Der Schnitt von Suzette_Godault (-- eine Studie in Rot) ================================================================================ Kapitel 2: II ------------- Stéphane, ein Freunde, den ich in einer Vorlesung über Martin Heidegger und dessen Einfluss auf den französischen Existentialismus kennenlernte, sagte mir einmal, dass die Phase des Verliebtseins nur etwa 6 Monate andauere und dann abflachen würden, bis keine Gefühle mehr da wären. Dann ginge man eben auseinander. „Aber nicht alle tun das“, erwiderte ich. „Manche bleiben auch zusammen. Und das Gefühl, was sie verbindet, das ist Liebe.“ Er zuckte mit den Schultern und sagte: „Das ist keine Liebe, sondern nur ein gesellschaftliches Konstrukt, um die Menschen von staatlicher Seite in die Ehe zu zwingen. „Und warum sollte der Staat das tun?“, fragte ich. Wieder zuckte er mit den Schultern. „Die Ehe als kleinste Zelle der Gesellschaft. Auf sie baut der Staat, denn aus ihr gehen spätere Staatsbürger hervor. Die Ehe sichert dem Staat die eigene Existenz. Und um die Menschen in die Ehe zu bekommen, säuseln sie etwas von Liebe. Aber es ist keine Liebe, was die Menschen dort erwartet, sondern Gewohnheit und schließlich öde Langeweile. Und was ist die Folge davon? Die Legitimation der Prostitution und die gesellschaftliche Duldung des Seitensprungs.“ Das sagte er mir und überließ mir damit einen großen Packen an Gedanken. Seiner Ansicht nach hätte ich es damals richtig gemacht, denn nach 6 Monaten würden die Schmetterlinge verschwinden … Mutige, vom Leben Getragene, neugierige Menschen würden dann abspringen und sich neu verlieben. Ängstliche, zaghafte, leicht manipulierbare Menschen würden zusammenbleiben und sich den Mangel an Gefühlen schönreden, gerade so, wie es der Staat ja wolle. Typen, die von Blüte zu Blüte flatterten und mal hier, mal dort kosteten, bräuchte der Staat nicht. Somit wurden denen auch nicht die gleichen Rechte und Vergünstigungen wie Verheiratete eingeräumt. Aber gerade weil das so war, der Staat die Freiheitsliebenden so sehr diskriminierte, würde er, Stéphane, an seinem Lebensstil festhalten. Er politisierte sein Lebensgefühl. Teilweise konnte ich ihn verstehen, teilweise aber auch nicht. Es war unnötig, ihm zu erklären, dass bei François und mir die Schmetterlinge auch nach 7 Monaten nicht verschwunden waren. Er tat das mit einem Achselzucken ab. „Früher oder später kommt es so: Schmetterlinge weg und was dann?“ „Aber bei uns …“, begann ich, wurde aber in Stéphane unterbrochen. Er bezeichnete sich selbst als konservativ, doch ich ahnte gleich, dass dies nur eine Provokation darstellte. Wie im Übrigen alles an ihm eine Provokation zu sein schien: seine zerrissene Kleidung, seine ungewaschenen Haare, seine Ansichten, wie er sprach … Er wolle den Menschen klar machen, dass sie es lernen müssten zu leben, selbstständig zu leben, ohne sich von anderen abhängig zu machen. Und das beträfe nicht nur die Ehe, sondern das gesamte Leben, das einem der Staat immer vorgab. „Ja, ich bin konservativ“, beteuerte Stéphane, „weil ich zum Ursprung des menschlichen Seins zurück möchte.“ „Und wie schaut das deiner Meinung nach aus?“ „Freiheit – ein an sich selbst freies Individuum. Erst wenn die innere Freiheit erreicht ist, kann das Individuum auch wirklich reife Beziehungen eingehen.“ „Und was meinst du damit?“ Stéphane liebte es zu predigen und ich ahnte, dass er gerade deswegen bei mir bleib, weil ich ihm die Möglichkeit dazu gab. „Reif ist ein Mensch, der keinerlei Bedürfnisse an den anderen stellt. Reif ist einer, der sich klar gemacht hat, dass es niemanden außer ihm selbst gibt, der für das Leben, was gerade lebt, einstehen und Verantwortung übernehmen muss. Niemand, nicht einmal Mutti und Vati sind dafür verantwortlich, geschweige denn ein Partner. Durch dieses Denken, dass es da immer einen gibt, der es richtet, entstehen Abhängigkeiten, die der Staat mehr oder in der geschickt ausnutzt. Wir sollten endlich aufwachen und damit beginnen, diese Abhängigkeiten zu durchbrechen. Jeder für sich und erst dann gemeinsam. Nur so kann eine gesunde Gesellschaft entstehen. Nur so, sonst funktioniert die Gesellschaft irgendwann nicht mehr.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)