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Das Teehaus am Ende der Straße: Der Weg zum Epilog

von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Hallo zusammen, hallo liebe stillen Leser,
Sonntagabend, ich war wieder brav das Wochenende am Schreiben. Nicht, dass hier noch jemand vor Spannung platzt :>
Vielen Dank für all die Reviews, das ist super motivierend! Komplett anzeigen

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Das Erbe des großen Hundedämons

05 – Das Erbe des großen Hundedämons
 

Frustriert knüllte Hanako einen Schwamm zusammen und warf ihn in die Spüle. „Wie lange soll das noch so gehen? Hier geht’s drunter und drüber!“ Eine Woche war inzwischen vergangen, seit Sesshoumaru spurlos verschwunden war. Hanako gab ihr Bestes das Teehaus am Leben zu erhalten, während sein eigentlicher Besitzer abwesend war. In der Vergangenheit hatte sie das schon öfters getan, aber noch nie in diesem Ausmaß. Nun versuchte sie mit Kagomes und Cats Hilfe den Status quo aufrecht zu erhalten und zu verhindern, dass Sesshoumarus Abwesenheit Unruhe unter den Youkai stiften würde; offiziell war er verreist. Die Ausrede erregte allerdings einiges Misstrauen, weil sie jedem, der den mürrischen Wirt kannte, unplausibel erschien. Der Gedanke daran, dass er in Badehose am Strand liegen könnte mit einem Cocktail in der Hand, war einfach zu absurd. Trotzdem beharrte Hanako darauf und versicherte Babanuki wiederholt, dass Sesshoumaru bald erholt und gutgelaunt heimkehren würde.

Im Stillen zweifelte sie jedoch daran, ob er je wieder zurückkäme. Zusammen mit Kagome hatte sie seine privaten Räume inspiziert, nachdem er den zweiten Tag vermisst wurde. Erschreckt stellten die beiden fest, dass zwei der Schwerter fehlten. Sesshoumaru hatte Bakusaiga und Tenseiga mit sich genommen, nur Tessaiga ruhte seelenruhig in seiner Halterung. Wahrscheinlich war es ihm zu mühselig gewesen es mit sich zu nehmen, da das Schwert sich noch immer beharrlich weigerte von ihm berührt zu werden. Kagome war in Tränen ausgebrochen, als sie die zwei verwaisten Plätze in dem Schwertständer sah. Wenn Sesshoumaru sein Allerheiligstes mit sich genommen hatte, dann war es ihm ernst. Sie wusste, was diese beiden Klingen für eine Bedeutung für ihren Gefährten hatten. Ihr Verschwinden war der endgültige Beweis dafür, wie es in Sesshoumarus Herzen aussah.

Verzweifelt suchte die Miko die gesamte Stadt nach Sesshoumaru ab, ließ ihre spirituellen Antennen den Äther nach einem Hauch des geliebten Youki absuchen. Nachdem klar war, dass er nicht in der Stadt geblieben war, dehnte sie die Suche auf die unbewohnten Gebiete der näheren Umgebung aus. Sie wusste, dass er von Zeit zu Zeit dem Moloch und der Last der vielen Menschen entfloh und zum Nachdenken einige Lieblingsplätze in der unberührten Natur hatte. Vorzugsweise dort, wo die Zeit stehengeblieben schien. Doch auch dieses Unterfangen war vergebens, nirgends stieß sie auf seine Spur. Wahrscheinlich gab er auch sein Bestes seine Aura vollständig zu unterdrücken, überlegte Kagome. Er wollte einfach nicht gefunden werden und konnte sich wohl denken, an welchen Orten nach ihm gesucht werden würde.

Auch an diesem siebten Tag seines Untertauchens kam sie spät am Abend erschöpft ins Teehaus zu Hanako – sowohl körperlich als auch emotional ausgelaugt. Cat war gerade dabei, die letzten Tassen und Gläser von den Tischen zu räumen, die Gäste hatten dem Teehaus für heute den Rücken zugekehrt. Sie trug eine Schürze um die Taille und versuchte Hanako die Arbeit etwas zu erleichtern, indem sie als eine Art Kellnerin fungierte. In der rechten Hand hielt sie einen Lappen; traurig sah sie auf den abgewetzten Lack der Tischplatte vor sich. Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht, dann drehte sie sich herum und brachte unverrichteter Dinge das Tablett mit dem Geschirr zu Hanako an den Tresen. So ein Ort war das Teehaus einfach nicht und Sesshoumaru würde es sicher nicht gutheißen, wenn bei seiner Rückkehr alles sauber und glänzend sein würde. „So, das war’s. Ich bin völlig kaputt, ich mach Schluss für heute“, stöhnte sie und verabschiedete sich von ihrer Freundin und Kagome.

Hanako hatte gar nicht bemerkt, wie Cat sich verabschiedete und die Tür hinter sich schloss. Vollkommen in Gedanken versunken trocknete sie die frisch gespülten Tassen ab. Seit Tagen schon verfolgte sie dieser Gedanke, aber sie hatte noch nicht gewagt mit irgendjemandem darüber zu sprechen. Er würde sie nicht loslassen, egal wie sehr sie sich dagegen wehrte. Natürlich war es gefährlich, aber für alle Fälle war ja Kagome in der Nähe. Nie wieder würde sie eine so günstige Gelegenheit bekommen. „Kagome, komm bitte mit“, sagte sie plötzlich entschlossen und verschwand ohne ein weiteres Wort der Erklärung hinter dem Bambusvorhang. Die Angesprochene war so überrascht, dass sie Mühe hatte Schritt zu halten. Als sie den Flur erreichte, sah sie, wie Hanako in Sesshoumarus Schlafzimmer verschwand.

Er hatte es ihr immer wieder verboten, weil er der Ansicht war, dass es viel zu gefährlich sei. Seine mahnende Stimme hallte auch jetzt in ihren Ohren und verursachte ein schlechtes Gewissen. Doch seit dem Zwischenfall beim Training und dem darauffolgendem Gespräch mit Sota ließ sie der Gedanke nicht mehr los. Sie war schließlich auch eine Hanyou, sogar eine starke Hanyou. Wenn etwas schiefging, war Kagome bestimmt zur Stelle. Entschlossen stellte sie sich auf das Bett und streckte ihre Hand nach Tessaiga. „Hanako, was hast du vor? Oh mein Gott, nein!“, verfolgte sie die aufgeregte Stimme von Kagome. Doch sie ließ sich nicht beirren. Kurz schwebte ihre zierliche Hand über dem Griff des berühmten Schwertes, sie wartete kurz eine Reaktion ab. Doch da war nichts, sie spürte nichts; Kein Prickeln, kein Brennen, nicht einmal eine kleinste dämonische Aura. Beherzt schloss sie ihre Finger um den Knauf und hob den legendären Fangzahn aus seiner Schlafstätte.

Hanako verlor das Gleichgewicht auf der weichen Matratze und fiel rücklings in das Bett. Das Schwert hielt sie noch immer fest in ihrer Hand. Vor Schreck hatte Kagome die Hände vor dem Gesicht zusammengeschlagen, das Herz raste in ihrer Brust. Doch noch immer geschah nichts. Das Schwert schlief noch immer. Fragend sah die Hanyou zur Priesterin, die genauso verwundert war. Tessaiga wehrte sich weder gegen Hanako noch fuhr seine dämonische Energie in den Körper des Mädchens. Ein kleiner Kiesel fiel Kagome vom Herzen, ihre schlimmsten Befürchtungen hatten sich endlich einmal nicht bewahrheitet. Als Hanako nach dem Schwert gegriffen hatte, zogen Horrorvisionen durch ihren Kopf. Hanako, wie sie von Tessaiga abgelehnt wurde. Hanako mit verbrannten Händen. Hanako überwältigt von der Kraft des großen Hundedämons. Hanako, die Amok lief unter dem Einfluss von Tessaigas dämonischer Energie. Hanako, die tot vor ihr lag.

Hanako saß verblüfft auf dem Bett des Daiyoukais und untersuchte neugierig das Schwert in ihrer Hand. Sie pustete zunächst eine Staubschicht von der Scheide, um sie genauer ansehen zu können. Die Fäden des Griffbandes waren an vielen Stellen gerissen und standen struppig ab. Der intakte Rest war ebenfalls nicht in bester Verfassung, der Stoff war völlig abgegriffen und die Jahrhunderte hatten sich darauf abgelagert. Die eins sicherlich prachtvolle, hölzerne Schwertscheide war vollkommen matt, die edle Lackierung hatte in Laufe der Zeit unzählige Kratzer und Scharten bekommen. Tessaiga wirkte einfach nur wie ein beliebiges, altes Schwert. Was war so besonders daran?

Sie hielt sich nicht mit langen Überlegungen auf. Kagome stieß einen entsetzen Schrei aus, als Hanako sich wieder auf den Boden stellte und die Klinge aus ihrer Scheide zog. Einer Amazone gleich stand sie im Raum und hielt mit beiden Händen fest das berühmte Schwert. Wieder geschah nichts. Tessaiga ignorierte Hanako völlig, es war nach wie vor eine verrostete, alte Klinge. Von Enttäuschung überwältigt starrte sie auf den alten Stahl. Das war nicht das, was sie erwartet hatte. Sie war doch auch ein Hanyou, warum war das Schwert nun so anders? Auf dem Foto, das sie gesehen hatte, war es mächtig und erhaben, strahlte Gefahr aus. War sie so unwürdig, dass das legendäre Schwert es nicht einmal für nötig befand sich gegen sie zu wehren?

Jäh wurde sie aus ihren Gedanken gerissen, da Kagome ihre Schockstarre überwunden hatte und auf sie zu gestürmt kam. Sie nahm dem Mädchen kurzentschlossen die Waffe aus den Händen und warf sie achtlos zur Seite. „Bist du wahnsinnig geworden?“, schimpfte Kagome sie aus, „Tessaiga ist kein Spielzeug! Hast du nur für einen Moment daran gedacht, was alles hätte passieren können?“ Kleinlaut antwortete Hanako: „Deswegen solltest du ja dabei sein.“ Vollkommen erschöpft ließ sich Kagome auf das Bett sinken. Der Tag forderte seinen Tribut. Das schlechte Gewissen begann Hanako nun immer heftiger zu plagen. Sie wusste, wie belastend alles zurzeit für ihre Freundin war, wie sehr die Situation an ihren Nerven zog. Und dann kam sie und machte es noch schlimmer mit ihrer fixen Idee Tessaiga ausprobieren zu wollen. Sie setzte sich nun ebenfalls auf das Bett neben Kagome und schaute verlegen zu Boden. „Es tut mir leid. Aber ich konnte einfach nicht anders.“

„Wie bist du eigentlich auf die bescheuerte Idee gekommen?“, fragte Kagome immer noch ärgerlich. „Ihr hattet so viel davon erzählt… und die ganzen Parallelen zu Inuyasha. Also hatte ich mich gefragt, ob ich Sesshoumarus Bruder ähnlich genug bin, um sein Schwert führen zu können“, gestand Hanako schließlich und senkte schuldbewusst den Blick. Jetzt, wo sie es aussprach, wurde ihr erst bewusst, wie kindisch und albern diese Idee war. „Sesshoumaru hätte es niemals erlaubt, also dachte ich, dass so eine Chance wie jetzt nie wieder kommen würde.“ „Sesshoumaru hat sehr gute Gründe es dir zu verbieten!“, stellte Kagome mahnend klar. „Das Schwert ist der Fangzahn eines Daiyoukais, dessen Kraft ist darin eingearbeitet. Wäre Tessaiga erwacht, hättest du dem nichts entgegenzusetzen gehabt. Auch ich habe nicht die Kraft dazu.“ Traurig sah das Halbdämonenmädchen nochmals zu der schartigen Klinge, die noch immer auf dem Boden lag. „Ja, das habe ich jetzt auch verstanden.“ Kagome schloss Hanako schließlich fest in die Arme. „Mach das nie wieder, hörst du? Mir ist das Herz vor Angst beinah stehengeblieben.“

Langsam dämmerte Kagome, dass es durchaus gute Gründe gab für die Weigerung ihres Gefährten etwas über sein Leben oder die Geschichte der Youkai zu erzählen. Hätte sie Sota nicht dazu animiert von Inuyasha zu schwärmen, wäre Hanako wahrscheinlich nicht auf die Idee gekommen Tessaiga führen zu wollen. Vielleicht wollte er sie wirklich gar nicht ausschließen und sein Schweigen war nur sein unbeholfener Versuch sie vor den Geistern der Vergangenheit zu beschützen. Hatte sie ihm so unrecht getan? Auch nach drei Jahren schafften sie es immer noch sich in kolossalen Missverständnissen zu verheddern. Sie schaffte es immer noch nicht aus diesem Mann schlau zu werden oder all dem, was ihn bewegte. War sie wieder einmal einem Vorurteil aufgesessen? Mittlerweile bereute sie auch ihre letzten Worte an Sesshoumaru. Sie hatte aus lauter Wut und dem Gefühl der Zurückweisung heraus auf seine empfindlichste Stelle gezielt und einen Volltreffer gelandet. Es war gemein und ungerecht gewesen und nun würde sie alles dafür geben sich dafür entschuldigen zu dürfen. Sie hatte furchtbare Angst davor ihn diesmal endgültig zu verlieren. Ausgerechnet jetzt, da sie begann daran zu zweifeln, dass diese ständigen morgendlichen Brechanfälle nicht mehr nur einem verdorbenen Abendessen geschuldet sein konnten… Das Leben ging einfach weiter und nahm keine Rücksicht auf ein gebrochenes Herz.

Hanako war in der Zwischenzeit schon wieder in den Gastraum zurückgekehrt. Wehmütig sah sich Kagome ein letztes Mal in dem kleinen Raum um, sog den Duft der Kissen tief ein. Sie würde das wieder gerade biegen. Sie würde Sesshoumaru finden. Doch zunächst einmal ging ihr Leben weiter. „Hanako, ich fürchte du musst eine Weile allein hier klarkommen“, begann Kagome zu sprechen, als sie durch den Vorhang schritt. „Ich habe in dem ganzen Durcheinander vollkommen vergessen, dass ich ab übermorgen wieder eins dieser Seminare habe.“ „Seminare? Was?“, entfuhr es Hanako überrascht, die beinah eins der Gläser, das sie trocknete, fallen ließ. „Ich bin doch offiziell noch immer eine Miko in Ausbildung“, erklärte Kagome, „Also muss ich von Zeit zu Zeit in andere Tempel und Klöster um zu lernen. Offiziell weiß doch niemand, dass mein Reiki stark genug ist, um mich mit einem Daiyoukai zu streiten.“

Gemeinsam schwiegen sie einen Moment. Der Anblick des leeren Aschenbechers war nicht zu ertragen. „Es ist noch Tee übrig“, beendete Hanako schließlich die unerträglich werdende Stille. „Magst du eine Tasse?“ Stumm nickte Kagome. Schließlich angelte sie nach der Fernbedienung, die unter der Theke versteckt lag und schaltete den Fernseher ein. Irgendwas, nur bitte keine Stille mehr! So saßen die beiden in dem auf einmal viel zu großem Raum, tranken Tee und schauten auf den kleinen Fernseher in der Ecke, aus dem es plötzlich euphorisch quäkte: „Und nach der Werbung entführt uns Ungai-sama in die mystische Welt der Dämonen und Geister! Ihr Haus wird von einem Monster heimgesucht? Ungai-sama weiß Rat! Der Mönch ist die Wiedergeburt eines legendären Dämonenjägers, also bleiben Sie dran!“
 

Sesshoumaru lag entspannt auf dem Rücken und starrte in den blauen Himmel. Die karge Felslandschaft schenkte seinem aufgewühlten Inneren keine Ruhe, also schaute er wie so oft, wenn er nachdachte, in den Himmel und beobachtete die vorüberziehenden Wolken. Doch immer wieder wurde die Ruhe gestört von markerschütternden Schreien. Hoch am Firmament kreisten die Wächter dieses Ortes. Skelette von Vogelyoukai, die vor Urzeiten gelebt haben mochten. Ihre Existenz trotzte jedem Naturgesetz. Die einzelnen Knochen berührten kaum die langen, geschwungenen Wirbelsäulen und gefiederte Schwingen wuchsen aus dem Nichts, das die einzelnen Wirbel umschloss. Die Geier umkreisten ihn, da sie sich an der Anwesenheit eines Lebenden an diesem Ort störten. „Gib endlich Ruhe“, knurrte Sesshoumaru ärgerlich und ließ seine Giftpeitsche aus den Fingern seiner rechten Hand schnellen. Das grünleuchtende Energieband schoss durch die Luft und trennte den Schädel des toten Geiers über ihm von seinem Körper. Sofort verlor der kopflose Körper an Höhe und zerschellte schließlich an einer der unzähligen Felsnadeln. „Es ist lange her, Vater“, sagte Sesshoumaru und klopfte auf den gigantischen Schädel, auf dem er schon seit Stunden lag.

Ohne Ziel war er zunächst umhergewandert. Die Menschen und ihre Städte waren ihm unerträglich, nahmen ihm fast die Luft. Vielleicht waren es auch nur seine verworrenen Empfindungen, die ihm den Atem raubten. Rastlosigkeit erfüllte ihn und so lief er einfach in die Einsamkeit der Wälder und Berge, um dort nach einem klaren Gedanken zu suchen. Auf dem Weg ließ er seine aufgestaute Wut an einigen kleineren Felsformationen aus. Bakusaigas Welle der Zerstörung hatte sie in Schutt verwandelt. Zerstörung war gut; Zerstörung erinnerte ihn daran, wer er war; Zerstörung dämpfte die in ihm kochende Wut. Seine Füße hatten scheinbar einen eigenen Willen entwickelt, denn sie trugen ihn direkt zu einem ihm nur zu bekannten Berg. Dort lag am Ende einer Höhle das Tor zur Grenze zwischen dem Dies- und Jenseits. Den Zugang hatte er bei seinen vorherigen Besuchen sorgfältig verschüttet. Kein Mensch sollte diesen Ort jemals finden. Es war ihm ein Leichtes sich mit seiner dämonischen Kraft Zugang zu verschaffen, die Felsen stoben auseinander, als Bakusaigas Kraft auf sie traf. Er steckte das Schwert wieder in die Scheide, die er in seinen Gürtel geklemmt hatte. Dann betrat er das Dunkel der Höhle und zog dabei Tenseiga. Die beiden Wächter neben dem Tor wagten nicht einmal ihn aufhalten zu wollen. Sie erkannten das Schwert des Himmelreiches sofort, verneigten sich ehrfurchtsvoll und öffneten das Tor. Hier würde ihn niemand stören können, nicht einmal Kagome war in der Lage ihn an diesem Ort zu finden.

Er hatte keine Ahnung wie lange er schon so auf dem Schädel seines alten Herrn lag. Zeit war unwichtig an diesem Ort, ihr Lauf war ein anderer als in der Welt der Lebenden. Träge und zäh kroch der Strom der Zeit hier, er sprudelte nicht wie im Diesseits. Dort war Zeit etwas kostbares, sie verging viel zu schnell. Hier war sie egal. Ihm war sie gerade ebenfalls gleichgültig, er war immerhin unsterblich und hatte ohnehin zu viel davon. Für ihn war jeder Besuch der Grabstätte seines Vaters wie eine Reise in die Vergangenheit. Nichts hatte sich verändert, noch immer saß das riesige Skelett seines Vaters in seiner Rüstung hier. Einzig auf einigen der größeren Steinnadeln gab es Veränderungen. Es war nicht mehr nur das Grab des Inu no Taishou, es war im Laufe der Jahrhunderte auch das Grab von Rin und Kazuko geworden und all jener, die in seinem Leben eine Bedeutung hatten. Sogar seinen Halbbruder hatte er hier bestattet. Niemand würde ihre Ruhe stören können an diesem Ort. Wieder holte er einen der lästigen Geier vom Himmel und sah, wie er knapp neben dem Grabhügel von Jaken einschlug. Sesshoumaru hatte Spaß daran gefunden, nach langer Zeit konnte er seiner Kraft ganz selbstverständlich freien Lauf lassen ohne sich zu sorgen, dass es jemand bemerken würde. Das kurze Intermezzo bei den kläglichen Resten der Pantheryoukai zählte für ihn nicht richtig.

Wenn sein Vater ihn jetzt sehen könnte, er würde ihn auslachen, dachte Sesshoumaru. Der stolze Sesshoumaru, der sich nichts mehr wünschte als ultimative Macht und Stärke, floh vor einer menschlichen Frau, ihrer naiven Liebe und seinen Gefühlen. Seine Gefährtin konnte er von diesem Ort fernhalten, aber seine Gefühle hatten ihn bis hierher verfolgt und hörten nicht auf ihn zu quälen. Ihre letzte Frage ging ihm nicht mehr aus dem Kopf, kreiste unaufhörlich in seinen Gedanken. „Warum durfte Kazuko ein Teil von deinem Leben sein und ich nicht?“

Zuerst sträubte sich alles in ihm darüber nachzudenken, es erforderte eine Menge schlechte Erinnerungen aus dem verschlossenen Teil seines Geistes zu holen. Aber es führte kein Weg daran vorbei, wenn er eine Antwort auf diese Frage finden wollte. Seit wann war er eigentlich so ein Feigling? Als er Kazuko zum ersten Mal traf, war er sprichwörtlich wie ein verlorener Welpe, der ein neues Zuhause suchte. Er hatte nichts mehr außer Einsamkeit, sein Leben war ohne jeden Sinn und er wandelte wie ein Toter durch die Länder der Lebenden. Der Westen und die Youkai waren untergegangen, die Menschen verloren das Wissen um die Existenz der Dämonen. Hätte zu dieser Zeit es jemand gewagt seinem Leben ein Ende zu setzen, Sesshoumaru hätte sich nicht gewehrt. Kazuko las ihn im Wald auf und ihre fröhliche und unbeschwerte Art – die ihn schmerzhaft an Rin erinnerte – machte all das erträglich. Sie gab seiner Existenz wieder einen Sinn.

Kagome dagegen hatte ihn wieder zu sich selbst geführt. Sie hatte einen depressiven Zyniker daran erinnert, wer er einst war und durch ihre naive Bewunderung überwand er seine Zweifel daran, ob es in dieser Welt noch einen Platz für ihn gab. Sie überzeugte ihn davon, dass er in dieser Welt noch gebraucht wurde, nicht nur von ihr. Die überlebenden Youkai und auch Hanako, die Nachfahrin seiner über alles geliebten Ziehtochter, sie alle mussten beschützt werden. War das die Aufgabe eines Daiyoukai heutzutage in der feindlichen Welt der Menschen? Kagome erinnerte ihn unaufhörlich daran, wer er einst gewesen war und verurteilte ihn dabei nicht einmal. Sie brachte ein unmenschliches Verständnis für ihn auf. Ging sie deswegen so entspannt mit seiner Biographie um und erzählte sie munter weiter? Kam ihr deshalb nie in den Sinn, dass er viele Kapitel aus seinem Leben einfach vergessen und hinter sich lassen wollte? Dass die Geister der Vergangenheit nicht in der Gegenwart spuken sollten?

Kazuko hatte ihn als einen Nichtmenschen akzeptiert, Kagome dagegen respektierte ihn als Daiyoukai. Langsam lichtete sich der Nebel in Sesshoumarus Gedanken und er konnte es klar benennen. Kazuko war nur deshalb ein Teil seines Lebens, wie es Kagome genannt hatte, weil es zu diesem Zeitpunkt kein Leben gab. Er hatte nichts mehr und damit auch nichts zu verlieren. Heute sah die Lage ganz anders aus. Gerade durch Kagomes stetes Bemühen ihn aus seinem selbstgemauertem Eisgefängnis zu zerren, hatte er wieder ein Leben. Seit viel zu langer Zeit hatte er endlich wieder etwas zu verlieren.

Er fühlte sich schäbig bei dem Gedanken. Er verdankte den beiden Frauen in seinem Leben so viel. Kazuko hatte ihn am Leben gehalten, selbst ihr Tod war nicht vergebens gewesen. Sie starb und der Dämon erwachte wieder zum Leben. Kazuko schien die meiste Zeit ihres Zusammenlebens glücklich gewesen zu sein, sinnierte Sesshoumaru. Er hatte ihre einzige Bitte erfüllt ohne Bedingungen zu stellen und so sah sie ihr Kind unter Menschen leben. Kagome dagegen…. Er seufzte und bereute gerade, dass er nicht mehr Zigaretten mitgebracht hatte. Er fühlte sich gerade äußerst unwohl in seiner Haut. Aus alter Gewohnheit heraus warf er einen Stein nach Jakens Grab, aber auch das brachte ihm keine Erleichterung. Kagome musste ein Leben im Schatten führen. Sie hatte recht, wenn sie ihn im Streit einen sturen Hund schimpfte. Es war undankbar, dass sie darunter litt, dass sie ihm geholfen hatte zu alter Größe zu kommen. Langsam begriff Sesshoumaru, um was es seiner Gefährtin in ihrer letzten Auseinandersetzung ging.

War es für seinen Vater auch so schwer gewesen mit einer menschlichen Frau zusammen zu leben? Sein Blick glitt an dem riesigen Skelett nach unten. Manchmal wünschte er sich, der alte Hund wäre nicht tot. Natürlich war er immer noch wütend auf seinen Vater. Aber jetzt, nach über 700 Jahren nach dessen Tod, konnte er endlich richtig mit ihm streiten, er war nicht mehr um Antworten verlegen. Rastlosigkeit erfasste wieder seinen Körper, daher stand er auf. Mit einem Satz sprang er von dem Schädel hinab und kam vor dem Grab seines Halbbruders zu landen. „Du hättest mir sicher gerade einiges zu sagen, was?“, murmelte Sesshoumaru, als er den Grabstein ansah. Doch bevor er diesen Ort verlassen konnte, hatte er noch etwas zu erledigen. Die ganze Zeit schon hatte er ein Bündel Wildblumen bei sich, das während seiner Kontemplation neben ihm gelegen und geduldig gewartet hatte. Mit einem weiteren Sprung erreichte er Kazukos Grab. Ihre gemeinsame Tochter, Sachiko, hatte er neben ihrer Mutter beigesetzt. In Dankbarkeit legte er je eine Blume auf die groben Steine. Dann führte ihn ein verschlungener Weg auf die Spitze dieser Felsnadel. Dort lag Rin begraben, etwas dahinter am Hang Ah-Un, der für das Menschenkind eine Art Haustier war. Zu Lebzeiten hatte sie nichts so sehr geliebt wie Blumen, deswegen sah Sesshoumaru es als seine Pflicht an, ihr bei jedem seiner Besuche einen bunten Strauß mitzubringen. Immer, wenn er an ihrem Grab stand, fühlte er sich wie an jenem Tag, als er ihren toten Körper an diesen Ort gebracht hatte. Das Alter hatte sie ihm irgendwann einfach geraubt. Ihm war der Gedanke unerträglich gewesen sie einfach unter Menschen zurückzulassen. Nie hatte sie sich dort wohlgefühlt, deswegen brachte er sie an diesen Ort, so dass sie im Schatten seines Vaters ewige Ruhe finden konnte. Diesen Platz hatte sie verdient.

Eines Tages würde er Kagomes toten Körper an diesen Ort bringen und sie hier bestatten. Verdammt, er war so ein Idiot! Ihre Zeit war kostbar und rann wie Wasser durch seine Finger. Plötzlich kamen ihm wieder seine Worte in den Sinn: „Was sind ein paar Jahre in einem unsterblichen Leben, verglichen mit einem ganzen Leben voll Kummer?“ Es war höchste Zeit zurückzukehren. Zurück in die Welt der Lebenden, zurück in sein Teehaus und zurück zu seiner geliebten Gefährtin. Ein letztes Mal sah er zu seinem Vater hinauf. „Bist du zufrieden, Vater? War es das, was du mir hinterlassen wolltest durch Tenseiga?“


Nachwort zu diesem Kapitel:
Na, das wird doch wieder.... Jetzt hoffen wir mal, dass da nicht plötzlich die olle Spaßbremse Ungai im Teehaus aufschlägt und Hanako mit dem Blödsinn aufhört.
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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  igorrrr
2018-04-03T12:00:57+00:00 03.04.2018 14:00
Ich liebe diese Geschicht nach wie vor. Ich liege schon auf den Knien und Bettel um mehr 😍
Von:  Yagyuu
2018-01-31T14:54:46+00:00 31.01.2018 15:54
Hallöchen. Ich war lange Zeit abwesend auf Animexx. Aber ich habe mit Freude deine ENS gelesen. Es tut mir Leid, dass alles so verspätet kommt. Ich hab soeben deine ganzen Kapis verschlungen. *___*
Und ich liebe die Art, wie du schreibst nach wie vor und habe mich sehr über eine Fortsetzung gefreut.
Ich hoffe, dass bald wieder neue Kapis kommen werden.
Allein für die FF lohnt es sich wieder, auf Mexx on zu kommen. ^.^
Ich hoffe, es geht dir gut und mach bitte weiter.
Ich werde mir jedenfalls noch die Vorgeschichte zu Gemüte führen. Einfach, weil sie mir so gut gefallen hat.

Liebe Grüße~
Yagyuu
Von:  Kazu27
2017-08-28T11:40:43+00:00 28.08.2017 13:40
Sehr schön geschrieben, ich muss zugeben, ich hätte auch fast geheult am ende.
Na wenn kagome mal nicht schwanger ist, mal sehen wie er darauf reagiert.
Bin gespannt😁
Von:  nicoleherbster
2017-08-28T08:54:23+00:00 28.08.2017 10:54
Geil ich hab fast geheult am ende einfach schön.


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