Revolutionäre von MayAngel (Das Band der Freundschaft) ================================================================================ Prolog: -------- Gegen Anfang des 19. Jahrhunderts gehörten Kalifornien und Mexiko immer noch den Spaniern. Das gefiel den Kalifornien zwar nicht, aber sie verhielten sich weitestgehend ruhig. Zorro kämpfte zu jener Zeit für Gerechtigkeit in seiner Heimatstadt, Los Angelés. Während es in Mexiko weitaus bedrohlicher zuging. Angesehene Edelleute verbündeten sich und kämpften für ihr Recht, was nicht klar deutlich war, da es in Spanien zu Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Spanien gekommen war. Die Franzosen beanspruchten die Macht für sich, nachdem sie Jahre zuvor noch zu Spaniens Verbündeten gehört hatten. Nachdem das Blatt sich gewendet hatte und Kaiser Napoleon seinen Bruder Joseph zum König von Spanien gemacht hatte, befand sich Spaniens Regierung in einem Konflikt. Das Volk war nicht mit seiner Fremdherrschaft einverstanden und griff zu den Waffen. Zu allem, was sich finden ließ. Äxte, Knüppel, Hacken.   Auch die Mexikaner, die vom Vizekönig Neuspaniens beherrscht wurden, gefiel es wenig. Sie nutzten die Gunst der Stunde, sich gegen ihren Herrscher aufzulehnen. König Ferdinand von Spanien hatte keinerlei Entscheidungsgewalt mehr, ebenso wenig wie sein aus Spanien geschickter Vizekönig, der sich in Mexiko Stadt aufhielt. Einige versuchten ihn nicht nur von seiner Position zu entheben, sondern verübten Mordanschläge auf ihn. Ein Mensch mit vielen Freunden, so wie ich, würde von so etwas immer irgendwie Wind bekommen – anders als die meisten Kalifornier hier. In Spanien waren sehr viele Menschen von Übersee angereist, um so wie ich ihrer Bildung den letzten Schliff zu verleihen. Da lernte man so einige Leute kennen, auch aus anderen Kolonien. Als ich im Jahr 1803 nach Spanien geschickt worden war, herrschte Frieden und Einigkeit zwischen den beiden Großmächten. Trotzdem sah ich schreckliche Kriege und für mich stand fest, meine Familie sollte nicht so etwas ausgesetzt sein. Viele Familien wurden brutal auseinandergerissen und auch die stärksten Bündnisse gebrochen. Weshalb das Alles? Wegen eines Landes: Portugal. Die durch Napoleon hervorgerufene Wirtschaftskrise in England hatte furchtbare Spuren hinterlassen. Armut herrschte und viele Menschen versuchten, nach Spanien zu fliehen, wo sie jedoch wenig willkommen waren. An einem meiner freien Abende schloss ich Freundschaft mit einem britischen Amerikaner, Johnston McCulley, der sich als einer meiner treusten Freunde erweisen würde. Seine Familie stammte ursprünglich aus England, sei aber amerikanischen Blutes, hatte er mir mitgeteilt. Sie seien nach Illinois gezogen, ehe er geboren war. Sich selbst bezeichnete er als Illinoisianer, so wie ich mich als Kalifornier bezeichnete.   Das Lustige an dieser Geschichte ist doch, dass ich als Neuspanier galt, während er als Neufranzose zählte. Seine Eltern waren noch vor 1763 dorthin gesiedelt, als das Land noch unter Kontrolle der Franzosen war, doch musste Frankreich 1763 Illinois an Großbritannien abtreten. Aktuellen Ereignissen zufolge müssten wir Feinde sein. Das beeinflusste uns jedoch keineswegs, wir waren nicht kleinlich. Seine Geburtsstadt Illinois war französisches Territorium, eine Kolonie der Großmacht Frankreich gewesen. So wie Kalifornien gerade noch Kolonie von Spanien. Wir residierten im gleichen Land, trotzdem standen wir auf verschiedenen Seiten. So etwas hatte mich noch nie beeindruckt. Noch heute erinnerte ich mich sehr genau an die Zeit in Spanien, zu jener Zeit hatte die französische Population stark zugenommen. Jedoch hätte ich nie zu glauben gewagt, dass unser Herrscher einmal Franzose sein würde. Meine Gesinnung hielt ich weitestgehend geheim, denn wie man es drehte und wendete, die Franzosen und die Spanier waren die längste Zeit Freunde gewesen. Die genaue Gesinnung meines Vaters wurde an dem Tag deutlich, als er Lolitas Cousine Lasalle als Französin bezeichnen wollte, obwohl sie wie ich spanischen Blutes war. Natürlich ließ ich das nicht auf mir sitzen. Die Familie Pulido hatte sich irgendwann einmal mit einem gebürtigen Franzosen verbunden, durch Heirat. Aber mein Vater machte einen riesen Aufstand, dass er so etwas nie zuließe, dass unreines Blut in unsere Familie einheiratet. Dabei vergaß er leider wieder, dass seine großen Gefühle für eine Spanierin – meiner Mutter nämlich – auf reinem Zufall basierten. Er hätte sich zur damaligen Zeit ebenso gut in eine Französin verlieben können, zum Glück war ihm das erspart geblieben. Jedoch nicht die Trennung von seiner Familie. Er hatte alles hinter sich lassen müssen für diese Verbindung. Meinen Großvater väterlicherseits, sowie die gesamte Familie meiner Mutter. Sie hatte mit ihnen gebrochen, war mit einem Offizier des spanischen Hofes davon gelaufen. Mein Vater war Soldat für den König von Spanien, hat viele Gefechte für ihn bestritten. Deswegen war König Carl damals auch sehr großzügig in seiner Landverteilung an meinen Vater. Oft hat er Geschichten aus dem Krieg zwischen Spanien und England erzählt, die ich nicht hören wollte. Mir machte es wenig Spaß den Geschichten eines Kriegsdienenden zu folgen. Ich stellte mir eher die Frage, wie man Kriege verhindern konnte, statt sie anzustreben. Noch heute behauptete mein Vater, all die Kriege seien von Nöten gewesen. Ich übte mich darin, meine Meinung hinter dem Berg zu halten, ehe ich bei meinem eigenen Vater in Ungnade fallen würde und am Ende als Landesverräter angesehen wurde. Von den eigenen Landsleuten als solcher bezeichnet zu werden, damit konnte ich gewiss umgehen, jedoch nicht damit, wenn mein Vater ebenfalls damit anfing. Mein Vater war der spanischen Krone immer noch sehr verbunden, obwohl er Unrecht genauso wenig billigte, wie ich. Im Grunde war er ganz glücklich darüber, dass ich mich maskiert hatte, um meine Untaten zu begehen, statt die Familie damit für immer zu belasten. Dennoch war er der Drahtzieher des Ganzen gewesen. Ein hoch angesehener Don. Das alleine war schändlich.   Noch nie hatte ich mich in so hitzige Wortgefechte begeben, wie in diesem Jahr. Damals... Wenn ich an meine Zeit als Rächer Zorro zurückdenke, hatte er weit mehr Grund, mir den Kopf zu waschen. Aber er tat es nicht. Stillschweigend hatte er das schleichende Rollenspiel seines Sohnes beobachtet, Stillschweigen bewahrt, obwohl es seine heilige Pflicht im Dienste des Königs von Spanien gewesen wäre, mich an die Krone auszuliefern. Ich hatte schon einen netten Vater, ich sollte weniger mit ihm streiten. Trotzdem. Es schwante mir, dass mein Vater seine Gesinnung je nach Ereignis änderte. Die Franzosen versuchten, den Spaniern ihren Thron abspenstig zu machen, das regte meinen Vater über alle Maßen auf. Seitdem ließ er kein gutes Haar mehr an Franzosen. Lolita hingegen – oh, man würde ihr den Mund verbieten, wenn sie es jemals äußerte – sie war eine Franzosen-Anbeterin. Man nannte das hier heutzutage auch Franzosen-Sympathisant. Ich ließ ihr diese Meinung, hatte ihr jedoch auch gesagt, sie dürfe es niemals irgendwem sonst sagen, außer mir. Die Leute hier wussten wenig von Politik, vor allem die einfachen Schichten. Ich brach eine Menge Regeln. Leider aber nicht nur die der spanischen Krone, auch die Zivilen, die Kalifornischen. Kein Kalifornier würde je einem Amerikaner die Hand schütteln wollen. Meine Freundschaften würden mir eines Tages teuer zu stehen kommen, ganz bestimmt, dennoch scheute ich nicht das Feuer, was mich schon solang umgab. Ach, die liebe Politik – sie hat uns schon so manches Mal Unheil beschert. Mein Vater wollte nichts von Franzosen wissen. Er meckerte den lieben langen Tag über sie. Diese Verräter, hatte er zuletzt gesagt. Er war schon genauso kleinlich, wie die Leute in Spanien, die sich gegenseitig abschlachten wollten, weil sie zwei unterschiedlichen Nationalitäten angehörten. Aus Freunden waren Feinde geworden, nur weil ein Machtwechsel stattgefunden hatte. Er war Spanier, zweifelsohne, anders konnte man es nicht sagen. Ich zählte mich nicht zu ihnen, ebenso wenig wie Lolita. Wir beide waren Kalifornier und würden es bestimmt immer bleiben. Die größte Gemeinheit, die er jedoch vom Stapel gelassen hatte, war, er könne sich nicht sicher sein, ob ihr Blut wirklich so rein war, wie zunächst angenommen. Ohne ein Wort zu sagen war ich gegangen. Hatte die Tür mit einem Donnern zugeschlagen, so wütend hatte es mich gemacht. Ich hatte diesen Konflikt erwartet, herbei gesehnt jedoch nicht. Ich überlegte mir tausend Entschuldigungen für meinen Vater, wie ich meinen Entschluss sie trotz der neusten Ereignisse zu heiraten, verteidigen konnte. Nicht zuletzt hatte ich den glorreichen Einfall, ihm mitzuteilen, dass ich ja ein Landesverräter war, auf den eine hohe Belohnung ausgesetzt ist. Es war nicht unwahr, obwohl unser Gouverneur seine schützende Hand über mich hielt – das Schweigen. Ich könnte Zorro jederzeit wieder auf den Plan rufen, das hätte meinen Vater nach all den Geschehnissen nicht sonderlich gut gefallen. Wie so vieles, was er bisher noch gar nicht von seinem Sohn wusste. Ich hatte meinem Vater wirklich viele Briefe geschrieben, doch Papier war geduldig. Es verriet dich nicht, wenn du Dinge verheimlichst ... Kapitel 1: 1803 – Getrennt -------------------------- Dieses Jahr gehört wohl keineswegs zu unseren Lieblingen. Es war jenes Jahr um meinen 15. Geburtstag, an dem mein Vater halb Kalifornien einlud, um dieses Ereignis gebührend zu feiern. Ich habe damals gar nicht verstanden, was an einem 15. Geburtstag so wichtig sein soll. Es war auch gar kein freudiges Ereignis, das kann ich euch versichern. Die Kinder in der Stadt waren nicht eingeladen, denn in unserem bescheidenen Dorf lebten kaum reiche Leute. Die wirklich einflussreichen Dons reisten mit ihren Söhnen und Töchtern an, um bei meinem Vater vorzusprechen und ihm irgendwelche Bündnisse anzubieten. Sie nannten sich Freunde und mein Vater behandelte sie auch wie solche, aber wahre Freundschaften machte man nicht mit Geld, doch genau darum ging es fortlaufend. Je mehr Freundschaften man in der Aristokratie hatte, umso besser. Die einflussreichste Familie aus dem Norden der Stadt reiste ebenfalls an, auch sie wohnten weit weg vom Stadtgeschehen. Um genau zu sein, 15 Meilen von uns entfernt, in entgegen gesetzter Richtung. Sie waren fast genauso vermögend wie wir, deswegen waren sie wohl auch die engsten Freunde. Das fand ich seit eh und je lächerlich, aber ich billigte es, da die Tochter der Familie mehr als ansehnlich war. Das rettete mir wahrscheinlich den Geburtstag. Trotzdem saßen wir beim Dinner gemeinsam im Salon und speisten. Die Erwachsenen unterhielten sich und wir schwiegen still. Am liebsten wollte ich mich nach dem Essen von meinem eigenen Geburtstag davonstehlen. Natürlich nicht ohne das Mädchen. Sie merkten es wahrscheinlich nicht, aber wir verständigten uns ohne Worte. Warfen uns Blicke zu und lachten über die Erwachsenen, auch wenn das sehr ungezogen von uns war, es merkte kaum einer. Es kam nicht nur einmal vor, dass einer von uns sich über den Tisch über einige Leckereien hermachte, die festlich auf dem Tisch angerichtet worden war. Dabei versuchten wir in kleinen Momenten, Nähe aufzubauen. Meine Hand streifte ganz rein zufällig ihre und umgekehrt. Die politischen Pläne meines Vaters langweilten mich. Auch ihre Mutter schwieg zu dem Thema, denn man sagte, Frauen verstanden davon nichts. Ich verstand sehrwohl, wovon sie sprachen, aber deswegen musste es mich noch lang nicht interessieren. Ich passte die erste Gelegenheit ab, dass einen Moment geschwiegen wurde, und beendete dann hastig unser Essen. „Herr Vater, kann ich wohl meinen Gästen die Bibliothek zeigen?“ Damit meinte ich zweifellos nicht die Erwachsenen, sondern die jüngere Generation. „Das geht wohl in Ordnung.“ Ich war sehr gescheit, deswegen hatte ich etwas Intellektuelles vorgeschlagen, denn dass ich viel lernte, gefiel meinem Vater. Ich hätte auch genauso gut unser Gestüt erwähnen können. Wir hatten weit mehr als 100 Pferde auf unserem Hof. Mein Vater hatte sich der Pferdezucht verschrieben, so wie vielen anderen Dingen, die gutes Geld einbrachten. Ich interessierte mich auch viel mehr fürs Reiten, als für etwas anderes. Dennoch fand ich Bücher sehr aufschlussreich. Auf Dauer langweilte mich ein und dasselbe zu tun dennoch. Die Abwechslung machte es. Nicht nur ich, auch die anderen unter 20-jährigen waren überaus erfreut, als man uns die Erlaubnis erteilte, endlich uns vom Tisch zu entfernen. Womöglich hätte man es uns verboten, währen wir nicht genügend Kinder gewesen. Wir waren genau genommen fünf im Alter von 13-17 Jahren. Der Älteste war ich nicht, so konnte der Älteste dick auftragen. In einem Wortgefecht wäre er mir jedoch genauso unterlegen, wie in einem Kampf. Auch ich konnte gut reden. Ihn jedoch würde ich als Schleimer bezeichnen. Während ich mich zu der Büchersammlung vor uns herumdrehte, machte er sich klammheimlich an die Tochter der Pulidos ran, als ich ihm den Rücken zugewendet hatte. Ich bekam das zunächst nicht mit, weil ich mich mit Gleichaltrigen unterhielt. „So viele Bücher, Diego! Hast du die etwa alle schon gelesen?“ Welch ein Unsinn, immerhin hatte ich sie mir ja nicht selbst gekauft, sondern mein Vater. „Nicht einmal ansatzweise. Das Meiste ist schulische Lektüre. Man kann nie genug lernen, sagt mein Vater immer.“ Ich griff nach einem meiner Lieblingsbücher, mit dem ich die gesamte Mannschaft wahrscheinlich entsetzlich langweilte. Kurz und knapp erzählte ich ihnen, dass es in diesem Buch um Samurai ging, die japanischen Caballeros. Schon damals interessierte ich mich für ausländische Völker. Die anderen interessierten sich nur für die eigene Haut. Unter meinen Büchern befand sich auch französische Lektüre, was bei einigen bitter aufstieß. Bücher über Amerika ebenso. „Bist du ein Franzosen-Freund?“ Schon damals war die Beziehung von Frankreich und Spanien dem Untergang geweiht, die Spannung zwischen den beiden Nationen fast unerträglich. „Irgendwann werden wir uns im Krieg mit ihnen befinden“, sagte einer der Jungs und ich warf ihm verhasste Blicke zu. „Daran merkt man, dass du geschichtlich nicht gerade gebildet seid, Teodoro.“ Ich war nicht sonderlich nett zu ihnen, schließlich waren sie nicht meine Freunde. „Nicht anders zu erwarten von jemandem, der eine Freundschaft zu den Pulidos pflegt.“ Ich hielt inne in meiner Bewegung. Gerade hatte ich ein Buch zurück ins Regal legen wollen, als man mich provozierte. Damals war meine Flamme sehr leicht entzündbar. Mit einem Herumdrehen verpasste ich dem Unhold einen Schlag mit dem Buch. Es war kein zurückhaltender, sondern ein sehr Deftiger mit der Kante, der gewiss wehtat. Eigentlich war alles wie gehabt. Sie kannten die Pulidos nicht einmal, aber jedes Mal aufs Neue fand jemand Worte, die mich reizten. Seit sie hier wohnten, gingen die jungen Leute auf sie los. Wahrscheinlich wurden sie von Zuhause auch aufgehetzt. Was stimmte nur nicht mit dieser Welt? Und mit den Leuten, die auf ihr lebten? Egal, wie man es mir am Ende auslegte, ich hatte wieder einen Streit vom Zaun gebrochen. Denn natürlich ließ der junge Herr es nicht auf sich sitzen, einen Schlag von mir kassiert zu haben. Es dauerte keine fünf Sekunden, dass die Sache eskalierte und wir uns wie die Wilden in der Bibliothek prügelten. Die Anderen fanden das lustig, zumindest die Kinder, die wild grölten, um uns anzufeuern. Leider war ich zu jener Zeit auch wie ein offenes Buch, in dem man jederzeit lesen konnte. Man musste nur die richtige Seite aufschlagen. Meistens ging es dabei sowieso um meine beste Freundin, die ich bis aufs Blut beschützt hätte. Mein Ausbruch war ihr an dem Tag wohl aber eher unangenehm. Sie stand in der hintersten Ecke und machte sich wahrscheinlich eher Sorgen, dass ich wieder bestraft werden würde. Ihre besorgten Augen beobachteten mich. In der großen Menge wagte sie es jedoch nicht, sich einzumischen. Sie war schon so oft aufgelaufen und hatte aus ihren Fehlern gelernt, anders als ich, der wie ein tollwütiger Hund war. „Du wirst dich sofort dafür entschuldigen!“ Natürlich wusste der arme Kerl nicht einmal, wofür er sich hät entschuldigen sollen. So bekam er gnadenlos Prügel und rannte danach feige zu seinem Vater. Die anderen Jungs lachten ihn aus und ich wurde gefeiert wie der König höchstpersönlich. Es gab nichts Schlimmeres, wenn sogar als älterer Junge noch zu den Eltern zu rennen. Der Älteste, der sich mit der Tochter der Pulidos beschäftigt hatte, belächelte es. Wohl sagte er auch nichts Nettes über mich. Ein Mann sollte sich nicht prügeln. Ein richtiger Mann zog seinen Degen, um die Frau zu verteidigen. Er sagte wohl auch Dinge wie, schade, dass ich noch so jung war und mich nicht duellieren durfte. Er hätte sich glatt mit mir angelegt. Lolita fand das alles andere als witzig und man hörte sie aus ihrer hintersten Ecke gleich darauf noch den jungen Mann schelten. „Es ist doch vollkommen egal, mit was ein Mann kämpft! Hauptsache er tut es im rechten Moment.“ Sie war so laut, dass sich alle zu ihr herumdrehten. „Außerdem würde ich Euch sowieso nicht heiraten! Meine Eltern wollen, dass ich die beste Partie wähle, die seid Ihr nicht!“ Damit hatte sie den armen Kerl doch sehr vor den Kopf gestoßen und dann noch eingebildet den Kopf zur Seite gedreht. Noch sprichwörtlicher konnte sie nicht zu mir eilen und sich bei mir erkundigen, ob ich wohl auf war. Aufschlussreich war wohl auch unser beider Lächeln, was wir uns so frei zuwarfen. „Vergnügt euch mit meinen Büchern – ich vergnüge mich anderswo!“ Noch während des Satzes ergriff ich die Hand der Blondine und eilte mit ihr noch nach draußen. Wir wissten höchstwahrscheinlich, dass unsere beiden Eltern das nicht so amüsant finden würden, wie wir. Nicht nur ich war ein begnadeter Reiter – sie war es auch, da sagte sie im Eifer des Gefechtes natürlich nicht NEIN und ließ sich mitreißen. Wir sattelten uns zwei gute Pferde und nahmen reiß aus. Noch ehe unsere Eltern davon Wind bekamen, waren wir über alle Berge und tauchten auch so bald nicht wieder auf. Die jungen Aristokraten vermissten uns jedoch nicht, sie konnten sich Stunden in unserer Bibliothek aufhalten und dort beschäftigen. Unsere Büchersammlung war beachtlich, sowie auch alles andere. Seit eh und je hatte mein Vater auf Bildung einen hohen Wert gelegt, deswegen hatte er alles an Lektüre angeschafft, was sich finden ließ. Dabei war er keinesfalls geizig. Wir ritten wie der Teufel, obwohl es uns verboten worden war, da unsere Eltern die Angst plagte, wir könnten uns bei einem Sturz vom Pferd schwer verletzen. Beide waren wir das einzige Kind in der Familie. Die Umstände hatten es nicht anders ergeben. Dass sie von Tag zu Tag hübscher wurde, machte es nicht einfacher. Das Alter stellte uns vor Herausforderungen des Lebens, was wir liebend gerne ignoriert hätten, wären nicht der Padre und natürlich unsere Eltern gewesen. Noch wie am ersten Tag ritten wir zusammen aus, auch gegen den Willen unserer Eltern. Meistens war ich der Drahtzieher, aber sie ließ sich gerne anstecken. Das Leben in der Hazienda schien sie nur zu langweilen, obwohl sie sich natürlich Mühe gab, die gute Tochter zu sein, hatte sich schon lange gezeigt, dass das wilde Herz, was in ihrer Brust schlug, genauso ungezähmt war, wie der meinige. Bisher hatten wir all die scheltenden Worte unserer Eltern ignoriert, weil wir gar nicht einsahen, plötzlich auf irgendwas zu verzichten, nur weil man es uns verbot. Bis zum heutigen Tag verstanden wir auch nicht, warum das Alter es mit sich brachte, auf so vieles zu verzichten. Am Waldesrand grasten die Pferde. Der unverschämte Junge, der ich war, konnte natürlich es nicht dabei belassen, mit ihr einen wilden Ritt hinzulegen, sondern kletterte auch noch in seinen Feiertagsklamotten auf einem Baum, der wunderbare Früchte trug. Ich pflückte uns einige davon und konnte mir auch gar nicht erklären, was für ein Teufel uns ritt, als wir dann doch damit endeten vom gleichen Apfel abzubeißen und uns dabei toll zu fühlen. Enge Freunde wie wir konnten alles teilen. Gelehnt an den Baum saßen wir dicht beisammen und lachten. Das fühlte sich so viel schöner an, als all die aristokratischen Langweiler, die brav Regeln befolgten. Es war das erste Mal, dass ich dieses Gefühl verspürte und mit einem Mal wurde mir auch klar, warum man uns so vieles untersagt hatte. Als ich den Arm um sie legte, nur um sie dicht bei mir zu haben. Sie ließ es sich gefallen, das war fast noch schlimmer, als dass ich es wagte, ihr zu nahe zu kommen. So geschah es dann auch, als es langsam dämmerte, denn wir vergaßen wie so oft die Zeit, wenn wir zusammen waren. Ich verspürte das Bedürfnis und damals wusste ich auch gar nicht, wie man als Mann Bedürfnisse unterdrückte. Ein Ding der Unmöglichkeit. Kaum mit einem anderen Geschöpf dieser Erde hätte ich mir vorstellen können, eine enge Bindung einzugehen. Schweigen war nicht meine Art, aber gerade tat ich es. Sanft hatte ich ihre Hand in meiner gehalten und in einem Anflug des Übermutes nicht so wie es beschrieben wurde ihre Hand geküsst, sondern gleich auf direktem Weg ihre Lippen für mich beansprucht. Für uns beide war das ein sehr bedeutsamer Moment. Es war der erste Kuss in unserer beider Leben und er würde eine Lawine ins Rollen bringen, an die wir in diesem Moment nicht dachten, weil wir so glücklich waren. Wenigstens hatte ich meine Gefühle insoweit gut im Griff, dass ich es bei einem Kuss belassen konnte, was für einen Jungen meines Alters fast schon ein Wunder war. Mit all den Glücksgefühlen im Bauch, erwischte uns die Schelte der Eltern, als wir uns endlich nach Hause bequemten, natürlich eiskalt. Wir wussten nicht, wie uns geschah, aber sie schämte sich anstandsmäßig wenigstens für ihr Verhalten, während ich keine Miene verzog und die Strafe erst einmal über mich ergehen ließ. Aus dieser kleinen Strafe wurde eine regelrechte Strafanhäufung. Ich durfte sie nicht mehr ohne Aufsicht sehen, solange ich meine Gefühle nichtunter Kontrolle hatte. Daraufhin drehte ich vollkommen durch und ein jeder, der mich falsch ansprach bekam eine kräftige Tracht Prügel. Für meinen Vater war ich ein Sorgenkind, denn ihm war bewusst, dass ein Junge meines Alters nur Ärger bedeutete, vor allem wenn das feuer so sehr in ihm tobte wie bei mir. Da entschloss er, mich ganz weit weg zu schicken, wo ich keinen Ärger mehr machen konnte, der seine heiligen Pläne, die er mit Señor Pulido geschmiedet hatte, in keinster Weise beeinträchtigte. Unterdessen weinte Lolita bittere Tränen, da sie unter der Trennung zu mir natürlich am meisten litt. Die anderen Kinder hatten nie einen guten Draht zu ihr, denn sie war reich und hatte alles, was man das Herz begehrte – vor allem hatte sie eines, mein Herz.   So kam der Tag im Jahre 1803, dass es galt für uns beide Abschied zu nehmen. Zu diesem Ereignis wurde ihr wider Erwartens doch erlaubt, anwesend zu sein. Mir wurde viel Glück auf der Reise gewünscht, obwohl ich bis zuletzt aufgemuckt hatte, weil ich nicht von Zuhause weg wollte. Mir blieb jedoch nichts übrig, als am Ende klein bei zu geben. Als wir uns dann doch am Ende gegenüber standen und ihr wahrscheinlich tausend Mal gesagt worden war, dass es sich nicht schickte, als junge Dame, so viele Gefühle einem anderen Jungen gegenüber zu zeigen, weinte sie so bitterlich, dass es mir in der Seele wehtat und ich dann doch tapfer lächelnd sagte „ich komm ja wieder“, was sie aber auch nicht beruhigte, sondern eher noch dazu führte, dass sie sich in unschicklicher Manie an meine Brust warf, um dort sich weiter ihrem Schluchzen zu ergeben. Es gehörte sich überhaupt nicht, aber es war das erste Mal, dass ich ein Mädchen so kräftig an mich drückte, dass ich spürte, wie weiblich sie tatsächlich schon war. Mein Kopf glühte und ich wollte sie schon beim Glocken erklingen immer noch nicht loslassen, obwohl es sich dabei um die Schiffsglocke handelte, die sagte, dass es Zeit war an Bord zu gehen, weil das Schiff bald von Land gehen würde. Dass ihre Eltern unsere innige Umarmung billigten, lag wohl auch nur daran, dass mein Vater und ihr Vater bereits ein Abkommen getätigt hatten, von dem wir natürlich nicht gleich in Kenntnis gesetzt wurden. „Wenn ich wieder komme, bin ich ein Mann, du kannst also ganz beruhigt sein. Ich komme als richtiger Caballero wieder und dann werde ich ganz förmlich bei deinen Eltern vorsprechen“, versprach ich ihr. „Warte nur auf mich.“ Sie nickte und die letzten Tränen flossen über ihre zarte, helle Haut. Ich wusste, was sich gehörte. Denn der Moment, in dem ich entschlossen hatte, sie zu küssen, war für mich klar, dass ich dieses Mädchen mal heiraten wollte.   Unser einziger Kontakt bestand aus dem Briefe schreiben. Ganze drei Jahre lang. Die zogen sich natürlich unendlich und wir gaben uns der unstillbaren Sehnsucht hin, uns in einigen Jahren wieder zu sehen. Trotzdem quälte es uns beide und wir sehnten diesen Tag herbei, wie sonst keinen. Jedes Jahr zu meinem Geburtstag suchte mich eine Melancholie heim, die ich kaum zu unterdrücken vermochte. Ich lernte fleißig und betonte auch immer wieder, dass ich nur dafür lernte, um in einigen Jahren eine gute Partie zu sein, was ich alleine wegen meines Namen bereits zwar war, aber ich konnte einfach nicht genug davon bekommen, zu glänzen. Auch um meinen Vater zu beeindrucken, der so besorgt gewesen war, weil ich einfach nicht unter Kontrolle zu bekommen war. Ich hatte meinen eigenen Sturkopf, der alles hinterfragte und genauso nicht alles hinnahm, wie er es sollte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)