Momentaufnahmen von -Kiara ================================================================================ Kapitel 12: Hygge ----------------- Feiner Regen prasselte von außen gegen die großen Fensterscheiben des warmen, kuscheligen Cafés in welchem Judai und Johan Schutz und Rückzug suchten. Den ganzen Tag waren sie durch die Innenstadt von Kopenhagen gelaufen, hatten sich Architektur, Parks, Statuen und Umgebung angesehen. Für Judai eine völlig neue Welt. Europa sah so romantisch aus. So altertümlich, wie aus einem Märchen. Passend dazu, war ihr erster Punkt an diesem Tag die Besichtigung der kleinen Meerjungfrau gewesen, welches ihr Wahrzeichen gar nicht weit vom Hotel stehen hatte. Von dort aus ging es quasi immer weiter geradeaus in das Zentrum. Das Wetter war herrlich gewesen. Zwar kühl und windig, aber der Himmel strahlend blau. Leider war das Wetter nach wenigen Stunden umgeschwungen. Plötzlich nieselte es permanent und der dadurch noch kältere Wind trieb ihnen die Tränen in die Augen. Ein bisschen Regen sollte die beiden Jungs jedoch nicht von der Erkundung abhalten. Inzwischen war es dunkel geworden, ungewöhnlich früh, wie Judai fand, und sie hatten beschlossen sich aufzuwärmen, zu trocknen und zu entspannen, bevor sie den Rückweg antreten wollten. Judai pellte sich aus der dicken, feuchten Winterjacke und drapierte sie über der Stuhllehne. Das Café war heimelig eingerichtet, viele Elemente aus Holz, die Tapete bildete ein Bücherregal ab und das Licht war ein warmes, gedimmtes Gelb-Orange. „Hygge, nicht wahr?“, lächelte Johan mindestens genauso warm. Sein Mantel war bereits über der hölzernen Bank verteilt, als nächstes entledigte er sich seines dunkelblauen Schals. „Bitte wie?“, stutzte Judai. Er kniff die Augen zusammen und ließ angestrengt den Blick durch das Lokal schweifen. „An den Fenstern?“, fragte er vorsichtig nach. Die waren ein bisschen beschlagen, aber von Dampf würde er da nicht reden. Johan neigte verwirrt den Kopf, bis er verstand, wo das Missverständnis lag. „Oh, nicht Yuge. Hygge. Das heißt… na, wie soll ich das beschreiben?“ Der Kopf neigte sich in die andere Richtung. „Es ist angenehm… gemütlich! Man entspannt sich direkt total“, erklärte er schließlich. Langsam ließ Judai den Blick erneut schweifen, um das Gefühl bewusster in sich aufzunehmen. Eine ruhige Klaviermusik erklang aus den Lautsprechern und vermischte sich mit dem fremden Gemurmel anderer Gäste. Judai fühlte, wie die Anspannung durch den Regen zu tapern und kalten, nassen Wind ins Gesicht gepeitscht zu kriegen, von ihm abließ. Er nickte andächtig. „Stimmt. Echt entspannend.“ „Also, es gibt hier Kaffee, Tee, Shakes und viele verschiedene Säfte. Möchtest du gucken, was du haben willst?“, bot Johan an und deutete auf die große Tafel mit Angeboten, welche hinter der Barista Theke an der Wand hing. „Ähm, überrasch mich“, antwortete Judai, etwas erschlagen von der schieren Auswahl und der ausschließlich in Dänisch geschriebenen Inhaltsangabe. „Alles klar!“ Fröhlich spazierte Johan rüber zur Theke um das Angebot besser in Augenschein zu nehmen. Während Judai wartete, zog er ein schmales Papiertütchen aus seiner Tasche und holte einen Stapel Postkarten daraus hervor. Er hatte sich die schönsten Motive rund um Kopenhagen und Dänemark ausgesucht, in der festen Entschlossenheit Yusei jeden Tag eine Karte mit den aktuellen Geschehnissen zu schicken. Judai griff ein weiteres Mal in seine Tasche und zog einen Kugelschreiber daraus hervor. Die ersten Sätze gingen ihm leicht von der Hand. Ehe er sich versah war die Rückseite vollgeschrieben und Johan kehrte mit zwei Getränken zurück. „Ein Sex Me Up für dich und ein Hell Of A Nerve für mich”, grinste dieser frech, als er die Becher mit Smoothies abstellte. „Ha ha.“ Judai versuchte die Augen nicht zu stark zu rollen und griff demonstrativ den rötlichen Drink, welcher für Johan vorgesehen war. Neugierig nippte er am Strohhalm und ihm schlug die geballte Ladung Erdbeere und Banane entgegen. Eine fremde Note schlich sich ein, die Judai nicht ganz zuordnen konnte. Aber alles in allem fand er das Getränk sehr lecker und erfrischend. Trotzdem gedachte er daran, sich noch etwas zu bestellen, dass ihn von Innen wärmen sollte. „In dem ist Passionsfrucht, Ingwer und Apfel“, erklärte Johan und schob ihm den gelben Saft zu. Ausgiebig tauschten und probierten die beiden hin und her und kamen zum Ergebnis, sich beide Getränke brüderlich zu teilen, damit jeder eine Hälfte bekam. „Wo kriege ich eigentlich Briefmarken her?“, fragte Judai neugierig und verwies auf seinen Kartenstapel. Johan machte große Augen. „Oh, ich denke es sollte welche in jedem Touristenshop geben, oder bei einem Postbüro, aber…“ „Was, aber?“ „Willst du die alle verschicken?“, fragte Johan langsam nach. „Ich war mir nicht sicher, ob wir auf dem Schiff auch welche kaufen können oder uns genug Zeit bleibt, bei den Zwischenstopps, also hab‘ ich schon mal für eine Woche auf Vorrat gekauft!“, grinste Judai breit. „Weißt du, der Versand einer Postkarte ins Ausland ist nicht ganz von Pappe.“ „Hä?“ „Das Porto kostet umgerechnet an die 400 Yen.“ Judai zuckte mit den Schultern. „Ist doch völlig in Ordnung? Bei uns käme ich doch auch auf 490 Yen.“ „Pro Karte.“ Da klappte Judai der Mund auf. Wie bitte was?! Das würde ja heißen, für drei Wochen tägliche Postkarten müsste er an die 8.000 Yen berappen! „W-warum ist denn das so teuer?“, stotterte Judai perplex. „Naja, hier sind alle auf Digital umgestiegen. Das meiste wird per E-Mail versendet. Da die Post also nicht mehr so häufig gebraucht wird, sind halt als Ausgleich die Versandkosten gestiegen. Außerdem sind die Lebenserhaltungskosten hier generell höher. Die Smoothies haben je 800 Yen gekostet.“ Das bedröppelte Judai noch mehr. So viel bezahlte er in Anime Collaboration Cafés in Tokyo für ein Getränk, aber das war dann auch etwas Besonderes. „Ich… wollte noch einen Kaffee“, murmelte Judai kleinlaut. „Bring mir einen mit“, grinste Johan fröhlich. Judai hatte das Gefühl absolut keine Kontrolle über sein Geld zu haben. Erstens lag ihm die Umrechnung nicht sonderlich, da ihm die Zahlen zu krumm waren. 100 Yen entsprachen etwa sieben Dänische Kronen. Das hieße, er musste erst einmal den Teiler von Sieben errechnen, bevor er sich ein Bild machen konnte, wie viel etwas kostete. Zweitens bezahlte man, wenn möglich, alles mit Kreditkarte. Judai war es gewohnt Münzen und Scheine in der Brieftasche zu haben. Das hieße, er konnte sich 10.000 Yen abheben und wenn er alles ausgegeben hatte, dann war er sich der Menge zumindest bewusst. Ihm schwante ein böses Erwachen, wenn sie zurück in Japan waren. Nichtsdestotrotz balancierte er nach erfolgreicher Bestellung zwei heiße Tassen Café Latte zu ihrem Tisch. „Sein Englisch ist ja der Wahnsinn“, kommentierte Judai begeistert. Von seinen Verwandten in den USA wusste er, wie sich echtes, alltägliches Englisch anhören konnte. Manchmal war er davon überfordert. Judai hatte befürchtet, dass ein dänischer Akzent eine Sprachhürde aufbauen könnte – aber da war keiner. „Die meisten Serien und Filme werden hier nur untertitelt. Das heißt, dass die Leute hier sehr gut bilingual aufwachsen – wenn nicht sogar multilingual“, bestätigte Johan. Er selbst hatte als Kind voller Zuversicht seinem Umzug nach Japan entgegengeblickt. Was er nicht geahnt hatte war, dass sein gutes Englisch ihm kaum weiterhalf, da die Japaner es sich eher schwer damit taten. Statt auf seinem Stuhl Platz zu nehmen, rutschte Judai lieber zu Johan auf die Bank. So konnte er mit ihm aus dem großen Fenster zur Straße hinausgucken – auch wenn es bereits so dunkel war, dass man außer Lichter kaum noch etwas erkennen konnte. „Was machen wir morgen?“, fragte er und wärmte sich die Hände noch etwas an der Kaffeetasse. „Morgen gehen wir ins Tivoli. Das ist einer der ältesten Vergnügungsparks“, sagte Johan besonnen. Er genoss die Nähe zu Judai und zog ihn mit einer eleganten Bewegung noch etwas an sich heran. Dieser nutzte die Gelegenheit und schmiegte sich wohlwollend, wenn auch etwas schüchtern, enger an Johan. „Und wenn es wieder regnet?“ Ein leichtes Schmollen zierte Judais Lippen. Er hatte eigentlich auf Schnee gehofft. Von dem war aber weit und breit keine Spur. Im Norden dann, hatte Johan im versichert. Hier in Dänemark war es noch nicht kalt genug. „Wenn du aus Zucker bist, können wir auch ein paar Museen besuchen“, schlug Johan neckend vor. Einen Plan B hatte er immer parat. Langweilen würden sie sich schon nicht. Judai wog den Kopf. „Klingt beides gut. Und hey, wenn das Wetter nicht so toll ist, haben wir bestimmt alle Attraktionen für uns.“ „Eine ausgezeichnete Einstellung!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)