Heart Dolls von Ghostwriterin ================================================================================ Kapitel 1: Wie konntest du nur?☽ ☾ ---------------------------------- Das Grauen, das die Grundrisse ihres jungen Erwachsenlebens und ihren zukünftigen Berufswunsch als Psychologin darstellen würde, begann in einer für sie normalen Septemberwochen in Texas. In ihrem grauem, flauschigen aber auch halb zerfetzten Pullover, der der kleinlichgeratenen Jugendlichen bis zu den Knien gingen, saß sie da und starrte kurz auf ihre peinlich rosagepunkteten Söckchen, die sie niemals in der Öffentlichkeit tragen würde. Auf ihren zur Brezel zusammengeknoteten Beinen, machte sich ihr alter Laptop, der in Mellis Augen immer halbe Jahrzehnte brauchte, bis er ansprang, breit. „Verfluxt!“, murmelte sie leise vor sich hin und knabberte wie immer, wenn ihr irgendetwas nicht gefiel, an ihren Fingernägeln herum. Die Internetseite, die sie mit ihrem alten, mehr kaputt als funktionstüchtigen Ding geöffnet hatte, hatte sich kurz aufgehängt und hatte der hübschen, jungen Frau beinahe einen Herzinfarkt beschert. Sie wollte doch nur... Ja, was wollte sie eigentlich? In die Welt der Bücher eintauchen? Selbst schreiben, oder die Bilder ,die sich nur allzu deutlich in ihren Kopf festgesetzt hatten und nur darauf warteten, selbst auf Papier zu bringen, freienlaufzulassen? Das alte, verdammte Teil von einem Laptop gurrte vor Anstrengung, was Melli dazu brachte leise fauchend auf ihrem linken Zeigefinger herumzuknabbern. Irgendwo in den dunkelsten Ecken des kleinen Farmhauses hörte sie ihre Mutter fluchen, wahrscheinlich weil dieser gerade wieder eingefallen war, dass sie sich um den Haushalt zu kümmern hatte. Kurz schmunzelte die Jugendliche, unterdrückte dabei auf das Display ihres Handys zu starren, da es ihr nach zwei Stunden der Warterei zu blöd wurde und kniff stattdessen die Augen zusammen, starrte auf das deutlich größere Display, das ihr ganzes Sichtfeld bedeckte. Wenn ihre Mutter wie immer um diese Uhrzeit ohne zu klopfen in ihr Zimmer stürmen und sehen würde, das sie an gleich zwei elektronischen Geräten saß, anstatt sich an die Hausaufgaben zu setzen oder zu lernen, würde sie eine tolle Standpauke erwarten. Kon'nichiwa otaku hon no mushi! Ploppte nun endlich die Begrüßung auf dem Bildschirm ihres schwarzen Laptops auf und lies sie grinsen. Es war echt lustig und cool zugleich, das diese Festplatte einem die Begrüßung und den Nickename ins japanische übersetzte, wenn man sich auf der Internetseite einloggte. Narutofansābisu♥  ie Webseite von Künstlern und Händlern, die sich spezifisch um die Vermakelung der Gegenstände kümmerten, die allerdings alle nur etwas mit dem Anime Naruto zu tun hatten. Gerade hatte sie sich wie wahrscheinlich viele Fans der Mangas, oder der Animes angemeldet und sah sich sofort auf der Webseite um. Alle Mangabände schwirrten ihr in den unterschiedlichsten Sprachen entgegen und machten ihr es so gut wie unmöglich, die sofortige englische Verfassung auszumachen. Gleich darauf sprangen ihr die DVD Sammelwerke des Animes ins Auge, dann diverse Schlüsselanhänger, Tassen, sprechende Figuren, oder Schminke, die extra für Cosplayer hergestellt wurde, deren größtes Bestreben es war, ihren Charakteren so ähnlich wie möglich zu sehen. Es waren alles Dinge, die ihr selbst in vierzig Jahren Arbeitsleben zu teuer sein würden um sie zu kaufen, doch eine Sache würde sie sich gönnen.  „Melli mein Kücken!“, rief ihre Mutter sie mit dem Spitznamen, die sie ihr seit ihrer Geburt aufgebrummt hatte und lief die Treppen hinauf, die bei jedem Schritt, den sie ging knackste und ächzte. Das Farmhaus in dem sie lebten war alt und hatte schon seit Jahren eine mehr als safige Renovierung übrig, doch ihre Familie gehörte gerademal zu den Leuten, die durschnittlich gut verdienten. Nun brummte auch endlich ihr Handy und die Jungendliche schielte kurz darauf, grinste zufrieden als sie die Nachricht von Sam laß, versteckte es aber unter ihrem Kopfkissen, als sie hörte das ihre Mutter gerade dabei war die Türe zu öffnen. „Mum, klopf doch bevor du ins Zimmer gehst!“, motzte sie, obwohl sie wusste das ihre Mutter sich dieses Verhalten aus Prinzip niemals abgewöhnen würde. Aus ihrem Laptop drang für kurze Zeit eine wunderschöne, japanische Melodie auf, als sie auf dem „Forum“ ihres Herzens angelegt war. Naruto stuffed toys. "Hast du schon deine Hausaufgaben gemacht?“, ignorierte sie wie immer das mehr als deutliche Unwollen ihrer Tochter und schielte genervt auf ihr Laptop. Ihre Mutter hasste es, wenn sie sich mit solchen Dingen wie Computern oder Handys beschäftigte. „Ja, Mum.“ Die meisten zumindest...  "Und die Präsentation in Geschichte?“ „Habe ich schon vor einer Woche meine 2.1 bekommen, wie ich dir gesagt habe, Mum.“ „Deine Vokabeln in Deutsch?“ „ Mum! Es ist 21 Uhr und spät Abends!“ In einer Ruhe, die sie sich durch die immer wiederkehrenden Diskussionen antrainiert hatte, gab sie wie nebenher Akatsuki ein. Sofort ploppten viele ihrer Lieblinge dieses Mangas auf, in Form von Plüschtieren...oder eher gesagt Menschen. Die Frau mittleren Alters seufzte wie jeden Abend schwermütig, so als würde sie von einer sturen Politikerin stehen, die alles in ihrem Leben falsch gemacht hatte, doch schließlich nickte sie. „Dann komm wenigstens runter und räum die Spülmaschine aus und wasch die Holzbretter!“ Melli unterdrückte den Drang, genervt die Augen zu verdrehen. „Ich komm gleich!“ Die Tür wurde zugeschlagen und übrig blieb sie mit den zehn Akatsukis und der Überlegung, wen sie sich als erstes kaufen wollte. Doch da sie nun nicht mehr die Zeit hatte, sich den Kopf über diese Wahl zu zerbrechen, nahm sie einfach Itachi. Sie mochte ihn, weil er für sie immer etwas wie ein stiller und immer überlegter Beschützer war, der immer auf einen achtgab. Ihre Lieferung kommt in zwei Tagen! n! Ploppte es wieder auf ihrem Bildschrim auf, denn zu ihrem Glück, gab es sowas wie eine Lagerhalle in Texas, der dazu noch ziemlich in ihrer Nähe war. Minuten später, ließ sie den Laptop herunterfahren und antwortete Sam. Freue mich auf unser Date morgen! Xoxo Melli!  Dann stürmte sie die Treppe nach unten und lächelte so dämlich, wie es nur frischverliebte konnten. *** In Mellis Traum, der sie schon seit halben Ewigkeiten verfolgte, lief ihr Date mit Sam immer in einer ganz bestimmten Reihenfolge ab: Ihre Füße, die den Boden nicht berührten, baumelten und ihre zierlichen Finger bohrten sich in die Kletterstange, auf der sie saß. Sam stand unter ihr und schenkte ihr sein freches aber auch charmantes Sunnyboylächeln, ehe er sich mit einer Leichtigkeit auf die Metallstange stützte und sich ohne Probleme nach oben zog, so hoch, dass er dann wie typisch für ihn gleich zwei Köpfe größer als sie war. Seine hellblonden und nicht zu gebändigt werdenden Locken, verwuschelten sich wegen des leichtem Luftzugs und seine haselnussbraunen Augen funkelten schelmisch. „Willst endlich mutig sein?“ , wie immer konnte sie den flirtenden Unterton aus seiner Stimme heraushören. Melli grinste ihn breit an und strich sich die rotbraune Strähne aus ihren Augen. „Dann lass los!“, klimperte sie im Traum mit ihren Äuglein, doch gerade in dem Moment als er sich entfernte und sie sich auf den Boden plumpsen lassen wollte, war es so als würde die Zeit stehenbleiben. Sie ließ das kühle Metall los und viel, berührte den Boden aber nicht. „Sam, was ist los verdammt?“, war sie in ihrem Traum wie eine Idiotin auf der Stelle herumgezappelte und beobachtete erschrocken, wie der Abstand zwischen den beiden steigend schlimmer wurde, bis er ihren vollständigen Namen rief. „Gib mir die Hand!“ „Aber du bist doch so weit weg!“ „Melli, gib mir die Hand!“ Sie zitterte wie Espenlaub und schwitzte so sehr, als wäre sie gerade mehrere tausende Kilometer durch die Wüste gerannt. Hart klopfte ihr Herz, bis sie schließlich all ihren Mut zusammennahm und sich fallen ließ. „Ich fange dich auf, versprochen!“, hatte er ihr dabei immer wieder zugerufen, um ihr Mut zu machen und genau das tat er auch. Sicher und behütet lag sie in seinen Armen und der kleinlich geratene Park rückte immer mehr in den Hintergrund. Wurde wegen seinen warmen, weichen Lippen und seinen starken Armen und den dratigen Muskeln unwichtig. Doch wie die Wirklichkeit eben so war, war es längst nicht so traumhaft. Gut, er war keine Katastrophe, wie sie es schon oftmals durch die Unterschiedlichsten Erzählungen mitbekommen hatte, doch wirklich magisch war er nicht. Das erste an was sie dachte, als er mit seinem Kopf in ihre Richtung rückte war das, dass er nach Pizza und gekülter Limonade roch und genau so schmeckte auch der Kuss. Ihr erster Kuss, der etwas unschuldiges an sich hatte, obwohl sie weder das starke Herzflattern, noch dieses Vergessen ihrer Umgebung hatte, auf das sie so stark gehofft hatte. Doch er war ein okay-Kuss. Eine angenehme Erinnerung, die trotzdem Lust auf mehr machte, weil es nur besser werden konnte. *** Hart verkrallte sie ihre Finger in ihren grauen, langweiligen Rucksack und zog ihn näher an sich, als sie am Montagmorgen verschüchtert in die Gesichter der ihr bereits bekannten Kursteilnehmer blickte. Das laute, quietschige Knallen der Türe tat ihr in den Ohren weh und schickte ihr eine Welle der angstmachenden Hormone durch den Körper. Melli schluckte, schabte mit ihren Schuhen hart auf dem grauen Boden herum. Die Türe viel mit einem lauten Knall zu, als das stätige kichern, dass sie schon in den Schulfluren verfolgt hatte, lauter wurde. Sie war so verwirrt, verstand die stechenden Blicke an ihrem Rücken und dieses provukante wegsehen wenn sie ihren Blick hob um sie anzususehen, nicht. Außnahmslos alle weiblichen Kurusteilnehmer kicherten hinter ihren vorgehaltenen Händen, als sie sich auf ihren Stuhl in der fordersten Reihe setzte, dabei fühlte sie die Blicke aller Kursteilnehmer auf sich. Schmerzhaft und unangenehm. Als würde man ihr einer ihrer so verhassten Impfungen verpassen. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, wie eine kleine Gruppe leise über etwas tuschelte und sofort still wurde, als sie ihren Blick auf sich gerichtet fühlten. Was sollte das? In ihrer ganzen Schulzeit war sie eher so etwas wie ein Geist gewesen. Klar hatte sie Freunde und unternahm auch etwas mit ihnen, aber diese waren die einzigen, die sie ansatzweise beachteten, zumindest im schulischen Bereich. Schwer schluckend lagen ihre Augen auf dem blonde Mädchen, das sich auf dem Stuhl hinter sie gesetzt hatte. Ihre fein geschwungenen roten Lippen formten sich zu einem breiten grinsen, während ihren Augen hämisch und schalkaft aufleuchteten. Melina kannte ihren Namen nicht, obwohl sie schon seit diesem Schuljahr mit ihrem Kurs saß, doch das wichtigste wusste sie: vor ihr saß niemand anders als der Capitain des Cheerleaderteams. Dieses Cheerleaderteams, das eine Art Schulzeitung in Form eines Bloggs führte, indem sie zum Beispiel einen schüchternenen Jungen dabei fotografierte, wie er in seiner Nase popelte, oder sich auf der Jungstoilette übergab, als er sich einen Magenvirus eingafangen hatte. „Melina...“, ihre Stimme hatte einen trällernden Klang angenommen, so wie sie es immer tat wenn sie jemanden vor versamelter Mannschaft in den Boden stampfte. „Ich hätte nicht gedacht das ausgerechnet du zur Schulbitch 2017 gekürt wirst, aber hey, die Zeiten ändern sich, nicht wahr? Oder wahrscheinlich warst du so froh, das dich endlich mal ein Kerl beachtet, dass du dich schwängern lassen wolltest, weil du wusstest, das er sich nicht mehr länger als nötig mit dir beschäftigt.“ Sie zwinkerte ihr so zu, wie sie die süßen Jungs der Schule anzwinkerte, ehe sie auf Melinas Pult zutänzelte und ihre Ellenbogen darauf stützte. „Doch das, was uns wirklich schockiert ist, das du dich im Park hast flachlegen lassen!“, gespielt angeekelt schüttelte sie mit ihrem Kopf, spielte dabei aber mit ihren Haaren herum und grinste breit. Das Gekichere das vor wenigen Minuten verebbt war, sprudelte wieder durch das ganze Klassenzimmer. Das blonde Mädchen gackerte amüsiert, etwas lief gerade mehr als megaschief. Sie soll was getan haben? Wer hatte ihr er hatte ihr  erzählt wen sie datete? Und seit wann interessierte das überhaupt irgendjemanden? Hatte Sam vielleicht.....? Eine unangenehme Gänsehaut breitete sich auf ihrem Rücken aus, all den chaotischen, schmerzenden Gedanken. Ihre Handflächen waren eiskalt und verschwitzt und ihr Kiefer verspannte sich, als sie leicht ihren Mund öffnete um etwas zu erwidern...doch sie brachte kein Wort heraus. Ihr Anblick war wohl mehr als ein paar Kicherer und amüsierte Blicke Wert, denn es verwandelte sich in lautes Gelächter. Es schmerzte in ihren Ohren und sie fühlte, wie sich ihr ganzer Körper dabei verspannte. Melina holte tief Luft, denn sie konnte nicht einfach hinausrennen, auch wenn sie sich dann vor diesen Blicken verdrücken könnte. Die Türe wurde plötzlich geöffnet und unser Lehrer trat in unsere Klasse, sofort wurde es still. Sein Blick viel auf ihren versteifte und zittrigen Körper. Andeutend zog er eine Augenbraue in die Höhe, doch gerade als er sie darauf ansprechen wollte, stolzierte das beliebteste Mädchen der Schule engelsgleichlächelnd auf ihren Platz zu und legte dabei ihren Zeigefinger auf ihre Lippen als sie in Melinas Richtung sah. Sie konnte es kaum erwarten, als sie die Einfahrt ihres Hauses schon von weitem erkennen konnte. Ihre Schritte wurden immer schneller, bis sie mit Tränen in den Augen immer in Richtung Elternhaus rannte. Ihr Atem ging etwas stockend, ihr Blick viel auf den Boden, als sie ihre Hände auf den Knien abstützte. Tief durchatmend wischte sie den Schweiß von ihrer Stirn, darauf zog sie mit ihrer anderen Hand mit einer Handbewegungen den Schlüssel hervor. Der Tag hatte so schlimm begonnen und auch so schlimm geendet. Melina konnte noch immer nicht ganz erklären, wieso das plötzlich ihr passierte. Es war zum kotzen! „Scheiße, verdammt!“ , Tränen perlten ihr über die Wangen, ihre Sicht verschwamm. Deswegen stolperte sie wohl auch über irgendetwas und viel mit einen schmerzhaften Zischen auf den Boden. Heulend rappelte sie sich vom Boden auf. „Dieser Tag kann doch nur beschissener werden, welcher Idiot lässt etwas hier einfach vor der Türe liegen...ou...!“ , ihre aufgequollenen Augen lagen auf dem mittelgroßem Paket. Das erste was ihr auffiel, waren die bunten Chibistikers und im nächsten Moment wollte sie es nur noch aufreisen, um den Inhalt in ihren zitternden Hände zu nehmen und es fest an sich zu drücken. „Es ist da...Er ist da!“ Kapitel 2: Schatten der Vergangenheit ✿ --------------------------------------- „So, er stand also vor Ihrer Haustür? Wann genau? Und was ist Ihnen durch den Kopf gegangen, als Sie ihn nach sieben Jahren wiedergesehen haben?“ Abigail Lyall starrte wie immer teilnahmslos auf ihren Schreibblock und tippte mit dem Bleistiftkopf auf diesem herum, wie bei einem dieser Taktgeräten, die einem, wenn man ein Instrument hatte halfen den richtigen Rhythmus zu finden, nur mit diesem Unterschied, das Evelyn diesen kleinen Tick alles andere als sympathisch, oder beruhigend ansah. Im Gegenteil. Es gab ihr das Gefühl ein unerwünschter, gerade eingequetschter Termin zu sein, der einem von seinem langersehnten Feierabend abhielt. Hart knabberte sich die Braunhaarige auf ihrer Unterlippe herum, wie immer wenn sie nervös war und sah verschüchtert wie ein kleines Mädchen, auf ihre halboffenen Ballerinas. Vor ihr erstreckte sich ein langweiliger, hellrosaner und ausgewaschener O-Teppich. Der hellbraune und ebenso verwaschen aussehende Laminatboden, roch wie jedes Mal wenn sie hier auf diesem albernen Sessel saß, in der ihr ganzer Körper jedesmal wie ein Stein im Meer unterging, nach Chemikalien. Sie fühlte sich so, als säße sie gerade in einem Krankenhaus. In einem Krankenhaus, das überlegte, wie sie ihr Herz am besten zum stillstand bringen konnten. Dann zuckte sie aber schließlich mit den Schultern und sah ihre Psychologin auf Lebenszeit wie so oft genau an. Fuchsrote, zu einem strengen Dutt zusammengefasste Haare, Teichgrüne, glanzlose Augen, genau so wie ihre blasse, porentiefreine Haut strahlten ihr entgegen und gaben Evelyn das Gefühl ein unattraktiver Trampel zu sein. „Wie soll es mir schon gehen?“ Tick, Tack, Tick, Tack.  Die  altmodische Uhr, genau so wie das stätige Klopfen des Stiftes auf dem harten Papier machte sie vollkommen kirre. „Das weiß ich nicht, Misses Prices, deswegen Frage ich Sie ja gerade nach Ihrem Wohlergehen.“ Reierte die junge Psychologin scheinbar gelangweilt und unbeteiligt herunter und überkreuzte ihre glatten, perfekt rasierten Beine. Evelyn schluckte, knabberte wieder hartnäckiger auf ihrer Unterlippe herum. Sie hasste diese Momente, hasste es Misses Lyal und ihre teuren, weißen Blusen und ihre enganliegenden Bleistiftröcke zu sehen. Hasste es, in ihr unbeteiligtes Gesicht zu starren und sich zu fragen, warum sie hier gelandet war, und warum sie diese Termine nicht einfach schwänzte. „Es fühlt sich schlecht an, einengend. Ich habe Angst.“ Rückte sie schließlich mit der Frage raus und sah überall hin, nur nicht in dieses Gesicht dieses lebendigen Eisklotzes. Es gab nur ein kleines Fenster das demensprechend wenig, beinahe kein Tageslicht spendete. Die Wände waren weiß gestrichen und mit langweiligen Kunstwerken und Postern zugeklebt worden. Schwarzweißfotografien von dem Shakespeare Globe Theatre, oder von dem berühmten, Londoner Zoo. Evelin wusste, das dieses Zimmer eigentlich etwas freundliches ausstrahlen sollte, doch die alten Gemälde des englischen Hochadels und der langweiligen Palme, die rechts hinter ihr stand, sendete nicht die hervorgesehenen Wellen der Beruhigung aus, genau so wenig fühlte sie sich hier in irgendeiner Weise wohl und geborgen. „Warum?“ Warum, warum, Sie wissen doch genau warum! Sie kennen mich wahrscheinlich besser, als ich mich selbst kenne!  Mit unterdrückter Wut, die davon kam, das sie sich von dieser Frau, oder besser gesagt von der ganzen Umwelt nicht verstanden fühlte, starrte sie Miss Lyal an, die nun ungeniert ihren Teebeutel aus der Tasse zog und etwas Milch, so wie einen Löffel Zucker in den Schwarztee goss. Tick, Tack, Tick, Tack. Etwas weiter außerhalb konnte sie zwei Personen hören, höchstwahrscheinlich welche, die hier angestellt waren und sich die Füße wund liefen. Evelyn glaubte so etwas wie Wut und Enthusiasmus in den beiden Stimmen herauszuhören, was hieß das sie höchstwahrscheinlich diskutierten. „Okay!“, das Topmodel von einer Psychologin hatte die „Alles-aus-der-Nase-ziehen-Tour“ anscheinend genau so satt wie sie. Evelyn hob die Augenbraue etwas an und beobachtete stumm, wie sie einen Schluck aus der Tasse nahm und starrte dann auf ihre Tasse, so wie auf die kleine Blechdose, die egal um welcher Tageszeit sie kam, immer mit Keksen gefüllt war. Heute waren es Sternenkekse, die etwas nach Zimt rochen und das einzige waren, was dem Glastisch vor ihr in irgendeiner Form etwas nicht so unpersönlichen Glanz verlieh. „Ich sehe, Sie fühlen sich unverstanden und verschließen sich wieder vor mir“, kurze Stille, „und das Sie selbstverständlicherweise verwirrt und verängstigt sind, aber wenn ich mir diese Aussage erlauben darf, Misses Price, habe ich Sie nach den Dingen gefragt, die Sie mir erzählen wollen – und das war die einzige Thematik, die Sie ansprachen. Deswegen gehe ich ganz natürlich davon aus, das Sie mir es erzählen wollen, auch, wenn es Ihnen nun so schwerfällt.“ Eine Feststellung, eine dieser Berühmten Misses Lyal Feststellungen, die auf ihren kalten aber dennoch analysierenden Charakterzug zurückzuführen war. „Ich schlage vor, wir machen es schon wie bei unseren letzten, deutlich weniger zeitverschwendenen Sitzungen: Sie erzählen mir einfach alles was an diesem Tag passiert ist und wie es Ihnen dabei ging.“ Die junge Erwachsene schluckte, knabberte auf ihrer Unterlippe herum, als wäre diese ein Stressball und kratzte sich währenddessen ihren rechten Unterarm, der nur deswegen nicht wieder aufging, weil sie sie, wie eigentlich immer langärmlige Sachen trug. Ihre Psychologin beobachtete sie dabei mit einer kühlen Genauigkeit – und als Evelyn schließlich vor lauter Aufregung einen Schnackler bekam und so hickste, als wäre sie ein Tierjunges das nach seiner Mutter rief, stellte sie die Tasse auf den Glastisch und stützte ihren Kopf auf ihrer Hand ab. Einen Tag zuvor  Unsicher griff Evelyn nach ihrem Hausschlüssel und zögerte beim dreifachen aufschließen ihrer kleinen Wohnung aus dem einfachen Grund, das sie sich nicht sicher sein konnte, wer denn vor ihrer Tür stand und auf sie wartete. Ihre Jungend, in der sie vor allem illegale und gefährliche Dinge getrieben hatte, hatte sie vorsichtig und vor allem paranoid werden lassen. Selbst in ihren eigenen, gemütlich eingerichteten vier Wänden fand sie keine Ruhe. Erneut klingelte es an der Tür, jedoch ohne Nachdruck, was bedeutete, das es jemand sein musste, der zumindest ansatzweise um ihre kaputte, völlig verquerte Psyche bescheid wusste. Hart stieß die 28 Jährige die Luft aus, wischte sich die Hände an ihrem Rock ab und wollte gerade ihre Brille zurechtrücken, bis sie bemerkte, das sie diese infolge ihrer Panikantacke und dem heißen, leckeren Café mit Schokosträuseln völlig vergessen hatte. Warte... welcher Tag war heute? Verdammt! Laut rauschte das Blut in ihren Adern und sie biss sich für den Bruchteil einer Sekunde auf die Unterlippe, bis sie nun mit peinlichschnellen Bewegungen die Tür aufschloss. Heute war Sontag. Sontag der 21 Mai. Dieser Sontag an dem sie überraschend viel um die Ohren hatte und auf die Nachbarskinder aufpassen musste, da die Eltern mal wieder bei irgendeinem Vorstellungsgespräch von einem ihrer Produkte auftauchen mussten und deswegen keine Zeit hatten sich um ihre Kinder zu kümmern. Die Hände der jungen Frau wurden nur noch feuchter vor Aufregung, als sie ihren Schlüssel nun zum dritten Mal im Schloss herumdrehte. Nicht mal die zwei kugelrunden Augen der Kinder beruhigte sie in dem Moment, als sie die Tür aus lauter Verlegenheit von einer Sekunde auf die anderen aufriss. „Misses Price!“, die schöne Frau mittleren Alters streckte ihre rechte Hand aus und Evelyn gab ihr mehr als nur verpeilt die Hand und zuckte beinahe zusammen bei dem festen Druck. Diese Frau vor ihr strahlte so etwas selbstbewusstes und selbstzufriedenes aus, das sie schon beinahe eifersüchtig werden konnte. Was hieß, das sie bereits eifersüchtig war, und jedesmal, wenn sie sich trafen wollte Evelyn den bitteren Geschmack auf ihrer Zunge sofort wieder herunterschlucken, wie ein Gericht das ihr nicht behagte. „G-uten Morgen!“, stammelte sie nach wenigen Augenblicken zurück, die ihr aber selbst wie endlose, peinliche Minuten vorkamen, dann fanden ihre Zähne wieder den Weg zu ihrer Unterlippe. Dann hob sich ihre Hand wieder wie von selbst, um die Brille in die richtige Richtung zu rücken, bis ihr dann aber wieder einfiel, das dieses dämliche Ding einen Stockwerk weiter oben auf ihrem Nachtkächstchen lag. „Guten Morgen, Miss Price!“, stimmten die zwei Kinder plötzlich im Chor ein. Ruby, die Tochter ihrer Chefin und gleichzeitig jüngstes Kind, hoppelte wie selbstverständlich auf sie zu und legte ihre zierlichen Kinderarme um die Beine der Frau. „Ruby!“ , mahnte die Mutter sofort und sah sie nun genau so peinlich berührt an, wie sie sie vor wenigen Minuten angestarrt hatte und begann ein kleines Augenduell, das immer damit endete, das ihr Blick sich neben dem Platz ihres älteren Kindes bohrte. Evelyn schenkte der Kleinen einen Blick, der ungefähr die selbe Bedeutung wie „hab Geduld, Maus“ hatte und sah gleich darauf wieder auf den deutlichen älteren Jungen, der schon mit seinen neun Jahren die Ausstrahlung eines jungen, erfolgreichen Anwalts hatte. Nur die blaue Jeanshose und das locker sitzende Oberteil mochten nicht zu seinem jetzt schon erwachsenem Verhalten passen, was die junge Frau doch etwas verwunderte. „Guten Morgen, Nanny – Price!“ In seinen kleinen Armen hielt er seinen Schulrucksack, der höchstwahrscheinlich mit Schulheften und weiteren Lernmaterialien vollgestopft war. Innerlich schüttelte die Braunhaarige den Kopf, da sie nicht verstehen konnte, wie eine Mutter einem ihrem Kind auf diese Art die Kindheit nehmen konnte, doch anderseits hatte sie am allerwenigsten das Recht, so zu tun, als wüsste sie wie man ein gesundes Leben führte. „Guten Morgen, Mason!“, hauchte sie stadtessen leise und nahm dem Kind den Rucksack ab, so als wollte sie das Kind somit von seiner Last befreien. Ruby hüpfte nun nicht mehr vor ihren Beinen herum und starrte gelangweilt aber auch eingeschüchtert auf den Boden. Rette sie!  Hörte sie eine deutlich mehr ansprechbare Stimme in ihrem Kopf und so schaffte sie es endlich den Mund aufzumachen. „Um wieviel Uhr soll ich die Kinder wieder in Ihre Obhut geben, Misses Jackson?“, fiebste sie in einem unterwürfigen und freundlichen Ton, die der Frau aber gar nicht aufzufallen schien. „Um 18 Uhr. Mein Mann und ich sind gleich darauf auf einer Gala eingeladen, die mit einer kleinen Teeparty ihr Ende finden wird. Doch bis zum Abendessen müssten wir wieder da sein.“ Können Sie sich nicht wenigstens am Wochenende um Ihre Kinder kümmern? Richtig kümmern? Mit ihnen in den Park gehen, sie spielen lassen....   „In Ordnung.“ Rubys Augen funkelten freudig auf, als die Mutter der Kleinen zufrieden nickte, ihr sogar ein kleines, müdes Lächeln schenkte und ihren Kindern zu der großen Verwunderung Evelyns jeweils einen Kuss auf die Stirn hauchte, ehe sie sofort in Richtung Aufzug stöckelte. Erst dann erlaubte sich Evelyn, die Kinder in ihre kleine Wohnung zu schieben, die Türe zuzuknallen, diese wieder dreimal zu verschließen und die kleinen Wesen, die sie so über alles liebte herzlich zu umarmen und durchzuknuddeln. Ruby kicherte, schlang ihre Arme und Beine um den gutgebauten Körper der älteren Frau und als die Braunhaarige sie hochhob, quietschte sie begeistert vor sich hin und kuschelte sich in ihrem Bademantel, den sie leider Gottes immer noch trug, da sie gestern Nacht mal wieder zu viele Sicens Fiction Filme gesehen hatte und durch ihr sanftes Wesen eine Ewigkeit gebraucht hatte, um das Gesehene zu verarbeiten. „Wie oft muss ich dir sagen, das du dich immer gedulden musst, bis deine Eltern da sind?“, tadelte sie die kleine Maus sanft, stellte sie aber wieder zurück auf den Boden und fuhr dem deutlich stilleren und weniger kuschelwürdigem Jungen durch sein rotbraunes, verwuscheltes Haar das er von niemand anders, als seiner Mutter geerbt hatte. Die Kleine zog einen Schmollmund, „aber ich will doch zu dir, wenn Mama uns zu dir bringt.“ Bockig verschränkte sie die Arme vor der Brust und Evelyn kicherte, als sie den Älteren dabei beobachtete, wie er genervt seine Augen verdrehte und dabei so aussah, als würde er überlegen, wie er den Tag mit seiner nervigen, kleinen Schwester überleben würde. „Weiß ich doch!“, grinste sie und schüttelte sanft mit ihrem Kopf, ehe sie mit ihren Schlafsachen, der aus einem perlweißen Morgenmantel und Hausschuhen, die so wie Pandas aussahen bestand in Richtung Küche schlürfte. Die Kinder folgten ihr auf Schritt und Tritt, wobei die Kleinen erst ihre Schuhe und Jacken ausgezogen hatten. „Habt ihr schon gefrühstückt?“, die 28 Jährige gähnte. Café. Sie brauchte dringend Café! Müde rieb sie sich über die Augen, brauchte aber drei Anläufe um den richtigen Knopf zu drücken, da sie erstens noch halb schlief, zweitens, weil sie ohne ihre verdammte Brille blind wie ein Maulwurf war. „Nö!“, antwortete Ruby wie immer und kletterte begeistert auf den großen Holzstuhl, während Mason zwischen den beiden Frauen hin und hersprang und darauf achtete, das seine kleine Schwester und die Tasse seiner Nanny nicht auf den Boden landete, da ihr diese wie eigentlich fast jeden Morgen aus der Hand gefallen war. „Mummy und Daddy müssen früh zum Flughafen, doch Mum hat gemeint, das das nicht schlimm ist, da sie meinte das du uns ein sehr leckeres Frühstück machen wirst. Ein Büfett mit allem was uns schmeckt, das stimmt doch, oder?“ Evelyn lachte. „Naja, ein Büfett wird es vielleicht nicht werden, aber ich kann euch gebratenen Frühstückspeck mit Rühreiern und frischgepressten Orangensaft machen.“ Fröhlich zwinkerte sie den Kindern zu und grinste, als die sonst die ernsten Augen des Jungen aufgeregt zu funkeln begannen. „Mit heißer Schokolade?“, scheinbar peinlich berührt, das er diese Frage stellte senkte er den Blick, doch seine Nanny streichelte ihm nur beruhigend über den Kopf. „Natürlich, Mason. Sogar mit Marshmallows!“ Der Kleine strahlte über das ganze Gesicht, ließ sich dann aber ohne zu Murren das Besteck, die Gläser, die Tassen in die Hand drücken und lief dann wieder still wie eine Maus um den Früstückstisch und deckte diesen, während Evelyn die Eier verrührte und den Speck anbriet. Es war ein überraschend warmer Tag in London, die Sonne schien hell wie eine Scheibe über die Stadt. Ruby sang die halbe Zeit und verkündete, als das Essen auf den Tisch gestellt wurde, das sie beten wollte, worauf Evelyn erst leise das englische Vater Unser vor sich hersang, dann sprach Ruby das Morgengebet und auch Mason hatte sich wahrscheinlich aus reiner Gewohnheit heraus, einen kleinen Text aus der Bibel zitiert. Die Eltern der Kinder nahmen die Sache mit der Religion, den Sitten, genau so wie mit der Disziplin sehr ernst, weswegen der Ältere der beiden auch auf einer Privatschule angemeldet war, in der sie die Kinder schon im jungen Alter zu Eliteschüler erzogen. Evelyn verstand das alles nicht. Warum diese Eltern alle dazu bereit waren, die Kindheit ihres eigen Fleisch und Blut wegzuschmeißen. Klar hatte diese Art von Bildung seine Vorteile – aber was brachte es den Kindern? Wenn sie zwar viele Möglichkeiten hatten sich weiterzubilden, aber sich nie ihrem Alter entsprechend verhalten durften? Was sollten sie denn mal erzählen können wenn sie älter waren? Das sie gleich nachdem sie laufen konnten, zum Ballett oder Fußballunterricht geschleift wurden? Das sie ihre Jugend, die man dazu verwenden sollte, zu sich selbst zu finden und wichtige Erfahrungen zu sammeln in Universitäten gammelten, hinter dem Schreibtisch standen, oder ein Instrument in der Hand hielten und sich während eines weiteren Unterrichts, den sie wieder gegen seinen Willen aufgebrummt bekommen hatten, sich halb zu Tod langweilten? Eine halbe Stunde später, wieder im Büro von Misses Lyal Evelyn lächelte und strich sich wie immer, wenn sie hier in diesem langweiligem, öden und weißen Zimmer saß über die Ärmel und wippte dabei vor und zurück, starrte derweil die Keksdose an und fragte sich gerade tatsächlich, ob sie zum ersten Mal in ihrem Leben hineingreifen sollte. Von den beiden Nachbarskindern zu erzählen hatte ihr wirklich geholfen, wieder auf den Boden der Tatsachen zurückzufinden. Der stechende Schmerz in ihren Schläfen pochte nun nur noch halb so schlimm, wie vor einer halben Stunde und auch der widerliche Geruch nach Defektionsmittel  und Chemikalien machte ihr nun nicht mehr sehr viel aus, auch, wenn es ihr trotz allem immer noch die Luft zum atmen nahm. Dieser Raum hatte wirklich ein paar Fenster nötig, die auch schnell geöffnet werden sollten. „Und zu welchem Zeitpunkt kam nun er  ins Spiel?“ , wie immer, wenn Evelyn um 'den heißen Brei' herumredete, wurde Misses Lyal ungeduldig. Denn diese Frau hasste es zu warten. Die 28 Jährige glaubte sogar, das es, wenn die Sitzung wirklich nur nach dieser Frau gehen würde, würde sie ihre Probleme ohne große, emotionale Veränderung vortragen und das wäre es gewesen. „Nun ja, so ziemlich am Ende des Tages. Am späten Nachmittag.“ Tick, Tack, Tick, Tack.  Gott, diese verdammte Uhr würde schon bald der wahre Grund ihres Nervenzusammenbruchs sein, vor allem, da sie es gerade erst geschafft hatte dieses blöde Teil zu ignorieren. Evelyn knabberte nun wieder zum ersten Mal seit zehn Minuten an ihrer Unterlippe herum, während das Streicheln ihrer Oberarme wich und wieder zum kratzen wurde. Ihr Herzschlag wurde wieder so laut, das sie ihr eigenes Blut in den Ohren rauschen und pulsieren hören konnte. „Hier kann Ihnen nichts geschehen, das wissen Sie, oder, Misses Price?“ Sie würde es noch mehr wissen, wenn diese Frau ihr nicht die Mimik eines Eisblocks hätte. Oder wenn diese Frau vor ihr nicht mehr so mit ihr sprechen würde, als spräche sie gerade von dem langweiligsten Film, der ihr jemals vor die Augen gekommen war. „Natürlich.“ Rein theoretisch zumindest. Evelyn sog scharf die stickige Luft ein, schloss die Augen, kratzte genau drei Minuten und fünfzehn Sekunden an ihren Armen herum, als hätte ihr der Teufel höchstpersönlich eine giftige Substanz, oder zumindest Juckpulver daraufgeschüttet, ehe sie es nun endlich einigermaßen schaffte sich zusammenzureißen und stadtessen wieder auf ihren Schläfen rumzudrücken, auf ihren Lippen herumzukrabbeln, bis sie wund wurden. Sogar leicht bluteten. Raus aus meinem Körper. Bitte, bitte. Verschwinde endlich!   Das Schaukeln wurde schneller, unkoordinierter, aggressiver, als sich die angstmachenden Hormone und das Adrenalin, das nur für die Angst zuständig war, durch ihre Adern schoss und ihr die Luft zum Atmen nahm. Gott, selbst der Gedanke an diesen... diesen verdammten Bastard reichte aus, um sie in Todesangst zu versetzen!  „Misses Prices!“, die Stimme von Misses Lyal nahm einen beschwörenden Ton an, was jedoch nicht hieß, das Evelyn irgendeine Emotion heraushören konnte. „Atmen Sie tief ein und aus und beruhigen Sie sich. Sie sind nicht an diesem Ort. . Ihr Bruder ist nicht in Ihrer Nähe und Drogen erst recht nicht. Kommen Sie wieder zu sich und erzählen Sie mir, was Ihnen so eine große Angst macht und  warum Sie sich fürchten.“ Evelyn begann zu lachen, weil sie nicht weinen wollte. Schallend. Was und warum? War eine seltsame Art und Weise Witze zu reißen, oder war das eine Pfandfrage? Das Lachen der Braunhaarigen verwandelte sich in ein leises atemloses hicksen, das sie erst nach weiteren zwei Minuten zumindest so unter Kontrolle hatte, das sie bei dem Versuch ein Wort rauszubekommen nicht erstickte. Zumindest kam ihr das so vor. „Es passierte um sechzehn Uhr.“ Tick, Tack, Tick, Tack. Einatmen, ausatmen.   „Ich habe einen schönen Tag mit den Kindern gehabt.“ Evelyn lächelte und wischte sich die Tränen von ihren Augenwinkeln, starrte nun durch ihre Psychogin hindurch, als wäre sie in irgendeiner Weise Autistisch, bis sie schließlich ihre Arme um sich selbst schlängelte und starrte weiter durch Misses Lyal hindurch, die in aller Seelenruhe mitschrieb. Als würde es sie gar nicht kümmern, das jemand anders vor ihren Augen zusammenbrach und scheinbar zusammenhangsloses Zeug vor sich hinmurmelte. „Ich habe den Vormittag damit verbracht, Mason bei seinen Hausaufgaben zu helfen. Er musste ein Kapitel eines Buches lesen und dann aufschreiben, was in diesem Kapitel passiert ist. Außerdem hat er eine halbe Seite im Mathebuch aufbekommen, dessen Schrift so klein war, das ich das Licht habe anschalten müssen, um überhaupt was entziffern zu können. Ruby hat so lange mit den Spielzeugen gespielt, die ich von Zeit zur Zeit gekauft habe, damit sie sich bei mir nicht langweilt. Dann habe ich mich schon wieder um das Mittagessen gekümmert und Mason, der süße Kerl weiß wegen seiner beschissenen Erziehung nicht, wie man sich als neunjähriger verhält und wie man richtig spielt, also hat er mir beim kochen geholfen. Danach haben wir uns einen Film angesehen: Ein Land vor unsrer Zeit. Die Kinder waren begeistert, doch nach dem Film habe ich sie ins Bett gebracht, da sie ihren Mittagschlaf braucht, sie ist ja erst fünf.“ „Und dann?“, fragte Misses Lyal, wie immer unberührt, doch immer ungeduldiger werdend. Ihr gingen diese unnötigen Informationen auf die Nerven, sie wollte immer nur das auschlaggebende hören, ohne um sich um das um den heißen Brei Gerede anhören zu müssen. „Er  kam. Ein paar Stunden später. Während die Kinder in meiner Wohnung waren.“ Einen Tag zuvor Die erste Tasse Tee dieses Tages trinkend, schlürfte sie dieses mal mit einer engen, schwarzanliegenden Hose, einer gebügelten Bluse mit Spitze und vor allem mit gekämmten Haaren wieder in Richtung Wohnzimmer und sah den beiden Kindern grinsend dabei zu, wie diese ihren alten Holztisch belagerten und mit Holzstiften fleißig einen Bild nach dem anderen malten. „Evi!“, quietschte die Kleine, als sie sie wieder entdeckte und stand mit solch einer enthusiastischen Bewegung auf, wie es nur Kleinkinder konnten, ehe sie stolz ihr Bild in die Höhe hob. „Sieh Mal, ich habe LittleFoot gemalt! Sieht er nicht toll aus?“ „Das soll ein Dinosaurier sein?“, antworte ihr großer Bruder skeptisch und begutachtete das Bild mit einem seltsam geschockten Blick, so als wäre er ein Lehrer, der eine schlechte Klassenarbeit vor sich liegen hätte und sie korrigierten müsste. „Der sieht aber doof aus, wie ein riesiger, linaner Farbklecks!“ „Stimmt nicht!“, sofort sammelten sich Tränen in Rubys Augen. „Das ist LittleFoot und er sieht gut aus und Evi sagt das auch, oder Evi?“, Evelyn lächelte die Kleine zärtlich an und wechselte einen kurzen Blick mit Mason, der den Jungen sofort zum schweigen brachte. „Natürlich doch, Süße!“, entspannt schlürfte sie an ihrem Tee, verschluckte sich aber an dem heißen Gebräu, als es an der Tür klingelte. Wie in Trance stellte sie die Tasse auf den Wohnzimmertisch und wie immer, wenn es an der Tür klingelte, egal ob unangekündigt oder nicht, wurden ihre Hände feucht. Evelyn schluckte, knabberte verzweifelt an ihrer Unterlippe herum und ballte ihre schon jetzt mehr als verschwitzten Hände zu Fäusten. „Mason!“, hörte sie die Kleine wie meilenweit entfernt sagen und bemerkte es nur wie nebenbei, das sich Ruby neben ihren großen Bruder gestellt hatte und an seinem Pullover herumzog. „Evi hat wieder Angst vor der Klingel!“ , Mason verdrehte genervt die Augen. „Hat sie nicht. Sie hat Angst vor der Person, die klingelt.“ Korrigierte er sie mit seiner ganzen Geduld, die er für seine kleine Schwester aufbringen konnte. „Weil sie nicht weiß  wer  klingelt.“ „Weil sie die gemeine Omi von nebenan nicht mag?“ Würde es Evelyn nicht so verdammt schlecht gehen, hätte sie vor Entzücken gequietscht, oder zumindest wegen des Spruchs gelacht, der nur von einem Kind kommen konnte. Jetzt aber starb sie vor Angst und war kurz davor, sich vor den Kindern die Arme aufzukratzen und sich heulend auf den Wohnzimmerboden zu schmeißen, wie ein Baby. Mason schien es aufgegeben zu haben, seiner Schwester irgendetwas erklären zu wollen und konzentrierte sich eher auf seine psychisch unlabile Nanny, die vor ihm stand und vor seinen Augen in Tränen ausbrach. „Soll ich mitgehen, Evi? Ich streck der bösen Omi auch die Zunge raus, wenn sie gemein zu dir ist!“ , bot sich Ruby hilfsbereit wie immer an und hoppelte auf Evelyn zu, die trotz ihrer Todesangst nicht anders konnte, als weinerlich aufzulachen, während sie es zuließ, das das kleine Mädchen sie sanft aber bestimmt in Richtung Haustür zog. Mason stapfte gelangweilt hinter den zwei Frauen her und ließ ein scheinbar verzweifeltes Seufzen von sich hören, als seine Schwester ein „die Türklingel ist nicht böse, Evi!“, von sich gab. Evelyn hatte doch keine Angst vor der Türklingel. Seine kleine Schwester verstand auch gar nichts! Doch die Braunhaarige bekam nichts von der Konversation, oder der Tatsache, das sie sich vor den Kindern, auf die sie eigentlich achtgeben musste, doch das Ganze nun eben andersherum stattfand gar nicht mit. Später, wenn sich herausstellte das diese Person, die gerade auf die Türklingel einschlug, jemand ganz harmloses war, würde sie sich dann in Grund und Boden schämen, das sie sich so verhielt wie gerade eben. Also gut, du wirst dich jetzt zusammenreißen, Evelyn Price!   Langsamen Schrittes, ging sie immer weiter auf die Tür zu und wischte sich mehrmals ihre schwitzigen Hände an ihrer Hose ab, ehe sie ihre zitternde Hand auf den Schlüssel legte, versuchte mit der Angst fertigzuwerden, die sich in sekundenschnelle in Todesangst verwandelte. Laut pochte ihr Herz gegen die Brust, bis sie diesen nervigen, anhaltenden Druck an ihren Schläfen fühlte, der sie wiederum beinahe dazu brauchte, zusammenzubrechen. Gott, Mädel!  Schallte sie sich selbst, als sie am Rande ihres Bewusstseins die Blicke der Kinder auf sich spürte. Wahrscheinlich war es einer der tausend Nachbarn, die irgendetwas von ihr wollten. Evelyn lebte nämlich in einem riesen Wohnkomplex, indem tausende Wohnungen angelegt waren. Vielleicht wollte sie der nette, ältere Mann wieder zum Tee einladen und drückte nur aus diesem Grund die Türklingel immer und immer wieder, weil er schlecht hören konnte und dachte, sie höre es nicht, da ihre Klingel eine Macke hatte. Vielleicht war es aber auch einfach der Postbote, der ihr endlich das Päckchen brachte, oder ihr Vermieter der sichergehen wollte, das sie ihre Wohnung nicht vernachlässigte. Wer auch immer es war, war es nicht wert, das sie sie einer ihrer berühmten Panikattacken  bekam und durchdrehte. Zumindest fühlte sie sich das einzureden, als sie an ihrer Unterlippe herumknabberte und dann kurz die Augen schloss, da ihr schwindlig wurde. Dann atmete sie tief ein und drehte den Schlüssel, der immer im Schloss steckte auf. Einmal. Tief einatmen. Zweimal. Ausatmen. Und das dritte mal. Die Tür ging auf, langsam, knackend, quietschend und Evelyn presste die Augen aufeinander und ballte die Hände zu Fäusten, damit sie den Kindern nicht den Fehler begann ihre Ärmel hochzukrempeln, denn dann würden sie ihre Narben sehen. Schließlich aber spürte sie die Präsents der Person, die etwas von ihr wollte. Scharm vermischte sich mit Angst. Dann öffnete sie die Augen und ihre Lippen formten ein großes „o“, bevor dann ihr Mund immer weiter und weiter aufklappte, so lange, bis ihr Unterkiefer schmerzte. Kreischend schlug Evelyn um sich. Versuchte vergebens, die Hand, die sich grob um ihren Hals gelegt hatte, wegzudrücken. Doch er war viel, viel stärker. „Du mieses Stück Scheiße!“ Wie kleine Regentropfen verteilte sich der Speichel auf ihrem ganzen Gesicht, als er sie anschrie, so laut, das sie das Gefühl hatte, ihr Trommelfell würde platzen. Schwarze Punkte tanzten um ihr inneres Auge herum und wurden immer mehr. „Lass...“, ihre Schläge bebten ab, wurden langsamer, schwächer. Gurgelnd versuchte sie Luft zu holen, was sich aber als Fehler herausstellte, denn nun konnte sie ihn riechen. Sein Gestank. Die Drogen. Die Zigaretten. Den Alkohol. Den Schweiß. Dieser Mann vor ihr, war das Widerliche in Person.   Langsam aber sicher begannen nun ihre Beine nachzugeben, als sie denn grinsenden Mann nun länger betrachtete. Seine braunen Haare, die viel zu lang waren und am Ansatz fetteten. Sein wiederlichperverses grinsen, das seine geblichen Zähne präsentierte. Seine magere Gestalt und seine gräuliche Haut – und vor allem, seine glasigen, tiefsitzenden Glubschaugen, die hungrig aufleuchteten. Hunger auf Drogen. In Evelyns Kopf drehte sich alles, als der Mann sich scheinbar in aller Ruhe gegen den Türrahmen lehnte und sie mit einem schmalen, spitzen Lächeln beobachtete. „Hallo!“, grüßte er sie mit solch einer gespielten Freundlichkeit, das ihr schlechtwurde. „Ich dachte, ich schau mich mal in dem Schuppen um, um zu sehen was hier so abgeht und dann sehen meine Augen das !“ , pfeifend breitete er die Arme aus. „Ein mir nur allzu bekanntes Namenschild, auf dem der selbe Nachname aufgedruckt worden ist, wie ich ihn habe. Und da dachte ich mir, meine Eltern können es nicht sein, die interessieren sich schon seit zwölf Jahren einen scheißdreck um mich und leben immer in der gleichen Bude, also kann es nur meine reizende, kleine Schwester sein.“ Sein Grinsen wurde von Sekunde zu Sekunde breiter, bis es sich zu einem leichten Schmunzeln verzog und sich dann in eine faltige Fratze, als er die beiden Kinder hinter ihr erblickte. Ruby war inzwischen ganz leise geworden und presste sich nun ebenso zitternd an ihren großen Bruder, der sich wiederum hinter ihr versteckte und von ihrem Rücken aus nach vorne schielte und ihn voller Angst beäugte, doch als das kleine Engelchen dann anfangen wollte zu schreien, bekam sie von Mason einen sanften Stoß in die Rippen, was ihren älteren Bruder dazu brachte gespielt freundlich und breit zu grinsen. „Na wen haben wir denn da! Zwei kleine Kinderlein! Und so schick  und adrett  angezogen!“, Evelyn zuckte zusammen, als seine Stimme einen künstlich frohen und hohen Ton angenommen hatte und er mit großen, lauten Schritten weiter auf die drei zuging und sie einfach umrundete, nur, um neben den Kinder stehenzubleiben und sich langsam zu bücken, damit er wenigstens einigermaßen auf Augenhöhe mit den beiden war. „Sind das deine Kinder, Evelyn? Bin ich etwa Onkel  geworden?“, er kicherte leise und umfasste das sanfte, kindliche Gesicht der kleinen Ruby, die nun nichts weiter als ein zitterndes, kleines etwas war. „Wie heißt du denn, mein Zuckerpüpchen? “ Evelyn schloss die Augen, atmete tief ein und aus, als die kleine ein leises, hauchendes „Mummy hat mir gesagt, das ich nicht mit fremden reden darf!“, von sich gab und sich an Mason klammerte, der sie an der Hand packte und sie von ihm wegzog. „Dann hast du aber eine wirklich schlaue Mummy!“, nickte ihr Bruder scheinbar anerkennend und ging vor ihr auf die Knie. „Aber ich bin nicht fremd, weißt du? Ich bin Gregory! Also, willst du mir nun auch deinen verraten?“ Beide Kinder schüttelten synchron und zitternd den Kopf , was den schlaksigen Mann dazu brauchte zu seufzen, doch als die Kleinen dann noch zu weinen anfingen, regte sich in Evelyn etwas. Ihr Zittern verebbte, wenn auch nur etwas und verwandelte sich stadtessen in Wut und Kraft. Dabei löste sich der Klos im Hals, der die ganze Zeit ihrem Hals festgesteckt hatte und ihr die die Kraft zum atmen nahm in Luft auf und sie fing an zu kreischen. Laut und schrill. Die Tränen tropften nur an ihren Wangen hinab, während sie ihren älteren Bruder am Handgelenk packte und ihn grob von den Kindern wegzog. Gegory fluchte überrascht, ließ es aber zu das seine jüngere Schwester kreischend und heulend auf seine Brust einschlug wie eine Gestörte und ihm dann die Tür vor die Nase zuschlug, als sie ihn über die Türschwelle geschubst hatte. „Du hast nicht das Recht, mir meine Neffe und meine Nichte vorzuenthalt[en!“, schrie er die Tür an und Evelyn schloss ihre Tür mit hochrotem Gesicht ab, dieses mal ganze fünf Mal. Dann sprach sie zum ersten Mal seit sieben Jahren mit ihrem Bruder. „Selbst wenn es meine Kinder wären, würde meine Antwort doch  lauten, Gregory Price!“ Ihr Bruder fluchte mehrmals und hämmerte eins, zwei Mal gegen die Tür, was Ruby und Mason dazu brachten sich heulend an sie zu klammern. Auch Evelyn weinte wie aus Regengüssen, es tat ihr so unendlich leid das sie das miterleben mussten. „Wir warten bis er verschwindet.“ Sanft und beruhigend kraulte sie den beiden die Köpfe. „Wenn er das nicht tut, hohle ich die Polizei, ansonsten fahren wir in die Stadt. In mein Büro. Evi hat mal wieder ihre Unterlagen vergessen – und dann können wir im Park spazieren gehen und zum Spielplatz gehen, wie versprochen.“ Die beiden nickten schluchzend und die 28 drückte die beiden fest an sich, ließ es zu das sie ihre Bluse nassheulten und saß eine ganze, halbe Stunde mit ihnen auf den Boden und wartete geduldig, bis sich die Kinder beruhigt hatten. Wieder in der Gegenwart  Evelyn schnäuzte heulend in das weiße und weiche Taschentuch, das sie wie immer wenn sie hier in Therapie saß in ihre Handtasche gestopft hatte und blickte die Psychologin hilfesuchend an, in Hoffnung, endlich etwas wie Emotionen in ihrem Gesicht zu sehen, doch sie wurde enttäuscht. Misses Lylal sah sie mehrere Minuten schweigend an, dann nippte sie wieder an ihrem Tee und besaß wirklich die Frechheit, sich einen Keks zu klauen und sich ein Stück abzubeißen. Dann aber schließlich unterbrach sie die Stille. „Wissen Sie, warum Sie bei mir in Behandlung sitzen, Misses Price?“ Verwirrt und gleichzeitig wütend zog sie die Augenbrauen zu einer geraden Linie zusammen, nickte dann aber. Miss Lyal wirkte zum ersten Mal seit der zwei Stunden Sitzung richtig zufrieden. „Natürlich sprechen wir auch von Ihrer Drogensucht, die sie aber überwunden haben, Misses Prices, aber auch über die Tatsache mit ihrem Bruder und dem Zwischenfall mit der Polizei. Wissen Sie, was passiert ist?“ Ja, natürlich. Evelyn hatte alles sagen müssen, was sie in den Monaten ihrer Drogensucht erlebt hatte und dazu gehörte natürlich ihr Bruder und alles, was er so für Dreck am Stecken hatte. Doch als sie der Kriminalpolizei die Daten ihrer alten Wohnung gab, war diese Leergeräumt worden. Es gab nicht die geringste Spuren von Drogen, oder gar von ihrem Bruder und seinen Kumpels, was sie wiederum ziemlich blöd dastehen ließ. Der Fall wurde als ungelöst abgestempelt, genau so wie sie den Stempel als Drogensüchtige, die sich in ihrer Sucht und im Rausch der Drogen aufgebrummt bekommen hatte. Seitdem wurde alles, was Evelyn zu diesem Fall zu sagen hatte, als eine Lüge, oder zumindest als eine Halbwahrheit angesehen, die sie nur für sie die Wahrheit war, aber ansonsten völliger Blödsinn. Eben Zeug, das eine Drogenabhängige eben so vor sich hinquatschte wenn sie high war und glaubte Dinge zu sehen. „Es ist nicht so, das ich glaube, das Sie mit den Erzählungen lügen, was ihren Bruder angeht, doch lassen Sie mich einen kleinen Gedankenteil meinerseits mitteilen: Sie haben ein mehrfache Traumas erlitten, die sich im Laufe der Jahre verschlimmert haben, was mich auch gar nicht verwundert. Und auch, das Ihr Bruder viele, schreckliche Dinge getan hat, glaube ich Ihnen. Doch das, was eben ich als Psychologin sehe ist, das Sie Ihre Vergangenheit zu sehr mit der Gegenwart vermischen. Oder anders gesagt: durch Ihre Vergangenheit mit Ihrem Bruder, sehen Sie Dinge, die Sie sehen wollen.Und das ist eben, das er sich kein bisschen verändert hat und Ihnen nachstellt.“ Evelyn hörte sofort auf, mit ihren Nägeln auf ihren langen Ärmeln rumzukratzen, um sich ihre Narben nicht aufzuscheuern und blickte den Eisklotz auf zwei Beinen wütend an. „Wollen Sie mir sagen, das ich mir das alles nur  einbilde? Und was ist mit den Kindern und der Tatsache, das er heute Morgen schon wieder an meiner Tür geklopft hat und sich erst nach einer Stunde wieder verzogen hat?“, hochrot zog sie sich von diesem albernen Sessel hoch, als sie der Psychologin die Worte beinahe ins Gesicht spuckte. Warum war sie gekommen? Was hatte sie bitte von dieser Frau erwartet? Etwa Mitleid und Verständnis? „Misses Price!“, mahnte Misses Lyal sie zischend und starrte sie so an, als säße sie vor einer Teenagerin, die einen ihrer typischen, pubertierenden Anfälle hatte. Evelyn wischte sich noch einmal über ihre feuchten Augen, dann zog sie ihren Schlüssel aus der Tasche hervor und spielte mit ihrem Schlüsselanhänger herum, während sie an ihren Lippen herumkbabberte. „IhrMiss Price können Sie sich heute sonstwo hinstecken! Die Zeit ist um und ich habe keine Lust, unnötig hier rumzusitzen. Auf Wiedersehen!“ Heimlich wartete Evelyn auf die wunderschöne und eiskalte Misses Lyal. Darauf, das sie ihr hinterherrennen würde, doch nichts geschah. Nicht mal ihr blöder Sekretär schenkte ihr den geringsten Blick und schickte einfach ihre nächste Patientin zu ihr in Behandlung und schrieb irgendetwas in das Buch, das vor seiner Nase lag. Also trampelte sie wimmernd und kreischend wie eine Verrückte bis in Richtung Parkplatz, löste ihr Ticket ein, düste viel zu schnell über die Straßen und ließ sich viel zu viel Zeit und sprach auf ihrem Büro niemanden an, druckte nur die Informationen, die sie gestern Nacht noch auf ihren Stick gespeichert hatte aus und erstellte ihre PowerPoint noch fertig, ehe sie dann endlich Nachhause fuhr und ihr Paket vor ihrer Haustür erblickte. Klein, mit Chibistickers zugeklebt. Doch Evelyn hatte nicht mal den Nerv sich zu freuen und begnügte sich einfach damit, den Karton aufzureißen und in ihr Bad zu schlürfen und sich heißes Wasser einlaufen zu lassen. Das letzte, was sie sah bevor sie sich tiefer ins Wasser gleiten ließ, war das Kisameplüschtier, das sie zärtlich auf ihr Kissen gelegt hatte. Dann schloss sie grinsend die Augen.               Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)