ewig warten möchte, wenn sie grade auf Lager sind :')
Schönen Abend noch und sagt mir, wie ihr es fandet.
LG
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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Yamasha
2017-10-23T18:45:40+00:00 23.10.2017 20:45
Hey. Erstmal muss ich sagen, dass ich es toll finde, dass du die Geschichte Ur gewidmet hast. Ich liebe ihre Geschichten auch. <3
Und dann mag ich Sophie nicht. Bestimmten, herumkommandierend, nicht sonderlich hilfsbereit und nicht katzenfreundlich. Alles Punkte, die gegen sie sprechen
Aber ansonsten ist diese FF echt süß. Freu mich schon sie weiter zu lesen. :)
Von:  Riccaa
2017-10-15T21:32:16+00:00 15.10.2017 23:32
NNNNEEEIIIIINNNNN!!!! Es wurde gerade alles gelöscht was ich schon geschrieben hatte. Alles :((((((((( Jetzt muss ich noch mal von vorne anfagen. Ich will weinen :(((((((((((( Aber egal, dann nochmal.

Hey,
ich liebe Marie. Ich wünschte jemand würde sich auch so um mich kümmern wenn ich krank im Bett liege.
Sophie kann ich nicht leiden. Nicht weil sie vergessen hat Bescheid zu geben, dass sie doch nicht kann oder für ihr Studium lernen muss, sondern weil sie Mowgli nicht mag. Ich meine sie wohnt ja noch nicht einmal bei Gabriel, was hat sie also gegen so einen süßen Kater bitte???? Ich als Katzenfan bin empört. Und zwar sehr.

Aber zu wichtigeren Dingen: Herrn Dokter Elyas Schäfer. Ziemlich cool der Mann. Steht zuerst total lässig in der Tür und grinst. Das macht ihn tatsächlich sehr interessant und ungemein charismatisch irgendwie auch. Und wie er dann an Gabriels Bett steht und sich anschließend auf den Sessel setzt mit dem schmusenden Kater auf dem Schoß <3 Wer will das nicht? Gutaussehende Ärzte mit schmusenden Katzen auf dem Schoß während sie in deinem Sessel in deinem Zimmer sitzen? Ich kenne keinen ;) Nein Scherz. Das macht ihn wirlich sehr sympatisch, gerade da man ja nur seine seriöse und ernste Seite gesehen hat. Und dann kommt sowas. Ich finde Gabriels Beschreibung ganz passend: Der einfach nur so ist.

Ich habe gerade immer wieder so ein Bild im Kopf, wie man Katzen von Bäumen pflücken kann, wie Marie das bei Gabriels Bett gemacht. Und dass Dr. Schäfer Mowgli aus seinem Gesicht hebt, macht es nicht besser ;)

Schönes Kapitel :) Man hat eine andere Seite von unserem Lieblingstierarzt gesehen, die ich persönlich sehr mag. Ich freue mich auf weitere Kapitel und bin gespannt, wie sich das noch alles entwickelt :) Mach weiter so!

LG
Antwort von:  Schwarzfeder
17.10.2017 09:03
NoooOooo~ das hätte ich ja jetzt gern gelesen x'D
Aber gut, danke, dass du es noch mal geschrieben hast!

Marie ist toll! Ich mag sie auch. Und ich kann dir sagen, dass sie zwischendurch noch mal eine wichtige Rolle spielen wird aber psst~ ;)
Und Sophie...ja, die Frau ist wirklich...eine Sache für sich. Ich fürchte auch, dass sie nicht wirklich noch Sympathiepunkte wird sammeln können, aber...ist halt so. Und sie mag Tiere generell nicht so, deshalb hat sie so reagiert.

Ich musste grade sehr grinsen und freue mich riesig, dass du Elyas so magst. Der liebe Dr. Schäfer macht es mir mitunter echt nicht einfach. Aber er ist wirklich verteufelt charmant. Fürchterlich.
Aber ja, je weiter es geht, desto mehr erfährt man über ihn.

Danke für den Kommentar, freu mich riesig, dass es dir so gefällt!
lg


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