2nd Season: Russian Diaries von Flokati ================================================================================ Kapitel 8: Russian Nationals – Viktor Nikiforov: Das Comeback ------------------------------------------------------------- „Yuuri.“ Ich erschrecke mich fast und als ich mich Viktor zuwende, sehe ich, dass er seine Jacke ausgezogen hat. Du lieber Himmel. Sofort habe ich die Hände vor meinem Mund. ...Mir fehlen gerade die Worte. Jelena hat kein bisschen übertrieben, als sie meinte, Viktor sähe fantastisch in dem weißen Outfit aus. Im Gegensatz zur Hose, die nur aus einem einzigen Stoff besteht, ist ab der Hüfte aufwärts eine wahre Ansammlung an verschiedenen weißen Stoffen, Strukturen und Glanz, die aber perfekt aufeinander abgestimmt sind und das Licht auf die unterschiedlichsten Arten reflektieren und einfangen. Es erinnert an Glasscherben und der Schnitt am Oberkörper ist wahnsinnig eng, sodass Viktors athletischer Körper perfekt betont wird. Über Rücken und Arme sind Lagen aus Chiffon und Seide aufgenäht, die sanft über die Schultern hängen. Mit seinen hellen Haaren und den leuchtend blauen Augen sieht Viktor schon übernatürlich schön aus, dass ich weiche Knie davon bekomme... „Gefällt es dir?“, fragt er mich und ich schaffe es nur, einen sehr gequiekten Laut von mir zu geben. Viktors Lächeln wird größer. „Ich werte das als Ja. Du bist süß, Yuuri.“ Warum stehen wir mitten bei einem Wettkampf? Hätte er mir das nicht hinten in der Kabine zeigen können? Ich hätte ihn noch einmal umarmen können...! Aber dafür ist es jetzt zu spät. Die Kameras sind auf das Outfit aufmerksam geworden und von überall höre ich das Klicken der Fotoapparate und sehe die Blitzlichter aufleuchten. Viktor hat nicht nur mich fasziniert. Jeder, der ihn sehen kann, ist überwältigt und das, obwohl er das Eis noch nicht mal betreten hat. Schaut irgendjemand eigentlich noch Georgi zu? Ich kann seine Musik hören, aber mein Blick haftet weiterhin an Viktor. Es will einfach nicht in meinem Kopf hinein. Dass er gleich derjenige sein wird, der sein Programm laufen wird, bringt meine Wahrnehmung, dass es wirklich Viktor Nikiforov ist, mit dem ich im Moskauer Eisstadion stehe, auf ein bisher unerreichtes Level. Normalerweise würde ich jetzt irgendwo vor dem Fernseher sitzen und wie alle anderen ungeduldig seiner Vorstellung entgegen fiebern, ohne einen persönlichen Bezug dazu zu haben. Aber ich stehe vor ihm, bin mitten im Geschehen und erlebe alles genauso intensiv wie Viktor selbst... Als sein Geliebter. Just fällt mir wieder ein, dass Jelena geschrieben hat, er würde etwas Nettes hören wollen und ich fange an, angestrengt zu überlegen. Ich will ihn unterstützen, aber was ist es, dass er jetzt von mir braucht? Mein Blick fällt auf eines der Banner auf der gegenüberliegenden Seite der Eisfläche. 'Der wahre König betritt sein Reich' lese ich dort. Ich bin zu keinem klaren Gedanken fähig, dabei wäre es umso wichtiger, jetzt die richtigen Worte zu finden! Aber das Einzige, was mir einfällt, ist dass JJ sicher ganz und gar nicht begeistert sein wird, diese Slogans überall in den Medien zu lesen... Das Klatschen des Publikums zum Ende von Georgis Kurzprogramm reißt mich wieder aus meiner Gedankenblase. Das ging mir jetzt doch etwas zu schnell! „Vitya, mach dich bereit“, instruiert Yakov, der auf Georgi wartet, um gleich seinen zweiten Gang zur Punktevergabe anzutreten. „Ja.“ Viktor gibt mir seine Kufenschützer, setzt die Füße auf die Eisfläche und sogleich geht das Geschrei los. Begleitet von Applaus und „Viktor! Viktor! Viktor!“-Rufen, die noch lauter sind, als die Anfeuerungsrufe für Yurio, fährt er übers Eis, um die Zuschauer mit einem strahlenden Lachen zu begrüßen. Die ganze Halle liegt ihm zu Füßen. Flüchtig erinnert es mich an Sochi. Auch damals war es nicht anders gewesen; das Grand Prix Finale in Russland war eine einzige Show zu Ehren ihres Königs auf dem Eis, der damals keine Erwartung auf einen fünften Sieg in Folge enttäuscht hatte. Ob das jetzt auch bei seinem Comeback gelingen würde? Viktor beendet seine Runde, winkt dem Publikum zu und kommt zurück zu mir an die Bande. „Willst du mir noch was sagen, bevor ich muss?“ Oh Gott, er fragt wirklich. Ich habe keine Ahnung, was ich sagen könnte! Mir ist so schlecht vor Aufregung. Wenn ich nur wüsste, was er hören will... Auf den Bildschirmen erscheinen 89,57 Punkte für Georgi. „Yuuri?“ „Ich liebe dich“, antworte ich ihm hastig. Es ist alles, was mir gerade einfällt und auch alles, was ich fühle. „L-lauf, wie es dir am Besten gefällt.“ „Natürlich“, versichert er, das Gesicht überaus erleichtert und glücklich. Er stößt sich von der Bande ab, fährt zur Mitte der Eisfläche, begleitet von erneutem, tosendem Beifall der Zuschauer. Yurio kommt derweil zu mir geschlurft. Trotz seines guten Ergebnisses scheint auch er weiterhin angespannt bis klar ist, auf welchem Niveau Viktor wirklich läuft. Der Kommentator beginnt mit seiner Ansage und man gewinnt sofort den Eindruck, dass er den ganzen Tag auf nichts anderes gewartet hat. Er kündigt Viktors Auftritt beinahe doppelt so lange und doppelt so laut an wie die von Yurio und Georgi: „Sehr verehrtes Publikum; der Lauf, auf den wir alle seit Wochen sehnsüchtig gewartet haben! Der fünfmalige Weltmeister und Grand Prix-Gewinner in Folge Viktor Nikiforov wird uns in wenigen Minuten sein Comeback auf der Eisfläche präsentieren! Als Thema seiner diesjährigen Programme zeigt uns Nikiforov den 'Tod' als Ausdruck der emotionalen Tiefphase, die ihn letztes Jahr überraschend zu einer Pause gezwungen hat.“ Jetzt ist es raus. Ich sehe in nicht wenigen Gesichtern Erstaunen, Verwirrung und dann Beklommenheit. Auch Yurio starrt Viktor entgeistert an. Nach den ersten Schrecksekunden fangen sich die Zuschauer wieder und klatschen, wenn auch sehr viel verhaltener als zuvor. „Ja, meine Damen und Herren, da kann es einem schon anders werden. Begleitet wird Nikiforovs Interpretation des Thanatos von dem Musikstück Deeper Down. Die Choreografie dazu hat er wie in den Jahren zuvor selbst erstellt. Yuri Plisetskys Arabesque, das wir gerade schon gesehen haben, wurde ebenfalls von Viktor Nikiforov choreografiert, sodass es beinahe so aussieht, als würde er sich auf diese Weise mit Yuri Plisetsky um den Weltrekord duellieren wollen!“ Was?! Yurio und mir steht der Mund offen. Von dieser Intention hat Viktor nie etwas gesagt...! Das wäre ja...! „Meine Damen und Herren, es geht los. Das Comeback von Viktor Nikiforov, dem wir alle entgegen gefiebert haben! Der wahre König ist zurück auf dem Eis!“ Viktor nimmt seine Pose ein, indem er sich in die Hocke setzt, aber sein linkes Bein ist angewinkelt, um sich abzustoßen. Es wird augenblicklich still. Niemand rührt sich oder traut sich zu blinzeln. Zu meiner Überraschung hat Yurio nach meinem Arm gegriffen und hält sich an mir fest. Offenbar ist er nach diesen Ankündigung nicht mehr ganz so cool drauf, wie er gerne wäre. Keine Sorge, Yurio, wir stehen das zusammen durch, denke ich und versuche, meinen Atem zu kontrollieren. Viktor weiß, was er tut. [P] Dann beginnt es. Die leisen, klaren Klänge eines Pianos erklingen und begleiten die ersten, eleganten Drehungen, in denen er sich langsam, aber würdevoll aufrichtet. Die Musik ist so schön, aber auch so schwermütig und Viktor dreht sich so leicht, als könnte er fliegen. Er hat uns alle sofort in seinem Bann. In aufrechter Position angekommen, hält er einen Moment inne, hebt die Arme über seinen Kopf und senkt sie zusammen mit seinem Gesicht wieder vor seine Brust, als würde es ihn schmerzen. Er stößt sich sachte ab, die Arme um seinen Oberkörper geschlungen. Hinter ihm wehen Seide und Chiffon schwerelos und schön, die sich wie Flügel durch den Zugwind auffächern. Seine Schritte sind lang, er gleitet sehnsüchtig über das Eis, wechselt in rückwärtiges Fahren, als suchte er etwas, das hinter ihm liegt und von dem er sich weiter entfernt. Ein Inner Eagle lässt ihn im Kreis drehen, nach dem er abermals regungslos verharrt, die Hände auf der Brust, den Blick fokussiert nach vorne. Dann setzt Gesang ein. Eine Frauenstimme singt hell und klar... Ich versuche, den Text zu erfassen. Ein distanzierter Rabe, aus der Ferne betrachtet; dessen Stolz man sich zu eigen gemacht hat, aber nicht mehr braucht. Viktors Schrittfolge ist ausdrucksstark, selbstsicher und präzise, ohne den geringsten Zweifel nimmt er Anlauf, tippt auf das Eis und springt just den vierfachen Flip, für den ihn alle begeistert feiern. Eine Eule, alt und weise, ist ein steter Begleiter. Viktors Schritte haben sich geändert, ich kann erkennen, wie Yakovs väterliche Art in jeder seiner Bewegungen steckt. Doch jenes von der Eule erlernte Wissen ist nichtig geworden und so springt sich Viktor auch davon frei; ein dreifacher Rittberger, perfekt ausgeführt, dessen Schwung fließend in eine horizontale Pirouette übergeht. Streicher setzen ein, begleiten die rotierende, strahlende Gestalt; ich habe überall Gänsehaut und bin vor Anspannung wie erstarrt. Eine furchtlose Taube schenkt bedingungslose Liebe... Ich kann sehen, wie Viktor sie in seinen Drehungen liebevoll und zärtlich umarmt, aber auch sie braucht er nicht mehr... Ein vierfacher Salchow schüttelt die Liebe ab und ich kann spüren, dass Yurio sich fester an mich drückt. Nach dem Salchow wird die Musik schlagartig dramatischer, eine Männerstimme ist zu hören, Viktor breitet die Arme aus und die leichten Stoffe flattern abermals hinter ihm; ich nehme den weißen Schwan wahr, so wunderschön und vergänglich besungen, dass ich am ganzen Körper erschaudere. Das Eis spiegelt blass die sterbende Gestalt in Form einer makellos ausgeführten Ina Baur und ich traue mich kaum, an den nächsten Sprung zu denken, doch die silbernen Kufen verbleiben dieses Mal auf der Eisfläche. Das Piano erklingt wieder und die Stimmung schwingt jäh mit einer abrupten Drehung um. Die Verzweiflung bahnt sich ihren Weg in seine Bewegungen; man spürt, dass sie in jede Faser des Körpers kriecht. Mir steigen die Tränen in die Augen und Yurios Griff nimmt krampfhafte Züge an. Viktor wirft sich in Richtungswechseln über das Eis, hoffnungslos und dennoch mit so viel Hingabe für das, was er einst geliebt hat... es geht dem Ende zu und meine Beine wollen nachgeben. Die Stimmen erheben sich erneut, den Schwan anzupreisen, zu bewundern und zu verehren und Viktor reißt die Hände vor seinem Gesicht nach oben in die Luft, als flehte er den Himmel um Erlösung an... Ich spüre das gleiche Stechen in der Brust, das ihn befallen hat. Er sieht so erschöpft aus... Sein Lauf wird pathetischer und mein Puls beginnt zu rasen, Viktor springt beinahe manisch eine letzte Kombination aus dreifachem Axel, einfachem Toeloop und dreifachen Salchow; es ist ein vergebliches, letztes Aufbäumen gegen die innere Qual, die ihn zerrüttet... Die Musik reißt ab. Ich traue mich kaum zu blinzeln und mein ganzer Körper bebt, das Blut pocht laut in meinen Ohren. Viktor gleitet in gebrochener Haltung leise über Eis, zieht immer engere Bahnen, dann sind es nur noch Kreise... Sein Körper wird schwerer, langsamer, als würde das Eis ihn zu sich ziehen und ihn aufnehmen wollen... Mein Herz droht zu zerspringen, während ich die letzten, kunstvoll ausgeführten Bewegungen dieses einzigartigen Genies vor meinen Augen verfolge, das dieser Welt entgleitet, auf dem Eis zum Liegen kommt und dessen Tod vom letzten Saitenanschlag der Tasten besiegelt wird. In der Halle ist es totenstill. Mein Atem geht völlig unkontrolliert, ich schnaufe beinahe. Erst jetzt merke ich, dass mir wirklich Tränen die Wangen hinablaufen, dass mein Hals völlig trocken ist und dass meine Hände verschwitzt und eiskalt sind. Nur der Druck von Yurios Fingernägeln an meinem rechten Arm erinnert mich daran, dass das hier nicht real ist und Viktor nur ein Programm gelaufen ist. Und dennoch. Alles in mir schreit danach, aufs Eis zu rennen und mich vergewissern zu wollen, dass das Herz in seiner Brust noch schlägt, aber mein Körper versagt mir die Kontrolle über meine Beine. Viktor... Steh auf! So viel Drama muss nun wirklich nicht sein...! Blödmann...! Mein stummes Flehen wird erhört. Viktor steht ohne ein Anzeichen des sterbenden Schwans auf und verbeugt sich höflich vor seinem Publikum, das immer noch regungslos in seiner Starre verharrt. Nur langsam fühlen sich die ersten Zuschauer zum Klatschen fähig, dann brechen nach und nach die Dämme, bis die ganze Halle zu Jubel und Standing Ovations aufspringt. Ich fange an zu zittern, steige ebenfalls in den Jubel mit ein und kann gar nichts mehr kontrollieren... Was für eine brillante, meisterhafte Vorstellung! Meine Tränen fließen, diesmal vor Freude, und ich klatsche Beifall mit dem letzten bisschen Kraft, das in meinen Armen und Händen noch geblieben ist. Das Publikum wirft Blumen, Stofftiere und -herzen auf die Eisfläche; sie feiern ihren Viktor Nikiforov für ein überwältigendes Programm, das seinem Genie nur gerecht geworden ist. Nach einer gefühlten Ewigkeit in der Mitte der Eisfläche setzt er an, zu mir zurück zu kommen. Mein Herz ist kurz davor zu explodieren, so sehr will ich ihn umarmen. Ich weiß ganz genau, dass ich ihn heute Nacht nicht loslassen werde... Und will schon die Arme nach ihm ausstrecken, als ich bemerke, dass ich immer noch ein Klammeräffchen am rechten Arm habe, das das verhindert. Als Viktor vor uns zum Stehen kommt, grinst er etwas schuldbewusst. „Ich dachte ja, dass es für dich emotional wird, Yuuri,“ beginnt er dennoch amüsiert, „aber dass es Yurio so mitnimmt, überrascht mich jetzt.“ „Mach' dich bloß nicht lustig, Arschloch!“, brüllt Yurio ihm ertappt entgegen und lässt mich augenblicklich los. Unter den blonden Strähnen kann ich sehen, das auch seine Augen nass geworden sind. „Verpiss' dich!“ „Ich weiß“, antwortet Viktor verständnisvoll. Yurio macht ohne ein weiteres Wort kehrt und ist schnellen Schrittes nach hinten in die Umkleiden verschwunden. Wir schauen ihm einen kurzen Moment nach, dann wendet Viktor sich mir zu und legt eine Hand sachte auf meinen Arm. „Alles in Ordnung?“ „Ja“, antworte ich und versuche dabei stärker zu klingen, als ich mich fühle. Mit immer noch zitternden Händen reiche ihm die Schützer für seine Kufen als auch seine Jacke. Jetzt hätte ich die Arme frei, ihn zu umarmen, aber ich bin völlig kraftlos. Außerdem schaut mich Yakov mit einem überaus warnenden Ausdruck im Gesicht an, ja nichts Unüberlegtes zu tun. Irgendwie schaffe ich es dennoch, meine Füße in Bewegung zu setzen und zu dritt laufen wir zum Kiss & Cry. Ein weiterer, kurzer Blick zu dem russischen Trainer verrät mir, dass das Programm auch an ihm nicht spurlos vorüber gegangen ist... Gemeinsam nehmen wir auf der Bank Platz und ich warte nur darauf, dass Yakov beginnt, Viktor zu erklären, wann und wo er gepatzt hat, aber es bleibt still. Das erleichtert mich, denn einen zeternden Yakov könnte ich jetzt nicht ertragen, dafür sind die Emotionen noch zu frisch und die Stimmung zu aufgewühlt... Wie viele Punkte würde Viktor bekommen? Mehr als Hundert sollten es allemal sein... Er selbst scheint ebenfalls etwas unsicher. Er weiß, dass er gut gelaufen ist, aber wie gut, dass würde sich jetzt erst zeigen. Es dauert seltsamerweise länger als bei Yurio und Georgi, habe ich den Eindruck, oder ist das nur Einbildung? Aber dann erscheinen die Punkte auf den Bildschirmen und werden verlesen. Der Atem stockt uns ein zweites Mal. Kann man so eine Punktzahl einfach aus dem Stand heraus laufen? 112,78 Punkte. Das Publikum rastet erneut aus und der Druck, der auf Viktor gelastet hat, fällt wie ein Stein von ihm ab. Er springt auf, schlägt die Hände vors Gesicht und schreit seine Erleichterung heraus. Yakov zieht ihn direkt wieder zu sich auf die Bank, hält ihn fest im Arm und ruft den Kameras entgegen: „Das ist unser Vitya! Unser Vitya! Ein Teufelskerl!“ Ich kann nur zusehen. Viktor muss unglaublich hart trainiert haben, um das abliefern zu können und Yakov, die Zuschauer, wahrscheinlich ganz Russland; sie alle sind völlig aus dem Häuschen, 'ihren Vitya', den sie lieben und verehren, wiederzuhaben. Ich beobachte die Szene eine kurze Weile, dann senke ich meinen Blick auf meine Knie. Das wird wirklich eine harte Saison. Ich freue mich zwar, dass Viktor so viele Punkte bekommen hat, aber wenn er 112 Punkte einfach so läuft, dann wird es selbst für einen JJ in Topform unmöglich sein, am Ende an ihm vorbei zu ziehen, geschweige denn, dass Yurio oder ich das könnten... „Vitya“, beginnt Yakov und holt mich damit wieder zurück ins Geschehen. Viktor hat immer noch seine Hände vor seinem Gesicht und ich sehe, dass er zittert, obwohl Yakov in festhält. „Meinen vollsten Respekt. Ich hätte damit gerechnet, dass du vielleicht um die 100 oder 105 Punkte läufst, so wie es im Training aussah. Aber das war eine Nummer für sich. Woher der Unterschied?“ Eh? War Viktor im Training nicht so gut? Viktor nimmt die Hände von seinen geröteten Wangen und schenkt Yakov ein verlegenes Lächeln. „Der Unterschied sitzt neben mir“, gesteht er und sieht zu mir herüber. „Ich weiß nicht, zum wievielten Male ich es dir schon sage, Yakov, aber Yuuri ist das Beste, was mi-.“ „Schon gut, schon gut, so langsam glaube ich das wirklich“, resigniert sein Trainer, um das Thema zu beenden und Viktor mit einer Handbewegung Schweigen zu gebieten. „Aber das mal beiseite,“ setzt er wieder an und lässt Viktor los. Ok, jetzt kommt die Standpauke. „Bei deiner eingesprungenen Pirouette wärst du fast aus der Balance gekommen, pass' beim nächsten Mal mehr auf. Und dieser Wallewallestoff an den Armen bremst dich zu sehr für den Rittberger, du brauchst mehr Geschwindigkeit. Das war haarscharf, dass du rum gekommen bist. Und die Ina-“ „Yakov,“ unterbricht Viktor seinen Trainer lachend und klopft ihm auf die Schulter, „lass' gut sein, bitte. Merk's dir und wir reden morgen früh.“ Abschließend winken wir noch einmal in die Kameras vor uns und Viktor zeigt den Zuschauern ein Herz und zwinkert dazu, bevor wir aufstehen und ich ihn den russischen Berichterstattern überlassen muss, die sich schon fast darum prügeln, wer die erste Frage stellen darf. Auf dem Eis steht der nächste Läufer schon längst bereit. Nach Viktor laufen zu müssen ist ein überaus unglückliches Los. Vor allem nach dieser Vorstellung, denke ich. Das Ergebnis beim Kurzprogramm bleibt am Ende wie erwartet. Viktor führt die Rangliste mit einem 14 Punkte-Vorsprung zu Yurio an, Georgi bleibt dahinter auf dem dritten Platz. Der Läufer nach Viktor ist bis auf 1,23 Punkte an Georgi herangekommen, worüber Yakov nicht sonderlich erfreut ist. Während wir uns zum Aufbrechen fertig machen, höre ich, wie Yakov auf Georgi einredet und ihn anhält, morgen keine Patzer zu machen. Yurio hängt am Handy und telefoniert, so wie es klingt, mit seinem Großvater, der auch morgen wieder zum Wettkampf kommen wird, um ihn zu unterstützen. Viktor telefoniert ebenfalls, allerdings mit Jelena, die sich schon wieder auf dem Rückweg nach St. Petersburg befindet, um Makkachin nicht länger als nötig beim Hundesitter zu lassen. Auf meinem Handy ist eine Flut an Nachrichten aus Japan eingegangen; unter anderem von meinen Eltern, meiner Schwester, Yuko und Minako-sensei, die die Übertragung im Internet verfolgt haben. Während Yuko und Mari mich fragen, ob es Yurio gut geht und wie er sich auf morgen vorbereiten will, kommen meine Eltern und Minako-sensei gar nicht mehr aus den Lobgesängen über Viktors Programm raus. Auch Morooka, der für das japanische Fernsehen die nationalen und internationalen Wettkämpfe kommentiert, hat eine Nachricht hinterlassen, dass man es in der Redaktion nach diesem grandiosen Auftritt gar nicht mehr abwarten könne, bis Viktor mit seinen Programmen bei der NHK Trophy in Sapporo antreten wird. Im Spaß fügt er an, dass ich mich von meinem Trainer ja nicht abhängen lassen soll. Ich muss schmunzeln und schaue zu Viktor, der immer noch mit Jelena telefoniert, weil sie wahrscheinlich jedes kleinste Detail von ihm erfahren will. Sie muss unendlich stolz auf die Leistung sein, die Viktor heute Abend gezeigt hat. Ich wende mich wieder meinem Handy zu. Die offiziellen Wettkampfpressefotos verbreiten sich rasend schnell und erste Videos von Viktors Auftritt erscheinen online, deren Klicks unaufhaltsam in die Höhe schießen. Ich werde mir wohl wirklich etwas einfallen lassen müssen, um nicht wirklich abgehängt zu werden... Christophe Giacometti hat bereits einen Kommentar unter dem ersten Pressefoto hinterlassen („Vic is back – now the show starts for real again.“), genauso wie viele andere Eiskunstläufer aus aller Welt, die Viktor gratulieren, ihm den Kampf ansagen oder sich bedanken, dass er ihnen mit diesem Auftritt neue Inspiration, Motivation und Kampfgeist einflößt hat. Und es gibt haufenweise Fankommentare: „He's a GOD!“ #victornikiforov „What a beautiful tale, I can't stop crying over this. (;___;) “ #victorcomeback „We have him back, God bless this man!“ „OMGOMGOMG, I'm dying!!!!!“ #victoryforrussia „Someone please tell me he's still a bachelor. I fell in love at first sight!“ - „Sorry to disappoint you, but we all hope he's still a bachelor ;-)“ „He's so beautiful! “ #victorcomeback „A masterpiece. I'm in awe.“ #victornikiforov #victorcomeback „The Japanese boy can go home after tonight's show :DDD“ #victorcomeback „Can't wait to see the free program tomorrow! Go, Victor!“ #victornikiforov „He's the true king! Doesn't need a king-song for everyone to notice :P“ #jjisnotking #victoryforrussia „Victor(y) for Russia!!!“ #victorcomeback #victoryforrussia „Saw that shitty ring on his finger. When will he remove that?!“ #victorcomeback #victoryforrussia - „He better removed the whole guy :D Tailed behind him like a dog.“ Ich sollte vielleicht aufhören, das zu lesen. Es folgen noch über 80 Kommentare allein unter diesem einen Foto und ich habe den bitteren Eindruck, dass in dieser Saison nicht nur die Wettkämpfe hart werden... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)