Warum nicht jetzt, warum nicht wir von Capulet (Todoroki/Midoriya) ================================================================================ Kapitel 3: Wie ein Fähnchen im Wind ----------------------------------- „Machst du schon schlapp?“ Midoriya hätte am liebsten lauthals losgelacht – wenn er denn die benötigte Kapazität an Sauerstoff gehabt hätte. Leider ging der meiste Teil davon gerade für seine hektische Atmung drauf. Sowas konnte auch nur jemand wie Todoroki sagen. Sie trainierten hier seit geschlagenen drei Stunden, das dritte Mal in dieser Woche – zusätzlich zu seinem allgemeinen Training wohlgemerkt. Die Sonne hatte sich längst dem Horizont geneigt und hüllte den Strand in eine fast schon malerische Atmosphäre. Das breite Farbspektrum zwischen gelb und rot tauchte den Himmel in ein faszinierendes Licht. Das Wasser war ruhig. Die Wellen breiteten sich in einem gleichbleibenden Takt aus und wurden nur durch eine störende Präsenz unterbrochen – Midoriya, der in seiner vollen Körperlänge im seichten Bereich des Meeres lag. Aus einen Grund, den er nicht mehr nachvollziehen konnte, hatte er in Folge ihres Schlagabtauschs weder die Entfernung zum Wasser richtig einschätzen können, noch seinen eigenen Gleichgewichtssinn. Mit rudernden Armen – einen vergeblichen Versuch sich auf den Beinen zu halten – hatte er Bekanntschaft mit dem kühlen Nass gemacht. Seine Kleidungstücke hatten sich binnen weniger Sekunden vollgesogen und klebten wie eine zweite Haut an seinem Körper. Mühsam schaffte er es wenigstens die obere Hälfte seines Körpers aufzurichten, als Todoroki schon in seiner ungeahnten Leichtigkeit auf ihn zukam. Mit dieser bescheuerten Frage auf seinen Lippen. Dieser Musterschüler. Er wies keinerlei sichtbare Anzeichen von Erschöpfung auf. Selbst die natürliche Produktion von Schweiß schien unter seiner Würde zu sein. Zumindest war sein Gesicht nach wie vor makellos. Nicht mehr lange. Sein Gegenüber hielt ihm nämlich in sehr zuvorkommender Art, aber auch in vollster Sorglosigkeit, seine Hand hin. Eine herzerwärmende Geste. Der Grünhaarige musste sie nur ergreifen. Mit einer ruckartigen Bewegung streckte er sich dem Angebot entgegen, umschloss die Hand seines Gegenübers mit der eigenen und zog mit einem nicht zu unterschätzenden Aufgebot an Kraft daran. Wider Erwarten tat er dies nicht, um sich selbst aufzurichten, sondern um Todoroki in eine Position zu befördern, die haargenau seiner eigenen glich. Man konnte die Überraschung und auch aufkeimende Panik im Gesicht des Anderen nicht übersehen, als er ebenfalls vergeblich versuchte sich auf den Beinen zu halten. Allerdings war dieser Plan nicht besonders gut durchdacht gewesen. Ein gewisses Risiko hatte der Grünhaarige vergessen einzubeziehen – den Aufprallradius. Todoroki fiel - und zwar geradewegs auf ihn drauf. Seine eigenen Augen weiteten sich in purem Entsetzen. Das zusätzliche Gewicht, was unvermeidbar mit seinem Organismus kollidierte, untermauerte seine Fehlentscheidung ganz gut. Ein angestrengtes Keuchen entwich seinen Lippen, als ihm gewaltsam eine gewaltige Menge an Luft aus den Lungen gepresst wurde. Der Andere verharrte unterdessen in einer ziemlich ungünstigen Lage – halb auf Midoriya, halb im Wasser liegend. Immerhin würden sich seine Klamotten nicht vollständig mit Wasser vollsaugen. Ein schwacher Trost. Der Grünhaarige war inzwischen bewegungsunfähig gemacht wurden. Er konnte keines seiner Gliedmaßen auch nur einen Zentimeter bewegen und sein Hinterkopf lag längst wieder in den Wassermassen. Als er als einzige mögliche Reaktion ein halbherziges Schnaufen herausbrachte, war sein Blick gen Himmel gerichtet. Nicht mehr lange und sie würden nicht mal mehr die eigene Hand vor Augen sehen. Es kam ihm wie eine schiere Ewigkeit vor bis eine Regung durch den Körper des Anderen ging. Glücklicherweise war sein erster Impuls sich eigenständig mit den Armen abzustützen, so dass Midoriyas Brustkorb die verdiente Entlastung erfuhr. Maßlose Verwirrung stand in den Augen seines Gegenübers. Allem Anschein hatte er ihm eine Aktion weder für möglich gehalten, noch ihm zugetraut. Todoroki konnte nur schwer begreifen, was hier gerade geschehen war. Als die Synapsen seines Gehirns die notwendigen Zusammenhänge dann aber erfasst und entsprechend in Kontext gesetzt hatten, bildete sich ein diabolisches Grinsen auf den sonst eher verhaltenen Gesichtszügen. Hatte Midoriya jetzt etwa eine Audienz beim Teufel höchstpersönlich? „Das war dumm.“, kommentierte er diesen zweifelhaften Streich. Midoriya konnte ihm da nicht widersprechen. Es war offensichtlich eine dumme Idee gewesen. „Und verdammt frech.“, der Blick mit dem der Grünhaarige nun fixierte war schwer einzuschätzen, fast raubtierhaft. Mit einer Angriffslust, die er sonst nur von ihrem letzten richtigen Kampf kannte, sah er geradewegs auf ihn herab. „Vielleicht hast du genau das verdient.“, ging Midoriya vollends auf die dargebotene Provokation ein. Normalerweise war er kein solcher Hitzkopf, aber ein Rückzieher kam nicht in Frage. In der Zwischenzeit hatte er es sogar geschafft zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit seinen Oberkörper aufzurichten und sich stattdessen mit seinen Armen abzustützen. Und dann brauchte es nur den Bruchteil einer Sekunde. Midoriya hatte nicht den Hauch einer Chance zu reagieren. Mit einer einzigen fließenden Bewegung änderte Todoroki seine Position abrupt. Ein Bein schwang er über eben jene des Grünhaarigen, so dass er nachfolgend auf dessen Schoss sitzen konnte. Der Tatbestand, dass sie hier immer noch im nassen kauerten, schien ihm gleichgültiger denn je zu sein. „Soll ich dir eine Lektion erteilen?“, fragte er stattdessen und Midoriya hätte am liebsten die Augen über diese Frage verdreht, aber die momentane Stimmfarbe seines Gegenübers schaffte es, dass sich seine Aufmerksamkeit auf andere Regionen seines Körpers konzentrierte. Es war dem Schnurren einer Katze nicht unähnlich und in jeder Hinsicht zu anregend für ihn. Sein Gesicht nahm prompt die Farbe einer überreifen Tomate an. Dieser Junge ist die Versuchung an sich. Tatsächlich hatte er nie jemanden kennen gelernt, der in seinem Alter war und so viel Charme versprühte. Geschweige denn, dass er selbst da jemals heranreichen würde. Todoroki hatte dieses gewisse Etwas, was jeden Menschen faszinierte und in seinen Bann zog – und damit meinte er nicht vorrangig dessen unterschiedlich gefärbte Augen oder dessen Haarfarbe. Auch nicht, dass er mit den beiden gegensätzlichen Fähigkeiten gesegnet war und damit eine Art Perfektion darstellte. „N-Nein.“ Gott. Hatte er gerade wirklich gestottert? Und gepiepst wie ein verängstigtes Küken? Unmöglich. Der Grünhaarige wandte seinen Blick nach rechts, vorbei an Todoroki und seiner allumfassenden Präsenz, blickte irgendwo in Richtung des Ufers, wo er jetzt tausendmal lieber wäre. Eigentlich wäre er überall lieber als hier. „Dann nicht.“; antwortete der Andere, als sei es das Normalste auf der Welt und machte den Anschein als sei die Sache für ihn erledigt. Aufstehen tat er trotzdem nicht. Die Last auf seinen Beinen blieb die Gleiche. Midoriya riskierte einen Blick in Richtung seines Gegenübers, bereute aber sofort dieser Versuchung nachgegangen zu sein. Todoroki sah ihn nicht direkt an, sondern hatte seine Augen ebenfalls in weite Ferne gerichtet. Es war eine dieser seltenen Minuten, wo man einfach den Moment genoss. Jedenfalls interpretierte Midoriya es als einen solchen. Er wusste weder, ob der Andere dies denn gelegentlich tat, noch ob es gerade jetzt der Fall war. Doch gefiel ihm dieses Bild. Und noch mehr mochte er die Vorstellung, dass er der Einzige war, der dieses Phänomen zu Gesicht bekam. Unmöglich zu sagen, was ihn dazu veranlasste sich nur noch mit einer Hand abzustützen. Zeitverschwendung darüber nachzudenken, warum er sich zu so einer kitschigen Geste hinreißen ließ. Wie fremdgesteuert fuhren seine Fingerspitzen über die helle, fast makellose Haut der Wange seines Gegenübers. Dieser zuckte in Folge der unvorhergesehenen Berührung verräterisch zusammen. Sofort hatte er wieder Todorokis volle Aufmerksamkeit. Abwartend verfolgte das Augenpaar sein Handeln, sagte aber keinen Ton. Mit voller Absicht konzentriere sich Midoriya vorerst nur auf eine Gesichtshälfte. Er konnte gut nachvollziehen, warum Todoroki ein Problem mit der Anderen hatte und er wollte nicht, dass es ihm unangenehm war. Obwohl die magisch Grenze wahrscheinlich längst überschritten war. Gerade als er seine Hand in Folge seiner aufkeimenden Hemmungen wieder sinken lassen wollte, schloss der Andere seine Augen. Ein minimaler Teil der Anspannung verließ ihn in Form eines Schwalls von ausgestoßener Luft. Das machte einiges leichter. Weiterhin in höchstem Maße fasziniert strichen seine Finger durch die feuchten weiß gefärbten Strähnen, wanderten in diesem Fall aber relativ rasch hinüber zu den Roten. Dieser Teil übte mehr Anziehung auf ihn aus als gesund war. Ähnlich wie bei ihrem Zusammentreffen im Krankenhaus strich Midoriya seinem Gegenüber die Haare aus dem Gesicht und hatte damit einen freien Blick auf die Brandnarbe. Auch wenn Todoroki die Augen nach wie vor geschlossen hielt, verhärteten sich seine Züge augenblicklich. Es war ihm also wirklich zuwider. Wahrscheinlich stellte es schon einiges an Überwindung für den Anderen dar, sich überhaupt in dieser Region anfassen zu lassen. Um genauer zu sein schenkte er Midoriya totale Bewegungsfreiheit, zumindest was das anbelangte. Dennoch hielt er inne. Seine Haut war erstaunlich weich und viel wärmer als er es angenommen hatte. Das war genug für heute, ansonsten würde er vor Scharm im Boden versinken müssen. Er ließ die Hand zu seiner freien Seite sinken. Todoroki, der keine Sekunde aufgehört hatte das Geschehen zu verfolgen, öffnete zeitgleich seine Lider. Midoriya sah im selben Atemzug in die komplett entgegengesetzte Richtung. Nicht ohne rot zu werden. Er lag ganz richtig mit seiner Vermutung, dieser Ausbruch war ihm peinlich. Und diese merkwürdige Situation fand ihren ungeschlagenen Höhepunkt, als Todoroki auch noch nach seiner Hand griff. Midoriya glaubte einem plötzlichen Herztod zu erleiden, so unerwartet steigerte sein wichtigstes Organ seine Leistung. Er konnte sein eigenes Blut in seinen Ohren rauschen hören. Mit etwas Glück würde er gleich ohnmächtig werden und sich nie wieder hier ran erinnern. Zu allem Überfluss verschränkte Todoroki auch noch ihre Finger ineinander. Es war wirklich geschehen. Sie hielten Händchen. Das allererste Mal in seinem Leben hielt er mit jemand anderen als seinen Eltern Händchen. Nein. Besser. Er lag bei einer schier unmöglichen Jahreszeit am Strand, seine Klamotten waren klitschnass, ein Junge in exakt seinem Alter saß auf seinem Schoss und sie hielten Händchen. - Vielleicht dreißig Minuten. Vielleicht eine Stunde. Midoriya vermochte nicht zu sagen, wie lange sie da so regungslos gesessen und in entgegengesetzte Richtungen gestarrt hatten, händchenhaltend. Es kam ihm surreal vor. Wie eine verblasste Erinnerung aus längst vergangener Zeit. Geredet hatten sie über diesen Vorfall jedenfalls nicht. Das Einzige, was er mit absoluter Sicherheit sagen konnte, war dass er jetzt einen Schnupfen hatte. Seine Nase lief ohne Unterlass und er betrauerte die diversen Bäume, die für seinen abartigen Verbrauch an Taschentüchern ihr Leben gelassen hatten. Todoroki hingegen ging es blendend. Sein Immunsystem leistete hervorragende Arbeit, im Gegensatz zu seinem kümmerlichen Organismus. Eine Pause von seinen Übungseinheiten kam trotzdem nicht in Frage. Sein Leidensdruck war ja auch überschaubar. Kein Fieber und über das ein oder andere unvorbereitete Niesen gingen seine Symptome längst noch nicht hinaus. Die Schule besuchte er ja auch, also warum seiner mühsam erkämpften Fitness einen Abbruch tun? „Vielleicht sollten wir eine Pause mit dem Training einlegen. Deiner Gesundheit zu liebe.“ Todoroki hatte ihn passgenau im Gang abgefangen. Ein Talent von vielen. Uraraka und Iida waren schon um die nächste Ecke Richtung Ausgang verschwunden und er hatte wie immer getrödelt. Sie würden draußen auf ihn warten. Vermutlich wollte der Andere kein Gespräch vor seinen beiden besten Freunden führen und dies obwohl sie über alles Bescheid wussten. Na gut. Sie wussten nur, dass sie Beide ab und an miteinander trainierten. „Nicht nötig. Ich halte schon durch.“ Midoriya winkte mit einer abwertenden Bewegung ab. Schonung stand nicht zur Debatte. Außerdem wollte er dieses Gespräch so kurz wie möglich gestalten. Es war nicht seine Art jemanden warten zu lassen. Man merkte recht eindrucksvoll, dass diese Antwort nicht nach Todorokis Geschmack war. Seine Mimik sprach Bände, da musste er sich nicht ums Sprechen bemühen. Seine Augen wurden eine Spur enger, sein Kiefer spannte sich an, die Arme verschränkt vor der Brust. Midoriya hatte sich selbst keinen Gefallen mit seiner abschätzigen Art getan. Ein leises Seufzen von Seiten des Grünhaarigen. Eigentlich hatte sein Gegenüber ja Recht. Nur war ihm nicht danach sich jetzt mit dessen Sorgen um seine körperliche Verfassung herumzuschlagen. Seine Freunde warteten vor der Schule und er würde sich wieder eine Erklärung zurecht basteln müssen, die halbwegs der Wahrheit entsprach. „Schön, dann heute nicht.“, gab Midoriya entgegen seinen ursprünglichen Absichten klein bei und klang dabei möglicherweise eine Spur zu scharf. Ihm fehlte die Kraft für eine aufwändige Diskussion, die zu hundert Prozent eskalieren würde. Die nächste Regung die er bei Todoroki sehen konnte, war Enttäuschung. Ein kurzer Schatten über dessen Gesicht. Midoriya war ratlos. Am liebsten würde er sich in einer aufwändigen Geste die Haare raufen, aber da sie sich hier an einem öffentlichen Ort befanden, unterließ er es. Seine Nerven wurden auf eine harte Zerreißprobe gestellt. Dabei war er doch immer so gefasst gewesen. Was passierte hier nur? „Das heißt nicht, dass ich keine Zeit mir dir verbringen will.“ Todoroki sah weg, um genauer zu sein auf den Boden zu seinen Füßen. Eindeutig war es ihm unangenehm das laut aussprechen zu müssen. Seine Stimme war auch viel leiser als sonst. Es wäre ihm sicher lieber gewesen, wenn Midoriya genug Einfühlungsvermögen besessen hätte um seine Absicht zu erahnen. Irgendwo in den Tiefen von Midoriyas Gehirns schien es Klick zu machen. „Oh.“, mehr eine tonlose Feststellung seitens des Grünhaarigen, keine ernstgemeinte Erwiderung. Zugeben, soweit hatte er bisher nicht gedacht, aber es war nur logisch. Manchmal war es schwer dem Drang sich selbst für seine Begriffsstutzigkeit zu schlagen verführerisch. Und sofort empfing ihn auch sein schlechtes Gewissen wie einen alten Freund. „Dann machen wir eben was anderes.“, stimmte er einem Treffen ohne Umschweife zu, wobei er keinen Moment verschwendet hatte darüber nachzudenken. Eine reine Kurzschlussreaktion, wie immer. Schnelle Lösung, kein Problem mehr. Todorokis Miene erhellt sich merklich. Erstaunlich wie leicht man ihm einen Gefallen tun konnte. Zeit mit ihm zu verbringen war…nun ja, keine große Sache für Midoriya? Es war ja nicht, als hätte er sich erst breit schlagen lassen müssen. Er tat es gerne. Nur was das dem Anderen anscheinend nicht klar. Als hätte er einige Zweifel an ihrer Beziehung. Beziehung. Ja, in was für einer Beziehung standen sie eigentlich zueinander? Er verbannte diese Überlegung in die unterste Ecke seines Bewusstseins. Das war kein Thema mit dem er sich jetzt auseinander setzen konnte. „Dann sehen wir uns später. Am selben Ort wie immer.“, Midoriya versuchte sich an einem schiefen Lächeln, während er an dem Anderen vorbeilief und registrierte sogar aus dem Augenwinkel, wie es erwidert wurde. Das war ja nun wirklich nicht so schwer gewesen. - Anstrengender war nur zu überlegen, was sie machen würden. Midoriya war sich zumindest in dem Punkt sicher, dass sein Freund kein Mensch war, der gern unter Leute ging. Große Menschenmassen, Lärm, grelles Licht - alles Sachen, die er nicht mit Todoroki in Verbindung bringen konnte. Also trafen sie sich wie bereits unzählige Male zuvor am Strand. Das leise Rauschen des Meeres nahm ihm zumindest einen Teil der Aufregung. Er kam nicht umhin zu denken, dass das hier verdammt viel Ähnlichkeit mit einem Date hatte. Die moderne Filmindustrie hatte ihm in dieser Hinsicht ein völlig falsches Bild aufgezwungen. Da er aber keinerlei Erfahrungen besaß auf die er zurückgreifen konnte, überkam ihn wachsende Unsicherheit. Der Grünhaarige saß auf derselben Mauer, wo er stets zu Warten pflegte. Seine Beine baumelten in üblicher Manier hinunter und er gab sich keine Mühe sie ruhig zu halten. Sein Blick richtete sich seit geraumer Zeit gen Horizont. Heute ging die Sonne früher unter als beim letzten Mal. Midoriya war stets überpünktlich, kein Wunder, dass er die meiste Zeit seines Lebens mit Warten verbrachte. Vielleicht hatte Todoroki ein Gefühl für seine Ankunftszeit bekommen, aber Midoriya saß nicht lange allein dort. Ohne ein überflüssiges Wort der Begrüßung zu verlieren, ließ sich der Andere direkt neben ihm sinken. Keine Menschenseele spazierte über diesen Abschnitt des Strandes. Dieser Teil war wie ausgestorben, was vorrangig daran lag, dass er ziemlich weit weg von allen aufregenden Versuchungen der Stadt war. Außerdem war es mitten in der Woche und es dämmerte bereits. Eine Tatsache an der sich Beide nicht störten. Einvernehmliches Schweigen herrschte zwischen ihnen, was nur durch das ein oder andere Schnupfgeräusch unterbrochen wurde. Es schien auszureichen stur aufs Meer hinaus zu starren. Wieder war es für den Grünhaarigen schwierig einzuschätzen wie viel Zeit sie damit verbrachten. Sie verstrich einfach wie im Flug. Und plötzlich war es stockdunkel. Midoriya blinzelte einige Male damit sich seine Augen an die veränderten Lichtverhältnisse anpassen konnten. „Das nächste Mal sollten wir uns früher treffen.“, schlug der Grünhaarige vor. Training im Finsteren hatte wohl vergleichsweise wenig Sinn und außerdem sanken die Temperaturen dann innerhalb von wenigen Minuten. Nur ein Nicken seitens Todoroki. Der Andere wirkte nach wie vor wie in Trance. Jetzt seine Gedanken zu lesen wäre interessant gewesen. Midoriya konnte dem Reflex nicht widerstehen und fuchtelte mit einer Hand vor dessen Gesicht herum. Vielleicht konnte er damit ja seine Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Seine Aktion hatte den gewünschten Erfolg. Mit eventuellen Folgen hatte er aber nicht gerechnet. Todoroki packte noch im selben Moment sein vorwitziges Handgelenk und hielt es in einem eisernen Griff gefangen. Gegenwehr zwecklos. Midoriya schluckte hart. Ein Kloß bildete sich in seiner Kehle. Es war unmöglich in Todorokis Miene irgendeine Regung festzustellen, die seine Gefühlslage preisgab. Die Dunkelheit hüllte sein Gesicht in Schatten. Viel Spielraum darüber Mutmaßungen anzustellen blieb nicht. Todoroki zog ohne Vorwarnung an seinem Handgelenk, mit derart viel Kraft, dass es keine andere Option gab als seine derzeitige Position zu verlassen. Midoriya kippte zur Seite, wollte sich mit seiner freien Hand abstützen, schaffte es aber nur sich hilfesuchend in das Shirt seines Gegenübers zu krallen. Der Andere hatte es mit seiner umständlichen Maßnahme wahrhaftig geschafft ihn in eine halbe Umarmung zu ziehen. Midoriya fand sich noch immer sitzend vor, nur war die Entfernung zwischen ihn auf ein Minimum reduziert und sein Oberkörper war durch die rohe Krafteinwirkung, mehr oder minder freiwillig über Todorki gebeugt. Der mittlerweile schmerzhaft gewordene Griff verschwand. Stattdessen legten sich tatsächlich zwei Arme um seinen Rücken und hinderten ihn effektiv daran sich dem Kontakt zu entziehen. Eine Umarmung. Ein harmloses Unterfangen in Anbetracht der Mühen, die Todoroki auf sich genommen hatte. Da der Kopf des Grünhaarigen unweigerlich auf der Brust seines Gegenübers ruhte, konnte er dessen gleichmäßigen Herzschlag hören. Keine Spur von Aufregung war in diesem Rhythmus zu erkennen. Im Gegenteil zu seinem Eigenen. Nur eine Sache machte ihm noch mehr zu schaffen als diese Nähe. Der Geruch. Bis dato hatte er dem Duft anderer Menschen nicht sonderlich viel Bedeutung zugemessen. Aber das hier war ein gänzlich neues Level. Wenn er behauptete, Todoroki würde angenehm riechen, dann wäre das die Untertreibung des Jahrhunderts. Die Assoziation zu Eis lag nahe, ruhig, kühl, faszinierend - wie ein klarer Wintertag nachdem der Schnee frisch gefallen war. Ein leichtes, kurzes Kopfschütteln. Keine Ahnung wie er auf solche Gedanken überhaupt kam. „Was ist?“ Nur ein tonloses Hauchen. Wenn Todoroki fürchtete, er könnte diese Berührung nicht wohl heißen oder sich ihr entziehen wollen, dann ließ er es nicht anmerken. Midoriya konnte sich schwer vorstellen, dass es eine Person auf dieser Welt gab, die auch nur ansatzweise so viel Gelassenheit ausstrahlte. Aber schmachtende Bewunderung war hier deplatziert. „Nichts.“ Zumindest nichts, was Todoroki nachvollziehen konnte ohne einen Blick in seinen wirren Kopf zu riskieren. Kein lästiges Nachharken folgte daraufhin, nur Stillschweigen. Midoriya lächelte breit in sich hinein. Er musste sich nicht erklären, keine Wortfetzen aneinander heften, um Klarheit zu schaffen. Die Einfachheit dieser Situation machte ihn aus irgendeinem Grund froh. - Kuscheln. Es war ein abscheuliches Wort. Aber genau das hatten sie getan. Eine endlos lange Zeitperiode lang, ehe ihnen gefühlt jedes einzelne ihrer Gliedmaße eingeschlafen war und sie sich notgedrungen bewegen mussten. Die Notwendigkeit über Geschehnisse dieser Art zu sprechen, drängte sich in das Bewusstsein des Grünhaarigen, als sie erneut wortlos nebeneinander herliefen. Ohne eine gegenseitige Übereinkunft hatten sie den Heimweg eingeschlagen. In der Weise wie Todoroki ihm hinterher lief, konnte er ausmachen wie dieser ihn ein weiteres Mal innerhalb einer Woche nach Hause bringen wollte. Der Fakt an sich störte ihn weniger, nur dass es einer vorgefertigten Rollenverteilung glich, war ihm zuwider. „Du musst mich nicht nach Hause bringen, ich bin alt genug.“, sagte Midoriya nach einer gefühlten Ewigkeit der Ruhe und achtete penibel darauf Todoroki dabei fest in die Augen zu sehen. Er meinte es immerhin mehr als ernst. Der Angesprochene verlangsamte augenblicklich seine Schritte und blieb sogar stehen. Midoriya tat es ihm gleich, auch wenn er eine Auseinandersetzung befürchtete. Todoroki hatte seine eigenen Richtlinien. Nur kollidierten diese erstaunlich oft mit seinen eigenen. Sturkopf. „Nein.“, antwortete er entschieden. Das fiel also außerhalb jeder Diskussionsgrundlage. Eigentlich wollte Midoriya seine Emotionen zügeln und nicht mehr so leichtfertig vor Todoroki aus der Haut fahren, aber dessen merkwürdige Ansichten nervten ihn. Anscheinend war es doch von einer gewissen Notwendigkeit ihm die Stirn zu bieten. Jetzt. Hier. Entschlossen überwand er die kleine Distanz zwischen ihnen. Zwar war er fast einen ganzen Kopf kleiner als sein Gegenüber, doch es änderte nichts an seinem Vorhaben. Notgedrungen packte er den Anderen am Kragen seines Shirts, zog ihn zu sich hinunter, so dass sie nun auf Augenhöhe waren. Warum ihm das plötzlich so wichtig war, konnte er nicht beantworten. Nun war Todoroki es, der mit der Situation überfordert war. Theoretisch hätte er sich zur Wehr setzen können, aber die Neugierde was als Nächstes kommen würde, war zu groß. Gespannt blickte er dem Grünhaarigen entgegen, wartete mit einem endlosen Vorrat an Geduld einfach ab. Anscheinend steckte hinter dieser friedvollen Fassade einiges Mehr an Temperament, als er bisher angenommen hatte. Es wäre eine Lüge zu sagen, dass ihm das nicht gefiel. „Und warum bitte nicht? Hab ich bisher jemals den Eindruck erweckt, dass ich es nicht schaffe drei Meter alleine zu gehen?“, fragte er mit einem Raunen. Sarkasmus gehörte zwar nicht zu seinen Stärken, dennoch konnte ab und an ganz gut damit umgehen. Todoroki schien währenddessen endlich zu begreifen woher der Wind wehte. Midoriya dachte augenscheinlich er wurde für schwächlich gehalten – oder unselbstständig – oder was auch immer. Alles Eigenschaften, die er mit vielen Menschen in Verbindung brachte, aber als allerletztes mit dem Grünhaarigen. Todoroki konnte nicht anders als über dieses riesige Missverständnis schief zu grinsen. Lächerlich, dass Midoriya das wirklich glaubte. Doch dem Anderen war es ernst. Er reagierte fast allergisch auf seine unpassende Reaktion. Midoriya wollte sich umdrehen und gehen. Da er kein besonders großer Verfechter von überstürzter Gewalt war, kam nur Flucht in Frage. Ruckartig gab er Todoroki seinen Bewegungsfreiraum zurück, entließ das knittrige Stück Stoff aus seiner Faust und wandte sich ab. Er verzog keine Miene. Er würde jetzt nicht vor reiner Frustration schreien oder rumheulen. Das war unter seiner Würde. Doch er kam nicht mal einen einzigen verdammten Schritt von der Stelle weg, wo er gerade stand. Seine Füße zu heben war fortan völlig unmöglich. Seine Fähigkeit für dermaßen unfaire Zwecke zu missbrauchen sollte verboten werden. Hatte Todoroki doch wirklich gewagt seine Beine am Boden festfrieren zu lassen. „Ist das dein Ernst?“, fauchte Midoriya und deutete dabei unmissverständlich an sich hinunter. Natürlich konnte er sich nicht umdrehen, um den Anderen anzusehen, aber dafür entwich ihm ein äußerst genervter Laut. „Bleib hier, ich erkläre es dir. Kein Grund hier rum zu keifen.“ Schon tauchte er wieder in seinem unmittelbaren Sichtfeld auf, baute sich eine halbe Armlänge entfernt vor ihm auf und fuhr sich mit einer derart angestrengten Bewegung mit der Hand durchs Haar, dass man fast hätte annehmen können er wäre hier der Leidtragende. „Wo soll ich auch sonst hingehen…“, eher ein trockenes Nuscheln, auch wenn er stark hoffte, dieser selbstgefällige Todoroki hatte es gehört. Wenigstens taute das Eis an seinen Füßen langsam aber sicher wieder ab. Gut so. „Hör zu...“, dass sein Gegenüber sich schwer tat Worte zu finden, konnte kein gutes Zeichen sein. Für gewöhnlich flogen sie ihm doch nur so zu. Midoriya befürchtete das Schlimmste. „…ich folge dir nicht, weil ich denke dir könnte auf dem Weg was passieren. Du hast ziemlich eindrucksvoll bewiesen, dass du mehr als stark bist. Ich… Midoriya. Ich hasse es rum zu stottern, weißt du das eigentlich?!“ Der Angesprochene wollte sogleich etwas Schlagfertiges erwidern, nur gab es dafür keine Gelegenheit. „Verdammt. Siehst du nicht, dass ich so viel Zeit wie möglich mit dir verbringen will?“, es klang wie eine Anklage. Völlig zurecht. Diese Ehrlichkeit war entwaffnend. Er spürte wie die verlorengeglaubte Röte in sein Gesicht zurückkehrte. Er hatte ja mit allerlei Begründungen gerechnet, aber das, das war…zu viel. Wieder dieses unnatürliche Bedürfnis um Entschuldigung zu bitten. Dieses eine Mal sollte er ihm vielleicht nachgeben, immerhin hatte er Todoroki zu Unrecht Sachen unterstellt, wirklich gemeine Vorwürfe gemacht – aus …Angst? Um ehrlich zu sein, konnte er sich seine überzogene Abwehrreaktion selbst nicht erklären. Es war als wäre er mit seinen eigenen Hormonen überfordert. „Es tut mir Leid.“, sagte er schließlich und meinte es auch so. „Ich hab vielleicht etwas übertrieben.“ Todoroki lachte nur leise. Moment. Lachte? Allem Anschein nach hatte er ihm wieder verziehen oder war nie böse gewesen, sicher konnte man das nicht sagen. „Komm.“, flüsterte er nur und griff mit maßloser Selbstverständlichkeit nach der Hand des Anderen. Jetzt waren sie also an dem Punkt seines Lebens angekommen, an dem sich händchenhaltend nach Hause gingen. Fabelhaft. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)