Buttercreme von abgemeldet (Kurzgeschichte) ================================================================================ Buttercreme ----------- „Ich schwör dir, wenn das so eine mit fettarmer Buttercreme zugespachtelte Sie-liebt-ihn-er-sie-aber-nicht-Klischee-Scheiße wird, zieh ich aus.“ „Levi…“ „Ernsthaft! Davon gibt’s schon mehr als genug. Man muss die Teilung des Buchmarktes nicht noch befeuern. Und ja keine Schnörkelschrift auf dem Cover! Und kein Gelb, oder Rosa, oder Blau!“ „Blau ist eine männliche Farbe.“ „Ich mein Mädchen-Blau. Hellblau, du weißt schon.“ „M-hm.“, brummelte Netti, auf ihrem Stift kauend. Sie verzichtete darauf, Levi zu erklären, dass die Geschlechtlichkeit der Farbe Hellblau vor allem durch den Zusammenhang entstand, sie beispielsweise mit Grau, Weiß oder Schwarz arrangiert kühl und männlich rüberkommen konnte, besonders in Kombination mit grafischer Druckschrift. Wie bei Covern für Science-Fiction-Romane. Mit Gelb und Rosa wiederum war Hellblau die niedlichste und weiblichste Farbe, die Nettie sich vorstellen konnte. Dazu geschwungene Schreibschrift oder etwas Altmodisches mit Seriven. Streifen oder Borten. „Und mach da ja keinen Scherenschnitt aufs Cover.“ Netties Stift war schnell kürzer geworden, während Levi weitergeredet hatte. Nun drehte sie sich schwungvoll in ihrem Drehstuhl um und fixierte ihn. Aufstehen konnte sie nicht schnell und effektvoll genug, denn sie hatte ihre Beine zu einem Schneidersitz verknotet. „Levi, Schatz. Was du sagst, stimmt alles. Ich gebe dir ja recht, ich sollte das Monster wirklich nicht füttern. Aber ich muss mich an die Regeln des Wettbewerbs halten und der will eben diesen ganzen unreflektierten Klischee-Kitsch. Aber hast du bemerkt, dass du die angesprochene Teilung des Buchmarktes durch die bewusste Ablehnung der Klischees der einen Seite eigentlich nur zementierst? Um es kurz zu machen, Levi: Du kannst nicht ausziehen. Ich füttere dich durch.“ Levi machte den Mund auf, aber es wollte nicht herauskommen. Er war tatsächlich baff. Also schürzte er die Lippen und schrumpfte um einige Zentimeter. Nettie musste ihn wieder aufbauen. „Aber dieses ‚mit fettarmer Buttercreme zugespachtelt‘ ist gut. Das nehm ich.“ Nettie drehte sich wieder um und nahm einen neuen Stift aus dem Spender. Levi hatte den Wink verstanden und zog sich so gut es ging in der kleinen Wohnung zurück, um sie nicht zu stören. Schlussendlich tigerte er aber unentschlossen von Ecke zu Ecke. Er war mit seinem Tagewerk schon fertig, aber ihm war wie üblich nicht langweilig genug, als dass er mit dem Putzen angefangen hätte. Oder mit dem Kochen. Oder sonst etwas von seinen Haushaltspflichten, die erst später fällig waren. Aber am Abend war das Essen dann doch immer fertig. Und die Wohnung war sauber. Der Garten war gepflegt und wuchs vor sich hin. Das bisschen Haushalt. „Wie viele Bewerbungen hast du diese Woche schon geschrieben?“, fragte Nettie beim Essen. „Zwölf. Es ist noch nichts zurückgekommen.“ „Das dauert auch. Meistens kommt nach zwei Wochen erstmal eine ‚Wir haben ihre Bewerbung erhalten‘-Nachricht, in der um Geduld gebeten wird. Dann noch ein paar Wochen oder Monate bis zur Einladung zum Jobinterview oder zur Absage. Wenn überhaupt. Kommt nicht immer eine Absage.“ Levi nickte ein wenig betreten, stocherte in seinem Essen herum. Er war aufgeregt, hatte sich noch nie auf eine Stelle beworben. Die Wahrscheinlichkeit, dass er etwas bekam, war astronomisch gering, aber Nettie hatte es ihm nichts desto trotz erlaubt. Sollte er doch arbeiten. Sie arbeitete ja größtenteils zuhause, da saßen sie nur ständig aufeinander. Wen er etwas fand musste sie nicht unter Vorwand die Wohnung verlassen, um für ein paar Stunden in Ruhe in einem Kaffeehaus zu schreiben. „Glaubst du, ich finde eine Arbeit?“ „Natürlich, Schatz. Es werden überall Leute gesucht. Wenn du eine Zusage hast, reden wir darüber. Solange kannst du ruhig weiter Bewerbungen schreiben. Nur vergiss nicht, die Adressen aufzubewahren, damit du den anderen absagen kannst, wenn du eine Stelle hast.“ „Klar. Ich hab die Liste in der zweiten Schublade.“ Nettie stand auf und begann, den Tisch abzuräumen. Levi sprang ihr sofort bei. Als alles verräumt war, saßen sie noch bei einem Dessert zusammen auf dem Sofa. „Wie geht’s denn dem Salat?“, fragte Nettie. „Oh, der wird. Ich mach das ja schon lang genug. Das Soll werden wir übererfüllen. Die Bohnen gedeihen auch. Wenn die die Standards erfüllen, kriegen wir mehr Lebensmittelmarken.“ Wenn es nicht schon genug Bohnen gab. Ansonsten gabs nur halbehrlichen Dank. Aber es gab ja nie genug Bohnen. Levi machte der Garten Spaß. Er kümmerte sich meist schon morgens darum, bevor Nettie überhaupt aufstand. Und er nannte ihn hartnäckig Garten, auch wenn es genaugenommen ein Regal war. 14 Ebenen mit je 10 10-Kammer-Pflanzeinheiten stapelten sich übereinander, warfen das violette Wuchslicht auf die jeweilige Ebene darunter. Es reichte bis unter die Decke und war, weil die Nähranlage und der Wasseranschluss so gut versteckt waren, ein echter Hingucker. Gerade jetzt, wo die Puschel von Salat überall herausragten und die Bohnen das Gestänge eroberten. Das ruhige Gluckern des in den Pflanzeinheiten zirkulierenden Wassers bildete den beruhigenden Hintergrundsound der Wohnung, den man sofort vermisste, wenn man auch nur auf den Flur trat. An manchen Abenden schalteten Nettie und Levi nicht einmal den Fernseher an, sie sahen nur den Pflanzen beim Wachsen zu. „Hast du gehört, die Simmons kriegen nächste Saison wahrscheinlich Pilze zum Anpflanzen.“, sprach Levi in die gemütliche Stille hinein. „Wo hast du denn das her?“ „Hat mir Eli in der Waschküche erzählt. Du weißt schon, Eli Hammond, 17B.“ Ja, Nettie erinnerte sich an Eli. „Und woher weiß Eli das?“ „Von Amié, wie er gesagt hat. Aber Aimé könnte auch lügen, du hast recht. Der ist doch immer noch sauer, weil er Monica Simmons nicht gekriegt hat. Sie hat ihm ja angeboten, ihn auch noch zu heiraten, aber er wollte nicht mit Timmer zusammenleben. Versteh das einer. Entweder will er ihr Mann sein oder nicht. Und wenn er nur Zweitmann ist, was solls. Hauptsache man hat die Frau, die man liebt.“ Nettie machte: „Hm…“ „Hast du schonmal über einen Zweitmann nachgedacht?“ Da musste Nettie jetzt antworten. Beinah hatte sie die Frage verpasst, sie hatte nicht richtig zugehört. „Klar, nachgedacht schon Aber die Wohnung ist zu klein. Kaum groß genug für uns beide. Ein weiterer Mann würde hier nicht reinpassen, da bräuchten wir mindestens noch ein Bett, wenn nicht sogar noch ein Zimmer. Deswegen haben wir ja auch keine Haushaltshilfe und keine Kinder. Einfach kein Platz.“ „Und wenn wir mehr Platz hätten? Was käme dann zuerst?“ „Den Platz müsste ich erstmal reinarbeiten. Glaube kaum, dass wir in näherer Zukunft einen Bezugsschein für eine 2-Zimmer-Wohnung kriegen. Haben wir nicht genug Vermögen für.“ „Wir könnten doch trotzdem ein Kind kriegen. Ich weiß, das würde dich stören. Aber ich würde mich darum kümmern. Und vom Kinderzuschuss könnten wir einen Büroarbeitsplatz für dich anmieten, wo du ungestört arbeiten kannst.“ Levi war ja richtig begeistert von der Idee. Nettie dachte darüber nach. So ein Kind wäre schon was Feines. Die Genehmigung dafür würde sie kriegen, sie kannte genug Leute. Aber wenn sie an das Austragen dachte. Das würde anstrengend werden und sie würde in der Zeit nicht arbeiten können. Eine Leihmutter wäre zu teuer, dann wäre nicht mehr genug für einen kinderfreien Arbeitsplatz übrig. Sie könnten eins kaufen, aber da holte man sich die Katze im Sack. Das würde Levi nicht schaffen. Aber der Platz würde eigentlich reichen, da hatte er recht. Nichtsdestotrotz entschied Nettie. „Nein. Kein Kind, keine größere Wohnung. Nur wir beide, Levi. Nur wir beide und der Salat.“ Sie gab Levi einen Kuss und beendete das Gespräch. Nettie war glücklich mit ihrem Mann. Sie brauchte die sonst nichts und niemandem in ihrem Leben. Auch wenn sie einander auf die Nerven gingen, wenn sie zu lange aufeinandersaßen, aber das ging wohl jedem so. Würde Nettie auswärts arbeiten und wäre nur wenige Stunden am Tag zwischen Arbeit und Schlaf mit Levi zusammen, es würde sicher besser funktionieren. Das hatte sie bemerkt, als sie geheiratet hatten und hier eingezogen waren. Plötzlich verbrachten sie nicht mehr nur ein paar Stunden in der Woche miteinander, sondern ununterbrochen Tage. Sie mussten erst lernen, miteinander klar zu kommen. Nettie glaubte, dass Probleme miteinander nach einer gewissen gemeinsam verbrachten Zeit zwangsläufig auftraten. Und sie verbrauchten diese Zeit eben viel schneller als andere Ehepaare. Sie rechnete schon mit einem echten Streit, gerade weil Levi immer öfter auf ein Kind oder eine Haushaltshilfe oder in seinen mutigsten Momenten sogar auf ein Haustier bestand. Ein Tier. Nettie würde niemals etwas aufziehen, das sie später essen würde. Sie hatten es mit dem Salat doch ganz gut getroffen, produzierten ihr Soll fürs Ministerium und bekamen dafür genug Lebensmittelmarken, dass sie sich süße Desserts leisten konnten. Gute Produzenten wurden belohnt. Nettie könnte mit ihren Beziehungen mehr herausschlagen als überdurchschnittlich viele Lebensmittelmarken, aber sie war bescheiden. Sie war glücklich und wollte es bleiben. Davon würde sie auch Levi nicht abhalten. Problemen würde sie begegnen, aber sich davon nichts kaputt machen lassen. Ein Zweitmann würde ihr Glück wohl kaum noch steigern können. Sie stellte sich das eher anstrengend vor. Nahm man da nur einen zu sich ins Bett und der andere musste in der Schublade schlafen? Oder beide gleichzeitig, aber wie sollte das gut gehen? So viele Gliedmaßen. Und was sollte dieser Zweitmann machen? Den Haushalt schaffte Levi allein. Würde sie ihn arbeiten schicken müssen, damit er vor Langeweile nicht einging? Aber dann könnte sie wohl kaum den Eindruck vermeiden, sie müsste ihn arbeiten schicken. Das musste sie nämlich nicht, Nettie könnte mit ihrem Verdienst sogar mehr als 3 Personen versorgen. Und müsste sie am Ende noch aus ihrer Wohnung ausziehen, die zwar klein war, aber die einen atemberaubenden Ausblick auf das Kristallviertel von New London bot? Nettie atmete durch und drückte Levi fester an sich. Sie dachte an Buttercreme. Die hatte sie wirklich schon lange nicht mehr gehabt. Aber wie sollte man da das Fett reduzieren? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)