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2nd Season: Russian Diaries

von

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Eine Nacht in Peking – Eros und Katsudon

Ziemlich genau eine Stunde später werde ich wieder aus einem kurzen Dämmerschlaf wach. Aneinander geschmiegt liegen wir nackt auf dem viel zu schmalen Sofa unter Viktors Decke. Makkachin hat sich irgendwohin verzogen, wohin weiß ich nicht. Ein bisschen tut er mir schon leid, da hat er sich so darauf gefreut, uns beide in der Wohnung zu haben und dann wird er nicht beachtet.

Dennoch schließe ich zufrieden mit der Welt wieder die Augen. Ich fühle mich unendlich erleichtert. Mein ganzer Körper hat sich so sehr danach gesehnt, ihn wieder zu berühren, zu halten und ihn lieben zu können... Ich öffne die Augen und sie wandern zu Viktors rechter Hand, die ich in meiner halte. Er umschlingt mich von hinten und ich spüre seinen ruhigen Atem, während er döst. Es war die richtige Entscheidung, denke ich, und fahre mit meinem Daumen über seinen Handrücken. Die Ringe, der Antrag, der Umzug hierher... um nichts auf der Welt würde mich noch einmal von ihm trennen wollen. Dieses Gefühl, dass es dieser eine besondere Mensch ist, der mit einem vereint ist, emotional wie körperlich, ist durch nichts anderes zu ersetzen.

Wenn ich so darüber nachdenke, hat sich unsere Beziehung ziemlich merkwürdig entwickelt, auch wenn ich nicht weiß, wie sich andere Beziehungen normalerweise entwickeln, aber es fangen nicht viele mit zu viel Alkohol an. Nach meiner Niederlage in Sochi hatte ich mich an jenem Bankettabend betrunken und wenn ich mir die Fotos auf Yurios und Chris’ Handy ins Gedächtnis rufe, dann möchte ich den Abend gerne ungeschehen machen. Aber irgendwie hat er auch zu dem geführt, was mich jetzt mit Viktor verbindet... Mein Blick ruht auf dem Ring an seinem Finger und ich muss schmunzeln. Heute sind wir verlobt und das nach gerade mal fünf Monaten Beziehung, wenn ich großzügig rechne. Am Anfang war Viktor nur mein Idol und als solches schier unerreichbar für mich. Der König auf dem Eis. Er ist natürlich immer noch mein Idol, aber vor allem ist er Viktor, den ich so lieben gelernt habe, wie er ist.
 

Zuvor dachte ich eine relativ lange Zeit, in Yuko verliebt zu sein. Doch mit dem Gefühl, das ich Viktor gegenüber empfinde, hatte es rückblickend betrachtet wenig zu tun. Ich fand sie toll, habe sie bewundert und war auch eifersüchtig, als ich erfuhr, dass sie mit Nishigori ausging, aber sie war viel mehr eine beste Freundin, die ich nicht teilen wollte, als eine Frau, die ich begehrte. Auch für das Mädchen aus Detroit, das sich öfters mit mir getroffen hat, habe ich nicht wirklich das empfunden, was ich damals glaubte. Spätestens als ich sie im Krankenhaus von mir stieß, wusste ich sicher, dass sie nicht der Mensch war, den ich in solch aufwühlenden Situationen bei mir haben wollte.

Natürlich beobachtete ich, dass viele um mich herum schon längst Beziehungen führten oder geführt hatten, aber trotzdem hat sich für mich nie etwas Ernstes ergeben. In Detroit habe ich mit Phichit öfters über Beziehungen geredet; wie es wäre eine Freundin zu haben und wie sich das mit unserem Sport und der Uni vereinbaren ließe. Meistens aber lief es darauf hinaus, dass wir uns einredeten, noch Zeit zu haben, weil in Wahrheit keiner von uns zugeben wollte, dass wir irgendwie kein Glück hatten, jemanden für eine Beziehung zu finden. Phichit hat sich in dieser Hinsicht wenig verändert. Er ist unglaublich enthusiastisch, wenn es um die Beziehungen von anderen geht, aber selbst ist er zu sehr auf den Sport fokussiert, als dass er für eine Partnerin Zeit investieren wollen würde.

Vier Monate nach den Grand Prix in Sochi stand Viktor dann plötzlich in unserem Onsen und hat meine unentschlossene Einstellung gegenüber dem Thema Liebe von Grund auf verändert.

Zuerst lief alles wie ein unwirklicher Film vor meinen Augen ab, denn wer würde damit rechnen, dass das eigene Idol einen aus heiterem Himmel heraus trainieren und zur Goldmedaille verhelfen will? Dass er überhaupt da war, war schon zu viel für mich. Als eine Woche später dann auch noch Yurio vor der Tür stand und verlangte, dass Viktor sich an sein Versprechen halten und mit ihm zurück nach Russland gehen würde, dachte ich, ich wäre im falschen Film hoch zwei. Dann Viktors Idee, sein Bleiben oder Gehen in einem Wettbewerb auszutragen. Die Programme Eros und Agape, das Training, Onsen on ice und Katsudon.

Es war alles ein bisschen viel auf einmal, aber im Nachhinein muss ich Yurio sogar dankbar sein, dass er so einen Aufstand gemacht und alles - im wahrsten Sinne des Wortes - losgetreten und mir eine Pistole auf die Brust gesetzt hat, entweder zu handeln oder tatenlos zuzusehen, wie Viktor wieder die Heimreise antritt.

Dass ich den Sieg erringen konnte und Viktor in Hasetsu verblieben ist, stimmte mich zwar überglücklich, aber ich war völlig überfordert mit der Situation und in Gedanken immer wieder damit beschäftigt, herauszufinden, ob er nicht doch eines Morgens nach Russland zurückfliegen wollte.

Mit ein bisschen Hilfe von Yuko und viel Geduld begann ich den Sommer über Viktor in einem anderen Licht zu wahrzunehmen. Nicht mehr als Idol, sondern als Mensch. Je mehr ich mich öffnete, desto mehr tat er es mir gleich und wir lernten uns auf einer ganz anderen Ebene neu kennen. Durch unsere Ausflüge ans Meer oder nach Fukuoka dauerte gar nicht so lange, bis ich anfing, ihn niedlich zu finden und auch die Häufigkeit von kurzen Berührungen zwischen uns nahm kontinuierlich zu.

Die erste Zeit hatte ich alles auf die Art und Weise des Eros-Programms und Viktors Anweisungen dazu geschoben, aber dann kam das Tanabata und auch wenn es nicht als Date geplant war, war es letztendlich eins geworden. Damals hätte ich nie in Betracht gezogen, dass Viktor etwas an mir finden könnte, aber in den folgenden Wochen ließ sich durch kein Programm mehr rechtfertigen, warum wir uns an der Hand hielten, ich ihn küsste und er geküsst werden wollte.

Ich weiß nicht, ob mir je wirklich bewusst war, wie eng wir miteinander waren, als wir zum Cup of China aufgebrochen sind. Es war so selbstverständlich, dass er da war, dass wir zusammen waren, als wäre es niemals anders gewesen. Im Grunde waren wir längst ein Paar, das noch eine, letzte Grenze überwinden musste.
 

Mit seinem Kuss nach meiner Kür hat Viktor diese Grenze schließlich aufgelöst.

Es war ihm gelungen, meine Unsicherheiten zu überbrücken und mir so nahe zu kommen, dass ich seine Nähe nicht als unangenehm empfand, sondern sie brauchte. Ihn brauchte. Seine Drohung als mein Trainer zurückzutreten, sollte ich keinen Podestplatz erringen können, hatte den Kern meiner Angst getroffen. Es ging nicht mehr darum, ob er Verantwortung übernehmen müsste, ob ich erneut an meiner mentalen Schwäche scheiterte oder ob ich noch gewinnen könnte; es ging einzig und allein darum, dass er bei mir bleibt, egal was passiert.

Ich war noch bis kurz vor meiner Kür sauer auf ihn, weil er sich wie ein Trampel verhalten hatte, aber das Weinen hatte mich in einen Gemütszustand versetzt, in dem ich mir frei vorkam, obwohl ich übermüdet, nervlich am Ende und emotional durch war.

Trotzdem war es völlig unangebracht, mir so eine Szene zu gemacht zu haben, nachdem ich mich am Vortag so für ihn ins Zeug gelegt hatte. Meine Nervosität war nichts, womit er nicht hätte rechnen können... Depp. Und dann kam der dreifache Flip. Und mit ihm die Idee, den letzten Vierfachsprung auch als Flip zu springen. Einfach nur, damit Viktor nochmal blöde guckt. Und weil ich's kann.

Aber Viktor hatte trotz meiner spontanen Überraschung sofort die passende Überraschung für mich parat.

Nachdem ich meine Punkte erhalten hatte, standen sofort die ersten Reporter und Morooka bei mir und es dauerte auch nicht mehr lange, bis die Siegerehrung startete. Ich wurde von Phichit für meinen zweiten Platz beinahe mehr gefeiert, wie ich ihn für seinen Ersten hätte feiern sollen. Die Müdigkeit, die Anstrengung, der ganzen Emotionen... All das wirbelte durcheinander, sodass ich gar nicht realisierte, dass sich etwas Neues unter meine Gefühle gemischt hatte. Erst als das Adrenalin in meinem Körper anfing nachzulassen und wir zurück ins Hotel gegangen und es ruhiger um uns geworden war, begann ich die Existenz dieses Unbekannten wahrzunehmen.
 

Ich erinnere mich noch sehr genau, als wir vor meiner Zimmertür im Hotel standen. Ich hatte gerade eine Nachricht von Phichit erhalten und fragte Viktor, ob wir in etwa einer Stunde mit den anderen Phichits Sieg feiern gehen wollten. Eigentlich wollte ich lieber schlafen, aber es war Phichits erster Sieg und da wollte ich nicht Nein sagen. Als Viktor aber nicht antwortete und ich vom Display in seine blauen Augen aufblickte, spiegelte sich in ihnen etwas, dass ich zuvor noch nicht bei ihm gesehen hatte, aber ich spürte sofort, dass es diesem merkwürdigen Gefühl in mir nicht unähnlich war und ich erschrak etwas davor. Gleichzeitig aber hielt es mich völlig gefangen.

Eine kleine Ewigkeit passierte nichts und Viktor antwortete auch nicht auf meine Frage. Sein Blick schien mir Antwort genug zu sein, aber was hätte ich tun sollen? Ich kam mir völlig unvorbereitet vor. Ich war noch nie in dieser Situation gewesen und sein Blick stachelte das merkwürdige Kribbeln in mir nur noch mehr an. Fast wie von selbst erhob sich meine Hand, um sein Gesicht zu berühren. Als ich seine Wange erreichte, schloss er die Augen und lächelte. Er flüsterte meinen Namen, legte seine Hand auf meine und setzte einen Kuss darauf, diesmal vorsichtiger und sanfter als zuvor auf dem Eis. Es war ein Funke und ich wollte mehr.

Als er die Augen wieder öffnete, fasste ich mir ein Herz, trat einen Schritt heran, schloss meine Arme um ihn und küsste ihn auf den Mund, ungeschickt, vielleicht sogar etwas unwirsch. Es war das Einzige, an das ich denken konnte.

Und es fühlte sich fantastisch an. Als würden seine Lippen dieses Kribbeln in meinem Körper weiter anfachen. Ich war innerhalb einer Sekunde süchtig geworden und Viktor begann seinerseits, den Kuss zu erwidern. Als wir uns lösten, nahm er mir die Schlüsselkarte ab und öffnete statt meiner die Tür zu meinem Hotelzimmer. Vor der geöffneten Tür blieb er stehen. Er schien auf etwas zu warten.

Irgendwo aus der Ferne meiner Gedanken versuchte meine Vernunft mich zu warnen, was gleich passieren würde, wenn ich das Zimmer betreten sollte, aber die Rufe verhallten im Nichts. Ich hatte nach Viktors Hand gegriffen, ihn mit in mein Zimmer genommen und letztendlich waren wir zu Phitchits Siegesfeier viel zu spät.
 

Ich kann nicht einschätzen, wie viel Beherrschung es ihn gekostet haben muss, mich bei meinem ersten Mal nicht zu überfordern.

Zuerst küssten wir uns nur. Viktor versuchte vorsichtig zu testen, was mir beim Küssen Gefallen bereitete; ich dagegen war aufgrund meiner Unerfahrenheit wohl eher etwas überenthusiastisch, sodass Viktor ein paar Mal zu lachen anfing und mich bremsen musste. Das war mir zwar überaus peinlich, aber ich schaffte es nicht, mich zurückzunehmen, so eingenommen war ich von den Gefühlen, die Viktors Lippen in mir auslösten. Ich hatte noch nie vorher wirkliche Lust empfunden und sie war übermächtig.

Ich fragte mich, ob es Viktor ähnlich ging. Ob ihm ähnlich heiß war... Er hatte immer noch diesen Trenchcoat an. Ich wollte ihm den Mantel ausziehen. Weg damit und weg mit dem Sakko... weniger Stoff war besser. Gar kein Stoff wäre am besten.

„Wow, Yuuri... du hast es aber ganz schön eilig...“, lachte Viktor, als ich bereits unruhig und nervös an seinem Jackett nestelte. Er trat einen Schritt zurück, um mir mehr Spielraum zu geben, die Knöpfe zu öffnen. Sonderlich geschickt war ich vor Aufregung sicherlich nicht, aber Viktor ließ mir die Zeit und beobachtete mein Tun erwartungsvoll.

„Yuuri...“ Es war schon fast ein Stöhnen. Das Jackett rutschte über seine Schultern, blieb auf Höhe seiner Ellbogen hängen, als er mich zu einem erneuten Kuss an sich heranzog, der diesmal unsere Zungen involvierte. Ich musste mich furchtbar konzentrieren, durch die Nase zu atmen.

Und immer noch so viel Stoff... Ich versuchte, meine Hände wieder zwischen uns zu bekommen, um Viktor endlich aus diesem Haufen Textilien zu befreien, als er wieder anfing, zu lachen.

„Lass mich das machen, Yuuri“, sagte er, sichtlich amüsiert von meiner Ungeduld. „Zieh dich aus, ich will dich sehen...“

Es war vielleicht nicht die Romantischste aller Lösungen, aber sie erfüllte ihren Zweck. Ich entledigte mich von Trainingsanzug, T-Shirt, Unterhemd und -Hose, ohne dabei mehr als nötig den Blick von Viktor abzuwenden. Wir kannten unsere Körper, hatten sie im Onsen oft genug gesehen und dennoch... Unsere Erregung war eindeutig und es war, als stünden wir uns zum ersten Mal nackt gegenüber. Ein bisschen zog sich mein Magen bei diesem Anblick zusammen, so aufgeregt war ich, mir vorzustellen, dass es passieren würde... Wie es passieren würde.

„Yuuri, setz deine Brille ab... oder lass' mich...“

Viktor griff nach den Bügeln und zog mir meine Brille langsam von der Nase. Irgendwie erwartete ich, dass er mich küssen würde und ich hatte die Augen bereits geschlossen, als ich nur seinen Finger auf meinen rechten Arm nach unten fahren spürte, der mir Gänsehaut spießen ließ. Ich öffnete die Augen wieder und sah ihn verschmitzt lächeln; dann drehte er sich um und ging zum Bett. Meine Blicke folgten ihm und ich fluchte innerlich, dass er mir gerade die Brille abgenommen hatte. Viktor legte sie auf den Nachttisch, dann wandte er sich wieder zu mir. Wie in Zeitlupe setzte er sich auf mein Bett, rutschte weiter zur Mitte hin, nahm erst den einen Fuß auf die Matratze, dann den anderen. Mein Mund war staubtrocken geworden und er saß da so unglaublich verführerisch, die blauen Augen nur auf mich gerichtet.

Dann streckte er mir seine offenen Arme entgegen und ich nahm die Einladung an, endlich seine bloße Haut auf meiner zu spüren. Mit einigen schnellen Schritten war ich bei ihm, er zog mich zu sich und dann war da nur noch das Gefühl seiner nackten Haut auf meiner und die Wärme seines Körpers. Unsere Hände waren sofort auf Wanderschaft, jeden Zentimeter des Körpers des Anderen zu erkunden. Ich war so aufgeregt, dass ich manchmal gar nicht wusste, ob meine Hand nun seine Brust oder seinen Bauch streichelte oder ob ich überhaupt gezielt nach einer Stelle suchte, die ich berühren wollte. Solange es einfach nur Viktor wäre, war mir alles recht.

Je länger unser Spiel dauerte, desto fester hielt ich ihn und er mich und wir rollten zur Seite, sodass wir auf einen Ellbogen gestützt nebeneinander zum Liegen kamen. Viktor hatte begonnen, kleine Küsse über meinen ganzen Körper zu verteilen und ich fing an, lauter zu atmen, wahrscheinlich sogar zu stöhnen. Meine Beherrschung war unlängst ein Opfer meiner Ungeduld geworden und mir war, als würde ich es keine Sekunde länger ertragen können, in der ich nicht mit Viktor verbunden wäre.

Ich griff um seinen Oberkörper, um ihn über mich zu ziehen und in Viktors Augen sah ich für einen kurzen Moment Überraschung, die aber sogleich einem lasziven Blick wich.

„Yuuri... so sehr willst du es...? ...Willst du mich diesmal?“, flüsterte er mir mit rasselnder, heißer Stimme entgegen.

Mir war nicht ganz klar, worauf er anspielte, aber wenn nicht er, dann niemand sonst auf der Welt. Zum Nachdenken war später noch Zeit. Ich dachte gar nichts mehr, sondern drückte seinen Hintern nur noch fester auf meinen Körper, um dieses Gefühl nicht zu verlieren... Ich wollte noch so viel mehr von ihm.

„Yuuri... ahhh... Ich will... dich ganz spüren...“, keuchte Viktor und ohne auch nur einen Gedanken zuverschwenden, stemmte ich mich gegen ihn, um ihn auf den Rücken zu drehen; er ließ sich zur Seite fallen und unsere Positionen drehten sich zurück.

Jetzt lag wieder in seinem Schoß und ich wusste nicht warum, aber so fühlte es sich noch viel besser an als gerade zuvor. Wie von selbst begann ich mich an ihn zu reiben und Viktor legte seine Beine auseinander, um mich tiefer sinken zu lassen. Oh Gott, dachte ich, zwischen diesen Beinen lag der Himmel auf Erden.

„Yuuri,“ keuchte er, als ich mich aufrichtete und über ihn beugte, um noch besser in diese wunderschönen, lustverhangenen Augen zu blicken. „Wehe, du denkst jetzt auch nur eine Sekunde an eine Schüssel Katsudon... los, fass' mich an.“
 

Später habe ich mich die ganze Siegesfeier über gefragt, ob man es uns ansah, dass der Kuss noch weitreichendere Folgen gehabt hatte. Wenn überhaupt einer der Anwesenden den Eindruck machte, genau zu wissen, was passiert war, dann war es Christophe Giacometti, der irgendwann mit einem Augenzwinkern zu mir meinte, dass ausnahmsweise eine Silbermedaille Gold wert gewesen sei. Ich war zuerst irritiert und mein Gehirn arbeitete auch nur sehr schleppend, aber nach einer Weile war ich sicher, dass er 'Gold' als Synonym für Viktor gebraucht hatte.

Ob er damit aber nur auf den Kuss anspielte oder auf mehr, kann ich nicht sicher behaupten. Es konnte auch einfach daran gelegen haben, dass uns allen klar war, dass Chris den meisten Sex an diesem Wettkampfwochenende gehabt hatte; mit oder ohne Partner. Ich weiß auch noch, dass ich in meinen müden Gedanken unglaublich hin- und hergerissen war zwischen peinlicher Verlegenheit und unwirklicher Glücksgefühle. Die Freude ergriff mich immer dann, wenn ich daran dachte, wie unglaublich es sich angefühlt hatte, Viktor so nah gewesen zu sein und im selben Moment überwog die irrational beschämende Erkenntnis, dass es niemand anders als der Viktor Nikiforov gewesen war, den ich bereits mein halbes Leben lang verehrt hatte, in dessen Gesicht ich hinab gesehen hatte, als es passierte. Im Gegensatz zu Yuko und dem Mädchen aus Detroit, deren körperliche Nähe ich mir nie richtig hatte vorstellen können, schien es mit Viktor die natürlichste Sache der Welt gewesen zu sein. Und nicht minder durchfuhr es mich, wenn ich daran dachte, dass Viktor das Gleiche empfunden und sich mir nicht weniger hingegeben hatte, wie ich mich ihm.
 

Am frühen Abend sind dann alle Sachen aus meinem Koffer in Schränken und Schubladen verstaut und auch meine Frage, wo wir heute Abend schlafen werden, hat sich beantwortet. Viktor hat eine aufblasbare Matratze besorgt, die groß genug für zwei Personen ist. Es wird eng, aber damit könnte man sich arrangieren, bis das neue Bett in ein paar Tagen da sein wird.

Weil ich mich, wie Viktor behauptet, übertrieben geziert habe, ist er vor meiner Ankunft schon alleine in ein Möbelgeschäft gegangen, hat sich umgesehen und Fotos gemacht, die er mir dann geschickt hat und anhand derer wir dann zusammen entschieden haben. So konnten wir zum einen Zeit sparen und mir ist der Gang ins Geschäft erspart geblieben. Wir haben uns auf ein schlichtes Modell ähnlich zu dem, welches Viktor vorher hatte, geeinigt; allerdings werden bei dem neuen Bett zwei Schubladen als Nachttische dabei sein, eine Ablage am Fußende sowie integriertes Licht. Letzteres war der Punkt, an dem unsere Meinungen am Weitesten auseinander gegangen waren, denn Viktor kann ohne Licht nicht schlafen, aber mich machen diese Stehlampen, die er in Japan neben seinem Bett aufgestellt hatte, völlig kirre. Insofern ist dieses Modell mit Lampen der Kompromiss, mit dem wir beide zufrieden sein können. Es ist auch ganz nebenbei die optisch beste Wahl, denn Viktors Kleiderschrank ist ebenfalls aus hellem Eichenholz mit weißen Fronten, aber ob das jetzt Zufall ist, würde ich so noch nicht unterschreiben. Ich kenne ihn dafür schon zu gut und weiß, dass es ihm gar nicht gefällt, wenn Dinge nicht zusammenpassen. Oder generell Durcheinander herrscht. Viktor ist einer der ordentlichsten Menschen, die ich kenne. Schon in Japan hat immer alles seinen Platz gehabt. Ich habe nicht einmal sein Zimmer betreten und Unordnung bemerkt. Manchmal wundere ich mich, woher das kommt, denn Viktor hängt mit seinen Gedanken oft in einer Seifenblase. Realität ist etwas, mit dem er sich eher schwer tut, aber merkwürdigerweise schafft er es, seine eigenen vier Wände überaus gut in Schuss zu halten. Es ist wahrscheinlich eines dieser Paradoxa, die ich schon öfter bei ihm festgestellt habe. Am Krassesten davon die Abwechslung aus Anhänglichkeit und plötzlichem Verschwinden und das manchmal innerhalb von Sekunden. Er kann stundenlang in meiner Nähe bleiben und es reicht, dass ich mich nur einmal umdrehe und er ist weg. Wohin, keine Ahnung; wann er wieder kommt, auch keine Ahnung und was er dann macht, erst recht keine Ahnung. Irgendwann taucht er wieder auf. Ich habe hin und wieder versucht, ein Muster in diesem Verhalten erkennen zu wollen, aber es ist schlicht und ergreifend unmöglich.

Ein anderes Beispiel, welches mir aber schon recht früh aufgefallen ist, sind die Unterschiede zwischen dem, was er für sich will und dem, was er von anderen erwartet. Geht man nach Viktors Besitz, seiner Garderobe, Pflegeartikeln oder generell persönlichen Gegenständen, könnte man meinen, es müsse einfach nur teuer sein, um ihm zu gefallen. Als wäre er ein sehr oberflächlicher Mensch, dem materielle Dinge und sein Image unheimlich wichtig sind. Und dann reichen so unspektakuläre Dinge wie das Fotoalbum zu seinem Geburtstag, eine Schüssel Katsudon oder ein bisschen mehr Speck auf meinen Hüften und Viktor freut sich, als gäbe es nichts Besseres auf der Welt. Ich hätte ihn wahrscheinlich auch mit einem Ring aus dem Kaugummiautomaten fragen können, ob er mich heiraten will und er hätte immer noch „Ja“ gesagt. Gut, in Anbetracht dessen, dass ich überhaupt keinen Ring bei dieser ersten, spontanen und reichlich verkorksten Aktion am Flughafen dabei hatte und Viktor trotzdem sofort drauf eingestiegen ist, bin ich mir dessen sogar sicher, aber wenn ich dann wieder in seinen Schrank schaue, dessen Inhalt allein wahrscheinlich mehr wert ist als mein gesamter Besitz zusammen, dann stelle ich mir schon die Frage, wie das unter einen Hut passt.

Aber immerhin füge ich mich so wunderbar in dieses Kuriositätenkabinett ein. Wäre Viktor weniger gegensätzlich, käme ich wahrscheinlich gar nicht damit klar, wieso sich der begehrteste Junggeselle Russlands in mich verliebt hat, als ich mich sturzbetrunken und lallend um seinen Hals geworfen habe... Herzlichen Glückwunsch an mich, die peinlichste Aktion meines Lebens ist gleichzeitig der Beginn der Liebesbeziehung mit meinem zukünftigen Ehemann... Ich schätze, das können nicht viele von sich behaupten.

Und gerade ist Viktor wieder dabei, so ein Paradoxon ins Leben zu rufen. Er will seiner Medaillenkollektion an der Wand meine Silbermedaille aus dem Grand Prix hinzuzufügen. Auch wenn das hier niemand außer uns sehen wird, ist mir das trotzdem unglaublich peinlich... es ist ja nicht so, dass ich irgendwas anderes zum Aufhängen hätte. Es ist das Einzige, was ich bisher gewonnen habe und Viktor hat mich gerade wissen lassen, dass er neben dem, was an der Wand hängt, noch eine ganze Kiste mit diversen Pokalen, Auszeichnungen und Medaillen aus seiner Juniorzeit im Keller hat.

Nachdem die Medaille hängt, tritt er ein paar Schritte zurück und betrachtet das Ergebnis.

„Viktor,“ bemerke ich vorsichtig und hoffe, dass ihm auffällt, dass mir das gerade sehr unangenehm ist, „das sieht jetzt so aus, als wäre diese eine silberne Medaille wichtiger als die Goldenen.“

„Warum darf sie denn nicht wichtiger sein, Yuuri?“, fragt Viktor mit einer Selbstverständlichkeit, die mich an meinem Verstand zweifeln lässt. „Du wohnst jetzt hier und es ist deine erste Medaille. Du kannst stolz darauf sein. Sie ist gleichzeitig auch unsere erste Medaille. Von allen, die hier hängen, ist sie die Einzige, die für uns beide Erinnerungen enthält. So gesehen ist sie doch ohne Zweifel die Wichtigste, oder?“

...Was soll ich darauf noch sagen können? Gar nichts, außer diesen Dussel in meine Arme zu ziehen und ihn lieb zu haben.

Er schaut mit breitem Grinsen zu mir herunter.

„Außerdem, Yuuri, soll sie dich daran erinnern, dass du ein Ziel hast. Wenn alles wieder zusammenpasst, gefällt es mir am Besten.“ (> v o)

Oh Mann, Viktor. Das musste ja noch kommen...


Nachwort zu diesem Kapitel:
[Yuuri, ich muss dir morgen unbedingt jemanden vorstellen <3 / Wen denn, Viktor? / Die beste Frau der Welt <3 / Aha? Und was macht sie zur besten Frau der Welt? / Einfach alles. Ich liebe sie <3 / WAS?!]

Kapitel 4: Eine Vitrine voller Erinnerungen – Wer ist Frau Praslova?


Zusatzinfos: Viktors Wohnung
Für alle, die interessiert und über 18 sind: Hier ist die vollständige Version der Rückblende: Eine Nacht in Peking - Eros und Katsudon (OS) Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  --lina--
2017-07-20T21:58:20+00:00 20.07.2017 23:58
Omg, du hast dich übertroffen.
Ich liebd dieses Kapitel! Es passt alles perfekt zusammen.
Kuriositätenkabinett find ich btw sehr passend und belustigend :D
Ich habe wieder etliche Male gelacht, du kannst so grandios schreiben!
Ich kann das nächste Kapitel kaum erwarten, ich will sie kennenlernen!! *o*
❤️❤️❤️
Antwort von:  Flokati
21.07.2017 07:39
Vielen Dank <3
Ich hab gestern kurz vor knapp noch Sachen geändert. Es waren nur Nuancen, aber scheinbar war's die erneute Arbeit wert ^^
Und ich freu mich auch schon, dass ihr sie kennenlernt! :D
Antwort von:  --lina--
21.07.2017 15:33
Ohha, war es doch noch nicht so ganz nach deinem Geschmack? :) Ich bin super zufrieden und freue mich schon wie irre auf das vierte Kapitel - ENDLICH! XD
Jetzt hast du mich so richtig angefüttert, dass ih sie unbedingt kennenlernen muss. Ich bin gespannt :)


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