Die Schwarzdorn-Kriege von Ramires (OneShot-Serie) ================================================================================ Ascheherz --------- Ein dichtes Gestöber aus Ascheflocken flog durch die Luft und wurde vom Wind getrieben in alle Richtungen zerstreut. Es war nur eine einzelne Wolke von vielen, die wie ein dichter Schneeschauer über dem Land lagen und obwohl sie eine solche Ähnlichkeit zu ihren kalten Brüdern hatten waren sie doch weitaus beständiger und aus viel dunkleren Umständen heraus geboren worden. Umstände, die auch dazu führten, dass die zerschlissenen Füße der jungen Frau nun über den kalten, dunklen Boden wanderten, der einen Großteil der Umgebung ausmachte. Ihr ehemals prachtvolles, dunkelrotes Haar war genauso stumpf geworden wie ihre Augen und hätte sie die Möglichkeit gehabt aufzusehen, so wäre ihr die schreckliche Ästhetik der Asche mit Sicherheit nicht entgangen. Einige dunkelblaue Baumwollreste, die früher einmal ein Kleid gewesen waren hingen lose an ihrem ausgezehrten Körper herab und vollendeten das Bild des Überlebenden, der ohne jedes Ziel und frei von jedem Gedanken über die ehemaligen Schlachtfelder wandelte. Entgegen ihrem desolaten Äußeren und der offensichtlichen Kraftlosigkeit war sie jedoch keinesfalls so gedankenlos wie es den Anschein hatte. In ihrem Kopf raste es und sie versuchte die Gründe zu finden, welche überhaupt erst zu dieser Situation geführt hatten. Die Gründe, die für ihre schmerzenden, nackten Füße und ihr einsames Leben verantwortlich waren. Der Krieg war vor knapp einem Jahr ausgebrochen und sie erinnerte sich noch genau an den Tag, an dem die schreckliche Nachricht durch alle Medienkanäle gegangen war. Sie hatte an ihrem kleinen, hölzernen Küchentresen gestanden und das Abendessen für sich und ihren Mann zubereitet. Sie war keine gute Köchin gewesen, aber es hatte gereicht um ihn glücklich zu machen. Er liebte sie genauso wie sie ihn liebte und ein perfekteres Leben hätte sie sich nicht für sich wünschen können. Dann kamen die Neuigkeiten. Und nach ihnen kamen die Soldaten. Schwer bewaffnete Männer und Frauen, deren einziges Ziel darin bestand die von den Medien als Aggressoren bezeichneten Truppen zurück zu drängen. Anfangs gab es nicht viele Kampfhandlungen in der kleinen, eingeschworenen Gemeinde, in der sie seit ihrer frühen Kindheit lebte. Als dann jedoch die äußeren Grenzen, die vor dem Konflikt so weit entfernt zu sein schienen fielen, begann auch bei ihnen die ständige Angst um das eigene Leben. Aus ruhigen Nächten in denen man sich Gedanken um den fernen Krieg machen konnte wurden hektische Kurzschlafphasen in denen jedes Geräusch zu einer potentiellen Gefahr heranwuchs. Ihr Mann wurde schon kurz nach der Verschärfung der Kampfhandlungen einberufen, da die Regierung rasch merkte, dass ein Feind wie dieser Aggressor durch ihre zahlenmäßige Unterlegenheit einfach nicht aufgehalten werden konnte. So wurde auch dieser Teil ihres Lebens zu einer beständigen Sorge um seine Sicherheit und seine lebendige Rückkehr. Als der Konflikt dann schließlich in seinen Höhepunkt mündete und die Waffen, welche Regierung und Aggressoren nutzten größer wurden begann die Zeit ihrer Flucht. Eine Zeit in der ihre Füße das wichtigste waren, was sie besaß. Wie oft war sie von Haus zu Haus gezogen und hatte versucht einen Moment der Ruhe zu erhaschen. Wie oft hatte sie an ihren Mann gedacht und gehofft, dass er einfach eines Tages mit den eigenen Truppen an ihr vorbei marschieren würde. Er würde die Formation verlassen und mit ihr zusammen in den Osten fliehen. Dorthin, wo der Krieg noch nicht angekommen war. Nicht selten hatte sie sich nach den Soldaten umgesehen die an ihr vorbei kamen. Hatte mit hektischem Blick seine Gestalt gesucht und dennoch nie gefunden. Wie oft war das gewesen? Dutzende Male? Öfter? Sie wusste es nicht mehr und dann, als schließlich das große Feuer den Himmel erhellte war es schlussendlich auch egal geworden. Viele Nächte waren seit diesem fulminanten Finale des Krieges vergangen und ihre einst so kräftigen Füße begannen müde zu werden. Ihr Körper fühlte sich schwach an und das ehemals so starke Licht ihrer Hoffnung war nur mehr eine kleine Flamme, die darum kämpfte nicht vollständig zu verlöschen. Sie wusste, dass das Ende ihrer Qualen langsam näher kam. Ihr verführerisch ins Ohr flüsterte und sich wie eine schwarze, zähe Masse in ihre Gedanken zu graben begann. Und das schlimme daran war, dass es ihr nicht einmal mehr etwas auszumachen schien. Manchmal bettelte etwas in ihr sogar darum, dass sie anhielt und sich einfach hinsetzte. Ausruhte. Die Augen schloss und einschlief. Doch immer wenn dieser Punkt erreicht war loderte das schwache Licht der Hoffnung erneut in ihr auf. Wurde zu einer kleinen Flamme die ihr zuflüsterte, dass er noch am Leben sein könnte. Das ein glückliches Leben nur ein paar Kilometer hinter dem nächsten, schwarzen Hügel auf sie warten könnte. Dieser Zwist war ein ständiger Begleiter geworden. Genauso wie Hunger, Durst und Müdigkeit. Den letzteren konnte sie zumindest noch gelegentlich besänftigen, indem sie sich zwischen die aus der schwarzen Erde herausragenden Ruinen legte, die neben der Asche die Landschaft prägten. Doch auch diese kurzen Pausen wurden jetzt seltener, da die erlöschende Hoffnung den Einflüsterungen der schwarzen Masse kaum mehr etwas entgegen setzen konnte, die bei jeder Unterbrechung ihres Todesmarsches stärker wurde. Ein Geräusch riss sie aus den Gedanken und schleuderte sie zumindest teilweise wieder zurück in die Realität. Der roboterartige Gang endete und aus einem Überlebenden wurde zumindest zeitweise das schwache Abbild ein Mensch, dessen stumpfe Augen nach der Herkunft des Tons suchten. Es war der Pfiff einer kleinen Trillerpfeife gewesen, der langgezogen über die Hügel und durch die Asche hallte. Er war recht laut und damit wohl ziemlich nahe. Sie wusste nicht, ob es sich bei dem Urheber um Freund oder Feind handelte, aber das war ihr zu diesem Zeitpunkt egal. Ihre schwachen Füße begannen sich schneller über den geschwärzten Erdboden zu bewegen. Die wunden Sohlen brannten bei jedem Schritt und ihre Beine ächzten unter der Last des Körpers darüber, der sich erstmals seit langer Zeit wieder so bewegte, wie er es früher einmal getan hatte. Sie spürte wie ihre Lungen zu brennen begannen und nach der wenigen Luft ächzten, welche durch die Asche gelangen konnte, aber all das registrierte sie kaum. Sie stürzte regelrecht über die vor ihr liegende Anhöhe, überwand einige Gesteinsbrocken, welche zu der alten Ruine eines Schulhauses gehörten und gelangte dann zum Kamm des Hügels, von dem aus sie ein großes Tal erblicken konnte. Es war durch die Aschewolken nur schwer einsehbar, aber dort unten waren eindeutig Personen. Die ersten anderen Menschen seit einer Ewigkeit. Ihr Atem stockte für einen Augenblick, hing für einen Moment in ihrem Brustkorb fest als würde er sich weigern zurück in die graue Welt zu gelangen, die nun ihre Heimat war und kam dann ebenso stockend heraus. Im gleichen Moment machte ihr Herz einen kurzen Sprung, der sich in ihrem Brustkorb wie ein Hammerschlag anfühlte und dann sah sie ihn. Ein leichter Nebel schien sich um seinen schlanken Körper zu ranken und sein Gesicht wirkte erstaunlich sanft als seine braunen Augen sie betrachteten. Er trug die gleiche Uniform und hatte den gleichen, kurzen Haarschnitt wie damals, als er sie verlassen musste und seine starken Hände streckten sich in Erwartung einer Umarmung langsam in ihre Richtung. Sie wusste nicht wie er hier hergekommen war, aber die Sehnsucht, welche bisher lediglich ein schwaches Rinnsal gewesen war brandete nun erneut in ihr auf, schwoll zu einem Fluss an, der alle anderen Gefühle mit sich riss. Jede Sorge und jedes Leid waren vergessen. Ohne einen Moment zu zögern warf sie sich nach vorne in seine Arme, die sie fest umschlossen. Das schwarze Ödland und die Asche waren vergessen und seine Worte, die er leise in ihr Ohr flüsterte ließen Tränen der Freude in ihre Augen schießen. „Willkommen zu Hause, liebste Judy.“ Und ohne sich noch einmal umzusehen ging sie mit ihm Hand in Hand die sonnenüberflutete Straße zu ihrem Haus entlang, auf dessen Briefkasten der Name Smith zu lesen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)