Zeit von Alaiya ================================================================================ Aufbruch -------- Ein letztes Mal wandte sie sich ihren Freundinnen zu. „Ich gehe dann!“ „Bis nächste Woche!“, riefen Maki und Fujiko und winkten, während sie ihre Fahrräder in die entgegengesetzte Richtung schoben. Chihiro atmete durch. Sommer. Wochenende. Eine weitere Chance. Lange schon hatte sie sich mit den Gedanken gequält. Was war damals geschehen? Oft schon hatte sie vor dem Tunnel gestanden; hatte sich gefragt, was passieren würde, wagte sie den ersten Schritt. Der Tunnel flüsterte nicht mehr. Sie würde dennoch dorthin fahren. Um ihre Freunde wiederzusehen. Und so machte sie sich auf den Weg zum Zug, der sie zum Portal zurückbringen würde. Pläne ----- Rin sah dem Zug nach, der über das Wasser zu schweben schien. Es hatte die ganze Nacht geregnet. Wahrscheinlich war irgendein Regengott letzte Nacht im Badehaus gewesen. Sie wandte sich um, öffnete die Tür und betrat den Heizungsraum. „Irgendwann fahre ich auch fort“, verkündigte sie. Kamaji, halb unter seiner Decke vergraben, schnaubte. „Mit welchem Ziel?“ „Vielleicht finde ich meinen Namen wieder.“ „Und dann?“ Rin zuckte mit den Schultern. „Dann fange ich ein neues Leben an.“ Sie schenkte ihm einen strafenden Blick. „Sei nicht so negativ, alter Mann.“ „Du solltest auch schlafen“, erwiderte der Sechsarmige nur und zog die Decke höher. Tagesplanung ------------ Sie behaupteten, es sei leicht, das Badehaus zu führen! Pah Es brauchte Quellen, brauchte Kräuter und auch wenn die Gehälter minimal waren, wollten die Mitarbeiter genau so essen, wie ihre Gäste. Sie ahnten alle nicht, wie schwer die Beschaffung war. Doch natürlich war sie die Böse. Pah! Dabei verbrachte sie den Tag damit, Rechnungen zu wälzen und Bestellungen zu machen, während andere schliefen. Schwere Schritte. „Baba. Boh will raus.“ Yubaba grunzte und sah auf. „Schon wieder?“ „Boh will raus“, erwiderte das Riesenbaby. Yubaba seufzte und schnipste mit den Fingern, verwandelte ihren Sohn in eine Ratte. „Sei vor Nacht wieder zurück.“ Waldpfad -------- Die Luft, die über dem Wald hing, war süßlich und schwer. Das Zirpen der Zikaden laut und andersweltlich. Einst hatte Chihiro ihren Vater angefleht, nicht hierher zu fahren. Es war sieben Jahre her. Etwas weniger, da die Zeit eine seltsame Sache war. Sie war allein, doch sie fürchtete sich nicht. Sie war oftmals hergekommen. Damals hatte sie all diese Dinge getan, um in diese Welt zurückzukehren und ihre Eltern zu retten. Doch seither hatte sie ihre Freunde jeden Tag vermisst und sich manchmal gefragt, ob nicht alles ein Traum gewesen war. Irgendwann würde sie zurückkehren! Irgendwann... Sie sah den Tunnel. Abendtee -------- Ein alter Sumpf. Das Quietschen einer Lampe, die auf einer Hand hin und her sprang. Eine schattenhafte Gestalt, die etwas Schilfgras pflückte. Die Nacht brach langsam herein und in der ferne sauste der Zug an der sechsten Station - vom Badehaus gesehen - vorbei. Die Gestalt, deren Gesicht eine Maske war, sah auf. Kaonashi erinnerte sich daran, wie ein Mädchen ihn mit dem Zug hergebracht hatte. Sen. Chihiro. Das Quietschen der Lampe wurde langsam ungeduldiger. Kaonashi wandte sich um, kehrte zu dem alten Gutshof zurück, wo warmes Licht ihn empfing. „Besten Dank, mein Lieber“, sagte die alte Hexe. „Möchtest du einen Tee?“ Warten ------ Nigihayami Kohaku Nushi kehrte manchmal zum Badehaus zurück - als Gast und weil er dort nicht schwand. Er war ein Drache, ein Gott, doch sein Fluss war ein von Beton eingefasstes Gerinsel. Mit seinem Namen hatte er auch seine Erinnerung an früher zurückerlangt. Doch der Fluss verlief nun durch unterirdische Röhren. Der umgebende Wald war einer Straße gewichen. Er war heimatlos. Doch er wartete. Auf sie. Wenn er am ehemaligen Flussufer saß, wartete er. Wenn er das Badehaus besuchte, wartete er. Auf sie. Chihiro. Er hatte es versprochen. Manchmal wartete er auf am Tunnel, der in die Welt der Götter führte. Auf Chihiro. Wiedersehen ----------- Da war der Tunnel, der sich in die hohe, rote Mauer bohrte. Davor die grinsende Statue. Der Wind wehte mit einem unheimlichen Heulen den langen Gang entlang. Chihiro stand still, lauschte. Ihr Herz schlug schneller. War das ein Flüstern? Sie sah sich um. Zögerte. Wenn sie ging. Konnte sie zurückkehren? Würde sie ihre Freunde überhaupt treffen? Wie viel Zeit war in der Welt der Götter vergangen? Also wagte sie den ersten Schritt, in den Tunnel. Sie setzte zum zweiten an, als sich eine Hand auf ihre Schulter legte. Sie drehte sich um, Tränen in den Augen. Dann lächelte sie. „Kohaku.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)