Momentaufnahmen von -Kiara ================================================================================ Kapitel 11: Weltreise --------------------- Stetiges Brummen erfüllte Judais Ohren, seit Stunden sein beständiger Begleiter. Trotz In-Ear Kopfhörer und lauter Musik war es nicht möglich das Geräusch völlig auszublenden. Es war anstrengend, aber man gewöhnte sich daran. Das Licht in der Flugzeugkabine war abgedunkelt, lediglich die trübe Nachtbeleuchtung und das Flackern der vielen gedimmten Monitore spendete Licht. Mühsam versuchte Judai sein Gewicht anders zu verteilen, sich etwas aufzurichten und eine neue bequeme Sitzposition zu finden. Er zog die dünne Decke, welche sorgsam von den Mitarbeitern der Fluggesellschaft für jeden Gast bereitgestellt wurde, bis an die Brust hoch und warf einen neugierigen Blick auf sein Handy, um die ihm derzeit deutlich relativ vorkommende Uhrzeit zu lesen. 16:43 Uhr. Das war japanischer Zeit. Judai überlegte kurz, der Abflug war für 11:50 Uhr vorgesehen gewesen. Also befanden sie sich inzwischen seit gut fünf Stunden in der Luft. Laut Flugplan sollte die Reisedauer elf Stunden und zwanzig Minuten betragen. Ergo… hatten sie noch nicht einmal die Hälfte des Weges geschafft. Bei dieser Realisation seufzte Judai schwer. Es war gar nicht so leicht sich so lange die Zeit zu vertreiben und zu sitzen. Nach dem Essen hatte er versucht zu dösen. Aber darin war er leider nicht sonderlich erfolgreich gewesen. Plötzlich spürte er einen Ellbogen in seiner rechten Seite. Wirsch warf Judai seinem Sitznachbarn einen irritierten Blick zu. Johan war aufgefallen, dass sein Freund wach war und bot ihm eine Flasche Wasser an, welche die Flugbegleiterin verteilt hatte, während Judai versucht hatte sich zum Schlafen abzukapseln. „Danke“, sagte Judai rasch und zog sich den rechten Stöpsel aus dem Ohr, für den Fall, dass sie noch ein paar Worte mehr wechseln wollten. Auf Johans Bildschirm lief ein Film, den Judai nicht kannte, aber scheinbar sah Johan dort nur halbherzig zu, war er doch gerade mehr an seinem Freund interessiert. Judai brach das Siegel der Flasche und drehte den Verschluss auf. Er hatte gar nicht bemerkt, wie durstig er gewesen war und leerte die halbe Flasche in mehreren Zügen. „Denk dran, du musst viel trinken. Hier oben ist die Luftfeuchtigkeit niedrig“, erinnerte ihn Johan. Wie auf Geheiß erspähte Judai auch die nächste Flugbegleitung, welche mit einem Tablett mit Bechern und einer erhobenen Flasche langsam den Gang hinunter schritt. Der Inhalt war nicht transparent, daher nahm Judai an, dass es sich um einen Saft handeln musste. Etwas Geschmack käme ihm ganz gelegen, also meldete er sich brav, als der nette Herr an ihrer Reihe angekommen war. „För mig också snälla“, nickte Johan dem Flugbegleiter zu, während er den halbvollen Becher Saft an Judai weiterreichte. Zu Beginn des Fluges hatte Johan ihm erklärt, dass die Crew auf ihrem Flug nach Kopenhagen aus allen drei skandinavischen Ländern kam. Der Pilot war Norweger, daher war seine Durchsage auf Englisch und Norwegisch gewesen. Zwei Flugbegleiterinnen waren aus Dänemark und der nette Herr der ihm gerade einen weiteren Saft anreichte kam aus Schweden. Judai hörte da überhaupt keinen Unterschied heraus aber anscheinend hatte Johan stets die richtige Sprache parat gehabt, als er mit den Flugbegleitern sprach. „Thank you“, brachte Judai noch etwas schüchtern hervor, ehe der Flugbegleiter eine Reihe weiterzog. Erwartungsvoll nippte er an dem Saft und erkannte nach einer kurzen geschmacklichen Verwirrung, dass es sich um Apfelsaft handeln musste. Ehrlich gesagt hatte er Orange erwartet und kam deshalb im ersten Moment nicht ganz klar, was sich da nun in seinem Mund abspielte. „Wo wir wohl gerade sind?“, fragte sich Judai laut genug, damit es Johan auch hören konnte. „Definitiv über Russland. Vielleicht in Höhe von Kasachstan“, sagte Johan bestimmt. „Wie lange fliegen wir denn über Russland?“, wunderte sich Judai. „Gut zehn Stunden.“ Judai war geschockt. Also ja, er wusste, dass es das größte Land der Welt war – aber so riesig?! „Bei jedem Flug fällt mir immer dasselbe Zitat aus Cabin Pressure ein. We're, unbelievably, still flying over Russia, which continues to be stupidly big. Und den Piloten muss es genauso ergehen wie den Protagonisten.“ Johan schüttelte empathisch den Kopf. „Und das alles um uns über die halbe Welt zu transportieren.“ „Stimmt, wenn wir landen ist es Nachmittag. Also eigentlich jetzt – aber erst in sieben Stunden“, bestätigte Judai, ein bisschen stolz das Ganze mit der Zeitverschiebung verstanden zu haben. „Sag Bescheid, wenn du auf Toilette musst oder mal aufstehen willst“, sagte Johan, welcher selbst begann sich auf seinem Sitz etwas zu strecken und zu drehen. „Beweg auch deine Füße.“ Judai tat wie ihm Geheißen und rollte seine Füße im Kreis, wackelte mit ihnen hin und her – und was ihm sonst alles einfiel. Zum Aufstehen war er im Augenblick zu faul und dösig. Lieber kuschelte er sich anschließend an Johan und legte den Kopf an seine Schulter. „Ich realisier immer noch nicht so richtig, was uns die nächsten Wochen erwartet“, gab Judai zu. „Wahrscheinlich erst, wenn wir landen.“ „Ich glaube, wenn wir landen bist du zu gerädert um noch irgendwas großartig zu realisieren. Dann ist es einfach da“, lachte Johan gutmütig. Er kannte das von seinen ersten Flügen zurück in die alte Heimat. Oder als er im Kindesalter mit seinen Eltern nach Japan zog. Es war surreal über viele Stunden in einer Blechdose zu sitzen und am Ende tatsächlich am anderen Ende der Welt rauszukommen. Andere Menschen, andere Kultur, andere Sprache. „Mann, ich würde echt gern schlafen können, um nachher fit zu sein“, grummelte Judai. „Ach, du musst es ja nur bis ins Hotel überstehen. Bis wir da ankommen ist es eh Abend und etwas unternehmen lohnt sich dann sowieso nicht mehr. Zwei Tage reichen völlig aus, um Kopenhagen ein bisschen zu erkunden“, versuchte Johan ihn aufzumuntern. Am dritten Tag sollte es nämlich weitergehen nach Bergen und von dort auf das Postschiff, mit dem sie nach Harstad gelangen würden. Dort holte sie Johans Onkel ab. Die Überfahrt dauerte gut fünf Tage, aber sie bot eine grandiose Gelegenheit die Fjorde zu sehen und, wenn sie Glück hatten, auch Nordlichter. „Ich freue mich auf den Schnee“, murmelte Judai und machte langsam wieder die Augen zu. Liebevoll nahm Johan ihm den leeren Saftbecher ab und stellte ihn neben seinen eigenen. Wenn er noch etwas trinken wollte, konnten sie die Becher wieder befüllen lassen. So produzierten sie nicht unnötig mehr Müll. Anschließend platzierte Johan ein Küsschen auf Judais Haarschopf und suchte dessen Hand um sie behutsam zu halten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)