2nd Season: Russian Diaries von Flokati ================================================================================ Kapitel 13: Notaufnahme! – Das Aus im Finale?! ----------------------------------------------- Wenn ich gewusst hätte, dass das passiert, wäre ich mit Makkachin nach draußen gegangen. Es ist der 4. Dezember und stockfinstere Nacht, als wir mit Blaulicht durch die Straßen von St. Petersburg fahren. Ich sitze mit im Krankenwagen und stehe unter Schock. Ich kann noch nicht mal sagen, wie es passiert ist. Er wollte nur kurz mit Makkachin vor die Tür. Ich habe derweil noch das Geschirr weggeräumt, als ich einen dumpfen Ton und aufgebrachtes Bellen gehört habe. Da war er keine fünf Minuten aus der Wohnung. Ich bin ans Fenster gegangen, habe nach unten gesehen und sah ihn rücklings in der Einfahrt liegen, Makkachin keifend daneben. Vor Schreck habe ich fast den Topf durch die Küche geworfen. Ich habe sofort nach meinem Handy und dem Schlüssel gegriffen, meine Jacke übergezogen und bin so schnell ich konnte nach unten gerannt. Viktor saß bereits wieder aufrecht, als ich ihn erreichte, sodass ich im ersten Moment glaubte, es sei doch nichts Schlimmes passiert. Die Erleichterung hielt jedoch nur kurz, weil er sich gleich wieder auf den Boden legte und brabbelte, ihm werde schwarz vor Augen. Auf der eiskalten Einfahrt konnte ich ihn nicht liegen lassen, doch der Versuch, ihn wieder aufzurichten und nach drinnen zu bringen, scheiterte kläglich, denn ein fast ohnmächtiger Viktor war zu schwer für mich alleine. Ich wusste vor lauter Panik keine andere Lösung mehr, als Jelena anzurufen, dass sie den Notruf verständigt. Sie hat mich kaum verstanden, so undeutlich habe ich am Telefon geredet. Ich kam mir völlig hilf- und nutzlos vor. Ich kniete neben Viktor und sein Kopf lag auf meinem Schoß, Makkachin dicht an uns gedrängt, um uns warm zu halten und die Minuten, bis der Krankenwagen in die Straße einbog, fühlten sich an wie eine Ewigkeit. Viktor hatte sich nicht mehr bewegt, trotz mehrfacher Versuche, mit ihm zu reden und als ich schließlich die Sirene näher kommen hörte und den Krankenwagen dann auch sah, waren meine Nerven bereits so durch vor Sorge um ihn, dass ich kaum Erleichterung verspürte. Es war, als hätte ich alles vergessen, was ich je gelernt habe und ich konnte den Sanitätern keine einzige Frage beantworten. Irgendwie habe ich noch begriffen, dass ich den Hund nach oben bringen und unsere Sachen holen soll, aber mehr auch nicht. Einzig, dass sie überaus ruhig und routiniert mit Viktor umgingen und dass er ihnen kurzzeitig Antwort gegeben hat, schaffe es dann, mich etwas aufatmen zu lassen. Der Fahrer des Krankenwagens und einer der Sanitäter konnten ihn gemeinsam aufrichten, während ihre Kollegin im Wagen eine Bahre bereit machte. Der relativ abrupte Wechsel von horizontaler in vertikale Lage führte jedoch dazu, dass Viktor sich erbrechen musste und mir war zum Heulen zumute, ihn so sehen zu müssen. Jetzt liegt er in Wärmedecken gewickelt vor mir im Krankenwagen und ich halte seine Hand. Er ist immer noch unterkühlt. Die Einfahrt bei uns ist zwar frei von Schnee und Eis, aber wir haben unter null Grad und er lag dort für gut eine halbe Stunde, bis er in den Krankenwagen gehoben wurde... Weil er nur kurz raus wollte, hatte er die dicke Jacke natürlich nicht mitgenommen, sondern nur schnell seinen Poncho übergeworfen... Dieser Dummkopf. Ich bin krank vor Sorge und kann es einfach nicht fassen. Warum passiert sowas jetzt? Jetzt? Die Frau unter den Sanitätern tippt mich an: „Can I ask question? All ok?“ Sie versucht es auf Englisch. In ihrer einen Hand hat sie ihr Handy, wahrscheinlich hat sie eine Übersetzungshilfe benutzt oder zumindest nach Wörtern gesucht. In der anderen hält sie ein Klemmbrett und einen Stift. Ich nicke zögerlich. Sie wird wahrscheinlich Personalien und Unfallhergang erfragen wollen. „You got ID-card? Or something?“ Ich lasse Viktors Hand los und greife nach meiner Tasche und krame die Ausweise raus. In der Eile habe ich nur meine und seine Geldbörse in die erstbeste Tasche geworfen, die ich finden konnte. Zuerst gebe ich ihr den Ausweis von Viktor, dann meinen. Ihre Augen weiten sich beim Anblick und sie sieht mich erst ungläubig und dann mitleidig an. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie wahrscheinlich nicht damit gerechnet hat, heute abend Viktor Nikiforov ins Krankenhaus fahren zu müssen. Sie fängt sich wieder und beginnt, ihr Formular auszufüllen. „He has got concussion. Hit ground with head, here“, erklärt sie und tippt sich mit dem Stift gegen den rechten Hinterkopf. „We drive hospital now.“ Ich nicke, aber weiß gar nicht, wie ich die Informationen verarbeiten soll und ob Gehirnerschütterung jetzt Gutes oder Schlechtes bedeutet. Ich nehme Viktors Hand wieder in meine und mein Bein wippt nervös auf und ab. Ich beobachte unruhig, wie sie weiter auf dem Formular verschiedene Kästchen ankreuzt und Notizen macht, als könnte ich aus ihren Bewegungen ablesen, wie es weitergeht. Dann spüre ich, dass Viktor meine Hand etwas drückt. „Viktor?“, frage ich sofort. Die Augen sind noch geschlossen. „Hörst du mich?“ „Yuuri... mir ist schlecht.“ Er redet Russisch. Englisch wäre vielleicht auch etwas zu viel verlangt, aber ich verstehe ihn. Die Sanitäterin neben mir legt augenblicklich das Formular beiseite, stellt sich direkt neben ihn und greift sicherheitshalber nach dem Plastikbeutel, in dem sich schon der Großteil unseres Abendessens befindet. „Müssen Sie sich übergeben?“ „...nein.“ „Ist Ihnen schwindelig? Tut Ihnen etwas weh?“ „Mein Kopf... und mein Fuß...“ Es durchfährt mich wie ein Stromschlag. Sein Fuß? „Links oder rechts?“ „...links.“ Sofort stellt sie den Plastikbeutel beiseite und geht zum Fußende der Bahre, dreht Viktors Fuß zur Seite, um an den Reißverschluss seines Stiefels zu gelangen, als Viktor schon schmerzhaft das Gesicht verzieht und stöhnt. Oh nein... Ich werde leicht panisch, als die Sanitäterin versucht, den Schuh langsam vom Fuß zu streifen und Viktor sich verkrampft. Er drückt meine Hand fester bis der Schuh ausgezogen ist und noch bevor sie die Socke herunterrollen kann, sehen wir überdeutlich, dass der ganze Knöchel geschwollen ist. Das ist jetzt nicht wahr. Die Sanitäterin entfernt noch die Socke und der Knöchel ist nicht nur dick, sondern auch blau. Das ist jetzt nicht wahr... Mir wird regelrecht schlecht. Das darf nicht wahr sein! Im Krankenhaus wird Viktor in der Notaufnahme komplett untersucht und geröntgt. Er hat keine Knochenbrüche, weder in den Beinen noch an Wirbelsäule oder Hinterkopf davon getragen, aber was man mir bezüglich seines Fußes versucht zu erklären, klingt wie eine Verstauchung oder Prellung und folglich hat Viktor einen Kompressionsverband mit Schiene bekommen. Auch wenn es besser ist als ein Bruch, darf er den Fuß für die nächsten fünf Tage absolut nicht belasten, sondern soll ihn komplett ruhig stellen. Viktor selbst ist immer noch benommen aufgrund der Gehirnerschütterung und hat mittlerweile auch eine dicke Beule am Hinterkopf, als er vom behandelnden Arzt zum Unfallhergang befragt wird. Er sagt, er wisse noch, dass er aus der Tür war und gewartet habe, bis Makkachin neben der kleinen Mauer zur Einfahrt sein Geschäft verrichtet hatte und er es beseitigen wollte, als Makkachin sich vor einem Auto erschreckt habe und wie von allen guten Geistern verlassen zurück auf ihn zu rannte. Weil er in gebückter Haltung war, habe er Makkachin zuerst nicht gesehen und vor Schreck und Sorge mit dem Hund zusammen zu prallen, dann ausweichen zu wollen. Er wisse noch, dass er einen Schritt zur dem Mäuerchen hinmachte, danach sei er erst wieder in der Einfahrt zu sich gekommen und habe versucht sich aufzurichten. Das war, kurz bevor ich zu ihm gekommen war. Der Arzt nickt während Viktors Schilderung einige Male, ganz so, als wäre so weit alles plausibel und befragt mich schließlich über die Höhe jenes Mäuerchens und der Falltiefe. Die kleine Mauer verläuft parallel zur Einfahrt und ist auf Seite des Vorgartens nur etwa zwanzig Zentimeter hoch. Auf Seiten der Einfahrt geht es schon recht steil hinunter, aber Viktor lang weit vorne, sodass er nicht tiefer gefallen ist wie auf flachem Boden. Die Frage, warum Viktor sich nicht richtig abgefangen habe, beantwortet Viktor damit, dass er die Hände immer noch mit Anderem voll hatte und ich muss beschämt auf den Boden starren. Den Rest schlussfolgert der Arzt wie folgt: Viktor muss in Folge seines Ausweichversuchs an dem Mäuerchen hängen geblieben und dadurch rücklings a in die Tiefgarageneinfahrt gefallen sein. Er erklärt weiter, dass Stolpern an sich noch nicht zwangsläufig zu einer Verstauchung des Knöchels führe, aber die Bänder und Gelenke in beiden Füßen seien durch die doppelte Trainingsbelastung zu stark beansprucht gewesen, sodass sie der abrupten, reflexartigen Bewegung, den Stutz abzufangen und die Balance zu halten, nicht mehr standgehalten haben. Bei der niedrigen Höhe der Mauer sei auch nicht auszuschießen, dass Viktor unglücklich auf die Kante getreten und abgerutscht sei. Da Viktor auch nach der Untersuchung immer noch mit Übelkeit und Schwindel zu kämpfen hat, beschließt der Arzt, ihn über Nacht zur Beobachtung im Krankenhaus zu lassen. Es ist schon weit nach elf Uhr, als er ein Einzelzimmer im Krankenhaus zugewiesen bekommt. Die Schwester legt ihm noch eine Infusion gegen die Schmerzen und es dauert nicht lange, bis er schließlich eingeschlafen ist. Mit der ernüchternden Erkenntnis, heute nichts mehr für ihn tun zu können, verabschiede ich mich schweren Herzens und dem leisen Versprechen, morgen sofort zu ihm ins Krankenhaus zurück zu kommen. Ich bin fix und fertig mit den Nerven. Im Empfangsbereich des Krankenhauses wartet zu meiner Überraschung Jelena auf mich und ich stelle mit Schrecken fest, dass ich mich gar nicht mehr bei ihr gemeldet habe, seit sie den Notruf gewählt hat. „Yuuri, oh Gott sei Dank, da bist du endlich! Was ist mit Viktor? Ist er verletzt? Was ist passiert?! Sag’ doch was!“ Auch sie sieht völlig fertig und aufgebracht aus. Sie rattert alles so schnell herunter, dass ihre Stimme sich fast überschlägt. Dennoch kommt es mir vor wie in Zeitlupe und schaffe es lediglich zu einem müden Lächeln. Wahrscheinlich geht es Viktor durch die Infusion von uns drei gerade noch am Besten. „Er soll zur Beobachtung heute Nacht hier bleiben, aber er darf morgen wieder nach Hause“, antworte ich ihr mit schlechtem Gewissen. „Es tut mir Leid, ich hab gar nicht mehr angerufen... ich war so in Sorge, ich habe mich so verloren gefühlt...“ „Ach Yuuri,“ beginnt Jelena und schließt mich in die Arme. „Hauptsache, Viktor ist nichts schlimmes passiert. Erzähl’s mir im Auto. Komm’, ich fahr dich heim.“ Nichts Schlimmes... das kommt ganz auf den Blickwinkel an. Das Finale ist in vier Tagen. Mit einem verstauchten Knöchel wird Viktor nicht daran teilnehmen können und er selbst hat es noch nicht realisiert... Am nächsten Morgen wollte ich Yakov eigentlich nur Bescheid sagen, dass wir später kommen, allerdings hätte ich mir auch denken können, dass die Nachricht, dass ich Viktor aus dem Krankenhaus abholen muss, ihm einen halben Herzinfarkt beschert. Hysterisch hat er allerlei Dinge ins Telefon gebrüllt, von denen ich nur die Hälfte verstanden habe und es klang so, als würde auch er sich auf den Weg in Krankenhaus machen. Ich sitze also in unserer Küche und warte auf Jelena, die mich wieder abholen kommt, sodass wir zusammen zu Viktor fahren können. Während ich still das Handy auf dem Tisch im Kreis drehe, ruht mein Blick auf Makkachin. Er liegt auf seinem Platz wie ein Häufchen Elend. Er spürt, dass es seinem Herrchen nicht gut geht, dass es mir nicht gut geht und er spürt wohl auch, dass seine Panikattacke gestern Abend Schuld an der Misere hat. Ich wollte ihn nach meiner Rückkehr mitten in der Nacht noch mit ins Bett lassen, aber er blieb pinsend und betrübt im Wohnzimmer auf der Couch, bis ich endgültig die Schnauze voll hatte und ihn ins Schlafzimmer getragen habe, damit wenigstens für ein paar Stunden noch Ruhe war. Als wir im Krankenhaus ankommen, wird mir bewusst, dass ich vor lauter Aufregung gestern vergessen habe, welche Zimmernummer Viktor hat, bzw. dass ich sie gar nicht wahrgenommen und mir demnach auch nicht gemerkt habe. Den Weg zum Zimmer erst recht nicht. Also stehen Jelena und ich bei unserer Ankunft an der Rezeption, um die Zimmernummer zu erfragen. Jelena übernimmt das Reden und ich höre nur zu, doch die Mitarbeiterin ist wenig kooperativ. „Es tut mir Leid. Auskunft bezüglich der Zimmernummer kann ich nun wirklich nicht einfach so geben“, erklärt die Frau, nachdem Sie im Computer nachgesehen hat. „Sonst könnte ja jeder kommen.“ „Wir wollen ihn abholen!“, ereifert sich Jelena. „Ich darf Ihnen keine Auskunft geben, bitte verstehen Sie“, beharrt die Angestellte. „Wir waren gestern Nacht schon hier!“ Jelena bleibt hartnäckig und deutet dann auf mich. „Er ist mit ihm im Krankenwagen hier ankommen!“ Die Rezeptionistin sieht aus, als würde sie meine Anwesenheit jetzt erst bemerken und zieht eine Augenbraue nach oben. „Sie gehören zur Familie? Können Sie sich ausweisen, bitte?“ Es dauert einen Moment, bis ich die Situation begreife, warum sie mich, einen Japaner, fragt ob ich zur Familie gehöre und dann trifft mich die Erkenntnis wie ein Blitz. Noch hin- und hergerissen, wie ich den Umstand bewerten soll, hole ich meinen Ausweis aus der Tasche und zeige ihn der Angestellten. Sie beäugt ihn intensiv und zuckt schließlich mit den Schultern. Dann nimmt sie einen Zettel und notiert die Nummer. Bevor sie ihn mir gibt, fragt sie mich: „Die Dame darf mit?“ „Ja“, entgegne ich. „Sie ist eine sehr gute Freundin.“ „Dann hab ich nichts gesagt. Aufzüge sind da hinten.“ Bevor Jelena, die völlig perplex die Szene beobachtet hat, irgendetwas fragen kann, nehme ich den Zettel und meinen Ausweis entgegen und hechte in Richtung der Aufzüge. Sie folgt mir schnellen Schrittes. „Yuuri, wie kommt es, dass-“ „Nicht hier, ok?“, falle ich ihr ins Wort und betrete den Fahrstuhl. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)